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Ausgerechnet unter der gleißenden Sonne Arizonas soll Amy ein Bauprojekt umsetzen, das sie für unpraktisch und protzig hält. Und dann muss sich die Bauingeneurin noch mit dem arroganten Architekten Craig herumschlagen, der seinen Entwurf für tadellos hält. Als Craig ihr auf der Baustelle das Leben rettet, muss sie sich auch noch bei ihm bedanken. Sie vereinbaren einen Waffenstillstand. Doch die intensive Anziehung nach einem gestohlenen Kuss macht den Streitenden einen Strich durch die Rechnung – und die Arbeit noch heißer, als sie ohnehin schon ist.
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Seitenzahl: 303
Nora Roberts
Wie Sommerregen in der Wüste
Roman
Aus dem Amerikanischenvon Anne Pohlmann
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
1. KAPITEL
Sie war wirklich einen zweiten Blick wert. Dafür gab es mehr Gründe, grundsätzlichere, als die Tatsache, dass sie eine der ganz wenigen Frauen auf der Baustelle war. Es war ganz natürlich, wenn der Blick eines Mannes von einem weiblichen Wesen angezogen wurde, vor allem in einem Bereich, in dem immer noch Männer vorherrschten. Doch an dieser Frau war etwas Besonderes, das Craigs Aufmerksamkeit erregte.
Stil. Auch wenn sie Arbeitskleidung trug und auf einem Steinhaufen stand, sie hatte Stil. Selbstbewusstsein, dachte er. Selbstbewusstsein war für ihn ein ganz eigenes Gütezeichen von Stil, ebenso wie – nun, wenigstens fast – schwarze Spitze oder weiße Seide.
Eigentlich hatte er nicht die Zeit, hier herumzusitzen und solchen Gedanken nachzuhängen. Er war schon fast eine Woche zu spät von Florida hierher nach Arizona gekommen, um das Projekt zu übernehmen. Und doch, er musste diese Frau einfach beobachten.
Sie war groß, in ihren Arbeitsstiefeln über eins fünfundsiebzig, und eher dünn als schlank. Ihre Schultern unter dem gelbbraunen T-Shirt, das am Rücken dunkel verschwitzt war, wirkten kräftig. Als Architekt schätzte Craig klare Linien. Als Mann schätzte er die Art, wie ihre abgetragenen Jeans eng über ihren Hüften saßen. Unter ihrem Arbeitshelm lugte ein dicker, kurzer Zopf in der Farbe von poliertem Mahagoni hervor.
Craig schob seine Sonnenbrille hoch. Die Frau war wirklich einen zweiten Blick wert. Sie bewegte sich ohne überflüssige Gesten. An ihrer Hosentasche zeichnete sich eine schwache, helle Linie ab, wo sie, wie Craig annahm, ihr Portemonnaie verwahrte. Eine praktische Frau. Eine Tasche wäre auf einer Baustelle nur lästig.
Ihre Haut war tief gebräunt. Ihr eigensinniges Kinn stand im Gegensatz zu den anmutigen Wangenknochen, und beides wurde durch den weichen, ungeschminkten Mund ausgeglichen, dessen Winkel im Moment ärgerlich heruntergezogen waren.
Ihre Augen konnte er auf die Entfernung nicht erkennen, doch ihre Stimme, als sie jetzt einen Befehl erteilte, war deutlich genug. Sie erinnerte eher an stille, dunstige Nächte als an verschwitzte Tage.
Amy bemerkte nicht, dass sie beobachtet wurde, als sie sich jetzt mit dem Arm über die feuchte Stirn fuhr. Die Sonne war heute gnadenlos. Der Schweiß lief Amy den Rücken herunter, verdunstete und trat wieder hervor: ein Kreislauf, mit dem sie zu leben gelernt hatte.
Bei fast vierzig Grad kann man sich nicht schneller bewegen, dachte sie, und man kann nicht mehr Eisen transportieren und nicht mehr Felsgestein abtragen. Selbst mit den gefüllten Wassertanks und den Salztabletten war jeder Tag ein Kampf gegen die Uhr. Bis jetzt hatten sie es zwar geschafft, aber … Es darf kein Aber geben, erinnerte sie sich wieder. Die Konstruktion dieses Ferienzentrums war die größte Sache, mit der sie bisher in ihrer Berufslaufbahn betraut worden war, und sie würde daran nicht scheitern. Das hier war ihr Sprungbrett.
Und trotzdem hätte sie Tim Thornway dafür erwürgen können, die Firma und sie mit einem zeitlich so knapp bemessenen Projekt zu verpflichten. Die vertraglich festgelegte Strafe bei Nichteinhaltung der Termine war himmelschreiend, und die Verantwortung dafür, sie nicht zahlen zu müssen, hatte Tim ganz beiläufig auf Amy abgewälzt.
Amy straffte die Schultern, als spüre sie tatsächlich diese Zentnerlast. Es käme einem Wunder gleich, das Projekt termingerecht und ohne Überschreitung der Veranschlagung fertigzustellen. Da Amy nicht an Wunder glaubte, hatte sie sich mit langen und harten Arbeitstagen abgefunden. Das Ferienzentrum würde gebaut werden – termingerecht! –, und wenn sie selbst dafür den Hammer in die Hand nehmen musste. Aber das ist das letzte Mal, gelobte sie sich im Stillen, während sie beobachtete, wie ein Stahlträger eindrucksvoll aufgerichtet wurde. Nach diesem Projekt wollte sie sich endgültig von Thornway lösen und ihren eigenen Weg gehen.
Sie war der Firma verbunden, in der man ihr so viel Vertrauen entgegengebracht hatte, dass Amy sich von der Assistentin zur Bauingenieurin durchboxen konnte. Das war etwas, was sie nie vergessen würde. Aber verpflichtet hatte sie sich Thomas Thornway, dem Vater, gefühlt. Jetzt, wo er ausgeschieden war, tat sie alles in ihrer Macht Stehende, um nicht zusehen zu müssen, wie Tim die Firma zugrunde richtete. Aber sie wäre verrückt, wenn sie sich den Rest ihrer Karriere für ihn verantwortlich fühlen und ihm auf die Finger sehen würde.
Charlie Gray, der übereifrige Assistent, den Craig wohl oder übel ertragen musste, zupfte ihn am Hemd.
»Soll ich Mrs Wilson von Ihrer Ankunft unterrichten?«
»Die hat im Moment alle Hände voll zu tun.«
»Mr Thornway wollte Sie beide bekannt machen.«
Leicht verzogen sich Craigs Lippen. Gerade hatte er daran gedacht, dass es nicht gerade eine Zumutung sei, mit Amy Wilson bekannt gemacht zu werden. »Das holen wir schon nach.«
»Sie haben die Besprechung gestern verpasst, darum …«
»Ja.« Die versäumte Besprechung würde ihm keine schlaflose Nacht bereiten. Der Entwurf des Ferienzentrums stammte von Craig. Doch wegen familiärer Probleme hatte sein Partner bisher die Unterredungen geführt. Mit einem erneuten Blick auf Amy empfand Craig das jetzt als jammerschade.
Einige Meter entfernt stand ein Wohnwagen, in den Craig vor der Sonne flüchtete, von Charlie gefolgt, der sich mühte, mit ihm Schritt zu halten. Im Innern war es um ein paar wunderbare Grad weniger heiß, da Ventilatoren die Hitze bekämpften. Craig holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank.
»Ich möchte noch einmal einen Blick auf die Pläne für das Hauptgebäude werfen.«
»Sicher, Sir, sie sind gleich hier.« Wie ein guter Soldat holte Charlie die Rolle der Konstruktionspläne hervor und nahm dann Haltung an wie beim Appell. »Bei der Besprechung …« Er räusperte sich. »Mrs Wilson deutete einige Änderungen an, die sie machen wollte. Vom Ingenieursstandpunkt aus.«
Unbekümmert ließ sich Craig auf die zusammenklappbare Couch fallen, deren lebhafte orange-grüne Polster von der Sonne zu einer fast annehmbaren Farbschattierung ausgebleicht worden waren. Interessiert rollte er die Pläne aus.
Sie gefielen ihm, gaben ihm ein gutes Gefühl. Das Gebäude würde kuppelförmig und an seiner höchsten Erhebung mit buntem Glas bedeckt sein. Die Dienstleistungsetagen würden kreisförmig um einen Innenhof verlaufen und so ein Gefühl von Weite und Unbegrenztheit vermitteln. Ein Ort zum Atmen, dachte er. Die Räume selbst würden getönte Scheiben haben, um das grelle Sonnenlicht auszuschließen und doch einen ungehinderten Blick über das Ferienzentrum auf die Berge zu ermöglichen.
Die Halle im Erdgeschoss war als Halbkreis geplant und würde damit leicht vom Eingang, von der auf zwei Ebenen angelegten Bar und dem nur mit Glas abgetrennten Café aus erreichbar sein.
Die Gäste konnten den gläsernen Fahrstuhl oder die gewundene Treppe benutzen, um in einem der drei oben gelegenen Restaurants zu speisen, oder sie konnten sich noch etwas höher wagen und einen der Gesellschaftsräume erkunden.
Craig nahm einen kräftigen Schluck Bier, ohne den Blick von den Plänen zu nehmen. Er sah in ihnen Fantasie, sogar Humor, aber hauptsächlich eine Verbindung moderner mit alter Architektur. Nein, er konnte nichts in seinen Konstruktionsplänen erkennen, das geändert werden durfte oder zu dessen Änderung er seine Zustimmung geben konnte.
Amy Wilson, dachte er, muss gute Miene zum bösen Spiel machen.
Die Tür des Wohnwagens wurde geöffnet, und Craig blickte erstaunt auf. Aus der Nähe ist sie noch eindrucksvoller, dachte er, als Amy eintrat. Zwar ein wenig verschwitzt, ein wenig staubig und – ihrem Blick nach zu urteilen – sehr wütend.
Letzteres stimmte. Amy hatte schon genug um die Ohren, auch ohne sich um die herumlungernden Arbeiter kümmern zu müssen, die sich außerplanmäßige Pausen nahmen.
»Was, zum Teufel, machen Sie hier drin?«, fragte sie, als Craig wieder die Bierdose an den Mund setzte. »Draußen wird jeder Mann gebraucht.« Sie entwand ihm das Bier, bevor er schlucken konnte. »Thornway bezahlt Sie nicht dafür, auf Ihrem Hintern zu sitzen. Und während der Arbeit wird hier sowieso nicht getrunken.« Sie stellte das Bier auf den Tisch, bevor sie in Versuchung geraten konnte, ihre eigene trockene Kehle zu befeuchten.
»Mrs Wilson …«
»Was?« Amys Geduld war am Ende, als sie sich zu Charlie umdrehte. »Oh, Mr Gray, nicht wahr? Moment bitte.« Immer eins nach dem anderen, dachte sie, als sie sich mit dem Arm über die verschwitzte Wange fuhr. »Hören Sie gut zu, Freundchen«, sagte sie zu Craig. »Falls Sie nicht Ihre Entlassungspapiere abholen wollen, sollten Sie sich endlich erheben und bei Ihrem Vorarbeiter melden.«
Er grinste sie nur unverschämt an. Mit einem letzten Rest an Selbstbeherrschung konnte Amy gerade noch die handfesten Beleidigungen unterdrücken, die ihr herausrutschen wollten. Diese anmaßenden Männer glaubten doch immer, sich überheblich lächelnd aus jeder Schwierigkeit lavieren zu können – und normalerweise gelang es ihnen auch. Aber nicht mit ihr. Und doch würde es zu nichts führen, sich mit einem gewerkschaftlich organisierten Arbeiter anzulegen.
»Es ist Ihnen nicht erlaubt, sich hier aufzuhalten.« Frustriert rollte sie die Konstruktionspläne zusammen. »Und in die Pläne dürfen Sie Ihre Nase erst recht nicht hineinstecken.«
»Mrs Wilson …«, versuchte es Charlie wieder vorsichtig.
»Was, verdammt?« Sie schüttelte seine Hand ab, obwohl sie sich innerlich ermahnte, höflich zu sein. Zum Teufel mit der Höflichkeit! Sie war aufgeregt, müde, frustriert und froh, ein Ziel zu haben. »Haben Sie Ihren berühmten Architekten endlich aus seiner warmen Wanne holen können? Thornway ist am termingerechten Bau dieses Projektes interessiert.«
»Ja, verstehen Sie …«
»Augenblick.« Erneut schnitt sie ihm das Wort ab und drehte sich wieder zu Craig um. »Ich habe Ihnen geraten zu verschwinden. Sie sprechen doch Englisch, oder?«
»Ja, Ma’am.«
»Dann bewegen Sie sich.«
Er tat es, aber nicht ihrer Erwartung entsprechend. Träge erhob er sich. Als er zum Tisch hinüberging, machte er überhaupt nicht den Eindruck eines Mannes, der den Verlust seines Jobs fürchtete. Er griff sich sein Bier, nahm einen tiefen Schluck und lehnte sich dann erneut frech grinsend an den großen Kühlschrank.
»Sie sind hier wohl eine ganz Große, Rotschopf.«
In allerletzter Minute fing sie sich gerade noch, bevor sie der Versuchung erlag, ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Baustellen mochten immer noch Männerdomäne sein, doch bisher hatte sich Amy gegenüber noch keiner eine herablassende Haltung herausgenommen. Wenigstens nicht in ihrer Gegenwart. Er war gefeuert. Termine hin oder her, Gewerkschaft hin oder her, sie würde ihm persönlich seine Entlassungspapiere aushändigen.
»Suchen Sie Ihre Siebensachen zusammen, steigen Sie in Ihren Wagen und verschwinden Sie, Freundchen.« Wieder schnappte sie sich sein Bier, doch dieses Mal leerte sie den Inhalt der Dose über Craigs Kopf aus. Zum Glück – für Craig – war nur noch ein Schluck drin.
»Mrs Wilson.« Charlies Gesicht hatte alle Farbe verloren, und seine Stimme zitterte. »Sie verstehen nicht.«
»Gehen Sie, Charlie.« Craigs Stimme war ruhig, während er sich mit den Fingern durchs feuchte Haar fuhr.
»Aber …«
»Hinaus.«
»Ja, Sir.« Mehr als bereitwillig räumte Charlie das Feld. Deswegen und weil er den schlaksigen Cowboy mit dem attraktiven Gesicht Sir genannt hatte, dämmerte es Amy, dass sie offensichtlich auf dem ganz falschen Dampfer war.
»Ich glaube nicht, dass wir einander schon vorgestellt worden sind.« Craig nahm seine Sonnenbrille ab. Seine Augen waren braun, ein weicher goldener Braunton. Aus seinem Blick sprach weder Ärger noch Verlegenheit. Er musterte Amy einfach nur gleichmütig. »Ich bin Craig Johnson. Ihr Architekt.«
Sie hätte irgendetwas daherreden können. Sie hätte sich entschuldigen können. Sie hätte den Vorfall mit einem Lachen abtun und ihm ein neues Bier anbieten können. Doch Craigs ruhiger, fester Blick ließ sie alle drei Möglichkeiten verwerfen. »Nett von Ihnen, einmal vorbeizuschauen«, sagte sie stattdessen.
Eine ganz Harte, dachte er, trotz ihrer verträumten graugrünen Augen und ihres sinnlichen Mundes. Aber er hatte es schon mit ganz anderen Kalibern aufgenommen. »Wenn ich gewusst hätte, welch freundlicher Empfang mich hier erwartet, wäre ich schon früher gekommen.«
»Entschuldigung, aber wir konnten das Blasorchester nicht länger warten lassen.« Sie brauchte nur leicht das Kinn zu heben, um ihre Augen auf gleiche Höhe mit seinen zu bringen. »Noch Fragen?«
»Oh, ein paar. Kippen Sie Männern beim Kennenlernen immer Bier über den Kopf?«
»Hängt von den Männern ab.« Dabei beließ sie es und machte den Versuch, an ihm vorbeizugehen, was einerseits der Kühlschrank, andererseits der Mann nicht zuließ, der keine Anstalten machte, sich zur Seite zu drehen, um es ihr zu ermöglichen. Er sah sie nur an, und als er die funkelnde Wut in ihrem Blick entdeckte, musste er einfach wieder grinsen.
»Eng hier, nicht wahr, Mrs Wilson?« Das Mrs zog er unverschämt betont in die Länge.
Sie mochte Ingenieurin sein, die sich hart durchgeboxt hatte und alle Fallstricke kannte. Aber sie war auch eine Frau, die den Druck seines Körpers an ihrem deutlich spürte, seine Hüfte, seine kräftigen Schenkel. Doch wie ihre Reaktion darauf auch hätte sein können, das amüsierte Blitzen in seinen Augen erstickte eine solche Reaktion im Keim.
»Ich gebe Ihnen einen guten Rat, lassen Sie mich vorbei.«
Er hätte sie jetzt gern geküsst, um sie herauszufordern und ihre Lippen zu spüren. Doch auch wenn er häufig impulsiv handelte, er wusste, wann es geboten war, eine langsamere Gangart einzulegen. »Ja, Ma’am.«
Craig drehte sich zur Seite und ließ Amy an sich vorbei. Sie wäre jetzt liebend gern gegangen, doch sie nahm auf der Couch Platz und breitete wieder die Pläne aus. »Ich nehme an, Gray hat Sie schon über die Besprechung, die Sie versäumt haben, informiert.«
»Ja.« Er trat hinter den Tisch und setzte sich. Zum zweiten Mal – es war wirklich eng hier – berührten sich ihre Schenkel. »Sie wollten einige Änderungen.«
Sie sollte nicht in Verteidigungsposition gehen, das war nie gut. Aber sie konnte es nicht verhindern. »Ich habe von Anfang an Probleme mit den Plänen gehabt, Mr Johnson. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht.«
»Ich habe den Briefverkehr gesehen.« Die Beine in einem so engen Raum auszustrecken, war schon fast ein Kunststück, doch es gelang ihm. »Sie wollten eine Standard-Wüstenkonstruktion.«
Sie verengte ganz leicht die Augen, doch er konnte das Aufblitzen in ihnen erkennen. »Das Wort ›Standard‹ ist meiner Erinnerung nach nicht aufgetaucht, aber es gibt gute Gründe für einen solchen Architekturstil in diesem Gebiet.«
»Es gibt auch gute Gründe, etwas Neues auszuprobieren, meinen Sie nicht?« Er sagte es gleichmütig. »›Barlow & Barlow‹ wollen ein Ferienzentrum mit höchsten Ansprüchen«, fuhr er fort, bevor Amy sich äußern konnte. »In sich geschlossen und exklusiv genug, um Gästen die großen Scheine aus der Tasche ziehen zu können. Sie wollen ein anderes Erscheinungsbild, eine andere Atmosphäre als bei den um Phoenix herum verstreuten Ferienzentren. Und genau das liefere ich ihnen.«
»Mit kleinen Veränderungen …«
»Keine Änderungen, Mrs Wilson.«
Fast hätte sie vor Frustration mit der Faust auf den Tisch gehauen. Er war nicht nur ein Dickschädel – ein typischer Architekt –, er brachte sie zudem auf hundertachtzig mit der Art, wie er das Mrs betont langsam in die Länge zog. »Ich sage Ihnen klipp und klar, Mr Johnson, vom Ingenieursstandpunkt aus ist Ihre Konstruktion miserabel.«
Er registrierte die bernsteinfarbenen Sprenkel in Amys Augen, Augen, die weder eindeutig grau noch grün waren. Augen, die schlechte Laune verrieten. Er lächelte sie an. »Das ist Ihr Problem. Wenn Sie nicht gut genug sind, kann Thornway einen anderen Ingenieur unter Vertrag nehmen.«
Heftig ballte sie die Hände zu Fäusten. Der Gedanke, ihm die Pläne in den Mund zu stopfen, hatte einen gewissen Reiz, doch sie erinnerte sich daran, dass sie an dieses Projekt vertraglich gebunden war. »Ich bin gut genug, Mr Johnson.«
»Dann sollten wir keine Probleme haben. Könnten Sie mich jetzt über den Stand der Arbeit informieren?«
Das ist nicht mein Job, hätte sie ihn fast angegiftet. Aber sie war an einen Vertrag gebunden, an einen, der keinen Spielraum für Verzögerungen zuließ. Oh, sie würde ihre Verpflichtung Thornway gegenüber begleichen, sollte es auch die Zusammenarbeit mit einem eingebildeten Architekten bedeuten.
»Wie Sie sicher gesehen haben, gehen die Sprengungen termingerecht voran. Zum Glück konnten wir sie auf ein Minimum reduzieren, um den Charakter der Landschaft zu bewahren.«
»So war es gedacht.«
»Tatsächlich? Wie auch immer, Ende der Woche müssten wir das Gerüst für das Hauptgebäude fertig bekommen. Falls keine Änderungen gemacht werden …«
»Es werden keine gemacht.«
»Falls keine Änderungen gemacht werden«, wiederholte sie stur, »könnten wir den ersten Teil des Vertrags termingerecht schaffen. Mit den Bungalows fangen wir erst an, wenn Hauptgebäude und Gesundheitszentrum unter Dach sind. Die Golf- und Tennisanlagen fallen nicht in meine Zuständigkeit, das müssen Sie mit Kendall besprechen. Gleiches gilt für die Park- und Gartenanlagen.«
»Wunderbar. Wissen Sie, ob die Kacheln für die Eingangshalle bestellt worden sind?«
»Ich bin Ingenieurin, keine Einkäuferin. Dafür ist Marie Lopez zuständig.«
»Ich werde es mir merken. Noch eine Frage.«
»Welche?«
»Liegt es daran, dass ich ein Mann bin oder Architekt oder weil ich von der Ostküste bin?«
»Die Frage müssten Sie verdeutlichen.«
»Warum wollen Sie mir am liebsten die Augen auskratzen? Weil ich ein Mann bin oder weil ich Architekt bin oder weil ich von der Ostküste stamme?«
Die Frage an sich hätte sie nicht in Rage versetzt, überhaupt nicht. Aber Craig grinste dabei. Und in der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft hätte sie ihn dafür schon mindestens ein halbes Dutzend Mal erwürgen können. Stattdessen musterte sie Craig kühl.
»Ihr Geschlecht ist mir verdammt gleichgültig.«
Sein aufreizendes Lächeln hielt an. »Sie schwenken gern rote Fahnen vor Stieren, Wilson?«
»Ja.« Jetzt lächelte sie, was jedoch nicht das herausfordernde Blitzen in ihren Augen abschwächte. »Um meine Antwort zu vollenden: Architekten sind häufig wichtigtuerische, launische Künstler, die ihre ganze Selbstverliebtheit zu Papier bringen und von Ingenieuren und Handwerkern erwarten, dass die sie für die Nachwelt verewigen. Damit kann ich leben. Ich kann es sogar respektieren – wenn der Architekt einen offenen Blick auf die Bedingungen wirft und mit ihnen plant statt für sich allein. Und was Ihre Herkunft von der Ostküste angeht, das könnte das größte Problem sein. Sie verstehen die Wüste, die Berge, einfach das ganze Land hier nicht. Die Vorstellung, wie Sie mehr als zweitausend Meilen entfernt unter einem Orangenbaum sitzen und entscheiden, womit die Menschen hier leben müssen, gefällt mir überhaupt nicht.«
Da er mehr an ihr als an seiner Selbstverteidigung interessiert war, verschwieg er, dass er schon vor Monaten hier gewesen und auch die grundsätzliche Planung hier entstanden war. »Wenn Sie es nicht bauen wollen, warum machen Sie es dann?«
»Ich habe nicht gesagt, dass ich es nicht bauen will. Aber ich habe es auch nie für nötig gehalten, zu zerstören, um zu bauen.«
»Jedes Mal, wenn man eine Schaufel in den Boden stößt, nimmt man Land weg. Das ist das Leben.«
»Jedes Mal, wenn man Land wegnimmt, sollte man angestrengt darüber nachdenken, was man dafür zurückgibt. Das ist Moral.«
»Eine Ingenieurin und Philosophin.« Er zog sie bewusst auf und beobachtete, wie die Zornesröte in ihr Gesicht stieg. »Bevor Sie mir wieder etwas über den Kopf schütten, einigen wir uns besser darauf, dass ich Ihnen zustimme – bis zu einem bestimmten Grad. Und wir haben hier auch kein Neon und Plastik geplant. Ob Sie nun meinem Entwurf zustimmen oder nicht, es ist mein Entwurf. Und es ist Ihr Job, ihn zu verwirklichen.«
»Ich weiß, was mein Job ist.«
»Dann ist es ja gut.« Als sei damit ihre Unstimmigkeit bereinigt, rollte Craig die Pläne zusammen. »Wie wäre es mit Dinner?«
»Wie bitte?«
»Dinner. Ich würde gern mit Ihnen essen.«
Amy war sich nicht ganz sicher, ob das die lächerlichste Bemerkung gewesen war, die sie jemals gehört hatte, doch auf alle Fälle war sie unter den ersten zehn platziert. »Nein danke.«
»Sind Sie verheiratet?« Das wäre von Bedeutung.
»Nein.«
»Verlobt?« Das wäre weniger von Bedeutung.
Geduld war nicht ihre ausgeprägteste Eigenschaft. Und Amy bemühte sich auch gar nicht erst darum. »Das geht Sie nichts an.«
»Sie sind schlagfertig, Rotschopf. Das gefällt mir.«
»Sie sind anmaßend, Johnson. Das gefällt mir nicht.« Sie ging zur Tür. »Wenn Sie Fragen haben, die mit dem Bau zu tun haben, stehe ich zur Verfügung.«
Er brauchte nur wenige Schritte zu machen, um eine Hand auf ihre Schulter legen zu können. Craig spürte, wie sie sich unter seiner Berührung anspannte. »Ich auch«, erinnerte er sie. »Und das Dinner verschieben wir einfach. Immerhin schulden Sie mir ein Bier.«
Mit einem zufriedenen Blick trat Amy hinaus in die Sonne.
Craig war wirklich nicht das, was sie erwartet hatte. Er war attraktiv, aber damit konnte sie umgehen. Wenn eine Frau beruflich in eine Männerdomäne einbrach, kam sie einfach hin und wieder in Kontakt mit einem attraktiven Mann. Doch Craig machte eher den Eindruck eines Arbeiters als den des Teilhabers einer der Toparchitekturfirmen des Landes. Sein dunkelblondes Haar mit den von der Sonne gebleichten Spitzen war etwas zu lang für die feineren Kreise. Seine kräftigen, schwieligen Hände waren die eines arbeitenden Menschen. Amy bewegte die Schultern, als wolle sie die Erinnerung an seine Berührung abschütteln. Und dann war da seine Stimme und diese Eigenart des gedehnten und ironisch betonten Sprechens.
Sie setzte ihren Schutzhelm auf, als sie sich dem Stahlgerüst des Gebäudes näherte. Bestimmt gab es Frauen, die diese Stimme anziehend fanden. Aber sie, Amy, hatte nicht die Zeit, sich von einem Südstaaten-Tonfall oder einem selbstbewussten Grinsen überwältigen zu lassen. Außerdem, wenn sie es genau nahm, hatte sie nicht einmal die Zeit, sich selbst als Frau zu fühlen.
Er hatte es geschafft, dass sie sich plötzlich sehr weiblich fühlte.
Doch das beeindruckte sie nicht besonders. »Weiblich« bedeutete häufig »schutzlos« und »abhängig«. Amy hatte nicht die Absicht, solchen Begriffen zu entsprechen. Dafür hatte sie zu hart und zu lange an ihrer Unabhängigkeit gearbeitet. Ein leichtes Herzflattern, mehr nicht, doch das würde sie nicht aus der Bahn werfen.
Sie wünschte, die Bierdose wäre voll gewesen.
Grimmig lächelnd beobachtete sie, wie der nächste Pfeiler aufgerichtet wurde. Ein Gebäude wachsen zu sehen, war schon etwas Wunderbares. Stück für Stück, Stufe für Stufe. Es hatte Amy schon immer fasziniert, zu beobachten, wie etwas Gewaltiges und Nützliches Gestalt annahm – wie es sie andererseits gestört hatte, dass die Natur dabei automatisch beschädigt wurde. Diese widersprüchlichen Gefühle hatte sie nie auseinanderhalten können. Und in ihrem Zuständigkeitsbereich hatte sie sich immer darum bemüht, dass der Fortschritt nicht zu sehr auf Kosten der natürlichen Gegebenheiten ging.
Aber dieses Projekt … Amy schüttelte den Kopf, als das Geräusch der Sprengungen wieder herüberhallte. Dieses Projekt war das Hirngespinst eines Fantasten: das Kuppelgewölbe, die Kurven und Spiralen. Sie hatte unzählige Nächte an der Rechenmaschine gesessen, sich über Tabellen gebeugt und sich mit statischen Problemen herumgeschlagen. Aber um solche Banalitäten kümmern sich Architekten eben nicht, dachte sie. Für die war alles nur eine Frage der Ästhetik. Nur Ego und Selbstverliebtheit. Ich baue das verdammte Ding, dachte sie und kickte einen Stein zur Seite. Sie würde es bauen, und sie würde es gut bauen. Aber mögen würde sie es nicht.
Die Sonne knallte Amy auf den Rücken, als sie das Fundament betrachtete. Sie hatten sich mit dem Berg, mit dem unebenen steinigen und sandigen Boden herumschlagen müssen, aber sie hatte die Entwürfe bisher umsetzen können. Sie empfand leichten Stolz. Unpassend oder nicht, der Plan würde baulich perfekt realisiert werden.
Das war wichtig – perfekt zu sein. Bisher hatte sich Amy in ihrem Leben immer mit dem Zweitbesten zufriedengeben müssen. Aber das reichte ihr nicht mehr. Damit wollte sie sich nicht abfinden, nicht für sich und nicht für ihre Arbeit.
Unvermittelt meinte sie, Craigs Duft wahrzunehmen. Seife und Schweiß. Aber jeder auf der Baustelle roch nach Seife und Schweiß, warum war sie dann so sicher, dass Craig jetzt hinter ihr stand? Amy wusste es einfach und drehte sich bewusst nicht um.
»Probleme?« Es gefiel ihr, wie es ihr gelungen war, ein einziges Wort so geringschätzig klingen zu lassen.
»Ich weiß es nicht, bis ich mich nicht mit eigenen Augen überzeugen kann.«
Sie ließ sich Zeit zurückzutreten, um ihm Platz zu machen. Er würde keine Abweichungen von seinem Entwurf finden – selbst wenn er genügend Fachwissen dazu hätte.
Als sie eine laute Stimme hörte, entdeckte Amy zwei Arbeiter, die miteinander stritten. Die Hitze, das wusste sie, ließ manchmal auf eine ganz hässliche Art das Temperament überschäumen. Sie verließ Craig und ging hinüber.
»Noch etwas früh für eine Pause«, meinte sie ruhig, als der eine Arbeiter den anderen vorn am Hemd packte.
»Dieser Wahnsinnige hat mit dem Pfeiler fast meine Finger abgerissen.«
»Wenn der Idiot nicht weiß, wann er aus dem Weg gehen muss, hat er es auch verdient, ein paar Finger zu verlieren.«
Von der Größe her überragten die beiden Männer Amy zwar nicht sehr, aber sie waren stämmig, verschwitzt und äußerst gereizt. Doch sofort trat Amy zwischen sie, als die Männer erneut die Fäuste hoben.
»Beruhigt euch«, befahl sie.
»Ich muss mir nicht seine Anweisungen …«
»Nein«, unterbrach ihn Amy scharf, »nicht seine, aber auf mich haben Sie zu hören.« Sie sah von einem zum anderen. »Wenn ihr euch unbedingt prügeln wollt, bitte – aber erst nach Feierabend. Wenn ihr aber meinen Zeitplan über den Haufen werft, dann seid ihr arbeitslos. Sie.« Sie zeigte auf den Mann, der ihr von den beiden am unbeherrschtesten erschien. »Wie heißen Sie?«
Der dunkelhaarige Mann zögerte kurz. »Rodriguez.«
»Also, Rodriguez, Sie machen jetzt eine kurze Pause und kühlen sich etwas den Kopf.« Sie wandte sich ab, als hätte sie nicht den geringsten Zweifel an seinem sofortigen Gehorsam. »Und Sie?«
Das runde Gesicht des anderen Mannes lief rot an, und er lächelte verlegen. »Swaggart.«
»Okay, Swaggart, gehen Sie wieder an die Arbeit. Und ich hätte etwas mehr Achtung für die Hände meines Kollegen, wenn ich Sie wäre, andernfalls könnten Sie auch ganz schnell ein paar Finger weniger haben.«
Rodriguez stieß gepresst die Luft aus, ging aber hinüber zu den Wassertanks. Zufrieden winkte Amy den Vorarbeiter zu sich und trug ihm auf, die beiden Männer ein paar Tage lang getrennt voneinander einzusetzen.
Craig hatte Amy fast vergessen, als sie sich jetzt wieder umdrehte. Breitbeinig, die Hände leicht in die Hüften gestützt, stand er immer noch da. Doch sein Interesse galt nicht mehr der Baustelle, er beobachtete Amy. Als sie keine Anstalten machte, sich ihm zu nähern, kam er zu ihr.
»Stellen Sie sich immer zwischen zwei Streithähne?«
»Wenn es notwendig ist.«
Er musterte sie. »Hat es schon einmal jemand geschafft, dass Sie nicht immer so geladen sind?«
Warum, wusste sie auch nicht, aber fast hätte sie gelächelt. »Bis jetzt noch nicht.«
»Gut. Vielleicht bin ich der Erste.«
»Versuchen Sie es, aber konzentrieren Sie sich lieber auf dieses Bauvorhaben. Das ist produktiver.«
Ein Lächeln zog über sein Gesicht. »Ich kann mich auf mehr als nur eine Sache zugleich konzentrieren. Wie ist das denn mit Ihnen?«
Anstatt zu antworten, zog sie ein Taschentuch heraus und fuhr sich damit über ihren Nacken. »Wissen Sie, Johnson, Ihr Partner machte einen sehr sensiblen Eindruck.«
»Nathan ist sensibel.« Bevor sie ihn zurückhalten konnte, nahm Craig ihr das Taschentuch aus der Hand und tupfte damit ihre Schläfen trocken. »Sie machten auf ihn den Eindruck einer Perfektionistin.«
»Und was ist mit Ihnen?« Sie musste dem Drang widerstehen, ihm das Tuch aus der Hand zu reißen. Es war etwas Besänftigendes, etwas zu Besänftigendes in seiner Bewegung.
»Das müssen Sie selbst entscheiden. Immerhin werden wir die nächste Zeit zusammenarbeiten.«
Jetzt nahm sie ihm das Tuch weg und stopfte es betont beiläufig in ihre Hosentasche. »Ich komme damit klar, wenn Sie es auch tun.«
»Amy.« Er sprach ihren Namen aus, als prüfe er den Geschmack von etwas Neuem. »Ich freue mich darauf.« Unwillkürlich zuckte sie zusammen, als er mit dem Daumen leicht über ihre Wange strich. Erfreut über ihre Reaktion lächelte er. »Wir sehen uns.«
Eingebildeter Kerl, dachte sie ungehalten, als sie über den Bauschutt stapfte und sich bemühte, das Prickeln auf ihrer Haut zu ignorieren.
2. KAPITEL
Wenn es etwas gibt, was ich nicht gebrauchen kann, dachte Amy ein paar Tage später, dann, von meiner Arbeit weg- und in eine Besprechung hineingezogen zu werden. Am Hauptgebäude standen Handwerksarbeiten an, im Gesundheitszentrum Wasserrohrarbeiten, und sie musste die schwelende Feindschaft zwischen Rodriguez und Swaggart im Auge behalten. Nicht, dass diese Angelegenheiten nicht ohne Amy erledigt werden konnten – aber mit ihr wurden sie besser erledigt. Und hier stand sie sich in Tims Büro die Beine in den Bauch und wartete darauf, dass er sich endlich blicken ließ.
Man musste ihr nicht extra sagen, wie knapp sie in der Zeit lagen. Verdammt, sie wusste, was sie tun musste, um den Vertrag termingerecht erfüllen zu können.
Diesem Bauprojekt hatte sie sich ganz verschrieben. Jeden Tag verbrachte sie verschwitzt mit den Arbeitern und den Kontrolleuren der Behörden auf der Baustelle und fühlte sich selbst für solche Kleinigkeiten wie der Lieferung von Nieten verantwortlich. Abends fiel sie entweder bei Sonnenuntergang ins Bett oder arbeitete noch bis drei, wach gehalten von Kaffee und Ehrgeiz. Dieses Projekt hatte für sie eine ganz persönliche Bedeutung bekommen, die sie selbst nicht wirklich erklären konnte. Es stellte so etwas wie eine Danksagung dem Mann gegenüber dar, der ihr genug Vertrauen entgegengebracht hatte, um sie anzustacheln, mehr als nur das Zweitbeste zu erreichen. In gewisser Weise war dies ihr letzter Job für Thomas Thornway, und diese Arbeit wollte sie perfekt machen.
Sie würde sie perfekt machen, auch wenn sie einen Architekten hatte, der auf Materialien bestand, die die Kosten in die Höhe trieben und Verzögerungen beim Versand nach sich zogen. Sie würde perfekte Arbeit abliefern, falls sie nicht laufend für endlose Besprechungen ins Büro zitiert wurde.
Ungeduldig ging Amy auf und ab. Zeit wurde vergeudet, und nichts konnte Amy mehr aufregen als Vergeudung.
Dies war Thomas Thornways Büro gewesen. Amy hatte die kühlen Farben und das Fehlen jeglicher Schnörkel hier immer gemocht. Seit Tim es übernommen hatte, hatte es Veränderungen gegeben. Pflanzen, dachte sie und runzelte über einen Ficus die Stirn. Nicht, dass sie Pflanzen und dicke Plüschkissen nicht mochte, aber es regte sie auf, so etwas hier zu finden.
Und dann die Bilder. Thornway senior hatte Indianerkunst und Landschaftsbilder bevorzugt. Tim hatte sie durch abstrakte Malerei ersetzt, die Amy im wahrsten Sinne des Wortes auf die Nerven ging. Der neue Teppich war bestimmt acht Zentimeter dick und lachsfarben. Der alte Thornway hatte einen braunen Noppenteppich benutzt, auf dem Schmutz und Staub nicht so auffielen. Aber Tim hatte sich auch nicht oft auf Baustellen sehen lassen oder seine Vorarbeiter zum Nachmittagsdrink zu sich gebeten.
Hör auf, befahl sich Amy. Tim ging die Sachen eben anders an, und das war sein gutes Recht. Die Tatsache, dass sie seinen Vater so geliebt und bewundert hatte, bedeutete nicht automatisch, dass sie an dem Sohn herumnörgeln musste.
Doch ich kann mir nicht helfen, dachte sie, als sie den aufgeräumten, polierten Schreibtisch betrachtete. Dem Sohn fehlte einfach die Tatkraft und die Menschlichkeit des Vaters. Thornway senior hatte in erster Linie aus Liebe an Gestaltung gebaut. Für Tim war die Profitspanne die Hauptsache.
Wenn Thomas Thornway noch die Geschäfte führen würde, hätte Amy nicht den Wunsch gehabt, sich von der Firma zu lösen. Doch auch die momentane Situation hatte insofern ihren Reiz, als Amy wusste, dass es ihre letzte Arbeit für die Firma war. Sie spürte eine gewisse Erwartungshaltung, eine gespannte Neugier. Was auch immer als Nächstes kam, sie würde es für sich selbst machen.
Bei allem Reiz, die Idee hatte auch etwas Beängstigendes. So wie alles Unbekannte. So wie Craig Johnson.
Lächerlich. Er war weder beängstigend, noch hatte er Reiz. Er verwirklichte auch nichts Unbekanntes. Er war einfach nur ein Mann. Der Typ von Mann, der wusste, dass er die Blicke auf sich zog, und es genoss. Der Typ, der immer eine Masche hatte, immer eine Methode und immer eine Möglichkeit, sich zu entziehen.
Mit Männern wie Craig hatte sie schon in der Vergangenheit zu tun gehabt. Rückblickend schätzte sich Amy glücklich, dass sie nur einmal auf ein hübsches Gesicht und eine nette Masche hereingefallen war. Diesbezüglich lernten manche Frauen nie dazu und tappten immer wieder blind in die Falle. Meine Mutter ist auch so eine, dachte Amy kopfschüttelnd. Jessie Peters brauchte nur einen Blick auf einen Mann wie Craig zu werfen, um sich sofort bedingungslos ins nächste Abenteuer zu stürzen. Dem Himmel sei Dank, in diesem Fall stimmte der Spruch »Wie die Mutter, so die Tochter« nicht.
Sie, Amy, war an Craig Johnson persönlich nicht interessiert und konnte ihn selbst beruflich kaum ertragen.
Als Craig Johnson wenig später zusammen mit Tim eintrat, fragte sie sich, warum ihre Gedanken und Gefühle nicht übereinstimmten.
»Amy, Entschuldigung fürs Warten.« Tim, geschniegelt in seinem dreiteiligen Anzug, bot ihr ein freundliches Lächeln. »Das Essen hat sich etwas in die Länge gezogen.«
Sie hob nur eine Augenbraue. Diese Besprechung hatte sie ganz auf ihr Essen verzichten lassen. »Ich bin mehr daran interessiert zu erfahren, warum Sie mich von der Baustelle herzitiert haben.«
»Ich dachte, wir sollten uns gegenseitig auf den neusten Stand der Dinge bringen.« Er machte es sich hinter seinem Schreibtisch bequem und forderte Amy und Craig mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen.
»Sie haben meine Berichte gesehen.«
»Sicher.« Tim tippte mit einem Finger auf einen Aktenstoß. Er besaß ein nettes, einladendes Lächeln, das sein rundes Gesicht sympathisch wirken ließ. Er hätte sich gut in der Politik gemacht, dachte Amy wieder einmal. Wenn es jemand verstand, Fragen zu beantworten, ohne sich festzulegen, dann war es Tim Thornway. »Gründlich, wie immer. Heute Abend habe ich ein Geschäftsessen mit Barlow senior. Ich würde ihm gern mehr als nur Fakten und Zahlen unterbreiten.«
»Sie können ihm meine Einwände über die Innengestaltung des Hauptgebäudes unterbreiten.« Amy legte die gestreckten Beine übereinander und hatte für Craig nicht einmal den kleinsten Blick übrig. Tim begann, mit einem seiner kostbaren Füllfedern zu spielen.
»Ich dachte, das hätten wir abgehakt.«
Amy zuckte leicht die Schultern. »Sie haben gefragt. Sie können ihm sagen, die Verkabelung des Hauptgebäudes sei voraussichtlich Ende der Woche beendet. Eine heikle Angelegenheit hinsichtlich der Größenordnung und der Konstruktion des Baus. Und die Klimaanlage wird ihn ein Vermögen kosten.«
»Er hat ein Vermögen«, entgegnete Craig. »Und ich denke, er ist mehr an Stil interessiert als daran, bei der Stromrechnung zu sparen.«
»Richtig.« Tim räusperte sich. Dieser Auftrag von »Barlow & Barlow« würde ihm einen netten Profit bringen. Und so sollte es auch bleiben. »Ich werde unserem Kunden versichern, dass er nur das Beste an Materialien und Stil bekommt.«
»Ich schlage vor, Sie sagen ihm, er soll sich doch vorher selbst ein Bild machen.«
»Nun, ich glaube nicht …«
Craig schaltete sich ein. »Ich stimme Mrs Wilson zu. Besser, er äußert sich jetzt, als dass er später die Verantwortung von sich schiebt, wenn schon alles gebaut ist.«
Tim runzelte die Stirn. »Die Pläne sind abgesegnet worden.«
»Auf dem Papier sieht alles anders aus«, meinte Craig mit einem Blick zu Amy. »Manchmal sind die Leute ganz überrascht vom Endprodukt.«
»Natürlich, ich werde es vorschlagen.« Tim tippte mit dem Stift auf die makellose Schreibunterlage. »Amy, Sie haben in Ihrem Bericht angeregt, die Mittagspause auf eine Stunde auszudehnen.«
»Ja, darüber müssen wir reden. Solange wir keine Wettererleichterung haben, brauchen die Männer mittags eine längere Pause.«
Tim legte den Stift hin und faltete die Hände. »Sie müssen verstehen, was eine dreißigminütige Pausenausdehnung hinsichtlich der Bauzeit und der Kosten bedeutet.«
»Sie müssen verstehen, dass Männer nicht in der sengenden Sonne ohne eine angemessene Pause arbeiten können. Auch wenn es März und drinnen angenehm kühl ist, wenn Sie Ihren zweiten Martini trinken, draußen ist es mörderisch.«
»Die Männer werden dafür bezahlt zu schwitzen«, warf Tim ein. »Und Sie können mir nur darin zustimmen, dass es besser für sie ist, wenn das Gebäude noch im Sommer unter Dach kommt.«
»Sie können es aber nicht bauen, wenn sie bald vor Hitze erschöpft umfallen.«
»Ich kann mich nicht erinnern, davon etwas in den Berichten gelesen zu haben.«
»Bis jetzt noch nicht.« Es fiel ihr schwer, sich weiterhin zu beherrschen. Er ist schon immer ein aufgeblasener Wichtigtuer gewesen, dachte Amy. Früher, als er noch der Junior gewesen war, hatte sie an ihm vorbei direkt zum Chef gehen können. Heute war er der Chef. Amy biss die Zähne zusammen und versuchte es erneut. »Tim, die Männer brauchen einfach mehr Pause. Die Arbeit draußen in der Sonne macht kaputt. Die Männer werden schlapp, sie werden schlampig, und dann passieren Fehler, gefährliche Fehler.«