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Das neue Standardwerk für junge Veganer Vegan? Ist das nicht ein bisschen extrem? So denken viele, wenn sie zum ersten Mal davon hören. Dann kann man ja gar nichts mehr essen! Und: Das ist bestimmt nicht gesund! So lauten die Einwände, die sofort erhoben werden. Doch ist es wirklich so extrem, den Tieren ihr Leben und ihre Freiheit zu lassen? Schließlich kann man sich auch vegan lecker und gesund ernähren. Oder ist es eher extrem, wie unendlich viel Leid wir den Tieren zufügen – für das leckere Schnitzel, die Milch im Kaffee, die coole Lederjacke? Verletzten wir damit nicht die Rechte der Tiere und ihre Würde? Oder haben Tiere so etwas gar nicht? Eine spannende und leicht verständliche Einführung in das Thema Veganismus und Tierrechte
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Seitenzahl: 344
Hilal Sezgin
Wieso? Weshalb? Vegan!
Warum Tiere Rechte haben und Schnitzel schlecht für das Klima sind
FISCHER E-Books
Es gibt unheimlich viele Klischees und Vorurteile über Veganerinnen und Veganer. Manche Menschen meinen, Veganer würden überhaupt keine üblichen Speisen essen, sondern sich praktisch nur von Grünzeug ernähren, also etwa von Gras oder dem Kraut an den Möhren; darum wären alle Veganer dünn und klapprig.
Allerdings ist es nicht so leicht, ausgerechnet mir das ins Gesicht zu sagen, denn ich bin überhaupt nicht dünn und klapprig. Dafür hat mir vor ein paar Tagen eine Frau gesagt, sie würde das mit dem Veganismus alles verstehen und gutheißen, nur hätte sie persönlich keine Lust, immer nur Brei zu essen. »Brei?«, habe ich gefragt. (Ich finde Brei ekelhaft.) Sie nickte. Und ich war so verblüfft, dass ich vermutlich den Eindruck erweckte, meine vegane Gesichtsmuskulatur hätte von dem ganzen Brei essen Schaden genommen, denn ich starrte sie sprachlos und mit offenem Mund an.
Zur Richtigstellung: Veganerinnen essen nicht nur Kraut oder Brei, sondern sie lehnen bloß alles ab, was vom Tier kommt – weil Tiere dafür leiden und sterben mussten. Wir essen also kein Fleisch, Fisch, Käse, Milch oder Eier. Übrig bleibt aber die ganze Palette der globalen Pflanzenwelt, nämlich Getreide, Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse, Gewürze, auch Pilze; und ganz viele Produkte, die man herkömmlich aus Kuhmilch gemacht hat, aber auch aus Sojamilch herstellen kann, wie Frischkäse und Joghurt. Nur eben nichts vom Tier.
Backhefe ist übrigens kein Tier. Auch das ist mir einmal passiert: dass ein Freund, der sehr gut kocht und backt, aber leider das mit dem Veganismus überhaupt nicht versteht, fragte, ob ich denn sein selbstgebackenes Brot essen dürfe, da sei nämlich Hefe drin.
Ich weiß nicht, ob ihr mal einen Hefewürfel gesehen habt, wie man ihn zum Backen von Rosinenbrötchen oder Brot verwendet: Das sind ungefähr 3 cm große Würfel aus einer hellgrauen Masse, die an Knete erinnert; wenn man draufdrückt, zerbröselt sie. Ein Hefewürfel hat weder Augen, Ohren, Beine, Flügel, Flossen, Muskeln noch Nerven, kurzum, es ist eigentlich für jeden unmittelbar ersichtlich, dass Hefe kein Tier ist. (Tatsächlich besteht sie aus einzelligen Pilzorganismen.) Ein Hefewürfel leidet nicht, wenn er mit dem Teig vermischt wird, und er hat keine Angst davor, sein Leben beim Backen zu verlieren. Ich werde nie verstehen, wie dieser Freund auf die Idee kam, wir Veganerinnen würden keine Hefe essen – jedenfalls war klar, dass er sich ungeheuer schlau vorkam, als er mich das fragte. (Mir kam er in dem Moment eher weniger schlau vor.)
Andere Leute kennen berühmte sportliche Veganer aus dem Fernsehen und meinen darum, alle Veganer hätten Wahnsinnsmuskeln und einen Sixpack, würden sich Smoothies aus exotischem Super-Food zusammenmixen und praktisch ununterbrochen Marathon laufen. Dann wieder glauben manche, um vegan zu leben, müsste man reich sein und viel Geld fürs Essen ausgeben; wieder andere meinen, alle Veganerinnen hätten studiert und wären äußerst intellektuelle Leute.
Doch all das stimmt nicht. Veganerinnen und Veganer gibt es in allen Bevölkerungsgruppen, mit allen Berufen, allen Körperformen und in jedem Alter. Sicherlich sind darunter mehr junge Leute als alte oder mittelalte – allerdings kommen zu unseren monatlichen veganen Treffen auch drei Menschen über siebzig. Es leben wohl etwas mehr Frauen vegan als Männer – heißt es. Aber wenn ich mich auf den Tierrechtsdemos oder bei veganen Straßenfesten umschaue, will sich das nicht so recht bestätigen.
Auch das mit den Bevölkerungsgruppen – dass nur studierte Menschen vegan leben – ist nicht richtig. Als Schriftstellerin und Journalistin habe ich viel mit Menschen aus dem Kulturbereich, aus Zeitungen und Verlagen zu tun. Dort arbeiten sehr viele studierte Menschen, aber es enttäuscht mich oft zu sehen, wie wenige von ihnen über Tiere nachdenken und darüber, was wir ihnen mit der Massentierhaltung antun. Die meisten dieser Leute essen Fleisch, Eier und Käse, als ob es kein Morgen gäbe.
Bei unseren veganen Treffen hingegen kommen Leute mit allen möglichen Berufen zusammen, und wenn eine Berufsgruppe hervorsticht, dann am ehesten wohl die Krankenpflege. Zumindest kenne ich überproportional viele vegane Krankenschwestern, und wenn man sich überlegt, worauf sie spezialisiert sind, ist es gar nicht so abwegig: In ihrem Beruf geht es nicht um sie selbst, sondern um andere. Krankenpflegerinnen und -pfleger haben gelernt, sich um das Wohlergehen anderer Gedanken zu machen, und sie machen es auch gerne, sonst hätten sie diesen Beruf nicht gewählt. Dass jemand, der Menschen helfen möchte, wieder gesund zu werden, auch kein Interesse daran hat, Tieren Schaden zuzufügen, ist zwar nicht zwangsläufig so, aber doch eine plausible Konsequenz.
Denn eigentlich müsste es Folgen für unser aller Handeln haben, wenn wir über den Zusammenhang zwischen unserer Lebensweise und dem Leid der Tiere nachdenken. Die meisten Leute denken natürlich nicht darüber nach, oder wenn doch, dann schieben sie diese Gedanken ganz schnell wieder beiseite. Zum Beispiel sehen sie im Fernsehen einen Film über einen Stall voller Legehennen, und diese Hühner sehen ganz erbärmlich aus, sie haben kaum Platz, reißen einander aus Frust die Federn aus und werden offensichtlich wie kleine Maschinen behandelt, die jeden Tag ein Ei auf dem Fließband abzulegen haben.
Der Anblick der armseligen Tiere rührt viele Menschen, aber irgendwie ist es nicht schön, abends über unbequeme Dinge nachzudenken, lieber schaut man einen Krimi oder eine Komödie, und überhaupt, was würde daraus für das eigene Frühstücksei folgen? Und gab es da nicht auch ein Problem mit Kälbern in der Kuhmilchproduktion? Wie kommen die Schweine eigentlich in die Wurst? Die Ahnung, dass sie selbst die Initiative ergreifen müssten, um etwas zu ändern, behagt den meisten Menschen nicht.
Menschen ändern ungern ihre Gewohnheiten, und sie stellen ihren Alltag ungern in Frage. Wenn man irgendetwas in seinem bisherigen Leben immer gleich gemacht hat, will man nicht darüber nachdenken, ob man es in Zukunft anders machen sollte. Und, so sonderbar es auch klingt: Die meisten Menschen reagieren auf den Gedanken, dass sie bisher vielleicht etwas falsch oder jedenfalls nicht optimal gemacht haben, nicht etwa damit, das zu ändern. Meistens verdrängen wir lieber die neue Einsicht und halten an unserem alten Handeln fest – unter anderem deswegen, weil es weh tut, sich Fehler einzugestehen. Besonders wenn einem die anderen, die unter diesen Fehler leiden müssen, leidtun.
Vielleicht habt ihr schon mal beobachtet, an euch selber oder euren Eltern, wie Menschen reagieren, wenn sie beim Shoppen in der Fußgängerzone ein Flugblatt angeboten bekommen, auf dem zum Beispiel das Foto eines Affen ist, der für einen Tierversuch benutzt wird. Es sieht schlimm aus, wie die wehrlosen Tiere da sitzen. Ihnen wurde ein Bolzen am Schädel montiert, und dieser Bolzen wird dann am Versuchsstuhl festgeschraubt (freiwillig würden die Affen dabei ja nicht stillhalten).
Die meisten Leute schauen betroffen, wenden sich dann aber einfach ab. Es macht ihnen ein schlechtes Gewissen oder sie bekommen Schuldgefühle, wenn sie erkennen, dass so viele Tiere für uns leiden, und dass wir so wenig unternehmen, um das zu ändern. Und Schuldgefühle gehören zu den unangenehmsten Gefühlen, die man haben kann. Die leichteste und schnellste Methode, sie wieder loszuwerden, ist natürlich, sie zu verdrängen – also mit aller Kraft zu »vergessen«, dass da überhaupt ein Problem war. Man macht irgendeinen blöden Witz über Tiere und Fleisch, lacht, und schon ist alles wieder gut. Beinahe.
Die andere Alternative ist, sich genauer zu informieren und vielleicht manchmal auch traurig zu werden bei dem, was man erfährt. Dazu braucht man etwas Mut und Stärke, und dann kann man darüber nachdenken, ob sich etwas ändern lässt.
Da ihr aber nun schon mal dieses Buch in die Hand genommen habt, gehe ich davon aus, dass ihr genau das tun wollt: Euch informieren und nachdenken, statt euch gleich abzuwenden. Vielleicht wollt ihr etwas tun, um das Leid der Tiere zu mindern, oder vermutlich tut ihr sogar schon einiges dafür. Bevor ich mit diesem Buch angefangen habe, habe ich einige Kinder und Jugendliche interviewt; viele von ihnen haben sehr bedenkenswerte und berührende Sachen gesagt. Und einen, Arved – er ist erst neun! –, der mit seinen Eltern schon länger vegan lebt, habe ich gefragt, ob das nicht manchmal ein bisschen traurig sei, so viel darüber zu wissen, wie schlecht es den Tieren geht, die Milch und Eier geben und irgendwann als Fleisch auf dem Teller landen. Ob es nicht einfacher wäre, all das nicht zu wissen? Arved schüttelte den Kopf und sagte ganz bestimmt: »Ich will die Wahrheit wissen.«
Die positive Seite ist nämlich: Auch wenn man sich mit einem Krimi leichter ablenken kann und bei einer Komödie häufiger lacht, als wenn man sich mit dem Schicksal der Tiere beschäftigt, kann es sehr zufrieden machen, die Wahrheit herauszufinden – und etwas zur Verbesserung der Umstände zu unternehmen. Man lernt Menschen kennen, die die Dinge ähnlich sehen. Mit denen man über politische Fragen diskutieren kann. Die auch etwas unternehmen wollen. Mit denen man Infoveranstaltungen an der Schule, Kuchenbackaktionen in der Innenstadt und Demonstrationen vorbereiten und durchführen kann.
Das Schlimmste wäre zu meinen, dass man hilflos ist: Ich bin nur eine einzelne Person, ich kann eh nichts tun … Über dieses Gefühl werde ich noch einiges schreiben, aber vorneweg: Es stimmt nicht. Jeder von uns kann etwas tun; und es gemeinsam mit anderen zu tun, kann sogar sehr viel Spaß machen. Anne Frank, das jüdische Mädchen aus Frankfurt, das sich mit ihrer Familie in einem geheimen Raum vor den Nazis versteckte, und irgendwann doch verraten und gefunden wurde und im Konzentrationslager Bergen-Belsen umgekommen ist, hat in ihr Tagebuch geschrieben: »Wie schön, dass keiner von uns auch nur einen Moment warten muss, um die Welt ein klein wenig zu verbessern.«
Ich nehme an, sie meinte solche Dinge wie Freundlichkeit; ihr Bewegungsspielraum war schließlich sehr begrenzt. Andererseits: Ihr Tagebuch, das weltweit millionenfach verkauft und gelesen wurde und wird, hat so viel dazu beigetragen, anderen Menschen den Horror des Nationalsozialismus klarzumachen und davor zu warnen, ein solches Gesellschaftssystem je wieder entstehen zu lassen. Insofern hat Anne Frank, selbst wenn sie in ihrem Kämmerchen saß und »nur« Tagebuch geschrieben hat, mit jedem Eintrag die Welt ein wenig verbessert. Und der Bewegungsspielraum von euch, die ihr dieses Buch lest, ist ja viel weniger eingeschränkt!
Vermutlich habt ihr schon gemerkt, dass ich mal die weibliche Form »Veganerinnen« verwende und mal die männliche: »Veganer«. Auch bei anderen Wörtern handhabe ich das so, aber gemeint sind jedes Mal alle Geschlechter. Im Deutschen (anders als im Englischen) klingen halt leider die meisten Endungen nach einem bestimmten Geschlecht, und um den Eindruck zu vermeiden, man würde nur Männer oder Frauen meinen, kann man Sternchen einsetzen (Veganer*innen) oder Unterstriche (Veganer_innen). Oder man lässt die Formen ohne besonderes Schema abwechseln, so mache ich es.
Ich habe das Kapitel mit allerlei Vorurteilen und verqueren Ideen angefangen, was Veganerinnen wohl sein könnten. Was ich dabei noch nicht erwähnt habe: Wie viele »Veggies« es überhaupt derzeit in Deutschland gibt. Ganz genau weiß man das nicht, man muss sich schließlich nirgendwo eintragen oder anmelden. Aber es gibt Schätzungen und Hochrechnungen. Der Vebu – der deutsche Vegetarierbund, der allerdings eher für die vegane statt die vegetarische Lebensweise plädiert – spricht von rund 7,8 Millionen Vegetariern und 900000 Veganern und führt dazu diverse Umfragen an. Demnach lebten rund zehn Prozent der Bevölkerung vegetarisch und 1,1 Prozent vegan. Wenn man bedenkt, dass vor zehn, zwanzig Jahren Vegetarier, und noch viel mehr Veganer(!), als verrückte Exoten galten, wird einem klar, welch große Fortschritte die vegane Bewegung in letzter Zeit gemacht hat. Übrigens nicht nur in Deutschland oder in anderen Ländern Europas, sondern weltweit! Neulich erst habe ich von einem veganen Studentinnenverein in Äthiopien gehört. Es gibt Veganer in Südostasien, in China und Indien. Und besonders viele in Brasilien und Israel – über Israel war kürzlich zu lesen, es seien dort bereits fünf Prozent!
Auch davon, wie sich die Massentierhaltung auf andere Teile der Welt auswirkt, wird in diesem Buch später die Rede sein. Doch zum Abschluss dieses Kapitels gibt es erst noch mal eine erweiterte Definition von dem, was Vegan-Sein bedeutet, nämlich übers bloße Essen oder Nicht-Essen von diesem oder jenem hinaus: Veganerinnen und Veganer sind Menschen ganz verschiedener Alters- und Bevölkerungsgruppen, die davon überzeugt sind, dass sich an der Umgangsweise von uns Menschen mit den Tieren etwas ändern muss. Zuallererst bedeutet dies, dass wir Tiere nicht mehr einsperren oder töten dürfen, um Nahrung aus ihnen zu gewinnen, wo es doch so viel anderes zu essen gibt. Weil diese »Nutztiere« eine so große Zahl ausmachen, engagieren sich Veganer vor allem gegen den Konsum von Fleisch, Milch, Eiern, Käse und dergleichen.
Aber sie finden es auch falsch, Tiere zu töten, um ihnen den Pelz abzuziehen, oder sie für Tierversuche zu quälen. Ganz grundsätzlich denken Veganer einfach: In unserer Gesellschaft sollte Gerechtigkeit herrschen – auch gegenüber Tieren. Man darf andere nicht töten – keine Menschen und auch keine Tiere. Man darf niemand Unschuldigen einsperren und ihm sein ganzes Leben verpfuschen und ihn behandeln wie eine Sklavin oder einen Sklaven. Sklaverei unter Menschen war früher üblich und ist heute verboten, und etwas ganz Ähnliches wünschen sich Veganerinnen und Veganer auch für Tiere.
Am Ende des vorigen Kapitels habe ich von »Gerechtigkeit« für Tiere gesprochen und darüber, dass Tiere nicht wie »Sklaven« leben sollten – aber solche ethischen oder politischen Begriffe im Zusammenhang mit Tieren zu verwenden, ist keineswegs selbstverständlich. In unserer Alltagssprache haben wir nämlich meist ganz unterschiedliche Wörter für den Umgang mit Tieren und mit Menschen. Ich habe auch geschrieben, dass wir Tiere nicht »einsperren« dürfen – aber sprechen wir normalerweise überhaupt von »einsperren«, wenn ein Bauer zum Beispiel Schweine in seinem Stall mästet, um sie zu schlachten?
Ich weiß nicht, ob ihr mal einem gesunden, ausgewachsenen Schwein begegnet seid – einem freien Schwein, meine ich. Eines, das irgendwo in Frieden alt werden darf oder praktisch wie ein Haustier lebt. Ich kenne einige solcher Schweine, und sie sind sehr beeindruckend. Erstens sind sie ziemlich groß, zweitens haben sie ungeheuer menschliche Augen, die einen sehr wach angucken. Wenn dich ein Schwein ansieht, kannst du meinen, ein verkleideter Mensch schaut dich an.
Außerdem mögen sie ziemlich viele Dinge, die Menschen auch mögen, und verhalten sich oft so, wie wir es tun. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt haben, sind sie nur schwer davon abzubringen, und sie versuchen einen auch gelegentlich auszutricksen. Prinz Lui zum Beispiel, ein ehemaliges Zirkusschwein, das bei meiner Freundin Karin auf dem Hof lebt, liebt Äpfel. Dummerweise (für Prinz Lui) hat Karin einen Zaun mit Törchen um den Apfelgarten gebaut. Dummerweise (für Karin) vergessen allerdings manche Menschen, das Tor richtig zuzumachen – und das hat Prinz Lui längst kapiert. Er weiß, dass es einmal »Klick« macht, wenn das Tor geöffnet wird; und wenn das zweite Klick fehlt, ist das für ihn ein Signal.
Weil er allerdings auch weiß, dass Karin seine Tätigkeiten im Obstgarten nicht schätzt, wartet er immer erst, bis Karin außer Sicht ist. Dann macht er sich auf den Weg. Karin konnte ihn erst überführen, nachdem sie das Törchen einmal absichtlich offen gelassen und sich versteckt hat. Prinz Lui wartete etwas, dann stapfte er los – und wurde ertappt.
Es ist ein bisschen blöd, unterschiedliche Tiere miteinander zu vergleichen und gegeneinander auszuspielen – aber es heißt, Schweine seien sogar intelligenter als Hunde. Von einigen Schweinen wird berichtet, dass sie musikalisch sind; Experimente zeigen, dass sie Farben und Formen unterscheiden und in Puzzletests zuordnen können. Sie sind sehr verspielt und haben ein komplexes Sozialleben mit persönlichen Sympathien und Antipathien. Die heutigen, eher rosafarbenen Schweine stammen von den dunkleren, behaarteren Wildschweinen ab, genetisch und vom Verhalten her sind beide fast identisch. Bei Wildschweinen konnte man beobachten, dass Sauen, die wegen einer Verletzung nicht mehr mit der Gruppe mithalten konnten, oft von einer anderen, befreundeten Sau begleitet wurden. Die Freundin blieb also lieber bei der Kranken und gab dafür die Sicherheit der Gruppe auf.
Schweine, die wie Haustiere mit Menschen zusammenleben, haben auch in mindestens zwei Fällen »ihren« Menschen das Leben gerettet. Einmal zog ein Schwein seinen Menschen, der beim Spazierengehen in einem Sumpf zu versinken drohte, an einer Leine heraus. Ein anderes Schwein, das im Haus lebte und sah, dass seine menschliche Mitbewohnerin schwächelte (weil sie einen Herzinfarkt hatte), zwängte sich mit aller Kraft durch die (für den Hund eingebaute, viel zu kleine) Türklappe trotz etlicher Schrammen nach draußen, legte sich auf die Straße und lotste die anhaltenden Autofahrer nach Hause zu der Hilfsbedürftigen, so dass sie einen Krankenwagen riefen.
Wenn sie nicht gerade Äpfel klauen oder Menschenleben retten, ziehen Schweine kilometerweit durch Wald und Wiesen, suchen mit ihrem empfindlichen und gleichzeitig robusten Rüssel im Boden nach Wurzeln und Würmern, nehmen im Sommer ein Bad im Bach oder suhlen sich zur Reinigung im Matsch und rubbeln später die Kruste ab, wie ein Peeling.
Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, was es für solche intelligenten, aktiven Tiere bedeutet, wenn man sie in Ställe einschließt. Viel Platz haben sie darin nicht. Wenn sie geschlachtet werden, sind Schweine noch längst nicht erwachsen, sondern nur sechs bis sieben Monate alt. Dennoch wiegen sie dann bereits 110 Kilo und sind im Durchschnitt 130 cm lang und 40 cm breit. Laut Gesetz stehen jedem Schwein genau 0,75 Quadratmeter zu, das entspricht etwa der Größe einer Duschwanne.
Was sollen sie in dieser Duschwanne tun? Es ist ja klar, dass sie ihr normales Verhalten dort nicht ausleben können. Auf Freundschaften und Familien der Tiere wird in der Landwirtschaft sowieso keine Rücksicht genommen, man steckt einfach irgendwelche unbekannten Schweine zueinander, dann werden sie verkauft, zum nächsten Stall transportiert und wieder mit neuen unbekannten Tieren zusammengebracht. Das führt zu Stress und Kämpfen.
Und so ein enger Stall bieten den Schweinen keinerlei Möglichkeiten, etwas zu tun, etwas anzugucken, etwas zu erforschen. Durch Spalten im Betonboden fließen ihr Kot und ihr Urin in eine Grube darunter. Auf dieser Betontoilette gibt es für ihre neugierigen Rüssel nichts zu wühlen. Von unten steigen Kotgeruch, Ammoniak und Keime auf, darum bekommen sie oft Lungenentzündungen. Ein paarmal am Tag wird ihnen Futter in den Trog geschüttet, das ist rasch aufgegessen – den Rest der Zeit langweilen sie sich. Sie werden unruhig und fangen an, den anderen Schweinen, mit denen sie sich den engen Platz teilen, Schwänze und Ohren anzuknabbern.
Kein Wunder! Diese intelligenten und neugierigen Tiere werden von uns gezwungen, in den Mastställen ein völlig verarmtes Leben zu führen. Dennoch sprechen wir nicht von einsperren, sondern von »halten«. Jemand »hält« Tiere – und das klingt vollkommen zivilisiert. Tatsächlich aber hindern wir die Tiere durch Zwang, mit Hilfe von Mauern und technischen Vorrichtungen daran, sich ihren Weg in die Freiheit und in ein eigenes Leben zu suchen. So gesehen halten wir Tiere nicht, wir halten sie gefangen! Bei Menschen würden wir es Freiheitsberaubung nennen.
Ebenso würden wir von Entführung oder Kidnapping sprechen, wenn Kinder den Eltern weggenommen würden. Genau das aber ist in der Landwirtschaft Tieren gegenüber Routine! Die Ferkel nimmt man den Müttern weg, wenn sie erst drei oder vier Wochen alt sind – dabei würden sie noch viel länger bei ihnen trinken und mit ihnen herumziehen, wenn sie denn könnten. Die Kälber nimmt man den Kühen meist direkt nach der Geburt weg. Die meisten Kälber, aber auch Hühnerküken lernen ihre Mütter nie kennen. Man steckt sie in die Mast, sorgt dafür, dass sie schnell »Fleisch« ansetzen und schickt sie zum Schlachthof, wenn sie noch längst nicht ausgewachsen sind, sondern eigentlich ihr Leben noch vor sich haben sollten. Was im Schlachthof mit ihnen passiert, ist ganz brachiale Gewalt, sie werden gewaltsam und völlig unschuldig getötet.
Aber nennen wir es Tötung? Nein, es heißt natürlich Schlachtung, und auch mit diesem Wort haben wir uns ein nützliches Etikett geschaffen, das ein bisschen verschleiert, was da eigentlich vor sich geht. Schlachtung klingt irgendwie technisch und sauber, wie etwas, das nicht weiter hinterfragt werden muss. Tatsächlich aber hat das mit Blut und Schreien und Angst und Schmerzen zu tun – eigentlich werden die Tiere schlicht umgebracht. Ist Schlachtung vielleicht einfach ein verharmlosendes Wort für »Mord« oder »Hinrichtung«?
Noch in meiner Kindheit, also vor etwa vierzig Jahren, gab es mitten in unserem kleinen Ort einen Metzger, der an einem bestimmten Wochentag dort Schweine geschlachtet hat. Wie man sich vorstellen kann, ist das kein schöner Vorgang – die Schweine haben Angst, sie versuchen zu entkommen, und wenn man sie anpackt oder mit den Schlachtermessern auf sie zugeht, schreien sie fürchterlich. Meine Mutter und ich vermieden es immer, an diesem Tag im Ortszentrum einkaufen zu gehen.
Heute ist es üblich geworden, Tiere außerhalb von Städten zu schlachten. Mit LKWs werden sie in die Schlachthöfe gefahren. Was drinnen geschieht, sieht und hört und riecht man von draußen nicht. Später kommen andere LKWs mit Fleisch wieder raus. Diese Schlachthöfe sind irgendwo auf dem Land am Rande kleiner Ortschaften platziert, nahezu unsichtbar für die Verbraucher, die das Fleisch nachher im Supermarkt kaufen.
Damit will ich natürlich nicht sagen, dass es besser ist, wenn man Tiere sicht- und hörbar in einem Wohngebiet schlachtet! Ich denke nur, dass wir seither wohl etwas sensibler geworden sind, wir würden Schlachtungen in unserer Mitte nicht mehr so einfach dulden. Irgendwie dämmert uns wohl auch allmählich, dass hier etwas Unrechtes geschieht … Heute kann man jedenfalls nicht mehr einmal die Woche schreiende Schweine mitten im Ort schlachten, die meisten Anwohnerinnen – auch viele, die Fleisch essen – würden sich beschweren, den Metzger beschimpfen oder gar wegziehen. Was also machen wir?
Die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis, übrigens auch Veganerin, ist berühmt geworden durch ihren Einsatz für die gleichen Menschenrechte für schwarze und weiße Bürgerinnen und Bürger. Sie hat einmal gesagt: »Ich will nicht mehr all das akzeptieren, was ich nicht ändern kann. Ich will das ändern, was ich nicht akzeptieren kann!« Leider machen wir es im Alltag meist umgekehrt: Wir nehmen vieles stillschweigend hin, was eigentlich brutal und schrecklich ist. Und so hat unsere Gesellschaft, die das Schlachten von Schweinen nicht mehr mit ansehen möchte, nicht etwa das Schlachten von Schweinen eingestellt, sondern einfach den Ort des Geschehens verlegt. Dorthin, wo man es nicht mitbekommt.
Schon die Ställe, in denen tausende Schweine oder Hühner leben, auf engem Raum und meist ohne je den Himmel zu sehen oder die Sonnenstrahlen auf der Haut zu spüren, liegen fernab von Städten und sogar von den Dörfern. Wenn heute ein Landwirt einen Stall baut, baut er ihn weit draußen, jenseits vom Dorfrand; denn die Menschen wollen die armen Tiere dort nicht sehen, hören oder riechen. Die verrückte Konsequenz ist, dass wir die Tiere meistens gar nicht mehr als Tiere wahrnehmen, bevor wir sie sozusagen auf dem Teller haben.
Ich werde in den späteren Kapiteln ausführlicher davon berichten, was mit den Tieren in unseren Ställen passiert. Jetzt möchte ich nur darauf hinaus, dass wir ständig verharmlosen, was wir den Tieren tatsächlich antun.
Der erste Trick, mit dem wir Tiere von uns fernhalten, ist also, dass wir deutliche, zutreffende Begriffe vermeiden; wir sprechen nicht von Gewalt, Einsperren, Kidnapping, Umbringen, sondern verwenden »neutrale« Begriffe wie Tierhaltung und Schlachtung. Und ein weiterer Trick ist die räumliche Entfernung und sogar Unsichtbarkeit: Die Tiere, die wir essen, leben außerhalb unseres Blickfelds und werden außerhalb unseres Blickfelds getötet; wir sehen sie erst im Supermarkt, da heißen sie Salami oder Schnitzel.
Und damit sind wir wieder bei der Sprache. Tote Tiere, die wir zu essen gedenken, nennen wir nicht mehr Tiere, sondern Fleisch. Es ändert sich etwas in der Grammatik: Man isst nicht das Schwein, ein Schwein oder Schweine, sondern Schwein. Das ist wie ein anderes Wort, es braucht keinen Artikel und hat keinen Plural. Es handelt sich nicht mehr um ein individuelles Tier, oder mehrere, sondern praktisch um Material – so wie man auch sagt: Das Geländer ist aus Eisen. Wir basteln mit Ton. Heute Abend grillen wir Fisch, in der Wurst ist Schwein. Oder man sagt eben gleich Speck oder Schnitzel.
Es gibt auf YouTube dieses Video, wo ein etwa fünfjähriges Mädchen aus Irland vor einem Teller mit Putenfleisch sitzt und weint. Wiederholt sagt es, es wolle nicht, dass Tiere zerhackt würden. Sie fragt: »Warum zerhacken die Menschen Tiere?« Schließlich sagt sie sogar: »Ich will nicht, dass wir Leute zerhacken.« Ihr Vater korrigiert: »Wir zerhacken keine Leute, sondern Tiere.« Und sie sagt: »Ich will nicht, dass wir Tier-Leute zerhacken.« Und ihr Vater: »Du meinst Tiere?« Das kleine Mädchen empfindet Tiere als »Leute«, aber in unserer Sprache ist das nicht korrekt.
Auch für die einzelnen Stadien im Leben eines Tiers haben wir unterschiedliche Begriffe geprägt, sogar wenn es um genau dieselben Vorgänge geht wie bei uns. Tiere fressen, wir essen; bei ihnen ist es Futter oder Nahrung, bei uns sind es Essen oder Speisen. Eine (Menschen)frau gebärt und stillt, eine Tiermutter hingegen wirft und säugt. Irgendwie klingt »gebären« und »stillen« vornehmer als »werfen« und »säugen«, dabei ist doch völlig klar, dass es dieselben biologischen Funktionen sind.
Als ich auf meinen Hof gezogen war und eine Schafherde geerbt hatte und einige der Schafmütter geboren/geworfen hatten, hat mich mein Nachbar, ein Landwirt, manchmal freundlich gerügt. Ich sagte nämlich zum Beispiel: »Da drüben steht Ernestine mit ihren Kindern«, aber er sagte: »Das sind Lämmer und keine Kinder!« Natürlich wusste ich, dass es Lämmer waren, aber warum ich sie nicht auch Kinder nennen sollte, hat mir nie so ganz eingeleuchtet: Schließlich waren Christopher und Kumpelchen – so nannte ich die Zwillinge – ja Ernestines Kinder. Und sie war ihre Mutter. Die beiden folgten ihr auf die Weide, und zwar, wie es Lämmer tun, schräg hinterm Hinterbein. Eins links, eins rechts. Wenn Ernestine irgendwo geruht hatte und aufstand, vollführte sie mit ihrem Kopf immer eine Acht, um auf beiden Seiten nachzuschauen, ob Christopher und Kumpelchen ihr auch folgten.
Lämmer sind ganz entzückende Wesen, und die Leute aus dem Dorf brachten ihre (Menschen)kinder vorbei, um sie zu streicheln und sie zu betrachten. Viele aßen und essen dennoch »Lamm« … Umso wichtiger ist es also, dass wir zu den Lämmern nicht Kinder sagen! Sonst würden wir uns klarmachen: Wir essen Schafskinder. Genau solche Schafskinder, die wir eigentlich so niedlich und lustig finden, zum Beispiel wenn sie auf der Weide spielen und einander jagen, mit allen Vieren gleichzeitig in die Luft springen (wie es ausgelassene Lämmer gerne tun) oder total konzentriert auf einem Grashalm herumkauen (aber man sieht: Der Grashalm kommt auf der anderen Seite ihres Mäulchens wieder völlig unbeschadet heraus, sie können in ihren ersten Wochen nämlich noch gar nicht kauen, aber sie üben es halt schon mal).
Es kommt übrigens immer wieder vor, dass Menschen nicht verstehen können, warum die Schafe bei mir einfach so für sich leben und (hoffentlich) alt werden, ähnlich wie Katzen oder Hunde, ohne dass ich sie »nutze« oder »etwas mit ihnen tue«. Ich wurde schon zigmal gefragt: »Und was tust du mit den Schafen?« – »Nichts!« Viele Menschen zögern auch, die Schafe zu streicheln, obwohl einige der Tiere sehr verschmust sind; aber dann sagen die Leute, das seien doch »Nutztiere«.
Sie benutzen das Wort so, als wäre es vom Himmel gefallen oder als hätte es die Natur so eingerichtet, dass es »Nutztiere« auf der einen Seite gibt und auf der anderen Seite Haustiere, Wildtiere und freie Tiere. Dabei sind doch alle Tiere Individuen, ganz egal, was wir Menschen mit ihnen vorhaben; wir kleben ihnen nur sozusagen das Etikett »Nutztier« auf, damit alles Spätere weniger brutal erscheint. Wenn wir zum Beispiel einen Hund oder eine Katze in einer Duschwanne einsperren und über dem eigenen Kot leben ließen, würden wir als Tierquälerinnen beschimpft und angezeigt.
Wenn Landwirte dasselbe mit Schweinen tun, ist es scheinbar völlig okay.
Aber hat das Schwein etwas davon, dass man es vorab als »Nutztier« deklariert hat? Wird dadurch irgendetwas für das Schwein besser?
Darum kann und mag ich das Wort »Nutztier« nicht ohne Anführungsstriche verwenden: »Nutztier« ist wirklich ein total blödes Wort für ein Tier, das gerne frei und unbehelligt leben würde, mit dem wir aber Schändliches vorhaben.
Mit all solchen Begriffen stellen wir eine Distanz her zwischen uns und den Tieren, die wir benutzen oder essen. Wir versuchen, uns die Tiere ganz buchstäblich vom Leib zu halten, als ob sie uns nichts angingen, als ob wir nicht genau wüssten, dass ihr Schmerz und ihre Freude und ihre Lebenslust der unseren ganz ähnlich ist. Indem wir sogar die grundlegendsten biologischen Funktionen bei ihnen anders benennen als bei uns (gebären/werfen, essen/fressen), hilft uns das, die Tatsache zu vergessen, dass wir mit ihnen verwandt sind.
Doch genau das sind wir. Genau das besagt Charles Darwins Evolutionstheorie, die wir im nächsten Kapitel genauer anschauen werden. Seit Charles Darwin ist klar, dass alles Leben auf der Erde aus demselben Ursprung entstanden ist und dass auch wir Menschen Tiere sind, nämlich Säugetiere. Biologen wissen das, wir anderen wissen es auch – dennoch reden wir im Alltag nicht so. Vielleicht kränkt es uns ein wenig, wenn der Mensch auf dieser Erde nicht etwas so Einzigartiges und Besonderes, sondern mit allen verwandt ist. Weil sie diese letztlich arrogante Haltung ablehnen, sprechen viele Veganerinnen und Tierrechtlerinnen nicht von »Menschen und Tieren« sondern von »Menschen und anderen Tieren«. Denn der grundlegendste Trick, mit dem wir uns die Tiere vom Leib halten, besteht darin, so zu tun, als ob wir selber keine Tiere wären.
Habe ich eben etwa geschrieben, der Mensch sei nichts Einzigartiges und Besonderes? Aber natürlich sind wir etwas Besonderes! In Büchern und Filmen erzählen wir einander Geschichten über längst Vergangenes oder Erfundenes, in unseren Krankenhäusern wird am offenen Herzen operiert, und über das Internet kommunizieren wir mit Freunden und Freundinnen auf der anderen Seite des Globus.
Andererseits: Andere Tiere sind auch »besonders«. Viele ihrer Talente kennen oder sehen wir bloß nicht. Elefanten zum Beispiel sind beeindruckende und schöne Tiere, Elefantenbilder schmücken viele Alltagsgegenstände, von der Windel über den Kerzenleuchter bis hin zu Tapeten. Aber die wenigsten Menschen wissen, was zum Beispiel alles in einem Elefantenfuß steckt. Elefanten können im Infraschallbereich kommunizieren, also mit extrem niedrigen, für den Menschen unhörbaren Tönen; und sie empfangen die Schallwellen der anderen nicht nur über die Ohren, sondern auch über ihre Fußsohlen – über mehrere Kilometer hinweg! (Ist es nicht rätselhaft, wie ein so robust wirkendes Körperteil so sensibel sein kann?)
Auch Krokodile nutzen Infraschall, den sie durch Vibrationen im Wasser erzeugen und mit empfindlichen Sensoren auf ihren Körpern empfangen können. Wale können im Wasser über tausend Kilometer weit kommunizieren – und hören sogar, mit welchem anderen Wal sie »sprechen«! Seehunde wiederum, für die Orcawale eine Bedrohung darstellen, können die »Ausspracheunterschiede« von einheimischen oder ihnen unbekannten Orcafamilien erkennen.
Zugvögel orientieren sich an ihrem inneren Magnetkompass und am Sonnenstand; nachtziehende Vögel verwenden sogar eine Art Sternenkompass und orientieren sich an dem Polarstern, genau wie es viele Generationen menschlicher Seefahrer getan haben. Aale haben die vermutlich besten »Nasen« des Tierreichs – noch um ein Vielfaches sensibler als Hunde – und folgen damit der Spur von Meeresströmungen mehrere tausend Kilometer durch den Ozean.
Manche Fische besitzen elektrische Sensoren; afrikanische Goldmulle, die ähnlich wie Maulwürfe leben, können die Tritte von Termiten hören, die über den Sand laufen. Fledermäuse verschaffen sich Orientierung, indem sie Ultraschall abgeben, und sie können das von Gegenständen und Hindernissen zurückkommende Echo genauer auswerten als unsere besten Hightech-Geräte.
Über die Bulldog-Fledermaus habe ich gelesen, dass sie ihr Kind zwischen Millionen anderer Fledermauskinder wiederfinden kann, die alle zusammen in einer Höhle hängen, nachdem dieses Kind seinen eigenen Ruf geäußert hat, der nur 0,1 Sekunde lang dauert! Den Forschern hat es ziemliche Mühe gemacht, das herauszufinden, denn Menschen können keine Geräusche identifizieren, die so kurz sind – und dann noch in einem Gewirr von Millionen anderen Tönen!
Nach dem, was ich bis jetzt aufgezählt habe, scheint sich die Welt einer Fledermaus, eines Krokodils, eines Kranichs oder eines Aals ganz anders anzuhören, anzufühlen oder anders zu riechen als unsere. Dabei ist das Thema dieses Kapitels doch eigentlich nicht, was uns trennt, sondern was uns mit anderen Tieren verbindet. Aber die entscheidende Gemeinsamkeit ist, dass auch Tiere, genau wie wir Menschen, die Welt um sich herum bewusst wahrnehmen und dabei auch etwas empfinden. Die Informationen, die die Sinnesorgane der Tiere aufnehmen, werden nicht wie bei einem leblosen Gerät irgendwo abgespeichert, sondern bei Tieren (und Menschen) gibt es eine Art Zentrale, in der die Informationen zusammenlaufen und wo sie erfasst, empfunden und erlebt werden.
Auch ein Echolotgerät kann schließlich Schallwellen aussenden und auffangen, auch die Handycam kann visuelle Informationen aufnehmen und weitergeben; aber das sind bloße Daten, rein physikalische Vorgänge – die Geräte selbst nehmen keinerlei inneren Anteil an dem, was sie da nun aufnehmen, ob das ein vorbeifliegendes Insekt ist oder ein Feind, der sie zerstören will, es ist dem Gerät völlig gleich. Es registriert nur die empfangenen physikalischen Impulse. Der Unterschied zwischen einer Handycam und einem Auge liegt aber darin, dass zu jedem sehenden Auge eines Tiers jemand gehört, für den ein Geschehen oder die Umwelt soundso aussehen. Jedes Tier hat sozusagen eine Innenwelt, in der die Eindrücke der Außenwelt ankommen und wo diese Eindrücke meistens als negativ oder positiv empfunden werden.
Um es mal an einer anderen Wahrnehmung, dem Schmerz zu verdeutlichen: Jeder kennt den Unterschied, ob man einen Stuhl tritt oder einen Hund. Wenn man einen Stuhl tritt, gibt es eventuell ein Geräusch, der Stuhl fällt um, vielleicht geht er sogar kaputt. Wenn man aber einen Hund treten würde, würde er aktiv einen Laut von sich geben – aus Überraschung oder aus Schmerz; er würde zurückweichen, um sich in Sicherheit zu bringen; und selbst wenn er nicht »kaputtginge« oder ernsthaft verletzt wäre, würde es dem Hund doch weh tun. Der Hund unterscheidet sich also von dem Stuhl darin, dass er den Tritt wahrnimmt und dass der Tritt ihm weh tut.
Die Philosophie hat verschiedene Begriffe für diesen Unterschied zwischen einem Stuhl und einem Hund gefunden; einer davon lautet: empfindungsfähig. Der Hund ist empfindungsfähig, der Stuhl nicht. Dafür gibt es eine biologische Grundlage: Die Tatsache, dass Säugetiere, Vögel, Fische und diverse andere Tiere Nerven und ein Gehirn oder eine Art »Nervenzentrale« haben, unterscheidet uns von unbelebten Gegenständen und macht uns zu empfindungsfähigen Lebewesen.
Ich habe Gehirn und Nerven genannt, weil das die beiden körperlichen Voraussetzungen sind, die die Biologie für unser Empfinden-Können verantwortlich macht. Diese Grundvoraussetzungen haben wir, trotz etlicher Unterschiede im Aufbau des Gehirns, mit anderen Säugetieren, Vögeln und Fischen gemeinsam; biologisch gesehen gehören wir alle zu den Wirbeltieren. Wirbeltiere heißen wir alle ja überhaupt deswegen, weil wir ein Rückgrat haben, das nicht nur die zentrale Achse unseres Skeletts ist, sondern in dessen Wirbeln viele gebündelte Nerven verlaufen, die zu unserer »Nervenzentrale« führen. So gesehen sind wir nicht nur Wirbeltiere, sondern vor allem auch »Nerventiere« oder »Gehirntiere«. (Diese Begriffe gibt es biologisch allerdings nicht! Im Übrigen haben auch einige andere Tiere, die keine Wirbeltiere sind, Empfindungen; dazu später mehr.)
Dass Tiere empfindungsfähig sind, was sie wahrnehmen, worunter sie leiden und was sie wollen, macht ethisch und für den Umgang mit ihnen einen entscheidenden Unterschied. Wenn jemand einen Stuhl kaputttritt, kann man sagen: »Mach nicht so viel Krach« oder »Hey, der Stuhl war teuer!«. Ganz anders reagiert man, wenn jemand plötzlich in unserem Beisein einen Hund treten würde: »Bist du verrückt, das arme Tier?!« oder »Man darf doch nicht einfach so einen Hund treten!«. Es geht uns dabei um den Hund selber – weil er ein empfindungsfähiges Lebewesen ist. Und genauso sind natürlich auch Kühe und Schweine und Hühner empfindende Lebewesen, deshalb wird es in diesem Buch noch viel darum gehen, wie sie ihre »Welt«, also die Ställe und Schlachthöfe, erleben, und ob wir das mit ihnen tun dürfen, was wir tun.
Jedes Tier hat also eine eigene Wahrnehmung, ein Erleben, eine Sicht auf die Welt – denn Tiere sind keine Computer oder Geräte, keine Automaten oder Maschinen. Dass ich etwas so Offensichtliches überhaupt auf mehreren Seiten ausbreite, mag etwas überflüssig wirken, aber tatsächlich hat es eine einflussreiche Tradition im Europa der letzten Jahrhunderte gegeben, die allen Ernstes behauptet hat, dass Tiere so etwas sind wie Automaten. Es gab wirklich einen bedeutenden Philosophen und Naturwissenschaftler, der gemeint hat, wenn Tiere Schmerzensschreie von sich geben, könne man das getrost ignorieren: Der Schmerzlaut eines Hundes sei ungefähr so etwas wie das Quietschen des Rades an einer schlecht geölten Maschine.
Es war der französische Naturforscher, Mathematiker und Philosoph René Descartes, der das behauptet hat, und er behauptete es zu einer Zeit, als in Europa gerade ein entscheidender Wandel vor sich ging: Es war um 1600, und die Naturwissenschaften, wie wir sie kennen, entstanden. Man löste sich aus der Weltsicht des Mittelalters und versuchte, den Geheimnissen der Physik, Chemie und Biologie auf die Schliche zu kommen. Man wollte wissen, wie die Welt »zusammengesetzt« war und wie alles, vor allem auch das Leben, funktionierte.
Und darum haben die Naturforscher damals mit Begeisterung alles aufgeschnitten und auseinandergenommen, was die Erde hergab. Sie wollten die Natur in Aktion sehen, also das pulsierende Herz, die pumpende Lunge, die zuckenden Gliedmaßen. Dazu haben sie ihre armen Versuchstiere nicht mal in Narkose versetzt. Die Neugier von René Descartes zum Beispiel konzentrierte sich auf Hunde, die er bei lebendigem Leibe sezierte; er fühlte dann bei einzelnen Adern nach, wie das Blut durch sie strömte – während der Hund noch lebte und alles spürte! Und was uns heute offensichtlich ist – dass Hunde Schmerz empfinden –, konnte Descartes trotz allen Jaulens glatt ignorieren: Hunde waren für ihn nur quietschende Maschinen.
Im Grunde ist das ein bisschen sonderbar, weil man zu der Zeit noch gar nicht so komplizierte Maschinen herstellen konnte – man kannte damals noch keine Roboter oder batteriebetrieben Plüschtiere. Aber man stellte sich die natürliche Welt wie einen Supermechanismus, wie ein riesiges Uhrwerk vor, das Gott irgendwann mal gebaut und in Gang gesetzt hätte. Descartes glaubte, Gott hätte der »Maschine« Mensch zusätzlich noch eine Seele mitgegeben, daher wären wir empfindungsfähig (wie wir heute sagen würden). Die Tiere aber hätten keine Seele erhalten, würden daher also auch keinen Schmerz fühlen. Angeblich hat Descartes sogar den Hund seiner Frau an einer Wand