12,99 €
Wir essen unser Müsli mit Joghurt, kleiden uns im Winter mit Daunenjacken und fellgefütterten Schuhen und übersehen die tierischen Inhaltsstoffe in unserem Duschgel. Hinter dem Ei, der Scheibe Wurst und dem Fellfutter stecken allerdings Lebensgeschichten – Tiergeschichten. Sie erzählen von Tieren, die in engen Käfigen und unter tierunwürdigen Bedingungen gehalten werden, nur um uns Menschen satt zu machen und warm zu halten. Sie sind Lieferanten, statt einfach nur Tier zu sein. Muss das sein? Dieses Buch sagt: Nein! Tiere wollen leben! Denn wenn sie die Wahl hätten, würden sie sich garantiert für die Freiheit entscheiden. Und wir haben die Chance, dies zu ändern! Mach mit! Ein Buch für - mehr Tierwohl - mehr Sensibilität bei der Auswahl von Lebensmitteln und Co - mehr Ideen für ein veganes Leben - mehr positive Auswirkungen auf Klimawandel und Umweltschutz
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 310
Hilal Sezgin
Warum Kühe auch Rechte haben und Schnitzel schlecht fürs Klima sind
Wir essen unser Müsli mit Joghurt, kleiden uns im Winter mit Daunenjacken und fellgefütterten Schuhen und übersehen die tierischen Inhaltsstoffe in unserem Duschgel.
Hinter dem Ei, der Scheibe Wurst und dem Fellfutter stecken allerdings Lebensgeschichten – Tiergeschichten. Sie erzählen von Tieren, die in engen Käfigen und unter tierunwürdigen Bedingungen gehalten werden, nur um uns Menschen satt zu machen und warm zu halten. Sie sind Lieferanten, statt einfach nur Tier zu sein. Muss das sein?
Dieses Buch sagt: Nein! Tiere wollen leben! Denn wenn sie die Wahl hätten, würden sie sich garantiert für die Freiheit entscheiden.
Und wir haben die Chance, dies zu ändern!
Mach mit!
Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch
Hilal Sezgin, geboren 1970, studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete danach mehrere Jahre im Feuilleton der »Frankfurter Rundschau«. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Sie schreibt u. a. für »Die Zeit« und die »Süddeutsche Zeitung« sowie als Kolumnistin für die Meinungsseite der »taz«, das Feuilleton der »Frankfurter Rundschau« und der »Berliner Zeitung«. Ihr Buch ›Artgerecht ist nur die Freiheit‹ stand zehn Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste und erhielt begeisterte Rezensionen.
Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage finden Sie unter www.fischerverlage.de
Kapitel 1 Warum wir mehr (als) Tierschutz brauchen
Die Wahrheit wissen wollen
Kapitel 2 Mit welchen Tricks wir Menschen uns die Tiere vom Leib halten
Unsichtbar gemacht
Die Macht der Sprache
Was soll ein »Nutztier« sein?
Kapitel 3 Welche Geschichte uns mit den (anderen) Tieren verbindet
Durch das Auge eines Tiers gesehen
Descartes’ Hunde
Darwins Finken
Das Ende menschlicher Vorrangstellung?
Kapitel 4 Was Tiere alles können
Forschen heißt beobachten
Der beste Stein des Otters
Aus der Schimpansenküche
Kapitel 5 Was Tiere alles fühlen
Liebende Tiere
Trauernde Tiere
Wütende Elefanten
Gemeinsame Spielregeln
Die Evolution der Gefühle
Kapitel 6 Was (Tier-)Ethik bedeutet
Konflikte mit Füchsen
Was »Speziesismus« bedeutet
Kapitel 7 Wie wir Tiere behandeln und achten sollten
Über Leben und Tod
Tierwohl
Komponenten eines guten Tierlebens
Warum jedes Leben wertvoll ist
Demokratie mit Tieren
Kapitel 8 Warum Fleisch essen nicht natürlich ist
War es immer schon so?
Die Entstehung des Homo sapiens sapiens
Jagen und Sammeln
Unnatürliches Fleisch
Kapitel 9 Was Massentierhaltung bedeutet
Die Realität sichtbar machen
Das Entstehen der (Tier-)Fabriken
Drei Merkmale der Massentierhaltung
Schlachtung und »Betäubung«
Kann man es besser machen?
Kapitel 10 Warum Tiere vom Tierschutzgesetz nicht geschützt werden
Schmerzen zufügen verboten – nee, doch nicht
Die Sache mit dem Lobbyismus
Das Tun und Treiben der Jäger
Hoffnung für das Tierschutzgesetz?
Kapitel 11 Wie es hinter den Kulissen aussieht
Das Image aufpolieren
Die Bauernhofidylle
An der Realität vorbeisehen
Die Wahrheit?
Kapitel 12 Wo sonst noch überall Tiere drinstecken
Noch mehr Konsumboykott
Verstecktes vom Tier
Kapitel 13 Wie an Tieren experimentiert wird
Hunde bei Hamburg
Warum die meisten Tierversuche nicht übertragbar sind
Affen in der Hirnforschung
Die wesentlichen Argumente gegen Tierversuche
Was Hoffnung macht
Kapitel 14 Warum wir Tiere nicht in Käfige sperren dürfen
Was an Zoos falsch ist
Zoogeheimnisse
Mit Tieren leben wollen
Haustiere im Käfig
Den Mund aufmachen
Katzen und Hunde
Man kann Tiere nicht »besitzen«
Kapitel 15 Warum Veganismus für die Erde insgesamt besser ist
Der Weg des Soja
Die große Verschwendung
Unser aller Kosten
Die vergessenen Fische
Neue Zukunftsperspektiven
Kapitel 16 Was ihr für Tierrechte tun könnt
Wie man sich gesund und vegan ernährt
Milch, die nicht von Kühen kommt
Wenn die Familie nicht mitmacht
Weitere Vorschläge
Und noch mehr Aktionen
Kapitel 17 Wie es sich anfühlt, die Dinge zu ändern
Konsumentinnen und Bürgerinnen
Streitereien
Dammbau und Dammbruch
Ein Stein in der Waage
Freunde, die Mut machen
Noch mehr Infos
Verhaltensbiologie
Enthüllungen über Massentierhaltung
Geschichte des Vegetarismus
Tierversuche
Umwelt
Vegane Ernährung
Tierrechte im Unterricht
Abbildungs-Quellenverzeichnis
Vergleich Lebenserwartung »Nutztier« vs. natürliche Lebensdauer
Zahl der 2020 geschlachteten Tiere in Deutschland
Anstieg der Kuhmilchleistung pro Kuh
Krankheiten bei Ankunft im Schlachthof
Ein Legehuhn in Daten
Transport
Jagd in Deutschland 2020/21
Welchen Fußabdruck hat unser Essen?
Dank
Viele Menschen in Deutschland sind stolz darauf, dass Tiere bei uns vermeintlich gut behandelt und geschützt werden. Seit dem 19. Jahrhundert gibt es einzelne Gesetze gegen Tierquälerei, 1881 formierte sich der Deutsche Tierschutzbund. 1933 erließen die Nazis ein (nicht besonders tragfähiges) Tierschutzgesetz, das 1972 umfassend überarbeitet wurde und heute angeblich eins der »strengsten der Welt« ist. 2002 ist Tierschutz gar als Staatsziel im Grundgesetz festgeschrieben worden. – Hört sich das nicht fantastisch an? Ja, was sollte man sich eigentlich noch mehr für Tiere wünschen?
Trotzdem zeigen Filmaufnahmen immer wieder, wie erbärmlich Schweine, Puten, Kühe auch in deutschen Ställen leben. Und weil man bei uns eben nicht nur auf den Tierschutz, sondern auch auf Würste und Braten stolz ist, werden Millionen und Abermillionen Tiere geschlachtet – fast eine Milliarde Tiere jährlich! Allein in Deutschland. Dazu kommen die Fische, die in den Meeren oder aus Teichen gefangen werden, sowie all die Rehe, Wildschweine, Füchse, Schnepfen, Hasen, die die Jäger erschießen. Noch dazu werden viele Tiere aller möglichen Spezies in Laboren, Universitäten und Forschungszentren für grausame Tierversuche verwendet.
Das passt doch irgendwie nicht mit Tierschutz zusammen, oder? Denn eigentlich sollte man meinen: Wer jemanden schützen will, muss dafür sorgen, dass es ihm oder ihr gutgeht. Dass er oder sie am Leben bleibt, alt werden kann und von menschlicher Grausamkeit unbehelligt bleibt. Wenn man also ein Tier schützen wollte und es nachher tot auf dem Teller oder auf dem Boden eines Forschungslabors liegt, ist irgendwas ganz furchtbar schiefgegangen. Dieses Tier wurde ganz offensichtlich nicht hinreichend geschützt.
Und so bewahren unsere Tierschutzgesetze Tiere zwar vor einigen oder sogar etlichen Misshandlungen; es ist nicht jede Quälerei erlaubt, die man mit wehrlosen Tieren anstellen könnte. Doch sehr vieles wird durch das Tierschutzgesetz eben nicht verboten, sondern zugelassen oder im Detail geregelt; und weder das Leben noch die Freiheit noch die Sicherheit vor zugefügtem Leid werden den Tieren dadurch zugesichert.
Wir haben noch ein ganzes Buch vor uns, um uns genauer anzuschauen, wie Tiere in unserer Gesellschaft leben – und wie sie vermutlich eigentlich lieber leben wollen. Wir werden den ethischen Fragen nachgehen und auch den politischen Ursachen, warum unser Tierschutzgesetz so viele »Löcher« hat, dass man es als Nudelsieb verwenden könnte. Hier zu Beginn möchte ich aber einmal eine klare, positive Perspektive formulieren, nämlich: Tiere haben Rechte, ganz elementare Rechte, ähnlich wie wir Menschen: das Recht des Tiers auf Freiheit, auf das eigene Leben und auf Unversehrtheit, um mal die wichtigsten zu nennen. Auch auf andere wichtige »Dinge«, zum Beispiel die Umgebung, in der es lebt, und vor allem auch die eigene Familie.
Moralisch lässt sich das meiner Meinung nach nicht von der Hand weisen, und auch politisch sollten wir diese Rechte so rasch wie möglich fixieren. Dann wäre Schluss mit der Herrschaft der Menschen über die anderen Tiere – biologisch gesehen gehören ja auch Menschen zum Tierreich, und wir teilen ganz viele Elemente des Lebens mit ihnen. Wir dürfen ihr Leben nicht einfach so dem unseren unterordnen und ihre Lebenschancen nicht ruinieren. Das ist, kurz gesagt, die Vision der heutigen Tierrechtlerinnen und Veganer.
Mit dieser Schreibweise – mal männlich, mal weiblich, mal unbestimmt – meine ich übrigens jedes Mal alle Geschlechter. Ich lasse die Formen einfach beliebig abwechseln.
Häufiger als über Tierrechte wird in der Öffentlichkeit allerdings über Veganismus gesprochen. Das ist insofern nicht ganz falsch, als dass Menschen, die sich über die Rechte der Tiere Gedanken machen, meist versuchen, keine Tiere oder Produkte von Tieren mehr zu essen. Umgekehrt ist allerdings nicht jede, die vegan lebt, unbedingt eine Verfechterin von Tierrechten: Vielleicht will sie gesund leben oder findet Fleisch einfach eklig oder mag grüne Smoothies. Ich dagegen mag Smoothies nicht so gerne, und ich fand Fleisch früher auch nicht eklig – jedenfalls nicht den Geruch, sondern die Idee. Den moralischen Gedanken dahinter: Wieso sollte ich, wo es so viel anderes zu essen gibt, unschuldige Tiere für mich schlachten lassen und sie essen?
Über Veganismus also wird derzeit viel diskutiert, es gibt Zeitungsberichte und Blogs und Fernsehdokus und gefühlt eine Million Videos auf YouTube über veganes Kochen. All das ist gut so. Aber man sollte sich klarmachen, dass es nicht nur ums Essen geht. Das Essen steht im Vordergrund, weil es ein wichtiger Teil unseres Tagesablaufs ist und wir so vielen Tieren allein damit schaden, dass wir sie essen. Dahinter steht etwas viel Umfassenderes, nämlich, wie wir mit Tieren umgehen wollen und welche Rechte Tiere in einer vom Menschen bestimmten Welt haben. Es geht nicht um ein wenig Nettigkeit gegenüber Tieren, sondern um eine grundlegend faire Behandlung. Man muss Tiere dafür nicht einmal lieben oder mögen – auch die acht Milliarden Menschen auf dieser Welt oder die 83 Millionen in unserem Land kann man nicht alle lieben. Dennoch besitzen sie grundlegende Rechte, und die Gesellschaft schuldet ihnen allen Gerechtigkeit.
Ist euch übrigens mal aufgefallen, dass ganz viele Leute sagen, dass sie eher wenig Fleisch essen – aber niemand sagt, er oder sie esse möglichst viel? Noch nie habe ich gehört, dass jemand forderte, wir sollten so viele Tiere töten wie möglich oder wir sollten Tiere absichtlich leiden lassen. Die Menschen wissen durchaus, dass etwas falsch daran ist, Tiere ohne Not zu töten oder ihnen Schmerzen zuzufügen. Und die meisten Menschen sagen sogar, sie würden Tiere mögen oder gar lieben! So gesehen müsste es gewaltige Folgen für unser aller Handeln haben, über den Zusammenhang zwischen unserer Lebensweise und dem Leid der Tiere nachzudenken.
Doch die meisten Leute schieben solche Gedanken, sobald sie ihnen kommen, ganz schnell wieder beiseite. Zum Beispiel sehen sie im Fernsehen einen Film über einen Stall voller Legehennen, und diese Hühner sehen elendig aus, sie haben kaum Platz, reißen einander aus Frust die Federn aus und werden offensichtlich wie kleine Maschinen behandelt, die jeden Tag ein Ei auf dem Fließband abzulegen haben.
Der Anblick der armseligen Wesen rührt viele Menschen, aber irgendwie ist es nicht schön, abends über unbequeme Dinge nachzudenken, lieber schaut man einen Krimi oder eine Komödie, und überhaupt, was würde daraus für das eigene Frühstücksei folgen? Und gab es da nicht auch ein Problem mit Kälbern in der Kuhmilchproduktion? Wie kommen die Schweine eigentlich in die Wurst? Die Ahnung, dass sie selbst die Initiative ergreifen müssten, um etwas zu ändern, behagt den meisten Menschen nicht.
Menschen ändern ungern ihre Gewohnheiten, und sie stellen ihren Alltag ungern in Frage. Wenn man irgendetwas in seinem bisherigen Leben immer gleich gemacht hat, will man nicht darüber nachdenken, ob man es in Zukunft anders machen sollte. Und, so sonderbar es auch klingt: Die meisten Menschen reagieren auf den Gedanken, dass sie bisher vielleicht etwas falsch oder jedenfalls nicht optimal gemacht haben, nicht etwa damit, das zu ändern. Meistens verdrängen wir lieber die neue Einsicht und halten an unserem alten Handeln fest – unter anderem deswegen, weil es weh tut, sich Fehler einzugestehen. Besonders wenn einem die anderen, die unter diesen Fehlern leiden müssen, leidtun.
Vielleicht habt ihr schon mal beobachtet, an euch selber oder euren Eltern, wie Menschen reagieren, wenn sie beim Shoppen in der Fußgängerzone ein Flugblatt angeboten bekommen, auf dem zum Beispiel das Foto eines Affen ist, der für einen Tierversuch benutzt wird. Es sieht schlimm aus, wie die wehrlosen Tiere dasitzen. Ihnen wurde ein Bolzen am Schädel montiert, und dieser Bolzen wird dann am Versuchsstuhl festgeschraubt (freiwillig würden die Affen dabei ja nicht stillhalten).
Die meisten Leute schauen betroffen, wenden sich dann aber einfach ab. Es macht ihnen ein schlechtes Gewissen oder sie bekommen Schuldgefühle, wenn sie erkennen, dass so viele Tiere für uns leiden und dass wir so wenig unternehmen, um das zu ändern. Und Schuldgefühle gehören zu den unangenehmsten Gefühlen, die man haben kann. Die leichteste und schnellste Methode, sie wieder loszuwerden, ist natürlich, sie zu verdrängen – also mit aller Kraft zu »vergessen«, dass da überhaupt ein Problem war. Man macht irgendeinen blöden Witz über Tiere und Fleisch, lacht, und schon ist alles wieder gut. Beinahe.
Die Alternative ist, sich genauer zu informieren und vielleicht manchmal auch traurig zu werden bei dem, was man erfährt. Dazu braucht man etwas Mut und Stärke, und dann kann man darüber nachdenken, ob sich etwas ändern lässt.
Da ihr aber nun schon mal dieses Buch in die Hand genommen habt, gehe ich davon aus, dass ihr genau das tun wollt: euch informieren und nachdenken, statt euch gleich abzuwenden. Vielleicht wollt ihr etwas tun, um das Leid der Tiere zu mindern, oder vermutlich tut ihr sogar schon einiges dafür. Bevor ich mit diesem Buch angefangen habe, habe ich einige Kinder und Jugendliche interviewt; viele von ihnen haben sehr bedenkenswerte und berührende Sachen gesagt. Und einen, Arved – er ist erst neun! –, der mit seinen Eltern schon länger vegan lebt, habe ich gefragt, ob das nicht manchmal ein bisschen traurig sei, so viel darüber zu wissen, wie schlecht es den Tieren geht, die Milch und Eier geben und irgendwann als Fleisch auf dem Teller landen. Ob es nicht einfacher wäre, all das nicht zu wissen? Arved schüttelte den Kopf und sagte ganz bestimmt: »Ich will die Wahrheit wissen.«
Die positive Seite ist nämlich: Auch wenn man sich mit einem Krimi leichter ablenken kann und bei einer Komödie häufiger lacht, als wenn man sich mit dem Schicksal der Tiere beschäftigt, kann es sehr zufrieden machen, die Wahrheit herauszufinden – und etwas zur Verbesserung der Umstände zu unternehmen. Man lernt Menschen kennen, die die Dinge ähnlich sehen. Mit denen man über politische Fragen diskutieren kann. Die auch etwas unternehmen wollen. Mit denen man Infoveranstaltungen an der Schule, Kuchenbackaktionen in der Innenstadt und Demonstrationen vorbereiten und durchführen kann.
Das Schlimmste wäre zu meinen, dass man hilflos ist: Ich bin nur eine einzelne Person, ich kann eh nichts tun … Über dieses Gefühl werde ich noch einiges schreiben, aber vorneweg: Es stimmt nicht. Jeder von uns kann etwas tun; und es gemeinsam mit anderen zu tun, kann sogar sehr viel Spaß machen. Anne Frank, das jüdische Mädchen aus Frankfurt, das sich mit ihrer Familie in einem geheimen Raum vor den Nazis versteckte und irgendwann doch verraten und gefunden wurde und im Konzentrationslager Bergen-Belsen umgekommen ist, hat in ihr Tagebuch geschrieben: »Wie schön, dass keiner von uns auch nur einen Moment warten muss, um die Welt ein klein wenig zu verbessern.«
Ich nehme an, sie meinte solche Dinge wie Freundlichkeit; ihr Bewegungsspielraum war schließlich sehr begrenzt. Andererseits: Ihr Tagebuch, das weltweit millionenfach verkauft und gelesen wurde und wird, hat so viel dazu beigetragen, anderen Menschen den Horror des Nationalsozialismus klarzumachen und davor zu warnen, ein solches Gesellschaftssystem je wieder entstehen zu lassen. Insofern hat Anne Frank, selbst wenn sie in ihrem Kämmerchen saß und »nur« Tagebuch geschrieben hat, mit jedem Eintrag die Welt ein wenig verbessert. Und der Bewegungsspielraum von euch, die ihr dieses Buch lest, ist ja unendlich größer!
Am Ende des vorhergehenden Kapitels habe ich von Gerechtigkeit für Tiere gesprochen und dass Tiere grundlegende Rechte hätten, die wir ihnen auch gesetzlich zusichern sollten – aber solche ethischen oder politischen Begriffe im Zusammenhang mit Tieren zu verwenden, ist keineswegs selbstverständlich. In unserer Alltagssprache haben wir nämlich meist ganz unterschiedliche Wörter für den Umgang mit Tieren und mit Menschen. Ich habe auch geschrieben, dass wir Tiere nicht »einsperren« dürfen – aber sprechen wir normalerweise überhaupt von »einsperren«, wenn ein Bauer zum Beispiel Schweine in seinem Stall mästet, um sie zu schlachten?
Ich weiß nicht, ob ihr mal einem gesunden, ausgewachsenen Schwein begegnet seid – einem freien Schwein, meine ich. Eines, das irgendwo in Frieden alt werden darf oder praktisch wie ein Haustier lebt. Ich kenne einige solcher Schweine, und sie sind sehr beeindruckend. Erstens sind sie ziemlich groß, zweitens haben sie ungeheuer menschliche Augen, die einen sehr wach angucken. Wenn dich ein Schwein ansieht, kannst du meinen, ein verkleideter Mensch schaut dich an.
Außerdem mögen sie ziemlich viele Dinge, die Menschen auch mögen, und verhalten sich oft so, wie wir es tun. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt haben, sind sie nur schwer davon abzubringen, und sie versuchen einen auch gelegentlich auszutricksen. Prinz Lui zum Beispiel, ein ehemaliges Zirkusschwein, das bei meiner Freundin Karin auf dem Hof lebt, liebt Äpfel. Dummerweise (für Prinz Lui) hat Karin einen Zaun mit Törchen um den Apfelgarten gebaut. Dummerweise (für Karin) vergessen allerdings manche Menschen, das Tor richtig zuzumachen – und das hat Prinz Lui längst kapiert. Er weiß, dass es einmal »Klick« macht, wenn das Tor geöffnet wird; und wenn das zweite Klick fehlt, ist das für ihn ein Signal.
Weil er allerdings auch weiß, dass Karin seine Tätigkeiten im Obstgarten nicht schätzt, wartet er immer erst, bis Karin außer Sicht ist. Dann macht er sich auf den Weg. Karin konnte ihn erst überführen, nachdem sie das Törchen einmal absichtlich offen gelassen und sich versteckt hat. Prinz Lui wartete etwas, dann stapfte er los – und wurde ertappt.
Es ist ein bisschen blöd, unterschiedliche Tiere miteinander zu vergleichen und gegeneinander auszuspielen – aber es heißt, Schweine seien sogar intelligenter als Hunde. Von einigen Schweinen wird berichtet, dass sie musikalisch sind; Experimente zeigen, dass sie Farben und Formen unterscheiden und in Puzzletests zuordnen können. Sie sind sehr verspielt und haben ein komplexes Sozialleben mit persönlichen Sympathien und Antipathien. Die heutigen, eher rosafarbenen Schweine stammen von den dunkleren, behaarteren Wildschweinen ab, genetisch und vom Verhalten her sind beide fast identisch. Bei Wildschweinen konnte man beobachten, dass Sauen, die wegen einer Verletzung nicht mehr mit der Gruppe mithalten konnten, oft von einer anderen, befreundeten Sau begleitet wurden. Die Freundin blieb also lieber bei der Kranken und gab dafür die Sicherheit der Gruppe auf.
Schweine, die wie Haustiere mit Menschen zusammenleben, haben auch in mindestens zwei Fällen »ihren« Menschen das Leben gerettet. Einmal zog ein Schwein seinen Menschen, der beim Spazierengehen in einem Sumpf zu versinken drohte, an einer Leine heraus. Ein anderes Schwein, das im Haus lebte und sah, dass seine menschliche Mitbewohnerin schwächelte (weil sie einen Herzinfarkt hatte), zwängte sich mit aller Kraft durch die (für den Hund eingebaute, viel zu kleine) Türklappe trotz etlicher Schrammen nach draußen, legte sich auf die Straße und lotste die anhaltenden Autofahrer nach Hause zu der Hilfsbedürftigen, so dass sie einen Krankenwagen riefen.
Wenn sie nicht gerade Äpfel klauen oder Menschenleben retten, ziehen Schweine kilometerweit durch Wald und Wiesen, suchen mit ihrem empfindlichen und gleichzeitig robusten Rüssel im Boden nach Wurzeln und Würmern, nehmen im Sommer ein Bad im Bach oder suhlen sich zur Reinigung im Matsch und rubbeln später die Kruste ab, wie ein Peeling.
Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, was es für solche intelligenten, aktiven Tiere bedeutet, wenn man sie in Ställe einschließt. Viel Platz haben sie darin nicht. Wenn sie geschlachtet werden, sind Schweine noch längst nicht erwachsen, sondern fünf bis sieben Monate alt. Sie wiegen dann 110 oder mehr Kilo und sind im Schnitt 130 cm lang und 40 cm breit. Laut dem Gesetz stehen jedem 110-Kilo-Schwein genau 0,75 Quadratmeter zu, das entspricht etwa der Größe einer Duschwanne.
Was sollen sie in dieser Duschwanne tun? Es ist ja klar, dass sie ihr normales Verhalten dort nicht ausleben können. Auf Freundschaften und Familien der Tiere wird in der Landwirtschaft sowieso keine Rücksicht genommen, man steckt einfach irgendwelche unbekannten Schweine zueinander, dann werden sie verkauft, zum nächsten Stall transportiert und wieder mit neuen unbekannten Tieren zusammengebracht. Das führt zu Stress und Kämpfen.
Und so ein enger Stall bieten den Schweinen keinerlei Möglichkeiten, etwas zu tun, etwas anzugucken, etwas zu erforschen. Durch Spalten im Betonboden fließen ihr Kot und ihr Urin in eine Grube darunter. Auf dieser Betontoilette gibt es für ihre neugierigen Rüssel nichts zu wühlen. Von unten steigen Kotgeruch, Ammoniak und Keime auf, darum bekommen sie oft Lungenentzündungen. Ein paarmal am Tag wird ihnen Futter in den Trog geschüttet, das ist rasch aufgegessen – den Rest der Zeit langweilen sie sich. Sie werden unruhig und fangen an, den anderen Schweinen, mit denen sie sich den engen Platz teilen, Schwänze und Ohren anzuknabbern.
Kein Wunder! Diese intelligenten und neugierigen Tiere werden von uns gezwungen, in den Mastställen ein völlig verarmtes Leben zu führen. Dennoch sprechen wir nicht von einsperren, sondern von »halten«. Jemand »hält« Tiere – und das klingt vollkommen zivilisiert. Tatsächlich aber hindern wir die Tiere durch Zwang, mit Hilfe von Mauern und technischen Vorrichtungen daran, sich ihren Weg in die Freiheit und in ein eigenes Leben zu suchen. So gesehen halten wir Tiere nicht, wir halten sie gefangen! Bei Menschen würden wir es Freiheitsberaubung nennen.
Ebenso würden wir von Entführung oder Kidnapping sprechen, wenn Kinder den Eltern weggenommen würden. Genau das aber ist in der Landwirtschaft Tieren gegenüber Routine! Die Ferkel nimmt man den Müttern weg, wenn sie erst drei oder vier Wochen alt sind – dabei würden sie noch viel länger bei ihnen trinken und mit ihnen herumziehen, wenn sie denn könnten. Die Kälber nimmt man den Kühen meist direkt nach der Geburt weg. Die meisten Kälber, aber auch Hühnerküken lernen ihre Mütter nie kennen. Man steckt sie in die Mast, sorgt dafür, dass sie schnell »Fleisch« ansetzen und schickt sie zum Schlachthof, wenn sie noch längst nicht ausgewachsen sind, sondern eigentlich ihr Leben noch vor sich haben sollten. Was im Schlachthof mit ihnen passiert, ist ganz brachiale Gewalt, sie werden gewaltsam und völlig unschuldig getötet.
Aber nennen wir es Tötung? Nein, es heißt natürlich Schlachtung, und auch mit diesem Wort haben wir uns ein nützliches Etikett geschaffen, das ein bisschen verschleiert, was da eigentlich vor sich geht. Schlachtung klingt irgendwie technisch und sauber, wie etwas, das nicht weiter hinterfragt werden muss. Tatsächlich aber hat das mit Blut und Schreien und Angst und Schmerzen zu tun – eigentlich werden die Tiere schlicht umgebracht. Ist Schlachtung vielleicht einfach ein verharmlosendes Wort für »Mord« oder »Hinrichtung«?
Noch in meiner Kindheit, also vor etwa 40 Jahren, gab es mitten in unserem kleinen Ort einen Metzger, der an einem bestimmten Wochentag dort Schweine geschlachtet hat. Wie man sich vorstellen kann, ist das kein schöner Vorgang – die Schweine haben Angst, sie versuchen zu entkommen, und wenn man sie anpackt oder mit den Schlachtermessern auf sie zugeht, schreien sie fürchterlich. Meine Mutter und ich vermieden es immer, an diesem Tag im Ortszentrum einkaufen zu gehen.
Heute ist es üblich geworden, Tiere außerhalb von Städten zu schlachten. Mit LKWs werden sie in die Schlachthöfe gefahren. Was drinnen geschieht, sieht und hört und riecht man von draußen nicht. Später kommen andere LKWs mit Fleisch wieder raus. Diese Schlachthöfe sind irgendwo auf dem Land am Rande kleiner Ortschaften platziert, nahezu unsichtbar für die Verbraucher, die das Fleisch nachher im Supermarkt kaufen.
Damit will ich natürlich nicht sagen, dass es besser ist, wenn man Tiere sicht- und hörbar in einem Wohngebiet schlachtet! Ich denke nur, dass wir seither wohl etwas sensibler geworden sind, wir würden Schlachtungen in unserer Mitte nicht mehr so einfach dulden. Irgendwie dämmert uns wohl auch allmählich, dass hier etwas Unrechtes geschieht … Heute kann man jedenfalls nicht mehr einmal die Woche schreiende Schweine mitten im Ort schlachten, die meisten Anwohnerinnen – auch viele, die Fleisch essen – würden sich beschweren, den Metzger beschimpfen oder gar wegziehen. Was also machen wir?
Die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis, übrigens auch Veganerin, ist berühmt geworden durch ihren Einsatz für die gleichen Menschenrechte für schwarze und weiße Bürgerinnen und Bürger. Sie hat einmal gesagt: »Ich will nicht mehr all das akzeptieren, was ich nicht ändern kann. Ich will das ändern, was ich nicht akzeptieren kann!« Leider machen wir es im Alltag meist umgekehrt: Wir nehmen vieles stillschweigend hin, was eigentlich brutal und schrecklich ist. Und so hat unsere Gesellschaft, die das Schlachten von Schweinen nicht mehr mit ansehen möchte, nicht etwa das Schlachten von Schweinen eingestellt, sondern einfach den Ort des Geschehens verlegt. Dorthin, wo man es nicht mitbekommt.
Schon die Ställe, in denen tausende Schweine oder Hühner leben, auf engem Raum und meist ohne je den Himmel zu sehen oder die Sonnenstrahlen auf der Haut zu spüren, liegen fernab von Städten und sogar von den Dörfern. Wenn heute ein Landwirt einen Stall baut, baut er ihn weit draußen, jenseits vom Dorfrand; denn die Menschen wollen die armen Tiere dort nicht sehen, hören oder riechen. Die verrückte Konsequenz ist, dass wir die Tiere meistens gar nicht mehr als Tiere wahrnehmen, bevor wir sie sozusagen auf dem Teller haben.
Ich werde in den späteren Kapiteln ausführlicher davon berichten, was mit den Tieren in unseren Ställen passiert. Jetzt möchte ich nur darauf hinaus, dass wir ständig verharmlosen, was wir den Tieren tatsächlich antun.
Der erste Trick, mit dem wir Tiere von uns fernhalten, ist also, dass wir deutliche, zutreffende Begriffe vermeiden; wir sprechen nicht von Gewalt, Einsperren, Kidnapping, Umbringen, sondern verwenden »neutrale« Begriffe wie Tierhaltung und Schlachtung. Und ein weiterer Trick ist die räumliche Entfernung und sogar Unsichtbarkeit: Die Tiere, die wir essen, leben außerhalb unseres Blickfelds und werden außerhalb unseres Blickfelds getötet; wir sehen sie erst im Supermarkt, da heißen sie Salami oder Schnitzel.
Und damit sind wir wieder bei der Sprache. Tote Tiere, die wir zu essen gedenken, nennen wir nicht mehr Tiere, sondern Fleisch. Es ändert sich etwas in der Grammatik: Man isst nicht das Schwein, ein Schwein oder Schweine, sondern Schwein. Das ist wie ein anderes Wort, es braucht keinen Artikel und hat keinen Plural. Es handelt sich nicht mehr um ein individuelles Tier oder mehrere, sondern praktisch um Material – so wie man auch sagt: Das Geländer ist aus Eisen. Wir basteln mit Ton. Heute Abend grillen wir Fisch, in der Wurst ist Schwein. Oder man sagt eben gleich Speck oder Schnitzel.
Es gibt auf YouTube dieses Video, wo ein etwa fünfjähriges Mädchen aus Irland vor einem Teller mit Putenfleisch sitzt und weint. Wiederholt sagt es, es wolle nicht, dass Tiere zerhackt würden. Sie fragt: »Warum zerhacken die Menschen Tiere?« Schließlich sagt sie sogar: »Ich will nicht, dass wir Leute zerhacken.« Ihr Vater korrigiert: »Wir zerhacken keine Leute, sondern Tiere.« Und sie sagt: »Ich will nicht, dass wir Tier-Leute zerhacken.« Und ihr Vater: »Du meinst Tiere?« Das kleine Mädchen empfindet Tiere als »Leute«, aber in unserer Sprache ist das nicht korrekt.
Auch für die einzelnen Stadien im Leben eines Tiers haben wir unterschiedliche Begriffe geprägt, sogar wenn es um genau dieselben Vorgänge geht wie bei uns. Tiere fressen, wir essen; bei ihnen ist es Futter oder Nahrung, bei uns sind es Essen oder Speisen. Eine (Menschen-)Frau gebärt und stillt, eine Tiermutter hingegen wirft und säugt. Irgendwie klingt »gebären« und »stillen« vornehmer als »werfen« und »säugen«, dabei ist doch völlig klar, dass es dieselben biologischen Funktionen sind.
Als ich auf meinen Hof gezogen war und eine Schafherde geerbt hatte und einige der Schafmütter geboren/geworfen hatten, hat mich mein Nachbar, ein Landwirt, manchmal freundlich gerügt. Ich sagte nämlich zum Beispiel: »Da drüben steht Ernestine mit ihren Kindern«, aber er sagte: »Das sind Lämmer und keine Kinder!« Natürlich wusste ich, dass es Lämmer waren, aber warum ich sie nicht auch Kinder nennen sollte, hat mir nie so ganz eingeleuchtet: Schließlich waren Christopher und Kumpelchen – so nannte ich die Zwillinge – ja Ernestines Kinder. Und sie war ihre Mutter. Die beiden folgten ihr auf die Weide, und zwar, wie es Lämmer tun, schräg hinterm Hinterbein. Eins links, eins rechts. Wenn Ernestine irgendwo geruht hatte und aufstand, vollführte sie mit ihrem Kopf immer eine Acht, um auf beiden Seiten nachzuschauen, ob Christopher und Kumpelchen ihr auch folgten.
Lämmer sind ganz entzückende Wesen, und die Leute aus dem Dorf brachten ihre (Menschen-)Kinder vorbei, um sie zu streicheln und sie zu betrachten. Viele aßen und essen dennoch »Lamm« … Umso wichtiger ist es also, dass wir zu den Lämmern nicht Kinder sagen! Sonst würden wir uns klarmachen: Wir essen Schafskinder. Genau solche Schafskinder, die wir eigentlich so niedlich und lustig finden, zum Beispiel wenn sie auf der Weide spielen und einander jagen, mit allen Vieren gleichzeitig in die Luft springen (wie es ausgelassene Lämmer gerne tun) oder total konzentriert auf einem Grashalm herumkauen (aber man sieht: Der Grashalm kommt auf der anderen Seite ihres Mäulchens wieder völlig unbeschadet heraus, sie können in ihren ersten Wochen nämlich noch gar nicht kauen, aber sie üben es halt schon mal).
Es kommt übrigens immer wieder vor, dass Menschen nicht verstehen können, warum die Schafe bei mir einfach so für sich leben und (hoffentlich) alt werden, ähnlich wie Katzen oder Hunde, ohne dass ich sie »nutze« oder »etwas mit ihnen tue«. Ich wurde schon zigmal gefragt: »Und was tust du mit den Schafen?« – »Nichts!« Viele Menschen zögern auch, die Schafe zu streicheln, obwohl einige der Tiere sehr verschmust sind; aber dann sagen die Leute, das seien doch »Nutztiere«.
Sie benutzen das Wort so, als wäre es vom Himmel gefallen oder als hätte es die Natur so eingerichtet, dass es »Nutztiere« auf der einen Seite gibt und auf der anderen Seite Haustiere, Wildtiere und freie Tiere. Dabei sind doch alle Tiere Individuen, ganz egal, was wir Menschen mit ihnen vorhaben; wir kleben ihnen nur sozusagen das Etikett »Nutztier« auf, damit alles Spätere weniger brutal erscheint. Wenn wir zum Beispiel einen Hund oder eine Katze in einer Duschwanne einsperren und über dem eigenen Kot leben ließen, würden wir als Tierquälerinnen beschimpft und angezeigt.
Wenn Landwirte dasselbe mit Schweinen tun, ist es scheinbar völlig okay.
Aber hat das Schwein etwas davon, dass man es vorab als »Nutztier« deklariert hat? Wird dadurch irgendetwas für das Schwein besser?
Darum kann und mag ich das Wort »Nutztier« nicht ohne Anführungsstriche verwenden: »Nutztier« ist wirklich ein total blödes Wort für ein Tier, das gerne frei und unbehelligt leben würde, mit dem wir aber Schändliches vorhaben.
Mit all solchen Begriffen stellen wir eine Distanz her zwischen uns und den Tieren, die wir benutzen oder essen. Wir versuchen, uns die Tiere ganz buchstäblich vom Leib zu halten, als ob sie uns nichts angingen, als ob wir nicht genau wüssten, dass ihr Schmerz und ihre Freude und ihre Lebenslust der unseren ganz ähnlich ist. Indem wir sogar die grundlegendsten biologischen Funktionen bei ihnen anders benennen als bei uns (gebären/werfen, essen/fressen), hilft uns das, die Tatsache zu vergessen, dass wir mit ihnen verwandt sind.
Doch genau das sind wir. Genau das besagt Charles Darwins Evolutionstheorie, die wir im nächsten Kapitel genauer anschauen werden. Seit Charles Darwin ist klar, dass alles Leben auf der Erde aus demselben Ursprung entstanden ist und dass auch wir Menschen Tiere sind, nämlich Säugetiere. Biologen wissen das, wir anderen wissen es auch – dennoch reden wir im Alltag nicht so. Vielleicht kränkt es uns ein wenig, wenn der Mensch auf dieser Erde nicht etwas so Einzigartiges und Besonderes, sondern mit allen verwandt ist. Weil sie diese letztlich arrogante Haltung ablehnen, sprechen viele Veganerinnen und Tierrechtlerinnen nicht von »Menschen und Tieren« sondern von »Menschen und anderen Tieren«. Denn der grundlegendste Trick, mit dem wir uns die Tiere vom Leib halten, besteht darin, so zu tun, als ob wir selber keine Tiere wären.
Habe ich eben etwa geschrieben, der Mensch sei nichts Einzigartiges und Besonderes? Aber natürlich sind wir etwas Besonderes! In Büchern und Filmen erzählen wir einander Geschichten über längst Vergangenes oder Erfundenes, in unseren Krankenhäusern wird am offenen Herzen operiert, und über das Internet kommunizieren wir mit Freunden und Freundinnen auf der anderen Seite des Globus.
Andererseits: Andere Tiere sind auch »besonders«. Viele ihrer Talente kennen oder sehen wir bloß nicht. Elefanten zum Beispiel sind beeindruckende und schöne Tiere, Elefantenbilder schmücken viele Alltagsgegenstände, von der Windel über den Kerzenleuchter bis hin zu Tapeten. Aber die wenigsten Menschen wissen, was zum Beispiel alles in einem Elefantenfuß steckt. Elefanten können im Infraschallbereich kommunizieren, also mit extrem niedrigen, für den Menschen unhörbaren Tönen; und sie empfangen die Schallwellen der anderen nicht nur über die Ohren, sondern auch über ihre Fußsohlen – über mehrere Kilometer hinweg! (Ist es nicht rätselhaft, wie ein so robust wirkendes Körperteil so sensibel sein kann?)
Auch Krokodile nutzen Infraschall, den sie durch Vibrationen im Wasser erzeugen und mit empfindlichen Sensoren auf ihren Körpern empfangen können. Wale können im Wasser über tausend Kilometer weit kommunizieren – und hören sogar, mit welchem anderen Wal sie »sprechen«! Seehunde wiederum, für die Orcawale eine Bedrohung darstellen, können die »Ausspracheunterschiede« von einheimischen oder ihnen unbekannten Orcafamilien erkennen.
Zugvögel orientieren sich an ihrem inneren Magnetkompass und am Sonnenstand; nachtziehende Vögel verwenden sogar eine Art Sternenkompass und orientieren sich an dem Polarstern, genau wie es viele Generationen menschlicher Seefahrer getan haben. Aale haben die vermutlich besten »Nasen« des Tierreichs – noch um ein Vielfaches sensibler als Hunde – und folgen damit der Spur von Meeresströmungen mehrere tausend Kilometer durch den Ozean.
Manche Fische besitzen elektrische Sensoren; afrikanische Goldmulle, die ähnlich wie Maulwürfe leben, können die Tritte von Termiten hören, die über den Sand laufen. Fledermäuse verschaffen sich Orientierung, indem sie Ultraschall abgeben, und sie können das von Gegenständen und Hindernissen zurückkommende Echo genauer auswerten als unsere besten Hightech-Geräte.
Über die Bulldog-Fledermaus habe ich gelesen, dass sie ihr Kind zwischen Millionen anderer Fledermauskinder wiederfinden kann, die alle zusammen in einer Höhle hängen, nachdem dieses Kind seinen eigenen Ruf geäußert hat, der nur 0,1 Sekunde lang dauert! Den Forschern hat es ziemliche Mühe gemacht, das herauszufinden, denn Menschen können keine Geräusche identifizieren, die so kurz sind – und dann noch in einem Gewirr von Millionen anderen Tönen!
Nach dem, was ich bis jetzt aufgezählt habe, scheint sich die Welt einer Fledermaus, eines Krokodils, eines Kranichs oder eines Aals ganz anders anzuhören, anzufühlen oder anders zu riechen als unsere. Dabei ist das Thema dieses Kapitels doch eigentlich nicht, was uns trennt, sondern was uns mit anderen Tieren verbindet. Aber die entscheidende Gemeinsamkeit ist, dass auch Tiere, genau wie wir Menschen, die Welt um sich herum bewusst wahrnehmen und dabei auch etwas empfinden. Die Informationen, die die Sinnesorgane der Tiere aufnehmen, werden nicht wie bei einem leblosen Gerät irgendwo abgespeichert, sondern bei Tieren (und Menschen) gibt es eine Art Zentrale, in der die Informationen zusammenlaufen und wo sie erfasst, empfunden und erlebt werden.
Auch ein Echolotgerät kann schließlich Schallwellen aussenden und auffangen, auch die Handycam kann visuelle Informationen aufnehmen und weitergeben; aber das sind bloße Daten, rein physikalische Vorgänge – die Geräte selbst nehmen keinerlei inneren Anteil an dem, was sie da nun aufnehmen, ob das ein vorbeifliegendes Insekt ist oder ein Feind, der sie zerstören will, es ist dem Gerät völlig gleich. Es registriert nur die empfangenen physikalischen Impulse. Der Unterschied zwischen einer Handycam und einem Auge liegt aber darin, dass zu jedem sehenden Auge eines Tiers jemand gehört, für den ein Geschehen oder die Umwelt soundso aussehen. Jedes Tier hat sozusagen eine Innenwelt, in der die Eindrücke der Außenwelt ankommen und wo diese Eindrücke meistens als negativ oder positiv empfunden werden.
Um es mal an einer anderen Wahrnehmung, dem Schmerz zu verdeutlichen: Jeder kennt den Unterschied, ob man einen Stuhl tritt oder einen Hund. Wenn man einen Stuhl tritt, gibt es eventuell ein Geräusch, der Stuhl fällt um, vielleicht geht er sogar kaputt. Wenn man aber einen Hund treten würde, würde er aktiv einen Laut von sich geben – aus Überraschung oder aus Schmerz; er würde zurückweichen, um sich in Sicherheit zu bringen; und selbst wenn er nicht »kaputtginge« oder ernsthaft verletzt wäre, würde es dem Hund doch weh tun. Der Hund unterscheidet sich also von dem Stuhl darin, dass er den Tritt wahrnimmt und dass der Tritt ihm weh tut.
Die Philosophie hat verschiedene Begriffe für diesen Unterschied zwischen einem Stuhl und einem Hund gefunden; einer davon lautet: empfindungsfähig. Der Hund ist empfindungsfähig, der Stuhl nicht. Dafür gibt es eine biologische Grundlage: Die Tatsache, dass Säugetiere, Vögel, Fische und diverse andere Tiere Nerven und ein Gehirn oder eine Art »Nervenzentrale« haben, unterscheidet uns von unbelebten Gegenständen und macht uns zu empfindungsfähigen Lebewesen.
Ich habe Gehirn und Nerven genannt, weil das die beiden körperlichen Voraussetzungen sind, die die Biologie für unser Empfinden-Können verantwortlich macht. Diese Grundvoraussetzungen haben wir, trotz etlicher Unterschiede im Aufbau des Gehirns, mit anderen Säugetieren, Vögeln und Fischen gemeinsam; biologisch gesehen gehören wir alle zu den Wirbeltieren. Wirbeltiere heißen wir alle ja überhaupt deswegen, weil wir ein Rückgrat haben, das nicht nur die zentrale Achse unseres Skeletts ist, sondern in dessen Wirbeln viele gebündelte Nerven verlaufen, die zu unserer »Nervenzentrale« führen. So gesehen sind wir nicht nur Wirbeltiere, sondern vor allem auch »Nerventiere« oder »Gehirntiere«. (Diese Begriffe gibt es biologisch allerdings nicht! Im Übrigen haben auch einige andere Tiere, die keine Wirbeltiere sind, Empfindungen; dazu später mehr.)