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Wie werden wir leben – in 20, 60, 100 Jahren? Star-Physiker Michio Kaku sagt der Menschheit eine rosige Zukunft voraus. Roboter werden uns die Alltagsarbeit abnehmen. Küchengeräte und andere Maschinen steuern wir mit der Kraft unserer Gedanken. Medizinische Nanobots werden aufmerksam durch unsere Blut- und Nervenbahnen eilen und sogar Krebs heilen. Zu lästigen Meetings schicken wir unser Hologramm – an einen Konferenztisch mit virtuellen Menschen und solchen aus Fleisch und Blut. Informationen können direkt über die Retina ins Kleinhirn projiziert werden. Wir beherrschen auch das Wetter, und Nationalstaaten spielen kaum noch eine Rolle. Trotzdem werden wir weiter reisen, uns treffen, Sport treiben und in die Kneipe gehen, weil Menschen nun mal so sind. Science-Fiction? Nein, seriöse Zukunftsforschung. Eingängig beschreibt Michio Kaku, wie der Weg in diese Zukunft aussieht – denn vieles davon wird heute schon in Wissenschaft und Industrie vorbereitet. Kaku hat weltweit 300 Forscher von Rang befragt, wie die gesellschaftlich-technische Entwicklung ihrer Voraussicht nach verlaufen wird: von der Künstlichen Intelligenz bis zur Raumfahrt, von der Medizin und Biologie bis zur Nanotechnologie. Und er präsentiert seine Befunde überzeugend und mit leichter Hand. «Was für ein wunderbares Abenteuer ist dies, der Versuch, das Undenkbare zu denken.» (New York Times Book Review) «Atemberaubend.» (Welt am Sonntag)
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Seitenzahl: 720
Michio Kaku
Die Physik der Zukunft
Unser Leben in 100 Jahren
Aus dem Englischen von Monika Niehaus
Rowohlt E-Book
Gewidmet meiner lieben Frau Shizue und meinen Töchtern Michelle und Alyson
Die nächsten 100 Jahre
Die Reiche der Zukunft sind die Reiche des Geistes.
Winston Churchill
Während meiner Kindheit trugen zwei Erfahrungen dazu bei, den Menschen zu prägen, der ich heute bin, und entfachten zwei Leidenschaften in mir, die mein ganzes Leben bestimmt haben.
Ich erinnere mich, als ich acht Jahre war, dass sämtliche Lehrer eines Tages aufgeregt über die neuesten Nachrichten vom Tod eines großen Wissenschaftlers diskutierten. An diesem Abend veröffentlichten die Zeitungen ein Bild seines Büros mit seinem Schreibtisch, auf dem ein unbeendetes Manuskript lag. In der Schlagzeile hieß es, der größte Wissenschaftler unserer Zeit habe sein größtes Werk nicht vollenden können. Was konnte so schwierig sein, fragte ich mich, dass ein so großer Wissenschaftler es nicht abschließen konnte? Was konnte so kompliziert sein und so wichtig? Dieses Rätsel erschien mir spannender als jeder Krimi, faszinierender als jede Abenteuergeschichte. Ich musste herausfinden, um was es bei diesem unvollendeten Manuskript ging.
Später fand ich heraus, dass der Wissenschaftler Albert Einstein hieß und das unvollendete Manuskript die Krönung seines Lebenswerks sein sollte, sein Versuch, eine «Theorie von allem» zu schaffen, eine Gleichung, vielleicht kaum zwei Fingerbreit, die die Geheimnisse des Universums entschlüsseln und ihm vielleicht erlauben würde, «Gottes Geist zu lesen».
Die andere prägende Erfahrung meiner Kindheit waren die Fernsehserien am Samstagmorgen, vor allem die Serie Flash Gordon mit Buster Crabbe. Jede Woche drückte ich mir die Nase am Fernsehschirm platt. Ich tauchte ein in eine geheimnisvolle Welt voller Außerirdischer, Raumschiffe, Strahlenwaffen, Unterwasserstädte und Monster. Ich war geradezu süchtig danach. Das war mein erster Kontakt mit der Welt der Zukunft. Seitdem empfinde ich ein kindliches Gefühl des Staunens, wenn ich über die Zukunft nachdenke.
Doch nachdem ich sämtliche Folgen der Serie gesehen hatte, wurde mir allmählich klar, dass Flash zwar allen Ruhm einheimste, die Serie aber tatsächlich nur dank des Wissenschaftlers Dr. Zarkov funktionierte. Er erfand das Raketenschiff, den Unsichtbarkeitsschild, die Energiequelle für die Stadt im Himmel und vieles andere. Ohne den Wissenschaftler hätte es keine Zukunft gegeben. Die Attraktiven und die Schönen mögen die Bewunderung der Gesellschaft gewinnen, doch all die wunderbaren Erfindungen der Zukunft sind ein Nebenprodukt der unbesungenen, namenlosen Wissenschaftler.
Später auf der Highschool entschloss ich mich, in die Fußstapfen dieser großen Wissenschaftler zu treten und das, was ich gelernt hatte, zu erproben. Ich wollte an der großen Revolution teilhaben, von der ich wusste, sie würde die Welt verändern. Daher entschied ich mich, einen Atomzertrümmerer zu bauen, und bat meine Mutter um Erlaubnis, in der Garage einen 2,3-Millionen-Elektrovolt-Teilchenbeschleuniger zu bauen. Sie schien ein wenig überrascht, stimmte aber zu. Daraufhin wandte ich mich an Westinghouse and Varian Associates, erhielt 180 Kilogramm Transformatorstahl sowie 25 Kilometer Kupferdraht und baute in der Garage meiner Mutter einen Elektronenbeschleuniger.
Zuvor hatte ich eine Nebelkammer mit einem starken magnetischen Feld gebaut und Antimateriespuren fotografiert. Aber Antimaterie zu fotografieren, war nicht genug. Mein Ziel war es nun, einen Strahl Antimaterie zu erzeugen. Die Magnetspulen des Atomzertrümmerers erzeugten ein starkes Magnetfeld von 10000 Tesla (etwa das 20000-Fache des Erdmagnetfeldes, im Prinzip stark genug, um jemandem einen Hammer aus der Hand zu reißen). Die Maschine verschlang 6 Kilowatt und beanspruchte sämtliche Energie, die unser Haus liefern konnte. Wenn ich die Maschine anstellte, flogen häufig alle Sicherungen im Haus heraus. (Meine arme Mutter muss sich gefragt haben, warum sie keinen Sohn haben konnte, der lieber Football spielte.)
Daher haben zwei Passionen mein ganzes Leben geprägt: Zum einen der Wunsch, sämtliche physikalischen Gesetze des Universums mittels einer einzigen kohärenten Theorie zu verstehen, zum anderen der Wunsch, in die Zukunft zu sehen. Schließlich erkannte ich, dass diese beiden Passionen tatsächlich zwei Seiten einer Medaille waren. Der Schlüssel zum Verständnis der Zukunft ist es, die grundlegenden Naturgesetze zu erkennen und diese dann auf Erfindungen, Maschinen und Therapien anzuwenden, die unsere Zivilisation weit in die Zukunft hinein neu definieren werden.
Wie ich herausfand, hat es schon zahlreiche Versuche gegeben, die Zukunft vorherzusagen, viele davon brauchbar und aufschlussreich. Sie stammten jedoch vorwiegend von Historikern, Soziologen, Science-Fiction-Autoren und «Futurologen», das heißt von Outsidern, die die Welt der Naturwissenschaften voraussagen wollen, ohne sie aus erster Hand zu kennen. Die Naturwissenschaftler, die Insider, die tatsächlich die Zukunft in ihren Laboratorien schaffen, sind zu sehr damit beschäftigt, an wissenschaftlichen Durchbrüchen zu arbeiten, als dass sie Zeit hätten, Bücher über die Zukunft für einen breiten Leserkreis zu schreiben.
Genau darum ist dieses Buch anders. Ich hoffe, es bietet dem Leser einen Einblick aus der Sicht eines Insiders, welche wunderbaren Entdeckungen uns erwarten, und erlaubt einen möglichst authentischen und zuverlässigen Blick in die Welt des Jahres 2100.
Natürlich lässt sich die Zukunft nicht völlig präzise vorhersagen. Das Beste, was man meines Erachtens tun kann, ist, die Köpfe der Wissenschaftler anzuzapfen, die an vorderster Front der Forschung stehen und die Knochenarbeit leisten, die Zukunft zu erfinden. Sie sind es, die die Apparate, Erfindungen und Therapien entwickeln, die unsere Zivilisation revolutionieren werden. Und dieses Buch erzählt ihre Geschichte. Ich hatte die Gelegenheit, bei dieser großen Revolution in der ersten Reihe zu sitzen, und habe mehr als 300 der weltweit bekanntesten Wissenschaftler, Denker und Träumer für das amerikanische Fernseh- und Radioprogramm interviewt. Ich habe auch Kamerateams mit in ihre Laboratorien genommen, um die Prototypen der bemerkenswerten Apparate zu filmen, die unsere Zukunft verändern werden. Es war mir eine große Ehre, mehrere Wissenschafts-Specials für das BBC-TV, den Discovery Channel und den Science Channel zu moderieren und dabei die bemerkenswerten Erfindungen und Entdeckungen der Visionäre vorstellen zu können, die so kühn sind, die Zukunft zu schaffen. Da ich meine eigene Arbeit an der String-Theorie verfolgen und gleichzeitig die aktuelle Spitzenforschung im Auge behalten konnte, die dieses Jahrhundert revolutionieren wird, habe ich das Gefühl, einen der begehrenswertesten Jobs in der ganzen Wissenschaft zu haben. Es ist, als ob mein Kindheitstraum wahr geworden wäre.
Dieses Buch unterscheidet sich jedoch von meinen vorangegangenen Büchern. In Büchern wie Beyond Einstein, Hyperspace (deutsch: Im Hyperraum) und Parallel Worlds (deutsch: Im Paralleluniversum) habe ich den frischen Wind diskutiert, der durch mein Fachgebiet, die theoretische Physik, weht und neue Wege eröffnet, das Universum zu verstehen. In Physics of the Impossible (deutsch: Die Physik des Unmöglichen) ging es mir darum zu zeigen, wie die neuesten Entdeckungen in der Physik schließlich selbst die fantasievollsten Vorstellungen der Science-Fiction Wirklichkeit werden lassen könnten.
Dieses Buch ähnelt am ehesten meinem Buch Visions (deutsch: Zukunftsvisionen), in dem ich diskutiert habe, wie sich die Wissenschaft in den kommenden Jahrzehnten entwickeln wird. Ich freue mich, dass viele meiner damals gemachten Vorhersagen heute termingerecht realisiert werden. Die Treffsicherheit meiner Prognosen basierte in hohem Maße auf der Weisheit und Vorausschau der vielen Wissenschaftler, die ich interviewt habe.
Dieses Buch riskiert jedoch einen viel weiteren Blick in die Zukunft und diskutiert Technologien, die in 100 Jahren ausreifen könnten und letztendlich das Schicksal der Menschheit bestimmen werden. Die Art und Weise, wie wir die Chancen und Risiken der nächsten 100 Jahre bewältigen werden, wird letztendlich über das Schicksal der Menschheit entscheiden.
Lediglich über eine Zeitspanne von wenigen Jahren in die Zukunft zu schauen, ist eine Respekt einflößende Aufgabe, gar nicht zu reden von einem Jahrhundert. Doch es ist eine Aufgabe, die uns herausfordert, über Technologien nachzudenken, von denen wir glauben, dass sie eines Tages das Schicksal der Menschen verändern werden.
Im Jahr 1863 wagte sich der große Romancier Jules Verne an sein vielleicht ehrgeizigstes Projekt. Er schrieb einen Zukunftsroman mit dem Titel Paris im 20. Jahrhundert, in dem er sein enormes Talent entfaltete, das kommende Jahrhundert vorherzusehen. Leider ging das Manuskript im Nebel der Zeit verloren, bis sein Urenkel zufällig in einem Safe darauf stieß, in dem es fast 130 Jahre unbeschadet überstanden hatte. Vernes Nachkomme erkannte sofort, auf welchen Schatz er gestoßen war, und veröffentlichte den Roman 1994. Er wurde ein Bestseller.
Damals, im Jahr 1863, herrschten noch Könige und Kaiser über historische Reiche, in denen verarmte Kleinbauern zermürbende Arbeit leisteten und sich auf den Feldern abmühten. In den Vereinigten Staaten herrschte ein ruinöser Bürgerkrieg, der das Land fast zerreißen sollte, und die Dampfkraft begann gerade, die Welt zu revolutionieren. Aber Verne sagte voraus, dass Paris 1960 über verglaste Wolkenkratzer, Klimaanlagen, Fernsehen, Aufzüge, Hochgeschwindigkeitszüge, benzingetriebene Automobile, Faxmaschinen und sogar über so etwas wie das Internet verfügen werde. Mit frappierender Präzision beschrieb Verne das Leben im modernen Paris.
Das war kein Glückstreffer, denn nur ein paar Jahre später machte er eine andere spektakuläre Voraussage. Im Jahr 1865 verfasste er den Roman Von der Erde zum Mond, in dem er detailliert die Mission beschrieb, die amerikanische Astronauten mehr als 100 Jahre später – 1969 – auf den Mond brachte. Er sagte die Größe der Raumkapsel bis auf wenige Prozent Abweichung präzise voraus, ebenso die Lage des Startplatzes in Florida nicht weit von Cape Canaveral, die Zahl der Astronauten bei der Mission, die Flugdauer, die Schwerelosigkeit, die die Astronauten erleben würden, und schließlich die Landung im Wasser. (Sein einziger größerer Irrtum war, dass er Schießpulver statt Raketentreibstoff benutzte, um seine Astronauten zum Mond zu bringen. Doch mit Flüssigtreibstoff betriebene Raketen sollten erst 70 Jahre später entwickelt werden.)
Wie konnte es Jules Verne gelingen, mit so atemberaubender Präzision 100 Jahre in die Zukunft zu schauen? Zwar war Verne selbst kein Wissenschaftler, doch wie seine Biografen schreiben, suchte er ständig Wissenschaftler auf und fragte sie nach ihren Visionen für die Zukunft. Er trug ein riesiges Archiv zusammen, in dem er die großen Erfindungen seiner Zeit sammelte. Klarer als andere realisierte Verne, dass die Naturwissenschaften der Motor waren, der die Fundamente der Zivilisation erschütterte, und sie in ein neues Jahrhundert voller unerhörter Wunder katapultierte. Verne begriff, dass die Naturwissenschaften die Macht besaßen, die Gesellschaft zu revolutionieren; das war der Schlüssel zu seinen Zukunftsvisionen.
Ein anderer großer Prophet der technischen Entwicklung war Leonardo da Vinci, Maler, Denker und Visionär. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts fertigte er wunderbare, präzise Zeichnungen von Maschinen an, die eines Tages den Himmel füllen würden: Skizzen von Fallschirmen, Helikoptern, Hängegleitern und sogar Flugzeugen. Bemerkenswerterweise wären viele seiner Erfindungen tatsächlich geflogen. (Seinen Flugapparaten fehlte jedoch eine weitere Komponente: zumindest ein 1-PS-Motor, aber ein solcher Antrieb sollte noch weitere 400 Jahre Zukunftsmusik bleiben.)
Ebenso erstaunlich ist, dass Leonardo eine mechanische Addiermaschine entwarf, die ihrer Zeit um rund 150 Jahre voraus war. Im Jahr 1967 findet man eine Sammlung von Skizzenblättern und Texten von Leonardo da Vinci, den sogenannten Codex Madrid. Der Codex enthält eine Skizze, die als Basis für eine Addiermaschine mit 13 Rädern interpretiert wurde. Wenn man eine Kurbel drehte, drehten sich die Zahnräder in Folge und führten arithmetische Berechnungen durch. (Leonardos Maschine wurde 1968 von IBM nachgebaut und ausgestellt.)
Zudem wurde in den 1950er Jahren ein anderes Manuskript mit der Skizze eines automatischen Kriegers in deutsch-italienischer Uniform entdeckt, der sich aufsetzen und Arme, Hals und Kiefer bewegen konnte. Auch dieser Automat wurde später gebaut und erwies sich als funktionsfähig.
Wie Jules Verne gelangen Leonardo tiefe Einblicke in die Zukunft, indem er sich mit einer Handvoll vorausschauender Menschen seiner Zeit austauschte. Er gehörte zu einem kleinen Kreis von Leuten, die an vorderster Front standen, wenn es um Innovationen ging. Leonardo war stets damit beschäftigt, zu experimentieren, etwas zu bauen und Modelle zu Papier zu bringen, ein Schlüsselmerkmal eines jeden, der seine Gedanken Wirklichkeit werden lassen möchte.
Angesichts der enormen prophetischen Gaben von Verne und Leonardo da Vinci stellen wir uns die Frage: Ist es möglich, die Welt des Jahres 2100 vorherzusagen? In der Tradition von Verne und Leonardo möchte ich in diesem Buch das Tun führender Wissenschaftler eingehend untersuchen, welche die Prototypen der Technologien bauen, die unsere Zukunft verändern werden. Dieses Buch ist keine Science-Fiction, kein Nebenprodukt der überhitzten Fantasie eines Hollywood-Drehbuchautors, sondern basiert vielmehr auf solider Wissenschaft, die heute in den besten Laboratorien rund um die Welt ausgeübt wird.
Die Prototypen all dieser Technologien existieren bereits. Wie William Gibson, Autor von Neuromancer, der den Begriff Cyberspace prägte, einst meinte: «Die Zukunft ist bereits da. Sie ist nur ungleichmäßig verteilt.»
Die Welt des Jahres 2100 vorherzusagen, ist eine gewaltige Aufgabe, denn wir befinden uns in einer Zeit tiefgreifender wissenschaftlicher Umbrüche, in der sich das Tempo von Entdeckungen ständig beschleunigt. In den letzten paar Jahrzehnten haben sich mehr wissenschaftliche Erkenntnisse angesammelt als in der ganzen Menschheitsgeschichte davor. Und bis 2100 werden sich diese wissenschaftlichen Erkenntnisse nochmals mehrfach verdoppelt haben.
Die beste Möglichkeit, die Ungeheuerlichkeit zu begreifen, 100 Jahre in die Zukunft zu blicken, besteht jedoch wohl darin, sich an die Welt von 1900 zu erinnern und daran, wie unsere Großeltern lebten.
Der Journalist Mark Sullivan fordert uns auf, sich einen Zeitungsleser im Jahr 1900 vorzustellen:
Der Amerikaner, der im Januar 1900 seine Zeitung aufschlug, fand darin keinen Begriff wie «Radio», denn das sollte erst 20 Jahre später eingeführt werden, oder «Film», denn auch der lag noch weitgehend in der Zukunft; auch «Chauffeur» war unbekannt, denn Automobile kamen gerade erst auf und wurden als «pferdelose Wagen» bezeichnet … Es gab keinen Ausdruck wie Pilot … Bauern hatten noch nichts von Traktoren gehört, Banker noch nichts vom Zentralbankensystem. Kaufleute hatten noch nichts von Ladenketten oder «Selbstbedienung» gehört, Seeleute noch nichts von Öl verbrennenden Motoren … auf den Landstraßen konnte man noch immer Ochsengespanne sehen … Pferde- oder Maultierkarren waren praktisch allgegenwärtig … Der Hufschmied unter der ausladenden Kastanie war eine Realität.[1]
Um die Schwierigkeit zu verstehen, die nächsten 100 Jahre vorherzusagen, müssen wir die Schwierigkeit von Menschen im Jahr 1900 nachempfinden, die Welt des Jahres 2000 vorherzusagen. Im Rahmen der Chicagoer Weltausstellung von 1893 wurden 74 wohlbekannte Persönlichkeiten gebeten vorherzusagen, wie sich das Leben in den nächsten 100 Jahren entwickeln würde. Das eine Problem war, dass die Befragten durchweg die Geschwindigkeit des Fortschritts in den Naturwissenschaften unterschätzten. So sagten beispielsweise viele richtig voraus, dass eines Tages kommerzielle Luftfahrzeuge über dem Atlantik kreuzen würden, doch sie dachten dabei an Ballons. Senator John J. Ingalls meinte: «Es wird für einen Bürger einmal ebenso üblich sein, nach seinem lenkbaren Ballon zu verlangen, wie es heute üblich ist, nach seinem Einspänner oder seinen Stiefeln zu verlangen.»[2] Den Befragten entging auch durchweg das Aufkommen des Automobils. So betonte der Vorsteher der amerikanischen Bundespost, Postmaster General John Wanamaker, die U. S. Mail werde auch noch in 100 Jahren per Postkutsche und Pferderücken geliefert werden.
Diese Unterschätzung von wissenschaftlichem Fortschritt und Innovation erstreckte sich sogar auf das Patentamt. Im Jahr 1899 meinte der Bevollmächtigte des amerikanischen Patentamts, Charles H. Duell: «Alles, was erfunden werden kann, ist bereits erfunden worden.»[3]
Einige Experten unterschätzten sogar das, was auf ihrem eigenen Gebiet direkt vor ihrer Nase geschah. Im Jahr 1927 meinte Harry M. Warner, einer der Gründer der Warner Brothers, während der Stummfilmära: «Wer, zum Teufel, will Schauspieler sprechen hören?»[4]
Und Thomas Watson, der Vorstandschef von IBM, erklärte 1943: «Ich denke, es gibt einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer.»[5]
Selbst die altehrwürdige New York Times unterschätzte die Tragweite wissenschaftlicher Entdeckungen gewaltig. (Im Jahr 1903 hatte die Times erklärt, Fluggeräte seien Zeitverschwendung; genau eine Woche später unternahmen die Gebrüder Wright in Kitty Hawk, North Carolina, einen erfolgreichen Gleitflug mit ihrem Doppeldecker. Im Jahr 1920 kritisierte die Times den Raketenwissenschaftler Robert Goddard und erklärte, seine Arbeit sei Unfug, weil sich Raketen im Vakuum nicht fortbewegen können. Neunundvierzig Jahre später, als die Apollo-11-Astronauten auf dem Mond landeten, veröffentlichte die Times, das sei zu ihrer Ehrenrettung gesagt, einen Widerruf: «Es ist nun zweifelsfrei erwiesen, dass eine Rakete im Vakuum funktionieren kann. Die Times bedauert ihren Irrtum.»[6]
Daraus kann man die Lehre ziehen, dass eine Wette gegen die Zukunft sehr gefährlich ist.
Vorhersagen über die Zukunft haben, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts immer unterschätzt. Geschichte, so wird uns immer wieder eingebläut, wird von den Optimisten geschrieben, nicht von den Pessimisten. Wie Präsident Dwight Eisenhower einmal meinte: «Pessimismus hat noch keinen Krieg gewonnen.»
Sogar Science-Fiction-Autoren haben die rasante wissenschaftliche Entwicklung unterschätzt. Wenn man sich Wiederholungen der alten SF-Serie Star Trek aus den 1960er Jahren anschaut, stellt man fest, dass ein Großteil der «Technologie des 23. Jahrhunderts» bereits heute existiert. Damals staunten die Fernsehzuschauer über Handys, transportable Computer, sprechende Apparate und Schreibmaschinen, die Diktate aufnehmen konnten. Doch all diese Technologien sind heute Wirklichkeit. Bald wird es auch Versionen des Universalübersetzers geben, der während des Sprechens rasch von der einen in die andere Sprache übersetzen kann, und auch «Tricorder», die Krankheiten aus der Ferne diagnostizieren können. (Mit Ausnahme des Warp-Antriebs und des Transporters existiert ein großer Teil dieser Wissenschaft des 23. Jahrhunderts bereits jetzt.)
Angesichts der eklatanten Fehler, die Leuten bei ihren Vorhersagen über die Zukunft unterlaufen sind, wie können wir da hoffen, unsere Zukunftsprognosen auf eine sicherere Basis zu stellen?
Heutzutage leben wir nicht länger im finsteren Zeitalter der Wissenschaft, als Blitze und Plagen als das Werk der Götter galten. Wir haben einen großen Vorteil, den Jules Verne und Leonardo da Vinci nicht hatten: ein solides Verständnis der Naturgesetze.
Vorhersagen werden immer fehlerhaft sein, doch eine Möglichkeit, sie so zuverlässig wie möglich zu machen, besteht darin, die vier fundamentalen Naturkräfte zu begreifen, die das gesamte Universum beherrschen. Jedes Mal, wenn eine dieser Kräfte verstanden und beschrieben wurde, veränderte sich die menschliche Geschichte.
Die erste Kraft, die erklärt wurde, war die Schwerkraft (Gravitation). Isaac Newton gab uns die Mechanik, die erklären konnte, dass Objekte durch Kräfte und nicht etwa durch geheimnisvolle Geister und Metaphysik bewegt werden. Diese Erkenntnis ebnete den Weg für die Industrielle Revolution und die Einführung der Dampfkraft, vor allem der Lokomotive.
Die zweite Kraft, die verstanden wurde, war die elektromagnetische Kraft, die unsere Städte beleuchtet und unsere Geräte speist. Als es Thomas Edison, Michael Faraday, James Clerk Maxwell und anderen gelang, Elektrizität und Magnetismus zu erklären, führte dies zur elektronischen Revolution, die eine Fülle wissenschaftlicher Wunderdinge schuf. Dieses Phänomen stellen wir jedes Mal fest, wenn es zu einem Stromausfall kommt und die Gesellschaft plötzlich 100 Jahre in die Vergangenheit zurückgeworfen wird.
Inzwischen verstehen wir diese vier Grundkräfte der Physik recht gut. Die erste Kraft, die Gravitation, ist heute durch Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie beschrieben, die drei anderen Kräfte durch die Quantentheorie, die uns erlaubt, die Geheimnisse der subatomaren Welt zu entziffern.
Der Quantentheorie verdanken wir wiederum den Transistor, den Laser und die digitale Revolution, die unsere moderne Gesellschaft vorantreibt. In ähnlicher Weise konnten Wissenschaftler mit Hilfe der Quantentheorie die Struktur des DNA-Moleküls aufklären. Die rasende Geschwindigkeit der biotechnologischen Revolution ist eine direkte Folge der Computertechnologie, da die DNA-Sequenzierung mit Unterstützung von Maschinen, Robotern und Computern durchgeführt wird.
Infolgedessen sind wir besser dafür gerüstet zu erkennen, in welcher Richtung sich Wissenschaft und Technik im kommenden Jahrhundert entwickeln werden. Natürlich wird es immer wieder Überraschungen geben, die uns sprachlos machen, doch die Fundamente der modernen Physik, Chemie und Biologie sind größtenteils gelegt, und wir erwarten keine wichtige Revision dieser grundlegenden Erkenntnisse, zumindest nicht in absehbarer Zukunft. Aus diesem Grund sind die Vorhersagen in diesem Buch nicht das Produkt wilder Spekulationen, sondern vernünftiger Extrapolationen, mit denen wir abschätzen können, wann die Prototyptechnologien von heute ausgereift sein werden.
Daher sprechen mehrere Gründe für die Annahme, dass wir die Welt des Jahres 2100 zumindest in Umrissen erkennen können:
Dieses Buch basiert auf Interviews mit mehr als 300 führenden Wissenschaftlern, die die Wegbereiter künftiger Entdeckungen sind.
Jede in diesem Buch erwähnte wissenschaftliche Entwicklung ist mit den bekannten physikalischen Gesetzen vereinbar.
Die vier Grundkräfte und die fundamentalen Naturgesetze sind weitgehend bekannt; wir erwarten keine bedeutenden Veränderungen dieser Gesetze.
Prototypen sämtlicher in diesem Buch diskutierten Technologien existieren bereits.
Dieses Buch ist von einem «Insider» verfasst, der einen direkten Einblick in die Technologien hat, die auf dem neuesten Stand der Forschung sind.
Seit grauer Vorzeit haben wir den Tanz der Naturkräfte passiv beobachtet. Kometen, Blitze, Vulkanausbrüche und Plagen riefen in uns Staunen und Furcht hervor, und wir glaubten, sie überstiegen menschliches Verständnis. Für die Menschen des Altertums waren die Kräfte der Natur ein ewiges Rätsel, gefürchtet und verehrt, und sie schufen die Götter der Mythologie, um der Welt ringsum einen Sinn zu verleihen. Die Menschen des Altertums hofften, diese Götter durch ihre Gebete milde zu stimmen, damit diese ihre größten Wünsche erfüllten.
Heutzutage sind wir zu Choreografen des Tanzes der Naturkräfte geworden und können die Naturgesetze hier und da ein wenig optimieren. Aber um 2100 werden wir die Natur beherrschen.
Wenn wir heute auf irgendeinem Wege die Menschen des Altertums besuchen und ihnen die Fülle der modernen wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften zeigen könnten, würde man uns als Magier betrachten. Dank wissenschaftlicher Zauberei könnten wir ihnen Düsenflieger zeigen, die in die Wolken aufsteigen, Raketen, die den Mond und die Planeten erforschen, Kernspintomografen, die ins Innere des Körpers schauen, und Handys, die uns mit jedermann auf dem Planeten in Kontakt bringen können. Wenn wir ihnen Laptops zeigten, die bewegte Bilder und Botschaften in Blitzesschnelle von einem Kontinent zum anderen senden können, würden sie dies als Zauberwerk ansehen.
Aber das ist nur der Anfang. Wissenschaft ist nichts Statisches. Ihr Umfang nimmt überall um uns herum exponentiell zu. Wenn man die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen nimmt, so zeigt sich, dass sich das schiere Volumen der Wissenschaft etwa alle zehn Jahre verdoppelt. Innovationen und Entdeckungen verändern die gesamte wirtschaftliche, politische und soziale Landschaft und werfen alle lieb gewordenen alten Überzeugungen und Vorurteile über den Haufen.
Nun riskieren Sie einen Blick in die Welt des Jahres 2100.
Um 2100 werden wir so mächtig wie die Götter sein, die wir einst verehrten und fürchteten. Aber diesen göttergleichen Status werden wir nicht mit Hilfe von Zauberstäben und -tränken erreichen, sondern durch Computerwissenschaften, Nanotechnologie, Künstliche Intelligenz, Biotechnologie und vor allem durch die Quantentheorie, auf der die genannten Technologien basieren.
Um 2100 werden wir wie die antiken Götter Objekte mit der Kraft unserer Gedanken manipulieren können. Computer, die lautlos unsere Gedanken lesen, werden unsere Wünsche ausführen. Wir werden Objekte allein durch unsere Gedanken bewegen, eine telekinetische Kraft, die gewöhnlich nur den Göttern vorbehalten ist. Dank Biotechnologie werden wir perfekte Körper schaffen und unsere Lebensspanne verlängern. Wir werden zudem Lebensformen kreieren, wie es sie auf der Erde nie zuvor gegeben hat. Dank Nanotechnologie werden wir einen Gegenstand in einen anderen umwandeln, etwas aus scheinbar fast nichts schaffen können. Wir werden nicht in feurigen Wagen, sondern in schnittigen Fahrzeugen über den Himmel ziehen, die selbständig aufsteigen und fast ohne Treibstoff durch die Luft gleiten. Mit unseren Maschinen werden wir die unbegrenzte Energie der Sterne nutzbar machen können. Wir werden zudem kurz davor stehen, Raumschiffe auszusenden, um nahe gelegene Sternsysteme zu erforschen.
Auch wenn diese göttergleichen Kräfte unvorstellbar fortgeschritten erscheinen, werden die Keime all dieser Technologien gerade jetzt gelegt, während Sie dies lesen. Die modernen Naturwissenschaften, nicht Beschwörungen und Zauberformeln, werden uns diese Macht verleihen.
Ich bin Quantenphysiker. Jeden Tag beschäftige ich mich mit den Gleichungen, die das Verhalten der subatomaren Teilchen beschreiben, aus denen das Universum besteht. Die Welt, in der ich lebe, ist das Universum des elfdimensionalen Hyperraums, der schwarzen Löcher und der Tore zum Multiversum. Doch die Gleichungen der Quantentheorie, mit deren Hilfe sich explodierende Sterne und der Urknall (Big Bang) beschreiben lassen, können auch dazu dienen, die Umrisse der Zukunft zu entschlüsseln.
Aber wohin führen all diese technologischen Veränderungen? Wo liegt der endgültige Bestimmungsort auf dieser langen Reise ins Reich von Wissenschaft und Technik?
Der Höhepunkt all dieser Umwälzungen ist die Bildung einer planetaren Zivilisation, die von Physikern als Typ-I-Zivilisation bezeichnet wird. Dieser Übergang markiert vielleicht den größten Übergang in der Geschichte der Menschheit, eine neue Richtung im Vergleich zu allen Zivilisationen der Vergangenheit. Jede Schlagzeile, die die Nachrichten beherrscht, spiegelt in gewisser Weise die Geburtswehen dieser planetaren Zivilisation wider. Handel, Kultur, Sprache, Unterhaltung, Freizeitaktivitäten und selbst Kriege – sie alle werden durch die Entstehung dieser planetaren Zivilisation revolutioniert. Wie aus dem Energieoutput des Planeten zu schließen, werden wir diesen Typ-I-Status vermutlich binnen 100 Jahren erreichen. Sofern wir nicht den Kräften von Chaos und Irrsinn anheimfallen, ist der Übergang zu einer planetaren Zivilisation zwangsläufig, diesem Endprodukt der enormen, unaufhaltsamen Kräfte von Geschichte und Technologie, die jenseits unserer Kontrolle stehen.
Aber viele Vorhersagen über das Informationszeitalter haben sich als spektakulär falsch erwiesen. So sagten viele Zukunftsforscher beispielsweise ein «Büro ohne Papier» voraus – sie nahmen an, der Computer würde Papier überflüssig machen. Tatsächlich ist es gerade umgekehrt gekommen. Ein Blick in ein beliebiges Büro zeigt, dass der Papierverbrauch tatsächlich größer ist als je zuvor.
Manche sahen auch eine «Stadt ohne Menschen» voraus. Futurologen nahmen an, Telekonferenzen via Internet würden Geschäftstreffen von Angesicht zu Angesicht unnötig machen, sodass niemand mehr zwischen Wohnung und Arbeitsplatz pendeln müsse. Die Städte würden sich weitgehend leeren und zu Geisterstädten werden, weil die Leute zu Hause statt in ihren Büros arbeiten.
Gleichermaßen würden wir den Aufstieg von «Cybertouristen» erleben, Stubenhocker, die den ganzen Tag auf ihrem Sofa verbringen, die Welt via Internet auf ihrem Computer durchstreifen und sich die jeweiligen Sehenswürdigkeiten anschauen. «Cybershopper» würden sämtliche Laufarbeit von ihrer Computermaus erledigen lassen. Einkaufszentren würden bankrottgehen. Und «Cyberstudenten» würden sämtliche Vorlesungen online verfolgen, während sie heimlich Computerspiele spielen und Bier trinken. Universitäten müssten mangels Interesse geschlossen werden.
Oder denken Sie an das Schicksal des «Bildtelefons». Auf der Weltausstellung 1964 gab das Unternehmen AT&T rund 100 Millionen Dollar für die Perfektionierung eines Fernsehschirms aus, der sich ans Telefonsystem anschließen ließ, sodass sich die Gesprächspartner auch sehen konnten. Die Idee setzte sich nie durch; AT&T verkaufte nur rund 100 Bildtelefone, was bedeutet, dass jedes verkaufte Gerät rund 1 Million Dollar an Kosten verursacht hatte – ein sehr teures Fiasko.
Und schließlich dachte man, der Niedergang traditioneller Medien und Unterhaltung stünde unmittelbar bevor. Einige Zukunftsforscher hielten das Internet für den Moloch, der Theater, Film, Radio und Fernsehen verschlingen werde, die bald nur noch im Museum zu bestaunen wären.
Tatsächlich ist es genau umgekehrt gekommen. Das Verkehrsgewühl ist schlimmer denn je – ein Dauerproblem in urbanen Zonen. Die Touristen besuchen fremde Länder in immer größeren Scharen und machen den Tourismus zu einem der am raschesten wachsenden Wirtschaftszweige der Welt. Trotz wirtschaftlich schwieriger Zeiten drängen sich die Käufer in den Geschäften. Statt dank Cyberhörsälen zu veröden, registrieren die Universitäten noch immer eine Rekordzahl von Studenten. Sicherlich ist es richtig, dass es heutzutage mehr Menschen gibt, die zu Hause arbeiten oder mit ihren Mitarbeitern per Telekonferenz kommunizieren, doch die Städte sind keinesfalls verödet. Vielmehr haben sie sich in ausufernde Megacitys verwandelt. Heutzutage ist es einfach, im Internet Videounterhaltungen zu führen, doch die meisten Menschen lassen sich nicht gern filmen und bevorzugen persönliche Treffen. Und natürlich hat das Internet die gesamte Medienlandschaft umgekrempelt, während Mediengiganten sich darüber den Kopf zerbrechen, wie sich mit dem Internet Geld verdienen lässt. Aber das Internet hat Fernsehen, Radio und Theater bisher keineswegs verdrängt. Die Lichter am Broadway leuchten noch immer so hell wie eh und je.
Warum sind diese Vorhersagen nicht eingetroffen? Meiner Meinung nach haben Menschen diese Fortschritte vor allem deshalb abgelehnt, weil sie dem Höhlenmenschenprinzip, wie ich es nenne, widersprechen. Genetische und fossile Belege sprechen dafür, dass der moderne Mensch, der genauso aussah wie wir, vor mehr als 100000 Jahren aus Afrika kam, doch nichts spricht dafür, dass sich unser Gehirn und unsere Persönlichkeit seitdem stark verändert haben. Ein Mensch aus dieser Zeit würde sich anatomisch nicht von uns heute lebenden Menschen unterscheiden: Würde er baden, sich rasieren, einen Dreiteiler anziehen und über die Wall Street schlendern, würde er keinerlei Aufsehen erregen. Auch unsere Wünsche, Träume, Persönlichkeiten und Begierden haben sich in den letzten 100000 Jahren wohl nicht grundlegend verändert. Wahrscheinlich denken wir noch immer so wie unsere höhlenbewohnenden Vorfahren.
Der Punkt ist: Wann immer es zu einem Konflikt zwischen der modernen Technik und den Begierden unserer primitiven Vorfahren kommt, dann gewinnen diese primitiven Begierden – und zwar jedes Mal. Das ist das Höhlenmenschenprinzip. So verlangte der Höhlenmensch beispielsweise stets einen «Beweis für den Jagderfolg». Es reichte nicht aus, mit der fetten Beute zu prahlen, die man beinahe erwischt hätte. Die frisch getötete Beute in der Hand war stets mehr wert als Geschichten über Beute, die entkommen war. Darum möchten wir einen Ausdruck, wann immer wir es mit elektronischen Dateien zu tun haben. Instinktiv misstrauen wir den Elektronen, die in unserem Computerbildschirm hin- und herflitzen, und drucken unsere E-Mails und Berichte auch dann aus, wenn dies nicht nötig ist. Darum konnte sich das papierlose Büro nie durchsetzen.
Ebenso schätzten unsere Vorfahren stets den Kontakt von Angesicht zu Angesicht. Das half, die Bindung zu anderen Gruppenmitgliedern zu stärken und ihre verborgenen Gefühle zu lesen. Aus diesem Grund wurden auch die menschenleeren Städte nie Wirklichkeit. Beispielsweise möchte ein Chef vielleicht seine Angestellten genauer einschätzen. Das lässt sich online nur schwer bewerkstelligen, aber bei persönlichem Kontakt kann der Chef die subtile Körpersprache seines Gegenübers lesen und so wichtige, unbewusst geäußerte Informationen gewinnen, die ihm sogar einiges über die Gedanken seines Gegenübers verraten. Das ist ein Erbe unserer äffischen Vorfahren, die – viele Jahrtausende, bevor ihre Nachfahren eine Lautsprache entwickelten – fast ausschließlich Körpersprache benutzten, um ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken.
Aus diesem Grund hat sich auch der Cybertourismus nie durchgesetzt. Es ist eine Sache, ein Bild des Tadsch Mahal zu sehen, aber eine ganz andere, damit angeben zu können, persönlich davor gestanden zu haben. Genauso ist es nicht dasselbe, ob man sich die CD seines Lieblingsmusikers anhört oder diesen Musiker hautnah auf einem Livekonzert erlebt. Ein Theaterstück im Fernsehen ist nicht zu vergleichen mit dem Drama, das auf der Bühne von realen Schauspielern dargeboten wird. Und Fans nehmen viele Mühen auf sich, um ein persönliches Autogramm «ihres» Lieblingsschauspielers zu ergattern, obwohl sie sich kostenlos ein signiertes Bild aus dem Internet herunterladen könnten.
Das erklärt, warum die Vorhersage, das Internet werde Fernsehen und Radio verdrängen, nicht wahr geworden ist. Als Filme und das Radio aufkamen, beklagten die Leute den Tod des Theaters. Als das Fernsehen aufkam, sagten die Leute den Niedergang von Filmen und Radio voraus. Heute erleben wir eine Mischung all dieser Medien. Die Lehre daraus ist, dass ein Medium niemals ein älteres Medium auslöscht, sondern mit ihm koexistiert. Lediglich die Mischung und die Beziehungen zwischen diesen Medien verändern sich ständig. Derjenige, der korrekt voraussagen kann, wie die Mischung dieser Medien in Zukunft aussehen wird, könnte sehr reich werden.
Der Grund dafür ist, dass unsere Vorfahren stets etwas mit eigenen Augen sehen wollten, statt sich auf Hörensagen zu verlassen. Es war entscheidend für unser Überleben in der Savanne, sich auf reale objektive Beweise statt auf Gerüchte zu verlassen. Selbst in 100 Jahren werden wir noch ins Theater gehen und Berühmtheiten hinterherjagen, ein Erbe unserer fernen Vergangenheit.
Zudem stammen wir von Jägern ab. Daher lieben wir es, anderen zuzusehen und sogar stundenlang vor dem Fernseher zu sitzen und die Eskapaden unserer Mitmenschen zu beobachten, werden aber sofort nervös, wenn wir das Gefühl haben, dass wir von anderen beobachtet werden. Wie sich wissenschaftlich belegen lässt, werden wir schon dann nervös, wenn ein Fremder uns rund 4 Sekunden lang anstarrt. Nach etwa 10 Sekunden reagieren wir gereizt und feindselig auf das Starren. Aus diesem Grund war das ursprüngliche Bildtelefon so ein Flop. Und wer möchte sich schon durchs Haar kämmen, bevor er online geht? (Heute, nach Jahrzehnten langsamer, mühsamer Verbesserungen, beginnen sich Videokonferenzen allmählich durchzusetzen.)
Und inzwischen ist es auch möglich, Lehrveranstaltungen online zu besuchen. Aber die Universitäten quellen über von Studenten. Studenten ziehen das persönliche Zusammentreffen mit Professoren, die ihnen individuelle Aufmerksamkeit schenken und Fragen beantworten, Online-Veranstaltungen noch immer vor. Und ein Universitätsabschluss wiegt bei der Stellenvergabe noch immer mehr als ein Online-Diplom.
Daher gibt es einen dauernden Wettstreit zwischen dem Anblick auf dem Bildschirm und dem direkten Berühren von Dingen ringsum. Dabei wollen wir beides, und aus diesem Grund gibt es im Zeitalter von Cyberspace und virtueller Realität noch immer Theater, Rockkonzerte, Papierausdrucke und Tourismus. Wenn wir jedoch zwischen einem kostenlosen Foto unseres Lieblingsmusikers oder Freikarten für sein Konzert wählen sollen, werden wir uns zweifellos für die Tickets entscheiden.
Das ist also das Höhlenmenschenprinzip: Wir hätten gern beides, doch wenn wir wählen müssen, entscheiden wir uns wie unsere höhlenbewohnenden Vorfahren für das Greifbare.
Dieses Prinzip hat jedoch eine unerwartete Konsequenz. Als das Internet damals in den 1960er Jahren aus der Taufe gehoben wurde, nahm man allgemein an, es werde sich zu einem Forum für Bildung, Wissenschaft und Fortschritt entwickeln. Daher waren viele entsetzt zu sehen, dass es bald zu diesem grenzenlosen Wildwuchs kam. Tatsächlich war so etwas jedoch zu erwarten. Wenn man die sozialen Interaktionen von Menschen in der Zukunft voraussagen möchte, folgt aus dem Höhlenmenschenprinzip, dass man sich einfach die sozialen Interaktionen von 100000 Jahren vorstellen sollte und das Ergebnis mit einer Milliarde multipliziert. Das heißt, dass Klatsch und Tratsch, soziale Kontaktpflege und Unterhaltung belohnt werden. Gerüchte waren in einem Stamm zur raschen Weitergabe von Information überlebenswichtig, vor allem, was die Führer und die Rollenvorbilder betraf. Diejenigen Stammesmitglieder, die dabei nicht einbezogen wurden, überlebten oft nicht lange genug, um ihre Gene weiterzugeben. Heute können wir dies im Kassenbereich von Supermärkten sehen, wo Klatschmagazine über Berühmtheiten ganze Regalwände füllen, und den Aufstieg einer Kultur nachvollziehen, bei der sich alles um Berühmtheiten dreht. Der einzige Unterschied heute ist, dass der Umfang dieses Stammesklatsches durch die Massenmedien enorm angestiegen ist und nun innerhalb von Sekundenbruchteilen die Erde mehrfach umkreisen kann.
Die plötzliche Ausbreitung von Websites, die der sozialen Kontaktpflege dienen und pausbäckige Jungunternehmer fast über Nacht in Milliardäre verwandelten, traf viele Analysten völlig unvorbereitet, ist aber ebenfalls ein Beispiel für dieses Prinzip. In der Geschichte der menschlichen Evolution konnten diejenigen, die umfangreiche soziale Netzwerke unterhielten, auf diese zurückgreifen, um sich überlebenswichtige Ressourcen, Rat und Unterstützung zu sichern.
Und natürlich wird die Unterhaltungsindustrie weiter explosionsartig wachsen. Wir geben es manchmal vielleicht nicht gern zu, aber ein wichtiger Teil unserer Kultur basiert auf Unterhaltung. Nach der Jagd entspannten sich unsere Vorfahren und vertrieben sich die Zeit. Das war nicht nur für die Bindung untereinander wichtig, sondern auch, um die eigene Stellung innerhalb des Stammes zu festigen. Es ist sicherlich kein Zufall, dass Tanzen und Singen – wesentliche Komponenten der Unterhaltung – auch im Tierreich eine wichtige Rolle spielen, um dem anderen Geschlecht die eigene Fitness zu illustrieren. Wenn Vogelmännchen wunderbare, komplexe Melodien singen oder bizarre Balztänze aufführen, wollen sie damit vor allem dem anderen Geschlecht demonstrieren, dass sie gesund, körperlich in Topform sowie frei von Parasiten sind und Gene haben, die es wert sind, an die nächste Generation weitergegeben zu werden.
Und das Schaffen von Kunst diente nicht nur dem eigenen Vergnügen, sondern spielte auch eine wichtige Rolle bei der Evolution unseres Gehirns, das einen Großteil der Information in Form von Symbolen verarbeitet.
Falls wir unsere grundlegende Persönlichkeit also nicht genetisch verändern, dürfen wir erwarten, dass die Macht von Unterhaltungsindustrie, Klatschmagazinen und sozialer Kontaktpflege in Zukunft nicht ab-, sondern zunehmen wird.
Ich habe einmal einen Film gesehen, der meine Haltung gegenüber der Zukunft für immer verändert hat. Er hieß Forbidden Planet (deutsch: Alarm im Weltall) und basierte auf Shakespeares Der Sturm. In dem Film trafen Astronauten auf die Überreste einer antiken Zivilisation, die uns zu ihrer Blütezeit Millionen Jahre voraus war. Die dort lebenden Wesen hatten das ultimative Ziel ihrer Technologie erreicht: unendliche Macht ohne Instrumentalität, d.h. die Macht, fast alles allein durch die Kraft ihres Geistes zu tun. Ihre Gedanken zapften kolossale thermonukleare Kraftwerke tief im Inneren des Planeten an, die jeden ihrer Wünsche realisierten. Mit anderen Worten besaßen sie göttergleiche Kräfte.
Wir werden ähnliche Kräfte besitzen, doch wir werden nicht Millionen Jahre darauf warten müssen. Wir werden nur ein Jahrhundert warten müssen, und wir können die Keime dieser Zukunft bereits in unserer heutigen Technologie erkennen. Doch der Film hatte auch eine Moral, denn diese göttliche Macht führte diese Zivilisation schließlich ins Verderben.
Natürlich ist die Wissenschaft ein zweischneidiges Schwert; sie schafft ebenso viele Probleme, wie sie löst, aber auf einer stets höheren Ebene. In unserer modernen Welt gibt es zwei konkurrierende Trends: Einer besteht darin, eine planetare Zivilisation zu schaffen, die tolerant, wissenschaftlich geprägt und wohlhabend ist, der andere glorifiziert hingegen Anarchie und Ignoranz, die das Gefüge unserer Gesellschaft zerstören könnten. Wir haben noch immer dieselben sektiererischen, fundamentalistischen, irrationalen Leidenschaften wie unsere Vorfahren, doch der Unterschied ist, dass wir heute über nukleare, chemische und biologische Waffen verfügen.
In der Zukunft werden wir unseren Status als passive Beobachter des Tanzes der Natur gegen den von Choreografen der Natur eintauschen, um irgendwann zu Herren und schließlich zu Bewahrern der Natur zu werden. Lassen Sie uns daher hoffen, dass wir das Schwert der Wissenschaft mit Weisheit und Augenmaß führen werden und unsere barbarische Vergangenheit hinter uns lassen können.
Lassen Sie uns nun zu unserer hypothetischen Reise durch die nächsten 100 Jahre wissenschaftlicher Neuerungen und Entdeckungen aufbrechen, wie sie mir von Wissenschaftlern geschildert wurden, die an der Verwirklichung dieser Zukunft arbeiten. Es wird ein wilder Ritt durch die Fortschritte in Computertechnik, Telekommunikation, Biotechnologie, Künstlicher Intelligenz und Nanotechnologie sein. All dies wird die Zukunft der Zivilisation zweifellos verändern.
Geist über Materie
Jeder hält die Grenzen des eigenen Gesichtsfelds für die Grenzen der Welt.
Arthur Schopenhauer
Kein Pessimist hat je die Geheimnisse der Sterne ergründet, ist in ein unbekanntes Land gesegelt oder hat einen neuen Weg zum menschlichen Geist gefunden.
Helen Keller
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich vor fast 20 Jahren im Büro von Mark Weiser in Silicon Valley saß und er mir seine Sicht der Zukunft schilderte. Voller Enthusiasmus erklärte er mir, eine neue Revolution stehe vor der Tür, die die Welt verändern werde. Weiser gehörte zur Computerelite und arbeitete im Xerox PARC (Pablo Alto Research Center; in diesem Forschungszentrum wurden der Personal Computer, der Laserdrucker und die Windows-typische Architektur mit einer grafischen Benutzeroberfläche entwickelt), aber er war ein Querdenker, ein Bilderstürmer, der gegen konventionelle Lebenserfahrung anrannte, und zudem Mitglied einer wilden Rockband.
Damals waren PCs noch neu, und die Menschen begannen gerade erst, sich für die Idee zu erwärmen, große, unförmige Desktop-Computer zu kaufen, um Tabellenkalkulationen durchzuführen und ein wenig Textverarbeitung zu betreiben. Das Internet war noch immer weitgehend die Domäne von Wissenschaftlern wie mir, die am laufenden Band in einer geheimnisvollen Sprache Gleichungen für ihre wissenschaftlichen Kollegen produzierten. Es gab hitzige Debatten darüber, ob dieser Kasten auf dem Schreibtisch unsere Zivilisation mit seinem starren, mitleidlosen Blick entmenschlichen würde. Selbst der politische Analytiker William F. Buckley musste das Textverarbeitungsprogramm gegen Intellektuelle verteidigen, die dagegen Sturm liefen und sich weigerten, einen Computer, den sie als kulturloses Gerät schmähten, auch nur zu berühren.
In dieser Zeit der Kontroverse prägte Weiser den Ausdruck vom «allgegenwärtigen Rechnen». Weit über den PC hinausblickend, sah er voraus, dass Mikrochips einst so billig und massenhaft verfügbar sein würden, dass sie praktisch allgegenwärtig sein würden – in unserer Kleidung, unseren Möbeln, den Wänden, sogar in unserem Körper. Und sie wären alle mit dem Internet verbunden, würden Daten miteinander teilen, unser Leben komfortabler machen, all unsere Wünsche registrieren. Wohin wir auch gingen, überall gäbe es Chips, die still und leise unsere Wünsche erfüllen.
Für die damalige Zeit waren Weisers Träume eigenartig, wenn nicht gar grotesk. Die meisten PCs waren noch recht teuer und besaßen keinen Internetanschluss. Die Vorstellung, dass Millionen Mikrochips eines Tages so billig wie fließendes Wasser sein würden, galt als Hirngespinst.
Und dann fragte ich ihn, warum er sich so sicher sei, dass diese Revolution kommen würde. Die Rechenkapazität von Computern wachse exponentiell, erwiderte er ruhig, und ein Ende dieses Trends sei nicht in Sicht. Rechne doch einfach nach, wollte er mir damit sagen. Diese Entwicklung war nur eine Frage der Zeit. (Leider konnte Weiser nicht mehr erleben, wie seine Revolution wahr wurde; er starb 1999 an Krebs.)
Die Triebkraft hinter Weisers prophetischen Träumen wird manchmal als das Moore’sche Gesetz bezeichnet, eine Faustregel, die die Computerindustrie seit 50 Jahren oder noch länger vorantreibt und das Tempo der modernen Zivilisation wie eine Uhr bestimmt. Das Moore’sche Gesetz besagt ganz einfach, dass sich die Rechenkapazität von Computern etwa alle 18 Monate verdoppelt. Diese simple Gesetzmäßigkeit, die von Gordon Moore, Mitbegründer der Intel Corporation, 1965 formuliert wurde, hat dazu beigetragen, die Weltwirtschaft zu revolutionieren und sagenhaften neuen Reichtum zu schaffen – und sie hat unser Leben unwiderruflich verändert. Wenn man den Preisverfall von Computerchips gegen deren rasche Fortschritte im Hinblick auf Geschwindigkeit, Rechen- und Speicherkapazität gegen die Zeit aufträgt, stößt man auf eine bemerkenswert gerade Linie, die 50 Jahre zurückreicht. (Diese Gerade ist auf halblogarithmischem Papier aufgetragen. Wenn man den Graph weiterführt, sodass er die Vakuumröhrentechnologie und selbst handbetriebene mechanische Addiermaschinen umfasst, reicht die Gerade sogar mehr als 100 Jahre zurück.)
Exponentielles Wachstum ist oft schwer zu erfassen, denn wir denken linear. Es erfolgt so allmählich, dass man die Veränderung manchmal gar nicht wahrnimmt. Aber im Lauf von Jahrzehnten kann es alles um uns herum vollständig verändern.
Dem Moore’schen Gesetz zufolge sind unsere Computerspiele jedes Jahr Weihnachten fast doppelt so leistungsstark (bezogen auf die Zahl der Transistoren) wie die Spiele vom Vorjahr. Im Lauf der Jahre wächst dieser winzige Zugewinn zu einem gewaltigen Berg an. Schon heute steckt in einer Geburtstagskarte mit einem Chip, der dem Empfänger ein «Happy Birthday»-Ständchen bringt, mehr Computerleistung, als sämtlichen alliierten Kräften im Jahr 1945 zur Verfügung stand. Hitler, Churchill oder Roosevelt hätten alles daran gesetzt, um an diesen Chip zu gelangen. Aber was tun wir damit? Nach dem Geburtstag werfen wir Karte und Mikrochip einfach weg. Heutzutage verfügt Ihr Handy über mehr Computerleistung als die gesamte NASA1969, als sie zwei Astronauten auf den Mond brachte. Videospiele, die enorme Mengen an Computerleistung benötigen, um 3-D-Situationen zu simulieren, bringen es auf eine höhere Computerleistung als die Großrechner des vergangenen Jahrzehnts. Die Sony PlayStation von heute, die rund 300 Dollar kostet, hat die Leistungsfähigkeit eines militärischen Supercomputers aus dem Jahr 1997, der viele Millionen Dollar kostete.
Wir können uns den Unterschied zwischen linearem und exponentiellem Wachstum von Computerleistung verdeutlichen, wenn wir analysieren, wie Menschen im Jahr 1949 die Zukunft des Computers sahen. Damals sagte das Wissenschafts- und Technikmagazin Popular Mechanics voraus, dass die Computerleistung linear wachsen und sich im Lauf der Zeit nur verdoppeln oder verdreifachen würde. Es schrieb: «Wo ein Rechner wie ENIAC heute mit 18000 Vakuumröhren ausgestattet ist und 30 Tonnen wiegt, haben Computer in Zukunft vielleicht nur noch 1000 Vakuumröhren und wiegen nur anderthalb Tonnen.»[7]
(Mutter Natur schätzt die Macht des exponentiellen Wachstums. Ein einzelnes Virus kann in eine menschliche Zelle eindringen und sie zwingen, mehrere hundert Kopien seiner selbst anzufertigen. Ein Virus, das in jeder Generation um einen Faktor 100 wächst, kann in nur fünf Generationen 10 Milliarden Viren generieren. Kein Wunder, dass ein einzelnes Virus den menschlichen Körper mit Billionen gesunder Zellen infizieren und innerhalb einer Woche eine Erkältung auslösen kann.)
Nicht nur die Leistungsfähigkeit von Computern ist stark gestiegen, sondern auch die Art und Weise, wie diese Leistung abgegeben wird, hat sich radikal verändert, und das hat enorme Folgen für die Wirtschaft. Wir können diese Progression Jahrzehnt um Jahrzehnt verfolgen:
1950er Jahre: Mit Vakuumröhren ausgestattete Computer waren gigantische Geräte, die einen ganzen Raum mit einem Gewirr von Kabeln, Spulen und Stahl füllten. Nur das reiche Militär konnte sich derartige Monstrositäten leisten.
1960er Jahre: Transistoren ersetzten die Vakuumröhren-Computer, und Großrechner eroberten allmählich den kommerziellen Markt.
1970er Jahre: Integrierte Schaltkreise mit Hunderten von Transistoren führten zum Bau des Minicomputers, der die Größe eines großen Schreibtischs hatte.
1980er Jahre: Mikrochips mit einigen zehn Millionen Transistoren ermöglichten die Schaffung von Personal-Computern (PCs), die in eine Aktentasche passen.
1990er Jahre: Das Internet verband viele hundert Millionen Computer zu einem einzigen globalen Computernetzwerk.
2000er Jahre: Das «Ubiquitous Computing» löste den Mikrochip vom Computer; so werden Chips überall in der Umwelt installiert.
Daher wird das alte Paradigma (ein einzelner Chip in einem Desktop-Computer oder einem Laptop, der mit einem Computer verbunden ist) durch ein neues Paradigma ersetzt (Tausende von Chips im Inneren eines jeden Artefakts, ob Möbel, Geräte, Bilder, Wände, Autos und Kleidung, die alle miteinander kommunizieren und mit dem Internet verbunden sind).
Sobald diese Chips in ein Gerät eingesetzt werden, verwandelt sich dieses Gerät wie durch ein Wunder. Als Chips in Schreibmaschinen eingesetzt wurden, wurden diese zu Textverarbeitungsgeräten. Eingesetzt in Telefone, wurden diese zu Handys. Eingesetzt in Kameras, wurden diese zu Digitalkameras. Aus Flippern wurden Videospiele. Aus Plattenspielern wurden iPods. Aus Flugzeugen wurden tödliche ferngesteuerte Drohnen. Jedes Mal wurde eine Industrie revolutioniert und neu geboren. Schließlich wird fast alles rund um uns herum intelligent sein. Chips werden so billig werden, dass sie noch weniger kosten als Plastikhüllen, und sie werden den Strichcode ersetzen. Unternehmen, die nicht auf intelligente Produkte umsatteln, werden feststellen müssen, dass sie von ihren innovativeren Konkurrenten vom Markt gedrängt werden.
Natürlich werden wir noch immer von Computerbildschirmen umgeben sein, doch sie werden eher Tapeten, Bilderrahmen oder Familienfotos ähneln als Computern. Stellen Sie sich all die Bilder und Fotos vor, die unser Zuhause heutzutage schmücken. Und stellen Sie sich nun vor, dass jedes einzelne animiert ist, sich bewegt und mit dem Internet verbunden ist. Wenn wir nach draußen gehen, werden wir Bilder sehen, die sich bewegen, weil bewegte Bilder genauso wenig kosten wie statische.
Computer werden – wie andere Massentechnologien, zum Beispiel Elektrizität, Papier und fließendes Wasser – weitgehend unsichtbar werden, das heißt, sie werden im Gewebe unseres Lebens verschwinden, überall und nirgends sein, lautlos und unauffällig unsere Wünsche erfüllen.
Wenn wir heute einen Raum betreten, suchen wir automatisch nach dem Lichtschalter, da wir annehmen, dass Wände elektrifiziert sind. In Zukunft werden wir uns, wenn wir einen Raum betreten, zuerst nach dem Internetportal umsehen, weil wir davon ausgehen, dass der Raum intelligent ist. Wie der Schriftsteller Max Frisch einst meinte: «Technik [ist] der Kniff, die Welt so einzurichten, dass wir sie nicht erleben müssen.»[8]
Das Moore’sche Gesetz erlaubt uns auch vorauszusagen, wie sich die Computertechnik in naher Zukunft entwickeln wird. Im kommenden Jahrzehnt werden Chips mit superempfindlichen Sensoren ausgerüstet werden, sodass sie Krankheiten, Unfälle und Notfälle entdecken und uns alarmieren können, bevor die Situation außer Kontrolle gerät. Sie werden bis zu einem gewissen Grad menschliche Stimmen und Gesichter erkennen und in einer formalen Sprache Konversation betreiben können. Sie werden ganze virtuelle Welten schaffen können, von denen wir heute nur träumen können. Um 2020 könnte der Preis für einen Chip auf einen Cent fallen und damit etwa so viel kosten wie Notizpapier. Dann wird es überall in unserer Umgebung Millionen von Chips geben, die lautlos unsere Befehle ausführen.
Und schließlich wird der Begriff Computer aus unserem Wortschatz verschwinden.
Um den weiteren Fortschritt von Wissenschaft und Technik zu diskutieren, habe ich jedes Kapitel in drei Zeitabschnitte unterteilt: die nahe Zukunft (bis 2030), gegen Mitte des Jahrhunderts (von 2030 bis 2070) und schließlich die ferne Zukunft (von 2070 bis 2100). Diese Zeitabschnitte sind nur grobe Annäherungen, doch sie zeigen den Zeitrahmen für die verschiedenen Trends, die in diesem Buch diskutiert werden.
Der rasche Anstieg der Rechenleistung wird uns bis zum Jahr 2100 eine Macht ähnlich derjenigen der mythologischen Götter verleihen, die wir einst verehrten, und uns in die Lage versetzen, die Welt um uns herum allein durch unsere Gedanken zu kontrollieren. Wie die antiken Götter, die Objekte bewegen und Leben mit einer einfachen Handbewegung oder einem Kopfnicken umformen konnten, werden auch wir in der Lage sein, die Welt um uns herum mit unseren geistigen Kräften zu kontrollieren.
Ich erinnere mich an eine Folge von Star Trek, in der die Crew der Enterprise auf einem Planeten landete, der von griechischen Göttern bewohnt war. Vor ihnen stand, hoch aufragend, der Gott Apoll, eine gigantische Figur, die die Crew mit göttergleichen Eigenschaften blenden und einschüchtern konnte. Die Wissenschaft des 23. Jahrhunderts war machtlos und hatte einem Gott, der tausend Jahre zuvor im antiken Griechenland den Himmel beherrschte, nichts entgegenzusetzen. Aber sobald sich die Crew von dem Schock erholt hatte, auf leibhaftige griechische Götter zu stoßen, erkannte sie bald, dass es eine Quelle für diese Macht geben müsse, dass Apoll in geistigem Kontakt mit einem Zentralcomputer samt Kraftwerk stehen müsse, der dann seine Wünsche erfüllte. Nachdem die Crew die Energiequelle lokalisiert und zerstört hatte, wurde Apoll wieder zu einem gewöhnlichen Sterblichen.
Das war nichts weiter als eine Hollywoodstory. Doch wenn man die radikalen Entdeckungen, die heute in Laboratorien gemacht werden, weiterspinnt, kann man sich den Tag vergegenwärtigen, an dem wir ebenfalls Computer telepathisch steuern und über die Macht dieses Apoll verfügen.
Die nahe Zukunft (Gegenwart bis 2030)
Heutzutage können wir mit dem Internet via Computer und Handy kommunizieren. Aber in Zukunft wird das Internet überall sein – in Wänden und Möbeln, auf Reklametafeln und selbst in unseren Brillen und Kontaktlinsen. Wenn wir blinzeln, gehen wir online.
Es gibt mehrere Möglichkeiten, das Internet auf eine Linse zu projizieren. Das Bild kann von den Brillengläsern direkt durch unsere Linse auf die Netzhaut (Retina) unserer Augen geworfen werden. Das Bild könnte auch auf die Linse projiziert werden, die dann als Bildschirm fungieren würde. Oder der Bildschirm könnte wie eine kleine Juwelierlupe am Rahmen der Brillengläser befestigt werden. Wenn wir durch die Brille schauen, sehen wir das Internet, als schauten wir auf eine Filmleinwand. Wir können es dann mit einer Handschaltung bedienen, die den Computer über eine drahtlose Verbindung steuert. Alternativ könnten wir das Bild auch einfach mit Fingerbewegungen in der Luft kontrollieren, denn der Computer erkennt die Position unserer Finger, während wir sie bewegen.
Seit 1991 arbeiten Wissenschaftler der University of Washington zum Beispiel an der Perfektionierung eines Visualisierungssystems, des sogenannten Virtual Retinal Display (VRD), bei dem rotes, grünes und blaues Laserlicht direkt auf die Retina geworfen wird. Mit einem Sehfeld von 120 Grad und einer Auflösung von 1600 × 1200 Pixel kann das VRD mit Hilfe eines Helms oder einer Brille ein brillantes, lebensechtes Bild vergleichbar einem Kinobild erzeugen.
In den 1990er Jahren hatte ich Gelegenheit, ein frühes Modell dieser Internet-Brille auszuprobieren, das von Wissenschaftlern im Media Lab des MIT entwickelt worden war. Das Modell sah wie eine ganz normale Brille aus, doch in der rechten Ecke des Brillenglases war eine etwa 1,3 cm lange zylindrische Linse angebracht. Ich konnte ohne Probleme durch die Gläser sehen, doch sobald ich die Brille antippte, rutschte die kleine Linse vor meine Augen. Als ich in die Linse schaute, konnte ich deutlich einen ganzen Computerbildschirm erkennen, der kaum kleiner als ein normaler PC-Schirm erschien. Ich war überrascht, wie scharf das Bild war. Dann erhielt ich ein Gerät, etwa so groß wie ein Handy, mit mehreren Knöpfen. Durch Drücken der Knöpfe konnte ich den Cursor auf dem Schirm steuern und sogar Anweisungen tippen.
Im Jahr 2010 fuhr ich für einen Spezialbeitrag des Science Channel nach Fort Benning, Georgia, um über das neueste Projekt der US-Armee, das «Internet für das Schlachtfeld», genannt Land Warrior (Landkrieger), zu berichten. Ich setzte einen Spezialhelm auf, an dessen Seite ein Miniaturbildschirm angebracht war. Als ich den Bildschirm vor meine Augen schob, sah ich plötzlich ein verblüffendes Szenario: Vor mir lag das gesamte Schlachtfeld, die Stellungen von verbündeten und feindlichen Truppen säuberlich mit X markiert. Der Nebelschleier des Krieges wurde gelüftet, und GPS-Sensoren lokalisierten präzise die Position aller Truppen, Panzer und Gebäude. Drückte man einen Knopf, veränderte sich das Bild, und man erhielt auf dem Schlachtfeld einen Internetzugang und Informationen über Wetterbedingungen, Stellung verbündeter und feindlicher Truppen sowie Strategie und Taktik.
Bei einer deutlich weiter fortgeschrittenen Version würde das Internet durch Einbetten eines Chips sowie eines LCD-Displays in den Kunststoff unserer Kontaktlinsen direkt auf die Netzhaut projiziert. Babak A. Parviz und seine Gruppe an der University of Washington in Seattle legen gerade das Fundament für die Internetkontaktlinsen und entwerfen Prototypen, die auf die Dauer unseren Zugang zum Internet verändern könnten.
Eine sofortige Anwendung dieser Technik sieht Parviz im medizinischen Bereich: Sie könnte Diabetikern helfen, ihren Blutzuckerspiegel zu regulieren, da die Linse Körperfunktionen ständig überwachen kann. Aber das ist erst der Anfang. Parviz sieht den Tag kommen, an dem wir jeden Film, jeden Song, jede Website oder jede andere Information aus dem Internet in unsere Kontaktlinsen herunterladen können. Unsere Kontaktlinsen werden uns mit einem kompletten Heimunterhaltungssystem ausstatten – wir brauchen uns nur noch zurücklehnen und Spielfilme ungekürzt genießen. Wir können die Linsen auch verwenden, um direkt mit unserem Computer im Büro in Verbindung zu treten und dann die Dateien zu bearbeiten, die vor unseren Augen erscheinen. Vom Strand aus werden wir per Lidschlag an Telekonferenzen im Büro teilnehmen können.
Durch Einsatz von Mustererkennungssoftware in dieser Internetbrille wird die Brille auch Objekte und sogar die Gesichter einiger Menschen erkennen können. Bereits heute sind einige Softwareprogramme in der Lage, vorprogrammierte Gesichter mit einer Treffsicherheit von mehr als 90 Prozent zu identifizieren. Nicht nur der Name, sondern auch die Biografie der Person, mit der Sie gerade reden, könnte während der Unterredung vor Ihren Augen auftauchen. Auf einem Meeting ist dann Schluss mit der peinlichen Situation, auf jemanden zu treffen, den man kennt, aber an dessen Namen man sich nicht erinnern kann. Das könnte auch auf Cocktailpartys wichtig sein, wo sich viele Fremde tummeln, von denen einige wirklich wichtig sind, Sie aber nicht wissen, wer diese Gäste sind. In Zukunft kann man Fremde identifizieren und etwas über ihren Hintergrund erfahren, noch während man mit ihnen spricht. (Das erinnert ein wenig an die Welt, wie sie durch die Roboteraugen im Film Terminator gesehen wird.)
Das könnte auch das Bildungssystem verändern. In Zukunft können Schüler während ihres Abschlussexamens mittels ihrer Kontaktlinsen das Internet lautlos nach Antworten auf die gestellten Fragen durchsuchen, was wohl ein Problem für Lehrer wäre, die oft aufs Auswendiglernen setzen. Das bedeutet, dass Pädagogen stattdessen stärker die Fähigkeit zu eigenständigem und logischem Denken betonen müssen.
Im Rahmen Ihrer Brille könnte auch eine kleine Videokamera eingelassen sein, die Ihre Umgebung filmt und dann die Bilder direkt ins Internet stellt. Menschen in aller Welt könnten so Ihre Erlebnisse in Echtzeit teilen. Was auch immer Sie sehen, Tausende anderer Menschen werden es ebenfalls sehen können. Eltern werden wissen, was ihre Kinder gerade tun. Liebende können ihre Erlebnisse teilen, auch wenn sie voneinander getrennt sind. Konzertbesucher können Fans in aller Welt an ihrer Begeisterung teilhaben lassen. Inspektoren können weit entfernte Fabriken besuchen und die Livebilder anschließend direkt auf die Kontaktlinsen des Chefs projizieren. (Oder ein Ehepartner macht den Einkauf, während der andere ihm sagt, was er kaufen soll.)
Es ist Parviz bereits gelungen, einen Computerchip derart zu verkleinern, dass dieser sich im Polymerfilm einer Kontaktlinse installieren lässt. Er hat mit Erfolg eine Licht emittierende Diode (LED) in eine Kontaktlinse eingefügt und arbeitet nun an einer Linse mit einer 8 × 8-Anordnung von LEDs. Seine Kontaktlinsen lassen sich drahtlos steuern. «Diese Komponenten werden schließlich Hunderte von LEDs enthalten, die vor dem Auge Bilder entstehen lassen, zum Beispiel Worte, Tabellen und Fotos», so Parviz. «Ein großer Teil der Hardware ist halbdurchsichtig, sodass die Träger sich in ihrer Umgebung bewegen können, ohne überall anzustoßen oder die Orientierung zu verlieren.»[9] Sein ultimatives Ziel ist es, eine Kontaktlinse mit 3600 Pixeln, keines dicker als 10 Mikrometer, zu konstruieren.
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