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Wir leben in einer Zeit, in der Science-Fiction zu Science wird. Ideen, die früher als utopische Spinnereien galten, sind heute Bestandteil seriöser wissenschaftlicher Theorien. Michio Kaku, Physiker von Weltruf, entführt seine Leser in diesem kurzweilig geschriebenen kosmologischen Klassiker in die verborgene Welt eines Raum-Zeitgefüges, das nicht vier, sondern zehn Dimensionen hat, in die Welt der Superstrings, Schwarzen Löcher, Paralleluniversen und Zeitreisen. Eine spannende und verständliche Einführung in die revolutionären Veränderungen im Weltbild der Physik in den vergangenen 150 Jahren und bis heute. «Kaku versteht es meisterhaft, die Kompliziertheiten der theoretischen Physik in Alltagssprache zu übersetzen.» (Deutschlandradio Kultur) Hinweis: Offensichtliche Anachronismen der Ausgabe von 1998, vornehmlich Zeitangaben, wurden für diese Ausgabe behutsam aktualisiert.
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Seitenzahl: 653
Michio Kaku
Die Physik der unsichtbaren Dimensionen
Eine Reise durch Zeittunnel und Paralleluniversen
Aus dem Englischen von Hainer Kober
Rowohlt E-Book
Als dieses Buch entstand, arbeiteten nur wenige sehr engagierte theoretische Physiker über das Konzept der höheren Dimensionen und der Stringtheorie. Die Vorstellung, es könnte andere Universen in höheren Dimensionen geben, hielt man für Science-Fiction-verdächtig. Bei einigen Forschern galt sie sogar als lächerlich.
Doch inzwischen ist die Welt der Physik auf den Kopf gestellt worden. Heute gibt es kaum eine größere Universität, in der sich nicht eine Forschungsgruppe mit höherdimensionalen Theorien beschäftigt. In vielen internationalen Konferenzen und Tausenden von Arbeiten hat man sich um das Verständnis der schönen, aber rätselhaften Konsequenzen dieser hyperräumlichen Theorien bemüht. Die Revolution in der Physik war so aufsehenerregend, dass sogar die Publikumspresse auf diese Theorien aufmerksam wurde. So haben sich mittlerweile Begriffe wie Hyperraum, Stringtheorie, Paralleluniversum und Multiversum in unserer Sprache und Kultur eingebürgert.
Mehrere Faktoren haben diese dramatische Kehrtwendung ermöglicht. Erstens gibt es auf experimentellem Gebiet den Erfolg des Standardmodells der Teilchen. Jedes Mal, wenn Physiker Protonen kollidieren lassen, erhalten sie einen Schauer von vielen hundert subatomaren Teilchen, die sich in das Standardmodell einordnen lassen. Mit der sensationellen Entdeckung des Higgs-Bosons im Jahr 2013 ist das letzte fehlende Steinchen des Standardmodells gefunden worden. Paradoxerweise aber treten die Mängel des Modells umso deutlicher zutage, je erfolgreicher es wird. Sogar seinen Schöpfern ist klar, dass es nicht die endgültige Theorie sein kann. Sie ist einfach zu unhandlich und schwerfällig. So hat die Theorie rund 20 freie Parameter, die sich beliebig variieren lassen, dazu hantiert sie mit 36 Quarks und Antiquarks sowie drei fast identischen Teilchengenerationen. Schlimmer noch: Sie lässt die Gravitation fast völlig unberücksichtigt und kann nur 4 Prozent des Universums erklären (die anderen 96 Prozent werden von dunkler Materie und dunkler Energie gebildet). In ihrem Innersten sind die Physiker felsenfest davon überzeugt, dass eine endgültige Theorie einfach, schön und elegant sein muss.
Nachdem der Large Hadron Collider im Umland von Genf inzwischen das Higgs-Teilchen entdeckt hat, wäre der nächste Schritt, über das Standardmodell hinauszugehen und etwas zu erzeugen, das wir als «dunkle Materie» bezeichnen und das 23 Prozent des Universums stellt. Den vielversprechendsten Anwärter auf die dunkle Materie liefert die Stringtheorie. Vielleicht besteht die dunkle Materie einfach aus höheren Schwingungen des Strings. Nach dem Bild, das diese Theorie entwirft, besteht alles, was wir um uns her sehen, aus den niedrigsten Schwingungen zehndimensionaler Strings. Höhere Schwingungen sind unsichtbar und bilden die dunkle Materie.
Zweitens gibt es die theoretischen Triumphe der höherdimensionalen Theorien, die möglicherweise das höchste Paradoxon der Physik lösen können. Die Natur gibt uns zwei Theorien an die Hand, in denen alle physikalischen Gesetze zusammengefasst sind: die Theorie des sehr Kleinen (die Quantentheorie, die das Atom beschreibt) und die Theorie des sehr Großen (Einsteins allgemeine Relativitätstheorie, die das expandierende Universum erklärt). Leider sind diese beiden großen Theorien, die unser gesamtes physikalisches Wissen repräsentieren, nicht miteinander vereinbar. Bei dem naiven Versuch, diese beiden Theorien zu verbinden, entstehen grausige mathematische Widersprüche (sogenannte Anomalien und Divergenzen).
Daher ist der heilige Gral der Physik die Entwicklung einer einzigen, umfassenden Theorie, die diese beiden Entwürfe elegant zu einer einzigen zusammenfassen kann. Einstein verbrachte die letzten dreißig Jahre seines Lebens mit der – am Ende vergeblichen – Suche nach einer solchen Theorie.
Wenn wir schwingende Strings im zehndimensionalen Hyperraum untersuchen, können wir zeigen, dass sich diese mathematischen Probleme exakt aufheben. Tatsächlich ist es nur der Stringtheorie gelungen, alle mathematischen Herausforderungen zu bewältigen, die sich bei einer Theorie von Allem stellen. Es gibt schlicht und einfach nichts Vergleichbares.
Doch all das ist erst der Anfang. Schönheit und Eleganz allein reichen nicht aus, um eine Theorie zu rechtfertigen. Wir hoffen, in den kommenden Jahren den experimentellen Beweis für die Existenz höherer Dimensionen zu finden. Der erste Schritt bestünde darin, dunkle Materie im Labor zu erzeugen und festzustellen, ob sie mit der Stringtheorie übereinstimmt. Als Nächstes haben die Physiker vor, Satelliten ins All zu bringen, die die Gravitationsschwingungen der Genesis selbst auffangen können. Der größte Teilchenzertrümmerer ist nicht der Large Hadron Collider, sondern der Urknall selbst.
Künftige Weltraumdetektoren, wie etwa die Laser Interferometry Space Antenna (LISA), sind vielleicht in der Lage, gravitative Stoßwellen des Schöpfungsaugenblicks aufzufangen. Indem wir «das Videoband rückwärts abspielen», können wir vielleicht berechnen, was vor dem Urknall geschah – in einem Bereich, den nur die Stringtheorie beschreiben kann. Daraus ergibt sich möglicherweise ein neues Bild. Vielleicht ist unser Universum nur eine Blase unter einer Vielzahl anderer Blasen-Universen, die miteinander kollidieren und sich sogar in kleinere Blasen aufteilen können. Das könnte die Entstehung des Urknalls erklären.
Ich hoffe, der Leser wird einen Eindruck von der Erregung und dem Staunen bekommen, die gegenwärtig die Welt der Physik erfasst haben, denn wir sind im Begriff, einige der ältesten philosophischen und existenziellen Fragen anzugehen, etwa was vor der Schöpfung geschah, ob es andere Dimensionen gibt, ob sich Zugänge zu anderen Universen auftun und ob wir in der Zeit rückwärts gehen können.
Letztlich könnte der Schlüssel zu allen diesen Fragen in den unsichtbaren Dimensionen, im Hyperraum zu finden sein.
Michio Kaku
New York
Juli 2013
Fast definitionsgemäß müssen wissenschaftliche Revolutionen den gesunden Menschenverstand vor den Kopf stoßen.
Wären alle unsere alltäglichen Vorstellungen über das Universum richtig, hätte die Naturwissenschaft die Geheimnisse des Universums schon vor Jahrtausenden gelöst. Die Wissenschaft setzt sich das Ziel, die Erscheinung der Dinge wie eine Schale abzuziehen und darunter ihre tiefere Natur zu enthüllen. Wenn nämlich Erscheinung und Wesen gleich wären, brauchte es keine Wissenschaft zu geben.
Wohl keine dieser alltäglichen Vorstellungen über unsere Welt ist so tief verwurzelt wie die, dass sie dreidimensional ist. Offenkundig reichen Länge, Breite und Höhe aus, um alle Objekte in unserem sichtbaren Universum zu beschreiben. Wie man aus Experimenten mit Säuglingen und Tieren weiß, werden wir mit dem Empfinden geboren, dass unsere Welt dreidimensional ist. Betrachten wir die Zeit als eine weitere Dimension, so lässt sich jedes Ereignis im Universum durch vier Dimensionen beschreiben. Überall, wo wir mit unseren Instrumenten hingedrungen sind – vom Inneren des Atoms bis zu den fernsten Regionen von Galaxienhaufen –, haben wir nur Belege für diese vier Dimensionen gefunden. Wer öffentlich behauptet, es gäbe andere Dimensionen oder unser Universum würde mit solchen Dimensionen koexistieren, muss sich auf Spott gefasst machen. Und doch ist dieses tief verwurzelte Vorurteil über unsere Welt, über das sich schon die griechischen Philosophen vor zweitausend Jahren den Kopf zerbrachen, im Begriff, dem Fortschritt der Wissenschaft zu weichen.
Dieses Buch befasst sich mit einer wissenschaftlichen Revolution, die durch die Hyperraumtheorie[1] herbeigeführt wurde. Danach gibt es neben den üblicherweise akzeptierten vier Dimensionen von Raum und Zeit noch andere. Weltweit wächst bei Physikern, darunter etlichen Nobelpreisträgern, die Überzeugung, das Universum könnte in einem höherdimensionalen Raum existieren. Wenn sich diese Theorie bestätigt, wird sie zu einer tiefgreifenden begrifflichen und philosophischen Umwälzung in unserem Verständnis des Universums führen. Wissenschaftlich wird die Hyperraumtheorie als Kaluza-Klein-Theorie oder Supergravitation bezeichnet. Doch in ihrer kühnsten Formulierung heißt sie Superstringtheorie und sagt sogar die genaue Dimensionenzahl voraus: zehn. Die üblichen drei Dimensionen des Raums (Länge, Breite und Höhe) und die eine der Zeit werden um sechs weitere räumliche Dimensionen erweitert.
Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Hyperraumtheorie experimentell noch nicht bestätigt worden ist und dass es auch außerordentlich schwierig wäre, sie im Labor zu beweisen. Dennoch hat sie bereits in die wichtigsten physikalischen Forschungslabors der Welt Eingang gefunden und die wissenschaftliche Landschaft der modernen Physik unwiderruflich verändert, wobei sie die Literatur um eine verblüffende Zahl von Forschungsberichten bereichert hat. Doch für das Laienpublikum ist nicht so viel geschrieben worden, um die faszinierenden Eigenschaften des höherdimensionalen Raums zu erklären. Deshalb hat die breite Öffentlichkeit von dieser Revolution, wenn überhaupt, nur eine blasse Vorstellung. Tatsächlich sind die leichtfertigen Hinweise auf andere Dimensionen und Paralleluniversen in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen häufig irreführend. Das ist bedauerlich, weil die Bedeutung der Theorie in ihrer Fähigkeit liegt, alle bekannten physikalischen Phänomene in einem erstaunlich einfachen Begriffsrahmen zu vereinheitlichen. Dieses Buch bietet zum ersten Mal eine wissenschaftlich stichhaltige, dabei aber verständliche Erläuterung der faszinierenden Forschungsergebnisse zum Hyperraum, die dem neuesten Stand entsprechen.
Um verständlich zu machen, warum die Hyperraumtheorie so viel Aufregung in der Welt der theoretischen Physik hervorgerufen hat, habe ich meinen Gegenstand in vier große Themen aufgegliedert, die sich wie ein roter Faden durch das Buch ziehen. Sie unterteilen das Buch in vier Teile.
In Teil eins schildere ich die frühe Geschichte des Hyperraums. Dabei möchte ich zeigen, dass die Naturgesetze einfacher und eleganter werden, wenn man sie in höheren Dimensionen ausdrückt.
Betrachten wir das folgende Problem, um zu verstehen, warum das Hinzutreten höherer Dimensionen physikalische Probleme vereinfachen kann: Für die alten Ägypter war das Wetter ein absolutes Geheimnis. Wodurch entstehen die Jahreszeiten? Warum wird es wärmer, wenn man weiter nach Süden kommt? Warum wehen Winde meist aus einer Himmelsrichtung? Aus dem eingeengten Blickwinkel der alten Ägypter, denen die Erde flach wie eine zweidimensionale Ebene erschien, ließ sich das Wetter nicht erklären. Doch stellen wir uns vor, wir würden die Ägypter mit einer Rakete in den Weltraum schicken, von wo aus sie die Erde als Ganzes in ihrer Umlaufbahn um die Sonne erblicken könnten. Plötzlich wären die Antworten auf diese Fragen selbstverständlich.
Vom Weltraum aus betrachtet, zeigt sich deutlich, dass die Erdachse um 23 Grad von der Senkrechten («senkrecht» zur Ebene der Erdumlaufbahn um die Sonne) abweicht. Wegen dieser Schrägstellung erhält die nördliche Erdhalbkugel während des einen Abschnitts ihrer Umlaufbahn weniger Sonnenlicht als während des anderen. Deshalb gibt es Winter und Sommer. Und da der Äquator mehr Sonnenlicht bekommt als die nördliche oder südliche Polarregion, wird es wärmer, je näher wir dem Äquator kommen. Ähnlich verhält es sich mit dem Wetter: Da die Erde sich für jemanden, der am Nordpol sitzt, gegen den Uhrzeigersinn dreht, verschiebt sich die kalte Polarluft seitlich, während sie sich nach Süden zum Äquator bewegt. Die durch die Erddrehung hervorgerufene Bewegung der warmen und kalten Luftmassen erklärt also unter anderem, warum der Wind in bestimmten Erdregionen überwiegend aus einer bestimmten Himmelsrichtung weht.
Mit einem Wort, die ziemlich schwierigen Wettergesetze sind leicht zu verstehen, sobald man die Erde aus dem Weltraum betrachtet. Die Lösung des Problems liegt also darin, dass man im Raum nach oben geht, in die dritte Dimension. Tatsachen, die sich in einer flachen Welt nicht verstehen lassen, werden plötzlich einleuchtend, sobald man die dreidimensionale Erde vor Augen hat.
Entsprechend scheinen die Gesetze der Schwerkraft und des Lichtes nichts miteinander gemein zu haben. Sie beruhen auf unterschiedlichen physikalischen Voraussetzungen und folgen anderen mathematischen Gesetzen. Alle Versuche, die beiden Kräfte miteinander zu verknüpfen, sind gescheitert. Doch wenn man den üblichen vier Dimensionen von Raum und Zeit eine weitere, eine fünfte Dimension hinzufügt, scheinen die Gleichungen, die das Licht und die Schwerkraft bestimmen, ineinanderzugreifen wie zwei Teile eines Puzzles. So erkennen wir, dass die Gesetze von Licht und Schwerkraft in fünf Dimensionen einfacher werden.
Deshalb sind viele Physiker heute davon überzeugt, dass eine konventionelle vierdimensionale Theorie «zu klein» ist, um die Kräfte, die unser Universum bestimmen, angemessen zu beschreiben. In einer vierdimensionalen Theorie müssen Physiker die Naturkräfte schwerfällig und künstlich zusammenpressen. Außerdem ist diese Mischtheorie fehlerhaft. Doch wenn wir mehr als vier Dimensionen zulassen, haben wir «genug Platz», um die Grundkräfte elegant und in sich schlüssig zu erklären.
In Teil zwei führe ich diese einfache Idee weiter aus und lege dar, dass die Hyperraumtheorie möglicherweise in der Lage ist, alle bekannten Naturgesetze in einer einzigen Theorie zu vereinigen. Insofern könnte die Hyperraumtheorie der krönende Abschluss von zweitausend Jahren wissenschaftlicher Forschung sein: die Vereinheitlichung aller bekannten physikalischen Kräfte. Damit hätten wir dann vielleicht den heiligen Gral der Physik gefunden, die «Theorie für alles», nach der Einstein so viele Jahrzehnte vergebens gesucht hat.
Seit fünfzig Jahren zerbricht man sich den Kopf darüber, warum die Grundkräfte, die den Kosmos zusammenhalten – Gravitation, Elektromagnetismus, die starke und die schwache Kernkraft –, sich so sehr unterscheiden. Die klügsten Köpfe des 20. Jahrhunderts haben versucht, ein einheitliches Bild aller bekannten Kräfte zu entwerfen, und sind daran gescheitert. Dagegen bietet die Hyperraumtheorie die Möglichkeit, die vier Naturkräfte und die scheinbar zufällige Ansammlung von subatomaren Teilchen auf wahrhaft elegante Weise zu erklären. In der Hyperraumtheorie kann man «Materie» auch als Schwingungen betrachten, die sich im Gewebe von Zeit und Raum ereignen. Daraus ergibt sich die faszinierende Möglichkeit, dass alles, was wir um uns her sehen – Bäume, Berge und sogar Sterne –, lediglich Schwingungen im Hyperraum sind. Wenn das stimmt, verfügen wir über eine elegante, einfache und geometrische Methode, um das ganze Universum schlüssig und zwingend zu beschreiben.
In Teil drei beschäftige ich mich mit der Möglichkeit, dass der Raum unter extremen Bedingungen so gestreckt werden kann, bis er bricht oder reißt. Mit anderen Worten, der Hyperraum bietet uns die Möglichkeit, Raum und Zeit zu durchtunneln. Zwar ist dieses Gebiet noch sehr spekulativ, aber es gibt Physiker, die ernsthaft die Eigenschaften von «Wurmlöchern» untersuchen – Tunneln, die ferne Gebiete von Raum und Zeit miteinander verbinden. Beispielsweise haben Wissenschaftler vom California Institute of Technology in vollem Ernst die Möglichkeit einer Zeitmaschine erwogen, die aus einem Wurmloch zwischen Vergangenheit und Zukunft besteht. Heute haben Zeitmaschinen das Reich von Spekulation und Phantasie verlassen und sind zu legitimen Gebieten der wissenschaftlichen Forschung geworden.
Kosmologen haben sogar die verblüffende Möglichkeit erörtert, dass unser Universum eines unter einer unendlichen Zahl von Paralleluniversen sei. Man könnte diese Universen mit einer großen Wolke von Seifenblasen in der Luft vergleichen. Normalerweise ist jede Berührung zwischen den Blasenuniversen unmöglich, aber bei genauerer Untersuchung von Einsteins Gleichungen konnten Kosmologen zeigen, dass es möglicherweise ein Geflecht von Wurmlöchern oder Röhren gibt, die diese Paralleluniversen verbinden. Auf jeder Blase können wir unseren eigenen, charakteristischen Raum und die Zeit definieren, die nur auf der Blasenoberfläche Bedeutung haben. Außerhalb der Blasen sind Raum und Zeit ohne Bedeutung.
Obwohl viele Konsequenzen dieser Diskussion rein theoretischen Charakter haben, könnte sich die Hyperraumreise am Ende als die praktischste Anwendungsmöglichkeit erweisen: Um nämlich intelligentes Leben, einschließlich des unseren, vor dem Tod des Universums zu bewahren. Der allgemeinen wissenschaftlichen Auffassung zufolge muss das Universum mit allem Leben, das sich in Jahrmilliarden entwickelt hat, irgendwann sterben. Nach der herrschenden Theorie, der Urknalltheorie, hat mit einer kosmischen Explosion vor 15 bis 20 Milliarden Jahren eine Expansionsbewegung des Universums eingesetzt, die mit großen Geschwindigkeiten Sterne und Galaxien von uns fortschleudert. Doch wenn das Universum eines Tages in seiner Expansion innehält und anfängt, sich wieder zusammenzuziehen, wird es schließlich in einer feurigen Katastrophe, großer Endkollaps genannt, in sich zusammenstürzen, und alles intelligente Leben wird in der unvorstellbaren Hitze ein Ende finden. Nach den Spekulationen einiger Physiker bietet die Hyperraumtheorie für intelligentes Leben die einzige Hoffnung auf Rettung. In den letzten Sekunden vor dem Tod unseres Universums kann dieses Leben dem Endkollaps vielleicht dadurch entgehen, dass es in den Hyperraum flieht.
In Teil vier stelle ich eine abschließende, praktische Frage: Wann werden wir in der Lage sein, die Energie zu nutzen, die uns die Hyperraumtheorie verspricht, falls sie sich als richtig erweisen sollte? Das ist keine rein akademische Frage, weil in der Vergangenheit die Nutzung einer der vier Grundkräfte stets den Verlauf der menschlichen Geschichte unwiderruflich verändert und uns so aus der Unwissenheit und Not der vorindustriellen Gesellschaften in die moderne Zivilisation geführt hat. In gewisser Hinsicht lässt sich die ganze Wegstrecke menschlicher Geschichte in neuem Licht sehen, wenn man die fortschreitende Beherrschung jeder der vier Kräfte zugrunde legt. Mit der Entdeckung und Kontrolle jeder dieser Kräfte hat die Geschichte der Zivilisation einen tiefgreifenden Wandel erlebt.
Als beispielsweise Isaac Newton die klassischen Gravitationsgesetze niederschrieb, entwickelte er die Theorie der Mechanik und damit die Gesetze, die uns ermöglichten, Maschinen zu bauen. Das wiederum führte zu einer erheblichen Beschleunigung der industriellen Revolution und zur Freisetzung von politischen Kräften, die schließlich Europas feudale Dynastien stürzten. Mitte der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts entdeckte James Clerk Maxwell die Grundgesetze der elektromagnetischen Kraft und leitete so das elektrische Zeitalter ein, dem wir Dynamo, Radio, Fernsehen, Radar, Haushaltsgeräte, Telefon, Mikrowelle, Unterhaltungselektronik, Computer, Laser und viele andere elektronische Wunder verdanken. Ohne das Verständnis und die Anwendung der elektromagnetischen Kraft wäre die Entwicklung der Zivilisation ins Stocken geraten und auf dem Stand vor der Entdeckung der Glühlampe und des Elektromotors erstarrt. Die Nutzung der Kernkraft Mitte der 1940er Jahre brachte mit der Entwicklung der Atom- und Wasserstoffbombe, den schlimmsten Massenvernichtungsmitteln des Planeten, abermals eine tiefgreifende Umwälzung. Da wir noch nicht an der Schwelle eines einheitlichen Verständnisses aller kosmischen Kräfte des Universums stehen, ist zu vermuten, dass jede Zivilisation, die die Hyperraumtheorie meistert, das Universum beherrschen wird.
Da die Hyperraumtheorie ein genau definiertes System von mathematischen Gleichungen ist, können wir exakt berechnen, wie viel Energie erforderlich ist, um Raum und Zeit zu einer Brezel zu verbiegen oder Wurmlöcher zu erzeugen, die ferne Teile unseres Universums miteinander verbinden. Leider sind die Ergebnisse enttäuschend. Die dafür erforderliche Energie übersteigt bei weitem jede Menge, die unser Planet liefern kann. Tatsächlich ist die Energie eine Billiarde Mal größer als die Energie unserer größten Atomzertrümmerer. Wir müssen sicherlich noch Jahrhunderte oder gar Jahrtausende warten, bis unsere Zivilisation die technischen Möglichkeiten zu einer solchen Handhabung der Raumzeit entwickelt – oder hoffen, dass eine höher entwickelte Zivilisation, die den Hyperraum bereits beherrscht, mit uns Verbindung aufnimmt. Deshalb befasse ich mich zum Schluss mit der faszinierenden, aber spekulativen wissenschaftlichen Frage, welchen technischen Entwicklungsstand wir erreichen müssten, um über den Hyperraum gebieten zu können.
Da uns die Hyperraumtheorie weit über die normalen, alltäglichen Vorstellungen von Raum und Zeit hinausführt, habe ich einige rein hypothetische Geschichten in den Text eingestreut. Zu dieser pädagogischen Methode hat mich der Nobelpreisträger Isidore I. Rabi durch eine Rede angeregt, die er vor einer Zuhörerschaft von Physikern hielt. Er beklagte den erbarmungswürdigen Zustand des naturwissenschaftlichen Unterrichts in den Vereinigten Staaten und warf der physikalischen Gemeinschaft vor, sie vernachlässige ihre Pflicht, indem sie es versäume, die Abenteuer der Wissenschaft der breiten Öffentlichkeit und vor allem der Jugend auf allgemeinverständliche Weise nahezubringen. Nach seiner Meinung haben die Science-Fiction-Autoren mehr als alle Physiker zusammen dafür getan, dem Publikum eine Vorstellung von der aufregenden Geschichte der Naturwissenschaften zu vermitteln.
In einem früheren Buch – Jenseits von Einstein. Die Suche nach der Theorie des Universums (das ich zusammen mit Jennifer Trainer geschrieben habe) – beschäftigte ich mich mit der Superstringtheorie, die die Beschaffenheit subatomarer Teilchen beschreibt, ging dabei ausführlich auf das sichtbare Universum ein und zeigte, wie sich die ganze Vielfalt der Materie möglicherweise durch winzige, schwingende Strings oder Fäden erklären lässt. Im vorliegenden Buch wende ich mich einem anderen Thema zu und setze mich mit dem unsichtbaren Universum auseinander – das heißt der Welt der Geometrie und der Raumzeit. Gegenstand dieses Buches ist nicht die Beschaffenheit der subatomaren Teilchen, sondern der höherdimensionalen Welt, in der sie wahrscheinlich existieren. Im Fortgang meiner Darlegungen wird der Leser sehen, dass der höherdimensionale Raum keineswegs ein leerer, passiver Hintergrund ist, vor dem die Quarks ihre ewig gleichen Rollen spielen, sondern vielmehr zum Hauptdarsteller im Schauspiel der Natur wird.
Wenn wir uns mit der faszinierenden Geschichte der Hyperraumtheorie beschäftigen, werden wir feststellen, dass die Suche nach der fundamentalen Beschaffenheit der Materie, mit der die Griechen vor 2000 Jahren begonnen haben, lang war und viele Umwege erlebte. Wenn künftige Wissenschaftshistoriker eines Tages das Schlusskapitel dieses langen Epos schreiben, werden sie den entscheidenden Durchbruch vielleicht darin sehen, dass die konventionellen Theorien mit drei oder vier Dimensionen durch die Theorie des Hyperraums abgelöst wurden.
M.K.
New York
Mai 1993
Das eigentlich schöpferische Prinzip
liegt aber in der Mathematik.
In einem gewissen Sinn halte ich es also für wahr,
dass dem reinen Denken das Erfassen
des Wirklichen möglich sei,
wie es die Alten geträumt haben.[1]
Albert Einstein
Ich möchte wissen, wie Gott diese Welt
erschaffen hat. Diese oder jene Erscheinung
interessiert mich nicht. Ich möchte seine
Gedanken kennen, alles andere sind Einzelheiten.
Albert Einstein
In meiner Kindheit haben mir zwei Ereignisse sehr geholfen, die Welt besser zu verstehen. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass ich theoretischer Physiker wurde.
Manchmal suchten meine Eltern mit mir den berühmten Japanischen Teegarten in San Francisco auf. In einer meiner glücklichsten Kindheitserinnerungen hocke ich dort am Teich und bin fasziniert von den in allen Farben schillernden Karpfen, die langsam unter den Wasserrosen hindurchschwimmen. In diesen stillen Augenblicken ließ ich meiner Phantasie freien Lauf. Ich stellte die törichten Fragen, die wohl nur einem Einzelkind einfallen, etwa, wie wohl die Karpfen die Welt um sich her sehen mochten. Und ich dachte: Was für eine seltsame Welt muss das sein!
Da sie ihr ganzes Leben in dem flachen Teich verbrachten, glaubten sie sicherlich, ihr «Universum» bestehe aus dem trüben Wasser und den Rosen. Während sie den größten Teil ihrer Zeit mit Futtersuche auf dem Grund des Teiches zu tun hatten, waren sie sich wohl nur höchst vage bewusst, dass es noch eine fremde Welt über der Oberfläche geben könnte. Die Beschaffenheit meiner Welt überstieg ihr Fassungsvermögen. Mich faszinierte, dass ich nur ein paar Zentimeter vom Karpfen entfernt sitzen konnte und doch durch Welten von ihm getrennt war. Wir beide, der Karpfen und ich, verbrachten unser Leben in zwei verschiedenen Universen und vermochten nie, in die Welt des anderen zu gelangen, obwohl wir doch nur durch eine winzige Barriere getrennt waren – die Wasseroberfläche.
Vielleicht gab es auch «Karpfenwissenschaftler» unter den Fischen. Sicherlich spotteten sie über jeden Fisch, so malte ich mir aus, der behauptete, es könnte eine Parallelwelt über den Wasserrosen geben. Für einen «Karpfenwissenschaftler» waren nur die Dinge real, die ein Fisch sehen oder berühren konnte. Der Teich war ihnen alles. Eine unsichtbare Welt jenseits des Teichs war ohne wissenschaftlichen Sinn.
Einmal wurde ich vom Regen überrascht. Auf der Teichoberfläche explodierten Tausende winziger Regentropfen. Sie geriet in wilden Aufruhr, und die Wellen bewegten die Wasserrosen hin und her. Nachdem ich mich vor Wind und Regen in Sicherheit gebracht hatte, fragte ich mich, wie all das den Karpfen erscheinen mochte. Für sie musste es so aussehen, als bewegten sich die Wasserrosen von allein, ohne dass jemand sie stieß. Da das Wasser, in dem sie lebten, ihnen vermutlich unsichtbar erschien, nicht anders als uns die Luft und der Raum, waren sie sicherlich verblüfft, dass sich die Wasserrosen von allein bewegen konnten.
So verfielen ihre «Wissenschaftler», wie ich mir ausmalte, auf eine schlaue Erfindung, eine sogenannte «Kraft», um ihre Unwissenheit zu verbergen. Da sie sich die Wellen auf der unsichtbaren Oberfläche nicht vorstellen konnten, gelangten sie zu dem Schluss, Lilien könnten auch ohne Berührung durch eine geheimnisvolle, unsichtbare Erscheinung, eine sogenannte Kraft eben, bewegt werden, die zwischen ihnen wirke. Vielleicht versahen sie dieses illusionäre Wesen mit einem eindrucksvollen, hochtrabenden Namen (Fernwirkung etwa, womit die Fähigkeit gemeint wäre, die Lilien zu bewegen, ohne sie zu berühren).
Einmal versuchte ich, mir vorzustellen, was geschähe, wenn ich ins Wasser griffe und einen der «Karpfenwissenschaftler» aus dem Wasser holte. Bevor ich ihn ins Wasser zurückwürfe, würde er bei meiner Untersuchung wütend zappeln. Wie mochte das den anderen Karpfen erscheinen? Für sie wäre es wohl ein wirklich beunruhigendes Ereignis gewesen. Zunächst würden sie bemerken, dass einer ihrer «Wissenschaftler» aus ihrem Universum verschwunden wäre. Er hätte sich einfach in Luft aufgelöst, ohne eine Spur zu hinterlassen. In ihrem Universum wäre nicht der geringste Hinweis auf den vermissten Karpfen zu entdecken. Doch Sekunden später, nachdem ich den «Wissenschaftler» wieder in den Teich zurückgeworfen hätte, würde er plötzlich wieder aus dem Nichts auftauchen. Die anderen Karpfen müssten den Eindruck haben, es sei ein Wunder geschehen.
Sobald er sich wieder gefasst hätte, würde der «Wissenschaftler» eine wahrhaft erstaunliche Geschichte erzählen: «Aus heiterem Himmel wurde ich irgendwie aus dem Universum (Teich) gehoben und in eine geheimnisvolle Unterwelt geschleudert, in der es blendende Lichter und merkwürdig geformte Dinge gab, wie ich sie noch nie zuvor erblickt hatte. Am merkwürdigsten aber war das Geschöpf, das mich gefangen hielt und nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem Fisch hatte. Erschrocken bemerkte ich, dass es überhaupt keine Flossen hatte, sich aber auch ohne sie bewegen konnte. Mir fiel auf, dass die gewohnten Naturgesetze in dieser Unterwelt keine Geltung mehr hatten. Genauso plötzlich wurde ich dann in unser Universum zurückgeworfen.» (Natürlich wäre eine solche Geschichte von einer Reise über die Grenzen des Universums hinaus so phantastisch, dass die meisten Karpfen sie als völligen Quatsch abtäten.)
Ich denke häufig, dass wir wie Karpfen sind, die zufrieden in ihrem Teich schwimmen. Da leben wir in unserem «Teich» und sind der festen Überzeugung, dass unser Universum nur aus den Dingen besteht, die wir sehen oder berühren können. Wie die Karpfen glauben wir, unser Universum setze sich nur aus vertrauten und sichtbaren Elementen zusammen. Überheblich weisen wir jede Vermutung zurück, es könnte auch Paralleluniversen oder zusätzliche Dimensionen geben, die sich unserer Wahrnehmung entziehen. Wenn unsere Wissenschaftler solche Konzepte wie zum Beispiel Kräfte erfinden, dann tun sie das, weil sie sich nicht vorstellen können, dass der leere Raum um uns herum mit unsichtbaren Schwingungen erfüllt sein könnte. Mancher Wissenschaftler rümpft die Nase, wenn von höheren Dimensionen die Rede ist, weil sie sich im Labor nicht exakt messen lassen.
Seit damals fasziniert mich die Möglichkeit, dass es andere Dimensionen geben könnte. Wie die meisten Kinder verschlang ich Abenteuergeschichten, in denen Zeitreisende in andere Dimensionen vordrangen und nie gesehene Paralleluniversen erforschten, wo die gewöhnlichen physikalischen Gesetze außer Kraft gesetzt waren. Ich fragte mich, ob die Schiffe im Bermudadreieck durch ein geheimnisvolles Loch im Raum verschwänden. Und begeistert war ich von Isaac Asimovs Foundation-Reihe, in der die Entdeckung der Hyperraumreise zum Aufstieg eines galaktischen Imperiums führte.
Noch ein zweites Erlebnis in meiner Kindheit hinterließ einen tiefen und dauerhaften Eindruck bei mir. Mit acht Jahren hörte ich eine Geschichte, die ich nie wieder vergaß. Meine Lehrer berichteten der Klasse von einem berühmten Wissenschaftler, der gerade gestorben sei. Sie sprachen mit tiefer Verehrung von ihm und nannten ihn einen der größten Wissenschaftler aller Zeiten. Zwar könnten nur wenige Menschen seine Ideen verstehen, sagten sie, aber seine Entdeckungen hätten die ganze Welt verändert. Vieles von dem, was sie uns zu erzählen versuchten, verstand ich nicht, aber was mich am meisten an diesem Mann beeindruckte, war der Umstand, dass er gestorben war, bevor er seine große Entdeckung vervollständigen konnte. Jahre habe er an dieser Theorie gearbeitet, so berichteten sie, aber er sei an seinem Schreibtisch gestorben, die unvollendete Arbeit vor sich.
Von dieser Geschichte war ich fasziniert. Für ein Kind war das ein großes Geheimnis. Worum ging es in seiner unvollendeten Arbeit? Was stand in diesen Papieren auf seinem Schreibtisch? Welches Problem konnte so schwierig und wichtig sein, dass ein so bedeutender Wissenschaftler ihm Jahre seines Lebens opferte? Neugierig geworden, beschloss ich, alles über Albert Einstein und seine unvollendete Theorie in Erfahrung zu bringen. Die vielen stillen Stunden, in denen ich jedes greifbare Buch über diesen großen Mann las, habe ich noch immer in wunderbarer Erinnerung. Als ich die Bücher in unserer örtlichen Bibliothek durch hatte, begann ich, die Büchereien und Buchläden in der ganzen Stadt abzuklappern, weil mein Wissensdurst noch immer nicht gestillt war. Rasch begriff ich, dass diese Geschichte weit aufregender war als jeder Krimi und wichtiger als alles, was ich mir bisher vorgestellt hatte. So beschloss ich, diesem Geheimnis auf den Grund zu gehen, und wenn ich dazu theoretischer Physiker werden musste.
Schon bald brachte ich in Erfahrung, dass die unvollendeten Papiere auf Einsteins Schreibtisch ein Versuch waren, die einheitliche Feldtheorie, wie er sie nannte, zu entwickeln – eine Theorie, die alle Naturgesetze, vom winzigsten Atom bis zu den größten Galaxien, erklären sollte. Doch damals als Kind begriff ich noch nicht, dass es vielleicht eine Verbindung zwischen dem Karpfen im Teich des Teegartens und den unvollendeten Papieren auf Einsteins Schreibtisch gab. Ich wusste nicht, dass höhere Dimensionen möglicherweise den Schlüssel zur einheitlichen Feldtheorie bilden.
Später in der High School hatte ich bald alle einschlägigen Bücher in den örtlichen Bibliotheken gelesen und zog die Physikbücherei der Stanford University zu Rate. Dort fand ich heraus, dass Einsteins Arbeit auf einen neuen Stoff, Antimaterie genannt, schließen lässt, der sich wie gewöhnliche Materie verhält, sich aber bei Kontakt mit dieser in einem plötzlichen Energieausbruch selbst vernichtet. Ferner las ich, dass man große Maschinen, sogenannte Atomzertrümmerer, gebaut hatte, die mikroskopische Mengen dieser exotischen Substanz im Labor erzeugen konnten.
Ein Vorteil der Jugend liegt darin, dass sie sich durch Hindernisse, die den meisten Erwachsenen unüberwindlich erscheinen, nicht beeindrucken lässt. Ungeachtet aller Schwierigkeiten schickte ich mich an, meinen eigenen Atomzertrümmerer zu bauen. Ich vertiefte mich in die wissenschaftliche Literatur, bis ich davon überzeugt war, dass ich ein Betatron bauen könnte, das die Energie von Elektronen auf Millionen von Elektronenvolt erhöhen kann. (Eine Million Elektronenvolt ist die Energie von Elektronen, die durch ein Feld von einer Million Volt beschleunigt werden.)
Zunächst kaufte ich eine kleine Menge Natrium 22, das radioaktiv ist und spontan Positronen emittiert (die den Elektronen entsprechenden Antimaterieteilchen). Dann baute ich eine sogenannte Nebelkammer, die die Spuren subatomarer Teilchen sichtbar macht. So hielt ich auf Hunderten von schönen Fotos die Spuren fest, die die Antimaterie hinterlassen hatte. Als Nächstes suchte ich alle Elektronikgroßhändler in der Gegend auf und montierte in unserer Garage aus Einzelteilen, unter anderem vielen hundert Kilo verschrottetem Transformatorenstahl, ein 2,3-Millionen-Elektronenvolt-Betatron, das leistungsfähig genug war, um einen Strahl von Antielektronen zu erzeugen. Um die gewaltigen Magneten zu erhalten, die das Betatron brauchte, brachte ich meine Eltern dazu, mir auf dem Footballfeld der High School dabei zu helfen, fünfunddreißig Kilometer Kupferdraht aufzuwickeln. Die Weihnachtsferien verbrachten wir auf der Fünfzig-Yard-Linie, um die gewaltigen Spulen zu wickeln und zusammenzusetzen, die die energiereichen Elektronen von ihrer Bahn ablenken sollten.
Als das einhundertfünfzig Kilo schwere und sechs Kilowatt starke Betatron schließlich fertig war, verbrauchte es jedes Quäntchen Energie, das in unserem Haus vorhanden war. Wenn ich es anschaltete, knallte gewöhnlich jede Sicherung durch, und das Haus versank in plötzlicher Finsternis. Die periodische Dunkelheit im Haus veranlasste meine Mutter zu häufigem Kopfschütteln. (Ich nehme an, sie fragte sich, warum ihr Kind nicht wie andere Baseball oder Basketball spielen konnte, statt diese riesigen elektrischen Maschinen in der Garage zu bauen.) Meine Belohnung bestand darin, dass die Maschine tatsächlich ein Magnetfeld erzeugte, das 20000 Mal stärker war als das der Erde. So viel ist erforderlich, um einen Elektronenstrahl zu beschleunigen.
Da meine Eltern arm waren, hatten sie Angst, ich könnte meine Experimente und meine Ausbildung nicht fortsetzen. Glücklicherweise wurde der Atomphysiker Edward Teller durch die Preise, die ich für verschiedene naturwissenschaftliche Projekte bekam, auf mich aufmerksam. Großzügig verschaffte mir seine Frau ein vierjähriges Stipendium in Harvard, sodass ich meinen Traum verwirklichen konnte.
Ironischerweise verblasste mein Interesse für die höheren Dimensionen allmählich, obwohl ich in Harvard das Studium der theoretischen Physik begann. Wie bei anderen Physikern sorgte ein strenger und gründlicher Studiengang dafür, dass ich mir die mathematischen Grundlagen jeder der vier Naturkräfte gesondert, in vollkommener Isolierung voneinander aneignete. Ich weiß noch, dass ich bei einem Dozenten eine Aufgabe aus der Elektrodynamik löste und ihn dann fragte, wie die Lösung aussähe, wenn der Raum in einer höheren Dimension gekrümmt wäre. Er blickte mich an, als wäre ich übergeschnappt. Wie andere vor mir, lernte ich rasch, meine kindischen Vorstellungen über höherdimensionale Räume für mich zu behalten. Der Hyperraum, so erfuhr ich, sei kein geeigneter Gegenstand für ernsthafte Studien.
Dieser mehrgleisige physikalische Ansatz konnte mich nie zufriedenzustellen, und meine Gedanken wanderten oft zurück zu den Karpfen im Teich des Teegartens. Zwar erfüllten die von Maxwell im 19. Jahrhundert entdeckten elektromagnetischen Gleichungen, mit denen wir arbeiteten, ihre Aufgabe überraschend gut, schienen aber doch ziemlich willkürlich zu sein. Mir schien, Physiker erfinden (wie Karpfen) diese «Kräfte», um zu verbergen, dass sie nicht wissen, wie Gegenstände sich bewegen können, ohne einander zu berühren.
Im Studium erfuhr ich, dass es in einer der großen Debatten des 19. Jahrhunderts um die Frage gegangen war, wie sich Licht durch ein Vakuum bewegt. (Das Licht ferner Sterne kann ja mühelos über Billionen und Aberbillionen Kilometer durch das Vakuum des Weltraums gelangen.) Nun haben Experimente eindeutig gezeigt, dass Licht eine Welle ist. Doch wenn Licht eine Welle wäre, dann müsste es etwas geben, das in Wellenform schwingen kann. Schallwellen brauchen Luft, Wasserwellen Wasser, aber da es im Vakuum nichts gibt, was schwingen könnte, stehen wir vor einem Paradoxon. Wie kann Licht eine Welle sein, wenn es nichts gibt, was schwingt? Deshalb erfanden Physiker einen Stoff namens Äther, der das Vakuum angeblich erfüllt und dem Licht als Medium dient. Doch dann wies man in Experimenten zweifelsfrei nach, dass es keinen solchen Äther gibt.[2]
Als ich schließlich mein physikalisches Hauptstudium an der University of California in Berkeley aufnahm, bekam ich, eher durch Zufall, Kenntnis davon, dass es eine alternative, wenn auch strittige Erklärung für die Bewegung des Lichts durch ein Vakuum gibt. Diese Alternativtheorie war so seltsam, dass ihre Entdeckung für mich fast ein Schock war. Er war ähnlich nachdrücklich wie der Schrecken, den viele Amerikaner empfanden, als sie die Nachricht von dem Attentat auf Präsident John F. Kennedy hörten. Fast alle können sich genau an den Augenblick erinnern, als sie die entsetzliche Nachricht hörten – was sie gerade taten und mit wem sie sprachen. Auch für uns Physiker ist es ein enormer Schock, wenn wir das erste Mal über die Kaluza-Klein-Theorie stolpern. Da die Theorie als wilde Spekulation galt, gehörte sie nicht zum Curriculum physikalischer Fachbereiche; deshalb entdeckten sie die meisten jungen Physiker zufällig bei ihrer Privatlektüre.
Diese Alternativtheorie liefert eine denkbar einfache Erklärung für das Licht: Es ist in Wirklichkeit eine Schwingung in der fünften Dimension – oder in jener Dimension, die die Mystiker früher als vierte bezeichneten. Danach kann sich das Licht durch ein Vakuum bewegen, weil dieses selbst schwingt, weil das «Vakuum» in Wirklichkeit in vier Dimensionen des Raums und einer der Zeit existiert. Durch Hinzufügung der fünften Dimension lassen sich Gravitation und Licht auf eine verblüffend einfache Weise vereinigen. In Erinnerung an meine Kindheitserlebnisse im Teegarten wurde mir plötzlich klar, dass dies die mathematische Theorie war, nach der ich gesucht hatte.
Die alte Kaluza-Klein-Theorie wies jedoch viele schwierige technische Probleme auf, die ihre Anwendung mehr als ein halbes Jahrhundert lang verhinderten. Das alles hat sich in den letzten zehn Jahren geändert. Durch neuere Versionen der Theorie, die Supergravitation etwa und vor allem die Superstringtheorie, gelang es schließlich, die inneren Widersprüche der Theorie zu beseitigen. Längst ist die Theorie höherer Dimensionen in vielen Forschungslabors der Welt zu hohen Ehren gelangt. Viele führende Physiker glauben heute, dass es mehr Dimensionen als die üblichen vier von Raum und Zeit geben könnte. So ist diese Idee zu einem Brennpunkt intensiver wissenschaftlicher Forschung geworden. Ja, viele theoretische Physiker vertreten mittlerweile die Auffassung, höhere Dimensionen könnten der entscheidende Schritt zum Entwurf einer umfassenden Theorie sein, die die Naturgesetze vereinigt – einer Hyperraumtheorie.
Sollte sich das als richtig erweisen, könnten künftige Wissenschaftshistoriker die Erkenntnis, dass der Hyperraum mittlerweile der Schlüssel zu den tiefsten Geheimnissen der Natur und der Schöpfung ist, durchaus zu den großen theoretischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts rechnen.
Dieses zukunftsträchtige Konzept hat eine Lawine wissenschaftlicher Forschungsarbeiten ausgelöst: Theoretische Physiker aus den wichtigsten Forschungsinstituten der ganzen Welt haben sich in vielen tausend Berichten mit den Eigenschaften des Hyperraums beschäftigt. Auf den Seiten von Nuclear Physics und Physics Letters, zweier maßgeblicher wissenschaftlicher Zeitschriften, wimmelt es von Artikeln, die die Theorie analysieren. Auf hunderten internationalen Physikkonferenzen hat man sich mit den Konsequenzen höherer Dimensionen auseinandergesetzt.
Leider sind wir noch weit davon entfernt, experimentell nachweisen zu können, dass unser Universum in höheren Dimensionen existiert. (Was genau erforderlich wäre, um die Richtigkeit der Theorie zu beweisen und möglicherweise die Energie des Hyperraums zu nutzen, werde ich später erörtern.) Trotzdem hat sich diese Theorie einen festen Platz in der modernen theoretischen Physik erobert. Beispielsweise ist das Institute for Advanced Study in Princeton eines der Zentren für die Erforschung der höherdimensionalen Raumzeit.
Steven Weinberg, der 1979 den Nobelpreis für Physik erhalten hat, brachte diese begriffliche Revolution einmal auf eine knappe Formel, als er erklärte, die theoretische Physik entwickle immer größere Ähnlichkeit mit Science-Fiction-Produkten.
Auf den ersten Blick wirken diese revolutionären Ideen so merkwürdig, weil wir es für selbstverständlich halten, dass unsere alltägliche Welt drei Dimensionen besitzt. Dazu schrieb der verstorbene Physiker Heinz Pagels: «Ein Merkmal unserer physikalischen Welt liegt so offen zutage, dass sich kaum jemand darüber wundert: der dreidimensionale Raum.»[3] Fast instinktiv wissen wir, dass sich jedes Objekt durch die Angabe seiner Länge, Breite und Höhe beschreiben lässt. Durch Angabe von drei Zahlen können wir jede Position im Raum bezeichnen. Wollen wir uns mit jemandem zum Essen in New York verabreden, sagen wir: «Treffen wir uns im 24. Stock des Gebäudes Ecke 42. Straße und First Avenue.» Zwei Zahlen geben uns die Straßenecke an, und die dritte den Abstand vom Boden.
An drei Zahlen können Piloten genau ablesen, wo sie sich befinden – ihre Höhe und zwei Koordinaten, die ihre Position auf einem Gitternetz oder einer Karte festlegen. Tatsächlich kann man durch Bezeichnung dieser drei Zahlen jeden Ort in unserer Welt angeben, von Ihrer Nasenspitze bis zum Ende des sichtbaren Universums. Sogar Säuglinge begreifen das: Tests haben gezeigt, dass sie zum Rand einer Klippe krabbeln, über den Rand blicken und zurückkrabbeln. Folglich verstehen sie instinktiv nicht nur «links», «rechts», «vorwärts» und «rückwärts», sondern auch «hoch» und «runter». Offenbar ist der intuitive Begriff der drei Dimensionen von frühestem Alter an fest in unseren kognitiven Strukturen verankert.
Einstein nahm in diesen Begriff noch die Zeit als vierte Dimension hinein. Wenn wir uns beispielsweise zum Essen verabreden, müssen wir angeben, dass wir uns um halb eins in Manhattan treffen wollen. Das heißt, um ein Ereignis zu spezifizieren, müssen wir es auch in der vierten Dimension beschreiben, also die Zeit angeben, zu der es stattfindet.
Heute ist die Physik bestrebt, auch über Einsteins Konzept der vierten Dimension noch hinauszugehen. Ihr Interesse gilt auch der fünften Dimension (der räumlichen Dimension jenseits der der Zeit und der drei Dimensionen des Raums) und noch weiteren. (Um Verwechslungen vorzubeugen: Hier und im Weiteren folge ich der Konvention und bezeichne die vierte Dimension als die räumliche Dimension jenseits von Länge, Breite und Höhe. Physiker bezeichnen diese Dimension als die fünfte, doch ich werde mich an das historische Beispiel halten. Die Zeit nenne ich die vierte zeitliche Dimension)
Leider können wir es nicht. Höherdimensionale Räume lassen sich nicht sichtbar machen. Deshalb ist es müßig, auch nur den Versuch zu unternehmen. Der bekannte deutsche Physiker Hermann von Helmholtz hat das Unvermögen, die «vierte» Dimension zu sehen, mit der Unfähigkeit eines Blinden verglichen, sich einen Begriff von der Farbe zu machen. Wir mögen dem Blinden «Rot» noch so anschaulich beschreiben, Worte können die Bedeutung eines so erfahrungsträchtigen Begriffs wie desjenigen der Farbe nicht transportieren. Selbst altgediente Mathematiker und theoretische Physiker, die sich jahrelang mit höherdimensionalen Räumen beschäftigt haben, geben zu, dass sie sich kein Bild von ihnen machen können. Stattdessen nehmen sie Zuflucht zur Welt der mathematischen Gleichungen. Doch während Mathematiker, Physiker und Computer kein Problem damit haben, Gleichungen im mehrdimensionalen Raum zu lösen, können sich Menschen beim besten Willen keine Universen jenseits ihres eigenen vorstellen.
Allenfalls können wir auf eine Reihe mathematischer Tricks zurückgreifen, die der Mathematiker und Mystiker Charles Hinton um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entwickelt hat, um die Schatten höherdimensionaler Objekte sichtbar zu machen. Andere Mathematiker, beispielsweise Thomas Banchoff, Direktor des Fachbereichs Mathematik an der Brown University, haben Computerprogramme geschrieben, mit denen man höherdimensionale Objekte handhaben kann, indem man ihre Schatten auf flache, zweidimensionale Computerbildschirme projiziert. Wie jene Höhle im Gleichnis des griechischen Philosophen Platon, die uns, ihren Bewohnern, nur den Blick auf die blassen, grauen Schatten des bunten Lebens draußen gestattet, bieten uns Banchoffs Computer nur die Schatten der höherdimensionalen Objekte. Tatsächlich ist ein Zufall der Evolution daran schuld, dass wir uns kein Bild von höheren Dimensionen machen können. Unser Gehirn hat sich unter dem Einfluss unzähliger Notfälle entwickelt, die es in drei Dimensionen zu bewältigen galt. Ohne unsere Denkprozesse zu unterbrechen, können wir augenblicklich einen springenden Löwen oder einen angreifenden Elefanten erkennen und auf die Gefahrensituation reagieren. Menschen, die sich eine genauere bildliche Vorstellung davon machen konnten, wie sich Objekte in drei Dimensionen bewegen, drehen und verbiegen, hatten einen klaren Überlebensvorteil gegenüber denjenigen, die dazu nicht in der Lage waren. Leider gab es keinen entsprechenden Selektionsdruck, der dafür sorgte, dass die Menschen mit der Bewegung in vier räumlichen Dimensionen umgehen lernten. Wer in der Lage war, die vierte räumliche Dimension zu sehen, vermochte deshalb sicherlich nicht besser mit einem Säbelzahntiger fertig zu werden. Löwen und Tiger springen uns nicht in der vierten Dimension an.
Peter Freund, Professor für theoretische Physik am angesehenen Enrico Fermi Institute der University of Chicago, liebt es, seine Zuhörer mit den Eigenschaften höherdimensionaler Universen zu foppen. Als die Hyperraumtheorien noch als zu exotisch galten, um in den Kanon physikalischer Lehrmeinungen aufgenommen zu werden, gehörte Freund schon zu den frühen Pionieren des Gebietes. Jahrelang beschäftigten sich Freund und eine kleine Gruppe von Physikern mit den Gesetzen der höheren Dimensionen praktisch zu ihrem Privatvergnügen. Mittlerweile ist ihr Gegenstand in Mode gekommen und zu einem legitimen Zweig der wissenschaftlichen Forschung avanciert. Erfreut kann Freund feststellen, dass sich sein langjähriges Interesse auszahlt.
Dem landläufigen Bild des zerstreuten, ungepflegten Professors entspricht Freund nicht im mindesten. Der weltläufige, kultivierte Mann mit dem hintergründigen Lächeln fesselt auch Nichtwissenschaftler mit faszinierenden Geschichten von bahnbrechenden physikalischen Entdeckungen. So souverän, wie er eine Wandtafel mit komplizierten Gleichungen bedeckt, unterhält er die Gäste einer Cocktailparty mit amüsantem Smalltalk. Freund, der mit unüberhörbarem rumänischem Akzent spricht, hat ein seltenes Talent, auch die anspruchsvollsten und verzwicktesten physikalischen Konzepte lebhaft und anschaulich zu erklären.
Freund erinnert uns daran, dass Physiker höheren Dimensionen lange Zeit mit Skepsis begegnet sind, weil man sie nicht messen konnte und keine Verwendung für sie hatte. Heute wächst jedoch die Erkenntnis, dass jede dreidimensionale Theorie «zu klein» ist, um die Kräfte zu beschreiben, die unser Universum bestimmen.
Wie Freund ausführt, ist eines der Grundthemen physikalischer Forschung die Erkenntnis, dass die Naturgesetze einfacher und eleganter werden, wenn man sie in höheren Dimensionen ausdrückt, die die natürliche Heimat dieser Gesetze sind. Licht und Gravitation lassen sich in ihrer Gesetzmäßigkeit mühelos darstellen, wenn man sie in einer höherdimensionalen Raumzeit beschreibt. Der entscheidende Schritt zur Vereinheitlichung der Naturgesetze besteht darin, die Dimensionenzahl der Raumzeit zu erhöhen, woraufhin sich immer mehr Kräfte einfügen lassen. In höheren Dimensionen haben wir genug «Platz», um alle bekannten physikalischen Kräfte zu vereinigen.
Um zu erklären, warum höhere Dimensionen die Phantasie der wissenschaftlichen Welt so beflügeln, benutzt Freund folgenden Vergleich: «Stellen Sie sich einen Geparden vor – dieses geschmeidige, wunderschöne Tier, eines der schnellsten der Erde, das frei durch die Savannen Afrikas streift. In seinem natürlichen Habitat ist es ein herrliches Geschöpf, geradezu ein Kunstwerk, das an Geschwindigkeit oder Anmut von keinem anderen Tier übertroffen wird. Doch jetzt», fährt er fort,
stellen Sie sich einen Gepard vor, den man gefangen genommen und in einen schäbigen Zookäfig gesperrt hat. Das Tier hat seine ursprüngliche Anmut und Schönheit verloren und ist der Schaulust der Besucher preisgegeben. Wir erblicken nur noch einen Schatten des einstigen Gepards, seiner ursprünglichen Kraft und Eleganz. Dieses Tier kann man mit den physikalischen Gesetzen vergleichen, die in ihrer ursprünglichen Umgebung wunderbar anzusehen sind. Das natürliche Habitat der physikalischen Gesetze ist die höherdimensionale Raumzeit. Doch wie kann man diese Gesetze messen, wenn sie nur noch ein Schatten ihrer selbst sind und in einem Käfig, unserem dreidimensionalen Labor, zur Schau gestellt werden. Wir sehen den Gepard immer nur, wenn er bereits seine Anmut und Schönheit eingebüßt hat.[4]
Jahrzehntelang hat man sich gefragt, warum die vier Naturkräfte so zerstückelt erscheinen – warum der «Gepard» so erbarmungswürdig und gebrochen aussieht in seinem Käfig. Der entscheidende Grund für die scheinbare Unähnlichkeit der vier Kräfte liegt nach Freund darin, dass wir immer nur den «eingesperrten» Gepard beobachten. Unsere dreidimensionalen Laboratorien sind für die physikalischen Gesetze sterile Zookäfige. Doch wenn wir die Gesetze in einer höherdimensionalen Raumzeit formulieren, ihrem natürlichen Habitat, erkennen wir, wie wundervoll und leistungsfähig sie in Wirklichkeit sind; sie werden einfach und effektiv. Die Revolution, die die Physik gegenwärtig erlebt, erwächst aus der Erkenntnis, dass die natürliche Umgebung des Gepards möglicherweise der Hyperraum ist.
Eine gewisse Vorstellung davon, wie durch Hinzufügung einer höheren Dimension die Dinge unter Umständen einfacher werden, können Sie gewinnen, wenn Sie sich vor Augen halten, wie die alten Römer wichtige Kriege geführt haben. Während der großen römischen Kriege, die häufig auf vielen kleineren Schlachtfeldern ausgetragen wurden, herrschten stets große Verwirrung, Lärm und Desinformation, die aus allen Richtungen auf die Krieger beider Seiten eindrangen. Da die Schlachten an mehreren Fronten tobten, waren die römischen Heerführer häufig zu blindem Handeln gezwungen. Rom gewann seine Schlachten eher durch rohe Kraft als durch elegante Strategie. Deshalb ist einer der wichtigsten Grundsätze der Kriegführung, höher gelegenes Gelände zu erobern – das heißt, sich in der dritten Dimension nach oben zu bewegen, über das zweidimensionale Schlachtfeld hinaus. Vom Aussichtspunkt eines großen Hügels mit einem ungehinderten Blick über das Schlachtfeld verliert das Geschehen mit einem Schlage viel von seinem chaotischen Charakter. Also aus der dritten Dimension betrachtet (das heißt von der Spitze des Hügels), fügt sich das Durcheinander der kleineren Schlachtfelder zu einem umfassenden, großen Bild zusammen.
Um zu zeigen, welch enorme Wirkung die Vereinigung hat, möchte ich jetzt die vier fundamentalen Naturkräfte beschreiben und dabei deutlich machen, wie verschieden sie sind und wie sich aus der höheren Dimensionenzahl vielleicht die Voraussetzung für die Entwicklung eines vereinigenden mathematischen Systems ergibt. In den letzten zweitausend Jahren hat die Naturwissenschaft entdeckt, dass sich alle Erscheinungen in unserem Universum auf vier Kräfte zurückführen lassen, die auf den ersten Blick keinerlei Ähnlichkeit miteinander aufweisen.
Die elektromagnetische Kraft tritt in einer Vielfalt von Formen auf, unter anderem als Elektrizität, Magnetismus und Licht. Diese Kraft erleuchtet unsere Städte, füllt die Luft mit Musik aus Radio- und Stereoapparaten, unterhält uns mit Fernsehsendungen, erleichtert die Hausarbeit durch entsprechende Geräte, erwärmt unsere Nahrung durch Mikrowellen, erfasst unsere Flugzeuge und Raumsonden mit Radargeräten und sorgt für das Funktionieren unserer Kraftwerke. In jüngerer Zeit nutzt man die elektromagnetische Kraft auch für Elektronenrechner (die zu einer Revolution in Büro, Heim, Schule und Militär geführt haben) und in Lasern (die für Nachrichtenwesen, Chirurgie, Kompaktdiscs, Hightech-Waffentechnik und sogar Preislesegeräte an Supermarktkassen ganz neue Möglichkeiten eröffnet haben). Mehr als die Hälfte des Bruttosozialproduktes der ganzen Erde, das heißt des erwirtschafteten Wohlstands unseres Planeten, hängt in irgendeiner Weise von der elektromagnetischen Kraft ab.
Die starke Kernkraft lässt die Sterne leuchten und erzeugt die wärmenden, lebenspendenden Sonnenstrahlen. Würde die starke Kernkraft plötzlich ausfallen, dann verdunkelte sich die Sonne und ließe alles Leben auf Erden absterben. Tatsächlich meinen einige Wissenschaftler, die Dinosaurier seien vor fünfundsechzig Millionen Jahren ausgestorben, weil der Aufprall eines Kometen Staub und Trümmerteilchen hoch in die Atmosphäre geschleudert, dadurch die Erde verdunkelt und die Temperatur auf dem ganzen Planeten zum Sinken gebracht habe. Eine traurige Ironie liegt darin, dass die starke Kernkraft das Geschenk des Lebens eines Tages möglicherweise zurückfordern wird. Durch die Wasserstoffbombe freigesetzt, könnte die Kraft nämlich eines Tages alles Leben auf der Erde auslöschen.
Die schwache Kernkraft ist für bestimmte Formen des radioaktiven Zerfalls verantwortlich. Da radioaktive Materialien große Wärme emittieren, wenn sie zerfallen oder auseinanderbrechen, trägt die schwache Kernkraft zur Erwärmung des radioaktiven Gesteins tief im Erdinneren bei. Diese Wärme wiederum ist mitverantwortlich für die Hitze, die vulkanischen Prozessen zugrunde liegt, den seltenen, aber mächtigen Eruptionen geschmolzenen Gesteins, die die Erdoberfläche erreichen. Ferner nutzt man die schwache Kernkraft und die elektromagnetische Kraft zur Behandlung schwerer Erkrankungen: Mit radioaktivem Jod tötet man Schilddrüsentumoren ab und bekämpft bestimmte Krebsarten. Doch auch die Kraft des radioaktiven Zerfalls kann tödlich sein. Auf sie gehen die verheerenden Folgen der Katastrophen von Three Mile Island und Tschernobyl zurück; außerdem erzeugt sie radioaktiven Abfall, das unvermeidliche Nebenprodukt der Kernwaffenherstellung und der kommerziellen Kernkraftwerke, deren Rückstände ihre schädliche Wirkung über Jahrmillionen entfalten können.
Die Gravitationskraft hält die Erde und die Planeten in ihren Umlaufbahnen und sorgt für den Zusammenhalt unserer Galaxis. Ohne die Gravitation der Erde würden wir von ihrer Rotationsbewegung wie Stoffpuppen in den Weltraum geschleudert werden. Die Luft, die wir atmen, würde sich rasch im All verteilen, sodass wir ersticken und alle Formen des Lebens auf der Erde unmöglich würden. Ohne die Gravitationskraft der Sonne würden sämtliche Planeten einschließlich der Erde aus dem Sonnensystem in ferne kalte Weltraumregionen geschleudert werden, wo das Sonnenlicht zu schwach wäre, um das Leben noch erhalten zu können. Tatsächlich würde sogar die Sonne selbst ohne die Gravitationskraft explodieren. Die Sonne ist das Resultat eines empfindlichen Gleichgewichtes zwischen der Gravitation, die bestrebt ist, den Stern zu zermalmen, und der Kernkraft, die darum bemüht ist, die Sonne auseinanderfliegen zu lassen. Ohne die Gravitation würde die Sonne wie Billionen und Aberbillionen von Wasserstoffbomben explodieren.
Die wichtigste Aufgabe der theoretischen Physik besteht heute darin, diese vier Kräfte zu einer einzigen zu vereinigen. Die klügsten physikalischen Köpfe des 20. Jahrhunderts, beginnend mit Einstein, haben den vergeblichen Versuch unternommen, eine solche einheitliche Theorie zu entdecken. Möglicherweise liegt die Antwort, nach der Einstein die letzten dreißig Jahre seines Lebens ohne Erfolg gesucht hat, im Hyperraum.
Einstein hat einmal gesagt: «Die Natur zeigt uns nur den Schwanz des Löwen. Aber ich zweifle nicht, dass dazu ein Löwe gehört, obwohl er sich wegen seiner enormen Größe nicht gänzlich enthüllen kann.»[6] Falls Einstein recht hat, dann sind diese vier Kräfte vielleicht der «Schwanz des Löwen», während der «Löwe» selbst die höherdimensionale Raumzeit wäre. Diese Idee hat die Hoffnung beflügelt, die physikalischen Gesetze des Universums, deren Konsequenzen ganze Bibliothekswände mit Büchern voller Tabellen und Graphiken bedecken, könnten eines Tages durch eine einzige Gleichung erklärt werden.
Von entscheidender Bedeutung für dieses revolutionäre Bild vom Universum ist die Erkenntnis, dass sich aus einer höherdimensionalen Geometrie letztlich die Einheit des Universums ableiten lassen könnte. Einfach ausgedrückt: Die Materie im Universum und die Kräfte, die sie zusammenhalten, sind vielleicht trotz der verwirrenden Vielfalt komplexer Formen, die die Materie annimmt, lediglich unterschiedliche Schwingungen des Hyperraums. Dieses Konzept passt jedoch schlecht zu der traditionellen Vorstellung unserer Wissenschaft, nach der Zeit und Raum eine passive Bühne bilden, auf der die Sterne und die Atome die tragenden Rollen spielen. Den Vertretern dieser Auffassung erschien das sichtbare Universum der Materie unendlich viel reicher und vielfältiger als der leere, bewegungslose Schauplatz des unsichtbaren Universums der Raumzeit. Fast alles, was man an wissenschaftlichem Eifer und staatlichen Forschungsmitteln in die Teilchenphysik investiert hat, kam früher dem Versuch zugute, die Eigenschaften von subatomaren Teilchen – «Quarks» und «Gluonen» zum Beispiel – zu katalogisieren, statt das Wesen der Geometrie zu ergründen. Heute erkennen wir, dass die «nutzlosen» Konzepte des Raumes und der Zeit möglicherweise der eigentliche Ursprung von Schönheit und Einfachheit in der Natur sein könnten.
Die erste Theorie höherer Dimensionen bezeichnete man als Kaluza-Klein-Theorie, nach den beiden Wissenschaftlern, die eine neue Gravitationstheorie vorschlugen, um das Licht als Schwingung in der fünften Dimension zu erklären. Als man diesen Entwurf zu einem n-dimensionalen Raum erweiterte (wobei n für jede ganze Zahl steht), gewannen die so schwerfällig wirkenden Theorien der subatomaren Teilchen plötzlich eine verblüffende Symmetrie. Doch die alte Kaluza-Klein-Theorie konnte den richtigen Wert von n nicht definieren, und es ergaben sich technische Probleme bei der Beschreibung der vielen subatomaren Teilchen. Bei einer weiterentwickelten Version dieser Theorie, der sogenannten Supergravitation, kam es ebenfalls zu Schwierigkeiten. Weiteres Interesse an der Theorie lösten 1984 die Physiker Michael Green und John Schwarz aus, als sie die Schlüssigkeit der modernsten Spielart der Kaluza-Klein-Theorie, der Superstringtheorie, bewiesen, nach der alle Materie aus winzigen, schwingenden Fäden oder Strings besteht. Überraschenderweise sagt die Superstringtheorie eine exakte Dimensionenzahl für Raum und Zeit voraus: zehn.[7]
Der zehndimensionale Raum besitzt den Vorteil, «genügend Platz» zu bieten, um alle vier Grundkräfte aufzunehmen. Ferner liefert er uns ein einfaches physikalisches Bild, in dem wir das verwirrende Durcheinander der in unseren gewaltigen Atomzertrümmerern erzeugten subatomaren Teilchen erklären können. Man hat in den Trümmern, die man erhält, wenn man Protonen und Elektronen mit Atomen zusammenprallen lässt, Hunderte von subatomaren Teilchen sorgfältig katalogisiert und untersucht. Wie Schmetterlingssammler, die eine riesige Zahl von Insekten geduldig mit Namen versehen, waren die Physiker gelegentlich von der Vielfalt und Unübersichtlichkeit dieser subatomaren Teilchen überwältigt. Heute lässt sich diese verwirrende Sammlung subatomarer Teilchen einfach als Schwingung des Hyperraums erklären.
Die Hyperraumtheorie erlaubt auch einen Zugang zu der Frage, ob Reisen durch Raum und Zeit möglich sein könnten. Stellen wir uns zum besseren Verständnis eine Rasse von winzigen Plattwürmern vor, die auf der Oberfläche eines großen Apfels leben. Natürlich ist diese Welt für die Würmer, die sie Apfelwelt nennen, flach und zweidimensional wie sie selbst. Doch ein Wurm namens Kolumbus ist besessen von der Vorstellung, die Apfelwelt sei endlich und in etwas gekrümmt, das er die dritte Dimension nennt. Dazu erfindet er sogar zwei neue Wörter, «oben» und «unten», um die Bewegung in dieser unsichtbaren dritten Dimension zu beschreiben. Seine Freunde indessen halten ihn für einen Narren, weil er glaubt, die Apfelwelt könnte in einer unsichtbaren Welt gebogen sein, die niemand sehen oder fühlen kann. Eines Tages macht Kolumbus sich auf eine lange, mühsame Reise und verschwindet hinter dem Horizont. Schließlich gelangt er an seinen Ausgangspunkt zurück und beweist damit, dass die Welt tatsächlich in der unsichtbaren dritten Dimension gekrümmt ist. Seine Reise zeigt, dass die Apfelwelt eine Krümmung in einer höheren unsichtbaren Dimension, der dritten, aufweist. Obwohl Kolumbus von seinen Reisen erschöpft ist, entdeckt er, dass es noch eine weitere Möglichkeit gibt, zwischen entfernten Punkten auf dem Apfel zu reisen: Wenn er sich in den Apfel gräbt, kann er einen Tunnel bohren und so eine bequeme Abkürzung zwischen fernen Ländern herstellen. Diese Tunnel, die den Zeitaufwand und die Unbequemlichkeit langer Reisen erheblich abkürzen, nennt er Wurmlöcher. Mit ihnen beweist er, dass der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten nicht notwendigerweise eine gerade Linie ist, sondern ein Wurmloch sein kann.
Noch einen weiteren merkwürdigen Effekt entdeckt Kolumbus dabei: Wenn er in einen dieser Tunnel hineingeht und am anderen Ende herauskommt, stellt er fest, dass er in die Vergangenheit gelangt. Offenbar verbinden diese Wurmlöcher Teile des Apfels, in denen die Zeit unterschiedlich schnell verstreicht. Einige Würmer behaupten sogar, die Wurmlöcher ließen sich für eine funktionsfähige Zeitmaschine verwenden.
Später macht Kolumbus sogar eine noch bedeutendere Entdeckung: Seine Apfelwelt ist nicht die einzige im Universum, sondern nur ein Apfel in einem großen Apfelgarten. Wie er feststellt, gibt es noch Hunderte anderer Äpfel, manche mit Würmern wie ihm selbst und manche ohne. Unter bestimmten Umständen, vermutet er, müsste sogar eine Reise zwischen verschiedenen Äpfeln des Obstgartens möglich sein.
Wir sind wie diese Plattwürmer. Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass unsere Welt wie der Apfel der Würmer flach und dreidimensional ist. Ganz gleich, wohin wir uns mit unseren Raumschiffen wenden, überall scheint das Universum flach zu sein. Tatsächlich aber ist es wie die Apfelwelt in einer unsichtbaren, unserem räumlichen Wahrnehmungsvermögen entzogenen Dimension gekrümmt, was in einer Reihe strenger Experimente eindeutig nachgewiesen worden ist. Als man nämlich die Bahn von Lichtstrahlen untersuchte, konnte man zeigen, dass das Sternenlicht auf seinem Weg durch das Universum gekrümmt wird.
Wenn wir morgens aufwachen und das Fenster öffnen, um zu lüften, erwarten wir, den Vorgarten zu sehen. Wir erwarten nicht, dass auf der anderen Straßenseite die ägyptischen Pyramiden aufragen. Und entsprechend rechnen wir damit, wenn wir die Vordertür öffnen, die Autos auf der Straße zu erblicken und nicht die erloschenen Vulkane einer kahlen Mondlandschaft. Ohne auch nur darüber nachzudenken, gehen wir davon aus, dass wir Fenster und Türen öffnen können, ohne dass uns irgendein schrecklicher Anblick das Blut in den Adern gefrieren lässt. Glücklicherweise ist unsere Welt kein Steven-Spielberg-Film. Unsere Handlungen beruhen auf einem tiefverwurzelten Vorurteil (das sich stets bestätigt), dass nämlich unsere Welt «einfach zusammenhängt», dass unsere Fenster und Türen keine Eingänge zu Wurmlöchern sind, die unser Haus mit einem fernen Universum verbinden. Im normalen Raum lässt sich ein Lasso stets zu einem Punkt zusammenziehen. Ist das möglich, so nennt man den Raum «einfach zusammenhängend». Wenn die Schlinge jedoch um den Eingang eines Wurmloches gelegt wird, lässt es sich nicht zu einem Punkt zusammenziehen. Das Lasso führt dann nämlich in das Wurmloch hinein. Räume, in denen Lassos nicht zusammenziehbar sind, nennt man «mehrfach zusammenhängend». Obwohl die Krümmung unseres Universums in einer unsichtbaren Dimension experimentell messbar ist, ist die Frage, ob es Wurmlöcher gibt und ob unser Universum mehrfach zusammenhängend ist, noch immer Gegenstand einer wissenschaftlichen Kontroverse.
Schon Mathematiker wie Georg Bernhard Riemann haben die Eigenschaften mehrfach zusammenhängender Räume untersucht, in denen verschiedene Regionen von Raum und Zeit miteinander verknüpft sind. Und Physiker, die einmal geglaubt haben, dies sei reine intellektuelle Spielerei, untersuchen heute ernsthaft mehrfach zusammenhängende Welten, weil sie sie für ein realistisches Modell unseres Universums halten. Diese Modelle sind das wissenschaftliche Gegenstück zu Alices Spiegel. Wenn Lewis Carrolls weißes Kaninchen durch das Kaninchenloch ins Wunderland fällt, stürzt es in Wirklichkeit durch ein Wurmloch.
Wurmlöcher lassen sich durch ein Blatt Papier und eine Schere veranschaulichen. Nehmen Sie einen Bogen Papier, schneiden sie zwei Löcher hinein, und verbinden Sie dann die beiden Löcher durch eine lange Röhre (Abbildung 1.1). Solange Sie nicht in das Wurmloch treten, scheint unsere Welt völlig normal zu sein. Es gelten die üblichen Gesetze der Geometrie, die Sie in der Schule gelernt haben. Doch wenn Sie in das Wurmloch fallen, werden Sie sofort in eine andere Region von Raum und Zeit transportiert. Nur wenn sie den gleichen Weg zurückgehen und wieder durch das Wurmloch fallen, können Sie in die Ihnen vertraute Welt zurückkehren.
Abbildung 1.1. Paralleluniversen lassen sich graphisch durch zwei parallele Ebenen darstellen. Normalerweise stehen sie nicht miteinander in Verbindung. Doch von Zeit zu Zeit öffnen sich zwischen ihnen Wurmlöcher oder Röhren, die vielleicht einen Nachrichtenaustausch oder Reisen von einem Universum in das andere ermöglichen. Diese Frage wird von theoretischen Physikern eingehend untersucht.
Obwohl Wurmlöcher ein faszinierendes Forschungsgebiet sind, ist die Frage der Zeitreisen das vielleicht interessanteste Konzept, das sich aus dieser Beschäftigung mit dem Hyperraum ergibt. In dem Film Zurück in die Zukunft reist Michael J. Fox in der Zeit zurück und begegnet seinen Eltern, die Teenager und noch nicht verheiratet sind. Leider verliebt sich seine Mutter in ihn und verschmäht den Vater, was die heikle Frage aufwirft, wie er geboren werden soll, wenn seine Eltern nicht heiraten und keine gemeinsamen Kinder haben.
Früher schädigte man seinen Ruf in physikalischen Kreisen, wenn man die Frage von Zeitreisen aufwarf, denn der Kausalitätsbegriff (die Vorstellung, dass jeder Wirkung eine Ursache vorangeht und nicht nachfolgt) ist in den Grundlagen der modernen Naturwissenschaft fest verankert. Doch in der Physik der Wurmlöcher treten immer wieder «akausale» Wirkungen auf. Deshalb müssen wir von einigen strikten Annahmen ausgehen, wenn wir die Möglichkeit von Zeitreisen ausschließen wollen. Das Hauptproblem liegt darin, dass Wurmlöcher unter Umständen nicht nur zwei ferne Punkte im Raum miteinander verbinden, sondern auch die Zukunft mit der Vergangenheit.
1988 stellten Kip Thorne und seine Mitarbeiter vom California Institute of Technology die erstaunliche (und riskante) Behauptung auf, dass Zeitreisen nicht nur möglich, sondern unter bestimmten Bedingungen sogar wahrscheinlich sind. Diese These veröffentlichten sie nicht in irgendeiner obskuren Zeitschrift, sondern in den angesehenen Physical Review Letters