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Ein Weltbestseller und Klassiker der modernen Physik - jetzt mit neuem Vorwort und einem ausführlichen neuen Nachwort zum 25-jährigen Jubiläum der Erstausgabe
In diesem internationalen Bestseller und Klassiker der modernen Physik nimmt uns Brian Greene mit auf eine faszinierende Reise zu den Grenzen unseres Verständnisses von Zeit, Raum und Materie. Als Insider stellt er uns eine der ehrgeizigsten Theorien vor, die jemals entwickelt wurden: die Superstringtheorie, nach der alle Materie aus vibrierenden Superstrings besteht. Sie soll alle grundlegenden physikalischen Gesetze unseres Universums in einer Art »Weltformel« zusammenfassen und so ein Dilemma lösen, an dem nicht nur Einstein scheiterte, nämlich die allgemeine Relativitätstheorie mit der Quantenmechanik zu einer einheitlichen Theorie der »Quantengravitation« zu verbinden. In seinem Kompendium unseres physikalischen Wissens gelingt es Greene, auch die abstraktesten Hypothesen der modernen Physik einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
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Seitenzahl: 808
Brian Greene
Das eleganteUniversum
Superstrings,verborgene Dimensionenund die Suchenach der Weltformel
Aus dem amerikanischen Englischvon Hainer Kober
Buch
Seit Jahren arbeiten Wissenschaftler an einer Theorie, die alle grundlegenden physikalischen Gesetze in einer Art »Weltformel« zusammenfassen kann: der Superstringtheorie. Sie soll die beiden Grundpfeiler der theoretischen Physik vereinen, die allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenmechanik. Zur Erklärung dieser Theorie bedient sich Brian Greene anschaulicher Beispiele: Anhand verschwindender Zigaretten und im Cocktailglas hüpfender Eiswürfel erläutert er, warum die Quantentheorie wiederum eine Theorie des Kleinen ist, wenn man sie auf unsere gewohnten Größenordnungen übertragen würde. Auf diese Weise gelingt ihm eine hervorragende Darstellung der abstrakten und ansonsten schwer zu vermittelnden Materie.
Autor
Brian Greene zählt zu den führenden Physikern auf dem Gebiet der Superstrings. Er studierte in Harvard und promovierte in Oxford. Seit 1990 lehrt er an verschiedenen Universitäten und ist heute Professor für Physik und Mathematik an der Columbia University in New York. »Das elegante Universum« wurde zu einem internationalen Bestseller und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. In Deutschland wurde es u.a. als »Wissenschaftsbuch des Jahres 2000« gefeiert. Von Brian Greene ist zuletzt im Siedler Verlag der Titel »Der Stoff, aus dem der Kosmos ist« erschienen.
Die Originalausgabe erschien 1999 unter dem Titel »The Elegant Universe. Superstrings, Hidden Dimensions, and the Quest for the Ultimate Theory« bei W.W. Norton & Company, New York.
3. Auflage Taschenbuchausgabe Januar 2006 Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Copyright © der Originalausgabe 1999 by Brian Greene Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe by Siedler Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, 2000 Die Anmerkungen ab Kapitel 10 wurden von Markus Pössel übersetzt Wissenschaftliche Beratung und Redaktion: Markus Pössel, Berlin Umschlaggestaltung: Design Team München Umschlagillustration: The ATTIK Design Inc., San Francisco KF · Herstellung: Str.
eISBN: 978-3-641-18565-7
www.goldmann-verlag.de
www.randomhouse.de
Meiner Mutterund dem Andenken meines Vatersin Liebe und Dankbarkeit
Die letzten dreißig Jahre seines Lebens hat Albert Einstein damit verbracht, unablässig nach einer sogenannten einheitlichen Feldtheorie zu suchen – einer Theorie, die in der Lage sein sollte, die Naturkräfte in einem einzigen umfassenden und schlüssigen System zu beschreiben. Dabei ging es Einstein durchaus nicht um die Dinge, die wir häufig mit wissenschaftlichen Bemühungen verbinden, etwa den Versuch, dieses oder jenes experimentelle Ergebnis zu erklären. Vielmehr beseelte ihn die leidenschaftliche Überzeugung, das Universum werde, richtig verstanden, am Ende seine tiefste und wunderbarste Wahrheit offenbaren: die Einfachheit und Kraft der Prinzipien, auf denen es beruht. Einstein wollte die Gesetzmäßigkeit des Universums mit nie zuvor erreichter Klarheit beschreiben, damit es sich der staunenden Menschheit in seiner ganzen Schönheit und Eleganz erschließe.
Diesen Traum hat sich Einstein nicht erfüllen können, vor allem, weil er unter höchst ungünstigen Bedingungen antreten mußte: Damals wurden viele wichtige Eigenschaften der Materie und der Naturkräfte noch gar nicht oder bestenfalls unzulänglich verstanden. Doch in den letzten fünfzig Jahren hat jede neue Physikergeneration – über viele Umwege und Sackgassen – Entdeckung um Entdeckung zusammengetragen, die Arbeit der Vorgänger ergänzt und auf diese Weise die Voraussetzung zu einem immer vollständigeren Bild des Universums geschaffen. Heute, lange nachdem Einstein sich auf seine vergebliche Suche nach einer einheitlichen Theorie begeben hat, glauben Physiker, endlich ein System gefunden zu haben, mit dem sie diese Entdeckungen und Erkenntnisse zu einem bruchlosen Ganzen zusammenfügen können – einer einzigen Theorie, die im Prinzip fähig sein müßte, alle physikalischen Phänomene zu beschreiben. Um diese Theorie, die Superstringtheorie, geht es im vorliegenden Buch.
Ich habe Das elegante Universum geschrieben, um einer größeren Zahl von Lesern, vor allem solchen ohne mathematische oder physikalische Vorbildung, die Erkenntnisse zugänglich zu machen, die in jüngerer Zeit an vorderster Front der physikalischen Forschung gewonnen worden sind. Bei populärwissenschaftlichen Vorträgen über die Superstringtheorie ist mir in den letzten Jahren aufgefallen, wie groß das Interesse der Öffentlichkeit an vielen aktuellen Forschungsergebnissen ist – an den fundamentalen Gesetzmäßigkeiten des Universums, an den enormen Veränderungen, die wir aufgrund der neu entdeckten Gesetze in Hinblick auf unsere kosmologischen Vorstellungen vornehmen müssen, und an den Aufgaben, die bei der längst nicht abgeschlossenen Suche nach der letztgültigen Theorie noch auf uns warten. Ich hoffe, daß ich dieses Interesse beleben und befriedigen kann, wenn ich, mit Einstein und Heisenberg beginnend, die großen Entdeckungen der Physik erkläre und wenn ich beschreibe, wie sich der rote Faden ihrer Erkenntnisse durch die bahnbrechenden Forschungsergebnisse der heutigen Physik zieht.
Weiter hoffe ich, daß das Elegante Universum auch für Leser mit naturwissenschaftlichen Vorkenntnissen interessant ist. Physiklehrer und ihre Schüler können sich in dem Buch, denke ich, über Grundlagen der modernen Physik informieren, etwa die spezielle Relativitätstheorie, die allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenmechanik. Gleichzeitig vermittelt es einen Eindruck von der ansteckenden Begeisterung, die die Forscher beseelt, während sich ihnen die lange gesuchte einheitliche Theorie allmählich offenbart. Dem begierigen Leser populärwissenschaftlicher Bücher versuche ich viele der aufregenden Entdeckungen zu erklären, die im Laufe der letzten zehn Jahre unser Verständnis des Kosmos vorangebracht haben. Den Kollegen anderer wissenschaftlicher Disziplinen wird das Buch, so hoffe ich, zutreffend und ohne Voreingenommenheit vor Augen führen, warum die Stringtheoretiker so begeistert über die Fortschritte sind, die bei der Suche nach der Weltformel erreicht worden sind.
Die Superstringtheorie wirft ihre Netze weit aus und zieht viele der Entdeckungen heran, die für die Physik von zentraler Bedeutung sind. Da die Theorie die Gesetze des Großen und des Kleinen in sich vereinigt, Gesetze, die die Physik an den äußersten Rändern des Kosmos ebenso bestimmen wie das Verhalten der kleinsten Materieteilchen, kann man sich ihr auf vielen Wegen nähern. Ich habe mich für unser sich entwickelndes Verständnis von Zeit und Raum entschieden. Hier bietet sich, wie ich finde, eine besonders faszinierende Perspektive, die alle wichtigen neueren Erkenntnisse erfaßt. Einstein hat gezeigt, daß sich Raum und Zeit erstaunlich merkwürdig verhalten. Die neueste Forschung hat diese Entdeckungen in ein Quantenuniversum eingefügt, dessen zahlreiche verborgene Dimensionen im Gefüge des Kosmos aufgewickelt sind – Dimensionen, deren kompliziert verflochtene Geometrie die Antwort auf einige der wichtigsten Fragen überhaupt enthalten könnte. Obwohl einige dieser Konzepte sehr abstrakt sind, lassen sie sich, wie wir sehen werden, durch sehr konkrete Beispiele veranschaulichen. Haben wir diese Ideen erst einmal verstanden, zeigen sie uns ein verblüffendes und revolutionäres Bild des Universums.
Überall in diesem Buch habe ich versucht, mich eng an die wissenschaftlichen Fakten zu halten und dem Leser gleichzeitig – oft durch Vergleiche und Metaphern – ein intuitives Verständnis zu ermöglichen. Obwohl ich auf wissenschaftliche Begriffe und Gleichungen verzichte, werden dem Leser viele Konzepte so neu und unvertraut sein, daß er hin und wieder wird innehalten müssen. Hier wird er über einen Abschnitt nachzudenken und sich dort eine Erklärung zu vergegenwärtigen haben, um dem weiteren Gedankengang folgen zu können. Einige Abschnitte in Teil IV (die sich mit den neuesten Entwicklungen befassen) sind etwas abstrakter als der Rest. Ich habe mich bemüht, den Leser auf diese Abschnitte hinzuweisen und den Text so anzulegen, daß er ohne Folgen für das weitere Verständnis des Buches überflogen oder ausgelassen werden kann. Außerdem habe ich ein Glossar der wissenschaftlichen Begriffe angefügt, in dem die wichtigsten Termini leicht verständlich erklärt werden. Die Anmerkungen sind zum Verständnis des Textes nicht erforderlich, doch der interessierte Leser findet hier genauere Ausführungen zu einigen Punkten des Textes, Erläuterungen zu Ideen, die im Text vereinfacht dargestellt werden, und ein paar Hinweise, die mathematische Vorkenntnisse voraussetzen.
Vielen Menschen schulde ich Dank für die Hilfe, die sie mir bei der Abfassung dieses Buchs zuteil werden ließen. David Steinhardt hat das Manuskript sorgsam gelesen, wußte klugen Rat und hat mich immer wieder ermutigt. David Morrison, Ken Vineberg, Raphael Kasper, Nicholas Boles, Steven Carlip, Arthur Greenspoon, David Mermin, Michael Popowits und Shani Offen haben das Manuskript aufmerksam durchgesehen und detaillierte Vorschläge gemacht, die der endgültigen Fassung sehr zugute gekommen sind. Zu denen, die das Manuskript ganz oder teilweise gelesen haben, denen ich wertvolle Ratschläge verdanke und die mich ermutigt und unterstützt haben, gehören außerdem Paul Aspinwall, Persis Drell, Michael Duff, Kurt Gottfried, Joshua Greene, Teddy Jefferson, Marc Kamionkowski, Yakov Kanter, Andras Kovacs, David Lee, Megan McEwen, Nari Mistry, Hasan Padamsee, Ronen Plesser, Massimo Poratti, Fred Sherry, Lars Straeter, Steven Strogatz, Andrew Strominger, Henry Tye, Cumrun Vafa und Gabriele Veneziano. Besonder Dank gebührt Raphael Gunner (neben vielen anderen Dingen) für die verständnisvolle Kritik, die er zu einem frühen Zeitpunkt vorgebracht und die daher ganz wesentlich die Konzeption des Buches mitbestimmt hat, sowie Robert Malley für die unaufdringliche, aber hartnäckige Aufforderung, endlich damit aufzuhören, über das Buch nachzudenken, und es zu Papier zu bringen. Rat und Hilfe verdanke ich auch Steven Weinberg und Sidney Coleman. Mit Freude und Dankbarkeit denke ich an den regen Gedankenaustausch mit Carol Archer, Vicky Carstens, David Cassel, Anne Coyle, Michael Duncan, Jane Forman, Wendy Greene, Susan Greene, Erik Jendresen, Gary Kass, Shiva Kumar, Robert Mawhinney, Pam Morehouse, Pierre Ramond, Amanda Salles und Eero Simoncelli. Costas Efthimiou danke ich für die Hilfe bei der Überprüfung von Fakten und Literaturangaben sowie dafür, daß er meine flüchtigen Skizzen in Zeichnungen übersetzte, aus denen dann Tom Rockwell – mit übermenschlicher Geduld und meisterhaftem Kunstverstand – die Abbildungen des vorliegenden Buches schuf. Ferner habe ich Andrew Hanson und Jim Sethna für ihre Hilfe bei einigen Spezialabbildungen zu danken.
Für die Bereitschaft, sich interviewen zu lassen und ihre Auffassung zu einigen der behandelten Themen zu erläutern, danke ich Howard Georgi, Sheldon Glashow, Michael Green, John Schwarz, John Wheeler, Edward Witten und noch einmal Andrew Strominger, Cumrun Vafa und Gabriele Veneziano.
Sehr dankbar bin ich auch meinen Lektorinnen bei W.W. Norton, die beide entscheidend zur Klarheit der endgültigen Fassung beigetragen haben: Angela Von der Lippe durch ihre klugen und wertvollen Vorschläge und Traci Nagle durch ihr unbestechliches Auge fürs Detail. Meinen Literaturagenten John Brockman und Katinka Matson danke ich für die kenntnisreiche Betreuung des Buchs vom ersten Entwurf bis zur Veröffentlichung. Außerdem möchte ich meiner Lektorin bei Siedler, Andrea Böltken, meinem Übersetzer Hainer Kober und Markus Pössel, der die deutsche Übersetzung wissenschaftlich betreut hat, meinen Dank ausdrücken. Sie alle haben dafür gesorgt, daß die deutsche Ausgabe auf hervorragende Weise sowohl den Ton des englischen Originals trifft als auch dem wissenschaftlichen Gehalt gerecht wird.
Mit Dankbarkeit sei auch die großzügige Unterstützung durch die National Science Foundation, die Alfred P. Sloan Foundation und das amerikanische Energieministerium erwähnt, die ich seit fünfzehn Jahren für meine Arbeit auf dem Gebiet der theoretischen Physik erhalte. Es dürfte kaum überraschen, daß meine eigenen Forschungsarbeiten sich vor allem mit den Auswirkungen der Superstringtheorie auf unsere Vorstellungen von Raum und Zeit beschäftigen. In späteren Kapiteln werde ich auf einige Entdeckungen zu sprechen kommen, an denen mitzuwirken ich das Glück hatte. Wenn ich auch glaube, daß sich der Leser für solche »Insiderberichte« interessiert, befürchte ich doch, daß er dadurch eine etwas übertriebene Vorstellung von meiner Rolle bei der Entwicklung der Superstringtheorie gewinnen könnte. Daher möchte ich die Gelegenheit nutzen, den mehr als tausend Physikern in der ganzen Welt zu danken, die so entscheidend und so hingebungsvoll an dem Bemühen beteiligt sind, die endgültige Theorie des Universums, die sogenannte Weltformel, zu entwerfen. Meine Entschuldigung gilt all denen, deren Arbeit in diesem Bericht nicht erwähnt wird. Daran sind allein die besondere Perspektive schuld, die ich gewählt habe, und die Grenzen, die dem Umfang einer solchen allgemeinen Darstellung gezogen sind.
Ganz herzlich möchte ich zum Schluß Ellen Archer danken, ohne deren unerschütterliche Liebe und Unterstützung dieses Buch nicht hätte entstehen können.
Es als Vertuschung zu bezeichnen wäre stark übertrieben. Aber seit mehr als fünfzig Jahren – auch noch inmitten einiger der größten wissenschaftlichen Durchbrüche der Menschheitsgeschichte – waren sich die Physiker stets der dunklen Wolke bewußt, die am Horizont auf sie lauerte. Das Problem ist rasch beschrieben: Die moderne Physik ruht auf zwei Grundpfeilern. Der eine ist Albert Einsteins allgemeine Relativitätstheorie, die den theoretischen Rahmen zum Verständnis des extrem großräumigen Universums darstellt: der Sterne, Galaxien, Galaxienhaufen bis hin zu den ungeheuren Räumen des Universums selbst. Der andere Pfeiler ist die Quantenmechanik, die den theoretischen Rahmen zum Verständnis der kleinsten Größenverhältnisse liefert: der Moleküle, Atome bis hinab zu subatomaren Teilchen wie Elektronen und Quarks. Im Laufe vieler Jahre hat man fast alle Vorhersagen dieser beiden Theorien mit fast unvorstellbarer Genauigkeit experimentell bestätigen können. Doch genau diese theoretischen Werkzeuge führen auch zu einer sehr beunruhigenden Schlußfolgerung: So, wie sie gegenwärtig formuliert sind, können allgemeine Relativitätstheorie und Quantenmechanik nicht beide richtig sein. Die beiden Theorien, die für die immensen physikalischen Fortschritte der letzten hundert Jahre verantwortlich sind – Fortschritte, die erklären, wie der Himmel expandiert und wie die Materie im Innersten aufgebaut ist –, wollen partout nicht zueinander passen.
Sollten Sie bisher noch nichts von diesem unversöhnlichen Gegensatz gehört haben, fragen Sie sich vielleicht, wie das möglich war. Die Antwort ist einfach. Von ganz extremen Situationen abgesehen, untersuchen die an den Grundlagen unseres Universums interessierten Physiker Dinge, die entweder klein und leicht sind (etwa Atome und ihre Bestandteile), oder Dinge, die riesengroß und schwer sind (Sterne zum Beispiel und Galaxien), aber nicht beides zusammen. Sie halten sich also entweder nur an die Quantenmechanik oder nur an die allgemeine Relativitätstheorie und können sich mit einem flüchtigen Blick über den Zaun begnügen und mit einem Achselzucken über den strengen Tadel der jeweils anderen Theorie hinwegsetzen. Zwar ist diese Vorgehensweise, die seit fünfzig Jahren gang und gäbe ist, nicht aus seliger Unwissenheit geboren, aber auch nicht weit davon entfernt.
Doch das Universum kann durchaus extrem sein. In den zentralen Tiefen eines Schwarzen Lochs ist eine enorme Masse zu winziger Größe zusammengepreßt. Im Augenblick des Urknalls brach das ganze Universum aus einem mikroskopischen Klümpchen hervor, neben dem ein Sandkorn gigantisch gewirkt hätte. Das sind Bereiche, die winzig klein und doch unglaublich massereich sind und sich daher nur mit der Quantenmechanik und der allgemeinen Relativitätstheorie beschreiben lassen. Aus Gründen, die im Fortgang unserer Überlegungen klarer werden dürften, beginnen die Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie und der Quantenmechanik, sobald man sie kombiniert, zu rattern und zu spucken wie ein Auto, das reif für den Schrottplatz ist. Weniger metaphorisch: Auf sinnvolle physikalische Fragen gibt die unglückliche Verbindung der beiden Theorien sinnlose Antworten. Selbst wenn man bereit ist, der innersten Zone eines Schwarzen Lochs und dem Anfang des Universums ihr Geheimnis zu lassen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Feindseligkeit zwischen Quantenmechanik und allgemeiner Relativitätstheorie nach einer tieferen Verständnisebene verlangt. Ist es wirklich denkbar, daß das Universum auf seiner fundamentalsten Ebene geteilt ist, daß wir ein System von Gesetzen brauchen, wenn die Dinge groß sind, und ein anderes, wenn die Dinge klein sind? Und daß beide miteinander unverträglich sind?
Die Superstringtheorie, ein absoluter Neuling im Vergleich zu den ehrwürdigen Gebäuden der Quantenmechanik und der allgemeinen Relativitätstheorie, beantwortet diese Frage mit einem klaren und entschiedenen Nein. Seit zehn Jahren fördert die intensive Forschung von Physikern und Mathematikern in aller Welt zutage, daß die neue Methode zur Beschreibung von Materie auf ihrer fundamentalsten Ebene die Spannung zwischen allgemeiner Relativitätstheorie und Quantenmechanik aufzuheben vermag. Tatsächlich zeigt die Superstringtheorie noch mehr: In diesem neuen theoretischen Rahmen sind allgemeine Relativitätstheorie und Quantenmechanik aufeinander angewiesen, wenn die Theorie sinnvoll sein soll. Laut der Superstringtheorie ist die Ehe zwischen den Gesetzen des Großen und des Kleinen nicht nur glücklich, sondern unvermeidlich.
Damit noch nicht genug. Die Superstringtheorie – die Stringtheorie, wie ihre Kurzbezeichnung lautet – ist geeignet, diese Vereinigung einen gewaltigen Schritt voranzubringen. Dreißig Jahre lang suchte Einstein nach einer einheitlichen Theorie der Physik, einem System, das alle Naturkräfte und Bestandteile der Materie zu einem einzigen theoretischen Geflecht verknüpft. An der Schwelle des neuen Jahrtausends verkünden die Vertreter der Stringtheorie nun, die Fäden dieses so schwer faßbaren einheitlichen Flechtwerks seien endlich entdeckt. Die Stringtheorie könnte unsere Chance sein, zu zeigen, daß sich in all den wundersamen Vorgängen des Universums – vom hektischen Tanz der subatomaren Quarks bis hin zum gemessenen Walzer der Doppelsterne, vom Feuerball des Urknalls bis zum majestätischen Wirbel der kosmischen Galaxien – ein einziges, alles beherrschendes physikalisches Prinzip manifestiert, die Mutter aller Gleichungen.
Da diese Eigenschaften der Stringtheorie verlangen, daß wir unser Verständnis von Raum, Zeit und Materie gründlich verändern, wird es einige Zeit dauern, bis wir uns an sie gewöhnt haben und sie uns zur Selbstverständlichkeit geworden sind. Doch wie deutlich werden wird, ist die Stringtheorie, in den richtigen Zusammenhang gestellt, ein zwar spektakuläres, aber doch natürliches Ergebnis der revolutionären Entdeckungen, die der Physik in den letzten hundert Jahren gelungen sind. Tatsächlich werden wir sehen, daß der Konflikt zwischen allgemeiner Relativitätstheorie und Quantenmechanik nicht der erste, sondern der dritte in einer Folge von höchst bedeutsamen Auseinandersetzungen ist; und jedesmal hat ihre Lösung unser Verständnis des Universums am Ende auf staunenswerte Weise revidiert.
Der erste Konflikt reicht bis in die letzten Jahre des neunzehnten Jahrhunderts zurück und betrifft seltsame Eigenschaften der Bewegung von Licht. In kurzen Worten: Nach Isaac Newtons Bewegungsgesetzen können Sie einen davoneilenden Lichtstrahl einholen, wenn Sie schnell genug laufen, während Sie dazu nach James Clerk Maxwells Gesetzen des Elektromagnetismus nicht in der Lage sind. Wie wir in Kapitel zwei erörtern werden, hat Einstein diesen Konflikt durch seine spezielle Relativitätstheorie gelöst und damit unser Verständnis von Raum und Zeit völlig umgekrempelt. Nach der speziellen Relativitätstheorie dürfen wir uns Raum und Zeit nicht mehr als einen universell festgelegten Rahmen vorstellen, den jeder auf die gleiche Weise erlebt. Vielmehr sind sie nach Einsteins Interpretation veränderliche Konstrukte, deren Form und Erscheinung von dem Bewegungszustand des einzelnen abhängt.
Die Entwicklung der speziellen Relativitätstheorie löste augenblicklich den zweiten Konflikt aus. Unter anderem folgt aus Einsteins Arbeit nämlich, daß sich kein Objekt – überhaupt kein Einfluß und keine Störung irgendeiner Art – schneller als das Licht fortbewegen kann. Doch wie wir in Kapitel drei sehen werden, gibt es in Newtons experimentell erfolgreicher und intuitiv ansprechender universeller Gravitationstheorie Einflüsse, die über große räumliche Entfernung instantan übertragen werden. Abermals gelang es Einstein, den Konflikt zu lösen. 1915 legte er mit der allgemeinen Relativitätstheorie ein neues Gravitationskonzept vor. Wie die spezielle Relativitätstheorie ersetzte auch die allgemeine Relativitätstheorie bis dahin gültige Vorstellungen von Raum und Zeit durch neue Konzepte. Nun werden Raum und Zeit nicht mehr nur durch den eigenen Bewegungszustand beeinflußt, sondern können sich in Gegenwart von Materie oder Energie verzerren und krümmen. Solche Verzerrungen in der Struktur von Raum und Zeit übertragen, wie wir sehen werden, die Kraft der Gravitation von Ort zu Ort. Folglich können wir uns Raum und Zeit nicht mehr als passiven Hintergrund vorstellen, vor dem sich die Ereignisse des Universums abspielen. Durch die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie sind Raum und Zeit zu aktiven Mitspielern geworden.
Und das Muster wiederholt sich: Die Entdeckung der allgemeinen Relativitätstheorie löste den einen Konflikt, führte aber zu einem neuen. In den ersten drei Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts hatte man die Quantenmechanik entwickelt. Wie wir in Kapitel vier sehen werden, reagierte die Physik damit auf eine Reihe schwerwiegender Probleme, die auftraten, als man versuchte, die physikalischen Konzepte des neunzehnten Jahrhunderts auf die mikroskopische Welt anzuwenden. Und aus der Unverträglichkeit von Quantenmechanik und allgemeiner Relativitätstheorie resultierte, wie erwähnt, der dritte und größte Konflikt. Kapitel fünf wird zeigen, daß die sanft gekrümmte geometrische Form des Raums, wie sie sich aus der allgemeinen Relativitätstheorie ergibt, auf dem Kriegsfuß steht mit dem hektischen, brodelnden Verhalten, welches das mikroskopische Universum der Quantenmechanik an den Tag legt. Da erst Mitte der achtziger Jahre mit der Stringtheorie eine Lösung in Sicht kam, wird dieser Konflikt zu Recht als das zentrale Problem der modernen Physik bezeichnet. Darüber hinaus verlangt die Stringtheorie, obwohl sie auf der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie aufbaut, ein erneutes und grundlegendes Umdenken in bezug auf unsere Vorstellungen von Raum und Zeit. Beispielsweise halten die meisten Menschen es für selbstverständlich, daß unser Universum drei Dimensionen des Raums besitzt. Dagegen behauptet die Stringtheorie, unser Universum habe sehr viel mehr Dimensionen, als das Auge sieht – Dimensionen, die, eng aufgewickelt, die in sich gefaltete Mikrostruktur unseres Kosmos ausmachen. Diese bemerkenswerten Erkenntnisse über die Beschaffenheit von Zeit und Raum sind von so zentraler Bedeutung, daß sie bei allen folgenden Ausführungen als Leitmotiv dienen werden. In einem ganz konkreten Sinn ist die Stringtheorie die Geschichte von Zeit und Raum seit Einstein.
Um die Stringtheorie richtig würdigen zu können, müssen wir etwas ausholen und kurz beschreiben, was uns das letzte Jahrhundert an Erkenntnissen über die mikroskopische Struktur des Universums beschert hat.
Die alten Griechen nahmen an, das Universum bestehe aus winzigen »unzerteilbaren« Bausteinen, die sie Atome nannten. Wie die ungeheure Zahl von Wörtern einer alphabetischen Sprache auf den vielfältigen Kombinationen einer kleinen Zahl von Buchstaben beruht, so ergab sich nach Annahme der Griechen die gewaltige Vielfalt der materiellen Objekte ebenfalls aus Kombinationen einer kleinen Anzahl verschiedener und elementarer Bestandteile. Das war eine außerordentlich weitsichtige Vermutung. Mehr als zweitausend Jahre später halten wir sie noch immer für wahr, wenn sich auch mehrfach unsere Auffassung davon geändert hat, was denn nun die fundamentalen Bausteine sein sollen. Im neunzehnten Jahrhundert wiesen Wissenschaftler nach, daß viele vertraute Stoffe wie Sauerstoff und Kohlenstoff einen kleinsten erkennbaren Bestandteil besitzen. In der Tradition der Griechen nannten sie diese Bausteine Atome. Der Name blieb haften, doch die weitere Wissenschaftsgeschichte zeigte, daß dies eine irreführende Bezeichnung war, denn Atome sind durchaus »zerteilbar«. Anfang der dreißiger Jahre begründeten die Arbeiten von J.J. Thomson, Ernest Rutherford, Niels Bohr und James Chadwick das sonnensystemähnliche Atommodell, mit dem die meisten von uns vertraut sind. Danach sind Atome keineswegs die fundamentalsten Bausteine der Materie, sondern Gebilde mit einem Kern, der seinerseits aus Protonen und Neutronen besteht und von einem Schwarm kreisender Elektronen umgeben ist.
Eine Zeitlang glaubten viele Physiker, Protonen, Neutronen und Elektronen seien nun wirklich die »Atome« der Griechen. Doch Experimentalphysiker am Stanford Linear Accelerator Center, die sich modernste technische Möglichkeiten zunutze machten, um die Tiefenstruktur der Materie zu erkunden, stellten 1968 fest, daß auch Protonen und Neutronen nicht fundamental sind. Vielmehr besteht jeder dieser Bausteine aus drei noch kleineren Teilchen, den Quarks – eine launige Bezeichnung, die der theoretische Physiker Murray Gell-Mann, nachdem er zuvor ihre Existenz postuliert hatte, einem Abschnitt aus dem Roman Finnegan’s Wake von James Joyce entnommen hatte. Weiter stellten die Physiker am Teilchenbeschleuniger fest, daß die Quarks in zwei Spielarten auftreten, die man, nicht ganz so phantasievoll, up und down nannte. Ein Proton besteht aus zwei up-Quarks und einem down-Quark, ein Neutron aus zwei down-Quarks und einem up-Quark.
Alles, was wir in der irdischen Welt und im Himmel über uns erblicken, scheint aus Kombinationen von Elektronen, up-Quarks und down-Quarks zu bestehen. Es gibt keine experimentellen Ergebnisse, die darauf schließen lassen, daß irgendeines dieser Teilchen aus kleineren Bausteinen zusammengesetzt ist. Allerdings sprechen sehr viele Beweise dafür, daß das Universum selbst noch weitere Bestandteilchen aufzuweisen hat. Mitte der fünfziger Jahre fanden Frederick Reines und Clyde Cowan überzeugende experimentelle Hinweise auf eine vierte Art von fundamentalen Teilchen, das Neutrino – ein Teilchen, das bereits in den dreißiger Jahren von Wolfgang Pauli vorhergesagt worden war. Wie sich herausstellte, lassen sich Neutrinos sehr schwer nachweisen, weil sie geisterhafte Teilchen sind, die nur selten mit anderer Materie in Wechselwirkung treten: Ein Neutrino von durchschnittlicher Energie kann mühelos viele Billionen Kilometer Blei durchqueren, ohne in seiner Bewegung irgendwie beeinträchtigt zu werden. Das müßte Sie eigentlich sehr erleichtern, denn während Sie dies lesen, durchqueren Milliarden von Neutrinos, die von der Sonne ins All gesandt wurden, auf der einsamen Reise durch den Kosmos Ihren Körper und die Erde. Ende der dreißiger Jahre wurde von Physikern, die kosmische Strahlung (Teilchenschauer, die aus dem Weltall auf die Erde herabregnen) untersuchten, ein weiteres Teilchen entdeckt, das Myon, das mit dem Elektron identisch ist, nur daß es rund 200mal so schwer ist. Da es nichts in der kosmischen Ordnung gab, kein ungelöstes Rätsel, keine maßgeschneiderte Nische, die die Existenz des Myons verlangt hätte, begrüßte der Teilchenphysiker und Nobelpreisträger Isidor Isaac Rabi die Entdeckung des Myons mit den wenig begeisterten Worten: »Wer hat denn das bestellt?« Indes, es war nun einmal da. Und weitere sollten folgen.
Mit immer leistungsfähigeren technischen Geräten ließen Experimentalphysiker Materieteilchen mit immer größeren Energien ineinanderkrachen, so daß vorübergehend Bedingungen entstanden, wie es sie seit dem Urknall nicht mehr gegeben hat. In den Trümmern dieser Kollisionen suchten sie nach neuen fundamentalen Bausteinen, die sie in die wachsende Liste der Teilchen eintragen konnten. Gefunden haben sie vier weitere Quarks – charm, strange, bottom und top –, außerdem einen noch schwereren Verwandten des Elektrons, das Tauon, und zwei weitere Teilchen mit ähnlichen Eigenschaften wie das Neutrino (das Myon-Neutrino und das Tauon-Neutrino, im Unterschied zum herkömmlichen Neutrino, das nun Elektron-Neutrino genannt wird). Diese Teilchen werden durch hochenergetische Kollisionen produziert, die meisten von ihnen haben nur eine sehr kurze Lebensdauer, und sie sind keine Bestandteile von Dingen, mit denen wir alltäglich zu tun haben. Doch selbst das ist noch nicht die ganze Geschichte. Jedes dieser Teilchen hat einen Antiteilchen-Partner – ein Teilchen, das die gleiche Masse hat, aber in anderer Hinsicht gegensätzliche Eigenschaften besitzt, zum Beispiel was die elektrische Ladung (aber auch die Ladungen in Hinblick auf andere noch zu erörternde Kräfte) angeht. So bezeichnet man das Antiteilchen eines Elektrons als Positron: Es hat haargenau die gleiche Masse wie ein Elektron, aber seine elektrische Ladung beträgt +1, während die des Elektrons – 1 ist. Wenn sie zusammenkommen, können sich Materie und Antimaterie vernichten und dabei reine Energie erzeugen – das ist der Grund, warum es so außerordentlich wenig natürliche Antimaterie in der Welt um uns herum gibt.
Die Physiker haben erkannt, daß sich diese Teilchen zu einem bestimmten Muster anordnen; das zeigt die Tabelle 1.1. Die Materieteilchen gliedern sich säuberlich in drei Gruppen, die oft als Familien bezeichnet werden. Jede Familie enthält zwei Quarks, ein Elektron oder einen seiner Verwandten und eine Neutrinospielart. Die entsprechenden Teilchenarten haben in allen drei Familien gleiche Eigenschaften, ausgenommen die Masse, die von Familie zu Familie größer wird. Das Fazit lautet, daß die Physiker die Struktur der Materie jetzt bei Größenverhältnissen von ungefähr einem milliardstel milliardstel Meter erforscht haben und nachweisen können, daß alles, worauf sie dabei bislang gestoßen sind – egal, ob es natürlich vorkommt oder künstlich in riesigen Teilchenbeschleunigern erzeugt wird –, einer Kombination von Teilchen aus diesen drei Familien und ihren Antimaterie-Teilchen entspricht.
Tabelle 1.1 Die drei Familien von Elementarteilchen und ihre Massen (in Vielfachen der Protonenmasse). Die Werte der Neutrinomassen haben sich bisher jeder genaueren experimentellen Bestimmung entzogen.
Wenn Sie einen Blick auf Tabelle 1.1 werfen, wird Ihre Verwirrung sicherlich noch größer sein als Rabis Befremden über die Entdeckung des Myons. Die Einteilung in Familien erweckt zumindest einen gewissen Anschein von Ordnung, ändert aber nichts daran, daß dem Betrachter zahllose »Warums« in den Sinn kommen. Warum gibt es so viele fundamentale Teilchen, obwohl die große Mehrheit der Dinge in der Welt um uns umher offenbar nur Elektronen, up-Quarks und down-Quarks braucht? Warum gibt es drei Familien? Warum nicht eine Familie oder vier oder irgendeine andere Zahl? Warum weisen die Teilchen eine scheinbar zufällige Streuung der Massen auf – warum wiegt beispielsweise das Tauon ungefähr 3520mal soviel wie ein Elektron? Und warum wiegt das top-Quark ungefähr 40 200mal soviel wie ein up-Quark? Das sind merkwürdige, scheinbar beliebige Zahlen. Sind sie dem Zufall zu verdanken, göttlichem Ratschluß, oder gibt es eine logische Erklärung für die fundamentalen Eigenschaften des Universums?
Noch komplizierter wird die Situation, wenn wir die Naturkräfte betrachten. In der Alltagswelt gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, Einfluß auszuüben: Bälle können von Schlägern getroffen werden, Bungee-Fans können sich von hohen Standorten in die Tiefe stürzen, Magneten können superschnelle Züge knapp über den Metallschienen in der Schwebe halten, Geigerzähler können in Anwesenheit von radioaktivem Material ticken, Kernwaffen können explodieren. Wir können Objekte beeinflussen, indem wir kräftig an ihnen ziehen, sie stoßen oder schütteln, indem wir andere Objekte darauf werfen oder schießen, indem wir sie dehnen, verdrehen oder zermalmen, indem wir sie abkühlen, erwärmen oder verbrennen. In den letzten hundert Jahren haben Physiker eine Fülle von Forschungsergebnissen zusammengetragen, aus denen hervorgeht, daß sich alle diese Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Objekten und Stoffen und die unzähligen anderen Vorgänge, die sich ereignen, wenn Dinge sich begegnen, auf Kombinationen von vier fundamentalen Kräften zurückführen lassen. Eine von ihnen ist die Gravitationskraft. Die anderen drei sind die elektromagnetische Kraft, die schwache Kraft und die starke Kraft.
Die Gravitation, die Schwerkraft, ist uns am vertrautesten, denn sie ist dafür verantwortlich, daß wir die Sonne umkreisen und mit beiden Beinen auf der Erde bleiben. Von der Masse eines Objektes hängt es ab, wie groß die Gravitationskraft ist, die es ausübt und der es unterworfen ist. Vertraut ist uns auch die elektromagnetische Kraft. Sie ist die Kraft, mit der die Annehmlichkeiten des modernen Lebens betrieben werden – Licht, Computer, Fernseher, Telefon –, und sie liegt der fürchterlichen Gewalt des Blitzes ebenso zugrunde wie der sanften Berührung einer menschlichen Hand. Auf mikroskopischer Ebene spielt die elektrische Ladung eines Teilchens die gleiche Rolle für die elektromagnetische Kraft wie die Masse für die Gravitation: Sie bestimmt, wie stark das Teilchen elektromagnetisch wirken und reagieren kann.
Die starke und die schwache Kraft sind weniger geläufig, weil ihre Stärke rasch nachläßt, sobald die Entfernungen subatomare Abstände überschreiten; sie sind die Kernkräfte. Aus diesem Grund wurden die beiden Kräfte auch erst sehr viel später entdeckt. Die starke Kraft hat die Aufgabe, die Quarks im Inneren von Protonen und Neutronen zu »verleimen« und die Protonen und Neutronen in Atomkernen fest zusammenzuhalten. Die schwache Kraft ist vor allem bekannt, weil sie den radioaktiven Zerfall von Substanzen wie Uran und Kobalt bewirkt.
In den letzten hundert Jahren wurden zwei Eigenschaften entdeckt, die allen diesen Kräften gemeinsam sind. Erstens ist ihnen allen, wie wir in Kapitel fünf erörtern werden, auf mikroskopischer Ebene ein Teilchen zugeordnet, das Sie sich als kleinstes Bündel oder Paket der betreffenden Kraft vorstellen können. Wenn Sie einen Laserstrahl abfeuern – eine »elektromagnetische Strahlenkanone« – dann schicken Sie einen Strom von Photonen los, Minimalpakete der elektromagnetischen Kraft. Die kleinsten Bestandteile von Feldern der schwachen und der starken Kraft heißen schwache Eichbosonen und Gluonen. (Der Name Gluon ist besonders anschaulich, steckt in ihm doch das englische Wort glue – Leim; Gluonen können Sie sich also als die mikroskopischen Bestandteile des starken Leims vorstellen, der die Atomkerne zusammenhält.) Bis 1984 hatte man in entsprechenden Experimenten endgültig die Existenz und alle Eigenschaften dieser drei Arten von Kraftteilchen nachgewiesen (vgl. Tabelle 1.2). Man nimmt an, auch der Gravitationskraft sei ein Teilchen zugeordnet – das Graviton –, aber seine Existenz konnte experimentell noch nicht bestätigt werden.
Tabelle 1.2 Die vier Naturkräfte mit ihren zugeordneten Kraftteilchen und deren Massen als Vielfache der Protonenmasse. (Bei den schwachen Kraftteilchen gibt es zwei Spielarten mit verschiedenen Massen, wie die Tabelle zeigt. Aus theoretischen Studien geht hervor, daß das Graviton masselos sein müßte.
Betrachten wir die zweite gemeinsame Eigenschaft der Kräfte: Wir haben gesehen, daß die Masse bestimmt, wie die Gravitation sich auf ein Teilchen auswirkt, und die elektrische Ladung festlegt, wie es die elektromagnetische Kraft erfährt; genauso sind Teilchen mit bestimmten Mengen »starker Ladung« und »schwacher Ladung« ausgestattet, die entscheiden, wie die starke und die schwache Kraft auf sie wirken. (Die Tabelle in den Anmerkungen zu diesem Kapitel führt diese Eigenschaften genauer auf.1) Doch wie für die Teilchenmassen gilt auch hier, daß die Experimentalphysiker die Eigenschaften zwar sorgfältig gemessen haben, aber niemand weiß, warum unser Universum aus diesen besonderen Teilchen mit diesen besonderen Massen und Kraftladungen besteht.
Ungeachtet ihrer gemeinsamen Merkmale führt eine genauere Untersuchung der fundamentalen Kräfte nur dazu, daß die Probleme noch komplizierter werden. Warum sind es beispielsweise vier fundamentale Kräfte? Warum nicht fünf oder drei oder vielleicht auch nur eine? Warum haben die Kräfte so verschiedene Eigenschaften? Warum wirken die starke und die schwache Kraft nur auf mikroskopischer Ebene, während Gravitation und elektromagnetische Kraft ihren Einfluß unbeschränkt entfalten können? Und warum ist die Stärke dieser Kräfte so außerordentlich unterschiedlich?
Stellen Sie sich zur Verdeutlichung der letzten Frage vor, Sie hielten ein Elektron in der linken und ein anderes Elektron in der rechten Hand und brächten diese beiden elektrisch geladenen Teilchen nun dicht zusammen. Ihre gegenseitige Gravitations- oder Massenanziehung würde den Versuch unterstützen, sie einander anzunähern, während die elektromagnetische Abstoßung sie auseinandertreiben würde. Welche Wirkung ist stärker? Daran gibt es keinen Zweifel: Die elektromagnetische Abstoßung ist ungefähr eine Million Milliarde Milliarde Milliarde Milliarde (1042) mal so stark! Wenn Ihr rechter Bizeps für die Stärke der Gravitationskraft stünde, dann müßte sich Ihr linker Bizeps über die Grenzen des bekannten Universums ausdehnen, um der Stärke der elektromagnetischen Kraft zu entsprechen. Daß die elektromagnetische Kraft die Gravitation in der Welt um uns herum nicht zur völligen Bedeutungslosigkeit verurteilt, hat nur einen einzigen Grund – die meisten Dinge sind zu gleichen Anteilen aus positiven und negativen Ladungen zusammengesetzt, deren Kräfte sich gegenseitig aufheben. Da die Gravitation andererseits immer als Anziehungskraft wirkt, kennt sie eine solche Aufhebung nicht – mehr Materie bedeutet einfach größere Gravitationskraft. Doch grundsätzlich betrachtet, ist die Gravitation eine außerordentlich schwache Kraft. (Daher ist es auch so schwierig, die Existenz des Gravitons experimentell nachzuweisen. Die Suche nach dem kleinsten Paket der schwächsten Kraft ist eine ziemliche Herausforderung.) Aus Experimenten wissen wir ferner, daß die starke Kraft ungefähr hundertmal so stark wie die elektromagnetische und etwa hunderttausendmal so stark wie die schwache Kraft ist. Aber was für einen Sinn – was für eine Existenzberechtigung – haben diese Eigenschaften für unser Universum?
Das ist kein müßiges Philosophieren über die Frage, warum irgendwelche Einzelheiten zufällig so und nicht anders sind. Das Universum böte ein völlig anderes Bild, hätten die Materie und die Kraftteilchen auch nur geringfügig andere Eigenschaften. Zum Beispiel hängt die Existenz der rund hundert Elemente des Periodensystems von dem exakten Verhältnis zwischen der Stärke der starken und der der elektromagnetischen Kraft ab. Alle Protonen, die im Atomkern zusammengepreßt sind, stoßen sich elektromagnetisch ab. Zum Glück überwindet die starke Kraft, die zwischen den konstituierenden Quarks wirkt, diese Abstoßung und hält die Protonen fest zusammen. Doch schon eine kleine Veränderung in der relativen Stärke der beiden Kräfte würde das Gleichgewicht zwischen ihnen stören und einen Zerfall der meisten Atomkerne bewirken. Wäre ferner die Masse des Elektrons nur einige Male so groß, wie sie tatsächlich ist, würden sich Elektronen und Protonen vielfach zu Neutronen verbinden, dabei alle Wasserstoffkerne verbrauchen (Wasserstoff ist das einfachste Element im Kosmos, sein Kern enthält nur ein einziges Proton) und damit wiederum die Entstehung komplexerer Elemente verhindern. Sterne sind auf die Fusion stabiler Kerne angewiesen und könnten sich angesichts solcher Veränderungen der fundamentalen Physik nicht bilden. Auch die Stärke der Gravitationskraft ist von grundsätzlicher Bedeutung. Die alles zermalmende Materiedichte im Zentralkern eines Sterns sorgt für die Energie seines Kernbrennofens und ist für die blendende Helligkeit des Sternenlichts verantwortlich. Vergrößert man die Stärke der Gravitationskraft, würde der Sternklumpen noch dichter werden, wodurch sich die Geschwindigkeit der Kernreaktionen beträchtlich erhöhen würde. Doch wie ein leuchtender Lichtblitz seine Energie rascher verbraucht als eine langsam brennende Kerze, würde eine Zunahme der nuklearen Reaktionsrate Sterne wie die Sonne sehr viel rascher ausbrennen lassen, was für das Leben in der uns bekannten Form verheerende Auswirkungen hätte. Verringerte man auf der anderen Seite die Stärke der Gravitationskraft erheblich, dann würde Materie überhaupt nicht mehr zusammenklumpen und dadurch die Bildung von Sternen und Galaxien verhindern.
Wir könnten die Reihe der Beispiele fortsetzen, doch der Gedanke dürfte hinreichend klar geworden sein: Das Universum ist so, wie es ist, weil die Materie und die Kraftteilchen genau die Eigenschaften haben, die sie haben. Doch gibt es eine wissenschaftliche Erklärung dafür, warum sie diese Eigenschaften haben?
Die Stringtheorie liefert einen schlüssigen Rahmen, innerhalb dessen sich zum ersten Mal die Möglichkeit zur Beantwortung dieser Frage ergibt. Betrachten wir zunächst die Grundidee.
Die Teilchen in Tabelle 1.1 sind die »Buchstaben« der gesamten Materie. Wie ihre sprachlichen Pendants weisen sie scheinbar keine weitere innere Unterteilung auf. Das sieht die Stringtheorie anders. Wenn wir, so sagt sie, diese Teilchen genauer untersuchen könnten – mit einer Genauigkeit, die viele Größenordnungen über unseren gegenwärtigen Möglichkeiten liegt –, dann würden wir feststellen, daß sie nicht punktartig sind, sondern jeweils aus einer winzigen eindimensionalen Schleife bestehen. Jedes Teilchen wird durch einen schwingenden, oszillierenden, tanzenden Faden konstituiert, der einem unendlich dünnen Gummiband gleicht und von den Physikern, in Ermangelung von Gell-Manns Belesenheit, String – »Faden« oder »Saite« – genannt wurde. Diesen zentralen Gedanken der Stringtheorie soll Abbildung 1.1 zum Ausdruck bringen. Sie beginnt mit etwas so Alltäglichem wie einem Apfel und zeigt dessen Struktur in immer weiter vergrößerten Ausschnitten, so daß sich seine Bestandteile auf immer fundamentaleren Ebenen offenbaren. Die bisher bekannte Abfolge von Atomen über Protonen, Neutronen und Elektronen bis hin zu Quarks ergänzt die Stringtheorie durch die neue mikroskopische Ebene einer schwingenden Schleife.2
Abbildung 1.1 Materie besteht aus Atomen, die ihrerseits aus Quarks und Elektronen zusammengesetzt sind. Nach der Stringtheorie sind alle diese Teilchen in Wirklichkeit winzige schwingende Stringschleifen.
Was hier natürlich noch nicht ersichtlich ist, wird Kapitel sechs zeigen: daß nämlich diese einfache Auswechslung der punktartigen Materiebausteine durch Strings der Unvereinbarkeit von Quantenmechanik und allgemeiner Relativitätstheorie ein Ende setzt. Damit durchtrennt die Stringtheorie den Gordischen Knoten der zeitgenössischen theoretischen Physik. Das ist eine gewaltige Leistung, trotzdem aber nur einer der Gründe für den Enthusiasmus, den die Stringtheorie in der Fachwelt ausgelöst hat.
Zu Einsteins Zeiten waren die starke und die schwache Kraft noch nicht einmal entdeckt, trotzdem fand er schon die Existenz von zwei verschiedenen Grundkräften – Gravitation und Elektromagnetismus – äußerst befremdend. Einstein wollte sich nicht damit abfinden, daß sich die Natur auf einen so extravaganten Entwurf gründet. Deshalb begann er seine dreißigjährige Suche nach einer sogenannten einheitlichen Feldtheorie, die, wie er hoffte, zeigen würde, daß diese beiden Kräfte in Wirklichkeit Manifestationen eines einzigen grundlegenden Prinzips sind. Diese Donquichotterie isolierte Einstein von der Hauptströmung der Physik, die verständlicherweise ein weit größeres Interesse daran hatte, sich in die neue Theorie der Quantenmechanik zu vertiefen. Anfang der vierziger Jahre schrieb er an einen Freund: »Ich bin ein einsamer alter Bursche, den man vor allem kennt, weil er keine Strümpfe trägt, und den man bei besonderen Gelegenheiten als Kuriosität zur Schau stellt.«3
ENDE DER LESEPROBE