Bis zum Ende der Zeit - Brian Greene - E-Book
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Bis zum Ende der Zeit E-Book

Brian Greene

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Beschreibung

Ein neuer Blick auf den Anfang und das Ende unseres Universums

Der weltbekannte Physiker Brian Greene schreibt die Geschichte des Universums, vom Urknall bis zu seinem Ende. Und die Geschichte des Menschen in diesem Universum. Er zeigt, wie sich in einem fast unendlichen Meer von Chaos und Unordnung Leben und Bewusstsein entwickeln konnten. Es ist eine Reise zu wandernden Planeten und wirbelnden Galaxien – und zugleich eine wunderbare Erzählung über das Streben des Menschen nach Sinn im Angesicht der Vergänglichkeit.

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Buch

Der weltbekannte Physiker Brian Greene schreibt die Geschichte des Universums, vom Urknall bis zu seinem Ende. Und die Geschichte des Menschen in diesem Universum. Er zeigt, wie sich in einem fast unendlichen Meer von Chaos und Unordnung Leben und Bewusstsein entwickeln konnten. Es ist eine Reise zu wandernden Planeten und wirbelnden Galaxien – und zugleich eine wunderbare Erzählung über das Streben des Menschen nach Sinn im Angesicht der Vergänglichkeit.

Autor

BRIAN GREENE, geboren 1963, hat in Harvard und Oxford studiert und ist seit 1996 Professor für Physik und Mathematik an der Columbia University in New York. Er zählt zu den führenden Forschern auf dem Gebiet der Superstrings und ist im Bereich der Astrophysik ein beliebter TV-Gast und begehrter Redner. Seine Bücher, in deutscher Übersetzung bei Siedler erschienen, darunter »Das elegante Universum« (2000), »Der Stoff, aus dem der Kosmos ist« (2004) sowie »Die verborgene Wirklichkeit« (2012), sind internationale Bestseller.

Brian Greene

Bis zum Ende der Zeit

DER MENSCH, DAS UNIVERSUM UND UNSERE SUCHE

NACH DEM SINN DES LEBENS

Aus dem Englischen von Sebastian Vogel

Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Until the End of Time. Mind, Matter, and Our Search for Meaning in an Evolving Universe« bei Alfred A. Knopf, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2020 by Brian Greene

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2020 by Siedler Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Lektorat: Dr. Susanne Warmuth

Fachberatung: Marcel Lotz, Universität München

Covergestaltung: FAVORITBÜRO, München, nach einem Entwurf von Chipp Kidd

Coverabbildung: shaunl/E+/Getty Images

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-26159-7V003

www.siedler-verlag.de

Für Tracy

Inhalt

Vorwort

BIS ZUM ENDE DER ZEIT

KAPITEL 1

Die Verlockungen der Ewigkeit

Anfänge, Enden und mehr

KAPITEL 2

Die Sprache der Zeit

Vergangenheit, Zukunft und Wandel

KAPITEL 3

Ursprünge und Entropie

Von der Schöpfung zur Struktur

KAPITEL 4

Information und Lebendigkeit

Von der Struktur zum Leben

KAPITEL 5

Teilchen und Bewusstsein

Vom Leben zum Geist

KAPITEL 6

Sprache und Geschichten

Vom Geist zur Fantasie

KAPITEL 7

Gehirn und Glaube

Von der Fantasie zum Heiligen

KAPITEL 8

Instinkt und Kreativität

Vom Heiligen zum Erhabenen

KAPITEL 9

Dauer und Vergänglichkeit

Vom Erhabenen zum letzten Gedanken

KAPITEL 10

Zeitendämmerung

Quanten, Wahrscheinlichkeit und Ewigkeit

KAPITEL 11

Die Erhabenheit des Seins

Geist, Materie und Sinn

Dank

ANHANG

Anmerkungen

Literatur

Namenregister

Verzeichnis ausgewählter Schlüsselbegriffe

Vorwort

»Warum ich Mathematik betreibe? Ganz einfach: Wenn man ein Theorem einmal bewiesen hat, gilt es. Für immer.«1 Eine einfache, unverblümte, aber auch überraschende Aussage. Sie stammte von einem älteren Freund, der mir schon seit Jahren große Felder der Mathematik erschlossen hatte. Ich war auf dem College im zweiten Studienjahr und hatte ihm erzählt, dass ich für mein Psychologieseminar eine Hausarbeit über menschliche Motivation schrieb. Seine Antwort war für mich eine Offenbarung. Bis dahin hatte ich die Mathematik nie auch nur entfernt unter ähnlichen Aspekten betrachtet. Sie war für mich immer ein wundersames Spiel der abstrakten Präzision gewesen, und die sonderbare Gemeinde, die ihm anhing, fand Vergnügen an Pointen, in denen es um Quadratwurzeln oder die Division durch Null ging. Aber bei seiner Bemerkung machte es bei mir plötzlich »klick«. Ja, dachte ich, das ist die Romantik der Mathematik. Durch Logik gezügelte Kreativität und eine Reihe von Axiomen bestimmen darüber, wie man Ideen so manipulieren und kombinieren kann, dass unumstößliche Wahrheiten ans Licht kommen. Schon lange vor Pythagoras und bis in alle Ewigkeit erfüllt jedes rechtwinklige Dreieck, das jemals gezeichnet wurde oder gezeichnet werden wird, den berühmten Lehrsatz, der seinen Namen trägt. Ausnahmen gibt es nicht. Natürlich kann man die Voraussetzungen ändern und dann ganz neue Domänen erkunden, etwa Dreiecke, die auf einer gekrümmten Oberfläche wie der Hülle eines Basketballs gezeichnet werden – dann wird Pythagoras’ Erkenntnis aus den Angeln gehoben. Aber wenn man die Voraussetzungen festgelegt und die eigene Arbeit nochmals überprüft hat, könnte man das Ergebnis in Stein meißeln. Man muss nicht Berggipfel erklimmen, nicht durch Wüsten wandern, nicht über die Unterwelt triumphieren. Gemütlich am Schreibtisch, mit Papier, Bleistift und einem scharfen Verstand, kann man etwas Zeitloses erschaffen.

Diese Sichtweise eröffnete mir eine ganz neue Welt. Eigentlich hatte ich mich nie gefragt, warum ich mich so sehr zu Mathematik und Physik hingezogen fühlte. Probleme zu lösen, herauszufinden, wie das Universum aufgebaut ist, das hatte mich schon immer gefesselt. Jetzt reifte in mir die Einsicht, dass mich diese Fächer deshalb so reizten, weil sie über dem unsteten Wesen des Alltäglichen schwebten. So übersteigert meine Hingabe in meiner jugendlichen Empfindsamkeit vielleicht war, in einem war ich mir plötzlich sicher: Ich wollte zu Erkenntnissen gelangen, die so grundsätzlicher Natur sind, dass sie sich niemals ändern. Mögen Regierungen gewählt und abgewählt werden, möge die World Series immer wieder neue Sieger und Verlierer haben, mögen die Legenden der Leinwand und der Bühne kommen und gehen. Ich wollte mein Leben darauf verwenden, einen flüchtigen Blick auf etwas Jenseitiges zu erhaschen.

Aber erst mal musste ich die Hausarbeit in Psychologie schreiben. Die Aufgabe lautete: Entwickeln Sie eine Theorie dafür, warum wir Menschen auf bestimmte Weise handeln. Jedes Mal, wenn ich zu schreiben begann, kam mir das Ganze nebulös vor. Mir schien, als müsse man vernünftig klingende Ideen nur in die richtige Sprache kleiden, damit man sich im Laufe der Arbeit mehr oder weniger alles ausdenken kann. Das erwähnte ich einmal beim Abendessen im Studentenwohnheim, und einer der Studienbetreuer empfahl mir, Oswald Spenglers Werk Der Untergang des Abendlandes zu lesen. Spengler, ein deutscher Denker und Philosoph, hatte sich stets für Mathematik und Naturwissenschaft interessiert, und wohl deshalb hatte man mir sein Buch ans Herz gelegt.

Die Aspekte, derentwegen das Buch sowohl gerühmt wie auch geächtet wurde – die Prophezeiung eines politischen Zusammenbruchs, das versteckte Bekenntnis zum Faschismus –, sind zutiefst verstörend und dienten später dazu, so manche verabscheuungswürdige Ideologie zu unterfüttern, aber mein Blick war allzu verengt, als dass mich davon irgendetwas berührt hätte. Mich faszinierte vielmehr Spenglers Vision von einem allumfassenden System von Prinzipien, das offenbaren sollte, wie verborgene Gesetzmäßigkeiten in ganz unterschiedlichen Kulturen ihren Ausdruck finden. Solche Prinzipien sollten auf einer Stufe mit den Gesetzmäßigkeiten von Infinitesimalrechnung und euklidischer Geometrie stehen, die in Physik und Mathematik ein ganz neues Verständnis ermöglicht hatten. Spengler sprach meine Sprache. Dass ein geschichtsphilosophischer Text Mathematik und Physik als Vorbild für den Fortschritt pries, inspirierte mich. Dann aber gab es noch eine Beobachtung, die mich überraschte: »Der Mensch ist das einzige Wesen, welches den Tod kennt. Alle andern werden älter, aber mit einer durchaus auf den Augenblick eingeschränkten Bewusstheit, die ihnen ewig erscheinen muss.«2 Dieses Wissen, so Spengler, ist die Ursache für die »rein menschliche Angst vor dem Tode«. Und weiter schreibt er: »Jede Religion, jede Naturforschung, jede Philosophie geht von hier aus.«3

Ich weiß noch, wie ich an der letzten Zeile hängen blieb. Dies war eine Perspektive auf die Motivation menschlichen Handelns, die mir sinnvoll erschien. Die Schönheit eines mathematischen Beweises besteht wohl darin, dass er für alle Zeiten gültig ist. Der Reiz eines Naturgesetzes ist wahrscheinlich gerade seine Zeitlosigkeit. Aber was treibt uns an, nach dem Zeitlosen zu suchen, nach Eigenschaften, die auf ewig bestehen bleiben? Vielleicht liegt der Ursprung in unserem besonderen Bewusstsein davon, dass wir selber alles andere als zeitlos sind, dass unser Leben gerade nicht ewig währt. Im Einklang mit meinen neu gewonnenen Gedanken über Mathematik, Physik und den Reiz der Ewigkeit schien mir der Ansatz zu passen. Er ging davon aus, dass die Motivation der Menschen von einer nachvollziehbaren Reaktion auf eine grundlegende Erkenntnis bestimmt ist. Es war ein Ansatz, den man sich nicht mal eben schnell ausdenken konnte.

Und als ich weiter über meine Erkenntnis nachdachte, schien darin ein noch größeres Versprechen zu liegen. Wissenschaft ist, wie Spengler feststellte, eine Reaktion auf das Wissen um unser unausweichliches Ende. Ebenso die Religion. Und die Philosophie. Aber warum hier stehen bleiben? Otto Rank, ein Freund des jungen Sigmund Freud, war fasziniert vom kreativen Prozess. Beim Künstler, so Rank, »hat man das Verständnis des individuellen Kunstwollens im persönlichen Unsterblichkeitsdrang gefunden«.4 Jean-Paul Sartre ging noch einen Schritt weiter und stellte fest, das Leben als solches sei sinnentleert, »wenn man die Illusion verloren hat, unsterblich zu sein«.5 Demnach lässt sich bei diesen und anderen, späteren Denkern immer wieder die gleiche Annahme feststellen: Die menschliche Kultur, von der künstlerischen Entfaltung bis zur wissenschaftlichen Entdeckung, ist zum großen Teil davon geprägt, dass das Leben über die endliche Natur des Lebens reflektiert.

Schweres Fahrwasser. Wer hätte gedacht, dass die Beschäftigung mit Mathematik und Physik mir eine Vorstellung von einer einheitlichen Theorie der menschlichen Zivilisation erschließen würde, die von der großen Dualität von Leben und Tod bestimmt ist?

Nun gut. Ich hole tief Luft und erinnere mein altes Ich aus dem zweiten Studienjahr daran, sich nicht allzu sehr hinreißen zu lassen. Aber wie sich herausstellte, war die Erregung, die ich damals spürte, mehr als nur ein flüchtiges, naives Staunen. Seither sind fast vier Jahrzehnte vergangen, aber die gleichen Themen haben mich immer begleitet, auch wenn sie manchmal nur in einem geistigen Hinterstübchen vor sich hin köchelten. Während ich mich in meiner alltäglichen Arbeit mit vereinheitlichten Theorien und den Ursprüngen des Kosmos beschäftige oder über den Wert wissenschaftlichen Fortschritts grübele, ertappe ich mich dabei, dass ich immer wieder zu den großen Fragen nach der Zeit und der begrenzten Menge, die uns zugeteilt ist, zurückkehre. Heute machen meine Ausbildung und mein Temperament mich skeptisch gegenüber allgemeingültigen Erklärungen – die Physik ist durchsetzt mit gescheiterten einheitlichen Theorien der Naturkräfte –, und das gilt umso mehr, wenn wir uns in den komplizierten Bereich des menschlichen Verhaltens vorwagen. Mittlerweile bin ich sogar überzeugt, dass das Bewusstsein für mein eigenes unausweichliches Ende mich zwar ziemlich prägt, aber mitnichten alles erklärt, was ich tue. Diese Auffassung ist wohl im Großen und Ganzen Allgemeingut. Und doch sind die Tentakel der Sterblichkeit in einem bestimmten Bereich besonders gut sichtbar.

In allen Kulturen und zu allen Zeiten haben die Menschen großen Wert auf Beständigkeit gelegt. Dies tun sie auf vielfältige Weise: Manche suchen nach absoluter Wahrheit, andere wollen ein dauerhaftes Erbe hinterlassen, manche bauen imposante Denkmäler, andere erforschen unveränderliche Gesetze, und wieder andere wenden sich voller Inbrunst dieser oder jener Gestalt des Immerwährenden zu. Es scheint, als übe die Ewigkeit eine enorme Anziehungskraft auf den Geist aus, der sich nur allzu bewusst ist, dass seine materielle Existenz nicht von Dauer ist.

Heutzutage haben Wissenschaftler, mithilfe der Werkzeuge von Experiment, Beobachtung und mathematischer Analyse, einen neuen Weg in die Zukunft geebnet, der uns zum ersten Mal zeigt, wie die zukünftige, wenn auch noch weit entfernte Landschaft beschaffen sein wird. Das Panorama ist zwar bisweilen hinter Dunst und Nebel verborgen, zunehmend wird aber klar, dass wir als vernunftbegabte Wesen mehr denn je erkennen können, wo unser Platz ist in der grandiosen Weite der Zeit.

Mit dieser Geisteshaltung werden wir auf den kommenden Seiten die Zeitachse des Universums abschreiten und erkunden, welche physikalischen Prinzipien innerhalb eines Universums, das für den Verfall bestimmt ist, geordnete Strukturen hervorbringen, von Sternen und Galaxien bis zu Leben und Bewusstsein. Wir werden uns ansehen, welche Argumente dafür sprechen, dass nicht nur wir Menschen eine begrenzte Lebensdauer haben, sondern auch die Phänomene von Leben und Geist im Universum. Wahrscheinlich wird sogar organisierte Materie jeglicher Art irgendwann nicht mehr existieren können. Wir werden der Frage nachgehen, wie selbstreflektierende Wesen mit den Spannungen umgehen, die aus solchen Erkenntnissen erwachsen. Wir entstehen durch Gesetze, die nach allem, was wir wissen, zeitlos sind, und dennoch gibt es uns nur für einen extrem kurzen Zeitraum. Wir unterliegen Gesetzen, die wirksam sind, ohne ein Ziel zu verfolgen, und doch fragen wir uns ständig, wohin unsere Reise geht. Wir wurden durch Gesetze geprägt, die offenbar keine rationale Erklärung brauchen, und streben doch ständig nach Sinn und Zweck.

Kurz gesagt, werden wir uns einen Überblick über das Universum verschaffen, vom Anfang der Zeit bis zu einer Art Ende, und dabei werden wir erfahren, auf welch erstaunliche Weise unruhige, kreative Köpfe die Vergänglichkeit aller Dinge beleuchtet und bewältigt haben.

Dabei lassen wir uns von Erkenntnissen aus den verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen leiten. Mithilfe von Analogien und Metaphern werde ich alle erforderlichen Gedanken ohne Fachbegriffe erläutern, wobei ich nur sehr bescheidene Kenntnisse voraussetze. Wenn es um besonders schwierige Konzepte geht, werde ich knappe Zusammenfassungen präsentieren, sodass man weiterlesen kann, ohne den Faden zu verlieren. In den Anmerkungen erkläre ich weitere Feinheiten, wende mich mathematischen Details zu und gebe Literaturhinweise mit Vorschlägen für die weitere Lektüre.

Da für ein so umfassendes Thema nur ein begrenzter Seitenumfang zur Verfügung steht, habe ich mich entschlossen, auf einem schmalen Pfad zu bleiben; dabei halte ich an verschiedenen Punkten inne, die entscheidend sind, wenn wir unseren Platz in der viel größeren Geschichte des Kosmos erkennen wollen. Wissenschaft liefert den Antrieb für diese Reise, das Menschliche verleiht ihr Gewicht, und nicht zuletzt ist es ein großes Abenteuer.

BIS ZUM ENDE DER ZEIT

KAPITEL 1

Die Verlockungen der Ewigkeit

Anfänge, Enden und mehr

In der Fülle der Zeit wird alles Lebendige sterben. In den mehr als drei Milliarden Jahren, seit einfache und komplexe biologische Arten ihren Platz in der irdischen Ordnung gefunden haben, warf die Sense des Todes einen beständigen Schatten auf das blühende Leben. Als das Leben aus den Ozeanen kroch, über das Land zog und sich in die Lüfte erhob, nahm die Vielfalt zu. Aber man muss nur lange genug warten, dann wird die Bilanz von Geburt und Sterben, die mehr Einträge aufweist, als Sterne in der Galaxis existieren, mit kalter Präzision ausgeglichen sein. Wie sich jede einzelne Lebensform entwickelt, entzieht sich der Prognose. Ihr endgültiges Schicksal ist ausgemachte Sache.

Aber dass dieses drohende Ende so unvermeidlich ist wie der Sonnenuntergang, nehmen offenbar nur wir Menschen zur Kenntnis. Schon lange bevor wir auftauchten, ließen das Donnern der Gewitterwolken, die tobende Kraft der Vulkane, das Beben der Erde alles davonhasten, was dazu in der Lage war. Aber solche Fluchtbewegungen sind instinktive Reaktionen auf eine gegenwärtige Gefahr. Die meisten Lebensformen leben im Augenblick, und ihre Angst wird aus der unmittelbaren Wahrnehmung gespeist. Nur Sie und ich und der Rest von unseresgleichen können über die ferne Vergangenheit nachdenken, sich die Zukunft ausmalen und begreifen, welche Dunkelheit uns dort erwartet.

Es macht Angst. Nicht die Art von Angst, die uns zusammenzucken lässt oder vor der wir in Deckung gehen. Vielmehr eine Vorahnung, die in aller Stille in uns lebt, die wir zu unterdrücken, zu akzeptieren und zu verharmlosen lernen. Aber unter den vernebelnden Schichten liegt die allgegenwärtige, beunruhigende Erkenntnis dessen, was wir vor uns haben, ein Wissen, das William James als »Wurm im Kern unseres gewöhnlichen Vergnügens« bezeichnete.1 Arbeiten und Spielen, Sehnen und Streben, Lachen und Lieben, alles, was uns immer enger in das Lebensgeflecht einspinnt und irgendwann dahin sein wird – na ja, um es frei nach Steven Wright zu sagen: Es reicht, wenn wir uns halb zu Tode ängstigen. Und das zweimal.

Im Interesse ihrer geistigen Gesundheit fixieren sich die meisten Menschen natürlich nicht auf das Ende. Wir laufen durch die Welt und widmen uns unseren weltlichen Sorgen. Wir nehmen das Unausweichliche hin und richten unsere Energie auf andere Dinge. Dennoch begleitet uns ständig die Einsicht, dass unsere Zeit endlich ist; sie bestimmt mit darüber, welche Entscheidungen wir treffen, welchen Herausforderungen wir uns stellen, welche Wege wir beschreiten. Oder, wie der Kulturanthropologe Ernest Becker es formulierte: Wir stehen unter einer ständigen, existenziellen Spannung, werden von einem Bewusstsein in den Himmel gehoben, das die Höhen eines da Vinci, Shakespeare, Beethoven und Einstein erreichen kann, und bleiben doch durch eine körperliche Gestalt, die zu Staub zerfallen wird, an die Erde gebunden. »So ist der Mensch buchstäblich in zwei Hälften gespalten: Er weiß um seine eigene, herrliche Einmaligkeit, weil er sich überall von der Natur abhebt und sie überragt, und doch braucht er nur ein paar Meter unter die Erde zu gehen, um blind und stumm zu verwesen und für immer zu verschwinden.«2 Nach Beckers Auffassung bringt uns die Erkenntnis dazu, dem Tod die Fähigkeit, uns auszulöschen, abzusprechen. Manche Menschen lindern die existenzielle Sehnsucht durch Engagement für Familie, Gemeinschaft, Religion, Nation – Konstrukte, welche die dem Individuum zugestandene Zeit auf Erden überdauern werden. Andere hinterlassen Zeugnisse ihrer Kreativität, Artefakte, die die Dauer ihrer Gegenwart symbolisch verlängern. »Wir flüchten zur Schönheit als Zuflucht vor den Schrecken unserer endlichen Natur«, sagte Emerson.3 Wieder andere wollen den Tod durch Triumphe und Eroberungen überwinden, als würden Stellung, Macht und Reichtum eine Immunität verleihen, die für den gewöhnlichen Sterblichen unerreichbar bleibt.

Über die Jahrtausende hinweg herrscht deshalb eine große Faszination für alle realen oder eingebildeten Dinge, die das Zeitlose berühren. Von Prophezeiungen eines Jenseits über Reinkarnationslehren bis zur Verehrung von Mandalas, die der Wind verweht, haben wir die unterschiedlichsten Strategien entwickelt, um mit dem Wissen um unsere Vergänglichkeit zurechtzukommen und um – mal voller Hoffnung, manchmal resigniert – einen Wink in Richtung Ewigkeit zu geben. Neu ist in unserem heutigen Zeitalter die erstaunliche Fähigkeit der Wissenschaft, nicht nur über die Vergangenheit bis zurück zum Urknall, sondern auch über die Zukunft Geschichten zu erzählen. Die Ewigkeit als solche mag für immer jenseits unserer Vorstellungskraft liegen, aber unsere Analysen verraten schon heute, dass das Universum, wie wir es kennen, eine vorübergehende Erscheinung ist. Von Planeten bis zu Sternen, von Sonnensystemen bis zu Galaxien, von schwarzen Löchern bis zu wirbelnden Nebeln – nichts existiert für immer. Soweit wir wissen, ist nicht nur jedes einzelne Leben endlich, sondern auch das Leben selbst. Der Planet Erde, den Carl Sagan als »Staubkörnchen, das im Sonnenlicht tanzt« bezeichnete, ist eine vergängliche Schönheit in einem unvergleichlichen, aber letztlich öden Kosmos. Staubkörnchen, ob nah oder fern, tanzen nur für einen Augenblick im Sonnenlicht.

Und dennoch offenbart unser Augenblick hier auf Erden eine erstaunliche Fülle an Erkenntnissen, Kreativität und Erfindungsreichtum: Jede Generation baut auf den Errungenschaften derer auf, die vor ihr da waren, sucht Klarheit darüber, wie das alles entstanden ist, strebt nach Antworten auf die Frage, wohin das alles führt, und sehnt sich danach zu wissen, warum das alles von Bedeutung ist.

Von all dem handelt dieses Buch.

Geschichten von fast allem

Unsere Spezies liebt Geschichten. Wir betrachten die Realität, begreifen Gesetzmäßigkeiten und verknüpfen sie zu Narrativen, die fesseln, belehren, verblüffen, belustigen und uns begeistern. Der Plural – Narrative – ist dabei unbedingt nötig. Es gibt in der Bibliothek des menschlichen Denkens kein geschlossenes Werk von letzter Weisheit. Vielmehr haben wir viele ineinander verschachtelte Geschichten geschrieben, die verschiedene Bereiche von Erkenntnis und Erfahrung berühren; Geschichten also, die Gesetzmäßigkeiten der Realität mit unterschiedlichen Grammatiken und Vokabularen analysieren. Protonen, Neutronen, Elektronen und die anderen Teilchen der Natur sind unentbehrlich, wenn wir die reduktionistische Geschichte erzählen wollen, wenn wir den Stoff der Realität von den Planeten bis zu Picasso unter dem Gesichtspunkt ihrer mikrophysikalischen Bestandteile analysieren. Stoffwechsel, Replikation, Mutation und Anpassung sind unentbehrlich, wenn wir die Geschichte der Entstehung und Entwicklung des Lebendigen erzählen, wenn wir die biochemische Funktionsweise der erstaunlichen Moleküle und der von ihnen beherrschten Zellen ergründen. Neuronen, Information, Denken und Bewusstsein sind unentbehrlich für die Geschichte des Geistes – von da an vermehren sich die Narrative: von den Mythen bis zur Religion, von der Literatur bis zur Philosophie, von der Kunst bis zur Musik erzählen sie vom Kampf der Menschheit ums Überleben, von ihrem Willen zu verstehen, von ihrem Drang zur Entfaltung und ihrer Suche nach Sinn.

All diese Geschichten wurden von klugen Köpfen erzählt, die aus ganz unterschiedlichen Fachgebieten stammen. Das leuchtet ein, denn ein Epos, das von den Quarks bis zum Bewusstsein reicht, ist eine gewaltige Erzählung. Und doch sind die unterschiedlichen Geschichten miteinander verwoben. Don Quichote handelt vom Streben der Menschen nach Heldentum, erzählt von dem gebrechlichen Alonso Quijano, einer Gestalt, erschaffen in der Fantasie von Miguel de Cervantes, und dieser wiederum war eine lebende, atmende, denkende, empfindsame, fühlende Ansammlung von Knochen, Gewebe und Zellen, die zu seinen Lebzeiten organische Prozesse der Energieumwandlung und Abfallausscheidung betrieben und ihrerseits auf Bewegungen von Atomen und Molekülen zurückgriffen, die in Jahrmilliarden der Evolution ihren Feinschliff erhielten, und das auf einem Planeten, der aus den Trümmern von Supernovaexplosionen geschmiedet wurde, welche sich über einen Raum verteilten, der durch den Urknall entstanden war. Aber wenn man von den Nöten des Don Quijote liest, gewinnt man ein Verständnis für das Wesen des Menschen, das undurchsichtig bleiben würde, wenn es in eine Beschreibung der Molekül- und Atombewegungen in dem fahrenden Ritter eingebettet wäre oder wenn es durch eine genaue Schilderung der Nervenprozesse vermittelt würde, die in Cervantes’ Gehirn beim Schreiben des Romans vonstattengingen. Solche unterschiedlichen Geschichten hängen natürlich zusammen, aber sie werden in unterschiedlichen Sprachen erzählt, konzentrieren sich auf unterschiedliche Ebenen der Realität und liefern höchst unterschiedliche Erkenntnisse.

Vielleicht werden wir eines Tages in der Lage sein, nahtlos zwischen solchen Geschichten zu wechseln und alle Hervorbringungen des menschlichen Geistes, reale und fiktive, wissenschaftliche und fantasievolle, miteinander zu verbinden. Vielleicht werden wir eines Tages auf eine einheitliche Theorie der Teilchenbestandteile zurückgreifen können und damit die atemberaubende Vision eines Rodin ebenso erklären wie die vielfältigen Reaktionen, die seine Bürger von Calais bei denen auslösen, die das Kunstwerk erleben. Vielleicht werden wir in vollem Umfang begreifen, wie das scheinbar Banale, ein von einem rotierenden Essteller zurückgeworfener Lichtblitz, das Superhirn eines Richard Feynman durchdringen und ihn dazu bringen konnte, die grundlegenden Gesetze der Physik neu zu schreiben. Oder, noch ehrgeiziger: Vielleicht werden wir eines Tages die Funktionsweise von Geist und Materie so vollständig verstehen, dass alles offenliegt, von den schwarzen Löchern bis zu Beethoven, von den Seltsamkeiten der Quanten bis zu Walt Whitman. Aber auch ohne dass wir nur ansatzweise solche Fähigkeiten besitzen, haben wir viel zu gewinnen, wenn wir in diese – wissenschaftlichen, kreativen, fantasievollen – Geschichten eintauchen, wenn wir uns klarmachen, wann und wie sie aus Geschichten hervorgingen, die sich zuvor auf dem kosmischen Zeitstrahl abspielten. Und wenn wir die umstrittenen wie die schlüssigen Entwicklungen nachzeichnen, durch die diese Geschichten jeweils ihre besondere Deutungskraft erlangten.4

Quer durch alle Geschichten werden wir immer wieder zwei Kräften begegnen, die sich die Hauptrolle teilen. Die erste lernen wir in Kapitel 2 kennen: die Entropie. Sie ist zwar vielfach bekannt, weil sie mit Unordnung assoziiert wird, und oft hört man die Behauptung, die Unordnung würde stetig zunehmen. Die Entropie hat aber auch subtilere Qualitäten, die es physikalischen Systemen erlauben, sich auf vielfältige Weise zu entwickeln, und manchmal sieht es sogar so aus, als würden solche Systeme gegen den Strom der Entropie schwimmen. Wichtige Beispiele dafür werden uns in Kapitel 3 in Form von Teilchen begegnen, die im Gefolge des Urknalls scheinbar dem Drang zur Unordnung widersprechen, indem sie sich zu organisierten Strukturen wie Sternen, Galaxien und Planeten entwickeln – und letztlich zu Materieanordnungen, die mit dem Strom des Lebendigen rasend zunehmen. Und mit der Frage, wie dieser Strom ausgelöst wurde, sind wir dann bei unserem zweiten umfassenden Einfluss: der Evolution.

Sie ist zwar die vorrangige Triebkraft hinter den steten Wandlungen, die lebende Systeme durchmachen, die Evolution durch natürliche Selektion setzt aber bereits an, lange bevor die ersten Lebensformen untereinander in Konkurrenz treten. In Kapitel 4 werden wir erfahren, wie Moleküle andere Moleküle bekämpfen – Überlebenskämpfe, ausgetragen in einer Arena unbelebter Materie. Zahllose Runden des molekularen Darwinismus, wie man solche chemischen Schlachten nennt, brachten wahrscheinlich immer widerstandsfähigere Konfigurationen hervor, und letztlich entstanden daraus die ersten Molekülansammlungen, in denen wir Leben erkennen würden. Die Details sind Gegenstand der aktuellen Forschung, aber nachdem es in den letzten Jahrzehnten gewaltige Fortschritte gegeben hat, herrscht einhellig die Meinung, dass wir die richtige Spur verfolgen. Tatsächlich dürften die doppelten Kräfte von Entropie und Evolution ideale Partner auf dem Weg zur Entstehung des Lebendigen sein. Das mag zwar nach einer seltsamen Verbindung klingen – schließlich geht das öffentliche Gerede über Entropie eher in Richtung Chaos, scheinbar die genaue Antithese zu Evolution oder Leben –, aber neuere mathematische Analysen der Entropie legen die Vermutung nahe, dass Leben oder zumindest lebensähnliche Eigenschaften durchaus zu erwarten sind, wenn eine langlebige Energiequelle wie die Sonne unablässig Wärme und Licht auf die molekularen Bestandteile herabregnen lässt, während diese um die begrenzten Ressourcen konkurrieren, die auf einem Planeten wie der Erde zur Verfügung stehen.

In einigen Fällen handelt es sich dabei zwar nur um Mutmaßungen, eines aber ist sicher: Ungefähr eine Milliarde Jahre nachdem die Erde entstanden war, wimmelte es auf ihr von Leben, das sich unter dem Evolutionsdruck weiterentwickelte; das nächste Entwicklungsstadium ist der übliche Stoff des Darwinismus. Zufallsereignisse wie ein Treffer durch kosmische Strahlung oder ein molekulares Missgeschick während der DNA-Replikation führten zu zufälligen Mutationen, von denen manche sich nur geringfügig auf Gesundheit oder Wohlergehen des Organismus auswirkten, während andere ihm für die Konkurrenz ums Überleben eine größere oder geringere Eignung verschafften. Wenn solche Mutationen die Eignung verbessern, werden sie mit größerer Wahrscheinlichkeit auf die Nachkommen weitergegeben: »Geeigneter« bedeutet nichts anderes, als dass der Träger des betreffenden Merkmals mit größerer Wahrscheinlichkeit bis zur Fortpflanzungsreife am Leben bleibt und damit die Gelegenheit hat, geeignete Nachkommen hervorzubringen. Auf diese Weise breiten sich Eigenschaften, die die Eignung verbessern, von Generation zu Generation weiter aus.

Jahrmilliarden später, in denen sich dieser lange Prozess weiter vollzog, entstanden durch eine besondere Abfolge von Mutationen einige Lebensformen mit stärkerer Kognitionsfähigkeit. Manche Organismen nahmen sich nicht nur selbst wahr, sondern sie nahmen auch wahr, dass sie sich selbst wahrnahmen. Mit anderen Worten: Manche Lebensformen erwarben eine bewusste Selbstwahrnehmung. Solche selbstreflektierenden Lebewesen warfen natürlich die Frage auf, was Bewusstsein ist und wie es entstand: Wie kann ein Klumpen geistloser Materie denken und fühlen? Wie wir in Kapitel 5 genauer erfahren werden, prophezeien viele Wissenschaftler eine mechanistische Erklärung. Ihrer Ansicht nach müssen wir das Gehirn – seine Bestandteile, seine Funktionen, seine Verknüpfungen – viel genauer verstehen als bisher, aber wenn wir eines Tages über solche Kenntnisse verfügen, können wir auch das Bewusstsein erklären. Andere sagen voraus, wir stünden vor einer weit größeren Herausforderung: Demnach ist das Bewusstsein das schwierigste Rätsel von allen und seine Lösung wird nicht nur für den Geist radikal neue Sichtweisen erfordern, sondern auch für das Wesen der Realität als Ganzes.

Einhelliger sind die Meinungen darüber, welche Auswirkungen unsere hohen kognitiven Fähigkeiten auf unser Verhaltensrepertoire haben. Während des Pleistozäns, über Zehntausende von Generationen hinweg, taten sich unsere Vorfahren zu Gruppen zusammen, die ihren Lebensunterhalt durch Jagen und Sammeln sicherten. Im Laufe der Zeit stattete eine wachsende mentale Wendigkeit sie mit verfeinerten Fähigkeiten zum Planen, Organisieren, Kommunizieren, Lehren, Bewerten, Beurteilen und Problemlösen aus. Durch die Verwendung solcher gewachsenen individuellen Fähigkeiten erlangten die Gruppen als Gemeinschaften immer mehr Stärke und Einfluss. Womit wir bei der nächsten Runde von Episoden wären: In ihrem Mittelpunkt steht die Frage, welche Entwicklungen uns zu Menschen gemacht haben. In Kapitel 6 untersuchen wir den Erwerb der Sprache, dem eine Leidenschaft für das Geschichtenerzählen auf dem Fuße folgte; Kapitel 7 behandelt ein ganz besonderes Genre von Geschichten: die Vorboten religiöser Traditionen und deren Entstehung; und in Kapitel 8 geht es um das uralte, weitverbreitete Streben nach kreativen Ausdrucksformen.

Wissenschaftler, die nach den Ursprüngen solcher Entwicklungen suchen – seien sie nun allgemeiner oder religiöser Art –, liefern dafür ein breites Spektrum von Erklärungen. Eine wichtige Orientierung bietet uns weiterhin die darwinistische Evolution, angewandt hier auf das Verhalten des Menschen. Schließlich ist auch das Gehirn nichts anderes als eine biologische Struktur, die sich durch Selektionsdruck entwickelt hat, und das Gehirn bestimmt, was wir tun und wie wir reagieren. Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben Kognitionsforscher und Evolutionspsychologen diese Sichtweise weiterentwickelt und nachgewiesen, dass nicht nur unsere biologischen Eigenschaften durch die Kräfte der darwinistischen Selektion geformt wurden, sondern auch unser Verhalten. Deshalb werden wir auf unserer Reise durch die Kultur der Menschen häufig die Frage stellen, ob diese oder jene Verhaltensweise die Überlebens- und Fortpflanzungsaussichten derer verbessert haben, die sie vor langer Zeit praktizierten, sodass ihre allgemeine Verbreitung in den nachfolgenden Generationen begünstigt wurde. Im Gegensatz zum opponierbaren Daumen oder zum aufrechten Gang – ererbten physiologischen Merkmalen, die eng an ganz bestimmte anpassungsorientierte Verhaltensweisen gekoppelt sind – prägen viele erbliche Eigenschaften des Gehirns eher Neigungen als eindeutige Handlungen. Solche Neigungen beeinflussen uns, aber menschliches Tun erwächst aus der Vermischung von Verhaltenstendenzen und der Tätigkeit unseres komplexen, abwägenden, selbstreflektierenden Geistes.

Deshalb wird sich ein zweites, davon getrenntes, aber nicht weniger bedeutsames Schlaglicht auf das Innenleben richten, das mit unseren verfeinerten kognitiven Fähigkeiten einhergeht. Wir werden einen Weg verfolgen, der bereits von vielen Denkern beschritten wurde, und dabei zu einer wichtigen Einsicht gelangen: Mit der Kognition haben wir Menschen uns zwar eine mächtige Kraft zunutze gemacht, die uns im Laufe der Zeit zur global beherrschenden Spezies werden ließ. Aber gerade die mentalen Fähigkeiten, die uns ermöglichen, unsere Umwelt zu prägen, zu formen und Neues zu schaffen, sorgen dafür, dass wir uns nicht nur blind auf die Gegenwart konzentrieren. Unsere Fähigkeit, die Umwelt bewusst zu manipulieren, versetzt uns auch in die Lage, unsere Perspektive zu verschieben, über dem Zeitstrahl zu schweben und zu überlegen, was war und was sein wird. Auch wenn wir es gern anders hätten: Zum »Ich denke, also bin ich« zu gelangen, bedeutet auch, geradewegs die Erwiderung zu provozieren: »Ich bin, also werde ich sterben«.

Das ist, gelinde gesagt, eine beunruhigende Erkenntnis. Dennoch können die meisten von uns sie akzeptieren. Und dass wir als Spezies überlebt haben, zeugt davon, dass auch unsere Artgenossen sie akzeptieren konnten. Aber wie machen wir das?5 Einer Denkrichtung zufolge erzählen wir immer und immer wieder Geschichten, in denen unser Platz in einem riesigen Universum zur Mitte der Bühne wandert, während wir die Möglichkeit, dass unsere Existenz ein für alle Mal ausgelöscht wird, infrage stellen oder ignorieren – oder einfach gesagt: Sie kommt schlicht nicht vor. Durch Malerei, Bildhauerei, Bewegung und Musik erschaffen wir Werke, mit denen wir der Schöpfung die Kontrolle entreißen und uns mit der Macht ausstatten, über alles Endliche zu triumphieren. Von Herakles über Sir Gawain bis zu Hermine Granger malen wir uns Helden aus, die dem Tod entschlossen ins Auge blicken und – wenn auch nur in der Fantasie – beweisen, dass wir ihn besiegen können. Wir entwickeln die Wissenschaft, erlangen so Kenntnis, wie die Welt funktioniert, und formen daraus eine Macht, die frühere Generationen ausschließlich den Göttern zugeschrieben hätten. Kurz gesagt, können wir auf beiden Hochzeiten der Kognition tanzen: Wir können uns unseres Verstandes – samt seiner gedanklichen Flexibilität, die uns unser existenzielles Dilemma aufzeigt – erfreuen und uns zugleich seiner bedienen. Mit unseren kreativen Fähigkeiten haben wir erstaunliche Abwehrmechanismen gegen ein Unbehagen entwickelt, das uns sonst unsere Kräfte geraubt hätte.

Da aber Motive keine Fossilien bilden, kann der Versuch, die Beweggründe für das Verhalten von Menschen nachzuzeichnen, zu einem verzwickten Unterfangen werden. Vielleicht erwachsen unsere kreativen Abstecher, von den Hirschen in Lascaux bis zu den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie, aus der natürlich selektionierten, aber höchst aktiven Fähigkeit des Gehirns, Gesetzmäßigkeiten aufzuspüren und widerspruchsfrei zu organisieren. Vielleicht sind diese und ähnliche Beschäftigungen erlesene, aber für die Anpassung überflüssige Nebenprodukte eines ausreichend großen Gehirns, das von der Notwendigkeit befreit ist, sich ausschließlich auf die Sicherung von Obdach und Ernährung zu konzentrieren. Wie wir noch genauer erfahren werden, gibt es dazu eine Fülle von Theorien, aber unumstößliche Erkenntnisse sind kaum zu kriegen. Eines jedoch steht außer Frage: Die Werke, die wir erdenken, erschaffen und erleben, von den Pyramiden über die Neunte Symphonie bis zur Quantenmechanik, sind Monumente menschlichen Erfindungsreichtums, und ihre Langlebigkeit, ja vielleicht auch ihr Inhalt deuten in Richtung Ewigkeit.

Am Ende, nachdem wir den Ursprung des Kosmos betrachtet, die Bildung der Atome, Sterne und Planeten behandelt und einen Streifzug durch die Entstehung von Leben, Bewusstsein und Kultur unternommen haben, werden wir unseren Blick auf jene Sphäre richten, die unsere kosmische Angst seit Jahrtausenden buchstäblich und im übertragenen Sinn befeuert wie auch unterdrückt hat. Wir werden von hier aus in die Ewigkeit blicken.

Information, Bewusstsein und Ewigkeit

Die Ewigkeit wird sich über eine lange Zeit erstrecken. Auf dem Weg dorthin wird viel passieren. Zukunftsforscher und Hollywood-Science-Fiction-Spektakel malen aus, wie sich das Leben und die Zivilisation über Zeiträume entwickeln werden, die nach menschlichen Maßstäben enorm wirken, aber im Vergleich zur kosmischen Zeitachse verblassen. Von einem kurzen Abschnitt mit exponentiell wachsenden technologischen Neuerungen auf zukünftige Entwicklungen zu extrapolieren, ist ein netter Zeitvertreib, aber solche Voraussagen werden sehr wahrscheinlich deutlich von der tatsächlichen Entwicklung abweichen. Das gilt schon für die relativ vertrauten Zeiträume der Jahrzehnte, Jahrhunderte und Jahrtausende. Im kosmischen Zeitmaßstab solche Details vorhersagen zu wollen, ist vergebene Liebesmüh. Glücklicherweise bewegen wir uns bei den meisten Dingen, mit denen wir uns hier beschäftigen, auf einem festeren Fundament. Ich möchte die Zukunft des Universums in kräftigen Farben malen, wenn auch mit breiten Pinselstrichen. Und auf dieser Detailebene können wir die mögliche Entwicklung mit einer bestimmten Gewissheit skizzieren.

Eine Spur in einer Zukunft zu hinterlassen, in der niemand mehr da ist, um dies zur Kenntnis zu nehmen, trägt kaum zur Gelassenheit bei. Die Zukunft, die wir uns meist – wenn auch vielleicht nur unausgesprochen – ausmalen, ist bevölkert von Dingen, die uns wichtig sind. Durch die Triebkraft der Evolution werden Leben und Geist ganz sicher Formen annehmen, die auf vielen verschiedenen Fundamenten stehen – biologischen, computerbasierten, gemischten oder wer weiß was sonst noch. Aber ungeachtet der unvorhersagbaren Details von physischer Zusammensetzung oder Umweltbedingungen stellen wir uns meist vor, dass auch in der weit entfernten Zukunft irgendeine Spielart von Leben – vor allem von intelligentem Leben – existieren und denken wird.

Damit sind wir bei einer Frage, die uns auf dem weiteren Weg begleiten wird. Kann bewusstes Denken unbegrenzt lange bestehen bleiben? Oder ist der denkende Geist vielleicht wie der Tasmanische Tiger oder der Elfenbeinspecht etwas Erhabenes, das nur für eine gewisse Zeit auftaucht, dann aber ausstirbt? Mir geht es hier nicht um irgendein individuelles Bewusstsein, die Frage hat also nichts mit technischen Wunschvorstellungen – Einfrieren, Digitalisieren oder was auch immer – zu tun, mit denen man einen bestimmten Geist vielleicht erhalten könnte. Meine Frage lautet vielmehr: Kann das Phänomen des Denkens, das von einem menschlichen Gehirn, einem intelligenten Computer, in der Leere schwebenden verschränkten Teilchen oder irgendeinem anderen einschlägigen physikalischen Prozess hervorgebracht wird, in der Zukunft beliebig lange erhalten bleiben?

Warum denn nicht? Nun, betrachten wir einmal die Verkörperung des Denkens beim Menschen. Sie entstand in Verbindung mit einer glücklichen Kombination von Umweltbedingungen, die beispielsweise erklären, warum unser Denken hier stattfindet und nicht auf dem Merkur oder dem Halley-Kometen. Wir denken hier, weil die Bedingungen hier für Leben und Denken günstig sind – und das ist auch der Grund, warum schädliche Veränderungen des Weltklimas uns so sehr beunruhigen. Doch deshalb muss es noch lange keine kosmische Version dieser gewichtigen, aber letztlich kleinmütigen Sorgen geben. Wenn wir das Denken für einen physikalischen Prozess halten (eine Annahme, die wir noch genauer untersuchen werden), ist es nicht verwunderlich, dass Denken nur stattfinden kann, wenn bestimmte, streng definierte Umweltbedingungen herrschen, ob auf der Erde im Hier und Jetzt oder irgendwo anders im Dort und Dann. Wenn wir in groben Zügen die Evolution des Universums betrachten, werden wir deshalb auch der Frage nachgehen, ob die Umweltbedingungen, deren Evolution quer durch Raum und Zeit stattfindet, intelligentes Leben unendlich lange begünstigen können.

Als Orientierung dienen uns dabei Forschungsergebnisse aus Teilchenphysik, Astrophysik und Kosmologie, mit deren Hilfe wir voraussagen können, wie sich das Universum in Zeiträumen entwickelt, die sogar den Weg zurück zum Urknall in den Schatten stellen. Natürlich gibt es dabei beträchtliche Unsicherheiten, und wie die meisten Wissenschaftler muss ich mit der Möglichkeit leben, dass die Natur unsere Hybris bestraft und uns Überraschungen bietet, die wir bisher nicht einmal ahnen können. Aber wenn wir uns auf das konzentrieren, was wir gemessen, beobachtet und berechnet haben, finden wir Dinge heraus, die alles andere als ermutigend sind – in den Kapiteln 9 und 10 wird davon die Rede sein. Planeten und Sterne, Sonnensysteme und Galaxien, ja sogar schwarze Löcher sind vergänglich. Ihr Ende wird jeweils durch eine eigene, charakteristische Kombination physikalischer Prozesse vorangetrieben, die sich von der Quantenmechanik bis zur allgemeinen Relativität erstrecken; letztlich erzeugen sie einen Nebel von Teilchen, die durch einen kalten, stillen Kosmos treiben.

Wie wird es dem bewussten Denken in einem Universum ergehen, das einen solchen Wandel durchmacht? Einmal mehr liefert die Entropie die Antwort auf diese Frage. Und wenn wir der Spur der Entropie folgen, wird uns die nur allzu reale Möglichkeit begegnen, dass schon der Akt des Denkens, den irgendein Wesen irgendwo vollzieht, durch eine unvermeidliche Anhäufung von Unordnung in der Umwelt vereitelt wird. Wie wir noch genauer erfahren werden, wird in der fernen Zukunft alles, was denkt, wahrscheinlich in jener Hitze verglühen, die es mit seinen eigenen Gedanken erzeugt. Das Denken selbst dürfte physikalisch unmöglich werden.

Die Argumente, die gegen endloses Denken sprechen, werden sich zwar auf durchaus konservative Annahmen stützen, wir werden aber auch Alternativen betrachten, mögliche Formen der Zukunft, die dem Leben und Denken stärker zuträglich sind. Die naheliegende Lesart aber stärkt die Vermutung, dass Leben und vor allem intelligentes Leben etwas Vorübergehendes ist. Auf der kosmischen Zeitachse dürfte der Abschnitt, in dem die Voraussetzungen für die Existenz selbstreflektierender Wesen gegeben sind, äußerst kurz sein. Wirft man nur einen flüchtigen Blick auf das Ganze, könnte man das Leben vollständig übersehen. Nabokovs Beschreibung eines Menschenlebens als »kurzer Lichtspalt zwischen zwei Ewigkeiten des Dunkels«6 dürfte auch auf das Phänomen des Lebens als Ganzes zutreffen.

Wir beklagen unsere Vergänglichkeit und suchen Trost in einer symbolischen Transzendenz, die uns deshalb geblieben ist, weil wir überhaupt auf die Reise gegangen sind. Sie und ich, wir werden nicht mehr hier sein, andere aber sehr wohl, und was Sie und ich tun, was Sie und ich erschaffen, was Sie und ich hinterlassen, trägt dazu bei, was in Zukunft sein wird und wie zukünftiges Leben lebt. Und dennoch: In einem Universum, das letztlich bar jeden Lebens und Bewusstseins ist, wird selbst ein symbolisches Erbe – ein Flüstern, das für unsere fernen Nachkommen bestimmt ist – im Nichts verschwinden.

Was also bleibt uns?

Gedanken über die Zukunft

In der Regel verarbeiten wir Erkenntnisse über das Universum auf intellektuelle Weise. Wir machen Bekanntschaft mit einer neuen Tatsache über die Zeit, über vereinheitlichte Theorien oder über schwarze Löcher. Das regt vorübergehend den Geist an, und wenn es uns besonders beeindruckt, bleibt es hängen. Wissenschaft bringt uns wegen ihres abstrakten Charakters häufig dazu, uns kognitiv mit ihren Inhalten zu beschäftigen; nur dann – und auch dann nur selten – haben sie die Chance, unser Bauchgefühl zu treffen. Aber wenn Wissenschaft einmal sowohl den Verstand als auch das Gefühl berührt, sind die Folgen womöglich durchschlagend.

Ein Beispiel: Als ich vor einigen Jahren erstmals über wissenschaftliche Prognosen zur fernen Zukunft des Universums nachdachte, war dies hauptsächlich eine intellektuelle Erfahrung. Ich nahm einschlägige Informationen als faszinierende, aber abstrakte Ansammlung von Ergebnissen zur Kenntnis, die aus der Mathematik der Naturgesetze erwachsen. Aber wenn ich mich zwang, mir alles Leben, alles Denken, alles Ringen und alle Errungenschaften wirklich als flüchtige Abweichung von einer ansonsten leblosen kosmischen Zeitachse vorzustellen, nahm ich es anders wahr. Ich konnte es spüren. Und ich bekenne freimütig, dass es bei den ersten Malen, bei denen ich so weit kam, verstörend war. In Jahrzehnten des Studierens und der wissenschaftlichen Forschung habe ich oft Momente der Euphorie und des Staunens erlebt, aber nie zuvor hatten mich mathematische oder physikalische Ergebnisse mit einem solchen Schaudern erfüllt.

Im Laufe der Zeit hat sich mein emotionales Verhältnis zu solchen Gedanken verfeinert. Wenn ich heute über die ferne Zukunft nachdenke, überkommt mich in den meisten Fällen ein Gefühl von Gelassenheit und Verbundenheit, als würde meine eigene Identität kaum eine Rolle spielen, weil sie in einem Gefühl aufgeht, das ich nur als Dankbarkeit für das Geschenk der Erfahrung bezeichnen kann. Da Sie mich höchstwahrscheinlich nicht persönlich kennen, möchte ich dies kurz erläutern. Ich bin grundsätzlich aufgeschlossen, mit einer Sensibilität, die eine gewisse Strenge erfordert. Ich komme aus einer Welt, in der man seine Ansicht mit Gleichungen und reproduzierbaren Daten untermauert, einer Welt, in der Stichhaltigkeit durch eindeutige Berechnungen festgeschrieben wird – diese liefern Vorhersagen, die den Experimenten auf die Dezimalstelle genau entsprechen, manchmal bis hin zu einem Dutzend Stellen hinter dem Komma. Als ich nun zum ersten Mal einen solchen Moment gelassener Verbundenheit erlebte – ich saß zufällig gerade in New York in einer Starbucks-Filiale – war ich zutiefst misstrauisch. Vielleicht war mein Earl Grey ja mit verdorbener Sojamilch gepanscht. Oder vielleicht verlor ich auch gerade den Verstand.

Bei genauerem Nachdenken war keines von beiden der Fall. Wir sind das Produkt einer langen Abstammungslinie, die ihr existenzielles Unbehagen dadurch gelindert hat, dass sie sich ausmalte, wir würden Spuren hinterlassen. Und je dauerhafter die Spuren, je unauslöschlicher ihr Fußabdruck, desto mehr scheint es, als hätte unser Leben eine Bedeutung. Oder in den Worten des Philosophen Robert Nozick – die aber ebenso gut von George Bailey stammen könnten: »Der Tod löscht uns aus – völlig ausgelöscht zu werden, inklusive aller Spuren, trägt eine Menge dazu bei, den Sinn des eigenen Lebens zu zerstören.«7 Insbesondere für diejenigen, die wie ich keine traditionelle religiöse Orientierung haben, kann der Gedanke daran, nicht »ausgelöscht« zu werden, mit seiner erbarmungslosen Fixierung auf die Dauerhaftigkeit alles andere überschatten. Meine Kindheit, meine Erziehung, meine Karriere, meine Erfahrungen – alles wurde davon geprägt. In jedem Stadium bin ich meinen Weg weitergegangen, wobei mein Blick auf die lange Sicht trainiert war, auf das Bestreben, etwas Dauerhaftes zu leisten. Dass meine berufliche Tätigkeit durch mathematische Analysen von Raum, Zeit und Naturgesetzen bestimmt war, ist kein Geheimnis; man kann sich kaum ein anderes Fachgebiet vorstellen, in dem es so einfach ist, die Gedanken Tag für Tag auf Fragen zu lenken, die über den Augenblick hinausweisen. Aber die wissenschaftlichen Erkenntnisse selbst lassen eine solche Sichtweise in einem anderen Licht erscheinen. Leben und Denken bevölkern wahrscheinlich nur eine winzige Oase auf der kosmischen Zeitachse. Das Universum wird zwar von eleganten mathematischen Gesetzen beherrscht, die alle möglichen wundersamen physikalischen Prozesse in Gang setzen können, es gibt Leben und Geist aber nur vorübergehend eine Heimstatt. Wenn man sich das vollständig klarmacht, wenn man sich eine Zukunft ohne Sterne, Planeten und denkende Dinge ausmalt, schätzt man unser heutiges Zeitalter umso mehr, empfindet fast Ehrfurcht.

Genau diese Empfindung hatte ich bei Starbucks. Gelassenheit und ein Gefühl von Verbundenheit – nicht mehr lechzte ich nach der zunehmend verblassenden Zukunft, vielmehr hatte ich das Gefühl, eine atemberaubende gleichwohl flüchtige Gegenwart zu bewohnen. Für mich war es das kosmologische Gegenstück zu jener einfachen Wahrheit, die uns seit jeher Dichter und Philosophen, Schriftsteller und Künstler, spirituelle Weise und Achtsamkeitslehrer verkünden: Das Leben spielt sich im Hier und Jetzt ab. Eine solche Geisteshaltung beizubehalten, ist nicht leicht, und doch hat sie das Denken vieler Menschen beeinflusst. Wir erkennen sie in »Für immer ist aus Jetzts gemacht«8 von Emily Dickinson ebenso wie in Thoreaus »Ewigkeit in jedem Augenblick«.9 Nach meiner Erfahrung wird eine solche Perspektive umso überzeugender, je mehr wir uns in die vollständige Weite der Zeit – vom Anfang bis zum Ende – vertiefen, vor einem kosmologischen Hintergrund, der uns klarmacht, wie einzigartig und flüchtig das Hier und Jetzt eigentlich ist.

Diese Klarheit zu vermitteln, ist der Zweck des vorliegenden Buches. Wir werden eine Reise durch die Zeit unternehmen, von unseren neuesten Erkenntnissen über den Anfang bis zum Ende, so weit die Wissenschaft uns dorthin führen kann. Wir werden der Frage nachgehen, wie Leben und Geist aus dem anfänglichen Chaos erwachsen, und werden uns genauer ansehen, wie ein paar neugierige, leidenschaftliche, ängstliche, selbstreflektierende, erfinderische und skeptische Denker reagieren, wenn sie ihrer eigenen Sterblichkeit begegnen. Wir werden den Aufstieg der Religion erkunden, den Drang zu kreativem Ausdruck, den Aufschwung der Wissenschaft, das Streben nach Wahrheit und die Sehnsucht nach dem Zeitlosen. Die tief verwurzelte Neigung zum Dauerhaften, in der Franz Kafka unser Bedürfnis nach »etwas Unzerstörbarem«10 erkannte, treibt unseren langen Marsch in die ferne Zukunft voran und verleiht uns die Fähigkeit, die Aussichten zu beurteilen für alles, was uns lieb und teuer ist, für alles, was die Realität, wie wir sie kennen, ausmacht, von Planeten und Sternen über Galaxien und schwarze Löcher bis hin zu Leben und Geist.

Bei alledem wird immer wieder der Entdeckergeist des Menschen durchscheinen. Wir sind ehrgeizige Forscher und streben danach, eine Realität von unglaublichem Ausmaß zu verstehen. Seit Jahrhunderten haben wir uns bemüht, ein dunkles Terrain von Materie, Geist und Kosmos zu beleuchten. In den kommenden Jahrtausenden werden die beleuchteten Sphären immer größer und heller werden. Schon jetzt hat die Reise deutlich gemacht, dass die Realität von mathematischen Gesetzen beherrscht wird, die gegenüber allen Verhaltensregeln, Schönheitsmaßstäben, Bedürfnissen nach Kameradschaft, Sehnsüchten nach Verständnis und der Suche nach einem Sinn gleichgültig sind. Und doch haben wir unseren kleinen Teil des gleichgültigen, unerbittlichen, mechanisch ablaufenden Kosmos durch Sprache und Geschichten, Kunst und Mythen, Religion und Wissenschaft so nutzbar gemacht, dass wir unser großes Bedürfnis nach Zusammenhang, Wert und Sinn befriedigen können. Es ist ein höchst erlesener, aber flüchtiger Beitrag. Wie bei unserer Wanderung durch die Zeiten immer wieder deutlich werden wird, ist Leben wahrscheinlich etwas Vorübergehendes, und alle Erkenntnisse, die mit seinem Entstehen erwachsen sind, werden sich mit seinem Ende mit großer Gewissheit auflösen. Nichts ist von Dauer. Nichts ist absolut. Auf der Suche nach Werten und einem Sinn sind deshalb nur diejenigen Erkenntnisse von Bedeutung und nur diejenigen Antworten, die von uns selbst stammen. Am Ende, während unseres kurzen Augenblicks im Sonnenlicht, wird uns die noble Aufgabe übertragen, für uns einen Sinn zu finden.

Machen wir uns auf den Weg.

KAPITEL 2

Die Sprache der Zeit

Vergangenheit, Zukunft und Wandel

Am Abend des 28. Januar 1948, zwischen dem Streichquartett in a-Moll von Schubert und englischen Folksongs, sendete das BBC-Radio eine Diskussion zwischen einem der größten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts – Bertrand Russell – und dem Jesuitenpater Frederick Copleston.1 Das Thema? Die Existenz Gottes. Russells bahnbrechende Schriften über Philosophie und humanitäre Prinzipien sollten ihm 1950 den Literaturnobelpreis einbringen, und wegen seiner Bilderstürmerei in politischen und gesellschaftlichen Fragen wurde er sowohl an der Universität Cambridge als auch am New York City College entlassen; in der Diskussion führte er zahlreiche Argumente dafür an, warum man die Existenz eines Schöpfers infrage stellen oder sogar leugnen sollte.

Für unser Thema ist vor allem ein Gedankengang von Belang, durch den Russell zu seiner Haltung kam. »Soweit es wissenschaftliche Beweise gibt«, erklärte er, »hat sich das Universum langsam und schrittweise bis zu einem erbärmlichen Zustand auf dieser Erde hingeschleppt und wird in noch erbärmlicheren Etappen bis zu einem Zustand allgemeiner Todesstarre gelangen.« Angesichts solch düsterer Aussichten gelangte Russell zu dem Schluss: »Wenn man das als Beweis für einen Zweck ansehen will, so kann ich nur sagen, dass mir dieser Zweck nicht zusagt. Ich sehe daher keinerlei Grund, an einen Gott zu glauben.«2 Den theologischen Faden werden wir in spätere Kapitel einflechten. Hier möchte ich mich auf Russells Erwähnung der wissenschaftlichen Belege für eine »allgemeine Todesstarre« konzentrieren. Sie bezieht sich auf eine Entdeckung aus dem 19. Jahrhundert, deren Ursprünge ebenso bescheiden waren, wie ihre Schlussfolgerungen weitreichend sind.

Mitte des 19. Jahrhunderts war die industrielle Revolution in vollem Gang und die Dampfmaschine war in einer Landschaft voller Werkstätten und Fabriken zum Arbeitspferd geworden, das die Produktion vorantrieb. Aber auch wenn mit der Dampfmaschine ein entscheidender Schritt von der manuellen zur mechanischen Arbeit vollzogen wurde, war ihr Wirkungsgrad – die nützliche Arbeit, die sie im Verhältnis zum verbrauchten Brennstoff leistete – gering. Ungefähr 95 Prozent der Wärme, die durch das Verbrennen von Holz oder Kohle erzeugt wurde, ging als Abwärme in die Umwelt verloren. Dies nahm eine Handvoll Wissenschaftler zum Anlass, genauer nach den physikalischen Prinzipien zu fragen, denen eine Dampfmaschine unterliegt, und sie suchten nach Wegen, um weniger zu verbrennen und mehr Leistung zu erhalten. Im Laufe vieler Jahrzehnte führten ihre Forschungsarbeiten zu einem Ergebnis, das Kultstatus erlangte und zu Recht berühmt wurde: dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik.

Umgangssprachlich (sehr umgangssprachlich) ausgedrückt, besagt der Hauptsatz: Dass Abwärme entsteht, ist unvermeidlich. Entscheidende Bedeutung erlangte er durch eine weitere Erkenntnis: Dampfmaschinen waren zwar der Aufhänger, das Gesetz ist aber allgemein anwendbar. Der Zweite Hauptsatz beschreibt eine grundlegende Eigenschaft, die aller Materie und Energie innewohnt, ganz gleich, welche Struktur oder Form sie hat und ob sie belebt oder unbelebt ist. Er besagt (ebenso locker formuliert), dass alles im Universum die große Neigung hat, sich abzunutzen, sich zu zersetzen, zu verwelken.

Wenn man den Zweiten Hauptsatz in solchen alltäglichen Begriffen formuliert, erkennt man, wovon Russell ausging. Die Zukunft beinhaltet offensichtlich einen fortlaufenden Verfall, die unerbittliche Umwandlung produktiver Energie in nutzlose Wärme, sozusagen eine stetige Entladung der Batterien, die unsere Realität antreiben. Genauere wissenschaftliche Untersuchungen zeigen aber, dass eine solche Beschreibung der Zielrichtung der Realität einen nuancenreichen, abgestuften Fortgang verschleiert, der seit dem Urknall im Gange ist und bis in die ferne Zukunft andauern wird. Dieser Fortgang trägt dazu bei, unseren Platz auf der kosmischen Zeitachse zu erklären; er macht klar, wie Schönheit und Ordnung angesichts von Niedergang und Verfall entstehen können, und bietet darüber hinaus potenzielle Wege – so exotisch sie auch erscheinen mögen –, um das düstere Ende, das Russell sich ausmalte, zu umgehen. Genau diese wissenschaftlichen Erkenntnisse, die sich in Begriffen wie Entropie, Information und Energie niederschlagen, werden uns den längsten Teil unserer Reise begleiten; deshalb lohnt es sich, sie genauer kennenzulernen.

Dampfmaschinen

Die Behauptung, man werde den Sinn des Lebens in den öligen Tiefen einer lärmenden Dampfmaschine finden, liegt mir natürlich fern. Aber Kenntnisse darüber, wie eine Dampfmaschine die Wärme des verfeuerten Brennstoffes aufnimmt und nutzt, um die sich wiederholenden Bewegungen von Lokomotivenrädern oder Bergwerkspumpen anzutreiben, erweisen sich als unverzichtbar, wenn wir begreifen wollen, wie sich Energie – Energie jeder Art und in jedem Zusammenhang – im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Und diese Weiterentwicklung der Energie ist von großer Bedeutung für die Zukunft von Materie, Geist und allen Strukturen im Universum. Also steigen wir aus den luftigen Höhen von Leben und Tod, Sinn und Zweck herab zum unablässigen Schnaufen und Pochen einer Dampfmaschine aus dem 18. Jahrhundert.

Die Dampfmaschine hat eine einfache, aber geniale wissenschaftliche Grundlage: Wasserdampf dehnt sich aus, wenn er erhitzt wird, und drückt nach außen. Dieses Vorgangs bedient sich die Dampfmaschine: Man erhitzt ein mit Dampf gefülltes Gefäß, und dieses Gefäß ist durch einen dicht abschließenden Kolben verschlossen, der innen ungehindert auf und ab gleiten kann. Wenn der erhitzte Dampf sich ausdehnt, drückt er gegen den Kolben, und die Ausdehnung nutzt man, um ein Rad in Drehung zu versetzen, eine Mühle mahlen oder einen Webstuhl weben zu lassen. Nachdem die Energie dann durch den Druck nach außen verbraucht wurde, kühlt sich der Dampf ab; der Kolben kehrt in seine Ausgangsposition zurück und kann erneut bewegt werden, wenn der Dampf wiederum erhitzt wird – und dieser Kreislauf setzt sich so lange fort, wie Brennstoff zur Verfügung steht, der den Dampf immer wieder neu aufheizen kann.3

Die historischen Quellen berichten von der zentralen Rolle der Dampfmaschine für die industrielle Revolution, ebenso bedeutsam sind aber die Fragen, die sie für die Grundlagenforschung aufwarf. Können wir die Dampfmaschine mit mathematischer Genauigkeit verstehen? Gibt es eine Grenze für die Effizienz, mit der sie Wärme in nützliche Tätigkeit umwandeln kann? Haben die grundlegenden Abläufe bei einer Dampfmaschine auch Aspekte, die von den Details der mechanischen Konstruktion oder der verwendeten Materialien unabhängig sind und demnach auf allgemeine physikalische Gesetzmäßigkeiten hindeuten?

Über solchen Fragen brütete der französische Physiker und Militäringenieur Sadi Carnot und begründete damit das Fachgebiet der Thermodynamik – der wissenschaftlichen Erforschung von Wärme, Energie und Arbeit. Die Verkaufszahlen seiner 1824 erschienenen Abhandlung Betrachtungen über die bewegende Kraft des Feuers4 hätten nicht auf eine so große Bedeutung schließen lassen. Seine Ideen setzten sich anfangs nur langsam durch, die Wissenschaftler des nachfolgenden Jahrhunderts regten sie aber dazu an, eine radikal neue Sichtweise für die Physik zu entwickeln.

Aus dem Blickwinkel der Statistik

Nach der traditionellen wissenschaftlichen Sichtweise, die von Isaac Newton in mathematische Form gefasst wurde, liefern physikalische Gesetze felsenfeste Vorhersagen für die Bewegung von Dingen. Nenne mir Ort und Geschwindigkeit eines Objekts in einem bestimmten Augenblick, sage mir, welche Kräfte darauf einwirken, dann erledigen Newtons Gleichungen den Rest: Sie prophezeien den nachfolgenden Weg des Objekts. Ob es sich dabei um den Mond handelt, der von der Erdanziehungskraft angezogen wird, oder um einen Baseball, der gerade ins Center Field gedroschen wurde, immer wieder haben Beobachtungen bestätigt, dass solche Vorhersagen haargenau richtig sind.

Aber jetzt kommt der Haken. Wer an der Oberschule Physikunterricht hatte, erinnert sich vielleicht: Wenn wir die Bahnen makroskopischer Objekte analysieren, nehmen wir im Allgemeinen eine Menge Vereinfachungen vor, und sei es auch nur unausgesprochen. Wir lassen die innere Struktur von Mond und Baseball außer Acht und stellen uns vor, beide seien einfach einzelne, massive Teilchen. Das ist eine grobe Annäherung. Selbst ein Salzkorn enthält ungefähr eine Milliarde Milliarden Moleküle, und doch ist es, nun ja, nur ein Salzkorn. Und wenn der Mond uns umkreist, kümmern wir uns in der Regel nicht um die Wackelbewegungen dieses oder jenes Moleküls, das auf dem staubigen Mare Tranquillitatis zu Hause ist. Wenn der Baseball in die Luft steigt, interessieren wir uns nicht für die Schwingungen dieses oder jenes Moleküls in seinem Korkkern. Uns geht es nur um die Gesamtbewegung des Mondes oder des Baseballs. Dafür reicht es, wenn wir Newtons Gesetze auf diese vereinfachten Modelle anwenden.5

Solche Erfolge machen deutlich, vor welchen Herausforderungen die Physiker im 19. Jahrhundert standen, als sie sich mit Dampfmaschinen beschäftigten. Der heiße Dampf, der gegen den Kolben der Maschine drückt, besteht aus einer ungeheuer großen Zahl von Wassermolekülen – es sind vielleicht eine Billion Billionen Teilchen. Aber hier können wir die innere Struktur nicht auf die gleiche Weise außer Acht lassen wie in unseren Analysen des Mondes oder des Baseballs. Die Bewegung solcher Teilchen, die gegen den Kolben stoßen, von seiner Oberfläche abprallen, auf die Wände des Behälters treffen und wieder zurück zum Kolben fliegen, machen im Kern die Wirkungsweise der Maschine aus. Das Problem dabei: Niemand, auch wenn er noch so schlau ist und einen noch so leistungsfähigen Computer benutzt, kann irgendwann irgendwo alle einzelnen Flugbahnen berechnen, auf denen sich die Wassermoleküle in solch riesiger Zahl bewegen.

Stecken wir also in der Sackgasse?

Das könnte man meinen. Aber wie sich herausgestellt hat, rettet uns ein Wechsel der Perspektive. Große Ansammlungen produzieren manchmal eigene, schlüssige Vereinfachungen. Zwar ist es sicher schwierig oder sogar unmöglich, genau vorherzusagen, wann wir das nächste Mal niesen werden. Wenn wir aber unsere Sichtweise auf die Gesamtheit der Menschen auf der Erde erweitern, können wir tatsächlich vorhersagen, dass in der nächsten Sekunde weltweit ungefähr 80 000 von ihnen niesen.6 Das Entscheidende dabei: Wenn wir zur statistischen Sichtweise übergehen, wird die Größe der Weltbevölkerung nicht zum Hindernis, sondern zum Schlüssel für die Vorhersagbarkeit. Große Gruppen zeigen oft statistische Regelmäßigkeiten, die auf der Ebene des Individuums fehlen.

Bei einem analogen Ansatz für große Gruppen von Atomen und Molekülen leisteten James Clerk Maxwell, Rudolf Clausius, Ludwig Boltzmann und viele ihrer Kollegen Pionierarbeit. Sie forderten, die detaillierte Betrachtung einzelner Flugbahnen aufzugeben und stattdessen mit statistischen Aussagen das durchschnittliche Verhalten großer Ansammlungen von Teilchen zu beschreiben. Wie sie zeigen konnten, macht ein solcher Wechsel der Sichtweise nicht nur die Berechnungen mathematisch durchführbar, mit dem neuen Ansatz lassen sich auch gerade diejenigen physikalischen Eigenschaften untersuchen, die von besonderer Bedeutung sind. So wird beispielsweise der Druck, der auf den Kolben einer Dampfmaschine einwirkt, kaum durch den exakten Weg dieses oder jenes einzelnen Wassermoleküls beeinflusst. Er erwächst vielmehr aus der durchschnittlichen Bewegung der Billionen und Aberbillionen von Molekülen, die in jeder Sekunde auf die Oberfläche des Kolbens treffen. Das ist das eigentlich Bedeutsame. Und das ist es auch, was die Wissenschaftler mit dem statistischen Ansatz berechnen konnten.

In unserer heutigen Zeit mit politischen Meinungsumfragen, Populationsgenetik und großen Datenbeständen im Allgemeinen hört sich der Wechsel zu einer statistischen Vorgehensweise vielleicht nicht sonderlich radikal an. Wir haben uns daran gewöhnt, dass man aus der Untersuchung großer Gruppen aussagekräftige statistische Erkenntnisse gewinnen kann. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert dagegen waren statistische Überlegungen gleichbedeutend mit einer Abkehr von der strengen Präzision, durch die sich die Physik damals definierte. Man muss auch im Kopf behalten, dass manche angesehenen Wissenschaftler bis in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts hinein die Existenz von Atomen und Molekülen – und damit die Grundlage für einen statistischen Ansatz – generell infrage stellten.

Aber allen Neinsagern zum Trotz dauerte es nicht lange, bis die statistischen Überlegungen ihren Wert unter Beweis stellten. Einstein persönlich erklärte 1905 in quantitativen Begriffen die Zitterbewegung von Pollenkörnern, die in einem Glas Wasser schwimmen, und berief sich dazu auf das ständige Bombardement mit H2O-Molekülen. Angesichts dieses Erfolges musste man schon ein notorischer Ignorant sein, um noch an der Existenz von Molekülen zu zweifeln. Und das war nicht alles: Wie ein ständig wachsendes Archiv mit theoretischen und experimentellen Abhandlungen immer wieder deutlich machte, stimmen Schlussfolgerungen, die sich auf statistische Analysen großer Ansammlungen von Teilchen stützen – die aber beschreiben, wie solche Teilchen in einem Behälter herumfliegen und damit Druck auf diese Oberfläche ausüben, diese Dichte erlangen oder jene entspannte Temperatur annehmen –, so hervorragend mit den Daten überein, dass für Zweifel an der Erklärungskraft der Methode einfach kein Raum mehr blieb. Damit waren die statistischen Grundlagen für die Erklärung von Wärmeprozessen gelegt.

Das alles war ein großer Triumph. Die Physiker konnten jetzt nicht nur Dampfmaschinen verstehen, sondern auch ein breites Spektrum verschiedener Wärmesysteme – von der Erdatmosphäre über die Korona der Sonne bis zu der riesigen Ansammlung von Teilchen, die in einem Neutronenstern wimmeln. Aber was hat das alles mit Russells Zukunftsvision zu tun, mit seiner Prophezeiung, das Universum bewege sich schleichend auf den Tod zu? Eine gute Frage. Abwarten. Das kommt schon noch. Aber bis es so weit ist, haben wir noch eine Reihe von Schritten vor uns. Im nächsten nutzen wir die Fortschritte, um die wichtigste Eigenschaft der Zukunft zu beleuchten: Sie unterscheidet sich tief greifend von der Vergangenheit.

Von diesem zu jenem

Die Unterscheidung zwischen Vergangenheit und Zukunft ist für die Erfahrung des Menschen grundlegend und Dreh- und Angelpunkt zugleich. Wir wurden in der Vergangenheit geboren. Wir werden in der Zukunft sterben. Dazwischen werden wir Zeuge unzähliger Vorgänge, die sich in einer ganz bestimmten Reihenfolge abspielen, und wenn wir sie in der umgekehrten Reihenfolge betrachten, erscheinen sie absurd. Van Gogh malte die Sternennacht, aber er hätte die wirbelnden Farben nicht durch umgekehrte Pinselstriche aufnehmen und eine leere Leinwand wiederherstellen können. Die Titanic rammte einen Eisberg, der den Rumpf aufschlitzte, aber sie hätte ihre Motoren nicht rückwärts laufen lassen, den gleichen Weg rückwärts fahren und damit den Schaden ungeschehen machen können. Wir alle wachsen und altern, aber wir können die Zeiger der inneren Uhr nicht zurückstellen und unsere Jugend nicht wiedergewinnen.

Da die Unumkehrbarkeit für die Entwicklung aller Dinge von so zentraler Bedeutung ist, sollte man annehmen, dass wir ihre mathematischen Ursachen innerhalb der Gesetze der Physik leicht erkennen können. Wir können doch sicher auf eine ganz bestimmte Eigenschaft in den Gleichungen hinweisen, die dafür sorgt, dass Dinge sich von diesem in jenes verwandeln können, wobei die Mathematik aber verbietet, dass sie von jenem zu diesem werden. In Wirklichkeit aber bieten die Gleichungen, die wir seit Jahrhunderten entwickelt haben, nichts Derartiges. Die Gesetze der Physik, die durch die Hände eines Newton (klassische Mechanik), Maxwell (Elektromagnetismus), Einstein (relativistische Physik) und vieler Dutzend Quantenphysiker gingen, wurden zwar ständig verfeinert, ein Merkmal ist aber unverändert geblieben: Die Gesetze halten beharrlich an einer völligen Unempfindlichkeit gegenüber dem fest, was wir Menschen als Zukunft oder Vergangenheit bezeichnen. Wenn wir vom derzeitigen Zustand der Welt ausgehen, behandeln die mathematischen Gleichungen den Ablauf von Zukunft oder Vergangenheit genau gleich. Während der Unterschied für uns entscheidend ist, zucken die Gesetze nur die Achseln und beurteilen ihn so, als wäre nichts wichtiger als die Frage, ob eine Stadionuhr die verstrichene oder die verbliebene Zeit anzeigt. Mit anderen Worten: Wenn die Gesetze es zulassen, dass eine bestimmte Abfolge von Ereignissen geschieht, lassen sie zwangsläufig auch den umgekehrten Ablauf zu.7

Als ich im Studium erstmals davon erfuhr, kam es mir geradezu lächerlich vor. In der Realität sehen wir nicht, wie Olympiaschwimmer mit den Füßen zuerst aus dem Wasser springen und in aller Ruhe auf dem Sprungbrett landen. Wir sehen nicht, wie gefärbte Glasscherben vom Fußboden hochfliegen und sich zu einer Tiffanylampe zusammenfinden. Filmszenen, die man rückwärts ablaufen lässt, sind gerade deshalb amüsant, weil sich das, was sie zeigen, so gründlich von allem unterscheidet, was wir erleben. Und doch stehen die Ereignisse, die in solchen rückwärts laufenden Filmen zu sehen sind, der Mathematik zufolge vollkommen im Einklang mit den Gesetzen der Physik.

Warum also ist unser Erleben so einseitig? Warum sehen wir immer nur, wie Ereignisse in einer zeitlichen Orientierung ablaufen, aber nie in der umgekehrten? Einen wesentlichen Teil der Antwort liefert der Begriff der Entropie, ein Konzept, das entscheidend ist, wenn wir die Abläufe im Kosmos verstehen wollen.

Entropie: ein erster Annäherungsversuch