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Echte Natur- und Outdoorfans wissen es schon lange: Frankreich besteht nicht nur aus Paris und der Côte d'Azur. Die Grande Nation ist auch für ihre wilde Seite bekannt und immer eine Reise wert. Folgen Sie unseren Reisetipps zu den Wellen des Atlantiks, zu Frankreichs unterirdischer Höhlenwelt, zu Wölfen, Geiern und Bisons – und dem ersten französischen Bio-Dorf. 50 Reiseideen, um die wilde Seite Frankreichs zu entdecken!
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Die schönsten Naturerlebnisse fernab des Trubels
Hilke Maunder · Klaus Simon
ÜBERSICHTSKARTE
VORWORT
WILLKOMMEN IN FRANKREICH
UNSER NACHHALTIGKEITSKODEX
DER NORDEN & NORDWESTEN
1Cap Blanc-Nez und Gris-Nez / Die Schwestern der Côte d’Opale
2Baie de Somme / Rettung in letzter Minute
3Terrils Jumeaux von Loos-en-Gohelle / Wilde Kegel mit Weitblick
Bedrohtes Bigouden-Land / Wenn das Meer steigt
4Marais Vernier / Launige Seine
5Grand Site Côte d’Albâtre / Gefährlich und gefährdet
6Suisse Normande / And the winner is …
7Îles Chausey / Für jeden Tag eine Insel
8Cap de la Hague / Eine Fabrik für Naturwunder
9Ménez-Hom, Monts d’Arrée und Montagnes Noires / In den Highlands der Bretagne
10Cap Sizun / Nukleel? Nann trugarez!
11Archipel des Sept Îles / Im Königreich des Basstölpels
12Côte du Granit Rose / Die Bretagne ist rosafarben
13Grande Briére im Loire-Land / Die wilden Sümpfe der Vögel
14Corniche Vendéenne / Im Rausch der Brandung
DER OSTEN
15Grand Ried / Im elsässischen Gemüsesumpf
16Monthermé / Die versteinerten Haimon-Söhne
Höhlen und Grotten / Frankreichs wilde Unterwelt
17Cirques und reculées des Jura / Wasser und Wald
18Saut und Gorges du Doubs / Eine Schlucht von einer Grenze
19Parc national de forêts / Widerstand im Wald
20Morvan / Regionaler Naturpark im Herzen Burgunds
21Brionnais / Wiesenwissen mit UNESCO-Ambitionen
22Dombes / Rendezvous mit dem Reiher
23Chartreuse / Im Reich des Guiers’
FRANKREICHS MITTE
24Forêt de Fontainebleau / Nicht nur für Sonntagsmaler
25Désert Auvergnat / Kahler ist keine Wüste
26Larzac / Wo Frankreich den Widerstand lernte
27Lozère/Gévaudan / Wolf oder Mensch?
Wölfe, Geier, Bisons / Die Top Drei der Lozère
28Monts d’Ardèche / Zuckerhüte und Kastanien
29Gorges de l’Ardèche / Die Kraft von Wasser und Zeit
30Parc naturel régional Livradois-Forez / Auf der Sonnenseite
31Gorges de l’Aveyron / Wanderer, kommst du in diese Schlucht
DER SÜDWESTEN
32Marais Poitevin / Staunen im Sumpf
33Dune du Pilat / Die Königin der Silberküste
34Courant d’Huchet / Staatstragende Gedanken an Nil und Amazonas
35Côte Basque / Die Küste der Basken
36Cirque de Gavarnie / Eine Bresche nach Spanien
37Parc national des Pyrenées / Die wilden Berge
Kostbare Ressource / Das weiße Gold
38Col du Soulor / Majestäten der Berge
39Donezan / Klein-Kanada in Ariége
40Lagunenseen des Languedoc / Bedrohte Paradiese
41Pech de Bugarach / Legendärer Gipfel
42Sals und Fontaine Salée / Salziger als das Meer
43Côte Vermeille / Wild und bunt
44Canigou / Legende der Ostpyrenäen
DER SÜDOSTEN
45Gorges du Verdon / Europas Grand Canyon
Frankreichs erstes Biodorf / Alles öko in Correns
46Provence Verte / Wasser, Wälder und Biowein
47Calanques / Pack die Badehose ein!
48Crau / Im Reich der Schafe
49Alpilles / Die kleinen Alpen der Provence
50Parc national du Mercantour / Unter Geiern
REGISTER
BILDNACHWEIS
IMPRESSUM
An der nordfranzösischen Opalküste
Sonnenaufgang über dem Hafen von Perros-Guirec; die Burg von Les Baux-de-Provence in den Alpilles; Veules-les-Roses – der vielleicht schönste Ort an der Alabasterküste; ein Reh im Parc national de forêts; der Templerort La Couvertoirade
Didi Hallervorden heißt der Herr auf diesem Felseiland, der Île Costaérès an der bretonischen Côte de Granit Rose.
Felshänge der Jonte-Schlucht; der Lac d’en Haut ist vulkanischen Ursprungs; die Sandfelder des Cul du Chien im Wald von Fontainebleau; die Grotte Chauvet 2, ein originalgetreuer Nachbau der Grotte Chauvet; Climber in den Gorges du Verdon
Beeindruckende Weite: das Massiv von Sancy in der Bergkette der Monts Dore
Frankreich ist der mit Abstand größte Flächenstaat der Europäischen Union und nach Dänemark (einschließlich Grönlands) und dem europäischen Teil Russlands auch der größte Flächenstaat ganz Europas. Entsprechend viel freier Raum bleibt unberührte Natur. In einigen Landesteilen ist die Bevölkerungsdichte so dünn wie anderswo nur in Wüstengebieten. Mehr monumentale Weite bietet sich selten auf dem alten Kontinent.
Türkisgrün leuchtet der unterirdische Fluss im Gouffre de Pardirac, einem Tageslichtschacht, der zum Höhlensystem der Causse de Gramat gehört.
Wild und weit: die Crau-Steppe
Frankreich zählt elf Nationalparks, die mit fünf Millionen Hektar acht Prozent der Landesfläche bedecken … Fortsetzung folgt. Der letzte, der Parc national de forêts, wurde erst im Jahr 2020 eröffnet. Es ist Frankreichs erster dem Wald gewidmeter Nationalpark und darf in diesem Buch nicht fehlen, naturellement. Hinzukommen 58 regionale Naturparks, von den Alpilles im Süden bis zu den Vosges du Nord im Nordosten. Ganz zu schweigen von den 358 Réserves Naturelles: Kein Franzose lebt weiter als 70 Kilometer von einem dieser Naturschutzgebiete entfernt. Blieben noch die 16 von der UNESCO zertifizierten Biosphärenreservate des Landes, die den Reichtum unseres westlichen Nachbarlands an intakter Umwelt bezeugen.
Es ist ein Reichtum, der uns vor die Qual der Wahl bei den in diesem Buch vorgestellten Wild Places stellte. Beim Auflisten prasselten die Vorschläge wie ein satter Sommerregen nieder. Beim Zusammenstreichen dann kam eine Wehmut auf. Es fühlte sich fast so schmerzlich an wie der Kahlschlag, mit dem der Herbst die Laubwälder entblättert. Doch Gärtner wissen: Stutzen und Zurückschneiden lässt die Pflanze umso kraftvoller wieder ausschlagen. Was auch für unser Buch gilt, das eine Top 50 der Orte ist, an denen Frankreich so unberührt scheint wie vor dem Eingriff des Menschen.
Seglertraum: das Chausey-Archipel
Wohlgemerkt »scheint«. Oft verdankt sich die intakte Wildnis dem Einschreiten des Menschen gegen Sünden, die Generationen zuvor begangen worden sind oder die noch in der Planung verhindert werden konnten. Für ein Retour à la nature, mit dem der Philosoph Jean-Jacques Rousseau sich im 18. Jahrhundert als Vorreiter einer Rückbesinnung auf die Natur positioniert hat, steht die Baie de Somme am Ärmelkanal. Noch vor einem Vierteljahrhundert war die Bucht ein ökologisches Notstandsgebiet. Heute beheimatet sie Europas größte Kegelrobbenkolonie. An der bretonischen Pointe du Raz verhinderten die Bürgerrechtsbewegungen der Siebzigerjahre den Bau eines Atomkraftwerks. Auf dem okzitanischen Larzac protestierten zeitgleich die Massen so lange, bis die geplante Militärbasis vom Tisch war.
Andere Orte lassen sich vom Menschen ohnehin nicht zähmen. Die Düne von Pilat an der Atlantikküste formt ihr Saharagebirge scheinbar nach Laune, in Wirklichkeit nach Wind und Gezeiten immer wieder neu. Auch die späte Entdeckung hat manchen wilden Plätzen das Überdauern gesichert. Der von urwaldartigen Wäldern gesäumte Wasserlauf des Courant d’Huchet an der Küste des Landes wurde erst kurz nach 1900 entdeckt. Noch etwas später wanderten Forscher erstmals durch Europas spektakulärsten Canyon, die Gorges du Verdon.
Apropos Wandern. Die ersten Wanderwege Frankreichs wurden vor fast 200 Jahren im zentralfranzösischen Forêt de Fontainebleau angelegt. Was beweist, dass in Frankreich die wilde Natur schon immer auch als Einladung zu einer nachhaltigen Erkundung verstanden wurde.
Mit der Calanque de Port Pin endet die Calanques-Wanderung von Marseille nach Cassis. Die Nähe zum Hafenstädtchen verpflichtet: Jachten nutzen die Calanque als sicheren Ankerplatz.
Das wilde Frankreich überrascht – und vereint fast alle Landschaften der Kontinente aus seinem Territorium. Voilà: Faszinierendes, Eindrucksvolles und Einzigartiges vom größten Flächenstaat der EU.
Kontinentalfrankreich ist gut 543.000 Quadratkilometer groß und damit das größte Flächenland der Europäischen Union. Von West nach Ost misst das Hexagon 1100, von Nord nach Süd 1000 Kilometer. Am 45. Breitengrad, der auf der Höhe Lyon–Bordeaux verläuft, beginnt der Midi, der mediterrane Süden. Zu Frankreich gehören noch zahlreiche Überseegebiete, darunter die Inseln Guadeloupe, Saint-Martin, Saint-Barth und Martinique in der Karibik, Französisch-Guyana in Südamerika, die Inseln Réunion und Mayotte in Afrika, Neukaledonien und Französisch-Polynesien in Ozeanien sowie einige Gebiete in der Antarktis.
… futtert im Durchschnitt jeder Franzose pro Jahr. Das renommierte regionale Gütesiegel für handwerklich produzierte Milchspezialitäten voller ursprünglichem Genuss tragen 46 Käsesorten, drei Butter- und zwei Sahneprodukte.
Am 8. August 1786 gelang den Franzosen Jacques Balmat und Michel-Gabriel Paccard die Erstbesteigung. Heute schwebt eine Seilbahn von der Aiguille du Midi (3842 Meter) in Frankreich zur Punta Helbronner (3462 Meter) in Italien.
Das ist die Fläche von Frankreichs größtem Gletscher, dem hier und da mehr als 200 Meter dicken Mer de Glace bei Chamonix. Es entstand während der letzten Eiszeit, als sich über Jahrtausende Schnee und Eis ansammelten und langsam zu einem massiven Gletscher verdichteten. Wie viele Gletscher auf der ganzen Welt hat sich aber auch das Mer de Glace aufgrund des Klimawandels zurückgezogen und schrumpft jedes Jahr in beträchtlichem Umfang.
… misst die Veules von ihrer Quelle bis zu ihrer Mündung: Das ist Landesrekord! Trotz ihrer »Kürze« erlebt der charmante Wasserlauf eine Menge. Er bewässert eine Kresseplantage, treibt Mühlräder an, fließt sanft an altem Fachwerk vorbei und ergießt sich beim Dorf Veules-les-Roses an der normannischen Alabasterküste in den Ärmelkanal.
… ist stellenweise die Verdon-Schlucht, die sich auf rund 50 Kilometer Länge zwischen Castellane und dem Stausee Lac de Sainte-Croix erstreckt. Wegen ihrer beeindruckenden Größe und Schönheit wird sie gerne als »Grand Canyon Europas« bezeichnet – das US-Vorbild ist jedoch mehr als doppelt so tief.
Die Zahl der Wölfe, die 2023 für Frankreich angegeben wird, ist gegenüber dem Vorjahr um 22 zurückgegangen. Deshalb fordern NGOs, weniger Abschüsse zu genehmigen. Der Grauwolf ist in der Europäischen Union geschützt. Zum Schutz der Herden sind jedoch Abschüsse als letztes Mittel erlaubt.
1500 Meter hohe Wände In einem Halbkreis von 800 Meter Durchmesser: Diese beeindruckenden Maße machen den Cirque de Gavarnie in den Hochpyrenäen zum größten Felskessel Frankreichs. In diesem atemberaubenden Amphitheater der Natur stürzt die Grande Cascade de Gavarnie tosend in die Tiefe. Mit rund 422 Metern gehört sie zu den höchsten Wasserfällen Europas.
So alt ist die Chêne Chapelle im normannischen Dorf Allouville-Bellefosse. Damit gehört die Kapelleneiche zu den ältesten und bedeutendsten Bäumen Frankreichs. Der Legende nach wurde sie anlässlich der Gründung der Normandie im Jahr 911 gepflanzt. Ihre beiden Stämme sind innen hohl und beherbergen seit dem 16. Jahrhundert eine kleine Kapelle. Um den Baum herum führt eine Holztreppe.
Die Passerelle de L’Estellier erlaubt es Wanderern, die Schlucht des Verdon in schwindelerregender Höhe zu überqueren.
Die Welt birgt viele Wunder, Abenteuer und spektakuläre Aussichten, die wir gerne erkunden möchten. Doch sie ist auch leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Hier ein paar Tipps, wie wir unsere Welt nachhaltig entdecken können:
Die Hauptsaison meiden: Wenn wir nicht gerade auf die Ferienzeiten angewiesen sind, können wir der Umwelt einen großen Gefallen tun, indem wir in der Nebensaison verreisen. Damit tragen wir zu einer gleichmäßigeren Auslastung der Umwelt und der Infrastruktur bei und der Urlaub wird dazu auch noch wesentlich entspannter.
Die Aufenthaltsdauer dem Reiseziel anpassen: Je weiter entfernt das Reiseziel ist, desto länger sollte der Aufenthalt sein. Dadurch lernen wir die Region nicht nur intensiver kennen, sondern stärken sie ganz nebenbei noch durch unsere Ausgaben vor Ort. Anfahrtsintensive Tagesausflüge sollten besser vermieden werden, das bedeutet nur Stress, sowohl für die Umwelt als auch für uns selbst.
Auf umweltschonende Verkehrsmittel setzen: Wo es möglich ist, reisen wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln an. Das reduziert nicht nur die Luftverschmutzung, sondern schont auch unsere Nerven. Falls das nicht geht, helfen verschiedenste Plattformen dabei, den CO2-Austoß auszugleichen, vor allem, wenn das gewünschte Reiseziel nur mit dem Flugzeug zu erreichen ist.
Nur dort parken und campen, wo es erlaubt ist: Selbst, wenn wir uns noch so vorbildlich verhalten und unseren Aufenthaltsort so hinterlassen, wie wir ihn vorgefunden haben, stören wir den Lebensraum von Wildtieren und hinterlassen Spuren und Gerüche. Auch Lagerfeuer entzünden wir ausschließlich an den dafür vorgesehenen Stellen und achten dabei auf Waldbrandstufen und Naturschutzgebiete.
Ressourcen gewissenhaft nutzen: Manche Umweltressourcen sind bereits knapp, endlich sind auf jeden Fall alle. Um sie zu schonen, sollten wir sparsam mit ihnen umgehen, gerade in Gegenden, in denen zum Beispiel Wasser oder Strom nicht im Überfluss vorhanden sind.
Ein guter Gast sein: Nachhaltig unsere Umgebung zu erkunden bedeutet auch, der hiesigen Flora und Fauna mit Respekt zu begegnen. Pflanzen sollten auf keinen Fall gepflückt werden, aber sie stehen uns bestimmt gerne Modell für das eine oder andere Foto. Das Gleiche gilt für wilde Tiere: wir füttern sie nicht, halten Abstand und beobachten sie aus der Ferne.
Auf den Wegen bleiben: Wer die vorgegebenen Wege verlässt, dringt nicht nur in die Rückzugsräume heimischer Arten ein, sondern trägt auch dazu bei, dass sich neue Wege bilden, was zur Erosion des Bodens führt.
Abfall wieder mitnehmen: Plastikverpackungen jeglicher Art, Dosen, Flaschen und Papiertaschentücher (es dauert Jahre, bis sich ein einzelnes Taschentuch vollständig abgebaut hat!) gehören nicht in die Natur, sondern artgerecht entsorgt. Am besten gleich eine wiederverwendbare Brotdose oder Trinkflasche mitnehmen. Dazu zählen natürlich auch Toilettenpapier und der Inhalt von (Chemie-)Toiletten. Entsprechende Entsorgungsstationen finden sich überall.
Lokal kaufen: Dadurch lernen wir Land und Leute besser kennen und unterstützen die regionale Wirtschaft, außerdem sind regionale Produkte meist auch preisgünstiger und qualitativ hochwertiger.
So wie wir die Umwelt respektieren, wollen wir auch unseren Mitmenschen und deren Kultur Respekt entgegenbringen, gerade im Hinblick auf deren Traditionen, Religion oder typische Gebräuche. So können ein Lächeln oder ein paar Worte in der Landessprache Berge versetzen!
Schroff und zugleich fragil sind die Küsten der Picardie, der Normandie und der Bretagne. Das Grün reicht bis an die Klippen.
Weltberühmt: die Bucht von Étretat
Wie stolze Wächter des Ärmelkanals ragen die Küstenkaps Blanc-Nez und Gris-Nez in den Himmel und verbinden grandiose Natur mit atemberaubenden Aussichten über die Opalküste bis hin zum nur 30 Kilometer entfernten Britannien. Seit 2011 gehören sie zu den »Grands Sites de France«, den 51 größten Sehenswürdigkeiten Frankreichs.
Das französische Gegenstück zu den White Cliffs of Dover: die Felsnase Blanc-Nez
Was für ein Puzzle faszinierender Landschaften und Lebensräume birgt der »Grand Site des Deux-Caps«! Seine acht Küstendörfer sind – trotz der rund eine Million Besucher pro Jahr – ehrlich und authentisch geblieben, und auch an den Stränden und Kaps ist außer in den Sommerferien kaum etwas los. Wie ein zeitloses Gemälde ragen die Klippen unter dem hohen Himmel auf. Blanc-Nez, was so viel wie »Weiße Nase« bedeutet, ist das höhere und markantere der beiden Felskaps. Auf seinem Gipfel erinnert ein grauer Obelisk an die »Dover Patrol«, die Zusammenarbeit der alliierten Seestreitkräfte während des Ersten Weltkriegs. Blanc-Nez besteht gar aus Kreide, die Rillen aus Feuerstein durchziehen. Das 134 Meter hohe Kliff ist gerademal 80 Millionen Jahre alt und Teil einer größeren Kreideformation, die als Champagne-Kreide sich über den Ärmelkanal hinaus erstreckt und in England die berühmten White Cliffs von Dover bildet.
Das Gris-Nez besteht aus Lehm und Sandstein und krümmt sich unter dem Gewicht seiner 160 Millionen Jahre. Auf seiner grünen Kuppe stand bereits 1837 ein Leuchtturm. Der heutige Leuchtturm wirft seit 1957 sein Licht auf die viel befahrene Schifffahrtsroute, die zugleich Außengrenze der EU ist.
Die Kaps haben mit ihrer unterschiedlichen Geologie auch die Architektur geprägt: Während im Calaisis nordöstlich des Blanc-Nez die Häuser aus Feuerstein gebaut werden, schmücken sie sich im Boulonnais südwestlich der Kaps mit den Steinfarben aus Baincthun, grau, golden oder weiß.
Die Geologie beschert den ungleichen Schwestern auch ganz unterschiedliche Biotope. Auf den Sandsteinböden der Jurazeit des Gris-Nez können alle Arten von Pflanzen wachsen. Die Blüten des gelben Ginsters sind für die Schafe, die dort weiden, eine Leibspeise. Auf den Böden des Blanc-Nez aus der jüngeren Kreidezeit gedeihen nur kalkliebende Pflanzen wie der Wacholder, der einzige Strauch des Blanc-Nez. Seetaucher, Lappentaucher, Alken und Ringelgänse rasten an den beiden Kaps. Eissturmvögel und Wanderfalken brüten hier. Und unzählige Möwen und Möwenartige. Ihr Gellen übertönt die Brandung. Unablässig nagt es an den Klippen. Wer auf dem »Sentier Littoral« unterwegs ist, dem Wanderweg der Küste, sieht die Folgen direkt vor seinen Füßen. Immer wieder sind hier und da Teile der Kaps ins Meer gestürzt, zerstört von Wind und Wasser.
Am Gris-Nez blickt Pilot Charles Hubert Latham auf den Ärmelkanal: ein berührendes Denkmal.
INFO
VOLLES PROGRAMM FÜR FOTOFREUNDE
Vom Fort von Ambleteuse bis zum Kap Blanc-Nez: Entlang der Wanderwege und an Aussichtspunkten im »Grand Site des Deux Caps« wurde ein Netz an Fotospots angelegt – mit Infotafel und einer Halterung für alle Arten von Fotoapparaten. Wer möchte, kann sein Foto von dort per E-Mail in die Bildergalerie des Observatoire Photographique des Paysages der Website der zwei Kaps hochladen. Mit etwas Glück wird es dann als »Foto des Tages« präsentiert.
CÔTE D’OPALE – EINE ECHTE NATURKÜSTE
Das einzigartige Farbenspiel – von silbrigem Funkeln über irisierendes Blau bis zu mystischem Grün – inspirierte den Maler Edouard Lévêque 1911 zum Namen »Côte d’Opale« für den 140 Kilometer langen Küstenstreifen zwischen Calais und Boulogne-sur-Mer. Freiheit und Weite atmet diese Naturküste, heute Revier der Strandsegler, Surfer und SUP-Paddler, Wiege von Trendsportarten wie Longe-Côte, Oase für Thalasso und Bühne für die »Rencontres Internationales de Cerfs Volants«, bei denen bunte Lenkdrachen den Himmel bevölkern. Stilvolle Badeorte und charmante Fischerstädtchen säumen die Küste. Was sich in den Fluten der Weltmeere tummelt, verrät in Boulogne-sur-Mer das nationale Meereszentrum Nausicáa.
cote-dopale.com
Wir schreiben das Jahr 1970. Die Somme-Bucht ist ein ökologisches Katastrophengebiet, so verschmutzt, dass sie als gesundheitsgefährdend eingestuft wurde. Ein Verbot untersagt das Sammeln von Muscheln, ein anderes das Baden. Fini! Heute ist die Somme-Bucht Mitglied im Kreis der »großen Naturwunder Frankreichs«.
Amphibische Naturlandschaft: die Baie de Somme
Bis dahin war es ein langer Weg. Erst 1988 durften Badegäste in Le Crotoy wieder ins Wasser, in Saint-Valéry-sur-Somme sogar erst 1993. Schuld am Umweltdesaster waren in die Bucht abgeleitete Abwässer und aus den landwirtschaftlich intensiv genutzten Böden der Umgebung geschwemmte Nitrate. Die Wende gelang dank Kläranlagen und strikter Naturschutzbestimmungen. Die trichterförmige Bucht, die sich zwischen Le Hourdel und Saint-Quentin über fünf Kilometer zum Ärmelkanal öffnet und bis zu zwölf Kilometer tief ins Inland reicht, ist heute nicht nur die Heimat von 350 Vogelarten, sondern auch von Seehunden und Kegelrobben.
Zweimal am Tag flieht der Ärmelkanal aus der Bucht, die mit Salzwiesen, Schlick, Sandbänken, Prielen eine über 7000 Hektar weite amphibische Landschaft bildet. Dann packt Maxime Marzi den Feldstecher aus. Wir schlüpfen mit dem Ökotourenführer in die Stiefel und brechen von der Pointe du Hourdel in das Reich von Austernfischer, Möwe und Brachvogel auf. In der Picardie heißt die Baie de Somme jedoch »die Robbenbucht«. Um den Namen zu verstehen, muss man mit Maxime zu den Sandbänken fast hinter den Horizont gehen. Dorthin, wo sich die größten Kegelrobben- und Seehundkolonien Nordfrankreichs rekeln.
Einige Tiere kennt er mit Namen. Adelaide zum Beispiel. Die Robbendame ist im Sommer zuvor kläglich heulend aufgefunden worden. Das Muttertier hatte sein Junges zurückgelassen, weil Reiter den Robben zu nahe gekommen waren. Nach dem Aufpäppeln wurde Adelaide wieder in die Freiheit der Somme-Bucht entlassen. Angst vor Menschen hat das Jungtier seither nicht mehr, auch nicht vor den Schaulustigen am Leuchtturm von Le Hourdel, wo Adelaide gern auf einer Kiesbank faulenzt.
Wenn sich die Flut in die Bucht zurückdrückt, liegt der Geruch von Algen über Saint-Valery-sur-Somme. Die Altstadt thront mit gotischer Pfarrkirche auf einer Anhöhe. Unser Ziel ist die Kapelle der Fischer im Westen. Von hier schweift der Blick über die Somme-Bucht, die unaufhaltsam verlandet. Queller, Strandaster und Seelilie sind die ersten Pflanzen, die auf dem Schlick Wurzeln fassen. Später werden daraus Salzwiesen. Zwei Drittel ihrer Wasserfläche hat die Somme-Bucht so in drei Jahrhunderten verloren.
Noch vor ein paar Jahrzehnten konnten Kutter in Saint-Valery-sur-Somme anlegen. Heute haben nur noch kleine Fischerbötchen und Segelschiffe genug Wasser unter dem Kiel. Darüber freuen sich Schwärme von Vögeln, die in der Somme-Bucht Nist- und Rastplätze finden. Darüber freuen sich Robben und Seehunde, die immer seltener von Schiffen belästigt werden. Und auch Maxime.
INFO
MIT DEM ZUG DURCH DIE BUCHT
Der Chemin de Fer de la Baie de Somme, eine nostalgische Dampfeisenbahn, umrundet die Bucht von Le Crotoy bis Cayeux-sur-Mer. Bequemer lassen sich Fauna und Flora kaum erkunden. Radtransport gratis!
chemindefer-baiedesomme.fr
WEITERE INFORMATIONEN
tourisme-baiedesomme.fr, Führungen mit Maxime
Marzi: visit-somme.com/run-away-baie-maxim
Diese Robbe hat es gut, denn sie lebt in der Authie-Bucht, geschützt und beobachtet von den Robbenpaten des Naturparks.
Aus mehr als 40 Kilometer Entfernung sind sie zu sehen: die Terrils jumeaux von Loos-en-Gohelle. Die schwarzen Abraumhalden, die der Kohleabbau der Zeche 11/19 hinterlassen hat, sind die höchsten in Europa und bieten aus 186 Meter Höhe atemberaubende Aussichten über das gesamte Bassin Minier.