Willkommen in Kinmark - Niklas Quast - E-Book

Willkommen in Kinmark E-Book

Niklas Quast

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Beschreibung

Kurz vor Dienstschluss wird Officer Gilbert Smith zu einem Einsatz gerufen: der Fahrer einer Dodge Viper befindet sich nach einem Unfall auf der Flucht. Eine Verfolgungsjagd und ein darauffolgender Unfall führen den Officer über den Highway tief in die Solven-Hills und das beschauliche Dorf Kinmark. Je tiefer er in die Geheimnisse des Ortes vordringt, desto deutlicher wird ihm, dass er sich in einer tödlichen Falle befindet, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint...

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Zum BUCH

Kurz vor Dienstschluss wird Officer Gilbert Smith zu einem Einsatz gerufen: der Fahrer einer Dodge Viper befindet sich nach einem Unfall auf der Flucht. Eine Verfolgungsjagd und ein darauffolgender Unfall führen den Officer über den Highway tief in die Solven-Hills und das beschauliche Dorf Kinmark. Je tiefer er in die Geheimnisse des Ortes vordringt, desto deutlicher wird ihm, dass er sich in einer tödlichen Falle befindet, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint...

Zum AUTOR

Niklas Quast wurde am 7.3.2000 in Hamburg-Harburg geboren und wuchs im dörflichen Umland auf. Nachdem er eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann absolvierte, arbeitet er nun in einem Familienbetrieb und widmet sich nebenbei dem Schreiben.

Inhaltsverzeichnis

GILBERT SMITH: 25. AUGUST 2008

Kapitel 1

Kapitel 2

GILBERT SMITH: 26. AUGUST 2008

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

AMANDA BAKER: 13. AUGUST 2005

Kapitel 10

GILBERT SMITH: 26. AUGUST 2008

Kapitel 11

Kapitel 12

GILBERT SMITH: 27. AUGUST 2008

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

TUCKER MILLER & WYATT SCOTT: 26. AUGUST 2008

Kapitel 18

GILBERT SMITH: 27. AUGUST 2008

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

PATRICK MITCHELL, SHERIFF DONALD BLAIR UND DAS EINSATZTEAM: 27. AUGUST 2008

Kapitel 23

GILBERT SMITH: 27. AUGUST 2008

Kapitel 24

PATRICK MITCHELL, SHERIFF DONALD BLAIR UND DAS EINSATZTEAM: 27. AUGUST 2008

Kapitel 25

GILBERT SMITH: 27. AUGUST 2008

Kapitel 26

CHARLES REINHART: 25. AUGUST 2008

Kapitel 27

CHARLES REINHART: 26. AUGUST 2008

Kapitel 28

CHARLES REINHART: 27. AUGUST 2008

Kapitel 29

Kapitel 30

SHERIFF DONALD BLAIR UND DAS EINSATZTEAM: 27. AUGUST 2008

Kapitel 31

GILBERT SMITH 25. AUGUST 2008

1

Das Funkgerät rauschte. Officer Gilbert Smith stellte den mit dampfend warmen Kaffee gefüllten Pappbecher auf die Mittelablage und nahm es in die Hand. Die Stimme aus dem Gerät klang zunächst verzerrt, wurde dann jedoch immer deutlicher. »Gilbert. Bist du da?«

»Ja. Was gibt es?«

»Ein Unfall mit Fahrerflucht ganz in der Nähe von dir. Du musst versuchen, den Fahrer zu kriegen.«

Seufzend startete Smith den Motor des Einsatzwagens. Kann man nicht einmal in Ruhe Pause machen? Er hatte seinen Wagen zuvor auf dem Parkplatz einer Raststätte abgestellt - direkt hinter ihm lag eine Tankstelle, dort hatte er sich auch seinen Kaffee geholt, der nun immer weiter abkühlte. Er kurbelte das Fenster hoch und fuhr dann wieder auf den Highway. Um diese Zeit war die Straße ziemlich leergefegt - es war schon nach einundzwanzig Uhr und der Mond stand am Himmel. »In welche Richtung ist der Fahrer abgehauen? Nach was für einem Auto wird gefahndet?«

Es nervte Smith, dass sein Kollege am anderen Ende des Funkgerätes nicht in der Lage war, diese notwendigen Informationen ohne langes Drumherum preiszugeben.

»In Richtung der Solven-Hills. Er befindet sich auf demselben Highway wie du... eine rote Dodge Viper.«

Smith wurde bei der Automarke hellhörig. Eine rote Dodge Viper? Das Tempo kann ich doch nie halten.

»Er fährt in Richtung der Berge?«

»Ja. Wir sind hinter ihm her, aber müssen immer weiter abrei

ßen lassen. Er hat dich bald erreicht. Bist du noch bei der Tankstelle?«

»Ich bin gerade auf den Highway gefahren.«

»Sehr gut. Wir sind zwei Meilen von der Tankstelle entfernt. Die Viper müsste dich bald erreicht haben, wenn sie dem Highway weiter folgt.«

Die Berge direkt vor ihm waren nicht mehr weit entfernt. Die Straße wurde etwas unebener, und auf dem Asphalt mischte sich etwas Sand hinzu. Wenige Augenblicke später vernahm Smith ein Motorengeräusch. Es war so unfassbar laut, dass es nur von der Viper kommen konnte. Und so war es dann auch. Pfeilschnell schoss das Fahrzeug an ihm vorbei und hinterließ eine aufwirbelnde Staubspur. Smith presste auf die Hupe und schaltete das Martinshorn ein. Er drückte das Gaspedal durch und schaltete in den fünften Gang. Die Landschaft zog an ihm vorbei, und die ersten Ausläufer des Gebirges tauchten in dem gelben Lichtkegel seiner Scheinwerfer auf. Der Kaffeebecher wackelte bedrohlich, ehe er wenig später umfiel. Smith fluchte laut, als er im Augenwinkel vernahm, wie sich das Heißgetränk auf dem Polster des Beifahrersitzes verteilte. Scheiße! Das muss ich wohl in der Reinigung erledigen lassen. Er merkte, wie seine Gedanken abdrifteten, und wandte seinen Blick wieder nach vorne. Die Viper umkurvte einen blauen Ford und wechselte dann wieder auf die linke Spur, auf der er mit gefühlt zweihundert Meilen weiter raste. Smith tat es ihm gleich, warf jedoch automatisch einen Blick ins Innere des Fords. Ein Mann, dessen Gesicht er nicht erkennen konnte, befand sich alleine im Wagen. Er richtete seinen Blick wieder nach vorne und versuchte, das Maximale aus dem Einsatzwagen herauszuholen, indem er sein Tempo nochmal steigerte. Das Geräusch des Martinshorns dröhnte durch die friedlich wirkende Umgebung und war sogar im Inneren des Wagens unfassbar laut. Smith war wenige Sekunden später bereits genervt von dem Geräusch und versuchte, es so gut es ging zu ignorieren. Er hielt seinen Blick starr auf die immer kleiner werdende Viper gerichtet, hatte sein Ziel voll fokussiert. Bald änderte sich der Straßenbelag, er wurde zunehmend schlechter, was sowohl Smith als auch die vorausfahrende Viper dazu zwang, das Tempo etwas zu dros-seln. Nachdem es nun ein paar Meter bergauf gegangen war, folgte eine Serpentinenstraße. Smith musste sich unfassbar gut konzentrieren, denn hier war die Straße so schmal, dass nur mit Müh und Not ein entgegenkommendes Auto vorbei passen würde. Jedoch musste er dazu natürlich auch wieder sein Tempo senken, so dass es ihm nun so vorkam, als würde er die Viper immer weiter aus den Augen verlieren. Der Fahrer des anderen Wagens ließ sich von den Gegebenheiten nicht verwirren. Fast schon artistisch gelang es ihm, die Viper durch die engen Serpentinen zu führen. Kleine Kiesel flogen in die Luft und knallten gegen das Blech von Smiths Streifenwagen. Seine Windschutzscheibe war derart staubig, dass er versuchte, sie mit Scheibenwischwasser und dem Scheibenwischer zumindest etwas sauber zu bekommen. Im schwachen Lichtschein folgte er der Staubspur der Viper. Hier gab es außer seinen Scheinwerfern und dem Mondlicht nichts, was ihm den Weg weisen konnte. Er musste sich mit den Gegebenheiten zurechtfinden und lenkte den Wagen durch die engen Kurven. Es ging immer höher. Plötzlich sah er, dass die Viper einiges an Tempo einbüßte. Die Bremslichter leuchteten auf, und er bemerkte, dass ein entgegenkommender Wagen die Ursache dessen war. Während er sich über diesen Umstand freute, rauschte das Funkgerät erneut.

»Gilbert?«

Officer Smith nahm es in die Hand.

»Was ist?«

»Wir mussten die Verfolgung abbrechen. Ein platter Reifen. Kommst du allein klar oder sollen wir weitere Verstärkung ordern?«

Diese Idioten. Innerlich schüttelte Smith den Kopf.

»Nein, es geht schon. Ich hoffe, ich habe ihn bald erreicht.«

Er legte das Funkgerät zurück auf das durchnässte Polster des Beifahrersitzes und gab nun wieder Gas. Die Viper hatte den entgegenkommenden Wagen passiert und nun wieder freie Fahrt - Smith versuchte, etwas Zeit zu gewinnen, indem er die Situation genauestens analysierte. Er sah die Lücke, die sich ihm bot, drückte weiter aufs Gas... und schoss an dem weißen Renault vorbei. Die Kurve, die nun plötzlich vor ihm auftauchte, kam schneller, als er es für möglich gehalten hatte. Er ging heftig in die Eisen, konnte jedoch nicht mehr verhindern, dass sein Wagen über die Kante rutschte. Er schlug die Lenkung heftig nach links ein, doch auch das brachte nichts mehr. Der Streifenwagen stürzte in die Tiefe und überschlug sich mehrmals, ehe er unsanft von einem Baum gebremst wurde.

2

»Ey, man, alles klar?«

Die Worte drangen nur langsam zu Smith durch. Es fiel ihm unfassbar schwer, seine Augen zu öffnen. Als er das endlich geschafft hatte, spürte er, wie er von einem heftigen Schmerz übermannt wurde.

»Ja, verdammt... was ist passiert?«

»Wir haben ’'nen lauten Knall gehört, und plötzlich stand dein Wagen an diesem Baum.«

Smith blickte sich um. Aus der Motorhaube des Einsatzwagens stieg schwarzer Rauch in den Nachthimmel auf. In der Ferne erkannte er ein schwaches, orangefarbenes Licht. Ist das ein Lagerfeuer? Er stöhnte auf, als er sich etwas Platz verschaffte, und schließlich aus dem Wagen ausstieg. Nach und nach kehrten die Erinnerungen zurück. Er erinnerte sich daran, wie er der roten Dodge Viper durch die nur vom Mondlicht und seinen Scheinwerfern spärlich beleuchtete Serpentinenstraße gefolgt war... ehe er sein Fahrtalent in einer Kurve deutlich überschätzt hatte und von der Straße abgekommen war. Es dauerte nicht lange, bis er die Quelle des stechenden Schmerzes entdeckt hatte. Eine Glasscherbe der zersplitterten Windschutz-scheibe hatte sich in seine linke Schulter gebohrt, und das T-Shirt unter seiner Uniform war an dieser Stelle blutgetränkt. Vorsichtig ging er ein paar Schritte auf dem grasigen Unter-grund.

»Wir hätten ja einen Krankenwagen gerufen«, sagte der Mann, der ihn auch bereits zuvor angesprochen hatte.

»Aber das Netz hier ist absolut tot.«

Smith fluchte innerlich. Wo bin ich hier nur gelandet? Ironischerweise musste er bei dem Gedanken an den umgestoßenen Kaffeebecher grinsen. Jetzt brauche ich den Sitz auch nicht mehr reinigen lassen. Der Wagen ist komplett im Arsch. Er betrachtete das Wrack näher. Der Wagen hatte sich bei dem Absturz aus der Serpentinenstraße mehrfach überschlagen und war schließlich frontal gegen den Baum geprallt. Die Vorderseite war komplett zerstört, ein Ast des Baumes hatte sich durch die Windschutzscheibe ins Innere gedrängt und hing dort bedrohlich mittig auf Kopfhöhe. Puh, das war knapp. Er drehte sich um und betrachtete den Mann, der ihn angesprochen hatte. Insgesamt befanden sich vor ihm drei Leute, die allesamt auf ihre eigene Art und Weise schräg aussahen. Die einzige Frau unter ihnen trug rot gefärbte Dreadlocks, die ihr bis zur Taille reichten, und eine markante Brille auf der Nase. Ihr Gesicht wurde von einem Tattoo geschmückt, das wie eine Sternschnuppe aussah. Sowohl ihre Nase als auch ihre Unterlippe wurde von jeweils einem Piercing geziert. Einer der Männer, es war der, der ihn angesprochen hatte, hatte einen giftgrünen Irokesenschnitt und buschige Augenbrauen, die er ebenfalls grün gefärbt hatte. Der dritte im Bunde trug rote Haare mit blauen Strähnen, die er sich zu einem Zopf gebunden hatte. Sein Gesicht war mit Tattoos zugekleistert.

»Kannst du gehen?«, fragte der Mann mit den grünen Haaren und sprach gleich weiter, noch bevor Smith ihm antworten konnte.

»Komm mit zu uns ans Lagerfeuer. Morgen brechen wir auf und bringen dich in das Dorf oben am Hügel. Da wird man sich um deine Wunden kümmern.«

Smith zuckte mit den Schultern. Er griff nach seinem Diensthandy, sah bei näherer Betrachtung jedoch, dass es nicht mehr funktionsfähig war. Wütend warf er das nutzlose Gerät ins trockene Gras und folgte den anderen.

»Wer seid ihr überhaupt und was macht ihr hier?«

»Wir sind Pazifisten und suchen nach unserem Platz in dieser Welt. Zurzeit befinden wir uns auf einem Wandertrip hier in den Solven-Hills. Morgen hatten wir sowieso vor, das Dorf aufzusuchen und uns dort umzusehen. Die Geschichten, die man so hört, haben uns schon neugierig gemacht.«

Smith runzelte die Stirn.

»Was für Geschichten?«

»Du lebst auch echt hinterm Mond, oder?«

Die Frau in der Runde hatte das Wort übernommen und lachte. »Hi, ich bin Amanda. Und die beiden sind Tucker und Wyatt.« Sie zeigte nacheinander auf den Mann, der ihn zuerst angesprochen hatte, und auf den anderen. Smith gefiel es nicht wirklich, wie die Frau ihn direkt mit ihren Worten überfiel, wusste jedoch, dass er sich damit abfinden musste. Unter Hippies gelten eben andere Gesetze. Verdammt, das hätte ich mir auch nie erträumt, auf einem abschüssigen Hügel mitten im Nirwana nach einer Verfolgungsjagd mit Hippies am Lagerfeuer zu sitzen.

»Freut mich«, sagte er, meinte es jedoch längst nicht so, wie er es aussprach.

»Wir haben noch etwas zu essen übrig. Hast du Hunger?«

Amanda deutete auf einen Kochtopf, in dem sich eine braune Brühe befand, in der Smith vereinzelt Nudeln und Fleischstückchen ausmachen konnte.

»Sie ist noch warm.«

Amanda reichte Smith, ohne dass dieser überhaupt zugestimmt hatte, eine Schüssel und füllte mithilfe einer Kelle einen großen Schwung hinein. Ein rauchiger Geruch stieg aus der Masse auf und Smith nahm einen Schluck. Während er das zarte Fleisch auf seiner Zunge zergehen ließ, er vermutete, dass es sich dabei um Reh oder Hirsch handelte, fragte er:

»Was für Geschichten werden denn über dieses Dorf erzählt?«

Im Schein des Lagerfeuers konnte er nur die Konturen der flachen Häuser oberhalb des Hügels in der Ferne erkennen. In die Szenerie mischte sich ein Geräusch, welches er jetzt erst wahrnahm. Es musste schon die gesamte Zeit über existiert haben, doch es drang nun erst durch seine Ohren in sein Bewusstsein. Das leise Rauschen eines Gebirgsbaches. Während die Glut des kleinen Lagerfeuers in der Nachtluft knisterte, begann Amanda, zu erzählen.

»Kinmark hat schon seit längerem einen Ruf, von dem sie einfach nicht wegkommen. Es heißt, dass in diesem Dorf immer wieder Menschen spurlos verschwinden und danach nie wieder gesehen werden.«

Smith wurde hellhörig. Normalerweise hatte er für solche Schauergeschichten nichts übrig, doch was war an dem heutigen Abend schon normal?

»Gibt es eine Erklärung für diese mysteriösen Vorfälle?«, fragte er interessiert und nahm einen weiteren Löffel der Brühe.

Wyatt reichte ihm aus dem Inneren eines der Zelte, die sie aufgestellt hatten, ein Stück weiches Brot. Smith nahm es dankend entgegen, tunkte es in die Suppe, und nahm einen Bissen.

»Nein, die gibt es nicht. Es gibt aber viele Sachen, die sich natürlich einfach so verbreiten.«

»Und was?«

Es nervte Smith schon etwas, dass er immer wieder nachhaken musste. Er machte sich jedoch nichts draus und hörte weiter zu. »Nichts, was auch nur im Entferntesten irgendeinen Sinn ergibt«, meinte Amanda schulterzuckend.

»Die einen sagen, dass dort im Inneren des Dorfes ein riesiges Monster ist, was jeden Fremden verschlingt. Die anderen wiederum glauben an Portale, die in fremde Welten führen. Eben Geschichten, die man sich unter Hippies erzählt.«

Sie zündete sich einen Joint an, nahm einen Zug, und blies den Rauch in Ringen in die Nachtluft.

»Auch mal ziehen?«

Smith lehnte das Angebot dankend ab und beobachtete Amanda dann, wie sie einen weiteren Zug nahm. Der Geruch von Cannabis füllte die Luft aus, und er rümpfte die Nase.

»Pass auf, dass er dich nicht festnimmt«, witzelte Tucker, nahm den Joint an und zog ebenfalls dran.

»Er ist immerhin ein Cop.«

Smith setzte sich etwas näher ans Feuer, da es in der Zwischenzeit doch etwas kälter geworden war. Am Tag hatten die Temperaturen so um die fünfundzwanzig Grad betragen, es war also warm gewesen, aber nicht wirklich heiß. Hier oben im Gebirge war es mindestens um die Hälfte kälter und es wehte ein leichter, aber frischer Wind durch die Gegend. Smith ließ seinen Blick schweifen und versuchte, herauszufinden, wo er sich befand. Das Gelände wurde direkt vor ihnen abschüssiger, auf dem grasigen Untergrund waren vereinzelt graue Steine zu sehen. Sie befanden sich gerade auf einer leichten Anhöhe, einer Art Plateau. Er hatte bei seinem Unfall gewissermaßen in vielerlei Hinsicht Glück gehabt: hätte ihn der Baum auf dem Plateau nicht unsanft gebremst, wäre er noch weiter in die Tiefe geschossen. Das hätte ich vermutlich nicht überlebt. Dem Fahrer des Dodge war tatsächlich die Flucht gelungen - weit und breit war nichts zu sehen, was darauf hin deutete, dass ihm dasselbe Schicksal wie Smith ereilt war.

»Wie heißt du eigentlich?«

Tuckers Worte rissen Smith aus seinen Gedanken.

»Gilbert Smith«, murmelte er.

»Okay. Willkommen bei uns, Gilbert. Wir haben noch einen

Schlafplatz, im Zelt von Wyatt. Für später.«

Wyatt nickte. Er wirkte auf ihn sympathisch, weshalb Smith dem zustimmte. Während wieder die Leere in seinen Kopf einkehrte, spürte er den Schmerz an seiner verletzten Schulter erneut aufflammen.

»Habt ihr vielleicht einen Verband oder so?«, fragte er mit zusammengebissenen Zähnen.

»Klar.«

Amanda verschwand in einem der Zelte. Ihre roten, zu Dreadlocks geflochtenen Haare, waren wirklich atemberaubend lang. Als sie sich bückte, streiften sie fast über den Boden. Wenig später kehrte sie mit einer Rolle Verband aus dem Zelt wieder. Sie rollte Smith ein Stück ab und reichte es ihm.

»Könntet ihr mir den auch anlegen?«, fragte er unbeholfen und zog seine Uniform aus, unter der das weiße T-Shirt mit Blut vollgelaufen war.

»Moment.«

Amanda streifte ihm das Oberteil ab und legte den Verband behutsam um die Wunde. Smith stöhnte auf, jede Berührung fühlte sich so an, als würde jemand mit einem scharfen Messer immer tiefer in die Wunde eindringen. Allerdings ebbte der Blutfluss nach und nach ab, was ihn zumindest etwas erleichterte.

»Gleich haben wir es geschafft.«

Smith blickte in Amandas Gesicht, während sie seine Wunde versorgte. Im Schein des Lagerfeuers und des schwachen Lichtes, welches der Vollmond am Himmel abgab, erkannte er, dass sie eigentlich ganz hübsch war. Allerdings fand er, dass die Brille etwas zu breit für ihr schmales Gesicht war - zudem war er absolut kein Fan von Piercings und Tätowierungen.

»Danke«, keuchte er, als der Verband fest um seine Wunde saß. »Wenn ihr jetzt noch etwas zu trinken für mich hättet, wäre ich euch extrem dankbar.«

»Sicherlich. Möchtest du Wasser aus dem Bach oder etwas Hochprozentiges? Mit etwas anderem können wir leider nicht dienen.«

Amanda verzog ihre Mundwinkel zu einem Grinsen. Bin ich noch im Dienst?, fragte Smith sich. Er zuckte mit den Schultern. Vermutlich nicht. Er musste noch eine Weile überlegen, ehe er sich für einen Schluck Jack Daniels Whiskey entschied. Er setzte den Flaschenhals an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck. Die Flüssigkeit brannte in seiner Kehle, erzeugte jedoch ein angenehm wohliges Gefühl in seinem Inneren - und vertrieb den Schmerz aus seiner Schultergegend. Entspannt lehnte er sich ins Gras zurück und spürte die Wärme des Feuers vor sich. Amanda nahm nun die Jack Daniels Flasche entgegen und ließ sie dann herumgehen. Tucker und Wyatt nahmen beide jeweils einen großen Schluck, ehe Smith wieder dran war. So leerte sich die Flasche schneller, als er es für möglich gehalten hätte. Sein Kopf schwirrte, als er schließlich den letzten Schluck genommen hatte. Ich habe echt schon lange nicht mehr Alkohol getrunken. Verdammt, ich hätte gar nicht erst damit anfangen sollen. Die Worte, die Amanda, Tucker und Wyatt sprachen, drangen nicht mehr zu ihm durch, sondern flogen nur noch an ihm vorbei. Sie waren zum Greifen nah, und doch war er in seiner Verfassung nicht in der Lage, sie zu fassen. Als er sich auflehnte und seine Hände im Gras abstützte, durchzuckte der Schmerz erneut die Stelle in seiner Schulter - mit so einer gewaltigen Macht, dass es ihn zu Boden schickte und ihm fast das Bewusstsein nahm. Amanda beugte sich über ihn, ihre Haare strichen über sein Gesicht... und das war auch das Letzte, was er registrierte, bevor er in einer Mischung aus Bewusstlosigkeit und Schlaf versank.

GILBERT SMITH 26. AUGUST 2008

3

Die hereinfallenden Sonnenstrahlen und die aufgestaute Wärme waren es schließlich, die Gilbert Smith aus seinem Schlaf weckten. Zunächst fiel es ihm schwer, sich zu orientieren, bis er merkte, dass er sich in einem der Zelte befand. Er war in eine dicke Decke eingewickelt, und der Schlafplatz neben ihm verwaist. Neben seinem vollkommen ausgetrockneten Mund spürte er leichte Kopfschmerzen und natürlich weiterhin den stechenden Schmerz, der direkt aus seiner Schulter stammte. Der Verband hatte sich mit Blut vollgesogen und musste dringend gewechselt werden. Stöhnend erhob er sich und suchte mit seinen Blicken das Zelt ab. Er entdeckte am Fußende einen grünen Rucksack, ein paar Schuhe und ein T-Shirt. Er öffnete den Eingang und blickte hinaus. Draußen herrschte schönstes Wetter. Die Sonne strahlte vom wolkenlosen Himmel, und er schätzte die Temperatur auf zwanzig Grad. Das war in der Höhe, in der er sich befand, durchaus viel - er vermutete, dass die Bewohner im Tal mit der heutigen Hitze zu kämpfen hatten. An der heruntergebrannten Feuerstelle entdeckte er ein paar Meter entfernt dann auch Amanda, Tucker und Wyatt. Letzterer hatte sich seine Haare noch nicht gemacht, sie standen ihm wirr vom Kopf ab und verliehen ihm dadurch noch ein weiteres bisschen mehr Verrücktheit. Tucker biss gerade in ein Matjesbrötchen, was er dick mit Zwiebeln und Essiggurken belegt hatte. Beim Anblick dessen verspürte Smith einen gewaltigen Kohldampf, doch das Verlangen, einen großen Schluck Wasser zu trinken, war größer. Der Alkohol hatte ihm jegliche Flüssigkeit entzogen und seine Kehle ausgetrocknet. Amanda wärmte gerade etwas Wasser über dem Feuer auf, als sie ihn entdeckte. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht.

»Gut geschlafen?«

Smith nickte.

»Habt ihr... mich ins Zelt getragen?«

Es war ihm unangenehm, danach zu fragen, doch er wollte es wissen. Tucker meldete sich als Nächstes zu Wort.

»Du warst vollkommen weg. Alkohol scheint dir nicht so gut zu bekommen. Wyatt und ich haben dich ins Zelt getragen, aber da warst du schon in den ewigen Jagdgründen verschwunden.« Er lachte auf, und Wyatt musste ebenfalls grinsen. Smith schweifte mit seinem Blick zu Amanda, die einen Schluck aus einer Tasse nahm und in die Ferne blickte. Die Sonne fiel auf ihre Brillengläser und reflektierte in der Ferne. Ihre langen Dreadlocks saßen etwas lockerer am Kopf als am gestrigen Abend, doch auch das minderte ihren Anblick nicht im Geringsten. Ihre Blicke trafen sich schließlich erneut.

»Hast du Hunger?«, fragte sie.

»Wir haben noch etwas von gestern, dazu noch reichlich andere Dinge wie Matjes, Gurken, Zwiebeln, Haferbrei oder auch Bananen.«

Bei der Erwähnung des Haferbreis verzog Tucker das Gesicht.

»Das Zeug kann man doch nicht essen.«

Er nahm einen weiteren Bissen von seinem Brötchen.

»Das hier hingegen schmeckt vorzüglich.«

Amanda quittierte seine Aussage mit einem Lächeln.

»Wie auch immer. Du kannst dich auf jeden Fall bedienen.«

»Danke. Ich hätte aber erstmal gerne einen Schluck Wasser.«

Amanda reichte ihm ihre Flasche. Er drehte die dunkelgrüne Feldflasche auf und nahm einen tiefen Schluck eiskaltes Gebirgswasser.

»Danke.«

Er wischte sich den Mund ab und gab ihr die Flasche zurück. Direkt neben der Feuerstelle entdeckte er die Dinge, die Amanda angesprochen hatte. Er nahm sich ein Brötchen, ein Matjesfilet und eine Banane. Es war zwar kein reichhaltiges Frühstück, doch er gab sich damit zufrieden. Der salzige Fisch schmeckte ihm extrem gut, und er spürte, wie die Kraft langsam wieder in seinen Körper zurückkehrte.

»Du kannst sicher nicht so weit laufen, oder?«

Tuckers Worte rissen ihn aus seinen Gedanken.

»Ich denke nicht, nein.«

»Okay, nicht weiter schlimm. Wyatt und ich gehen nach Kinmark, direkt dort oben auf dem Hügel, und versuchen, Hilfe zu holen. Amanda bleibt bei dir, wenn das für dich okay ist.«

Smith war das mehr als recht, weshalb er nickte. Amanda strich sich durch die Haare.

»Wir packen das«, meinte sie.

»Und passt auf euch auf.«

Wenige Minuten später verließen Tucker und Wyatt die Feuerstelle und waren schon bald hinter dem Plateau verschwunden. Smith genoss die warmen Sonnenstrahlen, die auf seinen Arm trafen.

»Woher kommt ihr?«

Er sagte irgendetwas, um ein Gespräch zu beginnen. Amanda drehte sich um. Sie hatte in der Zwischenzeit ihren Rucksack durchsucht und blickte nun zu ihm auf.

»Aus Vermont. Ziemlich weit bis nach Arizona, doch wir haben das alles ziemlich spontan veranlasst.«

»Das ist wirklich eine beachtliche Entfernung.«

»Das stimmt.«

Sie zögerte einen kurzen Moment, ehe sie weitersprach.

»Irgendwie ist mir warm. Ein paar hundert Meter unter der Anhöhe ist ein See. Begleitest du mich dorthin?«

Ihrem strahlenden Lächeln konnte er nicht widerstehen, weswegen er einwilligte.

»Gerne.«

»Super. Ich ziehe mich nur eben um.«

Sie verschwand im Inneren des zweiten Zelts. Smith blickte ihr hinterher, obwohl von ihr nichts mehr zu sehen war. Sie beeindruckte ihn. Hat sie mir etwa den Kopf verdreht? Er schüttelte entschieden den Kopf. Nein. Ich muss an meine Mission denken, nämlich, sobald wie möglich ins Krankenhaus zu fahren. Sofern Tucker und Wyatt auch wirklich Hilfe holen. An der Tatsache bestand für ihn eigentlich kein Zweifel, doch er kannte die Menschen erst seit gestern und konnte sie definitiv noch nicht einschätzen. Auch, wenn sie ihm im ersten Moment geholfen hatten, konnte all das nur trügerischer Schein sein. Wenige Augenblicke später trat Amanda wieder aus dem Zelt. Sie hatte sich ihre Dreadlocks zu einem Zopf gebunden und sich einen Bikini angezogen. Ihr flacher Bauch war gebräunt und ihr strahlendes Lächeln erhellte gefühlt die gesamte Umgebung. Smith konnte seinen Blick gar nicht mehr von ihr abwenden, was sie registrierte und lächelte.

»Komm. Ich kann es gar nicht erwarten, mich in den kühlen See zu stürzen.«

Und ich kann den Anblick gar nicht erwarten, dachte er.

Zehn Minuten später hatten sie bereits den See erreicht. Dieser hatte wirklich ein enormes Ausmaß. Das kristallklare, blaue Wasser funkelte im Licht der Sonne, und aus den umliegenden Bäumen war das Zwitschern von Vögeln zu hören. Es war wirklich ein idyllischer Ort. Smith atmete tief durch und genoss die klare Waldluft. Amanda bewegte sich auf einen Steg zu, und er folgte ihr. Als sie das Ende erreicht hatte, sprang sie und tauchte sanft in das Wasser ein. Smith beobachtete, wie sie prustend auftauchte und ihn ansah.

»Komm rein! Das Wasser ist herrlich erfrischend.«

»Ich habe keine Badesachen dabei.«

Amanda lachte.

»Das ist doch vollkommen egal.«

Smith überlegte. Sie hat recht. Es ist vollkommen egal.

Er zog sich bis auf die Unterwäsche aus und legte seine Klamotten auf die Bretter des Stegs. Der leichte Wind, der hier oben im Gebirge wehte, brachte ihm eine Gänsehaut ein. Er streckte vorsichtig seinen linken Fuß in das Wasser und zog ihn dann schnell wieder zurück, als er merkte, wie kalt es war.

»Das ist ja Eiswasser!«

»Stell dich nicht so an. Das geht doch voll klar.«

Sie tauchte erneut unter und schwamm ein paar Meter, bis sie mit dem Kopf die Wasseroberfläche wieder durchbrach. Ihre Haare klebten ihr am Kopf, doch auch der Anblick, den sie jetzt abgab, faszinierte Smith. Sie sieht wirklich fantastisch aus. Ich kann ihr nicht widerstehen. Er schloss die Augen und zählte innerlich leise bis drei. Dann sprang er, ohne ein weiteres Mal zu zögern, ins Wasser. Die Kälte hüllte ihn ein und ließ seine Glieder für einen Moment nahezu einfrieren. Als er jedoch wieder auftauchte, fühlte es sich einfach nur herrlich an. Selbst die Wunde an seiner Schulter schmerzte nicht mehr so doll wie zuvor. Der Verband löste sich und trieb neben ihm auf der Wasseroberfläche. Das Material war dunkelrot vor Blut, doch das kümmerte ihn in diesem Moment nicht. Er hatte nur Augen für Amanda, die nun auf ihn zu geschwommen kam sich im Wasser treiben ließ.

»Der Trip hat sich wirklich gelohnt bisher«, meinte sie.

»Wir haben zwar die Green Mountains in Vermont, aber so eine atemberaubende Natur wie hier habe ich sonst noch nirgends gesehen.«

Smith musste ihr zustimmen. Er hatte die Solven-Hills nie wirklich gekannt – bis zu dem gestrigen Abend, an dem ihm augenscheinlich das Schicksal hier her gewiesen hatte. Bis auf die Wunde an der Schulter hatte er keine weiteren Verletzungen davongetragen – und war stattdessen sogar auf Amanda gestoßen. Tucker und Wyatt waren für ihn nur nebensächlich – sie hatte mit ihrem wunderschönen Lächeln und ihren langen Dreadlocks seine gesamte Aufmerksamkeit in Beschlag genommen. Es ist wie im Paradies. Ironischerweise dachte er in diesem Moment daran, dass es schön wäre, wenn Tucker und Wyatt nicht zurückkehren würden – verfluchte sich jedoch im nächsten Moment für diesen Gedanken. Mensch, es geht darum, dass du hier einfach nur wegkommst. Du kennst diese Leute gar nicht, und vor allem Amanda kennst du auch nicht. Sie ist hübsch, mehr nicht. Er warf ihr einen weiteren, verstohlenen Blick zu, ehe er sich abwandte. Die Ruhe, die dieser Ort ausstrahlte, war einfach nur fantastisch.

»Du kannst ruhig zu mir kommen«, meinte Amanda grinsend.

»Ich beiße nicht.«

Smith spürte, wie ihm die Schamesröte zu Gesicht stieg. Er war froh, dass Amanda das aufgrund des Sonnenlichts wohl nicht sehen konnte, überlegte kurz, und nahm dann ihr Angebot an. Das kalte Wasser bemerkte er fast gar nicht mehr, er hatte sich mittlerweile daran gewöhnt. Um die Röte aus seinem Gesicht zu vertreiben, holte er kurz Luft und tauchte unter, ehe er die Wasseroberfläche erneut durchbrach. Es fühlte sich verdammt gut an. Er hatte Amanda nun erreicht und blickte ihr in die Augen. Ihre Haare klebten ihr an der Stirn, die rote Farbe wirkte etwas verwaschen. Sie hatte ihre Brille abgenommen, bevor sie gesprungen war. Ohne das markante Gestell kam ihr Gesicht mehr zur Geltung - was Smith noch besser gefiel.

»Du denkst doch etwa nichts Unanständiges, oder?«

Amanda grinste. Smith fühlte sich ertappt, ließ sich jedoch nichts davon anmerken.

»Niemals.«

»Ganz sicher?«

»Vielleicht.«

Amanda legte ihre Arme auf seine Schultern und zog ihn langsam zu sich heran. Ihr Körpergeruch und die Wärme, die sie ausstrahlte, erregten ihn. Er spürte, wie sein Penis hart wurde, und versuchte, wieder etwas Abstand zu gewinnen. Er wollte sich dem Gefühl der Erregung nicht hingeben - zumindest nicht jetzt, nicht an diesem Ort, nicht im kalten Wasser des Gebirgssees. Amanda hatte nichts bemerkt - oder, sie tat nur so, das konnte Smith nicht einschätzen. So gelang es ihm, in ihren Armen zu bleiben, ohne, dass sie von seinem Missgeschick Kenntnis nehmen konnte.

»Wunderbar«, hauchte sie in sein Ohr.

»Wir sind hier ganz allein.«

Smith blickte sich um, beobachtete den Steg und die umliegenden Wälder. Sie schien tatsächlich recht zu haben - sie waren allein, es gab niemanden, der in der Nähe war. Wenn sich nicht jemand im Unterholz versteckt hat. Zum Beispiel Tucker. Oder Wyatt. Der Gedanke an die beiden Begleiter von Amanda ließ ihn erschaudern. Er wusste nicht, ob einer von den beiden mit ihr zusammen war… oder vielleicht beide? Er wollte sich definitiv nicht auf gefährliches Terrain wagen, weshalb er sich vornahm, etwas zurückzustecken.

»Ja«, antwortete Smith.

»Allein.«

Er ließ es einfach geschehen, als Amanda sich um seinen Hals warf und ihn leidenschaftlich küsste. Ein gutes Gefühl durchströmte seinen gesamten Körper, und für einen Moment wünschte er sich, dass dieses Gefühl für immer anhalten würde.

Doch es war wenige Sekunden später wieder vorbei, als sie sich voneinander lösten.

Ein paar Augenblicke später hatten sie bereits wieder ihre Klamotten übergezogen und saßen auf dem Steg. Smith ließ seine Füße im Wasser baumeln und genoss die Sonnenwärme, die sich immer weiter auf seiner Haut ausbreitete und die Nässe des Sees trocknete. Amanda hatte ihre Brille wieder aufgesetzt und blickte in die Ferne.

»An was denkst du gerade?«, fragte Smith, nur, um irgendwie ein Gespräch zu eröffnen.

»An nichts so wirklich.«

Amanda lächelte.

»Ich finde es nur Wahnsinn. Wir gehen arbeiten, um unser Geld zu verdienen, und sehen oft nur denselben Trott jeden Tag.

Sowas wie hier… diese Natur… so wunderschön aber auch vergänglich.«

Smith teilte ihre Gedanken. Besonders dieser Blickwinkel, in dem die Sonne auf die Wasseroberfläche traf und ihre Strahlen auf den sanften Wellen des Sees reflektierte, war ein wahres Highlight. Er hätte ihn am liebsten mit seiner Digitalkamera festgehalten - doch die war bei ihm zuhause, dort, wo er jetzt normalerweise auch gerade sein sollte. Wenn der Unfall nicht gewesen wäre und… einfach alles.

»Da hast du recht. Man verdient sein Geld, lässt sich aber das ganze Leben entgehen. Es gibt so viele schöne Orte auf der Welt, man hat in seinem gesamten Leben gar nicht die Zeit dazu, sie alle zu bereisen.«

Amanda nickte nur. Die Fröhlichkeit war nun aus ihrem Blick gewichen, hatte der Trauer Platz gemacht. Mit leerem Blick starrte sie in die Ferne.

»Ist alles okay?«

Smith fühlte sich schlecht, er hatte sie in den paar Stunden, die sie sich jetzt kannten, nur fröhlich und aufgeschlossen erlebt.

Jetzt gerade präsentierte sie ihm das komplette Gegenteil.

»Ja. In solchen Momenten wie diesen denke ich nur intensiver über das Leben als solches nach. Weißt du… ich hatte bisher nie wirklich Glück gehabt in vielerlei Hinsicht.«

»Möchtest du darüber reden?«

»Können wir. Aber lass uns erst mal zurück zu den Zelten.«

Smith willigte ein, und so zogen sie ihre Klamotten wieder an und ließen den glasklaren See hinter sich. Aus dem nahen Wald drang das Zwitschern der Vögel aus den Baumkronen zu ihnen hervor. Es dauerte nur fünf Minuten, bis sie die Stelle mit den Zelten wieder erreicht hatten. Schon aus der Ferne war zu erkennen, dass etwas nicht stimmte, und je näher sie kamen, desto deutlicher wurde Smith dies. Wenige Augenblicke später sah er erst den blutigen Kadaver eines Hasen und dann die vollkommen heruntergetrampelten und zerstörten Zelte auf dem Plateau.

4

»Was war hier denn los?«, fragte Amanda verdutzt.

Smith bückte sich und versuchte, die Spuren ins Auge zu fassen. Der Kadaver war am Hals gerissen worden und komplett ausgeblutet. Im Stoff der Zelte waren grobe Risse zu erkennen, es sah so aus, als wären Krallen mehrfach über den Stoff gefahren. Ein wildes Tier? Hektisch drehte er sich um und versuchte, den Angreifer in der Ferne auszumachen. Doch es war nichts mehr zu sehen. Die Spuren zogen sich über das trockene Gras in die Ferne - in Richtung des Waldes.

»Ich gehe mal nachschauen, ob wir in Gefahr sind.«

»Okay, pass auf dich auf.«

Mit diesen Worten entfernte er sich von Amanda und ging in die Richtung, in die ihn die Spuren leiteten. Die Abdrücke der scharfen Krallen waren noch gut im Gras zu sehen, schienen also relativ frisch zu sein. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch wagte er sich Schritt für Schritt in die Richtung, in die ihn die Spur leitete. Er entfernte sich immer weiter von dem Plateau, bei dem Amanda auf ihn wartete. Der Boden wurde bald abschüssiger, und er musste bei jedem Schritt aufpassen, dass er nicht wegrutschte. Aus dem Gras unter seinen Füßen wurde schon bald Kies, der bei jedem einzelnen Schritt eine aufwirbelnde Staubwolke erzeugte. Smith musste ein paar Meter an der Felswand entlang klettern, da ihm der Weg abgeschnitten worden war. Doch auch hier war er sich sicher, dass die Spuren des Raubtieres in diese Richtung führten. Während er sich also immer weiter vom Plateau entfernte, überlegte er, wie überflüssig seine Mission gerade eigentlich war. Könnte in die Geschichte eingehen. Ein Cop, mit seiner kleinen Dienstwaffe auf der Jagd nach einem Raubtier. Aus Reflex griff er in die Bauchtasche seiner Uniform, dorthin, wo er seine Waffe gelagert hatte. Das Fach war leer. Mist! Panisch überlegte er, was er nun tun sollte. Eigentlich hatte er sich nur vergewissern wollen, ob die Stelle auf dem Plateau sicher war – was in Hinsicht auf die Tatsache, dass sie angegriffen worden waren, eher eine Fangfrage war. Er drehte sich behutsam um die eigene Achse und scannte die Umgebung mit seinem aufmerksamen Blick. Zunächst sah es so aus, als wäre er vollkommen allein... bis er den Schatten am anderen Ende der Felswand entdeckte. Jeglicher Mut, den er zuvor noch verspürt hatte, war plötzlich verschwunden. Der gigantische Puma drehte langsam den Kopf. Um das Maul hatte sich eine Blutspur gezogen, die wohl von dem gerissenen Hasen stammte. Die gelben Augen der Wildkatze funkelten ihn an – sie hatte Blickkontakt zu ihm genommen, hatte ihn ausgemacht. Okay, verhalte dich unauffällig. Und dann nichts wie weg hier. Er ging langsam rückwärts und entfernte sich so aus dem Radius des Raubtieres. Anfangs ließ es ihn gewähren, ehe es nach ein paar Sekunden mehrere Schritte in seine Richtung tat. Okay, ich bin erledigt. Ihm blieb nun nichts anderes übrig, als schnell die Flucht anzutreten, was er dann auch tat. Hastig kletterte er über die Steinwand zurück, schürfte sich die Finger an der rauen Oberfläche auf und verlor den Halt. Er landete auf einem kleinen Felsvorsprung unter ihm, verdrehte sich dabei jedoch den Fuß. Der Schmerz brandete auf, und ließ sich dann im Epizentrum nieder - in seiner Schulter. Die Wunde des Autounfalls pochte und brannte so sehr, dass ihm der Schmerz fast die Sinne raubte. Sein Blick verschwamm, doch der Puma befand sich dennoch in seinem Sichtfeld. Anmutig schritt er immer näher in seine Richtung. Das Tier müsste bloß einen kurzen Sprung machen und wäre ihm dann so viel näher. Der Weg über die Felswand war sehr zeitintensiv gewesen, doch er hatte keine andere Wahl gehabt. Er setzte sich auf einen Stein, versuchte so, aus dem Blickwinkel der Raubkatze zu verschwinden. Ihre Augen folgten jedoch seiner Gestalt und er sah ein, dass es keinen Sinn hatte. Sie hatte ihre Beute fixiert und würde ihn nicht mehr aus den Augen lassen. Ich brauche meine Waffe. Smith wandte sich ab, wollte dem Tod nicht länger ins Auge blicken, sondern stattdessen die letzten Momente, die ihm wohl noch blieben, voll auskosten. In der Ferne konnte er die zerstörten Zelte sehen. Wo ist Amanda? Er konnte sie nirgends entdecken. Alles wirkte auf ihn ziemlich wüst. Als er schließlich hörte, wie das Raubtier schneller lief und die Krallen über den kiesbedeckten Boden schabten, vernahm er nur noch eine Salve aus Schüssen, die seinen Angreifer daran hinderte, ihn zu Boden zu stoßen und in tausend Stücke zu reißen.

5

Zunächst konnte er sich nicht erklären, aus welcher Richtung die Schüsse gekommen waren. Sie hatten ihn verfehlt – den Puma in seinem Rücken jedoch mehrfach durchbohrt und niedergestreckt. Die Raubkatze lag hinter ihm blutend und tot auf dem Staubboden. In der Ferne sah er dann die Konturen von Amanda - und je weiter er sich näherte, desto deutlicher wurden die Umrisse seiner Dienstwaffe in ihren Händen.

»Wie hast du…?«

Sie legte sich den Finger auf die Lippen und unterbrach ihn so.

»Pst. Wir wollen doch nicht noch weitere Pumas auf uns aufmerksam machen.«

»Woher hast du meine Waffe?«

Smith war total verwirrt. Er hatte sich schon mit seinem nahenden Schicksal abgefunden - ehe Amanda ihn aus der Todesfalle befreit hatte.