Winterzauber am Inselweg - Julie Peters - E-Book

Winterzauber am Inselweg E-Book

Julie Peters

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Beschreibung

Eine Insel, die alle verzaubert.

Auf der Überfahrt nach Spiekeroog lernen sich Smilla und Onno kennen. Sie ist eine junge Künstlerin, die sich auf dem Isländerhof von einem schweren Schicksalsschlag erholen will. Er ist der neue Mathelehrer der Inselschule, ein lebensmutiger, aufgeschlossener Mann, der sich sofort zu Smilla hingezogen fühlt. Aber Smilla hat sich geschworen, dass sie kein zweites Mal ihr Herz verschenken will, nur um dann wieder allein dazustehen. Erst als Smilla den Zauber der Insel auf sich wirken lässt und in den Kreis der Freundinnen um Frieke, Emma und Sonja aufgenommen wird, die mit ansteckender Begeisterung einen gemütlichen Weihnachtsmarkt planen, lässt sie ihre Gefühle für Onno zu … 

Warmherzig, klug und stimmungsvoll.

 

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Seitenzahl: 383

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Über das Buch

Nicht zum ersten Mal fragte Frieke sich, was das mit der Insel war, dass die Menschen herkamen, ihr Herz verloren und blieben. Lag es an der Insel oder an den Menschen, die hier lebten?

Ihr selbst ist es ja nicht anders ergangen, als sie vor wenigen Jahren nach Spiekeroog kam. Nun führt sie erfolgreich ihren Buchladen, erwartet voller Freude ihr zweites Kind und macht ein Geschichtenbuch aus den Notizen ihres Vaters, der ihr das Kapitänshaus hinterlassen hat. Nur manchmal fragt sie sich, wie sie das alles schaffen soll. Aber sie weiß: Mit ihren Lieblingsmenschen an der Seite und ausreichend Quarkrosinenbrötchen ist alles machbar.

Über Julie Peters

Julie Peters, geboren 1979, arbeitete als Buchhändlerin und studierte Geschichte, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete.

Im Aufbau Taschenbuch sind von ihr bereits »Mein wunderbarer Buchladen am Inselweg«, »Mein zauberhafter Sommer im Inselbuchladen«, »Der kleine Weihnachtsbuchladen am Meer«, »Ein Sommer im Alten Land«, »Ein Winter im Alten Land«, »Käthe Kruse und die Träume der Kinder«, »Käthe Kruse und das Glück der Kinder«, »Ein neuer Sommer am Inselweg«, die Saga »Die Dorfärztin« und der erste Band der Amazonen-Trilogie »Die Kriegerin – Tochter der Amazonen« erschienen.

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Julie Peters

Winterzauber am Inselweg

Roman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Epilog

Impressum

Wer von diesem Roman begeistert ist, liest auch ...

Kapitel 1

»Was für eine Scheißidee«, murmelte Smilla und zerrte ihren Rollkoffer von der Bushaltestelle zum Fähranleger. Eine der Rollen war kaputt, das hatte sie aber erst heute Morgen gemerkt, als sie den Koffer von ihrem Bett gewuchtet und zur Wohnungstür gezogen hatte. Seitdem hatte sie sich permanent über dieses – Pardon – Scheißding geärgert. Als sie ihn zum S-Bahnhof Tiergarten zog. Als sie ihn durch den Berliner Hauptbahnhof dirigierte. Als sie ihn im Zug nach Hamburg abstellte. Dann weiter in Hannover, als sie versuchte, in den fünfzehn Minuten Umsteigezeit, die wie durch ein Wunder auf nur zwölf zusammengeschrumpft waren – vielen Dank, liebe DB! –, vom Bahnsteig über den Kaffeestand mit den warmen Franzbrötchen zum nächsten Bahnsteig zu wechseln. Immer war ihr dieser blöde Koffer entweder in die Hacken gefahren oder stellte sich wie ein störrisches Kleinkind quer. Nicht, dass sie wusste, wie das Leben mit einem Kleinkind war. Aber so stellte sie es sich vor, und ganz ehrlich: klang nicht gerade erstrebenswert.

Nachdem sie den Koffer in ein Viererabteil gestellt hatte, ließ sie sich daneben plumpsen und biss in ihr Franzbrötchen. Es schmeckte leider gar nicht gut, zu fettig, klebrig vom Zucker und gleichzeitig trocken und überhaupt nicht nach Zimt. Verdammt. Sie hatte sich so darauf gefreut.

Nach drei weiteren Umstiegen und einer geradezu halsbrecherischen Busfahrt auf dem letzten Teilstück stieg sie in Neuharlingersiel am Fährterminal aus. Sie hatte vorher online die Fahrkarte bestellt und lief nun zu dem Kiosk am Anleger und hoffte, dass ein feines Fischbrötchen das Franzbrötchendesaster würde ausgleichen können.

Sie wuchtete ihren Koffer in einen der silbernen Container und setzte sich auf eine Bank etwas weiter oben am Parkplatz. Bis zur Abfahrt waren noch zwanzig Minuten Zeit.

Zum ersten Mal, seit sie heute Früh aus dem Haus gegangen war, erlaubte sie sich durchzuatmen. Sie roch die salzige Luft, die vom Meer heranwehte, sie hörte das Kreischen der Möwen und spürte den Wind, der ihr die schwarzen Haare aus dem Gesicht trieb. Sobald sie an Bord der Fähre war, konnte sie wirklich durchatmen, denn dass Richard eine Fähre betrat, um ihr nachzueilen, war nahezu ausgeschlossen. Richard hatte Angst vor allen möglichen Fähren, Booten, Schiffen. Auf Spiekeroog wäre sie erst mal in Sicherheit.

Den Gedanken an ihn hatte sie bis zu diesem Augenblick tunlichst vermieden, und tatsächlich passierte jetzt genau das, was sie hatte verhindern wollen. Sie schluckte hart, der Bissen vom Fischbrötchen ging ihr quer durch den Hals. »Wieso musstest du alles kaputt machen?«, flüsterte sie in den Wind. War ihr Leben nicht schon ohne ihn kompliziert genug?

Hatte er vielleicht recht? Vergrub sie sich unter der Trauer um Jonas, statt knapp zwei Jahre nach seinem Tod endlich wieder anzufangen zu leben?

Sieh her, Richard. Ich lebe. Ich habe meine Wohnung verlassen und versuche, möglichst viel Abstand zwischen uns zu bringen, nachdem du dachtest, es wäre eine gute Idee, mit einem völlig aus der Luft gegriffenen Antrag unsere Freundschaft in Schutt und Asche zu legen. Zufrieden?

Sie war es nicht. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete sie die anderen Reisenden, die sich nach und nach vor dem Gitter aufstellten, das die Gangway zur SPIEKEROOG II versperrte. Darunter waren ältere Damen, die zu zweit oder dritt reisten und mit Wanderstiefeln und Northface-Jacken deutlich kundtaten, was sie auf der Insel zu tun planten. Eltern mit Kleinkindern, die Smilla fragen könnte, ob die Kleinen wirklich so trotzig waren wie ihr Koffer. Aber auch ein Pärchen in Smillas Alter, und beide machten auf sie nicht den Eindruck, als wären sie besonders glücklich. Sie war eine hübsche Blonde, groß, ihre Locken wehten im Wind, ihr orange-pinker Schal war bis zur Nasenspitze um ihr Gesicht gewickelt. Der lila Mantel stand ihr ausgezeichnet, dachte Smilla bewundernd. Der Mann neben ihr überragte sie um einen halben Kopf, wirkte sportlich und hatte das gute Aussehen eines Footballspielers, der mit einem wollweißen Zopfpulli und Jeans etwas deplatziert wirkte. Gerade schmiegte sich die Blonde an seine Brust, während er die Stirn runzelte und zur Insel blickte, als könnte er es gar nicht erwarten, endlich dort zu sein. Alles an seiner Haltung war pure Abwehr. Vielleicht wollte er auch nicht zur Insel, sondern einfach möglichst weit weg.

Eine Frau, in Smillas Alter oder etwas älter, saß auf einer der Bänke. Ihre Hände umfassten einen Thermosbecher und sie blickte etwas gedankenverloren zur Fähre, als wüsste sie nicht, ob sie an Bord gehen sollte. Als sie Smillas Blick bemerkte, lächelte sie. Der Wind blies ihr die dunkelbraunen Locken in die Stirn. Sie sah aus, als gehörte sie hierher. Eine Insulanerin, vermutete Smilla. Die Frau stand auf und streckte sich. Unter ihrem blauen Pulli wölbte sich ein Bauch. Smilla drehte den Kopf weg und musste blinzeln.

Während sie die Menschen beobachtete, hatten sich zwei Möwen herangepirscht. Sie hüpften näher, legten den Kopf schief und warteten, ob Smilla sie verscheuchte. Da das nicht passierte, wagte die erste einen Vorstoß. Sie flog auf und stieß von oben auf ihre Hand mit dem Fischbrötchen herunter. Smilla, die in Gedanken immer noch bei dem Pärchen war, spürte das Zupfen an dem Brötchen in ihrer Hand und schrie auf. Einige Köpfe fuhren zu ihr herum. Peinlich! Noch peinlicher war aber, dass sie vor Schreck das Brötchen fallen ließ, das auf dem Asphalt landete. Darauf hatten die Möwen nur gelauert. Sofort waren die beiden zur Stelle und fingen an, den Leckerbissen untereinander aufzuteilen. Im nächsten Moment rauschte es in der Luft und fünf, sechs, acht weitere Möwen stießen mit schrillen Schreien herab und stritten sich lautstark um das schöne Fischbrötchen. Smilla kreischte, sprang auf und wich drei Schritte zurück.

Sie sollte offensichtlich hungrig auf die Insel reisen. Und sich nebenher zum Gespött der Leute machen. Sogar der hübsche Mann konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Bravo.

Sie schlich mit dem Rucksack wieder nach vorne zu dem Kiosk und beschloss, als Letzte an Bord zu gehen und sich einen Platz zu suchen, an dem niemand sie sah. Ob es auf der Fähre was zu essen gab? Langsam hatte sie wirklich Hunger und ärgerte sich, weil sie heute Morgen ohne Frühstück aus dem Haus gegangen war.

»Ist mir auch schon mal passiert.«

Sie fuhr herum. Gerade hatte sie so getan, als würde sie den Aushang am Fahrkartenschalter studieren, als der hübsche Mann hinter ihr auftauchte.

»Das mit dem Fischbrötchen?«

Er nickte und wandte sich an den knurrigen Fahrkartenverkäufer hinter der Glasscheibe. »Ich würde gern noch zwei Koffertickets für den Transport auf der Insel buchen.«

Der Fahrkartenverkäufer mit Prinz-Heinrich-Mütze, blauem Strickpulli mit Reißverschluss und kalter Pfeife im Mundwinkel knurrte »zehn Euro« und reichte dem Mann zwei Kofferanhänger.

»Das geht?«, staunte Smilla.

»Klar. Einfach die Anhänger an den Koffern befestigen und sie werden zur Unterkunft gebracht.«

»Perfekt!«, rief sie begeistert.

»Wo wohnst du?«

»Auf dem Isländerhof. Meine Freundin arbeitet dort, und sie meinte, sie hätten noch eine Wohnung für mich frei«, plapperte Smilla.

»Wie toll! Ich wollte mir den immer schon mal näher ansehen, aber ich bin wohl zu groß für die Islandpferde.«

Sie sah ihn von oben bis unten an. »Ein wenig vielleicht«, räumte sie ein.

»Glaub’s mir. Ich könnte mitlaufen.«

»Aber so ein Bändchen für den Koffer brauche ich auch.« Smilla kramte in der Manteltasche nach ihrer Geldbörse und wandte sich an den Fahrkartenverkäufer. »Ich will auch so einen Anhänger«, sagte sie. Doch während sie mit dem Fremden geredet hatte, war die Jalousie hinter der Scheibe lautlos nach unten geglitten. Schalter geschlossen.

»Wunderbar«, murmelte sie. »Als hätte ich nicht schon genug durchgemacht.«

Ihr Gegenüber lachte. »Entschuldige, das mit den Möwen vorhin? Es sah zu witzig aus.«

»Wenigstens einer freut sich. Ich bin übrigens Smilla.«

»Onno.« Sie gaben sich die Hand, und dabei lächelten sie sich an. Smilla bemerkte, dass Onnos Augen braun waren. Mit so winzigen Bernsteinsprenkeln drin.

»Ach, hier steckst du!«

Onno machte einen Schritt nach hinten, obwohl er Smilla gar nicht zu nahe gekommen war.

»Ja, ich hab die Kofferanhänger geholt.«

Seine Freundin musterte Smilla und runzelte die Stirn. »Der Schalter ist zu«, bemerkte sie.

Onno hielt die Anhänger hoch. »Hier sind sie.«

»Dann jetzt schnell, bevor die Container verladen werden.« Sie hakte sich bei ihm unter und zog ihn Richtung Ausgang.

»Tschüss, Smilla«, sagte Onno.

»Tschüss«, sie hob lahm die Hand. Der Blick, den Onnos Freundin ihr zuwarf, hätte töten können.

Pia war sauer. Dafür musste er kein Hellseher sein, das trug sie ziemlich offen vor sich her. Sie war sauer, seit sie sich heute früh neben ihn ins Auto gesetzt hatte mit den Worten »Du ziehst das echt durch, was?«

Er hatte darauf nicht geantwortet, denn jede Diskussion, die Pia und er in den letzten Wochen über das Thema geführt hatten, endete unweigerlich damit, dass sie kein Wort mehr mit ihm redete. Die Tatsache, dass er den neuen Job auf der Insel angenommen hatte, war für Pia eine Red Flag. Damit hatte er in ihren Augen die Beziehung beendet.

Ja, vielleicht hatte er das. Wenn man es so betrachtete. Aber die ganze Beziehung war in den letzten Monaten eine einzige Red Flag gewesen, in die Pia ihn eingewickelt hatte und ihn langsam, aber sicher zu ersticken drohte.

Er war kein Mann mit Bindungsangst. Er war reflektiert, wollte eine Beziehung auf Augenhöhe führen und war nicht so harmoniesüchtig, dass er jedem Konflikt aus dem Weg ging. Trotzdem warf Pia ihm vor, dass er vor den Problemen weglief.

Für sie war sein neuer Job auf der Insel, weit weg von ihrem gemeinsamen Lebensmittelpunkt in Frankfurt, Verrat. Trotzdem blieb sie an seiner Seite, als könnte sie so kontrollieren, wie schlimm dieser Verrat sein würde. Onno hätte ihr gern erklärt, dass er das wirklich allein schaffte. Aber sie ließ sich nicht davon abbringen. Und zwar nicht, um das neue Leben kennenzulernen, das er ab sofort führte, sondern um ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu erklären, wie schrecklich seine Wahl für Spiekeroog war und wie sehr er es bereuen würde, das »gemeinsame Nest« verlassen zu haben.

Jetzt hockte sie neben ihm auf der roten Polsterbank im Bauch der SPIEKEROOG II und blätterte laut in der kleinen Speisekarte, die verschiedene Snacks und Heißgetränke anbot. Und ja, man konnte durchaus passiv-aggressiv laut blättern, wenn man sich Mühe gab. Hätte er bisher auch nicht gedacht.

»Wer war das da vorhin?«, murmelte sie.

»Wie bitte?« Er beugte sich vor.

»Die Frau. Diese Smilla.«

»Ach so.« Darum die Aufregung? Um Himmels willen. »Das war ein anderer Fahrgast. Ich habe mit ihr über Spiekeroog und Islandpferde geredet.« Alles ganz harmlos.

Nicht für Pia. Sie schnaubte. »Sicher.« Ihr Blick war auf das andere Ende des Raums gerichtet. Sie runzelte die Stirn. Onno drehte sich um und sah, wie Smilla sich bei dem Kellner bedankte, der ihr einen Teller mit Kartoffelsalat und Würstchen und eine Flasche Cola hinstellte. Sie strahlte ihn an, als hätte er ihr das Leben gerettet.

»Starr doch nicht so«, fauchte Pia.

Er drehte sich seufzend zu ihr um. »Ernsthaft, Pia? Willst du mir jetzt eine Szene machen, weil ich zu einer Mitreisenden nett war?«

»Sie ist sehr hübsch.«

»Und?« Er zuckte mit den Schultern.

»Nichts und. Sie sieht diesem Mädchen ähnlich.«

Onno rührte sich nicht. Er blickte auf seine gebräunten Hände, die auf dem Resopaltisch ruhten. »Da war nichts«, sagte er leise.

»Wie hieß sie noch? Milena?«

»Pia, bitte. Ich möchte nicht mehr darüber reden.«

»Worüber möchtest du nicht reden? Dass du fast deinen Job verloren hättest, weil du mit diesem Mädchen …«

Er hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. »Genug«, zischte er. »Hör auf damit. Ich schwör’s, ich rede nie wieder ein Wort mit dir, wenn du nicht sofort mit dem Schwachsinn aufhörst.«

»Was daran Schwachsinn sein soll, wenn eine Schülerin ihren Lehrer beschuldigt, sie angefasst zu haben«, murmelte Pia.

»Da war nichts.«

»Die Platte kenne ich schon. Lass dir mal was anderes einfallen. Sonst würdest du ja wohl kaum auf die Insel fliehen. Du kannst froh sein, dass sie dir noch einen Job gegeben haben.«

Er gab’s auf. Statt zu antworten, stand er auf und ging quer durch den Raum zu einer anderen Sitzgruppe.

Alles war besser als auch nur eine Minute länger von Pia getriezt zu werden. Die Sache damals mit der Schülerin – das hatte er geklärt. Und ja, vielleicht lief er gerade vor seinem Leben davon, aber manchmal war es besser, vor dem wegzulaufen, was einen krank machte, statt sich immer weiter zu quälen.

Mit einem Heißwürstchen und Kartoffelsalat im Bauch entspannte Smilla sich langsam und konnte über sich selbst den Kopf schütteln. Hatte sie allen Ernstes geglaubt, die anderen Fährgäste würden über sie lachen, weil sie sich von den Möwen hatte beklauen lassen? Das war bestimmt witzig anzusehen gewesen, aber es hätte jedem passieren können. Eine Sekunde der Unachtsamkeit, zack, weg war das Fischbrötchen.

Sie hatte vorhin das Pärchen beobachtet. Sie diskutierten hitzig, dann stand er auf und setzte sich woanders hin. Ganz in der Nähe von ihrem Platz. Er blickte aus dem Fenster auf die westlichen Ausläufer der Insel, die linkerhand vorbeizogen; auf den Wiesen sah man die kleinen Islandpferde grasen. Ihre Freundin Sanne hatte ihr davon vorgeschwärmt. Die vierzig Islandpferde, die zum Hof gehörten, betrieben im Sommer Landschaftspflege, da ihre kleinen Hufe den Boden im Westen der Insel verdichteten.

»Du kommst natürlich zu uns«, hatte Sanne gestern Abend gesagt, als Smilla sie anrief und ihr von Richards Antrag berichtete. »Ernsthaft, was fällt ihm ein? Hat er das die ganze Zeit geplant?«

»Das glaube ich nicht mal«, hatte Smilla leise gesagt. »Es hat sich wohl so entwickelt. Aber eben nur bei ihm. Ich … bin noch nicht so weit.« Und sie bezweifelte, ob sie überhaupt irgendwann noch mal bereit für eine Beziehung sein würde, nachdem das Schicksal ihr die Liebe ihres Lebens so brutal entrissen hatte. Seitdem hatte sie alles allein schaffen müssen. Ob es irgendwann aufhörte, so sehr wehzutun, dass sie glaubte, keine Luft mehr zu bekommen?

Die Gefühle überwältigten sie, und eine Träne rann über ihre Wange.

Etwas allein schaffen war das eine. Aber wann würde es soweit sein, dass sie die Dinge auch allein schaffen wollte? Dass sie sich an das Gefühl gewöhnte, allein auf der Welt zu sein?

Vermutlich nie. Der Verlust von Jonas hatte so ein tiefes Loch in ihr Herz gerissen, dass sie inzwischen überzeugt war, sich davon nie mehr zu erholen. Es hatte so lange nur Smilla und Jonas, Jonas und Smilla gegeben. Die Malerin und der Musiker. Das Künstlerehepaar. Die beiden, die jeden Raum mit ihrer Präsenz erhellten. Inzwischen war Smilla zu dem Schluss gelangt, dass diese von ihren Freunden, Bekannten, auch von Fremden vielbesungene Präsenz sich vor allem aus Jonas gespeist hatte. Dass er es gewesen war, der alles überstrahlte, und sie hatte wie sein Mond nur einen Abglanz seines Strahlens in die Welt gebracht. So musste es sein, denn anders konnte sie es sich nicht erklären, dass sie sich seit seinem Tod in jeder gesellschaftlichen Situation, in der sie früher so völlig aufgegangen war, unglücklich und fehl am Platz fühlte. Es musste an ihr liegen.

Sie blinzelte und starrte aus dem Fenster, als es neben ihr raschelte. Smilla schrak hoch. Eine Taschentuchpackung lag auf der Tischplatte dicht an ihrem Ellenbogen und Onno stand neben ihrer Sitzbank. »Vielleicht brauchst du die.«

»Danke«, krächzte sie und zog ein Papiertaschentuch aus der Packung und gab sie ihm zurück. Sie wischte hektisch über ihre Wangen, die von den Tränen nass waren. War wohl mehr als eine Träne, die sie gerade vergoss. Und sie hatte es nicht mal mitbekommen.

Sie bemerkte, dass Onno sie musterte, doch er sagte nichts, stellte keine Fragen und ließ sie allein. Er setzte sich in einiger Entfernung in eine leere Sitznische, mit dem Rücken zu ihr.

Sie knüllte das Papiertaschentuch in der Hand zusammen und starrte aus dem Fenster.

Das war so ziemlich das Netteste, was ihr in den letzten Wochen passiert war. Nun ja, wenn sie vom Heiratsantrag von Richard absah, den sie allerdings nicht als nett, sondern eher als beunruhigend empfand. Denn was um alles in der Welt hatte ihn veranlasst, ihr einen Antrag zu machen? Er war ihr bester Freund gewesen, seit Jonas nicht mehr da war, und das hatte er mit einem Schlag, mit dieser einen Frage einfach komplett kaputtgehauen.

Selbst wenn sie sich irgendwann wieder bereit fühlen würde, um eine Beziehung einzugehen, konnte sie es sich nicht vorstellen, ein zweites Mal zu heiraten. Und in welcher Welt, bitteschön, war es in Ordnung, diese Frage aus dem Nichts zu stellen, bevor zwei Menschen überhaupt eine Beziehung eingingen?

Jonas hatte immer gewitzelt, Smilla und er seien wie beringte Graugänse, die ihr Leben lang zusammenbleiben würden. Die nichts trennen konnte, außer der Tod. Bis aus diesem Witz dann Ernst wurde, und sie nicht mehr daran dachte, auch nie wieder hätte darüber lachen können.

»Genug«, flüsterte sie. »Hör auf, dir den Kopf über Dinge zu zerbrechen, die nie mehr sein werden.«

Es wäre nur schön, wenn das Leben endlich wieder anfangen könnte, aus dem Überlebensmodus herauszutreten. Vielleicht gelang ihr das ja auf dieser Insel fernab von allem.

Kapitel 2

Wann immer ihr die Menschen zu viel wurden, ging sie ans Meer. Das Meer war stürmisch und still, es stellte keine Fragen und drängte ihr keine Antworten auf. Am Meer konnte sie atmen. Natürlich atmete sie sonst auch, das war von der Natur so eingerichtet, ein Reflex, das machte man ohne darüber nachzudenken. Aber wenn sie über das Atmen nachdachte, wenn sie es ganz bewusst machte und spürte, wie sich ihr Brustkorb weitete, dann spürte sie, wie auch in ihr diese Stille einkehrte. Mit jedem Atemzug, mit jeder Welle, die sich am Strand brach, wurde sie ruhiger.

Manchmal schloss sie die Augen, und die Wintersonne wärmte ihren Rücken. Das tat gut.

Der Vormittag in Neuharlingersiel war stressig gewesen. Erst die Überfahrt in der Früh, dann die vielen Besorgungen, die sie oft auf die Festlandtage schob. Kurz vor Mittag hatte sie dann den Termin bei ihrer Gynäkologin. Doch die nahm Frieke nicht nur direkt dran, damit sie die Fähre noch erwischte, sondern konnte sie auch beruhigen. Mit dem Baby war alles in bester Ordnung, es drehte sich munter wie ein Fisch im Wasser. »Aber irgendwann wird es sich schon für eine Lage entscheiden«, beruhigte die Ärztin sie.

Hoffentlich für die richtige, dachte Frieke. Sie hatte keine Lust auf einen Kaiserschnitt oder darauf, länger als nötig der Insel fernzubleiben. Sie war vom Hafen direkt ans Meer gefahren. In einer halben Stunde musste sie Ole abholen, aber diese kurze Verschnaufpause, die brauchte sie jetzt.

Das Schönste war, dass sie in diesen Minuten am Meer nie allein war, denn sobald sie zur Ruhe kam, spürte sie die kräftigen Tritte unter dem Rippenbogen. Sie verzog das Gesicht, aber neben dem unangenehmen Gefühl von Babytritten war da vor allem die Freude. Endlich, dachte sie. Schon in wenigen Wochen würde sie endlich ihr zweites Kind im Arm halten, um das sie so lange gekämpft hatte.

Sie legte die Hand auf den Bauch, das Baby drückte seinen Po in ihre Hand. Zumindest stellte sie sich gern vor, wie das Ungeborene ihre Hand spürte und sich an sie schmiegte. Das zauberte ihr dann doch immer ein Lächeln aufs Gesicht, auch wenn sie das fast ein bisschen kitschig fand. Die erschöpfte Mutter, die am Strand stand, mit dem Kommen und Gehen der Wellen atmete und verzückt auf ihren runden Bauch blickte. Wenn so ein Roman anfing, würde sie den aber sofort zuklappen und zurück ins Regal stellen.

Vielleicht auch nicht. Weil sie wissen wollte, was die Protagonistin hierher geführt hatte.

Frieke hätte da eine Menge zu erzählen. Von ihrem ersten Besuch auf der Insel vor inzwischen sieben Jahren. Dorthin war sie als Journalistin beim renommierten Wochenmagazin KOMET geschickt worden, um einen letzten Auftrag zu erfüllen: Ein Porträt über den Ornithologen Bengt Gerjets, der so ganz und gar auf Internet, Social Media und so weiter verzichtete. Er führte ein möglichst nachhaltiges Leben in einem Bauwagen draußen bei den Brandseeschwalben. Frieke verliebte sich in die Insel und in den Mann. Dass ihr Vater auf der Insel lebte und im folgenden Herbst starb, hatte ihr Wurzelwerk im Sand noch tiefer getrieben. Und dann war da die kleine Buchhandlung; die Eigentümer Ebba und Willem wollten sich nach über dreißig Jahren zur Ruhe setzen, und für Ebba war vom ersten Moment an klar, Frieke musste den Laden übernehmen, denn Frieke und die Bücher, das gehörte zusammen. Frieke wusste instinktiv, welches Buch das richtige für all die Leserinnen und Leser war, die in ihren kleinen Buchladen im Ortskern von Spiekeroog strömten.

So war sie auf der Insel gelandet und geblieben. Die Insel hatte ihr neue Freundschaften beschert. Hatte ebenso ihre Freundin aus Hamburger Tagen angelockt. Emma hatte sich zwei Jahre später in den Inselarzt Raik verliebt und war ebenfalls geblieben, und Friekes liebste Kundin und Freundin Johanne hatte nach über fünfzig Jahren ihr Glück mit ihrem Jugendfreund Oltmanns Kruse gefunden. Dann war da noch Sonja. Erst hatte sie eine bittere Trennung durchlebt, dann war sie seit letztem Sommer mit Carl glücklich. Was war das mit dieser Insel? Wer hierher kam, fand auf die eine oder andere Art sein Glück.

Frieke wandte sich vom Meer ab und stapfte zurück zu den Dünen. Dort oben, wo sich der Weg gabelte und zurück ins Dorf oder weiter zum Strandpavillon führte, hatte sie ihr Lastenrad geparkt, das ihr im Inselalltag oft so gute Dienste leistete. Sei es, dass sie ihren Sohn Ole von der Kita oder eilige Büchersendungen von der Fähre holte.

Der Strand war menschenleer. November, die letzten Herbstgäste waren abgereist, bis Ende Dezember verfiel die Insel in einen Winterschlaf, aus den sie nur für die zwei Wochen rund um den Jahreswechsel von den unermüdlichen Inselsüchtigen heimgesucht wurde. Dann öffneten sogar einige Restaurants für eine kurze Zeit noch mal ihre Türen, bevor dann bis März tatsächlich Winterruhe auf der Insel herrschte.

Frieke radelte zurück ins Dorf. Der Wind biss ihr in die geröteten Wangen, Tränen lösten sich von den Augenwinkeln. Aber sie war nicht traurig. In ihr war eine stille, helle Zufriedenheit. Wie es manchmal war im Sturm des Lebens; ein ruhiger Moment brachte sie wieder zu sich selbst, und nun fühlte sie sich bereit, den Rest des Tages anzugehen.

Ole saß schon fertig angezogen in der Garderobe der Kita und wartete auf sie. Als Frieke hereinkam, blickte sie auf die Uhr. War sie zu spät? Es war fünf vor drei.

»Mama!« Ole sprang auf und lief in ihre Arme. Er drückte sich an sie und schluchzte auf. »Ich will nach Hause.«

»Na klar. Du hast dich ja sogar schon fertig gemacht. Lass mich nur kurz mit Swantje sprechen, ja?«

»Nein, Mama. Ich hab mit Swantje schon geredet. Alles fein, wir gehen jetzt.«

»Ach so?« Sie hob die Augenbrauen. Ole war nicht gerade das, was man ein schwieriges Kind nannte, ein Rabauke oder so. Er liebte die Kita und seine Erzieherinnen, fand leicht Anschluss und die anderen Kinder mochten ihn. Dass er schon vor der Abholzeit angezogen in der Garderobe auf sie wartete, machte sie misstrauisch. Sein Beharren darauf, sie müsse nicht mit Swantje reden, verstärkte das Gefühl noch.

Swantje steckte gerade den Kopf aus dem Gruppenraum. »Da bist du ja, Frieke. Wollte gerade nach Ole gucken.«

»Mama, loooos!«, rief Ole und zerrte an ihrem Arm.

»Moment, bitte.« Sie machte sich sanft los. Ole aber hatte nun wirklich genug vom Warten, er stapfte mit dem Rucksack über der Schulter wütend aus dem Vorraum, die Tür knallte hinter ihm zu und er warf den Rucksack ins Lastenrad. Mit vor der Brust verschränkten Armen blieb er abwartend davor stehen, damit Frieke ihn reinhob. Sie musste sich ein Grinsen verkneifen, weil dieser trotzige Vierjährige ihr einen kurzen Ausblick auf das erlaubte, was sie in zehn Jahren mit der Pubertät erwartete.

»Was ist denn los?«, fragte sie.

»Ach, nichts Schlimmes«, beruhigte Swantje sie. »Ole ist vier und wird bald großer Bruder. Das ist für Kinder immer eine schwierige Situation, eigentlich ist er noch so klein und will groß sein, weiß nicht, was ihn erwartet … Da hilft nur viel Liebe und Verständnis, sage ich immer.«

»Und warum hat er draußen gesessen? Hat er was angestellt?«

»Quatsch. Ich habe ihm nur gesagt, du holst ihn heute etwas später, und seitdem hat er sich auf nichts anderes konzentrieren können.« Swantje war die Ruhe selbst. Sie legte Frieke tröstend eine Hand auf die Schulter. »Er schafft das schon.«

»Na, wenigstens einer«, murmelte Frieke. »Bei mir bin ich manchmal nicht so sicher.«

»Aber wieso denn?«

Frieke zuckte unbehaglich mit den Schultern. »Der Buchladen wird weiterlaufen, dank Sonja. Aber Alltag mit zwei Kindern, wenn ich es noch nicht mal schaffe, ein Kind einigermaßen einzufangen … Puh.«

»Da wächst du auch rein. Versprochen.«

»Und wenn ich da nicht reinwachsen will?«

Swantje maß Friekes Bauch mit einem skeptischen Blick. »Sorry, wenn ich das jetzt so knallhart sage, aber ich fürchte, für diese Frage ist es etwas zu spät.« Dabei grinste sie, und Frieke musste auch unwillkürlich lächeln. Sie mochte Swantjes pragmatische Art.

»Maaamaaaaa!«, rief Ole von draußen.

»Na gut«, sagte Frieke. »Keep calm and carry on, nicht wahr?«

»Im Krieg und in der Liebe.« Swantje nickte. Sie umarmten sich kurz zum Abschied.

Ole war, kaum dass Frieke ihn ächzend in das Lastenrad gehoben und angeschnallt hatte, wie ausgewechselt. »Mama, wollen wir es uns heute richtig gemütlich machen?«, schlug er vor.

Das machte sie fertig, wie ihr kleiner Sohn so altkluge Formulierungen aufschnappte und richtig anwendete.

»Hm, wie könnte das wohl aussehen?«

»Papa hat bestimmt Kuchen gebacken.«

»Das könnte sein, du.«

»Hast du mir was zu lesen mitgebracht?«

»Haben wir nicht genug Bücher zu Hause?«

Er schüttelte heftig den Kopf. Klar, Bücher konnte man nie genug haben. Verstand sie. Aber das kleine Kapitänshaus, das Frieke nach dem Tod ihres Vaters geerbt hatte, platzte schon jetzt aus allen Nähten, und jedes Mal, wenn irgendwie, sie wusste gar nicht, wie das schon wieder passieren konnte, ein Buch aus dem kleinen Buchladen ins Kapitänshaus fand, hörte sie Bengt bei dieser Entdeckung schnaufen, als rechnete er in Gedanken aus, wie viel Papier, Leim, Druckerschwärze, Transportkosten und so weiter in das kurze Vergnügen von »Seepferdchen sind ausverkauft« geflossen waren.

Dabei war das Vergnügen gar nicht so kurz, fand Frieke. Manche Bücher las sie vor, bis sie den Text auswendig konnte. Oder im Schlaf. Im wahrsten Wortsinn, denn in letzter Zeit fielen ihr abends allzu oft auf den letzten Seiten eines Bilderbuchs die Augen zu.

Sie hatte kaum vor dem kleinen Haus am Süderloog gehalten, als Ole schon versuchte, sich abzuschnallen und aus dem Lastenrad zu klettern. Frieke half ihm, er warf den Helm ab und galoppierte Richtung Haustür. Bengt tauchte in der Tür auf, »hey Kumpel!«, High five gab’s, dann rannte Ole weiter und verlor im Galopp die Gummistiefel. Frieke schluckte die Eifersucht schnell runter. Klar, beim Papa gab’s warme Quarkrosinenbrötchen, eine Folge Popeltroll (manches änderte sich nie …) und danach tobten sie durch das Wohnzimmer und bauten Pyramiden, Aquaedukte und ganze Mittelalterburgen aus tausend Kaplasteinen, bis Bengt müde wurde.

Frieke hatte einen Moment Pause. Sie schob das Rad in den Schuppen und stapfte ins Haus. Schwerfällig bückte sie sich nach Oles Gummistiefeln.

»Lass doch, ich mach das gleich.« Bengt stand in der Küchentür, ein Geschirrtuch im Hosenbund und einen Mehlfleck auf der Nase. »Ruh dich aus.«

»Selber.« Frieke trat zu ihm und gab ihm einen Kuss. Dann stupste sie seine Mehlnase an. »Mhm, gibt’s noch Quarkrosinenbrötchen?«

»Ich habe den Tiefkühler schon voll. Für alle Fälle.«

»Du meinst, falls dich bei der Geburt ein Schwächeanfall ereilt, weil die ja für Männer sooo anstrengend ist.«

»Du machst dich gerne über mich lustig, nicht wahr?« Er grinste.

»Wenn du auch keine Gelegenheit auslässt zu erwähnen, wie sehr du bei der letzten Geburt gelitten hast.« Sie umarmte Bengt. »Ich kann mir keine bessere Begleitung vorstellen«, flüsterte sie. »Gemeinsam schaffen wir das.«

Er drückte sie an sich. Ole rief aus dem Wohnzimmer, weil irgendwas mit der Popeltroll-Folge nicht stimmte, die Bengt eingeschaltet hatte. Er mochte die alten Folgen nicht, weil da die Hundewelpen um Ryder noch keine Superkräfte hatten.

»Die Pflicht ruft. Und du leg dich hin.« Bengt schob Frieke in Richtung Treppe. »Ole guckt früh genug nach dir.«

Wohl wahr. Frieke ging nach oben und legte sich aufs Bett, auf dem die gehäkelte Überdecke in allen Regenbogenfarben lag, die ihre Freundin Sonja letzten Winter fertiggestellt hatte. Ursprünglich als Babydecke geplant gewesen, hatte sie nach Friekes Fehlgeburt kurzerhand eine größere Trostdecke daraus gemacht.

Frieke angelte ein Buch vom Nachttisch. Den dicken Wälzer auf den Bauch gestützt, vertiefte sie sich in »Demon Copperhead« von Barbara Kingsolver. Genau das Richtige, wenn draußen der Wind am Fenster rüttelte und der Regen gegen die Scheiben klatschte. Bengt kam mit einem kleinen Tablett hoch und flüsterte ihr zu, Ole dürfe »ausnahmsweise« eine zweite Folge gucken. Sie lächelte. Ausnahmsweise wurde zur schönen Regelmäßigkeit, aber nachmittags waren sie alle müde und gönnten sich ein bisschen mehr Pause. Und das Schmuddelwetter vor dem Fenster lud auch nicht gerade dazu ein, zum großen Sandkasten am Rathaus oder zu einem der Spielplätze zu gehen, damit Ole noch mehr frische Luft bekam. Kriegte er morgens in der Kita ausreichend, fand sie.

Eltern durften es sich auch mal einfach machen. Und gerade im letzten Sommer hatten Bengt und sie viel gearbeitet. Das war nur möglich gewesen, weil Friekes Eltern Ute und Martin den halben Sommer auf der Insel verbracht hatten. Seit Bengt nicht mehr zu den Brandseeschwalben forschte, hatte auch ihn die Saisonalität seiner Arbeit mit voller Wucht gepackt. Inzwischen hielt er Vorträge oder bot Erlebnistouren für Hobby-Ornithologen im Nationalpark an. Das lief so gut, dass er im Winter auch länger Pause machen konnte.

Friekes Buchladen lief derweil weiter. Seit Sonja letztes Jahr im Sommer dazugekommen war, hatte sich einiges verändert. Inzwischen war Emma in Elternzeit und kümmerte sich um ihr hübsches, kleines Babymädchen Mika. Es war noch nicht absehbar, wann sie wieder im Buchladen stehen würde. Jetzt im Winter war das kein Problem, aber manchmal dachte Frieke mit Sorge an den kommenden Frühling. Sie sah sich schon mit Baby im Tragetuch hinter der Kasse stehen, wenn ab März die Saison wieder losging. Sonja machte viel, aber der Laden bot halt genug Arbeit für drei Vollzeitkräfte, und im Moment sah es nicht danach aus, als wäre in dem kleinen Stapel Bewerbungen, die Frieke sichtete, jemand dabei, der sich diesen Job samt Leben auf der Insel wirklich zutraute.

Sie konnte ja froh sein, dass es überhaupt Bewerber gab. Natürlich war das teure Leben auf der Insel nicht unbedingt ein Argument für die Stelle. Aber sie zahlte deutlich mehr als in vergleichbarer Position auf dem Festland – anders ging es gar nicht.

Die Partnerschaft mit Sonja hatte sie quasi gerettet. Sie konnte sich keine bessere Geschäftspartnerin wünschen. Aber auch Sonja war kein Oktopus, und mit ihren drei Teenagern, dem großen Haus und allem, was damit zusammenhing, hatte ihre Freundin schon genug zu tun.

Frieke schlug frustriert das Buch zu. Sie konnte sich überhaupt nicht in die Geschichte fallen lassen – was nicht an dem Buch lag, sondern an den Gedanken, die mal wieder munter in ihrem Kopf Achterbahn fuhren. Höchste Zeit, dass sie sich an den Schreibtisch setzte und ein paar Dinge wegarbeitete.

Kapitel 3

Etwa anderthalb Stunden später wurde es bereits dunkel, und das beständige Klappern der Holzbausteine aus dem Erdgeschoss hatte Frieke bei ihrer Arbeit begleitet. Sie hatte aus der Buchhandlung ein paar Sachen mitgenommen, die sie inzwischen gesichtet hatte; Vorschauen von einigen Verlagen für die Winterreise. Sie würde diesmal schriftlich bestellen; nicht nötig, dass die Verlagsvertreterinnen dafür extra auf die Insel kamen. Dann noch ein paar Abrechnungen, sie schrieb einige Mails und hatte drei der Bewerbungen ausgewählt, die sie Sonja für ein Vorstellungsgespräch vorschlagen wollte. Natürlich wurde der Papierberg nicht kleiner, aber sie beschloss, für heute sei es genug. Schnell schob sie den Stapel beiseite und zog ihren Laptop heran. Sie klappte ihn auf und ließ die Finger über die Tastatur tanzen.

»Mama?«

Klar. Natürlich spürte Ole es, wenn sie sich dem vergnüglichen Teil ihres Arbeitstags widmete.

»Im Schlafzimmer!« Sie hatten ihr eine kleine Büroecke am Fenster eingerichtet. Unten gab es hinter dem Wohnzimmer zwar ein kleines Kabuff, aber das hatte Bengt mit Ornithologenkram voll gestopft, und es war ihr zu mühsam, jedes Mal, wenn sie etwas erledigen wollte, den Schreibtisch freizuräumen. Zumal sie die Sachen seiner Meinung nach immer falsch wegräumte und er anschließend nichts wiederfand.

»Was machst du?« Nackte Füße trappelten über den Holzfußboden. Ole schob sich ohne Rücksicht auf Verluste auf ihren Schoß.

»Ich schreibe über den Ollen Hansen«, sagte sie.

»Erzählst du mir vom ollen Opa?«

Sie drückte ihren Sohn an sich und wuschelte durch seine dunkelblonden Haare, was Ole mit einem widerwilligen Brummen quittierte. »Na klar erzähle ich dir von ihm.«

Wo sollte sie anfangen?

Friekes leiblicher Vater Ole Hansen hatte ihr nach seinem Tod neben dem Kapitänshaus auch einen Stapel Tagebücher von seinen zahlreichen Seereisen als Kapitän hinterlassen. Feinstes Seemannsgarn, das sie nun zu einem Erinnerungsbuch kondensieren wollte. Es machte ihr viel Spaß, die teils phantastischen, teils dramatischen Geschichten ihres Vaters zu ordnen und mit seiner Stimme nachzuerzählen. Viel zu lange hatte sie dieses Projekt vor sich hergeschoben. Ole Hansen war nur kurze Zeit Teil ihres Lebens gewesen – in ihren ersten Lebensmonaten und in seinen letzten. Es fiel ihr schwer, bei der Lektüre der Einträge in den alten Tagebüchern die Stimme des knurrigen, todkranken Mannes zu hören, der ihr so viel gegeben hatte. Sie hatten damals viel zu wenig Zeit miteinander gehabt, und rückblickend bedauerte sie das.

Vielleicht tat sie sich deshalb so schwer damit, die verschiedenen Themen zu ordnen. Sie wusste immer noch nicht, wohin dieses Projekt steuerte. Als gelernte Journalistin konnte sie schreiben. Aber sie stieß regelmäßig an ihre Grenzen. Wollte sie ein Memoir schreiben? Eine Biografie? Wen interessierten denn die Geschichten eines alten Seebären? Sollte sie tief in seine Texte eingreifen oder ein Transkript schreiben, das für sich sprach? Solange sie diese Fragen nicht geklärt hatte, bestand die Arbeit an dem Buchprojekt zu großen Teilen daraus, dass sie in den Tagebüchern blätterte, Notizen machte und vor allem aus dem Fenster starrte.

Aber die Aufforderung vom kleinen Ole, ihm mehr von seinem Opa zu erzählen, ließ sie zu dem Tagebuch greifen, das oben auf dem Stapel lag. Sie entdeckte die Geschichte von einem heftigen Sturm, als das Containerschiff, auf dem der Olle Hansen damals arbeitete, von einer Monsterwelle getroffen wurde. Wir hatten Glück, schrieb ihr Vater. Wäre dieser 20 m hohe Kawentsmann frontal auf uns gekommen, hätte die Welle das Schiff in der Mitte zerrissen, als es ins Wellental dahinter stürzte. Mindestens stark beschädigt. So zerplatzten nur die Scheiben an backbord auf der Brücke. Verletzt wurde zum Glück niemand.

Und wie erzählte sie das kindgerecht?

»Einmal hat dein Opa eine Monsterwelle gesehen«, begann Frieke. Sofort hatte sie Oles volle Aufmerksamkeit. Er war gerade in einem Alter, in dem die Monster unter dem Bett eine gewisse furchteinflößende Macht über ihn hatten. Aber Monster draußen auf dem Meer waren ja weit weg, über die wollte er mehr hören.

»Wollte das Monster den Opa fressen?«

»Das Monster wollte das ganze Schiff verschlingen, von der kleinsten Seemannskiste bis zum größten Container«, flüsterte Frieke. »Aber dein Opa hat alle gerettet.«

»Wie denn?« Aufgeregt hüpfte Ole auf ihrem Schoß, und sogar das Baby trat auf ihre Blase. Frieke seufzte; letzteres war kein gutes Zeichen, weil es sich offenbar mal wieder gedreht hatte und nicht mehr brav mit dem Kopf nach unten lag.

»Na, er hat mit der Monsterwelle geredet.«

Ole runzelte die Stirn. »Wie redet man denn mit einer Monsterwelle?«

»Dein Opa beherrschte natürlich alle Sprachen der sieben Weltmeere und konnte auch mit dieser Welle reden.«

Das leuchtete dem Vierjährigen ein. »Und was passierte dann?«, wollte er wissen. »Hat die Monsterwelle das Schiff von Opa in Ruhe gelassen?«

»Nicht ganz. Weißt du, die Natur ist … wild.«

»Gibt es da noch mehr Monster? Außer den Wellen?«

Frieke wählte ihre Worte mit Bedacht. Einerseits wollten Bengt und sie Ole mit dem Bewusstsein aufziehen, dass die Welt um sie herum wertvoll war. Wie wichtig es war, die Natur zu schützen und in ihrer ursprünglichen Form zu bewahren. Andererseits wollte sie ihm aber auch keine allzu große Angst vor den Folgen der Klimakrise einreden. Kinder griffen derlei allzu leicht auf und dann wäre das Monster unter dem Bett noch Friekes geringste Sorge.

»Es gibt auf den sieben Weltmeeren gar wunderliche Kreaturen. Davon erzähle ich dir ein anderes Mal. Diese Monsterwelle aber hörte sich an, was Opa ihr zu sagen hatte – er bat sie, das Schiff bitte nicht umzukippen –, aber so Wellen sind sehr, sehr träge. Die können nicht einfach die Richtung ändern. Genauso war es mit Opas Schiff, das ebenfalls riesig war. Trotzdem war die Welle sehr gefährlich für das Schiff, und darum musste dein Opa zugleich das Schiff wenden, während die Welle versuchte, sich ganz klein zu machen.«

»Und dann?« Ole hing förmlich an ihren Lippen.

»Dann trafen Schiff und Monsterwelle aufeinander.«

Frieke machte eine dramatische Pause.

»Die Welle prallte auf das Schiff. Alle Mann an Bord mussten sich ganz doll festhalten, damit sie nicht von der Welle ins Meer gerissen wurden. Dein Opa stand auf der Brücke und versuchte, das Schiff auf Kurs zu halten. Die Welle ging über das Schiff hinweg, wie eine weiße Wand aus Gischt und Wasser …«

Ole kuschelte sich an sie und seufzte wohlig. Die Geschichte war offensichtlich ganz nach seinem Geschmack. Ein bisschen gruselig, sehr abenteuerlich und spannend.

»Zum Glück hatte dein Opa mit der Welle gesprochen. Nur dank der Vereinbarung dieser beiden gelang es, das Schiff durch die Welle zu lenken. Alle blieben unverletzt. ›Vielen Dank, liebe Welle!‹, rief der Olle Hansen der Monsterwelle nach, als sie am Horizont verschwand.«

»Das ist eine schöne Geschichte«, sagte Bengt plötzlich. Unbemerkt war er in der Schlafzimmertür aufgetaucht. »Ich mache gerade Abendessen. Möchtest du mir beim Schnippeln helfen, Ole?«

»Au ja!« Wenn es in die Küche ging, war Ole sofort zur Stelle. Er liebte alles, was mit Kochen, Backen, Schnippeln, Rühren und Kneten zu tun hatte.

»Na, dann los, kleiner Kapitän!« Bengt ging in die Hocke, Ole sprang auf seinen Rücken, und Frieke hörte die beiden Richtung Küche poltern.

Sie wendete sich wieder dem Text zu. Es war weiterhin mühsam, aber mit ein paar Anekdoten, die sie für Ole umdichtete, packte sie direkt wieder die Lust daran, in den Tagebüchern ihres Vaters auf die Suche nach noch mehr dramatischen Höhepunkten seiner Zeit als Kapitän zu gehen.

Die nächste halbe Stunde versuchte sie, Ordnung in die Tagebücher zu bringen. Sie hatte anfangs versucht, die schwarz eingebundenen Journale nach Daten zu sortieren, doch bald bemerkte sie, dass ihr Vater die Bücher eher nach einem chaotischen System nutzte, das sie noch nicht durchschaute. Im Grunde hatte er immer mindestens drei Tagebücher parallel verwendet. Die einzelnen Reisen waren immer in einem Buch. Sie stellte sich vor, wie er damals in dem kleinen Haus in Hamburg, wo er mit ihrer Mutter Ute nur kurze Zeit zusammenlebte, unmittelbar vor der Abfahrt hektisch nach einem Journal suchte. Wie er später die wenigen Bücher mit nach Spiekeroog brachte, wo er die allzu kurzen Zeiten zwischen den Reisen verbrachte. Wenn es wieder auf große Fahrt ging, griff er eben das Journal, das ihm zuerst in die Finger fiel. Dann dachte sie daran, wie er schließlich, nachdem er krank wurde, die Bücher in einen Karton packte und nie mehr einen Blick darauf warf.

Ihr wurde das Herz schwer. Wie musste es sich für ihren Vater angefühlt haben, als er das letzte Mal von Bord ging? Als er wusste, dass es kein Zurück geben würde? Seine Tagebücher und eine Handvoll Fotos waren alles, was von ihm geblieben war. Würde Ole die wenigen Sachen von seinem Opa eines Tages behalten? Oder wären sie für ihn wertlos, wenn Frieke eines Tages nicht mehr war und er ihre Sachen ordnete?

»Du grübelst.«

Gewohnt lautlos war Bengt auf Wollsocken ins Schlafzimmer geschlichen und stand hinter ihr. Er legte die Hände auf ihre Schultern.

»Ja, ach.«

»Ich habe dir schon mal gesagt, dass es keine gute Idee ist, gerade jetzt die Tagebücher deines Vaters zu lesen. Jedenfalls nicht, wenn du ohnehin müde und empfänglich für Angst bist.«

Er hatte recht. Frieke wollte es nur nicht hören.

»Ich habe keine Angst«, behauptete sie.

»Sprach die Angsthäsin und verkroch sich in ihrem Bett«, murmelte er. Zugleich massierte er beruhigend ihre Schultern.

»Ist das Essen schon fertig?«

»Kommt drauf an. Wenn du halbgare Nudeln magst, weil Oles Geduld nur für fünf Minuten Kochzeit reicht, ja. Wenn du deine Gemüsesauce am liebsten kalt magst, weil er behauptet, das werde schon gut schmecken, wenn man sie nicht warm macht, auch. Einzig der vegane Streukäse ist schon fertig, aber den mache ich ja gern auf Vorrat.«

»Ich nehme einfach veganen Parmesan ohne alles.«

Er beugte sich vor und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Kommst du mit runter?«

Sie räumte Ole Hansens Tagebücher weg und ging mit Bengt nach unten. Als sie wenig später mit ihm und Ole am Esstisch saß und zusah, wie sich Ole den veganen Käse auf die halbgaren Nudeln schaufelte, während Bengt die restlichen Nudeln noch mal aufkochte, quoll ihr Herz über von so viel Liebe. Wie es wohl erst sein würde, wenn das Baby da war? Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie es sich mit noch einem Kind anfühlte. Wie sie das alles schaffen sollten! Aber irgendwie, dachte sie, würde es gehen.

Das Schild, auf dem »Isländerhof« stand, zeigte einen kurzen Anstieg hinauf, und dahinter erstreckten sich mehrere Gebäude, die um den Innenhof angeordnet waren. Smilla blieb stehen und musste noch mal kurz durchschnaufen.

Sie hatte sich selten so unfit gefühlt! Warum noch mal ging sie regelmäßig ins Fitnessstudio? Also, außer um einen Ausgleich zu ihrer Arbeit als Künstlerin zu haben, den sie an manchen Tagen komplett sitzend ausübte. Ihre Kondition hatte sie dadurch offensichtlich nicht im ausreichenden Maß gestärkt.

Sie seufzte, strich eine Strähne aus der Stirn und zerrte den störrischen Rollkoffer hinter sich her. Wenn sie ihn ausgepackt hatte, würde sie ihn definitiv in den nächste Müllcontainer stopfen, dieses Scheißding!

Es tat gut, ein bisschen in Gedanken zu fluchen. Zumal sie vermutlich doch versuchen würde, die blockierte Rolle zu reparieren. Aber erst mal musste sie ankommen, brauchte ein Dach über dem Kopf und Zeit für sich.

Vor dem niedrigen, langgestreckten Stallgebäude standen ein halbes Dutzend Islandpferde angebunden an einem langen Zaun. Genauso viele junge Frauen sattelten die Pferde gerade und redeten dabei fröhlich durcheinander. Smilla blieb stehen und sah sich suchend um.

»Moin.« Eine schmale, kleine Frau mit langen, dunklen Haaren und einem offenen Blick kam ihr entgegen. »Bist du Smilla?«

»Ja, genau. Du bist Conny?« Wie angenehm, dachte Smilla. Sie kam hier an und wurde sofort geduzt. Das Siezen fand sie oft anstrengend, beugte sich aber häufig dem Wunsch ihres Gegenübers. Sie wollte ja nicht unhöflich sein.

»Willkommen auf dem Isländerhof.« Conny schüttelte ihr die Hand. »Sanne ist gerade unterwegs, aber ich zeige dir die kleine Wohnung. Ist das alles, was du an Gepäck hast?«

Smilla nickte. Sie folgte Conny zum Haupthaus. Auf der Rückseite gab es einen zweiten Eingang. Über eine Treppe gelangten sie zu einem kleinen Flur, von dem drei Wohnungen abgingen.

»Es ist klein, aber fein.« Conny schloss die Tür auf und legte den Schlüssel in dem winzigen Flur auf ein Tischchen. Die Einrichtung gefiel Smilla. Die Wände waren rosa gestrichen, die Möbel waren weiß oder aus Eichenholz. Überall gab es kleine Rosenornamente, sowohl auf den Gardinen vor den kleinen Fenstern der Wohnküche als auch an der Wand im Bad. Sie schob die Gardine beiseite und blickte hinaus auf die Dünen. In der Ferne sah sie den breiten Turm der Kirche, über die sie vorhin gelesen hatte.