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Ingeborg Gleichauf

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Beschreibung

Von der Lust am Denken - die Geschichte der philosophierenden Frauen Schlägt man eine ganz normale Philosophiegeschichte auf, so könnte man meinen, das Denken sei ein Privileg der Männer. Und man muss schon härtnäckig suchen, um denkende Frauen zu entdecken. Denn es gab sie, und das nicht erst seit dem letzten Jahrhundert, als es Frauen gestattet wurde, professionell, das heißt akademisch anerkannt, zu denken, sondern schon seit der Antike. Und sie haben auch gelehrt, auch schon in der Antike, aber bis heute ist die Zahl der weiblichen Lehrstuhlinhaber Philosophischer Fakultäten verschwindend gering. Woran liegt das? Können Frauen doch besser Wäsche falten, als über das Sein an sich nachzudenken? Nein, sicher nicht, aber sie hatten andere Voraussetzungen, mussten anders vorgehen als Männer, um ihre Gedanken zu äußern. Und wahrscheinlich haben sie aufgrund der Rollenverteilung von Mann und Frau auch eine etwas andere Sicht auf die Welt und darauf, was diese im Innersten zusammenhält. Ingeborg Gleichauf stellt 45 Denkerinnen vor. Sie beginnt mit der Pythagoreerin Theano von Kroton (ca. 550 v. Chr.) und endet mit der Ethikerin Martha Craven Nussbaum (geboren 1947). Dabei stehen jeweils deren Ideen im Zentrum der Betrachtung oder die Schulen, denen sie nahe standen. Auf diese Weise entsteht auch eine kleine kompakte Philosophiegeschichte, die zeigt, dass Frauen schon immer philosophierten. Die Verhältnisse waren nur nicht danach, es auch laut zu tun.

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Seitenzahl: 208

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Über das Buch

Schlägt man eine normale Philosophiegeschichte auf, könnte man meinen, das Denken sei ein Privileg der Männer. Man muss schon hartnäckig suchen, um denkende Frauen zu entdecken. Denn es gab sie, und das nicht erst seit dem letzten Jahrhundert. Und schon immer haben sie auch gelehrt.

Ingeborg Gleichauf stellt 44 Denkerinnen von der Antike bis zur Gegenwart vor. Dabei stehen jeweils die Ideen der Frauen im Mittelpunkt oder die Schulen, denen sie nahestanden.

Eine Philosophiegeschichte, die zeigt, dass Frauen sich schon immer mit dem, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält, beschäftigt haben.

 

 

 

 

Für Riccarda

Inhalt

Einleitung

Hoch geachtet und verspottet: Philosophinnen in der Antike

»Die Dummheit findet an sich selbst Gefallen«: Die christlichen Philosophinnen des Mittelalters

Die Entdeckung der unendlichen Welt im Inneren: Das Zeitalter der Renaissance

Klar und deutlich erkennen: Das 17. Jahrhundert

Die Lust am Erkennen: Das Zeitalter der Aufklärung

Philosophie ist die Schönheit des Denkens: Die Romantik

In sich hinein- und um sich herumschauen: Das 19. Jahrhundert und die Jahrhundertwende

Denken und Handeln: Die Philosophie des 20. Jahrhunderts

Ausblick in die Zukunft

Personenregister

Sachregister

Einleitung

Will man sich über Philosophie informieren, so nimmt man normalerweise eine »Philosophiegeschichte« zur Hand und ist erstaunt: Es scheint sich hierbei um eine reine Männersache zu handeln. Philosophiegeschichte heißt fast immer Philosophengeschichte. Philosophieren Frauen nicht? Gibt es keine Philosophinnen? So jedenfalls war mein erster Eindruck, bevor ich mich auf die Suche nach wenigstens einer »anerkannten« Denkerin machte. Ich nahm mir das 20. Jahrhundert vor, denn dessen Wissenschaft beschäftigt sich mit der Rolle der Frau in nahezu allen Forschungsbereichen: der Kunst, der Literatur, der Musik, den Naturwissenschaften, also vielleicht auch in der Philosophie. Ich stieß dabei auf die Denkerin und Politologin Hannah Arendt. Was mir bei ihr von Anfang an gefiel, war, dass sie eine Scheu vor der Philosophie als akademischem Fachgebiet hatte und vor den »Denkern von Gewerbe«, wie sie sich ausdrückte. Sie war der Meinung, jeder Mensch habe die Fähigkeit in sich, philosophisch zu denken. Philosophieren ist also ein menschliches Bedürfnis, eine Fähigkeit, die nicht nur Fachleuten zukommt.

Auch Frauen haben selbstverständlich zu allen Zeiten intensiv nachgedacht über die Welt, über sich selbst, über den Sinn des Lebens. Auch Frauen kennen den Wunsch, sich zurückzuziehen aus den Alltagsgeschäften, in sich versunken dazusitzen, lange Spaziergänge zu machen, allein oder im Gespräch mit einem anderen Menschen.

Zum Aufschreiben und systematischen Ordnen der Gedanken hatten Frauen vergangener Jahrhunderte meistens nicht die Zeit und die Möglichkeiten, die Männer hatten. In der Wissenschaft heißt das dann, die Quellenlage sei schlecht. Die Quellenlage ist aber auch deshalb schlecht, weil mit den schriftlichen Zeugnissen von Frauen viel schlampiger und nachlässiger umgegangen wurde als mit denen von Männern. Man muss schon große Lust an archäologischer Arbeit haben, um die Geduld nicht zu verlieren. Wir wissen von Philosophinnen oft nur durch die Berichte oder Erzählungen anderer. Originaltexte sind selten erhalten, manchmal bewusst gefälscht oder zum Verschwinden gebracht worden. Die Geschichte der Philosophinnen ist auch die Geschichte ihres Kampfes um Anerkennung der Leistung, die sie erbracht haben. Viel häufiger als ihre männlichen Kollegen waren denkende Frauen der Herabsetzung und dem Klatsch ausgesetzt. Ihr Privatleben stieß dabei auf mehr Neugierde als ihre Philosophie. Das ist zum Teil sogar heute noch so. Umso wichtiger ist es, sich den Philosophien von Frauen zuzuwenden, ihnen »nachzudenken«, ihren speziellen Anteil an der Philosophiegeschichte herauszuarbeiten.

Hoch geachtet und verspottet: Philosophinnen in der Antike

Die Auffassung, dass das Philosophieren – das Nachdenken über die Welt, ihre Entstehung, über das Woher und Wohin des Menschen – etwas ganz Natürliches und dem Menschen Innewohnendes ist, hat seinen Ursprung im antiken Griechenland.

Die Griechen staunen über die Welt, die Natur, den Menschen. Das, was erscheint, wird nicht selbstverständlich hingenommen, sondern regt zum Nachdenken an. Man erzählt sich nicht mehr einfach Geschichten über das Entstehen der Welt und das Zusammenwirken von Natur und Mensch, sondern man will es genauer wissen. Was steckt hinter all dem, was wir erleben und wahrnehmen? Gibt es etwas Unveränderliches, eine Wahrheit jenseits dessen, womit wir uns täglich beschäftigen? Welche Rolle spielt die Erkenntnis, und wie funktioniert sie überhaupt? Was können wir wissen, und was entzieht sich unserem Denken? In welcher Beziehung steht das Denken zum Handeln? Was ist als gut zu bezeichnen, was als schlecht? Wie können wir glücklich werden? Diese Fragen stellt die Philosophie seit jeher bis heute. Bereits die ersten Philosophinnen und Philosophen formulierten sie.

Die frühesten uns bekannten Philosophinnen stammen aus dem Umkreis von Pythagoras (ungefähr 570–497 v. Chr.). Pythagoras gab seine Lehre nur mündlich weiter. Er glaubte an die Wiedergeburt der Seele und vertrat die Meinung, dass man dem ewigen Kreislauf aus Leben und Tod nur entkommen könne, wenn man ein frommes und reines Leben führe. Pythagoras war auch ein großer Mathematiker. Er versammelte eine Gruppe von Frauen und Männern um sich, die begeistert war von seiner Lehre und sie weiterverbreitete. Fast könnte man von einer Art esoterischem Zirkel sprechen.

Die berühmteste Pythagoreerin war Theano von Kroton.

Theano von Kroton

(ab 550 v. Chr.)

Sie wurde in der griechischen Kolonie Kroton (Crotone) in Süditalien geboren. Pythagoras, der nach Kroton gekommen war und dort eine Schule gründete, wurde ihr philosophischer Lehrer und Ehemann. Theano hatte mit ihm fünf Kinder. Nachdem Pythagoras gestorben war, übernahm sie die Leitung seiner Schule.

Von Theano ist nur das Fragment »Über die Frömmigkeit« überliefert. Sie soll aber verschiedene Schriften zur Philosophie, Mathematik und Medizin verfasst haben. Unter anderem wird ihr der mathematische Lehrsatz vom »Goldenen Schnitt« zugeschrieben. Darunter versteht man die Teilung einer Strecke durch einen Punkt so, dass sich der größere Teil zu der ganzen Strecke wie der kleinere zum größeren verhält.

Wie Pythagoras war Theano Anhängerin einer Lebensweise, die sich Besonnenheit und Maßhalten zum Motto nimmt. Das Ziel ist es, auf diese Weise die Seele, die unsterblich ist und nach dem Tod wiedergeboren wird, besser zu verstehen. Der Mensch ist Teil der Welt, die selbst beseelt und göttlichen Ursprungs ist. Es gibt niemals bloße Materie. Alles ist mit allem verwandt, nichts vereinzelt. Die Welt und der Mensch leben von Natur aus in Harmonie, und man sollte bedacht sein, diese Harmonie nicht zu stören. Alles Übertriebene ist zu vermeiden. Askese und geistige Arbeit sind gefragt. Vor allem der Mathematik und der Musik wird eine positive Wirkung zugesprochen, da in beiden Disziplinen die Zahl eine wichtige Rolle spielt.

Die Zahl gilt in der Philosophie der Pythagoreer als das einende, ordnende Element, als das Wesentliche. Die Zahl verleiht allem, was ist, Klarheit und Kontur, Bestimmtheit und Form. Ohne die Kraft des Mathematischen wäre alles in der Welt und im Leben chaotisch und unbestimmt. Dies Phänomen kann vor allem in der Musik besonders deutlich wahrgenommen werden: Die Harmonien sind durch bestimmte Zahlenverhältnisse charakterisiert. Um Harmonie geht es im Denken der Pythagoreer auch im praktischen Lebensalltag. Dafür muss jeder einzelne Mensch Sorge tragen.

Theano hatte viele Schülerinnen, denen sie neben der philosophischen Anleitung vor allem auch Regeln für das, was man damals als ein »sittlich wertvolles« Leben als Frau ansah, mit auf den Weg gab. Die Ehe stand für sie höher als jede andere Beziehung zwischen den Geschlechtern. Theano akzeptierte die herrschende Meinung über das richtige Benehmen der Frau: Sie soll zurückhaltend sein, nicht nach öffentlichem Ansehen streben und für Haus und Kinder sorgen. Bereits junge Mädchen wurden auf die Ehe vorbereitet. Aufruhr in dieser Hinsicht war nicht Theanos Sache. Auch hier musste eine bestimmte Ordnung eingehalten werden. Die Ordnung ist das Göttliche, Ursprüngliche. Danach hat Theano gelebt, und diese Lehre hat sie an ihre Schülerinnen weitergegeben. Philosophie hat bei Theano also einen starken Bezug zur Praxis, sie entwickelt sich nicht fernab vom normalen Lebensalltag. Nachdenken über den Sinn des Lebens beinhaltet auch die Frage, wie das tägliche Leben sinnvoll zu gestalten ist. Theorie und Praxis sind nicht getrennt.

Noch spricht die Philosophin nicht im eigenen Namen. Noch versteckt sie sich hinter dem »großen« Philosophen, in diesem Fall Pythagoras.

Ich habe gehört, dass viele Griechen glauben, Pythagoras behauptet, dass alle Dinge aus der Zahl entstehen. Diese Behauptung beinhaltet eine Schwierigkeit: Wie können Dinge, die nicht existent sind, als Seiendes begriffen werden? Aber Pythagoras meinte nicht, dass alle Dinge aus der Zahl entstehen, sondern im Einklang mit der Zahl stehen – mit der Begründung, dass die Zahl die erste Ordnung von allem ist und durch Teilung der Ordnung in ein 1. und 2. und alles Folgende den Dingen, die gezählt werden, zugeordnet werden kann.

THEANO VON KROTON: ÜBER DIE FRÖMMIGKEIT

In dieser Frühzeit der Philosophie wird schon eines ganz deutlich: Die Frage nach dem Wesen aller Dinge, des Menschen und der Welt ist für das Philosophieren die erste und grundlegende Frage. Die Pythagoreer haben sich gefragt, wie denn wohl alles zusammenhängen könnte, ob es wohl so etwas wie ein oberstes Prinzip gibt, und auch wir heutige nachdenkende Menschen stellen diese Frage noch immer. Die ersten Philosophen und Philosophinnen haben nach dem gesucht, was sich vielleicht als ordnende Macht hinter der sichtbaren Wirklichkeit verbergen mag. Dabei war es genauso wichtig, Erfahrungen im ganz normalen Lebensalltag zu machen, wie auch über die Erfahrungen hinauszudenken und mögliche Gründe oder Ursachen zu erforschen.

Aspasia

(etwa 460–401 v.Chr.)

Immer wieder stößt man bei der Beschäftigung mit den berühmten Philosophen in deren unmittelbarer Nachbarschaft auf Frauen, die mit einer verblüffenden Klugheit, mit analytischem Verstand und philosophischer Hellsichtigkeit aufwarten. So auch im Fall des berühmtesten Philosophen der Antike und vielleicht sogar der gesamten Philosophiegeschichte: Sokrates. Er lebte im 5. Jahrhundert v. Chr. Bei der Beschäftigung mit ihm stößt man auf Aspasia, die einerseits als Denkerin durchaus angesehen, andererseits aber von den Komödienschreibern der Antike nur als Hetäre wahrgenommen und verspottet wurde.

Der Name Aspasia bedeutet »Schöne Willkommene«. Im Alter von 20 Jahren kam Aspasia mit ihrem Vater aus Milet in Kleinasien nach Athen. Bereits in ihrer Heimatstadt war sie von ihm zum Hetärenberuf bestimmt worden. Hetären waren Frauen, die ihren Körper für Geld verkauften. Es handelte sich meist um hoch gebildete Frauen, die aufgrund ihres Wissens sehr geachtet waren. Auch Aspasia hatte eine hervorragende Bildung erhalten. In Athen leitete sie selbst eine Hetärenschule und führte einen Salon, den die bedeutendsten Männer der Stadt besuchten. Unter ihnen waren die Philosophen Anaxagoras und Sokrates und der Staatsmann Perikles. Die kluge Frau faszinierte sie alle, wie Quellen, zum Beispiel die »Erinnerungen an Sokrates« von Xenophon, berichten. Perikles verliebte sich in die 20 Jahre Jüngere, verließ seine Frau und nahm Aspasia als seine »Pallake«, eine nichtlegitime Lebensgefährtin, zu sich. Diese Verbindung erregte Aufsehen, und die sich als »rechtschaffen« einstufenden gesellschaftlichen Kreise Athens mokierten sich über die Hetären-Vergangenheit Aspasias. Athenaios, ein Unterhaltungs- und Sensationsschriftsteller, schrieb: »Perikles zog ein lustvolles Leben vor, verließ seine Gattin und wohnte bei Aspasia, der bekannten Hetäre aus Milet, für die er einen großen Teil seines Vermögens verschwendete.« Aspasia wurde wegen ihres Lebenswandels sogar angeklagt, und es war schwer für Perikles, sie freizubekommen. Nach Perikles’ Tod im Jahr 429 v. Chr. heiratete sie den Schafhändler Lysikles.

Das sogenannte »perikleische Zeitalter« zeichnete sich durch eine starke Förderung von Kunst, Philosophie und Wissenschaft aus. Es gab drei soziale Klassen: die Bürger, die Metöken (Fremde, die sich im Staat niedergelassen hatten) und die Sklaven. Die herrschende Klasse war die der Bürger. Sie bestimmten das Leben des Staates und entschieden über Krieg und Frieden. Das betraf allerdings nur die Männer. Frauen hatten keine bürgerlichen Rechte. Ihre Aufgaben waren auf den Haushalt und die Kindererziehung beschränkt. Sie waren vom öffentlichen Leben weitgehend ausgeschlossen und verließen das Haus nur, um zum Beispiel große Feste zu besuchen. Die Einkäufe erledigten die Sklaven. Eine Ausnahme bildeten die Hetären. In ihren Umgangsformen waren sie sehr frei. Was die Bildung angeht, waren sie den verheirateten Frauen weit überlegen und aufgrund dieser Vorzüge bei den Männern des Geistes und der Politik gern gesehene Gesprächspartnerinnen. Aspasia galt als exzellente Lehrerin in den Fächern Philosophie und Rhetorik. Sokrates holte sich bei ihr Rat und schickte seine Schüler zu ihr. Die Geistesgrößen der Stadt hatten großes Vertrauen zu dieser intelligenten und gebildeten Frau. Schriften existieren aber keine von ihr.

Da Sokrates seine Lehre nicht selbst aufgeschrieben hat, wissen wir von ihm hauptsächlich durch das Werk von Platon (427–347 v. Chr.), der einer seiner Schüler war und nicht weniger berühmt wurde als Sokrates selbst. Platon hat seine Gedanken in Form von Dialogen niedergeschrieben, bei denen fast immer einer der Gesprächspartner Sokrates ist. In einem der Dialoge von Platon, dem »Menexenos-Dialog«, lobt Sokrates seine Lehrerin Aspasia aufs Höchste. Er hat sogar ein wenig Angst vor ihr und erzählt, er habe fast Schläge bekommen, weil er als Schüler so vergesslich gewesen sei. Nun wiederholt Sokrates eine Rede, die Aspasia aus dem Stegreif gehalten haben soll. Es handelt sich um eine Leichenrede für die Gefallenen des Peloponnesischen Krieges. Auch Perikles hat eine Rede zum selben Anlass gehalten, die jedoch vor allem eine Lobeshymne auf die von ihm geschaffene Staatsform der Demokratie war. In Aspasias Rede werden die althergebrachten Tugenden des athenischen Volkes aufgezählt und die Lebenden dazu aufgerufen, die Toten nicht unmäßig zu beklagen.

In der Antike ist die Rhetorik, die Redekunst, eine sehr wichtige Disziplin. Dem kunstvollen Sprechen kommt eine sehr große Bedeutung zu, und auch der Philosoph ist gut beraten, sich darin zu üben. Aspasia sagt: »Denn nach wohlverrichteten Taten erwirbt wohlgesprochene Rede den Tätern Gedächtnis und Ehre bei den Zuhörern.« Die Rede bewirkt, dass die Männer, die im Krieg waren und vielleicht ihr Leben ließen, nicht vergessen werden. Spontaneität und überlegte Vorbereitung spielen bei der Redekunst zusammen. Die Rede muss gut gebaut sein und sollte nicht hölzern wirken. Aspasias Philosophie lebte also vorrangig im öffentlichen Raum. Die Denkerin verkörperte das dialogische Moment, liebte das Gespräch und die Ansprache in Form einer Rede. Diese Form des Philosophierens hat einen starken pädagogischen Aspekt. Eine Philosophie, die sich im Sprechen verwirklicht, wirkt erzieherisch auf die Menschen und hat damit auch eine gesellschaftliche Wirkung. Hierfür steht Aspasia. Sie trat mit ihrer ganzen Existenz für ihre Ideen ein. Sie wollte zum Philosophieren anregen, nicht irgendeine Schulweisheit verkünden.

Unsern Vätern aber, wer noch einen hat, und Müttern muss man immer tröstlich zusprechen, recht leicht diesen Unfall zu tragen, wenn er ihnen begegnet, nicht aber mit ihnen wehklagen; denn sie können nicht noch eines bedürfen, der die Trauer vermehre, weil dieses schon der ihnen zugestoßene Unfall selbst hinlänglich zu Wege bringt; sondern um sie auszuheilen und zu sänftigen, muss man sie erinnern, dass von dem, was sie gefleht, die Götter das Größte ihnen erhört haben. Denn nicht unsterbliche Kinder, baten sie, möchten ihnen geboren werden, sondern wackere und wohlberühmte, welche sie auch erlangt haben als eines der größten Güter. Denn alles kann nicht leicht einem sterblichen Menschen ausschlagen nach seinem Leben.

AUS DER REDE IN PLATONS MENEXENOS-SCHRIFT

Diotima

(etwa 400 v. Chr.)

In seinem Dialog »Symposion« spricht Sokrates von einer weisen Frau aus Mantinea in Arkadien, mit Namen Diotima. Ein Symposion war ein Trinkgelage nach einem Festessen, bei dem Männer geistvolle Gespräche führten. In Platons »Symposion«, seinem berühmtesten Dialog, ist die Liebe das Thema. Sokrates soll darüber eine Rede halten und beginnt folgendermaßen: »Und so will ich dich denn jetzt lassen und eine Rede über den Eros, welche ich einst von einer Mantineerin namens Diotima gehört habe, welche hierin und auch sonst sehr weise war, auch den Athenern einst bei einem Opfer vor der Pest zehnjährigen Aufschub der Krankheit bewirkte, welche auch mich in Liebessachen unterrichtet hat – die Rede also, welche diese gesprochen hat, will ich versuchen, euch zu wiederholen, von dem ausgehend, worüber ich mit Agathon übereingekommen bin, sonst aber ganz für mich allein, so gut ich eben kann.«

»Eros« ist Diotimas Ansicht nach etwas, das zwischen Mensch und Gott liegt und zwischen Eigenschaften wie gut und schlecht, schön und hässlich. Er bringt es zu Wege, dass die Menschen zum Schönen und Guten streben und auf der Suche nach der Wahrheit sind. Die, die das am interessiertesten tun, sind für Diotima Künstler, Philosophen und Staatsmänner. Über die Philosophen sagt sie, sie seien weder verständig noch weise, sondern etwas dazwischen, wie Eros auch: »Denn die Weisheit gehört zu dem Schönsten, und Eros ist Liebe zu dem Schönen; so dass Eros notwendig weisheitsliebend ist und also als philosophisch zwischen den Weisen und Unverständigen mitten inne steht.« Das Element, aus dem heraus Eros wirkt, ist also die Liebe, und diese ist für Diotima der Weg, um zur Unsterblichkeit zu gelangen. Das betrifft sowohl den Körper wie auch die Seele. Es geschieht durch Fortpflanzung und durch Kunst und Wissenschaft. Indem die einzelnen Menschen immer wieder Nachkommen zeugen, bleibt etwas von ihnen in der Welt, auch wenn sie selbst tot sind. Künstler, Politiker und Wissenschaftler verewigen sich in ihren Werken durch die Macht des Eros. Das kann ein Gedicht sein oder eine wissenschaftliche Erkenntnis oder der Kampf um einen gerechten Staat. Diejenigen, die versuchen, sich Unsterblichkeit zu verschaffen, werden aber vielleicht auch noch anders belohnt: Es könnte sein, dass sie irgendwann das Schöne und Gute als solches anschauen und damit zur höchsten Glückseligkeit kommen. Das Schöne und Gute selbst ist mit nichts zu vergleichen, es ist absolut. Es vergeht nicht, ist nicht einem Werden unterworfen, sondern hat ein unwandelbares Sein. Es kann mit nichts anderem verglichen werden oder in einen Wettstreit treten mit irgendeinem anderen Wert. Es ist es selbst, ist, wie es ist, und bleibt auf immer es selbst. Die Menschen lieben es, weil es etwas mit ihrem Wesenskern zu tun hat, weil es zu ihnen gehört. Es ist ihnen nicht fremd. Es ist der erstrebenswerte Sinn ihres Lebens.

Interessant bei Diotima ist allerdings, dass sie all die ausgezeichneten Fähigkeiten fast ausschließlich den Männern zuschreibt. Wir wissen natürlich nicht, inwieweit Platon Diotimas Aussagen seinem eigenen Denken angepasst hat. Immerhin war er kein Philosoph, der Frauen den Zugang zur höchsten Weisheit zuerkannt hat. Platon war der Meinung, nur Männer könnten die Wahrheit erlangen. Es bleibt also in der Schwebe, was hier wirklich Diotima zuzuschreiben ist und was Platon. Auf jeden Fall war die Mantineerin selbst eine, die die Wahrheit geliebt hat und nach dem Guten und Schönen strebte.

Wer nämlich bis hierher in der Liebe erzogen ist, das mancherlei Schöne in solcher Ordnung und richtig schauend, der wird, indem er nun der Vollendung in der Liebeskunst entgegengeht, plötzlich ein von Natur wunderbar Schönes erblicken, nämlich jenes selbst, o Sokrates, um deswillen er alle bisherigen Anstrengungen gemacht hat, welches zuerst immer ist und weder entsteht noch vergeht, weder wächst noch schwindet, ferner auch nicht etwa nur insofern schön, insofern aber hässlich ist, noch in Vergleich hiermit schön, damit aber hässlich, noch auch hier schön, dort aber hässlich, als ob es nur für einige schön, für andere aber hässlich wäre.

DIOTIMA IN PLATON: SYMPOSION

Die philosophischen Gedanken von Sokrates wie auch von Diotima sind uns nur durch die Dialoge Platons überliefert. Weil Platon Dialoge geschrieben hat, können wir uns die Lebendigkeit dieses Denkens vorstellen. Die entscheidenden Gedanken formen sich hier in einem Hin und Her der Argumente. Eine oder einer wirft den Fragenball und hofft, dass die oder der andere ihn fängt und mitspielt. Diese Art des Philosophierens hat etwas Spielerisches, was ihr trotzdem den Ernst nicht nimmt. Es geht um die brennenden Probleme des Lebens, und darüber darf und muss gesprochen werden.

Im Denken der Pythagoreer und dem von Diotima, Sokrates und Platon gibt es einen ganz wesentlichen Unterschied. Für die Pythagoreer gab es die eine Welt, in der alles zusammenhängt. Bei Sokrates, Platon und Diotima existieren zwei Welten, eine relative, sinnlich wahrnehmbare, zeitlich und räumlich begrenzte, und eine ewige, die über das Fassungsvermögen des Menschen hinausgeht. In der weiteren Geschichte der Philosophie setzte sich diese sogenannte »Zwei-Welten-Theorie« stärker durch. In der Philosophie wird es immer mehr darum gehen, einerseits das mit den Sinnen Wahrnehmbare zu betrachten, aber dies andererseits im Hinblick auf sein Wesen, auf seinen Grund, auf sein Sein hin zu tun. Der griechische Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.) sprach in diesem Zusammenhang von der »ersten Philosophie«, später prägte man den Ausdruck »Metaphysik«. Das Wort Metaphysik hat einen sehr pragmatischen Ursprung. Ein früher Herausgeber der Schriften des Aristoteles nannte es das Buch, das in der Reihenfolge nach der Physik kam. Metaphysik, das heißt wörtlich: was nach der Physik kommt. So kommt also im Bücherregal zuerst der Band über die Physik und dann die Metaphysik. Im philosophischen Sinn ist es natürlich ganz anders. Die »erste Philosophie« kümmert sich um die ersten, ursprünglichsten Dinge, um das, was wir nicht sehen können, was uns aber dennoch beschäftigt. Die Metaphysik, die Lehre von dem, was über das »Physische«, also sinnlich Wahrnehmbare hinausgeht, untersucht keine Einzelbereiche, sondern fragt nach dem, was als Unveränderliches, Ewiges hinter der sichtbaren Welt steckt. Alle späteren Philosophien, seien sie nun von Männern oder von Frauen gedacht worden, haben auf irgendeine Weise auch mit der Metaphysik zu tun, selbst dann, wenn sie Kritik an ihr üben.

Phintys

(um 400 v. Chr.)

Phintys hat in Sparta gelebt. Sie war die Tochter eines Generals. Mehr ist über ihr Leben nicht herauszufinden. Phintys war Anhängerin der pythagoreischen Lehre. Sie hat eine Schrift zum moralischen Verhalten der Frau verfasst. Darin geht es ihr vor allem darum, zu zeigen, wie wichtig es ist, in Harmonie mit sich zu leben, nichts zu übertreiben, Maß zu halten in allen Dingen. Das ist eine uns bereits vertraute Haltung. Die Mäßigung ist in Phintys’ Meinung bevorzugt von den Männern zu erwarten, die das öffentliche Leben bestimmen. Das Philosophieren spricht Phintys aber beiden Geschlechtern zu: »Viele sind vielleicht der Meinung, dass es für das Weib nicht passend ist zu philosophieren, so wenig wie das Reiten oder in der Volksversammlung sprechen. Ich aber glaube, dass manches dem Manne, anderes dem Weibe eigentümlich, anderes Mann und Weib gemeinsam.« Mann und Frau gemeinsam sollten »Tapferkeit, Gerechtigkeit und Einsicht« üben.

Phintys hat sich also hauptsächlich Gedanken über das richtige Handeln gemacht. Der Bereich der Philosophie, der sich um das Handeln kümmert, heißt Ethik. Sie stellt die Frage: »Was sollen wir tun?« Die Ethik ist ein Teilgebiet der Philosophie. Sie betrifft deren praktische Seite. Das Wort kommt aus dem Griechischen und heißt »ethos«, was mit »Sitte« übersetzt werden kann. Die Ethik als Wissenschaft ist zuerst von Aristoteles in die Welt gesetzt worden. Auch für Phintys stand sie im Mittelpunkt des Philosophierens. Damit aber muss ein Vorurteil gleich ausgeräumt werden: Obwohl gerade das Nachdenken über das Handeln des Menschen bei Denkerinnen einen großen Raum einnimmt, kann man nicht sagen, dass sie eben einfach praktischer orientiert sind und die Theorie nur dann zulassen, wenn sie sich direkt auf die Praxis anwenden lässt.

Periktione

(440–365 v. Chr)

Periktione ist die Mutter Platons und entstammte einer wohlhabenden Familie. Sie hatte außer Platon drei weitere Kinder und war zweimal verheiratet. Sie war überzeugt, dass der Sinn der Philosophie darin bestehe, allen Dingen auf den Grund zu gehen, ihr Wesentliches zu erfassen, also Metaphysik zu sein. Hier offenbart sich ein ursprüngliches Interesse an der Arbeit des Erkennenwollens, wobei ein Schwerpunkt auch auf dem Begriff Arbeit liegt. Man muss sich schon anstrengen beim Denken. Erkenntnis ergibt sich nicht einfach so. Es geht auch in der Philosophie von Frauen nie darum, Lebenshilferezepte zu liefern. Die philosophische Gedankenarbeit ist hart und erfordert Geduld, aber sie ist gleichzeitig sehr lebendig und bleibt stets auf die Lebenspraxis bezogen. Periktione hat eine Schrift »Über die Weisheit« verfasst. Darin heißt es: »Die Menschheit ist geboren und lebt, um das Prinzip der Natur als Ganzes zu betrachten. Die Aufgabe der Weisheit besteht darin, Besitz von den Dingen zu erlangen und den Zweck der Dinge zu erfassen.«

Die »Natur als Ganzes«, das heißt, den Kosmos, die Welt als solche in den Blick zu nehmen, sich nicht bei den Einzelheiten aufzuhalten. Das ist nach Periktione Philosophie. Die Menschen leben von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag, sie tun ihre Arbeit, erziehen ihre Kinder, machen Politik, feiern Feste, bebauen das Feld, schauen sich dies und das an, machen sich ihre Gedanken über dies und jenes. Das aber ist noch nicht Philosophie. Philosophie ereignet sich erst, wenn der Mensch einen Abstand herstellt zwischen sich und dem, was ihn täglich beschäftigt, und sich die Frage nach dem Woher und Wohin, nach dem Sinn des Ganzen stellt.

Hypatia

(etwa 370–413 n. Chr.)

Hypatia wurde als Tochter eines Astronomen und Mathematikers in Alexandria geboren und lebte dort in der Zeit eines extremen Umbruchs. Ihr Vater unterrichtete sie in Astronomie und Mathematik. Alexandria war Teil der römischen Provinz Ägypten, gehörte zum römischen Imperium und erlebte eine starke Christianisierung. Die Kirche war eine Art Staat im Staate. Sie stärkte das Nationalgefühl der Menschen, indem sie die kirchlichen Schriften in die altägyptische Landessprache übersetzen ließ. Hypatia war jedoch keine Christin und daher den Anfeindungen eines Teils der Bevölkerung ausgesetzt. Der Bischof der Stadt, Kyrill