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Masterarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Psychologie - Klinische Psychologie, Psychopathologie, Prävention, Note: 5,5 (CH) - 1,5 (D), Universität Basel (Fakultät für Psychologie), Veranstaltung: Klinische Psychologie und Psychotherapie, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Spinnenangst zählt zu den häufigsten psychischen Störungen überhaupt. Trotz sehr erfolgreicher, kognitiv-verhaltenstherapeutischer Techniken mittels Reizexposition, nimmt ein grosser Teil der Betroffenen keine solche Therapie in Anspruch. Grund dafür ist in vielen Fällen, dass die Patienten eine in vivo Konfrontation mit dem phobischen Objekt scheuen, und somit auch eine Therapie vermeiden. Mit dem Aufkommen virtueller Bildtechniken wurde ein neues Instrument für die Konfrontationstherapie entdeckt. Diese Technik zeigte in zahlreichen klinischen Studien eine hohe Wirksamkeit. Weiter wurde ermittelt, dass die Akzeptanz der Betroffenen für computerbasierte Techniken weit grösser ist, als für konventionelle Therapien. Da diese so genannten „Virtual Reality“ - Verfahren noch sehr kostspielig und somit kaum für die tägliche Praxis geeignet sind, stellt sich die Frage, ob mit einfacher, zweidimensionaler Exposition auf herkömmlichen Computern, ähnlich gute und nachhaltige Resultate erzielt werden können. Im Rahmen der „Interventionsstudie zur Spinnenangst“ (INT-Studie) wurde gezeigt, dass nach nur einmaliger, 30-minütiger Exposition auf Ebene der Spinnenangst, der Vermeidung und der subjektiven Bewertung, statistisch signifikante Verbesserungen im Vergleich zu einer unbehandelten Kontrollgruppe und im Vergleich zu den Ausgangswerten der Interventionsgruppe erzielt werden konnten. Eine zusätzliche Intervention, welche mit einem „Duchenne-Lachen“ kombiniert wurde, erzielte analoge Ergebnisse, konnte sich jedoch gegen die reine Bildexposition nicht behaupten. Ferner wurde erhoben, dass ein Grossteil der Betroffenen eine computerbasierte Exposition einer in vivo Exposition vorziehen würden. Diese Einstellung war auch nach der Untersuchung noch sehr stabil. Die Ergebnisse zeigen, dass mit zweidimensionaler, computerunterstützter Reizexposition signifikante Ergebnisse erzielen lassen und eine entsprechende Nachfrage derartiger Therapiemanuale bei den Betroffenen vorhanden ist.
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Veröffentlichungsjahr: 2010
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Abstract
Die Spinnenangst zählt zu den häufigsten psychischen Störungen überhaupt. Trotz sehr erfolgreicher, kognitiv-verhaltenstherapeutischer Techniken mittels Reizexposition, nimmt ein grosser Teil der Betroffenen keine solche Therapie in Anspruch. Grund dafür ist in vielen Fällen, dass die Patienten eine in vivo Konfrontation mit dem phobischen Objekt scheuen, und somit auch eine Therapie vermeiden.
Mit dem Aufkommen virtueller Bildtechniken wurde ein neues Instrument für die Konfrontationstherapie entdeckt. Diese Technik zeigte in zahlreichen klinischen Studien eine hohe Wirksamkeit. Weiter wurde ermittelt, dass die Akzeptanz der Betroffenen für computerbasierte Techniken weit grösser ist, als für konventionelle Therapien. Da diese so genannten „Virtual Reality“ - Verfahren noch sehr kostspielig und somit kaum für die tägliche Praxis geeignet sind, stellt sich die Frage, ob mit einfacher, zweidimensionaler Exposition auf herkömmlichen Computern, ähnlich gute und nachhaltige Resultate erzielt werden können. Im Rahmen der „Interventionsstudie zur Spinnenangst“ (INT-Studie) wurde gezeigt, dass nach nur einmaliger, 30-minütiger Exposition auf Ebene der Spinnenangst, der Vermeidung und der subjektiven Bewertung, statistisch signifikante Verbesserungen im Vergleich zu einer unbehandelten Kontrollgruppe und im Vergleich zu den Ausgangswerten der Interventionsgruppe erzielt werden konnten.
Eine zusätzliche Intervention, welche mit einem „Duchenne-Lachen“ kombiniert wurde, erzielte analoge Ergebnisse, konnte sich jedoch gegen die reine Bildexposition nicht behaupten. Ferner wurde erhoben, dass ein Grossteil der Betroffenen eine computerbasierte Exposition einer in vivo Exposition vorziehen würden. Diese Einstellung war auch nach der Untersuchung noch sehr stabil. Die Ergebnisse zeigen, dass mit zweidimensionaler, computerunterstützter Reizexposition signifikante Ergebnisse erzielen lassen und eine entsprechende Nachfrage derartiger Therapiemanuale bei den Betroffenen vorhanden ist.
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Danksagung
An dieser Stelle möchte ich all jenen Personen danken, die mich während der Dauer der „Interventionsstudie zur Spinnenangst“ und bei der Realisierung dieser Masterarbeit unterstützt haben.
So gilt mein Dank Frau Dr. Tanja Michael, unter deren Betreuung das Projekt ‚Interventionsstudie’ und damit meine Arbeit gestanden ist, sowie Frau lic. phil. Birgit Müller und Frau lic. phil. Sandra Kull für deren Rat in zahlreichen Projektbesprechungen. Herrn Prof. Dr. Jürgen Margraf danke ich für die Möglichkeit, die Studie mit den vorhandenen Mitteln der Abteilung Klinische Psychologie durchführen zu können. Auch möchte ich Herrn Prof. Dr. Frank Wilhelm und Frau M.Sc. Monique Pfalz für ihre fachliche Unterstützung bei der technischen Durchführung der physiologischen Datenerhebung danken. Herrn Dr. Peter Peyk gilt mein Dank für die Unterstützung bei der Softwareprogrammierung dieser Studie und bei der Auswertung der physiologischen Messdaten. Den Herren Dipl. Psych. Christian Kuhl, Andreas Schötzau und Dr. Andrea Meyer danke ich für ihre Inspiration bei der komplexen Datenaufbereitung und die hilfreichen Tipps für die statistischen Analysen. Ein extra grosses „Dankeschön“ geht an Herrn Dipl. Psych. Jörg Herdt, der die undankbare Aufgabe des Korrekturlesens auf sich genommen hat und viele kritische und hilfreiche Anregungen beigesteuert hat.
Ferner danke ich jenen Personen und Institutionen, die einen grossen Beitrag zum Gelingen und Verbessern der Studie beigetragen haben. So gilt mein Dank Herrn Ed Niewenhuys für die Genehmigung, uns aus seinem schier unerschöpflichen Fundus an Spinnenbilder bedienen zu dürfen, dem Naturhistorischen Museum Basel für die Überlassung einer lebenden Spinne, dem Zweiten Deutschen Fernsehen für die Genehmigung das Lachen ihrer „Mainzelmännchen“ verwenden zu dürfen, sowie allen Versuchsteilnehmerinnen die das recht aufwändige Test-Procedere klaglos auf sich genommen haben. Ein grosser Dank gilt auch meiner Kommilitonin und Projektkollegin Frau B.Sc. Corinne Urech für die stets angenehme und kollegiale Zusammenarbeit während der Durchführung der gesamten Studie. Nur gemeinsam konnte dieses umfangreiche Projekt gestemmt werden. Zu guter letzt möchte ich meiner Familie danken. Deren Unterstützung und Interesse für mein Studienfach haben mich von Beginn an begleitet und mir besonders während der heissen Testphase und dem Verfassen der Masterarbeit den Rücken gestärkt. Der grösste Dank gilt meiner Lebensgefährtin Patricia. Ohne ihren unermüdlichen und aufopferungsvollen Einsatz wäre das Gesamtprojekt „Psychologiestudium“ kaum möglich gewesen. Ihr ist diese Arbeit gewidmet.
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Erklärung zur Masterarbeit
In klinischer Psychologie, innerhalb des Projekts „Angst und Angststörungen“ zum Thema „Wirksamkeit von computerunterstützter Exposition zur Therapie von Spinnenangst“.
Hiermit erkläre ich, dass ich ausser der angegebenen Literatur keine weiteren Hilfsmittel verwendet habe und dass mir bei der Zusammenstellung des Materials und der Abfassung der Arbeit von niemandem geholfen wurde. Die vorliegende Arbeit ist noch an keiner anderen Fakultät zur Begutachtung eingereicht worden.
Ich bezeuge mit meiner Unterschrift, dass meine Angaben über die bei der Abfassung meiner Masterarbeit benützten Hilfsmittel, über die mir zuteil gewordene Hilfe sowie über frühere Begutachtungen meiner Masterarbeit in jeder Hinsicht der Wahrheit entsprechen und vollständig sind.
Basel, den 30. Mai 2006 Marcel Maier
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Zu den häufigsten psychischen Erkrankungen zählen neben den Affektiven Störungen die Angststörungen. Etwa 22 % aller Menschen in der Schweiz erkranken mindestens einmal in ihrem Leben an einer Angststörung (Angst, 1999). Die spezifischen Phobien stellen innerhalb der Angststörungen die Gruppe mit der höchsten Lebenszeitprävalenz dar (Maier, 2005). Schätzungen der Lebenszeitprävalenzen schwanken je nach Fallidentifikation und untersuchter Population zwischen 2,3 % bis 3,5 % (Essau, Karpinski, Petermann, & Conradt, 1998; Magee, Eaton, Wittchen, McGonagle, & Kessler, 1996) und 11,3 % bis 14,4 % (Kessler et al., 2005; Kessler et al., 1994; Kringeln, Torgerson, & Cramer, 2001). Die spezifischen Phobien sind seit den 1960er Jahren in der wissenschaftlichen Literatur als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt (Öst, 2003). Nach den Kriterien des Diagnostischen Statistischen Manual, vierte Ausgabe (DSM-IV) der American Psychiatric Association (APA), müssen folgende Kriterien für die Diagnose einer spezifischen Phobie erfüllt sein (APA, 1994):
A. Durch die Anwesenheit oder die Erwartung eines spezifischen Objektes oder einer spezifischen Situation ausgelöste Angst (z.B. Fliegen, Höhen, Tiere, Spritzen, Blut).
B. Die Konfrontation mit dem spezifischen Stimulus löst fast immer eine unmittelbare Angstreaktion aus, die die Form eines Angstanfalls annehmen kann.
C. Die phobische Stimuli werden vermieden oder mit starker Angst ertragen. D. Die Person erkennt, dass die Angst übertrieben oder unvernünftig ist.
E. Die Vermeindung oder die ängstlichen Erwartungen verursachen ausgeprägtes Leiden oder beeinträchtigen die berufliche oder soziale Funktionsfähigkeit.
F. Die Angst oder die phobische Vermeidung steht nicht in Zusammenhang mit einer anderen psychischen Störung.
Die Diagnose einer Spezifischen Phobie nach DSM-IV erfordert also sowohl eine starke Angst und Vermeidung als auch eine erhebliche Beeinträchtigung des alltäglichen Lebens (APA, 1994).
Innerhalb der Spezifischen Phobien bilden die Tierphobien mit einer Lebenszeitprävalenz 5 % und einer Punktprävalenz von 4 % bei jungen Frauen die häufigste Untergruppe (Rinck et al., 2002). Unter den Tierphobien ist wiederum die Spinnenphobie (Arachnophobie) am häufigsten vertreten (Rinck, Bundschuh, Engler, Müller, Wissmann, Ellwart et al. 2002). Personen, die bis auf die Beeinträchtigung ihres Alltags alle Kriterien der Diagnose erfüllen, zeigen zudem ähnlich hohe subjektive Angst wie Personen mit der vollständigen Diagnose (Rinck et al., 2002). Die Punktprävalenz für Tierängstliche und
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Tierphobiker zusammen beträgt etwa 11 %, für Personen speziell mit Spinnenangst oderphobie ca. 7 % (Rinck et al., 2002). Somit leidet ein bedeutsamer Anteil der Bevölkerung unter der Angst vor Spinnen. Gerade bei Tierphobien - insbesondere Spinnen - können die gefürchteten Reize aber oft sehr gut vermieden werden, so dass die Beeinträchtigung des Lebens glücklicherweise gering bleibt.
Die spezifischen Phobien sind die Gruppe der Angststörungen mit der längsten therapeutischen Erfolgstradition. Die wichtigsten verhaltenstherapeutischen Ansätze bei spezifischen Phobien sindDesensibilisierung, ReizüberflutungundModelllernen.Gemeinsam werden diese Techniken unter dem OberbegriffKonfrontationstherapiesubsumiert, da die Patienten mit dem gefürchteten Gegenstand oder der gefürchteten Situation konfrontiert werden (Whitby, 1996).
Über viele Jahre hinweg war das Gebiet der Tierphobien im Allgemeinen zunächst ein Forschungsgebiet für verschiedene Formen der Behandlung durch Modelllernen (Bandura, Blanchard, & Ritter, 1969). Einige Jahre später erwies sich die direkte Konfrontation mit dem phobischen Objekt als die Methode der Wahl für die Behandlung von Phobien (z.B. (Chambless, 1990; Gosh, Marks, & Carr, 1988; Marks, 1987). Besonders hervorzuheben sind hier die Untersuchungen von Lars Göran Öst und Kollegen, welche über mehrere Jahre umfangreiche Therapiestudien mit wechselnden Designs durchgeführt haben. Öst und Kollegen (Öst, 1989) entwickelten Behandlungsmethoden, mit der verschiedene spezifische Phobien (vorwiegend Spinnenphobien) bereits in einer Sitzung erfolgreich behandelt werden können. Diese Therapievariante besteht aus einer Kombination des teilnehmenden Modellernens mit massierter Konfrontation („therapist-directedexposure“).Mehrere Spinnen von zunehmender Grösse werden in dieser, mehrstündigen Therapie eingesetzt. Jeder Schritt des Patienten wird zuerst vom Therapeuten als Modell demonstriert. Das erste Ziel besteht darin, dass der Spinnenphobiker mit einem Glas und Papier die Spinne fängt und simuliert, wie er die Spinne zu Hause entfernt. Sobald der Patient diesen Schritt mit nur noch geringem Angstniveau bewältigen kann, besteht der nächste Schritt darin, eine Spinne tatsächlich zu berühren. Der zunehmende Kontakt mit dem vormals angsteinflössenden Tier endet mit der Ermutigung des Patienten, die Spinne in die Hand zu nehmen. Diese Form der Behandlung fährt in derselben Weise mit mehreren anderen Spinnen fort und endet schliesslich damit, dass der Patient gleichzeitig mit zwei Spinnen hantiert. Die Sitzung ist dann beendet, wenn der Patient fähig ist, sich mit allen Spinnen bei einem nur
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noch geringen subjektiven Angstniveau zu befassen. Weiterer Bestandteil dieses Rationals ist eine ausgiebige Psychoedukation über den Sinn der Habituation (Öst, 1989).. Diese Therapieform wurde in verschiedener Art und Weise variiert. Öst und Kollegen (1991) erforschten in einer Folgeuntersuchung die Wirksamkeit einer ungeleiteten Exposition („self-directedexposure“).Bei dieser Variante habe die Patienten das oben erwähnte Manual während zwei Wochen in Eigenregie durchzuarbeiten. Selbst bei dieser Form zeigen Patienten signifikante Verbesserungen, wenngleich nicht im selben Ausmass wie mit einem Therapeuten als Modell. Auch in einem erweiterten Design mit fünf unterschiedlichen Manualen („onesession therapist-directed exposure“, „specific manual-based in the home“, „specific manual-based at the clinic“, „general manual-based in the home“ und „general manual-based in the clinic“(Hellström & Öst, 1995) erweist sich die therapeutengeleitete Konfrontation als sehr effektiv. Sie zeigte mit Abstand die besten Erfolge. Dieses Rational wurde auch auf die Anwendbarkeit in einer Gruppentherapie erfolgreich getestet (Öst, 1996). Es zeigt sich, dass sowohl in kleinen Gruppen von drei bis vier Patienten, als auch in grösseren Gruppen (sieben bis acht Patienten) signifikante Verbesserungen nach nur dreistündiger Therapie zu verzeichnen sind. Die Ergebnisse zeigten sich auch nach einem Jahr noch stabil. Die Studien zur Gruppentherapie wurden weiter diversifiziert. Das Anliegen dieser Modifikationen war, die Effekte der beiden Formen des Modelllernens mit der bewährten Standardtherapie („one-session“) innerhalb eines Gruppensettings zu vergleichen. So erhielten zwei Gruppen keine direkte Konfrontation, sondern fungierten lediglich als direkte („direct observation“) oder indirekte („indirect observation“) Beobachter (Öst, Ferebee, & Furmark, 1997). Direkte Beobachtung bedeutete in diesem Fall, dass ein Patient nach dem oben beschriebenen Verfahren mit einer echten Spinne behandelt wurde, während die anderen Patienten die komplette Behandlung aus kurzer Entfernung beobachteten. In der Bedingung der indirekten Beobachtung sahen die Patienten lediglich eine Videoaufnahme einer solchen Prozedur. Es zeigte sich einmal mehr, dass die direkte Behandlung die grössten Erfolgte mit sich brachte. Dennoch zeigten die anderen Behandlungsformen ebenfalls signifikante und zeitlich stabile Verbesserungen. Es machte kaum einen Unterschied, ob die Patienten die Behandlung direkt beobachteten, oder sich die Prozedur auf Video anschauten. Eine ähnlich erfolgreiche Studie wurde später auch mit Kindern und Jungendlichen durchgeführt (Öst, Svensson, Hellström, & Lindwall, 2001). Öst verwendete in den meisten Studien einen Vermeidungstest, um den Therapieerfolg intervallskaliert messbar zu machen. In diesem so genannten „behavioralapproach test“(im weiteren Verlauf dieser Arbeit mit „BAT“ abgekürzt) haben die Versuchsteilnehmer die
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Rahmen dieser Arbeit sprengen. An dieser Stelle sei auf den detaillierten Review von Judith G. Proudfoot (2004) verwiesen.
Virtual Reality (im weiteren Verlauf dieser Arbeit mit „VR“ abgekürzt) ist als eine Anwendung definiert, die es dem Nutzer erlaubt, in eine computergenerierte, dreidimensionalen Umgebung einzudringen und mit dieser Umwelt zu interagieren (Pratt, Zyda, & Kelleher, 1995). Psychotherapeutisch wird VR vorwiegend als Instrument zur Exposition verwendet („invirtuo exposure“).Es dauerte eine Zeit, bis der Einsatz von VR zu therapeutischen Zwecken als probates Mittel anerkannt wurde. Dies lag vor allem an den beschränkten Hardwareleistungen für eine lebensnahe Präsentation, den hohen Ausstattungskosten und dem Fehlen eines kommerziellen Marktes zur Refinanzierung (Glantz, Rizzi, & Graap, 2003). Die in den frühen Studien verwendeten Animationen waren wenig lebensecht und darum auch nicht sonderlich effektiv. In den vergangenen Jahren wurden jedoch dramatische Fortschritte im Bereich der Rechnerleistungen und der damit verbundenen Möglichkeiten zur visuellen Präsentation von Reizmaterial gemacht. Flankiert wurde diese Entwicklung durch qualitative Verbesserungen in der Reizpräsentation mittels „Head-mounted-Displays“ oder „VR-Helm“ (Displays, welche auf dem Kopf getragen werden und das komplette Gesichtsfeld des Anwenders abdecken). Mit diesen bequem tragbaren Displays können grafische 3D-Animation lebensecht präsentiert werden (Glantz, Rizzi, & Graap, 2003). In diesem Helm sind zwei Monitore nahe den Augen des Benutzers angebracht. Das Bild, welches auf das linke Auge projiziert wird, ist im Vergleich zu dem auf dem rechten Auge leicht versetzt. Dadurch vereint das Gehirn diese beiden Bilder zu einem dreidimensionalen Bild, was dem Anwender die Illusion einer räumlichen Tiefe gibt. Ortungssensoren an VR-Helm und Körper des Anwenders informieren den Computer über Bewegungen, Blickrichtungen und Position des Benutzers. Die Szenerie in der virtuellen Welt verändert sich somit in Abhängigkeit der Bewegungen des Anwenders. Die Essenz der virtuellen Realität ist die Illusion, die dem Benutzer gegeben wird, tatsächlich in der künstlich generierten Welt zu sein (Garcia-Palacios, Hoffmann, Carlin, Furness, & Botella, 2002). Abbildung 1 zeigt eine Versuchsperson mit einem Head-mounted-Display während einer VR-Session.
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Abbildung 1.Versuchsperson mit einem „Head-mounted-Display“ bei der Durchführung einer VR-Übung
(Kooper, 2003).
Dieser technische Fortschritt zog eine gewaltige Welle wissenschaftlicher Publikationen nach sich, welche sich dem Thema VR in der Psychotherapie widmeten. Eine interessante Randnotiz, welche diesen Boom dokumentiert, ist, dass laut einer Umfrage die Anzahl der in den Zeitschriften der American Association of Psychiatrie (APA) publizierten Fachartikel zu diesem Thema in den kommenden Jahren den dritten Rang einnehmen wird (Norcross, Hedges, & Prochaska, 2002).
Mittels VR hat der Therapeut die Möglichkeit ganz exakt zu steuern, welche Reize der Patient präsentiert bekommt. Er kann die Qualität eines angstauslösenden Objekts graduell steuern und den Bedürfnissen des Patienten anpassen. Die Kontrolle über das angstauslösende Objekt liegt immer beim Anwender. Der Therapeut hat bei VR die absolute Kontrolle über die Situation und ist unabhängig von äusseren Bedingungen, wie beispielsweise dem Wetter oder der Verfügbarkeit eines Reizobjektes. Das ist in einer in vivo Situation mit einem lebenden Tier oder in einer echten Umgebung nicht möglich. Dort fliessen häufig unerwünschte Störvariablen in den therapeutischen Prozess mit ein.
Die Situationen und Reize können optisch und teilweise auch taktil auf den Patient zugeschnitten werden. So können ganz spezifische, angsterregende Situationen oder Objekte erstellt werden. Man hat die Möglichkeit, den Patienten einer Bandbreite von Situationen und Objekten auszusetzen, wie es in der Realität nicht möglich oder nicht sicher wäre (Glantz et al., 2003). Bei einer Höhenangst kann zum Beispiel die virtuelle Gebäudehöhe nach Belieben