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Könnte es sein, dass es uns an Religion fehlt? Könnte es sein, dass der Niedergang der Kirchen in unseren Breiten ein geistiges Vakuum hinterlassen hat, in das Ideologien, Verschwörungstheorien oder einfach nur ein maßloser Konsum eingedrungen sind? Könnte es sein, dass wir uns in Selbstbezüglichkeit verstrickt haben, weil wir keinen Gott und keine Götter mehr gewahren – in eine Falle gegangen sind, aus der uns selbst spirituelle Wege und Praktiken nicht befreien? Es ist an der Zeit, einige grundlegende Fragen zu stellen und das Thema Religion neu anzugehen: Können wir wirklich ohne Religion leben? Was ist das Göttliche, und was sind Götter? Leicht verständlich beantwortet Christoph Quarch diese vielschichtigen Fragen und wagt ein kühnes Plädoyer für eine Renaissance der Religiosität jenseits von Kirche und Dogma.
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Seitenzahl: 32
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Christoph Quarch
»Wo keine Götter sind,walten Gespenster«
Welche Spiritualität braucht die Welt von morgen?
Die Geister, die wir riefen
»Wo keine Götter sind, walten Gespenster.« (1) Es ist ein prägnanter Satz, den Friedrich von Hardenberg – den meisten besser bekannt als Novalis – in seiner Schrift »Die Christenheit oder Europa« im Jahre 1797 notierte. 230 Jahre später haben seine Worte nichts an Gültigkeit verloren, denn sie lesen sich auch heute noch wie eine Diagnose des herrschenden Zeitgeistes. Denn will es nicht oftmals scheinen, als lebten wir durchaus unter der Herrschaft von Gespenstern: als knechteten uns halb wirkliche Schattenwesen, denen die Menschen, unbewusst und unbedacht zwar, huldigen und deren Reich ihnen ein oberflächliches und seichtes Glück verheißt? Unter der Herrschaft von Gespenstern, die das Menschenleben nicht erfüllen können und der Entfaltung unserer Potenziale nicht wirklich dienen? Gespenster, das wussten unsere Vorfahren, sind reine Oberflächen, pure Erscheinungen. Sie haben keine Tiefe – und sie sind deshalb nicht imstande, dem Leben Tiefe und Gewicht zu geben. Wo sie regieren, herrscht die Oberflächlichkeit.
Die herrschenden Gespenster haben Namen: Sie heißen Geld und Spaß, Konsum und Wohlstand, Unterhaltung oder Sicherheit. Sie heißen »Jetzt bin ich dran«, »Ich will Spaß«, »Ich gönn mir was« oder »Ich will guten Sex«. Und ihnen opfern Tausende das Kostbarste, was sie besitzen: ihre Zeit, ihre Energie, ihre Gesundheit … und – on the long run – ihre Lebendigkeit. Denn unerfüllt bleibt ihre Zeit und ungebündelt ihre Energie, vergeudet wird ihr Geld und statt dem Leben Tiefe, Freude und Erfüllung zu gewähren, lassen die Gespenster alle, die sich ihrem Dienst verschrieben haben, am ausgestreckten Arm verhungern. Oberflächlich befriedigen sie die Bedürfnisse, doch können sie die Seele eines Menschen nicht erfüllen.
Den Gespenstern huldigen wir alle. Wir haben einen Kult erfunden, mit denen wir sie ständig nähren und bestätigen – und gleichzeitig den Göttern keine Chance geben, sich zu zeigen. Der Kult, der hier in Rede steht, ist folglich keine Religion im eigentlichen Sinne; auch wenn er das ersetzt hat, was einst als Religion in Geltung stand. Er heißt Ökonomismus oder Konsumismus, schlimmstenfalls Shopping. Es ist ein Pseudokult, dem mittlerweile wohl die ganze Welt erlegen ist. Was ist damit gemeint, wie lässt sich dieser Pseudokult beschreiben?
Ökonomismus herrscht, wo sich der Mensch nach Maßgabe von Werten und Kriterien entwirft, die aus dem Feld der Wirtschaft stammen. Dort sind sie wohlgelitten und mit gutem Grund zu Hause. Doch problematisch wird es, wenn sie ihren heimischen Bereich verlassen und andere Segmente unserer Lebenswelt kolonialisieren. Wo das geschieht, da herrscht Ökonomismus. Und er wird zur globalen Weltmacht, wenn wir erst sämtliche Bereiche unserer Lebenswelt – das Gesundheitswesen, das Sozialwesen, die Politik, unsere Spiele, unsere Kultur, unsere Partnerschaften, unsere Spiritualität – ökonomischen Parametern unterwerfen und sowohl uns selbst als auch unsere Welt nach dem Muster des Homo oeconomicus formatieren. Denn so lässt sich das entsprechende Menschenbild bezeichnen, nach dem wir uns und unsere Welt entworfen haben.
Seit sich der Mensch als Homo oeconomicus entwirft, ist er dem Irrglauben erlegen, dass Sinn und Erfüllung seines Lebens sich danach richten, in welchem Maße er diesem Menschenbild genügt. Denn geschichtsvergessen, wie wir sind, lassen wir uns dabei einreden, der Homo oeconomicus sei tatsächlich so etwas wie ein zeitlos bleibend gültiges Modell des Menschseins. Dabei braucht es nur wenig historische Kenntnis, um zu wissen, dass es sich bei ihm um ein Konzept oder Konstrukt handelt, das in der Zeit der großen europäischen Konfessionskriege erfunden und fortan mit immer größerer Verve erprobt wurde; bis dahin, dass es seit der totalen Entfesselung der neoliberalen Marktwirtschaft am Ende des 20. Jahrhunderts flächendeckend in Geltung steht.
Wer ist der Homo oeconomicus? Er wandelt auf den Spuren des René Descartes, denn als sein größter Schatz erscheint ihm seine Ratio; die er jedoch zu dem verkümmern ließ, was Max Horkheimer die instrumentelle Vernunft