Wofür wir arbeiten - Barbara Prainsack - E-Book

Wofür wir arbeiten E-Book

Barbara Prainsack

0,0

Beschreibung

Wie wollen und werden wir zukünftig arbeiten? Die tradierten Modelle funktionieren nicht mehr: Während die einen von ihrer Erwerbsarbeit kaum leben können, leiden viele Bereiche unter Arbeits- und Fachkräftemangel. Arbeit ist zudem eine Frage der Solidarität: Der Applaus für "systemrelevante Berufe" war von kurzer Dauer, die Care-Arbeit – vor allem von Frauen – hält das System am Laufen, wird aber weder angemessen entlohnt noch gesellschaftlich gewürdigt. Für die "Generation Z" zählt Work-Life-Balance mehr als die 40-Stunden-Woche. Dem entgegengesetzt steht die Forderung mancher Arbeitgeber nach längeren Arbeitszeiten. Verschärft wird die Situation zudem durch den demografischen Wandel, Digitalisierung und Automatisierung. Fundiert und scharfsichtig legt Barbara Prainsack die Fehler unseres Verständnisses von Arbeit offen und zeigt den Weg zu einer gerechten und sinnstiftenden Arbeit für alle auf.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 100

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Vorwort des Herausgebers

1Die große Resignation: Was wir zurücklassen

2Neues erfinden: Was wir uns wünschen

3Was wir brauchen: Gebrauchsanleitung für Utopien

Anmerkungen

Dank

Die Autorin

Impressum

Vorwort des Herausgebers

Unsere Welt befindet sich in tiefgreifendem, rasantem Wandel. Der Umbruch der Gesellschaft mit ihrer zunehmenden Komplexität und der Umbruch politischer Ordnungen führen zu neuer Unübersichtlichkeit, welche wachsende Verunsicherung erzeugt.

Um dies abzuwenden, bedarf es Orientierung und zukunftsfähiger Perspektiven. Angesichts von Halbwahrheiten und Schlagworten in alten und neuen Medien ist es notwendig, Relevantes und Irrelevantes, Sinn und Unsinn zu unterscheiden. Und es wird fundiertes Wissen über die großen Themen der Gegenwart benötigt, um durch die Flut von Daten, Halbwahrheiten und Fake News navigieren zu können und sich zurechtzufinden. Aus diesem Grund nehmen führende Intellektuelle, Expertinnen und Experten in der Reihe Auf dem Punkt zu den großen Fragen unserer Zeit Stellung.

Der Mensch lebt nicht in einem Schlaraffenland, in dem Milch und Honig fließen. In einer Welt der Knappheit und des Mangels muss er durch Arbeit, Mühe und Leistung seinen Unterhalt beschaffen. Schon in der Genesis heißt es: »Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot verdienen«. Arbeit bedeutet jedoch mehr, wie Konfuzius zum Ausdruck brachte: »Wähle eine Arbeit, die du liebst und du wirst niemals wieder einen Tag in deinem Leben arbeiten«. Denn Arbeit ist auch Sinnstiftung, Erfüllung und soziale Verknüpfung. So wichtig die vita activa ist, darf die Bedeutung der vita contemplativa nicht außer Acht gelassen werden – die aber nicht mit Untätigkeit oder Faulheit verwechselt werden darf.

Jahrtausende lebte der Durchschnitt der Menschen in Armut. Dies hat sich erst in den letzten hundert Jahren durch Industrialisierung und Wohlfahrtsstaat geändert, also durch Arbeit. Doch immer gab es auch utopische Träume von einem paradiesischen Leben, von Thomas Morus bis zu John Maynard Keynes und aktuellen Träumen.

Arbeitsbedingungen, Arbeitsformen und Arbeitswelt haben sich immer wieder grundlegend verändert. Ein solcher Wandel ist mit dem digitalen Zeitalter im Gang. Es geht um Plattformökonomie und um die Zusammenarbeit von Menschen mit Maschinen – Computer, Internet, Algorithmen und künstlicher Intelligenz. Es geht also um völlig neue Tätigkeitsformen. Die Abschaffung der Arbeit muss wohl Utopie bleiben.

Dr. Hannes Androsch

1

Die große Resignation: Was wir zurücklassen

»Work isn’t working«, titelte die britische Tageszeitung THE GUARDIAN im März 2022. Zwei Jahre Coronapandemie und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 hatten zu Preissteigerungen geführt, die für viele Menschen die sprichwörtliche Wahl zwischen eat or heat – also essen oder heizen – zur Realität werden ließen. Schon vor den Preissteigerungen der vorangegangenen Monate hatten die Arbeitnehmer*innen vom Kuchen steigender Produktivität und wachsenden Wohlstandes nur ein kleines Stück bekommen. In den vergangenen drei Jahrzehnten haben die Löhne in der gesamten industrialisierten Welt mit den Produktivitätsgewinnen und den Renditen auf Kapitalvermögen nicht mehr Schritt gehalten.

Zum Teil wurden die Löhne mit dem Argument niedrig gehalten, dies würde die Wettbewerbsfähigkeit von Standorten steigern. Zudem hieß es, man wolle mit dieser Strategie die Arbeitslosigkeit eindämmen – ein Argument, das bei vielen Menschen auf offene Ohren stieß. Vor Arbeitslosigkeit hat man Angst. Neben den finanziellen Folgen, die Arbeitslosigkeit nach sich zieht, ist sie auch gesellschaftlich stark negativ konnotiert. Wer arbeitslos ist, steht unter dem Verdacht, nicht arbeiten zu wollen, seinen Beitrag nicht zu leisten. Auch wegen der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung in vielen Branchen wird den Beschäftigten die Rute ins Fenster gestellt, ihre Arbeitskraft würde künftig vielleicht nicht mehr gebraucht werden – wenn sie sich nicht darum kümmern, durch neue Fähigkeiten wettbewerbsfähig zu sein.

Trotz des viel beklagten Arbeitskräftemangels in weiten Teilen der industrialisierten Welt stehen viele Erwerbstätige unter Druck. Häufig reicht das Einkommen aus der Erwerbsarbeit nicht aus, um alle Rechnungen zu bezahlen. Andere haben gar kein reguläres Arbeitsverhältnis, sondern arbeiten als Scheinselbstständige oder in anderen Konstruktionen, die dazu dienen, Arbeitnehmerrechte zu umgehen. Für manche hingegen ist die Arbeit so stressig, dass sie sie krank macht. Machen eine Erkrankung oder andere Umstände die reguläre Arbeit zu fixen Zeiten schwierig oder unmöglich, ist man außerdem überhaupt kaum mehr »vermittelbar«.

Gängigen Narrativen zum Trotz sind an diesen Problemen jedoch nicht die Roboter oder die Digitalisierung schuld. Zu verantworten hat es eine Politik, die diese Missstände möglich gemacht hat. Selbst viele Menschen, die 40 Stunden in der Woche arbeiten, können von ihrem Einkommen ihren Lebensunterhalt nur kaum oder gar nicht mehr bestreiten. Diese Entwicklung ist ein Schlag ins Gesicht jener Menschen, die mit der Überzeugung aufgewachsen sind, Leistung lohne sich. Wer in der Schule brav lernt, eine solide Ausbildung macht und hart arbeitet, der ist am Ende auch gut abgesichert. So heißt es – aber so ist es leider nicht. Work isn’t working. Warum nicht?

Wie so oft im Leben sieht man Dinge am klarsten, wenn man auf ihre extremsten Erscheinungsformen blickt. Werfen wir einen Blick in die Vereinigten Staaten, wo die Einkommensschere besonders weit auseinanderklafft. Und wo Arbeitnehmerrechte und auch soziale Absicherung bekanntlich weniger entwickelt sind als in Europa. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Die viel besungene amerikanische Mittelschicht schrumpft rasch. Zur Mittelschicht gehört man in den USA, wenn das jährliche Haushaltseinkommen zwischen zwei Drittel des landesweiten Medianeinkommens bis hin zum doppelten Medianeinkommen beträgt.1 Wenn beispielsweise das mediane Haushaltseinkommen bei 67.521 Dollar liegt – wie dies 2020 der Fall war –, dann wurden jene, deren Haushaltseinkommen zwischen rund 45.000 und 135.000 Dollar lagen, der Mittelschicht zugerechnet. Waren Anfang der 1970er-Jahre noch über 60 Prozent der Bevölkerung Teil der Mittelschicht, so waren es 2019 nur noch 51 Prozent. Das bedeutet, dass ganze 50 Millionen US-Bürger*innen in den vergangenen 60 Jahren aus der Mittelschicht in die Armut abgerutscht sind (der Bevölkerungsanstieg der vergangenen Jahrzehnte ist dabei mitberücksichtigt). Und diese Tendenz verstärkt sich, weil die hohen Einkommen weiter wachsen, während die mittleren und niedrigen Einkommen sinken. Kurz gesagt: Ein immer größerer Teil des Wohlstandskuchens geht an die Reichen.2

Die amerikanische Journalistin Jessica Bruder schrieb 2017 ein Buch – »Nomadland« – über jene Lebenslüge, mit der Generationen von Menschen in den Vereinigten Staaten aufgewachsen sind: Nämlich, dass es in ihren Händen liegt, ob sie es schaffen oder nicht. Dass sie nur hart genug arbeiten müssen, um am Ende abgesichert zu sein. Millionen von Menschen haben einen Kredit für ihr Studium oder für die Ausbildung der Kinder aufgenommen oder mit viel Arbeit und unter großen Entbehrungen ein Haus oder eine Wohnung gekauft. All das taten sie, weil sie annahmen, sie würden ihren Lebensabend gut abgesichert verbringen können. Sie würden zwar nicht in Saus und Braus leben, aber doch ein eigenes Dach über dem Kopf haben, Ersparnisse für die Ausbildung der Kinder und möglicherweise auch genug Geld, um nicht bankrott zu gehen, wenn sie von Krankheit, einer Trennung oder anderen Lebenskrisen betroffen sind.

Wer in der Schule brav lernt, eine solide Ausbildung macht und hart arbeitet, der ist am Ende auch gut abgesichert. So heißt es – aber so ist es leider nicht.

Work isn’t working. Warum nicht?

Bruder beschreibt in ihrem Buch das Leben jener Menschen, für die diese Rechnung nicht aufgegangen ist. Sie erzählt etwa von einem 67-jährigen ehemaligen Taxifahrer aus San Francisco, der trotz seines fortgeschrittenen Alters zwölf Stunden am Tag bei Minusgraden bei der jährlichen Zuckerrübenernte in Minnesota schuftet. Oder von einem 66-jährigen ehemaligen Unternehmer, der seinen Lebensabend als Arbeiter in einem Amazon-Lager verbringt, wo er pro Schicht jeden Tag fast 20 Kilometer laufen muss (wenn er das nicht schafft, droht die Kündigung). Oder von der 64-jährigen Linda, die in einem winzigen Wohnwagen auf einem Campingplatz lebt, wo sie als eine Art Platzwartin Gäste empfängt und die Anlage reinigt, oft 14 Stunden am Tag. Viele der Jobs, die diese Menschen ausüben, sind saisongebunden. Wenn sie nicht mehr gebraucht werden, fahren diese Frauen und Männer weiter durchs Land bis zum nächsten Ort, an dem es Jobs für sie gibt. Ihre Autos, Wohnwagen oder Wohnmobile sind ihr Zuhause. Ihr Haus und ihren Traum vom Ruhestand haben sie aufgegeben, weil sie ihren Job, ihr Unternehmen oder den Traum von einer kleinen Rente verloren haben und sich die Kreditraten ihrer Wohnung oder ihres Hauses nicht mehr leisten konnten.

Und weil es so viele Menschen sind, denen es so ergeht, haben einige Unternehmen einen Weg gefunden, auch daraus Profit zu schlagen. Sie haben spezielle Programme für diese Gruppen geschaffen. Das »CamperForce«-Programm von Amazon dient beispielsweise dazu, älteren Arbeitskräften »eine Chance« zu geben, wie das Unternehmen es ausdrückt.3 Auf der Website des Programms lacht einem eine glücklich aussehende Dame entgegen, die in entspannter Haltung in einer Lagerhalle steht. »Sie möchten das Leben unterwegs weiter genießen?«, steht dort geschrieben. »Schließen Sie sich einem enthusiastischen Team von gleichgesinnten Reisenden und Abenteurern bei Amazon CamperForce an.« Das Unternehmen biete großartige Saisonjobs an einer wachsenden Anzahl von hochmodernen Amazon-Lagerstandorten in den USA an, lauten die Versprechungen auf der Website. »Alles, was Sie tun müssen, ist, sich zu bewerben, Ihren eigenen Platz auf dem Campingplatz zu reservieren, aufzutauchen und Geschichte zu schreiben.«

Die Geschichte, die diese Menschen schreiben, ist eine andere, als die glücklich aussehenden Menschen auf der Website es vermuten lassen. Die Menschen im CamperForce-Programm arbeiten viele Stunden unter krankmachenden Bedingungen. Manche bekommen dafür weniger als den Mindestlohn. Sie haben keine Rentenversicherung und keinen Kündigungsschutz. Die Firma hingegen kann mit diesem Programm ihren erhöhten Bedarf an billigen Arbeitskräften in den Spitzenzeiten decken, wie zum Beispiel in der Vorweihnachtszeit. Es darf vermutet werden, dass sie deshalb so sehr auf ältere Beschäftigte erpicht sind, weil aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen, die diese Firmen bieten, sonst niemand mehr für sie arbeiten will. Was auch immer die Motivation ist: Im Gegenzug für seine »Wohltätigkeit« gegenüber älteren Arbeitnehmer*innen erhält das Unternehmen Steuergutschriften vom Staat.4

Wer die Geschichten dieser Menschen als extreme Situation in einem Land abtun möchte, das sehr wenig mit unserer eigenen Gesellschaft zu tun hat, der blicke nach Europa, wo es vielen Menschen heute ähnlich geht. »Lasst uns nicht vergessen, dass Kapitalismus für alle Scheiße ist«, schrieb die in England lebende Sozialtheoretikerin Jana Bacevic im März 2022 auf Twitter. Der Anlass ihres Tweets war ein Warnstreik der Sicherheitskräfte am Frankfurter Flughafen, die höhere Stundenlöhne forderten.

In Bacevic’ britischer Heimat streikten zu jener Zeit gerade die Hochschulbediensteten; manche schon wochenlang. Der Grund dafür war keineswegs ein Luxusproblem der Eliten. Für viele ging es um die schlichte Existenz: Zwischen 2009 und 2021 waren die Gehälter der Hochschulbeschäftigten um fast ein Viertel gekürzt worden, während immer mehr von ihnen erwartet wurde. In einer Umfrage gab eine von fünf Personen an, im Schnitt ganze 16 Stunden pro Woche mehr zu arbeiten als vertraglich vereinbart – das entspricht zwei ganzen Arbeitstagen.5 Anfang 2022 sagten zwei Drittel der Universitätsangestellten, dass sie ihren Arbeitsplatz an der Universität in den nächsten fünf Jahren verlassen möchten.6 Schlafprobleme, Depressionen und Burn-out kennzeichnen ihren Alltag. Frauen, Angehörige von Minderheiten sowie Personen mit Behinderungen verdienen im Schnitt noch weniger und werden dafür auch noch häufig bei Beförderungen und anderen Karriereentscheidungen diskriminiert.7 2022 drohte den Universitätsangehörigen zu allem Überfluss noch eine Kürzung zukünftiger Pensionsansprüche um 35 Prozent.

Die Streiks im Vereinigten Königreich, die gerade stattfanden, als Bacevic ihren Tweet absetzte, richteten sich gegen die unvermeidlichen Ergebnisse eines jahrzehntelangen Prozesses, in dem sich Universitäten von öffentlichen Institutionen, die sich der Förderung der Wissenschaft und der Bildung junger Generationen verschrieben hatten, in profitorientierte Unternehmen verwandelten. Möglichst viel aus möglichst billigen Arbeitskräften herauszuholen und gleichzeitig die Studiengebühren so hoch wie möglich zu halten ist kein »Zufall«, sondern ihr Geschäftsmodell.

Auch wenn die Privatisierung öffentlicher Güter hierzulande noch nicht so weit fortgeschritten ist wie im Vereinigten Königreich, so liegt auch in Deutschland und Österreich vieles im Argen.