Wolf – Black Dagger Prison Camp 2 - J. R. Ward - E-Book
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Wolf – Black Dagger Prison Camp 2 E-Book

J. R. Ward

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Beschreibung

Der attraktive Wolven Lucan arbeitet als Drogendealer. Nicht ganz freiwillig allerdings, und so ganz ungefährlich ist sein Job auch nicht, denn er schmuggelt die Drogen heimlich für das berühmt-berüchtigte Hochsicherheitsgefängnis der Glymera. Dort begegnet er eines Tages der hinreißenden Rio, der Stellvertreterin des mächtigen Drogenbosses Mozart. Als ein Deal schief geht, und Rio in tödliche Gefahr gerät, ist es an Lucan, die Frau zu retten, die er nicht mehr vergessen kann ...

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Seitenzahl: 604

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Das Buch

Tief verborgen unter der Erde lag das berühmt-berüchtigte Gefängnis der Glymera. Doch nach einem fatalen Aufstand und dem Tod des Gefängnisaufsehers Command wurde die Anstalt aufgelöst. Frei sind die Gefangenen deshalb noch lange nicht. Ein mächtiger Drogenboss hat sie in seine Gewalt gebracht und zwingt sie, seinen Stoff zu vertreiben. So auch den attraktiven Halb-Wolven Lucan, der einst aufgrund seiner Abstammung im Prison Camp landete. Als er eines Nachts auf Drogenmission in Caldwell unterwegs ist, begegnet er der toughen Dealerin Rio, die eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn ausübt. Dann wird Rio schwer verletzt. Nicht ahnend, dass sie undercover für das Caldwell Police Department arbeitet, nimmt Lucan Rio mit ins Prison Camp, wo sie einander schnell näherkommen. Doch bevor aus brennender Begierde wahre Liebe werden kann, müssen die beiden erst einmal um ihr Leben kämpfen …

Die Autorin

J. R. WARD begann bereits während des Studiums mit dem Schreiben. Nach dem

Hochschulabschluss veröffentlichte sie die BLACK DAGGER-Serie, die in kürzester

Zeit die internationalen Bestsellerlisten eroberte. Die Autorin lebt mit ihrem Mann in Kentucky und gilt seit dem überragenden Erfolg der Serie als Star der romantischen Mystery.

Mehr über Autorin und Werk erfahren Sie auf: www.jrward.com

Ein ausführliches Werkverzeichnis der im Heyne Verlag von J. R. Ward erschienenen Bücher finden Sie am Ende des Bandes.

Titel der amerikanischen Originalausgabe THE WOLF – BLACK DAGGER PRISON CAMP Deutsche Übersetzung von Franziska Brück

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Deutsche Erstausgabe 08/2022 

Redaktion: Anneliese Schmidt

Copyright © 2021 by Love Conquers All, Inc.

Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe und

der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Dirk Schulz, Bielefeld,

unter Verwendung eines Motivs von Peter Lott

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-28789-4V001

www.heyne.de

Einem wundervollen Paar gewidmet, das eine gemeinsame Zukunft verdient hat, Kämpfernaturen durch und durch.

Danksagung

Ein großes Dankeschön geht an all die Leser der Black-Dagger-Bücher! Es war und ist weiterhin eine lange, wundervolle, aufregende Reise, und ich kann es nicht erwarten herauszufinden, was als Nächstes in dieser Welt geschehen wird, die wir alle so sehr lieben. Ich danke außerdem Meg Ruley, Rebecca Scherer und allen anderen bei JRA und Hannah Braaten, Andrew Nguyen, Jennifer Bergstrom, Jennifer Long und der gesamten Gallery-Books- und Simon-&-Schuster-Familie.

Team Waud, ich liebe euch alle. Aufrichtig. Und wie immer geschieht alles, was ich tue, aus Liebe und Leidenschaft für sowohl meine Herkunftsfamilie als auch meine Adoptivfamilie.

Oh, und mein besonderer Dank gilt Naamah, meinem WriterAssistant Nummer zwei, der genauso hart an meinen Büchern arbeitet wie ich – und Archiball!

Glossar der Begriffe und Eigennamen

 Ahstrux nohtrum – Persönlicher Leibwächter mit Lizenz zum Töten, der vom König ernannt wird.

 Die Auserwählten – Vampirinnen, deren Aufgabe es ist, der Jungfrau der Schrift zu dienen. In der Vergangenheit waren sie eher spirituell als weltlich orientiert, doch das hat sich mit dem Aufstieg des letzten Primal geändert, der sie aus dem Heiligtum befreite. Nachdem sich die Jungfrau der Schrift aus ihrer Rolle zurückgezogen hat, sind sie völlig autonom und leben auf der Erde. Doch noch immer nähren sie alleinstehende Brüder und solche, die sich nicht von ihren Shellans nähren können, sowie verletzte Kämpfer mit ihrem Blut.

 Bannung – Status, der einer Vampirin der Aristokratie auf Gesuch ihrer Familie durch den König auferlegt werden kann. Unterstellt die Vampirin der alleinigen Aufsicht ihres Hüters, üblicherweise der älteste Mann des Haushalts. Ihr Hüter besitzt damit das gesetzlich verbriefte Recht, sämtliche Aspekte ihres Lebens zu bestimmen und nach eigenem Gutdünken jeglichen Umgang zwischen ihr und der Außenwelt zu regulieren.

 Die Bruderschaft der Black Dagger – Die Brüder des Schwarzen Dolches. Speziell ausgebildete Vampirkrieger, die ihre Spezies vor der Gesellschaft der Lesser beschützen. Infolge sorgfältiger Auswahl der Fortpflanzungspartner besitzen die Brüder ungeheure physische und mentale Stärke sowie die Fähigkeit zur extrem raschen Heilung. Die meisten von ihnen sind keine leiblichen Geschwister; neue Anwärter werden von den anderen Brüdern vorgeschlagen und daraufhin in die Bruderschaft aufgenommen. Die Mitglieder der Bruderschaft sind Einzelgänger, aggressiv und verschlossen. Sie pflegen wenig Kontakt zu Menschen und anderen Vampiren, außer um Blut zu trinken. Viele Legenden ranken sich um diese Krieger, und sie werden von ihresgleichen mit höchster Ehrfurcht behandelt. Sie können getötet werden, aber nur durch sehr schwere Wunden wie zum Beispiel eine Kugel oder einen Messerstich ins Herz.

 Blutsklave – Männlicher oder weiblicher Vampir, der unterworfen wurde, um das Blutbedürfnis eines anderen zu stillen. Die Haltung von Blutsklaven wurde vor Kurzem gesetzlich verboten.

 Chrih – Symbol des ehrenhaften Todes in der alten Sprache.

 Dhunhd – Hölle.

 Doggen – Angehörige(r) der Dienerklasse innerhalb der Vampirwelt. Doggen pflegen im Dienst an ihrer Herrschaft altertümliche, konservative Sitten und folgen einem formellen Bekleidungs- und Verhaltenskodex. Sie können tagsüber aus dem Haus gehen, altern aber relativ rasch. Die Lebenserwartung liegt bei etwa fünfhundert Jahren.

 Ehros – Eine Auserwählte, die speziell in der Liebeskunst ausgebildet wurde.

 Exhile Dhoble – Der böse oder verfluchte Zwilling, derjenige, der als Zweiter geboren wird.

 Gesellschaft der Lesser – Orden von Vampirjägern, der von Omega zum Zwecke der Auslöschung der Vampirspezies gegründet wurde.

 Glymera – Das soziale Herzstück der Aristokratie, sozusagen die »oberen Zehntausend« unter den Vampiren.

 Gruft – Heiliges Gewölbe der Bruderschaft der Black Dagger. Sowohl Ort für zeremonielle Handlungen als auch Aufbewahrungsort für die erbeuteten Kanopen der Lesser. Hier werden unter anderem Aufnahmerituale, Begräbnisse und Disziplinarmaßnahmen gegen Brüder durchgeführt. Niemand außer Angehörigen der Bruderschaft, der Jungfrau der Schrift und Aspiranten hat Zutritt zur Gruft.

 Hellren – Männlicher Vampir, der eine Partnerschaft mit einer Vampirin eingegangen ist. Männliche Vampire können mehr als eine Vampirin als Partnerin nehmen.

 Hohe Familie – König und Königin der Vampire sowie all ihre Kinder.

 Hüter – Vormund eines Vampirs oder einer Vampirin. Hüter können unterschiedlich viel Autorität besitzen, die größte Macht übt der Hüter einer gebannten Vampirin aus.

 Hyslop – Aussetzer im Urteilsvermögen, der klassischerweise zur Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit oder dem Abhandenkommen eines Fahrzeugs führt. Wenn zum Beispiel jemand den Zündschlüssel stecken lässt, während das Auto über Nacht vor dem Haus parkt, und besagtes Versehen in unerlaubten Spritztouren Dritter resultiert, so ist dies ein Hyslop.

 Jungfrau der Schrift – Mystische Macht, die dem König bis in jüngste Zeit als Beraterin diente sowie die Vampirarchive hütete und Privilegien erteilte. Existierte in einer jenseitigen Sphäre und besaß umfangreiche Kräfte. Gab ihre Stellung zugunsten einer Nachfolge auf. Hatte die Befähigung zu einem einzigen Schöpfungsakt, den sie zur Erschaffung der Vampire nutzte.

 Leahdyre – Eine mächtige und einflussreiche Person.

 Lesser – Ein seiner Seele beraubter Mensch, der als Mitglied der Gesellschaft der Lesser Jagd auf Vampire macht, um sie auszurotten. Die Lesser müssen durch einen Stich in die Brust getötet werden. Sie altern nicht, essen und trinken nicht und sind impotent. Im Laufe der Jahre verlieren ihre Haare, Haut und Iris ihre Pigmentierung, bis sie blond, bleich und weißäugig sind. Sie riechen nach Talkum. Aufgenommen in die Gesellschaft werden sie durch Omega. Daraufhin erhalten sie ihre Kanope, ein Keramikgefäß, in dem sie ihr aus der Brust entferntes Herz aufbewahren.

 Lewlhen – Geschenk.

 Lheage – Respektsbezeichnung einer sexuell devoten Person gegenüber einem dominanten Partner.

 Lhenihan – ein mystisches Biest, bekannt für seine sexuelle Leistungsfähigkeit. In modernem Slang bezieht es sich auf einen Vampir von immenser Größe und sexueller Ausdauer.

 Lielan – Ein Kosewort, frei übersetzt in etwa »mein Liebstes«.

 Lys – Folterwerkzeug zur Entnahme von Augen.

 Mahmen – Mutter. Dient sowohl als Bezeichnung als auch als Anrede und Kosewort.

 Mhis – Die Verhüllung eines Ortes oder einer Gegend; die Schaffung einer Illusion.

 Nalla oder Nallum – Kosewort. In etwa »Geliebte(r)«.

 Novizin – Eine Jungfrau.

 Omega – Unheilvolle mystische Gestalt, die sich aus Groll gegen die Jungfrau der Schrift die Ausrottung der Vampire zum Ziel gesetzt hat. Existiert in einer jenseitigen Sphäre und hat weitreichende Kräfte, wenn auch nicht die Kraft zur Schöpfung.

 Phearsom – Begriff, der sich auf die Funktionstüchtigkeit der männlichen Geschlechtsorgane bezieht. Die wörtliche Übersetzung lautet in etwa »würdig, in eine Frau einzudringen«.

 Princeps – Höchste Stufe der Vampiraristokratie, untergeben nur den Mitgliedern der Hohen Familie und den Auserwählten der Jungfrau der Schrift. Dieser Titel wird vererbt; er kann nicht verliehen werden.

 Pyrokant – Bezeichnet die entscheidende Schwachstelle eines Individuums, sozusagen seine Achillesferse. Diese Schwachstelle kann innerlich sein, wie zum Beispiel eine Sucht, oder äußerlich, wie ein geliebter Mensch.

 Rahlman – Retter.

 Rythos – Rituelle Prozedur, um verlorene Ehre wiederherzustellen. Der Rythos wird von dem Vampir gewährt, der einen anderen beleidigt hat. Wird er angenommen, wählt der Gekränkte eine Waffe und tritt damit dem unbewaffneten Schuldigen entgegen.

 Schleier – Jenseitige Sphäre, in der die Toten wieder mit ihrer Familie und ihren Freunden zusammentreffen und die Ewigkeit verbringen.

 Shellan – Vampirin, die eine Partnerschaft mit einem Vampir eingegangen ist. Vampirinnen nehmen sich in der Regel nicht mehr als einen Partner, da gebundene männliche Vampire ein ausgeprägtes Revierverhalten zeigen.

 Symphath – Eigene Spezies der Vampire, deren Merkmale die Fähigkeit und das Verlangen sind, Gefühle in anderen zu manipulieren (zum Zwecke eines Energieaustauschs). Historisch wurden Symphathen oft mit Misstrauen betrachtet und in bestimmten Epochen auch von den anderen Vampiren gejagt. Sind heute nahezu ausgestorben.

 Talhman – Die böse Seite eines Vampirs. Ein dunkler Fleck auf der Seele, der ans Licht drängt, wenn er nicht ganz ausgelöscht wird.

 Trahyner – Respekts- und Zuneigungsbezeichnung unter männlichen Vampiren. Bedeutet ungefähr »geliebter Freund«.

 Transition – Entscheidender Moment im Leben eines Vampirs, wenn er oder sie ins Erwachsenenleben eintritt. Ab diesem Punkt müssen sie das Blut des jeweils anderen Geschlechts trinken, um zu überleben, und vertragen kein Sonnenlicht mehr. Findet normalerweise mit etwa Mitte zwanzig statt. Manche Vampire überleben ihre Transition nicht, vor allem männliche Vampire. Vor ihrer Transition sind Vampire von schwächlicher Konstitution und sexuell unreif und desinteressiert. Außerdem können sie sich noch nicht dematerialisieren.

 Triebigkeit – Fruchtbare Phase einer Vampirin. Üblicherweise dauert sie zwei Tage und wird von heftigem sexuellem Verlangen begleitet. Zum ersten Mal tritt sie etwa fünf Jahre nach der Transition eines weiblichen Vampirs auf, danach im Abstand von etwa zehn Jahren. Alle männlichen Vampire reagieren bis zu einem gewissen Grad auf eine triebige Vampirin, deshalb ist dies eine gefährliche Zeit. Zwischen konkurrierenden männlichen Vampiren können Konflikte und Kämpfe ausbrechen, besonders wenn die Vampirin keinen Partner hat.

 Vampir – Angehöriger einer gesonderten Spezies neben dem Homo sapiens. Vampire sind darauf angewiesen, das Blut des jeweils anderen Geschlechts zu trinken. Menschliches Blut kann ihnen zwar auch das Überleben sichern, aber die daraus gewonnene Kraft hält nicht lange vor. Nach ihrer Transition, die üblicherweise etwa mit Mitte zwanzig stattfindet, dürfen sie sich nicht mehr dem Sonnenlicht aussetzen und müssen sich in regelmäßigen Abständen aus der Vene ernähren. Entgegen einer weitverbreiteten Annahme können Vampire Menschen nicht durch einen Biss oder eine Blutübertragung »verwandeln«; in seltenen Fällen aber können sich die beiden Spezies zusammen fortpflanzen. Vampire können sich nach Belieben dematerialisieren, dazu müssen sie aber vollkommen ruhig werden und sich konzentrieren; außerdem dürfen sie nichts Schweres bei sich tragen. Sie können Menschen ihre Erinnerung nehmen, allerdings nur, solange diese Erinnerungen im Kurzzeitgedächtnis abgespeichert sind. Manche Vampire können auch Gedanken lesen. Die Lebenserwartung liegt bei über eintausend Jahren, in manchen Fällen auch höher.

 Vergeltung – Akt tödlicher Rache, typischerweise ausgeführt von einem Mann im Dienste seiner Liebe.

 Wanderer – Ein Verstorbener, der aus dem Schleier zu den Lebenden zurückgekehrt ist. Wanderern wird großer Respekt entgegengebracht, und sie werden für das, was sie durchmachen mussten, verehrt.

 Whard – Entspricht einem Patenonkel oder einer Patentante.

 Zwiestreit – Konflikt zwischen zwei männlichen Vampiren, die Rivalen um die Gunst einer Vampirin sind.

Willow Hills SanatoriumConnelly, New York

Es war ein stürmischer Halloween-Abend, als sich zwei Jungs, dreizehn und dreizehn drei viertel, durch das Loch eines Maschendrahtzaunes zwängten, der mit mehreren Betreten-verboten-Schildern versehen war. Der Junge, der acht Monate älter war, verfing sich mit seiner Jacke an einem rostigen Draht, und das reißende Geräusch bedeutete eine Woche ohne sein iPad. Mindestens.

»Verdammt«, sagte Tiller, als er an der verbogenen Masche zog.

»Komm schon. Lass es uns hinter uns bringen.«

Er hätte Gordo nicht mitbringen sollen, aber Isaac war krank und Mark hatte Hausarrest wegen dem, was sie am letzten Wochenende getan hatten. Dämliches Feuer. Sie hatten nicht gewollt, dass es so groß wird, und jetzt war wenigstens der Blätterhaufen weg, und der verbrannte Rasen im Vorgarten der Thompsons würde nachwachsen.

Als der Regen stärker wurde, kam Gordo zu ihm und zerrte an der Jacke. »Zieh sie aus.«

»Schon dabei.«

Tiller drückte seinem Kumpel sein Geisterjäger-Equipment in die Arme und wand sich aus dem Ärmel. Dann packte er ihn mit beiden Händen und zog, so fest er konnte.

Die Jacke löste sich so plötzlich, dass er auf dem Hintern landete. Er war voller Schlamm und bekam Regen in die Augen. »Fuck!«

Gordo beugte sich über ihn. »Ich muss vor Mitternacht zurück sein.«

Er glaubte wohl, Tiller würde hier rumhängen, bis seine Sachen von selbst getrocknet waren. Irgendwann nächste Woche.

»Entspann dich.« Er erhob sich. Er schüttelte die Jacke aus. Klopfte sich seine Jeans sauber. »Hast du etwa Schiss?«

»Nein, Blödmann. Aber wir müssen in einer Stunde online sein.«

»Wenn du meinst.«

Der Kerl log. Natürlich hatte er Schiss. Weswegen er auch die dritte Wahl gewesen war, als Tiller klar geworden war, dass er es nicht allein packen würde.

Natürlich war er selbst kein bisschen nervös oder so. Nicht im Geringsten.

Die Jacke um die Hüfte gebunden, fühlte er sich, als würde er einen riesigen nassen Küchenschwamm tragen, doch als er sich umsah, vergaß er Kälte und Nässe. Die Bäume trugen keine Blätter mehr an ihren krallenartigen Ästen, und die Sträucher mit ihren krummen, fingerähnlichen Zweigen wollten es dem Zaun scheinbar mit vergifteten Dornen gleichtun.

Über ihren Köpfen zuckte ein Blitz auf.

Zum Glück machte auch Gordo einen Satz.

»Wo ist das Haus?«

»Hier oben«, sagte Tiller, auch wenn er keine Ahnung hatte, wohin sie gingen.

Als sie ihren Weg fortsetzten, überließ er Gordo die Nachtsichtkamera und den EVP-Rekorder. Je tiefer sie auf das Grundstück vordrangen, desto stärker wurde sein Bedürfnis, einfach schnell dieses Video zu drehen, es an die Chatgruppe der Siebtklässler zu schicken und mit dem Scheiß hier fertig zu werden.

»Wie weit ist es?«

»Nicht weit.«

Nur, dass der Weg sich scheinbar endlos zog und die Wand aus Bäumen sich um sie zu schließen schien und auch Tiller selbst immer weniger daran glaubte. Also warf er das EMF-Messgerät auf seinem Handy an und schwang den Sensor herum. Das piepsende Geräusch erinnerte ihn an den U-Boot-Film, den sein Vater immer so gern schaute, den mit diesem Typen, Stewart Seagal oder so ähnlich. Die Geisterjäger-App, die er sich kostenlos installiert hatte, war ein guter Taschenlampenersatz.

Das Heulen kam von rechts. Und es war laut und lang gezogen. Und es klang nicht bloß wie ein Hund, nicht einmal wie ein Deutscher Schäferhund oder ein Rottweiler. Was auch immer dieses Geräusch verursachte, es war viel größer.

Tiller griff nach Gordo, doch der Kleine tat genau das Gleiche, also war auch Tiller kein Weichei. Als sein Handy in seiner Hand vibrierte, ließ er es beinahe fallen. Was einen Monat ohne sein iPad bedeuten würde.

»Ich will nach Hause.«

Gordo klang wie ein verdammtes Baby. Außer dass auch Tiller – ja, doch – ganz dringend zu seiner Mama wollte. Was er sicher nicht laut sagen würde.

»Das kommt vom Band«, platzte er heraus.

»Was?«

Tiller schüttelte den Kleinen von sich ab. »Na, wie sie es in Spukhäusern machen, um den Leuten Angst zu machen. Das war nicht echt. Komm schon, als gäbe es hier auf dem Gelände Wölfe!«

»Du glaubst, da sind Lautsprecher in den Bäumen?«

»Geh einfach weiter. Himmel.«

Tiller hob erneut das Handy, denn es musste so aussehen, als hätte er alles unter Kontrolle. Ansonsten würde er Gordo verlieren und müsste allein weitermachen. Und er würde das Video sicher nicht nicht abschicken.

»Ich bin raus«, verkündete Gordo.

Tiller drehte sich um und ging ein Stück zu dem Kleinen zurück. »Willst du etwa wie ein Idiot dastehen, nachdem wir im Sommer nicht in diesen Steinbruch gesprungen sind?« Gordo und er hätten sich damals einfach trauen sollen. Dann wären sie jetzt nicht hier. »Wir haben ihnen die Aufzeichnung versprochen, und sie werden die Aufzeichnung bekommen. Außerdem wird gar nichts passieren.«

Er griff Gordo am Arm und zog ihn mit sich weiter. Sie quietschten beide und duckten sich, als wieder ein Blitz aufzuckte. Tiller erholte sich als Erster und hielt den Kleinen weiterhin gepackt. Auf keinen Fall würde er diesen Schutzschild einfach aufgeben. Wenn etwas schiefgehen sollte, wäre er schneller als Gordo. Es war wie in Zombieland.

Regel #1: Cardio …

»Siehst du?«, sagte Tiller. »Da drüben ist es.«

Seine Füße blieben stehen, obwohl er ihnen den Befehl gegeben hatte weiterzugehen. Und Gordo erhob keinen Einspruch.

Als Donner über den dunklen Himmel grollte, erhellte ein erneuter Blitz das vor ihnen liegende Bauwerk, und das Willow Hills Sanatorium wurde schlagartig viel zu real. Das verfallene Gebäude war doppelt so groß wie ihre Schule. Es hatte fünf Stockwerke und zwei seitliche Flügel. Durch die zerbrochenen Fensterscheiben, die kaputten Fensterläden und die hässlichen Flecken, die vom Dach bis nach unten ans Unkraut reichten, wirkte der Ort wie verflucht.

Und vielleicht stimmte das ja auch, dachte Tiller, während er die leeren Augenhöhlen der hoch aufragenden Wand des Hauptgebäudes betrachtete.

»Was ist das?«, murmelte Gordo.

»Was ist was?« Gott, er hätte ihn nicht … na gut, er hätte gar nicht erst hierherkommen sollen. »Was ist dein Problem?«

Gordo schüttelte den Kopf. So versteinert, wie er dastand, in seinem Minecraft-Sweatshirt, mit den zerzausten braunen Haaren und den verängstigten Augen, erinnerte er Tiller an einen in den Boden gerammten Zaunpfahl.

Der Kleine sah nicht zum Gebäude.

»Da drüben ist etwas.« Gordo hob den Arm und deutete auf die Stelle. »Da sind Augen zwischen den Bäumen.«

Tiller schwang herum … und da waren sie. Zwei gelbe Augen glühten in den Schatten.

»Scheiß drauf«, schrie Gordo, ließ das gesamte Equipment fallen und nahm Reißaus.

Tiller blieb für eine Sekunde wie erstarrt stehen, sein Körper unfähig, sich zu bewegen. Doch dann ertönte das leise Knurren und versprach scharfe Reißzähne und blutige Stümpfe und …

Tiller stolperte über seine eigenen Füße, als er begann zurückzuweichen, und als er hart auf dem Boden aufschlug, ließ er sein Handy fallen. Doch darüber konnte er sich jetzt keine Sorgen machen. Als er mit einem Satz wieder aufsprang, rannte er, als hinge sein Leben davon ab, weil es das verflucht noch mal auch tat, und es interessierte ihn nicht, wie lange er Hausarrest bekommen würde oder wie viele Wochenenden er seinem Dad bei der Gartenarbeit helfen musste, um das Geld für ein neues iPhone zusammenzubekommen.

Er wollte es nur nach Hause schaffen, ohne zu sterben.

Also rannte er. Rannte, so schnell er nur konnte, zurück zum Zaun, zu dem Loch in den Metallwindungen. Zurück zu seinen Freunden. Zurück nach Hause, wo keine Wölfe heulten und knurrten und Kinder keine Wagnisse eingingen, die sie, gemeinsam mit den sieben ängstlichsten Jungs der gesamten Nachbarschaft, an Halloween an Orte führte, an denen es spukte.

Infolge des hektischen Aufbruchs verstummte das Knurren zwischen den kahlen Bäumen. Dann war kurz nichts mehr zu hören, dann folgten ein knackendes Geräusch, ein Knurren und ein den Boden bedeckendes Schlurfen, das sofort von dem erneuten, trägen Grollen des Donners übertönt wurde.

Einen Augenblick später lief ein Paar nackter, schlammiger Füße zu dem S8, eine menschenähnliche Hand streckte sich danach und hob das Handy auf. Die Geisterjäger-App piepste wie wild, und als der Wolven den Sensor auf sich selbst richtete, blinkte das verdammte Ding wie ein Weihnachtsbaum und heulte warnend auf.

Der Mann kicherte.

Bis eine bedrohliche, weibliche Stimme hinter ihm sagte: »Müsstest du jetzt nicht irgendwo unten in Caldwell sein?«

Der Wolven blickte über die Schulter und ließ seine Reißzähne aufblitzen, die so weiß wie ein Leichentuch und so scharf wie chirurgische Instrumente waren. »Ich geh ja schon.«

»Ich will nur, dass du auch pünktlich bist. Du weißt, was für dich auf dem Spiel steht.«

»Ja«, war seine gemurmelte Antwort. »Du hast ja recht.«

Trade & 29th StreetsCaldwell, New York

Ainhoa Fiorela Maite Hernandez-Guerrero wusste, dass sie in der Gasse beobachtet wurde. Während sie im Schatten einer Feuerleiter stand, spürte sie den Blick auf sich und schob die Hand in die Tasche ihrer Lederjacke. Die Neunmillimeter war klein genug, um sie zu verstecken, und tödlich genug, um sich mit ihr zu verteidigen.

Was konnte man sich von einer Waffe mehr wünschen.

Sie sah sich um und erkannte, dass sie auf gefährliche Weise allein war. Es waren schon Menschen anwesend, sie konnte nur niemandem trauen, der …

Spaz kam um die Ecke in die Gasse geschlurft, seine Cabanjacke war so schmutzig und seine Jeans so fadenscheinig, dass er mit Klamotten von der Müllhalde besser ausgesehen hätte. Der Mann war erst Mitte zwanzig, doch sein Leben auf Droge war sein nicht biologischer Krebs, der seinen Geist fraß und aus ihm eine bloße Hülle machte.

Bis selbst die Sucht die Hülle irgendwann nicht mehr am Leben erhalten konnte.

»Hey, Rio, hast du was für mich?«, fragte er.

Sie sah kurz hinter sich und betete, dass der Zulieferer und Kontaktmann, mit dem sie verabredet war, sich verspäten würde. »Nichts dabei, nein.«

»Also, Rio, hör zu, du musst mir Arbeit geben. Ich bin gut, wirklich. Ich hab mich im Griff. Ich meine … Komm schon. Ich kann immer mal wieder was für dich verkaufen.«

Spaz’ wässrige, blutunterlaufene Augen zuckten auf eine Weise hin und her, die sie an Fledermäuse erinnerte. Sein Blick flatterte völlig wirr in der Gasse umher. Sie würde jede Wette eingehen, dass der letzte Moment, in dem er sich wirklich auf etwas konzentriert hatte, der gewesen war, in dem er das erste Mal eine Meth-Pfeife an seine Lippen geführt hatte.

In einem Anflug von Erschöpfung fragte sie: »Glaubst du wirklich, Mozart wüsste nicht, was du letztes Mal mit dem Zeug gemacht hast, das wir dir zum Verkauf gegeben haben?«

»Der Typ hat mich überfallen, hab ich dir vor zwei Tagen schon gesagt. Nachdem er mich erwischt hat, hat er den Scheiß mitgenommen.«

Dreckige Finger hoben ein altes Soundgarden-T-Shirt an, das mehr Löcher als Baumwollfasern besaß. »Schau.«

Sie musste sich nicht nach vorne beugen, um die dünne Linie auf seiner Haut zu sehen. Sie war etwa drei Zentimeter lang, zog sich über seiner Hüfte die Seite hoch und war rot und entzündet.

»Spaz, das sollte sich jemand ansehen.«

»Ich hab keine Krankenversicherung.« Beim Lächeln entblößte er abgebrochene Zähne. »Aber ich könnte eine kriegen. Wenn du mir …«

»Das ist nicht meine Entscheidung. Das weißt du.«

»Dann rede mit Mozart.«

»Er lässt nicht mit sich reden.«

Spaz’ Pingpong spielende Pupillen gerieten in die Nähe ihres Gesichts und pendelten sich dort ein. »Kannst du mir dann etwas Geld geben?«

»Hör zu, ich bin nicht …«

»Ich muss jemandem was zurückzahlen. Du weißt, wie das läuft. Und wenn ich weder die Ware noch das Geld bekomme, werden sie mich …«

In seinem hageren Gesicht stand eine solche Hoffnungslosigkeit, seine Kapitulation vor den unzähligen falschen Entscheidungen, die er unmöglich wiedergutmachen, wahrscheinlich nicht einmal begreifen konnte, sein Leben nichts weiter als ein auf ihn zuschleuderndes Auto, während er an seinen Füßen nichts weiter trug als kaputte Rollschuhe.

»Bei wem hast du Schulden?«, fragte sie.

»Mickie.«

Oh, Scheiße. »Spaz. Du solltest es doch langsam besser wissen.«

»Ich hatte das nicht geplant.«

Rio sah nach links. Sah nach rechts. Sah auf die Uhr. »Ich muss los, ich bin spät dran.«

Nur, dass sie genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Spaz war derjenige, der gehen musste.

»Mickie wird mich umbringen. Nachdem er mich noch eine Weile benutzt hat.«

Sie machte sich nichts vor. Sie würde ihres Lebens nicht mehr froh werden, wenn sie ihm nicht half.

Fluchend trat Rio zwei Schritte vor, hakte sich bei ihm unter und lief los. Nicht einmal einen halben Block später hatte Spaz Schwierigkeiten, Schritt zu halten, obwohl sie nicht viel schneller lief als bei einem Spaziergang.

»Wohin gehen wir, Rio?«

»Komm einfach mit.«

»Ah, Rio. Du willst mich doch nicht wieder in das Heim bringen?«

»Das werde ich ganz sicher.«

Als ein Blitz über den Himmel züngelte, sah sie auf – und erwartete fast einen Meteor, der es auf ihren Kopf abgesehen hatte, einen Feuerball, der sie jagte, allein sie, und aus dem armen, verzweifelten, sterbenden Spaz einen Kollateralschaden der ihr vorbestimmten Zerstörung machte.

Doch nein, es war bloß ein durchgeknalltes Gewitter in dieser Halloween-Nacht, das kurz davor war, Caldwell Wind und Regen und Himmelselektrizität um die Ohren zu schlagen.

»Du passt immer auf mich auf.« Spaz legte seinen Kopf auf ihre Schulter. »Danke. Gut, dich als Freundin zu haben.«

Sie schloss kurz die Augen, als sie mit ihm um eine Ecke bog, und sah sich dafür zweimal um, bevor sie ihn weiter die Straße entlangführte.

»Gern geschehen, Spaz. Und du solltest besser auf dich aufpassen.«

»Ich weiß, Rio. Ich weiß.«

Vishous, Sohn des Bloodletter, beobachtete, wie die Menschenfrau den Junkie vom Nachtclub wegführte, hinter dem sie gestanden hatte. Da Montag und der Sündenpfuhl geschlossen war, konnte er mit Leichtigkeit ihrem Gespräch folgen, ohne Bass, der im Hintergrund wummerte, ohne umhertorkelnde Betrunkene oder schlaksige Ecstasykonsumenten, die in Grüppchen herumstanden und die Luft mit ihren hirnverbrannten und inhaltslosen Abhandlungen erfüllten.

Der Junkie, der sie angesprochen hatte, gehörte nicht zu Caldie’s Clubmeute. Vielleicht war er einmal Teil davon gewesen, doch er war durch das Netz der hochgradigen Leistungsfähigkeit auf die obdachlose Ebene darunter gefallen. Die nächste Ebene? Sein Grab.

V stieß sich von der Wand ab, zündete sich eine Selbstgedrehte an und rauchte sie beiläufig, während er hinter ihr und ihrem Sozialprojekt hertrottete. Man sah nicht alle Tage einen Dealer, der versuchte, seinen Kunden zum Entzug zu überreden. Das war, als würde ein Burgerbrater seine Kundschaft auffordern, auf ihr Cholesterin zu achten. Ach ja, Menschen …

Sie waren vielfältig auf so viele langweilige Arten, aber diese Frau hatte ihr ganz eigenes Geheimnis …

Als sein Handy zu vibrieren begann, zog er das Samsung aus der Arschtasche. Er ging sofort ran, als er sah, wer anrief. »Schieß los.«

»Mein Verdächtiger ist tot.«

V verdrehte die Augen. »Klär mich schnell auf, Hollywood. Hat er noch geatmet, als du dort angekommen bist, oder hat deine Bestie gleich wieder die erstklassige Steak-Soße ausgepackt?«

In der gesamten Bruderschaft der Black Dagger war Rhage der mit den größten Begierden. Okay, der größten Begierde, Singular, jetzt, da er sich glücklich mit seiner Mary vereinigt hatte. Der Kerl hatte jede Art von Unersättlichkeit aufgegeben, außer was das Essen betraf, was auch völlig okay wäre, wenn alles, was er je verdrückt hatte, riesige Portionen Breyers Eiscreme und gelegentlich ein paar Truthahnbraten mit allem Drum und Dran gewesen wären. Doch Rhage kämpfte seit langer Zeit mit der ihm innewohnenden Bestie, die ihm durch einen Fluch auferlegt worden war – und bei der konnte man sich nie sicher sein, ob sie einen Freund von einem Abendessen unterscheiden konnte.

»Das ist so diskriminierend«, sagte der Bruder.

»Ich meine ja bloß. Dieser fliegende lila Menschenfresser, den du unter deiner Haut mit dir herumträgst, ist schließlich bekannt dafür, ein Footballstadion voller Menschen in eine einzige Wurstplatte zu verwandeln. Die Frage ist also nicht unberechtigt.«

Während V Rhage zur Rede stellte, blieb er an der Menschenfrau und ihrem fahrigen BFF dran, folgte ihnen an den Ort, von dem er gewettet hätte, dass es sich um das neue Obdachlosenheim in der 27th Street handelte.

»Nein, ich habe ihn nicht gefressen. Und ich hatte bloß vor, ihm die Knie zu zertrümmern.«

»Mit der Faust oder deiner Knarre?«

»Ich musste niesen, als ich abgedrückt habe.«

»Ups.« Über ihm fuhr ein weiterer Blitz unter den aufgewühlten Wolken entlang. »Wo ist die Eintrittswunde?«

»Zu meiner Verteidigung«, warf Rhage ein, »dieser Laden ist widerlich. Wenn Rattenkötel Münzen wären, wäre dieser Wichser so reich wie Jeff Bezos.«

Als Vs Würgereflex sich meldete, schluckte er ihn schnell herunter. Er war ein echter Kerl, verdammt, keine Memme, die vor Ekel Gänsehaut bekam. Aber, Himmel, Rattenkötel?

»Also, wo hast du ihn getroffen?«

»Na ja …« Das Wort verhallte, als würde der Bruder sich vorbeugen, um sicherzugehen, dass seine Beschreibung anatomisch korrekt war. »Ich sag mal so, er wird wohl demnächst etwas Blut im Urin haben.«

»Wohl kaum, wenn er tot ist.«

»Musst du jedes Wort auf die Goldwaage legen? Okay, wenn er noch am Leben und in der Lage wäre, sich bis zur Besinnungslosigkeit mit Bier volllaufen zu lassen, würde er Blut aus dem pissen, was von seinem Würstchen noch übrig ist. Aber wie auch immer. Richte eine Knarre auf mich, und es endet schlimm für dich.«

»Ich bin froh, dass es dir gut geht, Hollywood«, murmelte V. »Ich würde unsere anregenden Gespräche vermissen. Außerdem habe ich vor Jahren in den Tootsie-Roll-Konzern investiert und genieße es, den S&P 500 zu schlagen.«

»Du würdest mich wirklich vermissen.«

Vishous überquerte die Straße und spielte den paranormalen Schnüffler, als die Frau – er hatte es doch gewusst – auf die Doppeltür des Obdachlosenheims zutrat. Als sie auf die Klingel drückte und dann etwas in die Gegensprechanlage sagte, sah sich der Typ neben ihr um, als würde er seine Möglichkeiten zur Flucht abschätzen. Doch sie kannte ihn wohl gut genug, um seinen zerfledderten Ärmel nicht loszulassen.

»Jedenfalls … kannst du herkommen? Ich habe ein Handy und einen Laptop.« Rhage musste wieder niesen. »Und meine Nebenhöhlen müssen ihren Reichtum einfach mit jemandem teilen, der mir nahesteht.«

»Hab ich ein Glück.«

Vor ihm öffnete sich gerade die Tür des Heims. Ein Mann in einem SUNY-Caldwell-Sweatshirt erklärte ein paar Dinge und bat die beiden dann hinein.

»Okay, ja, meine Zielperson wird wohl noch eine Weile beschäftigt sein.« Vishous blickte die Straße hinunter. »Ich habe also Zeit.«

»Es sollte nicht lange dauern.«

»Ich konnte bisher noch keinen Sender bei ihr platzieren, aber sie ist sicher leicht wiederzufinden. Sie ist für ein bestimmtes Gebiet zuständig.«

»Ich helfe dir, wenn wir hier fertig sind.«

»Alles klar. Ankunft in zwei Sekunden.«

Nachdem V aufgelegt hatte, sah er sich um. Caldwell war heute Nacht nass und trostlos, die blinkenden Spitzen der im Finanzdistrikt stehenden Wolkenkratzer konnten nichts gegen die bedrückende Weltuntergangsstimmung dieser verrückten Wetterfront ausrichten.

Andererseits, vielleicht sprach da auch einfach der Frust aus ihm.

Er wünschte sich sehnlichst, die Bruderschaft hätte einen besseren Plan, um herauszufinden, wohin dieses Gefängnis verschwunden war. Nachdem die Spezies es aus den Augen verloren hatte und die entmachtete Glymera das unterirdische Labyrinth als Mülldeponie für die von ihr missbilligten Vampire benutzt hatte, war es zu der neuesten Wiederentdeckung gekommen – direkt nachdem der Ort verwaist zurückgelassen worden war. Der Beinahe-Fund hatte nicht viel gebracht, außer die Existenz des Ortes noch einmal zu bestätigen, und jetzt war Wrath, der große Blinde König, dazu bestimmt worden, die Gesetzlosen zu finden und den zu Unrecht Beschuldigten die dringend erforderliche Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Der einzige Hinweis kam von dem Drogenlabor, mit dem offenbar die Infrastruktur des Gefangenenlagers finanziert wurde. Drogenpäckchen, wie man sie in der unterirdischen Einrichtung gefunden hatte, tauchten nun auf Caldwells Straßen auf. Als Trez herausgefunden hatte, dass das Zeug, das mit einem Kreuz gekennzeichnet war, wieder im Umlauf war, hatte man sofort die Bruderschaft alarmiert.

War es möglich, dass ein anderer das Symbol benutzte? Sicher. War es wahrscheinlich? Nope.

Und schließlich hatten sie keine andere Spur, der sie folgen konnten.

Wie auch immer. Man würde das neue Gefangenenlager so oder so aufspüren, und Wrath würde ein ordnungsgemäßes Justizsystem für die Vampirbevölkerung einführen – eines, das wesentlich gerechter war als die erpresserischen Strukturen der Aristokraten. Doch so ungeduldig wie V nun einmal war … Es dauerte einfach alles viel zu lange.

In diesem Sinne trat er zwei Schritte zurück in die Schatten, überprüfte dabei doppelt, dass ihm keine Blicke folgten, und machte sich auf den Weg zu Rhage.

Bloß eine weitere Nacht in Caldwell, in der sich Vampire durch eine Stadt voller Menschen bewegten, die davon absolut nichts ahnten.

Zwanzig Minuten nachdem sie Spaz im Obdachlosenheim abgeliefert hatte, trat Rio wieder hinaus ins Gewitter. Hoffentlich würde er länger als eine Nacht dortbleiben, doch sie glaubte nicht wirklich daran.

Einem seiner Probleme würde sie sich jedoch persönlich widmen.

Mickie würde ihn schon in Ruhe lassen. Und sie würde den Mistkerl jetzt zur Rede stellen, nur dass sie wirklich verflucht spät dran war.

Auch wenn die Welt der Drogen nicht unbedingt die pünktlichste war, verfiel sie in Hektik und joggte dorthin zurück, wo sie zuvor unter der Feuerleiter gestanden hatte …

Das Klingeln ihres Telefons erhob sich über das Rascheln und Quietschen ihrer Lederjacke, sie schob die Hand in die Innentasche und zog das Handy heraus. Als sie sah, dass die Nummer unterdrückt war, wurde sie hellhörig und antwortete im Flüsterton.

»Hallo?«

Sie erkannte die männliche Stimme sofort. »Rio, du bist in Gefahr!«

»Bist du völlig übergeschnappt, mich unter dieser Nummer anzurufen?« Sie sah sich um. »Willst du, dass ich getötet …«

»Hör mir zu! Ich bin gerade nicht in deiner Nähe, und ich kann jetzt auch nicht konkreter werden, aber deine Deckung ist aufgeflogen. Ich …«

»Ich kann jetzt nicht sprechen. Und ruf mich nicht unter …«

»… schicke dir was, aber nicht auf dem üblichen Weg.«

»Ich muss auflegen«, zischte sie.

»Rio! Du musst aussteigen. Du wurdest ans Messer geliefert.«

»Nein, wurde ich nicht.«

Ein Blitz erhellte die Nacht und schlug in die Spitze des One State Street Plaza ein, das sich nur wenige Blocks südlich von ihr befand. Das Licht blendete sie, und das Krachen und Zischen ließ sie ängstlich zusammenzucken. Wie ein Vampir in der Sonne hob sie die Arme vor ihr Gesicht. Als sie merkte, dass ihr Verbindungsmann weiter auf sie einredete, beendete sie das Gespräch und schob das Telefon zurück in die Tasche.

Ein Stück vor ihr trat der Mittelsmann unter der Feuerleiter hervor.

Und er war nicht etwa so groß wie ein Footballspieler, sondern vielmehr so groß wie eine ganze Verteidigungslinie.

Sie zog den Reißverschluss ihrer Jacke zu, fuhr sich mit einer Hand durch ihr kurzes Haar und verstärkte mit der anderen den Griff um die verborgene Waffe. Zum Glück trug sie eine schusssichere Weste unter ihrer Fleecejacke.

Rio schlenderte ein Stück auf ihn zu. Sie wusste, dass sie sich zusammenreißen musste. Jeder der am Handel Beteiligten war supervorsichtig und hatte stets alles um sich herum im Blick. Sie musste ihre Maske wieder straff ziehen und die von ihr ausgehende Energie in den Griff bekommen. Ihr Undercoverstatus war auf gar keinen Fall aufgeflogen. Es gab im gesamten Caldwell Police Department bloß zwei Menschen, die wussten, woran sie arbeitete, und ihr gefälschter Background war hieb- und stichfest, weil sie ursprünglich beim FBI gewesen war – wo man einfach jedes Detail über sie vernichtet hatte.

Sie war ein Gespenst, das nachts durch die Straßen flog und einen Fall löste, damit Mozarts Würgegriff um die Drogenszene von Caldwell durch ein paar lebenslange Gitterstäbe abgelöst werden konnte.

»Du bist Luke?«, fragte sie knapp.

Die goldenen Augen des Mannes schienen wie eine Kerzenflamme zu leuchten, und als ein weiterer Blitz über sie hinwegjagte, wurde sein Gesicht kurzzeitig erhellt. Mein lieber Schwan! Er hatte die hohen Wangenknochen eines Models, den Mund eines italienischen Liebhabers, den Kiefer eines Kämpfers, und seine Frisur hätte auf jedes John-Frieda-Werbeplakat aus den Neunzigern gepasst. Außerdem hatte er eine merkwürdige Narbe am Hals.

Letzteres war wahrscheinlich das Einzige, was wirklich Sinn ergab. Es gab schließlich alle möglichen Gründe dafür, warum Menschen im Drogengeschäft allerlei Markierungen auf ihrer Haut trugen, eine Landkarte brutaler, blutiger Sünden.

Sie dachte an Spaz und seine Stichverletzung. Und ihr wurde klar, dass das wohl tatsächlich auch für die Handlanger galt.

»Rio«, kam die leise Entgegnung des Mannes.

Okay, seine Stimme war wie weicher Bourbon, wärmend und entspannend, trotz der Tatsache, dass sie sich ohne Verstärkung an einem Drogenumschlagplatz befand. Wie üblich.

War das Rasierwasser? Er roch wirklich gut.

»Ja, das bin ich.« Sie hob das Kinn. »Du willst über Konditionen sprechen?«

»Nicht hier.«

»Ich bin nicht allein.« Rio wies mit dem Kinn in Richtung der verdunkelten Fenster des Gebäudes auf der anderen Straßenseite und log durch zusammengebissene Zähne. »Und ich lasse meine Freunde da drin nicht allein.«

»Sie vertrauen mir nicht?«

»Nicht im Geringsten. Willst du jetzt über Konditionen sprechen oder nicht?«

Der Mann blieb, wo er war – für den Bruchteil einer Sekunde.

Das Nächste, was sie mitbekam, war, dass er nach ihr griff, sie herumdrehte und gegen die nasskalten Backsteine des Nachtclubs schleuderte. Als sein enormer Körper sich gegen ihren Rücken drückte, wurde sie sich seines Geruchs noch bewusster – was ihr angesichts dessen, dass die Sache gerade wirklich sehr, sehr, sehr schieflief, gar nicht hätte auffallen und erst recht nicht hätte gefallen dürfen.

»Geh weg von mir«, knurrte sie.

Mit einem Ruck gegen den Griff an ihren Armen versuchte sie, ihre Waffe zu ziehen. Oder an das Messer an ihrer Hüfte zu kommen. Oder an das Pfefferspray an ihrer Gesäßtasche. Zur Not würde sie ihm in die Hand beißen und dann sofort mit einer PEP beginnen, falls er HIV-positiv war.

Sie fletschte die Zähne, griff nach …

Eine Kugel zischte direkt über ihren Kopf hinweg, flog so, dass sie sowohl ihren Schädel als auch seinen Kiefer verfehlte. Ein Pling ertönte, als die Kugel auf etwas Metallenes traf – und sofort ertönte ein weiterer Knall. Rattatatatata …

»Ich schwöre bei Gott«, murmelte die tiefe Stimme in ihr Ohr, »wenn du mich beißt, werfe ich dich da raus und du kannst dich durchlöchern lassen.«

Rio drehte den Kopf und blickte in die enge Gasse zwischen dem Club und dem nächsten Gebäude.

Einer der Schützen nutzte den abgedunkelten Charger, in dem er sich verschanzt hatte, als Deckung. Nicht die schlechteste Idee, wenn man die Größe des Motorblocks bedachte – und die Tatsache, dass Benzin nicht wirklich explodierte. Doch er sollte besser den Kopf unten lassen.

Das Sicherheitsglas war auch nicht besser als ein Papiertaschentuch.

Das Zersplittern der Windschutzscheibe war spektakulär, die Risse breiteten sich wie Spinnennetze vom Einschussloch über das ganze Glas aus.

Die augenblicklich losheulende Hupe legte nahe, dass nun jemand ein kleines Nickerchen auf dem Fahrersitz machte. Doch sie hatte keine Zeit herauszufinden, wer den Typen erledigt hatte.

Ihr Körper bewegte sich, ohne dass sie ihren Armen und Beinen etwas befohlen hatte.

Aber schließlich bewegt sich Gepäck ja auch nicht selbst.

Es wird getragen.

Sie war eine Menschenfrau, dachte Lucan, als er sie hochhob und sie aus der Schusslinie brachte. Als der Termin vereinbart worden war, war er davon ausgegangen, dass er sich mit einem Mann treffen würde, und die Tatsache, dass »er« eine »sie« war, war verflucht lästig. Einen Mann hätte er bei einem Schusswechsel sich selbst überlassen, doch es kam ihm … na ja, unhöflich vor, das schöne Geschlecht nicht zu retten. Zumindest nicht besonders gentlemanlike.

»Au!«, bellte er.

Als der Charger mit dem unbekannten Schützen Fahrt aufnahm und seine vier Gummireifen versuchten, sich in den nassen Asphalt zu krallen, wand sich die Jungfrau in Nöten herum, packte Lucan an den Nüssen und zog an seinem Hey-das-ist-privat, als würde sie von ihm erwarten, ihr was aus Saturday Night Fever vorzusingen.

Sofort außer Gefecht gesetzt, ließ er sie los und machte einen auf Bullenreiter, sank auf einem unsichtbaren Sattel auf die Knie – und wurde glücklicherweise von ihrem Griff befreit. Während Lucan die Tränen wegblinzelte und versuchte, sich wieder aufzurichten, befreite die Frau sich von ihm und wich vor ihm zurück – genau vor das kreischende Muscle-Car mit seinem verpixelten Sicherheitsglas, dem wahrscheinlich toten Fahrer und dem Beifahrer, der sich vermutlich unter dem Armaturenbrett verbarg und von dort sein Fluchtfahrzeug lenkte.

»Nein!«, schrie Lucan.

Das Bild, wie die Frau herumfuhr, das Auto erkannte und von den gelben Scheinwerfern erfasst wurde, würde sich für immer in sein Gedächtnis brennen: Ihre Augen wurden groß, ihr kurzes dunkles Haar ein zum Schutz ihres Schädels ungeeigneter Helm, ihre Reflexe unzureichend, um sie zu retten.

Sie wurde mit voller Wucht an den Beinen erfasst, ihr Körper schwang auf die Motorhaube, sie machte in hohem Bogen einen Salto über die zerbrochene Windschutzscheibe und über das Dach und den Kofferraum hinunter. Hände, Stiefel, Hände, Stiefel, ihr dunkler Schopf der Drehpunkt, um den der Schwung ihren Oberkörper bewegte und ihre Glieder schwang.

Die Rechnung war simpel. Sie würde mit dem Kopf voran auf dem Bürgersteig landen.

Lucan sprang nach vorne, legte all seine Kraft in die Bewegung, und gerade als er in Reichweite kam, gewann die Schwerkraft die Oberhand, und ihr zartes Fleisch begann in Slow Motion zu fallen, wobei ihr Kopf dem Körper den Weg wies.

Er erhob sich in die Luft, warf sich parallel zum Bürgersteig, denn das war seine einzige Chance, um rechtzeitig bei ihr zu sein. Mit dem Wind in seinen Ohren, dem Gestank nach Abgas und verbranntem Gummi in der Nase und einem Klopfen in der Brust flog er, flog und flog …

… als wäre er ein Vogel und kein Wolven.

Er schnappte sich, was auch immer er von der Frau zu greifen bekam, schloss seine Arme um sie und drehte sich noch im Flug, sodass sein Rücken statt ihres Gehirns das Gewicht ihrer Körper würde ertragen müssen. Als sie gemeinsam den Sinkflug antraten, drückte er sie mit dem linken Arm noch etwas fester an sich und richtete die Pistole in seiner Rechten auf die Schatten jenseits der Feuerleiter.

Der Schütze dort konzentrierte sich noch immer auf den Charger und durchsiebte den Wagen mit Kugeln. Dank der vielen Pings! und dem Funkenregen wie von Chinaböllern verwandelte sich das Ganze in einen tödlichen Rave.

Lucan fing so viele Kugeln ab wie möglich, bevor er so hart aufkam, dass ihm die Luft aus der Lunge gedrückt wurde und seine Sehkraft versagte. Er redete sich ein, dass der entfernte Schmerzensschrei von dem Schützen stammte, der erledigt zu Boden ging, doch er konnte sich nicht sicher sein. Der Laut hätte auch von ihm selbst stammen können.

Danach keine weiteren Schüsse. Nur ein leises Stöhnen.

Kam es von ihm? Von der Menschenfrau? Nicht vom Schützen, der war zu weit weg.

Währenddessen verschwand der Charger von der Bildfläche. Das Gebrüll des Motors wurde leiser und erstarb dann völlig.

Atemstöße. Seine. Ihre.

Dann spürte er, wie der Druck auf seiner Brust nachließ und sich auf seine Hüfte verlagerte. Er öffnete die Augen, von denen er nicht gewusst hatte, dass sie geschlossen waren.

Die Frau saß aufrecht, mit dem Rücken zu ihm. Genau auf seinem Becken.

Apropos Bullenreiten.

Während seine Gedanken an einen Ort abdrifteten, an dem sie beide nackt waren und sie ihn als Rodeobullen benutzte, längst über ein Hey-wie-geht’s hinaus, fluchte sie und legte sich eine Hand an den Kopf. Dann sah sie sich um. Drehte sich zu ihm. Ihre Blicke trafen sich, und ihre Augen wurden zum zweiten Mal so groß wie Pappteller.

»Oh, verdammt!«, bellte sie.

Die Frau versuchte aufzustehen. Was auf keinen Fall klappen würde. Stattdessen stützte sie sich auf die Seite und fasste sich ans Bein.

»Geht es dir gut?«, fragte er. Oder zumindest hatte er vorgehabt, das zu sagen. Er war sich jedoch nicht sicher, was für eine Art Obstsalat an Silben da gerade aus seinem Mund gekommen war.

»Es ist nicht gebrochen«, zischte sie und rieb sich die Wade. »Es ist, verflucht noch mal, nicht gebrochen.«

Er hievte sich auf die Ellbogen. Sollte er sie darauf hinweisen, dass Peptalk nicht helfen würde, wenn sie tatsächlich einen Gips bräuchte? Aber warum Atem auf das Offensichtliche verschwenden.

Wumms!

Sie zuckten bei der Explosion beide zusammen. Er streckte schützend seinen Arm aus, auch wenn er noch nicht wusste, wo die Gefahr herkam. Er blickte die Gasse bis an ihr weit entferntes Ende hinunter. Flammen. Viele Flammen. Am Fluss, etwa sechs Häuserblocks entfernt unter einer der Doppelbrücken der Stadt.

Das orangefarbene Stroboskoplicht war beeindruckend, und dank der Lichtershow konnte er sehen, dass sich das schwarze Muscle-Car inmitten der Explosion befand. Und als die Passanten begannen davonzurennen, wusste er, dass schon bald blau und rot zuckende Lichter auftauchen würden, neben Menschen mit Dienstmarken und Schaulustigen mit Handykameras.

»Wir müssen von hier verschwinden«, rief er, stand auf und legte sich fluchend eine Hand auf den Rücken.

Als sie ihn bloß ansah, reichte er ihr die Hand, in der er keine Waffe hielt.

»Brauchst du einen Arzt?«, fragte er.

»Nein.«

Als sie seine Hand einfach im Wind baumeln ließ, hatte er endgültig die Schnauze voll davon, wie dieser Abend verlief.

»Ich werde dir nicht wehtun«, murmelte er. »Ich habe dir das Leben gerettet, zweimal. Und wenn wir noch länger hierbleiben, wird das sicher ein Dreier … ein drittes Mal nötig sein.«

Es entstand eine peinliche Stille zwischen ihnen. Dann schüttelte Lucan den Kopf. »Das kam falsch rüber.«

Oder etwa nicht?, fragte er sich selbst. 

Vishous nahm auf dem Dach eines Apartmentgebäudes wieder Gestalt an, an dem einfach alles nach Drogenbude schrie. Als sein gesamtes Gewicht von fast hundertvierzig Kilo – hey, er hatte hart trainiert, und das Gewichtestemmen machte sich nun endlich bezahlt – sich in seinen Stiefeln manifestierte, ertönte ein knarzendes Geräusch, das darauf schließen ließ, dass er sehr vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzen sollte. Als er vortrat, betrachtete er die Menge an loser Teerpappe, die Löcher voller Laubreste, die sich langsam in Humus verwandelten, und einige Haufen, die aussahen wie Kleidung, die mit einem Tatort in Verbindung standen.

Menschenfleisch wäre dann doch sehr unwahrscheinlich. Es gab schließlich zurzeit nicht viele Buffalo Bills in Caldwell. Zumindest hatte man in letzter Zeit von keinem gehört.

Das Dach war lang und schmal, die fünf Stockwerke voller schäbiger Apartments, natürlich zwischen zwei andere, ähnlich wert- und würdevolle Gebäude gezwängt. In einem anspruchslosen Wohnsitz wie diesem gab es selbstverständlich keine Klimaanlage. Er hatte nicht vorgehabt, sich auf eine Geisterreise in ein unbekanntes Kanalsystem hinunterzubegeben. Doch es gab auch keine Treppe oder wenigstens eine Dachluke, wodurch ihm nichts anderes übrig blieb, als einen anderen Zugang in das Dachgeschoss-Apartment zu finden. Auch wenn das kein wirkliches Problem war. Es gab schließlich jede Menger zerbrochener Fenster, durch die er sich dematerialisieren konnte.

Wuusch!

Das hatte sich wohl erledigt.

Ohne die geringste Vorwarnung eines Knarzens oder Knackens begab V sich in freien Fall, seine klobigen Stiefel brachen durch das modrige Dach, sein Körper wurde durch das Loch gesogen, das er verursacht hatte, der Fall so blitzartig, dass er kaum Zeit hatte, die Arme hochzunehmen, damit sie nicht an den Achseln abrissen.

Die Schwerelosigkeit dauerte nur ein Blinzeln und einen Atemzug lang an – und gerade als er sich fragte, ob er bis ins Erdgeschoss krachen würde, erreichten seine Sohlen etwas Festes, und seine Knie knickten ein.

Sein Hintern hüpfte zweimal auf und ab.

Eine Staubwolke wirbelte durch die Luft, und seine Arme plumpsten auf gepolsterten Untergrund.

»Verfickte Scheiße!«, brüllte Rhage vom anderen Ende des Trümmerhaufens.

V sah an sich herunter. Tja, wer hätte das gedacht. Ein Sessel.

»Willst du, dass ich einen Herzinfarkt bekomme?«, wollte Hollywood von ihm wissen. »Mich so zu erschrecken?«

In einem stinkenden Schlachtfeld aus fleckigen Matratzen, leeren Spirituosenflaschen und Drogenbesteck hatte der Bruder sich an die Brust gefasst wie eine kleine alte Lady in der Kirche, die gerade erfahren hatte, dass es so etwas wie Sex vor der Ehe gab.

V schlug die Beine übereinander und wedelte mit seiner behandschuhten Hand umher, als würde er auf einem Thron sitzen. »Hör auf zu heulen, und sei ein Mann!«

»Spiel hier nicht den Vito Corleone.«

»Wenigstens hast du die Anspielung verstanden.«

Rhage streckte einen Finger aus – und vermasselte die Konfrontation zwischen wahren Männern, indem er niesen musste. Dreimal hintereinander.

»Ich mochte dich lieber, als du noch keinen Sinn für Humor hattest. Und ich kenne Der Pate auswendig. Bevor du also fragst: Nein, ich küsse keinen deiner Ringe. Selbst wenn du welche tragen würdest.«

»Oh, aber ich trage doch welche. Würdest du nicht unglaublich gerne wissen, wo?«

Rhage schüttelte den Kopf. »Das sind Körperstellen, die ich nicht zu Gesicht bekommen muss.«

»Na schön.« V stand auf und besah sich das Loch in der Decke. Chapeau. »Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit?«

Durch die ausgefranste Wunde des Daches nieselten ihm erste Regentropfen ins Gesicht, während einzelne Fetzen der Teerpappe von einer Sturmböe erfasst wurden, was klang wie Flügelschlagen.

Rhage kam zu ihm. »Das war also keine Absicht?«

»Wie zum Teufel hätte ich planen sollen, durch ein Dach …«

Ein Stöhnen ließ sie beide herumfahren. In einer Ecke eines auf der Seite liegenden Sofas zuckte ein junger Mann, der bald Bekanntschaft mit seinem Grab machen würde, als würde er an einer defekten Steckdose hängen. Seine Hände bewegten sich langsam auf den roten Bach zu, der aus seinem Unterleib strömte.

»Oh, du bist wach«, sagte Hollywood fröhlich zu ihm. »Gut. Ich dachte, du wärst tot.«

»Wer ist dein Freund?«, fragte V, während sie zu dem Kerl gingen und sich über ihn beugten.

Ein Klicken kam aus seinem schlaff herunterhängenden Mund. Gefolgt von einem Husten. Er trug ein Shirt, das vielleicht vor dreihundertfünfundsechzig Tagen einmal weiß gewesen war, und Jeans, die wahrscheinlich auch ganz ohne seine Unterstützung aufrecht stehen konnten.

Und er war sogar bewaffnet – na ja, fast bewaffnet. Eine Pistole lag außerhalb seiner unmittelbaren Reichweite auf einem Sofakissen, das sich mit Körperflüssigkeiten vollgesogen hatte, die V nicht unbedingt genauer untersuchen wollte. Um sicherzugehen, dass nicht noch mehr Kugeln durch Weichteile flogen, die nicht nachwachsen würden, konfiszierte V die Waffe, zog den Ladestreifen heraus und steckte die Einzelteile weg.

Rhage bückte sich und klopfte ihm auf die Schulter. »Hallo?«

»Ich denke nicht, dass er bloß schüchtern ist.« V holte eine Selbstgedrehte heraus. »So eine Vermutung, die nichts mit meiner medizinischen Ausbildung zu tun hat, sondern darauf basiert, dass er ausläuft wie ein kaputter Benzintank.«

»Wir wollen dir ein paar Fragen stellen.« Rhage sprach nun etwas lauter, als er ein kleines Plastiktütchen mit einem Kreuzsymbol darauf vor das grauer werdende Gesicht hielt. »Das hier verkaufst du auf der Straße – hey, mach dir keine Sorgen. Wir sind nicht sauer, und wir sind auch keine Gesetzeshüter. Wir wollen nur wissen, wo du das Zeug herhast.«

Als V sich auf der Suche nach seinem Feuerzeug abklopfte, stob Staub von seiner Lederjacke.

Wie aufs Stichwort musste Rhage erneut niesen, und der Sterbende schreckte hoch, doch die Wiederbelebung hielt nicht lange an.

»Wir haben keine Zeit für eine Gesprächstherapie«, murmelte V. »Ich gehe rein.«

Nachdem er sich seine Zigarette angezündet hatte, nahm er einen Zug und drang in den Geist des Mannes ein. Er fluchte. »Verdammt, Junge. Du solltest es mit der Pfeife mal etwas ruhiger angehen lassen.«

Selbst an der Schwelle des Todes waren die Neuronen des Kerls derart überstimuliert, dass es unmöglich war, die Bereiche der Erinnerungen zu isolieren, weder Kurz- noch Langzeitgedächtnis. Und dann war es auch schon egal. Der Typ biss die Zähne zusammen, bog den Rücken durch und versteifte sich in einem Krampfanfall.

V sprang schnell aus seinem Gehirn. »Ich hab nichts gefunden. Und es ist zu spät für eine Wiederbelebung.«

»Verdammt.« Rhage sah hinüber zu einem kaputten Tisch, der mit Tütchen mit diesem Kreuz-Mist übersät war und auf dem ein Laptop und ein Handy lagen.

»Lass uns das Zeug da drüben einpacken und verschwinden.«

In der Mitte des schmutzigen hölzernen Quadrats lag ein in blaues Plastik gewickeltes Päckchen, an dem eine Ecke aufgerissen war, als hätte eine Maus ein Stück von einem Käse angeknabbert. Weißes Pulver, so fein wie das Zeug, das man Models ins Gesicht pinselt – war über den ganzen Tisch verstreut.

»Kein Wunder, dass das Hirn von dem Typen Funken geschlagen hat wie eine Wunderkerze.«

»Ziemlich große Lieferung.«

»Er ist ein großer Dealer.«

»Jetzt nicht mehr.«

Hollywood hob eine Einkaufstüte von Target vom Boden auf. Als er deren Inhalt ausschüttete, kamen etwa zweihundert Päckchen mit weißem Pulver zum Vorschein.

»Warum hängt das Arschloch hier allein mit dem ganzen Koks rum?« V ging zurück zur Couch und näherte sich dem Gesicht des glotzenden, sich windenden Menschen. »Ich würde denken, dafür braucht es ein paar mehr Männer. Außer, du hast noch jemanden erschossen?«

»Nö, nur ihn«, sagte Rhage liebenswürdig. »Er muss einen gewissen Ruf gehabt haben.«

Die wässrigen, blutunterlaufenen und langsam erlöschenden Augen des Dealers rollten nach hinten, als er seinen letzten Atemzug tat.

»Das war’s dann wohl.« V erhob sich. »Vielleicht sollten wir beide uns im Laufe des Tages ein paar Schießübungen im Trainingszentrum widmen, oder was meinst du? Von nichts kommt nichts und all das.«

»Ich brauche ein Antiallergikum.« Rhage nieste. »Das Problem ist meine Nase, nicht meine Treffsicherheit.«

»Das können wir dir auch in der Klinik besorgen. Komm schon, Hollywood, hauen wir ab. Let’s blow … with the blow. Mit dem Koks, verstehst du? Mit dem Koks verschwinden.«

Als V ein paarmal die Brauen hob, schüttelte der Bruder den Kopf. »Wie schon gesagt, ich mochte dich lieber, bevor du Sinn für Humor entwickelt hast.«

»Warum? Bist du eifersüchtig, dass ich jetzt auch noch in was anderem gut bin?«

In der Gasse, in der sie gerade angefahren worden war, versuchte Rio, sich wieder etwas Gefühl in ihr linkes Bein zu reiben, während sie an My Big Fat Greek Wedding dachte. Windex. Wenn sie bloß etwas Windex dabeihätte.

Vielleicht hatte sie eine Gehirnerschütterung.

Sie hatte es geschafft, aufzuspringen und sich wegzurollen, bevor der Charger sie erfassen konnte, und ihr Timing hatte sie vor zerschmetterten Schienbeinen bewahrt. Was nicht hieß, dass sie sich nicht doch etwas gebrochen hatte oder am nächsten Morgen keine blauen Flecken haben würde – der menschliche Körper war schließlich nicht als Squashball gedacht.

»… wird das sicher ein Dreier … ein drittes Mal nötig sein. Das kam falsch rüber.«

Als die männliche Stimme ihr Ohr erreichte, sah sie sich nach ihrem Ursprung um. Wich zurück. Schüttelte den Kopf.

Es war der Mittelsmann, den sie hatte treffen sollen. Der, der ihr das Leben gerettet hatte. Er redete mit ihr, doch aus irgendeinem Grund hörte sie nicht, was er sagte.

Mit einem Mal entzifferte ihr Gehirn die Worte. »Ich werde nicht mit dir schlafen«, platzte sie heraus.

Als sie aufstand, wedelte er mit den Händen á la »Vergiss, was ich gesagt habe«.

»Wie gesagt, das kam falsch rüber. Brauchst du jetzt einen Arzt oder nicht?«

»Nein. Definitiv nicht.«

Es überraschte sie, dass ein Dealer den Notarzt rufen wollte, aber immerhin wusste er, dass sie eine von Mozarts wichtigsten Leuten war. Also wollte er vielleicht bloß die potenzielle Einnahmequelle schützen. Wenn sie es vermasselte oder abkommandiert wurde, musste er sich einen neuen Kontakt suchen.

Genau wie Mickie.

Als Rio versuchte aufzustehen, machte sie sich auf jede Menge Schmerz gefasst. Zum Glück war es nicht so schlimm, wie sie erwartet hatte, bloß ein kleines Wummern in ihren Beinen. Unterdessen sah der Zulieferer – Luke war der Name, den er benutzte – sie an, als würde er erwarten, dass sie jeden Augenblick zur Seite kippen und sich auf dem Bürgersteig selbst k. o. schlagen würde. Als sie das Gleichgewicht hielt, pfiff er leise durch die Zähne.

»Du bist ‘ne ziemlich toughe Lady.«

Was auch immer, dachte sie. Wenn sich ein paar Hundert Kilo Metall und Glas auf dich zubewegen, verleiht dir das Flügel.

Wie in der verdammten Red-Bull-Werbung.

Sie behielt all das für sich. »Lass uns über Preise sprechen.«

»Ähm, siehst du den Feuerball da drüben?« Er wies mit dem Kinn in Richtung Fluss, wo der Charger scheinbar gegen etwas geprallt und explodiert war und ein orangefarbenes Feuer nicht den Anschein erweckte, als würde es bald erlöschen. Dann tippte er sich ans Ohr. »Hörst du die Sirenen? Hier wird es gleich richtig unangenehm werden, vor allem, weil ich zwar einen der Schützen erschossen habe, aber nicht den Deputy da drüben. Wenn du reden willst, lass uns woanders hingehen.«

Rio winkte vehement ab. Nicht, weil sie verletzt war. Sie musste herausfinden, ob der Anruf, den sie erhalten hatte, bevor die Kacke angefangen hatte zu dampfen, damit zusammenhing, was gerade passiert war. War sie bloß eine Zeugin gewesen … oder das Ziel?

»Ich muss los. Wir treffen uns morgen noch einmal.«

Luke, was sicher nicht sein echter Name war, starrte sie nur an.

»Wenn du dich jetzt verpisst, gehe ich selbst zu Mozart.«

»Viel Glück dabei. Er trifft sich mit niemandem persönlich.«

»Ich habe besondere Fähigkeiten«

»Die haben eine Menge Leute.« Ihr gelangweilter Tonfall sollte verbergen, wie gestresst sie in Wahrheit war. »Ich melde mich, und wir versuchen unser Glück morgen noch einmal.«

Als hätte die Streife des Caldwell Police Department ihre Gedanken gelesen, wurden die Sirenen, auf die der Typ sie hingewiesen hatte, mit einem Mal ohrenbetäubend laut, weil entweder zwanzig weitere Einsatzwagen mehr als vorher auf sie zukamen oder weil die zwölf Dutzend, die zuvor bereits auf dem Weg gewesen waren, gerade um die letzte Ecke gefahren waren.

»Wie du willst«, sagte der Zulieferer. »Aber ich hatte zugestimmt, den Deal heute Abend abzuschließen – und ich suche mir jemand anderen, wenn du nicht mehr von dem Zeug nimmst, das ich deinen Leuten letzte Nacht gegeben habe. Außerdem schuldest du mir was.«

»Ich habe dich nicht darum gebeten.«

»Du wärst also lieber tot.«

»Als in deiner Schuld zu stehen? Darauf kannst du wetten. Davon abgesehen brauchst du mich. Du kannst diese Art von Geschäft, wie du es planst, mit niemandem außer mir durchziehen. Mozarts Organisation ist die Einzige, die bereit ist, die Mengen anzukaufen, die du in Umlauf bringen willst.«

»Dann lass uns ins Geschäft kommen.«

Rio ließ den Blick umherschweifen und vernahm dabei wieder die warnende Stimme, die sie stets begleitete. »Ich melde mich unter der Nummer, die ich von dir habe.«

Der Mann packte sie am Arm. »Verarsch mich nicht! Ich verfüge über Möglichkeiten, von denen du noch nie etwas gehört hast.«

Bevor sie reagieren konnte, ließ er ihren Arm wieder los und lief davon, seine dunkle Kleidung half ihm, mit den Schatten zu verschmelzen.

»Verdammt«, flüsterte Rio, als sie sich wegduckte und ihrerseits verschwand.

Sie hielt sich dicht an der Mauer des Clubs, zog ihre Waffe und kontrollierte die Fenster auf der anderen Straßenseite, die Gasse hinter ihr, die Gasse vor ihr. Die Streifenwagen heulten einen Block weiter auf, und sie erhaschte einen Blick auf die blinkenden Lichter, als die Einheit eine für sie einsehbare Kreuzung passierte.

Ihre Beine brachten sie fast um, vor allem das linke schmerzte unterhalb des Knies höllisch.

Ein Blitz verschaffte ihr einen besseren Überblick als zuvor die schummrige Straßenbeleuchtung – und enthüllte gleichzeitig ihre Anwesenheit. Als sie sich in einen zurückgesetzten Hauseingang sinken ließ, runzelte sie die Stirn und lehnte sich ein Stück zurück auf die Straße. Einen Augenblick später … erhellte ein weiterer Blitz die Gegend.

Der Mittelsmann war spurlos verschwunden. Oder war er in eines der Gebäude gegangen? Vielleicht. Das war die einzige Erklärung. In der Richtung, in die er gegangen war, weg vom Fluss, gab es keine Ecken, keine Kreuzung, es ging zwei Blocks lang immer nur geradeaus.

Doch jetzt war nicht die richtige Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.

Um den Ladestreifen ihrer Waffe zu kontrollieren, ließ sie sie auf Hüfthöhe sinken. Dann setzte sie ihren Weg fort. Sie fand die Leiche in etwa zehn Meter Entfernung, auf dem Bürgersteig hinter einer Mülltonne, zusammengekrümmt und mit dem Gesicht nach unten. Sowohl der Statur, dem Haar als auch der Größe seiner Stiefel nach zu urteilen, handelte es sich um einen Mann. Während sie sich neben ihm auf die Knie sinken ließ, stellte ihr Gehirn bereits die Zusammenhänge her.

Die Jacke. Sie erkannte die schwarze Lederjacke an den roten Nähten, die quer über die Schultern bis zum Saum verliefen.

»Erie.«

Einer von Mozarts Leuten.

Hatte er auf sie geschossen? Oder auf den Charger?

Als sie die Blutlache betrachtete, die sich unter dem Mann ausbreitete, musste sie an einen Mord in Manhattan denken. Johnny Two Shoes, ein Verbündeter von Mozarts größtem Konkurrenten im Staat, war letztes Wochenende regelrecht hingerichtet und in den Hudson geworfen worden. Man hatte sich auf der Straße erzählt, dass das Rache geben würde.

Vielleicht hatte Erie sie beschützt, das auszuhandelnde Geschäft beschützt. Hatte der Fahrer des Charger aus einem Akt der Vergeltung heraus versucht, sie zu töten?