Wundersame Frauen - Theodor Fontane - E-Book

Wundersame Frauen E-Book

Theodor Fontane

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Beschreibung

Weibliche Lebensentwürfe von besonderer Faszination

Dieser Auswahlband entfaltet ein faszinierendes Panorama von Frauengestalten, denen Fontane auf seinen Wanderungen in der Mark Brandenburg begegnete. Ein Buch, das Lust macht, diesen bekannten Klassiker neu zu lesen.

Als Land der «tüchtigen Kerle» stellte Theodor Fontane die Mark Brandenburg in seinen «Wanderungen» vor. Seine Frauenporträts, ein illustrer Reigen weiblicher Lebensentwürfe aus der Zeit zwischen 1707 und 1873, wurden hingegen bis heute wenig beachtet. Neben der populären Königin Luise, der als «Prinzessin Goldhaar» bekannten Gräfin Karoline de La Roche-Aymon und den beiden Geliebten des Kronprinzen Friedrich, der «schönen Sabine» und Louise von Wreech, skizzierte Fontane auch Frauen aus dem Volk: etwa die Schauspielerin Rachel Félix oder die legendäre Kaffeehausbetreiberin Elisabeth Friedrich auf der Pfaueninsel.

Die Herausgeber haben elf originelle Porträts aus den «Wanderungen» zusammengestellt. In ihren begleitenden Kommentaren würdigen sie die Leistungen dieser märkischen Frauen und verraten darüber hinaus so manches, was der Autor verschwieg.

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Seitenzahl: 320

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Als Land der «tüchtigen Kerle» stellte Theodor Fontane die Mark Brandenburg in seinen «Wanderungen» vor. Seine Frauenporträts, ein illustres Panorama weiblicher Lebensentwürfe aus der Zeit zwischen 1707 und 1873 wurden hingegen bis heute wenig beachtet. Neben der populären Königin Luise, der als «Prinzessin Goldhaar» bekannten Gräfin Karoline de La Roche-Aymon und den beiden Geliebten des Kronprinzen Friedrich, der «schönen Sabine» und Louise von Wreech, skizzierte Fontane auch Frauen aus dem Volk: die berühmte Schauspielerin Rachel Félix oder die legendäre Kaffeehausbetreiberin Elisabeth Friedrich auf der Pfaueninsel.

Die Herausgeber Gabriele Radecke und Robert Rauh haben elf originelle Porträts aus den «Wanderungen» zusammengestellt. In ihren begleitenden Kommentaren würdigen sie die Leistungen dieser märkischen Frauen und verraten so manches, was der Autor verschwieg.

Gabriele Radecke (*1967) promovierte nach dem Studium der Germanistik, Politik- und Rechtswissenschaft über Theodor Fontane. Seit 2010 leitet sie die Theodor Fontane-Arbeitsstelle am Göttinger Seminar für Deutsche Philologie. Sie ist Mitherausgeberin der «Großen Brandenburger Fontane-Ausgabe» und Herausgeberin der digitalen Edition von Fontanes Notizbüchern. 2017 wurde ihr der Preis des Stiftungsrates der Universität Göttingen für ihr Engagement in der Vermittlung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit verliehen.

Robert Rauh (*1967) ist seit 2001 Lehrer und Seminarleiter für Geschichte, Politik und Deutsch in Berlin. Der Autor und Herausgeber von Lehrbüchern für den Unterricht erhielt für sein pädagogisches Engagement 2013 den Deutschen Lehrerpreis. Seit einigen Jahren veröffentlicht Rauh Bücher zu Fontanes Werken: «Fontanes Fünf Schlösser», «Fontanes Frauen» und «Fontanes Ruppiner Land».

Theodor Fontane

WundersameFrauen

Weibliche Lebensbilder aus den «Wanderungen durch die Mark Brandenburg»

Mit einem Nachwort und Erläuterungen herausgegeben von Gabriele Radecke und Robert Rauh

Unseren Müttern

Nur «tüchtige Kerle»? – ein Vorwort

Theodor Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg werden von Männern dominiert. Während in seinen Romanen Frauenfiguren im Mittelpunkt stehen, überwiegen in dem vierbändigen Monumentalwerk Männerthemen und Männerbiografien. So wollte er seinen Landsleuten zeigen, «daß es in Mark Brandenburg auch historische Städte, alte Schlösser, schöne Seeen, landschaftliche Eigenthümlichkeiten und Schritt für Schritt tüchtige Kerle gäbe» [F-HERTZ, S. 60].

Diese Intention spiegelt sich schon in der Beschreibung des ersten Wanderungen-Ortes Wustrau wider. Dessen historische Kirche, das alte Schloss, den Ruppiner See und den tüchtigen Husarengeneral Zieten mischte Fontane zu einem erzählerischen Potpourri, mit dem er sich vor allem an das männliche Lesepublikum wandte. Der Wanderer ignorierte, dass sich in Wustrau, das heute mit dem Label «Zieten-Dorf» wirbt, auch eine Frau als Wohltäterin verdient gemacht hat. Constance Gräfin von Zieten-Schwerin (1838–1914), die in Wustrau einen Kindergarten gründete und ein Gemeindehaus errichtete, wird mit keinem Wort erwähnt.

Wie sehr die Männer in den Wanderungen das Feld beherrschen, zeigt exemplarisch das «Neuruppin»-Kapitel, das Lebensbilder von Andreas Fromm, Kronprinz Friedrich, General Günther, Karl Friedrich Schinkel, Michel Protzen, Gustav Kühn, Johannes Christian und Wilhelm Gentz enthält. Nicht ein einziges Unterkapitel ist einer Frau gewidmet.

Allerdings gilt diese Dominanz nicht für die Wanderungen insgesamt. Wie und weshalb Fontane dort auch Frauen porträtiert, das gilt es im Folgenden zu entdecken: Der vorliegende Auswahlband der Wanderungendurch die Mark Brandenburg versammelt erstmals diejenigen Kapitel, in denen weibliche Lebensbilder im Mittelpunkt stehen. Er hebt sich damit deutlich von allen bisherigen Wanderungen-Lesebüchern ab.

Die elf prominenten Frauen, die zwischen 1707 und 1873 gelebt haben und deren Lebensweg Fontane nachzeichnet, repräsentieren unterschiedliche weibliche Lebensentwürfe: den der Schauspielerin (Rachel Félix), der Lokalgröße (Elisabeth Friedrich), der Agrarpionierin (Helene Charlotte von Friedland), der Geliebten des Kronprinzen (Sabine Cusig, Louise Eleonore von Wreech), der Mätresse des Königs (Julie von Voß), der Königin (Luise von Preußen) und der Gutsherrin (Karoline de la Roche-Aymon, Emilie von Schlabrendorf, Johanna von Scharnhorst) sowie der Netzwerkerin (Mathilde von Rohr).

Die Textauswahl basiert auf der «Wohlfeilen Ausgabe» der Wanderungen, die 1892 im Verlag von Wilhelm Hertz erschien und in der die letzten Auflagen der Einzelbände unter Fontanes Beteiligung erstmals zu einer Gesamtausgabe zusammengestellt wurden. Ausnahmen bilden der Aufsatz über Mathilde von Rohr sowie ein Text aus dem Kapitel über die «schöne Sabine». So stammt der Abschnitt «Binenwalde» aus dem Kapitel «Dörfer und Flecken im Lande Ruppin», das Fontane nur in der zweiten Auflage des ersten Wanderungen-Bandes, Die Grafschaft Ruppin von 1865, publizierte. Und der Essay «Mathilde von Rohr» basiert auf dem einzigen zeitgenössischen Druck in der Zeitschrift Daheim von 1892. Da Fontane den Aufsatz ursprünglich in seine «Wohlfeile Ausgabe» integrieren wollte, wurde er hier mit aufgenommen.

Eine Einführung zu jedem Kapitel ordnet das Porträt in den jeweiligen Wanderungen-Band ein, informiert über die Entstehungsgeschichte und liefert zusätzliche biografische Angaben. Darüber hinaus werden Fontanes Notizbuchaufzeichnungen berücksichtigt. Denn sie sind an vielen Stellen detailreicher als die gedruckten Wanderungen. Sie bezeugen auch, dass Fontane neben Mathilde von Rohr und der Schauspielerin Rachel Félix einer weiteren Protagonistin persönlich begegnet ist: Elisabeth Friedrich, der regional bekannten Frau des Maschinenmeisters auf der Pfaueninsel.

Mit diesem Auswahlband laden wir ein, Fontanes Wanderungen neu zu lesen.

Die Hrsg. Gabriele Radecke und Robert Rauh

Anmerkungen der Herausgeber zu den folgenden Texten finden sich ab Seite 159, Originalanmerkungen Fontanes wurden als Fußnoten gesetzt.

1

Die Schauspielerin: Élisa Rachel Félix

© Kupferstich (1852), Künstler unbekannt © Bridgman Images/Lebrecht Authors

Ihr Auftritt war das Ereignis des preußischen Theatersommers 1852. Und legendär wurde er auch dank Fontane, der nicht nur das Spiel der weltberühmten Schauspielerin Élisa Rachel Félix (1821–1858), sondern dessen nähere Umstände in den Wanderungen festhielt.

Weil die französische Schauspielerin auf der Pfaueninsel deklamierte und die Insel in der Havel liegt, schilderte Fontane das Spektakel im Kapitel über «Die Pfaueninsel» im dritten Wanderungen-Band Havelland (1873). Es enthält einen historischen Abriss der Insel, die schon zu Fontanes Zeiten ein beliebtes Ausflugsziel war und heute zum Weltkulturerbe gehört.

Rachel debütierte 1838 im Théâtre Français und wurde über Nacht zum Pariser Bühnenstar. Als festes Ensemblemitglied feierte sie 1842 mit ihrer Interpretation von Racines Phädra den größten Triumph ihrer Karriere. Bekannte Schriftsteller überschlugen sich mit Lobeshymnen. Alfred de Musset pries sie als «Genie», Stendhal meinte, Rachel habe die Tragödie geradezu «erfunden», und für Gottfried Keller war sie «der größte Künstler, den ich kenne».

Begeistert war auch Fontane, der sie auf ihrer Europatournee 1850 in Berlin erlebte. «Mein Urtheil ist wie Deins», schrieb er am 20. Juli 1852 seiner Frau Emilie, die Rachel Félix kurz zuvor bei ihrem zweiten Gastspiel in der preußischen Hauptstadt gesehen hatte, «nur heb’ ich das Bewundernswerthe dieser Erscheinung mehr hervor. Gleich der erste Moment ihres Auftretens, eh sie noch ein Wort gesprochen hat, ist 6 deutsche Theaterabende werth. Das nenn’ ich ein lebendes Bild! Im Uebrigen leidet sie alle 5 Akte durch an der Nymphomanie (Mannstollheit) was allerdings mehr in die Charitée als auf die Bühne gehört. Eine Verirrung! aber so großartig, daß man zu keiner direkten Verdammung kommen kann.» [F-EMILIE,BD.1,S. 100]

In den Wanderungen thematisiert Fontane eine zusätzliche Veranstaltung für die Hofgesellschaft. Weil im Sommer 1852 das russische Kaiserpaar zu Gast war, beauftragte der preußische König seinen Vorleser, Hofrat Louis Schneider, am 13. Juli eine Vorstellung mit der Rachel auf der Pfaueninsel zu organisieren. Anlass war der Geburtstag der Zarin Alexandra Feodorowna, der Schwester des preußischen Königs. Für eine Schauspielerin ersten Ranges war es damals eigentlich unannehmbar, im Freien aufzutreten. Warum es am Ende dennoch zu keinem diplomatischen Eklat kam, wird von Fontane anschaulich beschrieben.

Fontanes Schilderung, die er zunächst 1872 als Aufsatz in der Vossischen Zeitung und ein Jahr später fast unverändert im «Pfaueninsel»-Kapitel veröffentlichte, basierte auf einem Referat Schneiders. Der Hofrat hielt seinen Vortrag am 29. Juni 1870 vor der 90. Wanderversammlung des Vereins für die Geschichte Potsdams, und zwar an dem Ort, an dem achtzehn Jahre zuvor Rachels Soloauftritt über die Bühne gegangen war: auf der Pfaueninsel. Fontane, der mit Schneider befreundet und unter den Zuhörern war, schrieb dessen Ausführungen in seinem Notizbuch mit [F-NB, C3; VGL. RADECKE2008, S. 219] und skizzierte die von ihm beschriebene provisorische Spielstätte auf dem Rasen: in der Mitte die Schauspielerin, von einem «engen Kreis von Generalen, Diplomaten, Ministern, Hofherren» [F-NB, C3; SCHNEIDER, S. 385] umschlossen. Da Schneider seinen Vortrag in freier Rede hielt und erst 1879 veröffentlichte, konnte Fontane für seinen Aufsatz nur auf seine Mitschrift zurückgreifen. So ist vielleicht zu erklären, dass er sich im Tag der Vorstellung irrte: Rachel trat nicht am «15. Juli 1852» auf, wie Fontane in der Überschrift sowohl im Notizbuch [F-NB, C3] als auch im Druck angibt, sondern zwei Tage früher. Allerdings hatte er in seinem ersten Notizbucheintrag (1861) das korrekte Datum vermerkt. [F-NB, A3]

Zur Erinnerung an den legendären Auftritt wurde eine von Bernhard Afinger geschaffene Statuette vor der Schlossruine aufgestellt. Ihre Inschrift enthält das korrekte Datum – und steht noch immer auf der Pfaueninsel.

Die Hrsg.

Die Pfaueninsel 15. Juli 1852

Und Stille, wie des Todes Schweigen

Liegt überm ganzen Hause schwer

Die Kraniche des Ibykus1

Mit 1840 schied die Pfaueninsel aus der Reihe der herrschenden Lieblingsplätze aus; Friedrich Wilhelm IV. griff auf die Friderizianische Zeit zurück und Sanssouci samt seinen Dependenzien belebte sich wieder. Das Rokokoschloss, das der Lichtenau ihre Entstehung verdankte, verfiel nicht, aber es kam außer Mode, und wie man die Jahrzehnte vorher gewallfahrtet war, um den Rosengarten der Pfaueninsel zu sehn, so führte jetzt die Eisenbahn viele Tausende hinüber, um, zu Füßen von Sanssouci, die Rosenblüte in Charlottenhof zu bewundern. Die Pfaueninsel kam außer Mode, so sagt’ ich, aber wenn sie auch nicht Sommerresidenz mehr war, so zählte sie doch noch immer zu jenen bevorzugten Havelplätzen, wo Friedrich Wilhelm IV. an Sommerabenden zu landen und in Stille, bei untergehender Sonne, seinen Tee zu nehmen liebte. Ein solcher Sommerabend war auch der 15. Juli 1852. Wir berichten näher über ihn.

Kaiser Nikolaus war am preußischen Hofe zu Besuch eingetroffen. Ein oder zwei Tage später erschien Demoiselle Rachel in Berlin, um daselbst ihr schon 1850 begonnenes Gastspiel zu wiederholen. Friedrich Wilhelm IV., mit seinem kaiserlichen Gaste in Potsdam verweilend, gab, als er von dem Eintreffen der berühmten Tragödin hörte, dem Hofrat Schneider Auftrag, dieselbe für eine Pfaueninsel-Vorstellung zu engagieren. Über diesen allgemein gehaltenen Auftrag hinaus wurde nichts angeordnet. Die nötigen Schritte geschahen; die Rachel, die natürlich ein Auftreten im Neuen Palais oder doch mindestens im Stadttheater erwartete, sagte zu.

Am Nachmittage des festgesetzten Tages traf die Künstlerin, in Begleitung ihres Bruders Raphael, auf dem Bahnhofe zu Potsdam ein. Hofrat Schneider empfing sie.

Die Situation dieses letzteren, der, trotz aller Bemühungen, nicht imstande gewesen war, bestimmtere Ordres, eine Art Festprogramm, zu extrahieren, war inzwischen eine ziemlich peinliche geworden. Die Tragödin verlangte Auskunft über alles, während solche über nichts zu geben war. Als ihr schließlich, auf immer direkter gestellte Fragen, gesagt werden musste, dass es an all und jeder Vorbereitung fehle, dass alles in die Macht ihrer Erscheinung und ihres Genius gegeben sei, geriet sie in die höchste Aufregung, fast in Zorn, und drohte, mit einem mehrfach wiederholten «jamais»2, die Unterhandlungen abzubrechen. Ihr Bruder Raphael bestärkte sie in ihrem Widerstande. «Eine Bänkelsängerin, eine Seiltänzerin, nie, nie!» Sie schickte sich an, mit dem nächsten Zuge nach Berlin zurückzufahren.

Was tun? Eine Niederlage ohnegleichen schien sich vorbereiten zu sollen. Aber die diplomatische Beredsamkeit des Unterhändlers wusste sie zu vermeiden. Er erinnerte die Tragödin zunächst daran, dass Molière in ähnlicher Situation vor dem Hofe Ludwigs XIV. gespielt und seine größten Triumphe gefeiert habe, was Eindruck zu machen schien; als aber die Zuflüsterungen des «linken Reiters» (Bruder Raphael) dennoch wieder die Oberhand erlangen zu wollen schienen, als das Wort «Bänkelsängerin» immer von neuem fiel, griff Hofrat Schneider endlich zu einem letzten Mittel. Er wusste, dass der berühmten Tragödin ungemein daran lag, in Petersburg – das ihr seit 1848, wo sie, von der Bühne herab, als «Göttin der Freiheit» die Marseillaise gesungen hatte, verschlossen war – wieder Zutritt zu gewinnen, und dieser Köder wurde jetzt nicht vergeblich an die Angel gesteckt. Der diplomatische Plénipotentiaire3 schilderte ihr mit lebhaftesten Farben, welch einen Eindruck es auf den Kaiser machen müsse, wenn er, heute abend auf der Pfaueninsel landend, erfahren würde, «Demoiselle Rachel habe es abgelehnt zu erscheinen», wie sich ihr aber umgekehrt eine glänzende, vielleicht nie wiederkehrende Gelegenheit biete, den Kaiser zu versöhnen, hinzureißen, wenn sie ihrer Zusage getreu bleibe. Dies schlug durch. «Je jouerai.»4

Bedenken, die auch jetzt noch von Viertelstunde zu Viertelstunde auftauchten, waren nur wie Wetterleuchten nach dem Gewitter und wurden mit verhältnismäßiger Leichtigkeit beseitigt. Unter diesen kleinen Bedenken war das erste, das laut wurde, die Kostümfrage. Nichts war zur Hand, nichts zu beschaffen. Ihre eigene Gesellschaftsrobe half indessen über diese Verlegenheit am ehesten hinweg. Sie trug ein schwarzes Spitzenkleid. Dies wurde ohne Mühe zu einem spanischen Kostüm hergerichtet. Ein Teil der kostbaren Alençons5, zu einem aufrecht stehenden Kopfputze arrangiert, barg eine blutrote Rose; ein schwarzer Schleier, ein irischer Kragen vollendeten die Toilette. So traf man, nach kurzem Aufenthalte in der Stadt, auf der Pfaueninsel ein.

Die Sonne war eben im Untergehen. Noch einmal ein flüchtiges Stutzen, als auf die Frage: «Où jouerai-je?»6 stumm auf den Rasenfleck hingedeutet wurde, der von rechts her bis dicht an das Schloss herantritt; – es war indessen die Möglichkeit eines «Nein», nachdem man bereits bis hierher gediehen war, so gut wie abgeschnitten, und zwar um so mehr, als eben jetzt der Hof, in seiner Mitte der Kaiser, erschien und Kreis schließend, links auf dem Kieswege und rechts auf dem Rasenplatze Aufstellung nahm. Nach rechts hin, unter den Ministern und Generalen, stand auch die Rachel.

Es war inzwischen dunkel geworden, so dunkel, dass ihr Bruder ein in einer Glasglocke steckendes Licht ergriff und an die Seite der Schwester trat; späterhin, inmitten der Deklamation, reichte auch das nicht aus und die berühmte Tragödin nahm dem Bruder das Windlicht aus der Hand, um sich selber die Beleuchtung zu geben. Ihr Mienenspiel war ihre Größe. Sie hatte eine Stelle aus der «Athalie»7 gewählt, jene, fünfter Akt, fünfte Szene, wo sie dem Hohenpriester das Kind abfordert:

Ce que tu m’as promis, songe à exécuter:

Cet enfant, ce trésor, qu’il faut qu’on me remette,

Où sont-ils?8

Sie spielte groß, gewaltig; es war, als ob das Fehlen alles Apparats die Wirkung steigere. Der Genius, ungehindert durch Flitter und Dekorationen, wirkte ganz als er selbst. Dabei brachen die Schatten des Abends immer mehr herein; die Luft war lau, und aus der Ferne her klang das Plätschern der Fontänen.

Alles war hingerissen. Zumeist der König. Kaum minder sein Gast, der Kaiser. Er trat an die Tragödin heran: «J’espère de vous voir à Petersbourg.»

«Mille remercîments; mais … Votre Majesté …»

«Je vous invite, moi.»9

Die kaiserliche Einladung war ausgesprochen, das Ziel erreicht, der große Preis des Abends gewonnen.

Eine Viertelstunde später, in lampiongeschmückten Gondeln, kehrte der Hof, der auf eine kurze Stunde die Pfaueninselstille belebt hatte, wieder in die jenseit der breiten Havelfläche gelegenen Schlösser zurück, nach Glienicke, nach Sanssouci, nach dem Neuen Palais. An der Stelle aber, an der an jenem Abend die Rachel gesprochen und einen ihrer größten Triumphe gefeiert hatte, erhebt sich jetzt, auf schlankem Postament, eine Statuette der Künstlerin, einfach die Inschrift tragend: «den 15. Juli 1852».

2

Die Inselwirtin: Elisabeth Friedrich

 

Elisabeth Friedrich (1788–1873) schaffte das, was nur wenigen Frauen in den Wanderungen gelang: sich von ihrem Mann zu emanzipieren. Deutlich wird diese Sonderstellung sowohl in der Kapitelüberschrift «Frau Friedrich» als auch gleich zu Beginn des Textes: «Frau Friedrich war eine Macht.»

Elisabeth Friedrich, geborene Riesleben, wurde in der Nähe von Wandsbek, heute ein Stadtteil von Hamburg, geboren und kam 1815 infolge ihrer Hochzeit mit dem aus Straßburg stammenden Joseph Friedrich (1789–1873) nach Berlin. Friedrich arbeitete als Maschinist am Berliner Königstädtischen Theater und übernahm 1820 die Stelle des Maschinenmeisters auf der Pfaueninsel. Hier «gründete Frau Friedrich ihre Pfaueninsel-Herrschaft», die fünfzig Jahre andauern sollte und ihr im Kapitel über «Die Pfaueninsel» des Havelland-Bandes (1873) wie Rachel Félix ein eigenes Unterkapitel bescherte. Die Basis ihrer Herrschaft wurde das Maschinenmeisterhaus, das sie in «ein Kaffeehaus von Frau Friedrichs Gnaden» verwandelte. Ihr war es durch einen raffinierten Trick gelungen, das königliche Schankverbot auf der Insel zu umgehen. Aus dieser eigentümlichen Machtstellung, schreibt Fontane, «entwickelte sich schließlich jener Absolutismus, der wohl gelegentlich, wie alle unumschränkte Herrschergewalt, ein wenig bedrücklich gefunden worden ist».

Fontanes ironische Zuspitzung fand nicht überall Zustimmung. Der Wanderungen-Autor habe, konstatierte beispielsweise Oberst D. Noël, der «Mutter Friedrichen» als Kind begegnet war, von der «resoluten» und «schlagfertigen» Inselwirtin «leider […] ein ganz falsches Bild» [NOËL,S. 51] gezeichnet.

Auch Fontane hat Frau Friedrich erlebt. Aus seinen Notizbüchern geht hervor, dass er bei seinen Pfaueninsel-Besuchen 1861 und 1870 [VGL.F-NB,A3BZW.F-NB,C3] in ihrem «Kaffeehaus» gewesen ist. Er erwähnt ihre stattliche Sammlung von über zweihundert Porzellantassen und – töpfen, die ihr «‹zur Erinnerung an eine froh verlebte Kaffeestunde›» [F-NB,C3] auch von Mitgliedern des Königshauses überreicht wurden. Außerdem beschreibt Fontane, wie er «Herr und Frau Friedrich beim Abendbrot» in ihrem idyllisch gelegenen «Haus am Hügelabhang», das er auch skizziert hat, angetroffen habe. [F-NB,A3] Offensichtlich wollte Fontane zunächst das Ehepaar Friedrich in den Mittelpunkt stellen, «eine Sehenswürdigkeit für sich, für manchen interessanter als die Insel selbst» [F-NB,A3]. So widmet er sich im Notizbuch ausführlicher als im gedruckten Text der Vita des «Künstlers» Joseph Friedrich, der Miniaturgebäude aus Elfenbein schnitzte, die im Schloss auf der Pfaueninsel ausgestellt wurden. [VGL.LISTEUNDZWEISKIZZENINF-NB,A3]

In den Wanderungen wird Herr Friedrich zum «Düftelgenie» degradiert und an der Seite seiner selbstbewussten Frau zur Nebenfigur. Die Herabsetzung wird auch am Entstehungsprozess der Überschrift deutlich: von «Bei Friedrichs» (1861) über «Frau Friedrichs Haus» (1870) in den Notizbüchern [F-NB, A3UND C3] bis hin zu «Frau Friedrich» im Zeitschriftenabdruck (1872) und den Wanderungen (1873). Für die zweite Auflage des Havelland-Bandes (1880) aktualisierte Fontane den Text dann nicht mehr.

Elisabeth Friedrich starb 1873, im selben Jahr wie ihr Mann. Das Ehepaar wurde auf dem Kirchhof zu Nikolskoe begraben.

Die Hrsg.

Frau Friedrich

Herr Friedrich saß auf Sanssouci,

Den Krückstock, den vergaß er nie;

Frau Friedrich findet’s à propos

Und sagt: «ich mach’ es ebenso.»

Demoiselle Rachel ist hinüber, Frau Friedrich lebt noch. Ihre goldene Hochzeit liegt hinter ihr, sie steht vor ihrer diamantnen. Funfzig Jahre Inselherrschaft haben ihren Namen an den Namen dieses stillen Eilands gekettet. Und welche Herrschaft! Das absoluteste «Car tel est notre plaisir»10, hier hat es seine Stätte.

Aber wer ist Frau Friedrich? In Potsdam kennt sie jeder; jeder hat ihr gehuldigt, jeder, wenn er auf der Insel landete, hat ihr einen allerfreundlichsten Guten Tag geboten und nach ihren Mienen gesehen, um zu wissen, ob gutes oder schlechtes Wetter sei. Das Schicksal ganzer Landpartien hing an dem Zwinkern dieser Augen; ein heitres Blinzeln bedeutete den besten Kaffee, eine einzige Krähenpfote strich einen Nachmittag aus dem Leben harmloser Mitmenschen und warf sie der Enttäuschung, unter Umständen dem Hunger, in die Arme. Frau Friedrich war eine Macht. Sie ist es noch. Aber noch einmal, wer ist Frau Friedrich?

Sie ist die Frau des gleichnamigen Maschinenmeisters. In einem früheren Abschnitt dieses Pfaueninsel-Kapitels haben wir erzählt, dass um 1822 ein Wasserwerk angelegt wurde, das, zunächst ein großes Reservoir speisend, mit Hülfe dieses die Aufgabe hatte, die sandigen Stellen der Insel zu bewässern und fruchtbar zu machen. Dieses Wasserwerk nun bedurfte einer Maschine und die Maschine wiederum eines Maschinenmeisters, wozu ein junger Straßburger Mechaniker, ein Düftelgenie, einer aus der großen Familie der Perpetuum-mobile-Erfinder, ausersehen wurde. Er hieß Friedrich und bekleidete bis zu seiner Ernennung zum Pfaueninsel-Maschinenmeister das Amt eines Maschinisten und Versenkungskünstlers am Königstädtischen Theater. Wie er zu diesem Amt gekommen, was ihn überhaupt an Spree und Havel gekettet und seinem «o Straßburg» ungetreu gemacht hatte, darüber sind nur noch Vermutungen gestattet, die aber schwerlich weit vom Ziele treffen, wenn sie die Lösung des Rätsels in einer quicken, von Lenzen oder Havelberg nach Berlin verzogenen Prignitzerin suchen, die schon damals die wenigstens partielle Eroberung des Elsass anstrebte. Und, wie sich von selbst versteht, mit Erfolg. Die märkischen Mädchen setzen durch, was sie wollen, und halten fest, was sie haben. Zumal die Fremden erliegen ihrer Zauberkunst. Los ist noch keiner gekommen. Ein neues Kapitel für die Dämonologie.

Wenn es nun je einen Elsasser gab, der einer Prignitzerin von allem Anbeginn an rettungslos verfallen war, so war es unser Freund Friedrich; in kürzester Frist waren die bindenden Worte gesprochen, die Ringe getauscht, und nachdem er noch eine kurze Zeit lang am Königstädtischen Theater gedonnert und geblitzt hatte, intervenierte plötzlich die mehrerwähnte Dampfmaschine und hob eines Tages nicht nur sechstausend Tonnen Wasser in das Reservoir hinein, sondern auch noch unsern Theatermaschinisten samt Frau in das Maschinenmeisterhaus auf der Pfaueninsel. Da setzte sie beide nieder und da sitzen sie noch. Da sitzen sie in einem gelben Hause, am Hügelabhang, unter Pfeifenkraut und Geißblattlauben, da sitzen sie seit nahezu fünfzig Jahren, erst mit Kindern, dann mit Enkeln, zuletzt mit Urenkeln gesegnet, und wiewohl als echte Inselbewohner unbekümmert um die Vorgänge des Kontinents, haben sie doch die Potentaten des Festlandes, die großen und die kleinen, ihrerseits empfangen und in langer Reihe an ihrem Hause und ihrer Gartenbank vorüberziehen sehn. Gute, glückliche Leute, loyal und frei. Da liegt’s. Auf einer ganz eminenten Freiheit, die sich sonderbarerweise auf dem Beschränkungsparagraphen: «Wirts- und Kaffeehäuser sind unzulässig an dieser Stelle» aufbaute, gründete Frau Friedrich ihre Pfaueninsel-Herrschaft. Alles, was hier landete, wenn es seinen Schlossgang hinter sich hatte, hatte das dem norddeutschen Menschen tief innewohnende Bedürfnis des Nachmittagskaffee, und da kein Platz da war, wo dies Bedürfnis regelrecht nach den alten Traditionen von Angebot und Nachfrage befriedigt werden konnte, so blieb den Durstigen nichts übrig, als um Dinge zu bitten, die nun mal nach Lage der Sache nicht befohlen werden konnten. So wurde das Maschinenmeisterhaus ein Kaffeehaus von Frau Friedrichs Gnaden und aus dieser eigentümlichen Machtstellung entwickelte sich schließlich jener Absolutismus, der wohl gelegentlich, wie alle unumschränkte Herrschergewalt, ein wenig bedrücklich gefunden worden ist. Um keinen Louis-Quatorze11 ist 50 Jahre lang so andauernd geworben worden wie um diesen l’état c’est moi12. Die weibliche Trägerin dieses Satzes verkaufte nicht, sie spendete nur. Ein kleinster Verstoß, ein zu sicheres Auftreten, eine zu früh gezeigte Börse, eine Krawatte, deren Farbe missfiel, und – die Gnade konnte entzogen werden. Man trank hier seinen Kaffee immer mit Augen links, immer lächelnd, immer die Hand am Hut und vielleicht schmeckte er nur deshalb so vorzüglich, weil er wirklich teuer erkauft und errungen war.

Dies alles traf nun aber bloß den Namenlosen, den Unbekannten, der führerlos an diese Küste verschlagen des Vorzugs entbehren musste, der Frau Friedrich vorgestellt oder irgendwie empfohlen zu sein. Über alle diese Hazardeurs brach es gelegentlich herein. Die Kugel rollte, rot oder schwarz, und wer wollte sagen, wohin sie fiel. Aber die Billigkeit erzwingt doch gleicherzeit das Anerkenntnis, dass das Gesetz des Introduziertseins nicht mit Strenge gehandhabt wurde und dass im großen und ganzen jeder ein Empfohlener war, der sich – nach den Traditionen des alten Preußens – durch Epaulette13 oder Orden beglaubigen konnte. Waren es nun gar Personen, die dem Königshause «verwandt oder zugetan» waren, so brach die Loyalität in hellen Flammen siegreich durch. Die Liebenswürdigkeit der Frau Friedrich wetteiferte an solchem Tage mit ihrer Kochkunst und ihr märkisch-schlagfertiger Witz tat das Weitere, um das Maschinenmeisterhaus bei den hohen Besuchern in gutem Andenken zu erhalten. Traditionell pflanzte sich alsbald die Sitte fort, diesem Andenken einen ganz bestimmten Ausdruck zu leihn: ein Milch- oder Sahnentopf wurde «zur Erinnerung an eine froh verlebte Kaffeestunde» bei Frau Friedrich abgegeben. Daraus entstand denn im Laufe eines Menschenalters ein Porzellankabinett, wie es die Welt wohl nicht zum zweiten Male gesehen hat, eine Topfkollektion, neben der die berühmtesten Pfeifensammlungen verschwinden. Das Aufstellungslokal war und ist natürlich die in ihrer Sauberkeit ein Schmuckkästchen bildende Küche, und an allen Borden und Realen hin, in Schränken und Ständern, als Garnierung von Wand und Rauchfang, hängen an Nägeln und Häkchen an 200 Töpfe und Töpfchen. Alle ein Souvenir. Jede Form und Farbe, jedes denkbare Material, jede Art der Verzierung ist vertreten. Endlos wechseln weiß und blau, und grün und gold; Glas, Biskuit, Chausseestaub gesellen sich dem Gros des eigentlichen Porzellans, das wiederum seinerseits zwischen China und Frankreich, zwischen Meißen und Sèvres hin- und herschwankt. Hautrelief und Basrelief, bemalt und gekratzt, so präsentieren sich die Ornamente. Zahlreich sind die Porträts, noch zahlreicher die Schlösser vertreten, und zwischen Prinzen und Prinzessinnen, zwischen Marmor- und Neuem Palais, erscheinen Vater Wrangel und Minister von der Heydt; der letztere sogar in Begleitung eines Pfauenpaares. Schon in den fünfziger Jahren war die Zahl der Bildnisse so groß, dass König Friedrich Wilhelm IV., als er in neckischem Geplauder um einen Porträtkopf gebeten wurde, replizieren konnte: «Sie haben hier meine Minister und Generale aufgehängt, nun soll mir dasselbe passieren. Ich werde mich hüten.» Aber die Ablehnung selbst involvierte bereits eine anderweite Zusage und zwei Tage später hatten zwei Souvenirs von Sanssouci die Sammlung vermehrt.

Diese Küche, wie wir nur wiederholen können, ist einzig in ihrer Art, und es verlohnt sich eine Viertelstunde lang in dieser eigentümlichsten aller barocken Porträtgalerien zu verweilen.

Aber so unterhaltlich ein Aufenthalt an dieser Stelle ist, zumal wenn Frau Friedrich sich herablässt, einiges aus der Fülle ihres Erinnerungs- und Anekdotenschatzes auszustreuen und die ganze Stätte zu beleben, der eigentlichste Zauber dieses glücklichen Fleckchens Erde liegt doch draußen, auf dem schmalen Gartenstreifen zwischen Haus und Fluss. Ulmen und Linden stellen sich zu natürlichen Lauben zusammen und zwischen Apfelbäumen und Blumenbeeten hin führt ein schmaler Gang zu einer weinumlaubten Wassertreppe. Hier sitzt man, während der Wind über die Levkojenbeete fährt, und genießt die Stunde des Sonnenunterganges, dessen reflektiertes Licht eben jetzt die Spitzen der gegenübergelegenen Kiefern rötet. Das Haveltreiben zieht beinah geräuschlos an uns vorüber; Dampfschiffe, unter glückverheißendem Namen: Fortuna und Viktoria, schießen auf und ab; Segelschiffe, schwer und langsam, dazwischen. Und nun Gondeln mit Musik, und drüben schweigend der Wald, aus dem die Hirsche treten.

Der Abend kommt, die Nebel steigen, die Kühle mahnt zur Rückfahrt und unser Boot schiebt sich durch das Rohr hin und in die freie Wasserfläche hinaus. Hinter uns, die verschleierte Mondsichel über den Bäumen, versinkt das Eiland. Mehr eine Feen- als eine Pfaueninsel jetzt!

3

Die Agrarpionierin: Helene Charlotte von Friedland

© Kupferstich o.J., Künstler unbekannt © akg-images/bilwissedition

Keine Schwächen und keine Sünden. Nur Lob für Wesen und Wirken: «Es war eine seltene und ganz eminente Frau; ein Charakter durch und durch», schreibt Fontane über die geschiedene Charlotte Helene von Lestwitz (1754–1803). Sie ist die emanzipierteste Frau in den Wanderungen, in die sie, wie die Schauspielerin Rachel Félix, aufgenommen wurde, ohne dass ein «tüchtiger Kerl» [F-HERTZ, S. 60] hinter oder neben ihr stand.

Verantwortlich für das Scheitern ihrer Ehe macht Fontane ihren Gemahl Adrian Heinrich von Borcke, den preußischen Gesandten am sächsischen Hof in Dresden. Den Grund – Borcke hatte Ehebruch begangen – nannte Fontane nicht oder er wusste nichts davon. Nach der Annullierung der Ehe wollte «die Geschiedene so wenig wie möglich an eine Ehe erinnert» werden und nahm «unter Zustimmung des Königs den Namen einer Frau von Friedland» an. Mit ihrer Tochter Henriette Charlotte, der späteren Gräfin von Itzenplitz, kehrte sie «nach Schloss Kunersdorf, in das elterliche Haus zurück». Daher ordnete Fontane den Text über «Frau von Friedland» dem «Kunersdorf»-Kapitel im Oderland-Band (1863) zu.

Zunächst sah es so aus, als wenn die Friedland das Leben einer verwitweten Haustochter führen würde. Sie widmete sich «ausschließlich der Erziehung der Tochter und der Ausbildung ihres eigenen Geistes». Nachdem ihr Vater, der preußische Generalmajor Hans Sigismund von Lestwitz, 1788 gestorben war, übernahm sie jedoch ohne zu zögern die Verwaltung der Güter. Und entwickelte sich zu einer Agrarpionierin, die sich über die Grenzen Brandenburgs Respekt und Anerkennung verschaffte. Die Autodidaktin wurde zu einer Vorreiterin der modernen und nachhaltigen, auf Gewinn und Verlust ausgelegten rationellen Land- und Betriebswirtschaft, sie experimentierte mit Fruchtfolgen, legte Baumschulen und ein modellhaftes Herbarium an.

Sogar Albrecht Daniel Thaer, der Begründer der Agrarwissenschaften, interessierte sich für ihre Erfolge. Fontane schreibt in dem 1862 veröffentlichten Buch Denkmal Albrecht Thaers zu Berlin, dass Thaer auf seinen 1799 und 1801 unternommenen Reisen in die Mark Frau von Friedland und ihre Familie kennengelernt habe. «Der Aufenthalt in Kunersdorf, dem schönen Gute der Frau von Friedland, wo diese ausgezeichnete, mit allen Details der Wirtschaftsführung vertraute Frau lebte, war ihm genuss- und lehrreich zugleich.» [F-THAER] Im Friedland-Kapitel der Wanderungen zitiert Fontane zwei längere Passagen aus Thaers dreibändigem Werk: Einleitung zur Kenntnis der englischen Landwirtschaft (1801–1804).

Welche Bedeutung Friedlands Wirken hatte, zeigt auch der Nachruf in der National-Zeitung der Teutschen vom 31. August 1803, die der Friedland und ihren außergewöhnlichen Leistungen die Titelseite und zwei weitere Seiten einräumte. Sie sei ein Vorbild für jeden «teutsche[n] Mann», der «in seinem Wirkungskreis sein Leben hindurch verhältnißmäßig so viel leisten [möge], wie diese Frau in dem ihrigen während weniger Jahre!».

Und was schreibt Fontane in den Wanderungen über sie? Er lässt eine angemessene Würdigung ihrer Erfolge vermissen. Zwar lobt er die «ganz besonderen Verdienste der Frau von Friedland», thematisiert aber nur ihre Ernteerfolge sowie ihre Baumschulen und Pflanzungen, die Erstaunen erregten. Hervorhebenswert scheint darüber hinaus «ihr Organisations- und Erziehungstalent, ihre Gabe, Leute aus dem Bauernstande zu treuen und tüchtigen Verwaltern, Förstern und Jägern heranzubilden». Ganz ohne Männer geht es dann doch nicht. Wie die Preisung eines Mannes für eine vergleichbare Leistung aussehen kann, belegt Fontane für den Gutsbesitzer Jobst Gerhard von Hertefeld auf Liebenberg. Dessen Errungenschaften bezeichnete er als «epochemachend für die Kulturgeschichte der Mark» [FÜNF SCHLÖSSER, GBA, BD.5, S. 241].

Die Hrsg.

Frau von Friedland

1788–1803

Hans Sigismund von Lestwitz war am 16. Februar 1788 zu Berlin gestorben, seine Leiche aber nach Kunersdorf übergeführt worden. Da ihm, wie wir gesehen haben, Amt Friedland als freies Eigentum von seiten des Königs verliehen worden war, so ging nun die ganze Herrschaft Friedland, die bereits eine ganze Anzahl von Gütern zählte, auf seine Erbtochter über, die damals schon den Namen «Frau von Friedland» führte. Mit diesem Namen hat es folgende Bewandtnis:

Helene Charlotte von Lestwitz, geb. am 18. November 1754, vermählte sich 1771, also kaum siebzehn Jahre alt, mit Adrian Heinrich von Borcke, Königlichem Gesandten in Dresden, später in Stockholm. Die Ehe war jedoch, durch Schuld des Gemahls, keine glückliche und wurde, bald nach der Geburt einer Tochter Henriette Charlotte, spätere Gräfin von Itzenplitz, wieder getrennt.

Da die Geschiedene so wenig wie möglich an eine Ehe erinnert sein wollte, die ihr eine Last und Kränkung gewesen war, so nahm sie unter Zustimmung des Königs den Namen einer Frau von Friedland an und führte das Lestwitzsche Wappen fort. Gleichzeitig kehrte sie nach Schloss Kunersdorf, in das elterliche Haus zurück und lebte daselbst ausschließlich der Erziehung ihrer Tochter und der Ausbildung ihres eigenen Geistes. Nach dem Tode des Generals, ihres Vaters, übernahm sie sofort die Verwaltung der beiden Güter, und da es ihrem scharfen Auge nicht entging, dass die Bewirtschaftung, um zu größeren Erfolgen zu gelangen, vor allem eines größeren Betriebskapitals als bisher bedürfe, so verkaufte sie ihren Schmuck und ihre Juwelen, um sich in den Besitz eines solchen Kapitals zu bringen.

Dieser erste Schritt, mit dem sie die Verwaltung ihrer Güter begann, zeigt am besten, welcher raschen und energischen Entschlüsse sie fähig war. Es war eine seltene und ganz eminente Frau; ein Charakter durch und durch. General von der Marwitz auf Friedersdorf, der ihr Gutsnachbar war, hat uns in seinen Memoiren eine Schilderung dieser ausgezeichneten Frau hinterlassen. Er schreibt: «Das meiste in der Landwirtschaft – ungefähr alles, was ich nicht schon aus der Kindheit wusste und nachher aus der Erfahrung erwarb – habe ich von einer sehr merkwürdigen Frau in unserer Nachbarschaft gelernt, von einer Frau von Friedland. Als ich sie kennenlernte (1802), war sie ungefähr zwölf Jahre im Besitz der Güter und führte alles mit beispielloser Ausdauer und Umsicht. Es waren sechs große Wirtschaften, die sie selbst leitete; Unterbeamte hatte sie keine andern als Bauern, die sie selbst dazu gebildet hatte. Nicht nur war der Ackerbau im blühendsten Zustande, sondern sie hatte ihre Wälder aus sumpfigen Niederungen auf bisher öde Berge versetzt, diese Niederungen aber in Wiesen verwandelt, und so in allen Stücken. Ein solches Phänomen war natürlicher Weise weit und breit verschrien. Man sagte, sie ritte auf den Feldern umher (das war wahr) und hätte beständig die Peitsche in der Hand, womit sie die Bauern zur Arbeit treibe – das war erlogen. Ich fand im Gegenteil eine wahre Mutter ihrer Untergebenen in ihr. Wo sie sich sehen ließ, und das war den ganzen Tag bald hier, bald dort, redete sie freundlich mit ihnen, und den Leuten leuchtete die Freude aus den Augen. Aber gehorchen musste alles. Sie war aber nicht bloß eine Landwirtin, sondern eine höchst geistreiche und in allen Dingen unterrichtete Frau. Ich schulde ihr sehr viel; sie hatte mir, als ich Friedersdorf übernahm, die nötigen Wirtschaftsbeamten verschafft und die Rechnungsbücher einrichten lassen.»

So weit Marwitz über Frau von Friedland. Sehr ähnlich, aber noch lebhafter, wärmer, begeisterter, äußert sich Thaer über dieselbe, der sie im Sommer 1801, nachdem er schon 1799 ihre erste Bekanntschaft gemacht hatte, bei seinem zweiten Besuch in der Mark näher kennenlernte. Er schreibt: «Auf der Grenze ihrer Herrschaft kam uns Frau von Friedland, eine der merkwürdigsten Frauen, die je existiert haben, in vollem Trabe entgegen, sprang vom Pferde und setzte sich zu uns in den Wagen. Nun ging es in vollem Galopp über Dämme und Gräben weg. Wir fuhren vier volle Stunden von einem Ort zum andern. Fünf bis sechs Verwalter, Schreiber usw. waren immer neben und hinter dem Wagen und mussten bald eine Herde Kühe, bald eine Herde Schafe oder Schweine herbeiholen. Da indessen einige der Gesellschaft nicht länger verhehlen konnten, dass ihnen nach einem Imbiss verlange, sagte Frau von Friedland: ‹Wir sind sehr bald zu Hause; wollen Sie aber im Freien essen, kann ich Ihnen sogleich etwas schaffen.› Als wir letzteres versicherten, ging es sofort in einen prächtigen Wald hinein, einen steilen Berg hinauf, wo wir erst ein Feuer und bald darauf eine gedeckte Tafel erblickten, auf einem Platze, wo wir im Vordergrunde dichte Waldung, zur Seite einen großen See und in der Ferne eine weite Aussicht in das herrliche Oderbruch hatten. Eine Menge von Schüsseln, die schönsten Weine und ein Dessert von Ananas, Weintrauben usw. ward aufgetragen. Aber sie ließ uns zum Essen und Trinken nicht eben viel Zeit. Es ging bald wieder fort, von einer Feldflur zur andern, und so waren wir gewiss funfzehn Meilen die Kreuz und Quer gefahren, ehe wir auf ihrem gewöhnlichen Wohnsitze, auf Schloss Kunersdorf, ankamen. Sie hat außerdem noch sieben bis acht völlig eingerichtete Wohnungen, wo sie, wie es ihr einfällt, Mittag oder nachts bleibt. Ihre Leute wissen es keine Stunde vorher, wo sie essen oder schlafen will.»

Im weiteren Verlauf der Schilderung, die Thaer von ihr entwirft, heißt es an anderer Stelle:

«Heute von morgens sechs Uhr an bis jetzt, abends zehn Uhr, hat sie uns nicht fünf Minuten Ruhe gelassen. Wir haben gewiss vier Spann Pferde müde gefahren. So etwas von Aktivität ist mir noch nie vorgekommen. Sie hat über ein Dutzend Verwalter, Schreiber und Meier, und dennoch kennt sie jeden kleinen Gartenfleck, jeden Baum, jedes Pferd, jede Kuh und bemerkt jeden kleinen Fehler, der in der Bestellung vorgefallen ist, jede Lücke in einer Hecke, jeden falschgestellten Pflug. Sie hat nicht nur mehrere große Branntweinbrennereien und Brauereien, sondern betreibt auch ein starkes Mühlengewerbe, weshalb sie sich förmlich in das Müllergewerk hat einschreiben lassen, so dass sie das Meisterrecht hat und Lehrburschen ein- und losschreiben kann.»

Diese Schilderungen, sowohl die Thaerschen wie die von Marwitz herrührenden, deuten bereits den Punkt an, worin Frau von Friedland ganz besonders hervorragte; ich meine ihr Organisations- und Erziehungstalent, ihre Gabe, Leute aus dem Bauernstande zu treuen und tüchtigen Verwaltern, Förstern und Jägern heranzubilden. Sie zeigte dabei ebensoviel Menschenkenntnis, wie sie zugleich ihrerseits Gelegenheit fand, sich von der Bildungsfähigkeit der hier lebenden deutsch-wendischen Mischrace zu überzeugen.

Die meisten und besten Grundstücke der Herrschaft Kunersdorf-Friedland gehörten jenem Teile des Oderbruchs an, der erst durch die von Friedrich dem Großen ausgeführte Odermelioration14 dem Wasser und Sumpf abgerungen wurde. Diese Grundstücke waren nicht sofort fruchtbar, mehrere Dezennien vergingen, ehe bei dem damaligen mangelhaften Zustande des Ackerbaus in unserer Provinz auf diesem eroberten Grund und Boden auch nur mäßige Ernten erzielt werden konnten. Hier treten uns nun die ganz besonderen Verdienste der Frau von Friedland entgegen.

Aber auch verwandten Gebieten wandte sie ihre Aufmerksamkeit und ihren Eifer zu. Ihre Baumschulen, ihre Pflanzungen erregten Erstaunen, sowie denn zum Beispiel im Frühjahr 1803 ein Vorrat von fünfundzwanzig Wispeln15Kienäpfel zur Aussaat sich vorfand. Auch auf Verschönerungen war sie feinen Sinnes bedacht, und die reizenden Partien zwischen Buckow und Pritzhagen, die «Springe», die «Silberkehle» und andere Glanzpunkte der Märkischen Schweiz sind, ihrer ersten Anlage nach, ihr Werk.

Durch Umsicht, Sorgsamkeit und Anspannung aller ihr zur Verfügung stehenden Mittel den Reichtum des Bruchbodens gefördert und seine Naturkräfte lebendig gemacht zu haben, wird immer ein besonderes und nicht leicht zu überschätzendes Verdienst dieser ausgezeichneten Frau verbleiben. Was sie tat, wurde Beispiel, weckte Nacheiferung und wurde, wie ihr zum Nutzen, so dem ganzen Landesteile zum Segen. Sie starb noch nicht neunundvierzig Jahre alt am 23. Februar 1803 infolge einer heftigen Erkältung, die sie sich, zu rascher Hilfe herbeieilend, bei einem in der Nähe von Kunersdorf ausgebrochenen Feuer zugezogen hatte. Ihr Gedächtnis lebt segensreich in jenen Oderbruchgegenden fort, die ihrem Vorbild, ihrem Rat und ihrer Hilfe so viel verdanken.

4

Die «Geliebten» des Kronprinzen: Sabine Cusig und Louise von Wreech

 

Sabine Cusig und Louise von Wreech haben Fontanes Interesse einem Mann zu verdanken: Friedrich dem Großen. Und Fontane haben wir es zu verdanken, dass sie als dessen Geliebte in die «Historie» eingegangen sind. Im ersten Wanderungen-Band (1862