Wunschpartner - Marlies Fösges - E-Book

Wunschpartner E-Book

Marlies Fösges

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Beschreibung

Antonia Weber, Beziehungscoach und erfolgreiche Autorin von Liebesratgebern, ist gerade frisch verliebt. Ihre Klienten schlagen sich unterdessen mit den üblichen Paarproblemen herum: Missverständnisse, zu hohe Erwartungen, Enttäuschungen … Oder sie wünschen sich sehnlichst eine Beziehung und sind von der erfolglosen Suche nach einem Partner frustriert. Während Antonia ihre Klienten dabei unterstützt, Beziehungsknoten zu lösen und Denkblockaden zu überwinden, wird sie selbst noch einmal von einem alten Verhaltensmuster eingeholt … Wird ihre Beziehung daran scheitern? »Wunschpartner« ist Lesevergnügen und Coaching in einem. Sie können mit Antonia und ihren Klienten mitfühlen, mitlachen und mitfiebern. Zugleich finden Sie sich bestimmt selbst in der einen oder anderen Situation wieder und erhalten Anregungen, wie Sie die eigene Partnerschaft noch erfüllender oder Ihre Partnersuche erfolgreicher gestalten können.

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Seitenzahl: 415

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Die Handlung und die handelnden Personen dieses Buches sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit real existierenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist nicht beabsichtigt und wäre rein zufällig.

Dieses Buch enthält Verweise zu Webseiten, auf deren Inhalte der Verlag keinen Einfluss hat. Für diese Inhalte wird seitens des Verlags keine Gewähr übernommen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich.

Originalausgabe

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten

ISBN 978-3-8434-6377-5

© 2017 Schirner Verlag, Darmstadt

1. E-Book-Auflage 2018

Umschlag: Simone Fleck, Schirner, unter Verwendung von # 238597558 (© Yulia Furman) und # 479130001 (© NadzeyaShanchuk), www.shutterstock.com

Bildnachweis: # 345383297 (© nnnnae), www.shutterstock.com

Lektorat & Print-Layout: Claudia Simon, Schirner

E-Book-Layout: Rudolf Scholz, Schirner

Gesetzt aus der Arimo (© Ascenderfonts.com)

unter der Apache-Lizenz 2.0: www.apache.org/licenses/LICENSE-2.0

E-Book-Erstellung: Datagrafix GmbH, Berlin

www.schirner.com

Über die Autorin

Nach vielen Berufsjahren als Diplom-Sozialpädagogin widmet sich MARLIES FÖSGES jetzt ganz ihrer Berufung als Autorin und Kommunikationstrainerin. In ihren Ausbildungsgruppen, Einzelcoachings und Romanen vermittelt sie vor allem, dass Veränderung möglich ist und leicht sein darf. »Wunschpartner« ist ihr dritter Roman.

www.foesges.de

Inhalt

Prolog

I never promised you a rose garden

Lady in red

Love is in the air

Lazy sunday afternoon

Bridge over troubled water

Lonesome rider

Don’t bring me down

I’ll be your baby tonight

You can’t always get what you want

I only wanna be with you

Owner of the lonely heart

Tears on my pillow

Waiting for the sun

What a difference a day makes

Life is a rollercoaster

Wishing and hoping

Just the way you are

Don’t let me be misunderstood

Upside down

Love hurts

Go your own way

Wind of change

Love is like oxygen

On a carousel

Singin’ in the rain

Fly like an eagle

Die Übungen

Meta-Spiegel (für Konflikte mit einer anderen Person)

Stoppschild zum Unterbrechen des inneren Dialogs

Problemraum – Zielraum

Re-Imprint (Neuprägung)

Gewaltfreie Kommunikation

Aufstellungsarbeit

Verhandlungsmodell zur Integration zweier widerstreitender innerer Teile

Erläuterungen zum Re-Imprint

Dieses Buch widme ich meinem Bruder Gerd, der selbst als Ehe-, Familien- und Lebensberater tätig ist und mich als kompetenter und kritischer Erstleser wunderbar unterstützt hat, und meiner Schwester Hildegard, die mich mit ihrem begeisterten Feedback immer wieder zum Weiterschreiben motiviert hat.

Deine Aufgabe ist nicht,

nach Liebe zu suchen,

sondern nach den Barrieren

in dir selbst, die du gegen

sie aufgebaut hast.

Prolog

Antonias Tagebuch

24. Jan., mittags

Anstrengende Fahrt, viel Verkehr. Ob die auch alle zum Coaching-Kongress gefahren sind? Unwahrscheinlich. Egal, ich bin gut angekommen, habe ein schönes, ruhiges Nichtraucherzimmer bezogen, und gleich geht es los. Ich habe Kopfschmerzen und brauche unbedingt einen Kaffee.

24. Jan., abends

Ich genieße die offene und fröhliche Atmosphäre hier und bin froh, einfach nur Teilnehmerin sein zu dürfen – einmal ganz ohne Vortragsverpflichtung! Der Eröffnungsvortrag verband die neuesten Erkenntnisse der Neurowissenschaften mit der Coaching-Praxis und war wirklich gut. Aber nach der langen Fahrt und den beiden Workshops heute Nachmittag bin ich völlig geschafft und habe keine Lust mehr aufs Abendprogramm. Habe nur eine Suppe im Hotelrestaurant gegessen und gehe jetzt ins Bett.

25. Jan., Mittagspause

Viele nette Kontakte ergeben sich während der Pausen, und ich wundere mich, wie häufig ich erkannt und auf meine Bücher angesprochen werde, besonders auf »Da hast du recht, Schatz! – Strategien für mehr Humor und Gelassenheit in der Partnerschaft«, das erst vor drei Monaten erschienen ist.

Ich bin immer wieder fasziniert, was es alles auf dem Coaching-Markt gibt: Coaching mit Falken, mit Klopftechnik und mit schamanischem Trommeln! Vom Workshop »Arbeit mit den inneren Teilen«, bei dem ich heute Vormittag war, hatte ich mir allerdings etwas mehr versprochen. Aus Langeweile habe ich die anderen Teilnehmer studiert. Es sind sogar einige interessante Männer hier.

25. Jan., früher Abend

Ich mag nicht mehr reden! »Ach, bist du nicht …? Ich habe da mal eine Frage … Sollen wir uns über XING, Facebook, LinkedIn … vernetzen? Hier ist meine Karte …«

Ich brauche Ruhe!!! Heute Abend werde ich mich in das kleine Tapas-Restaurant setzen, das ich gestern in der Mittagspause entdeckt habe, und ganz allein ein meditatives Abendessen genießen.

25. Jan., fast Mitternacht

Sein Name ist Fabrizio Landt, und er hat attraktive Lachfältchen um die schönen braunen Augen. Zuerst war ich alles andere als begeistert, als wir am Eingang zum Restaurant zufällig aufeinandertrafen und dann plötzlich zusammen an einem Tisch saßen. Doch auf einmal haben wir ununterbrochen geredet. Es hat Spaß gemacht und fühlte sich leicht und vertraut an. Jetzt bin ich so aufgedreht, dass ich bestimmt nicht schlafen kann.

26. Jan., abends

Wieder zu Hause. Ich genieße die Stille in meiner Wohnung. Aber einen Menschen gibt es, mit dem ich jetzt gern reden würde. Wir haben E-Mail-Adressen ausgetauscht …

I never promised you a rose garden

»Mein Mann macht mich wahnsinnig!« Sonja saß mit geballten Fäusten in ihrem Sessel und starrte auf die Holzmaserung des Beistelltisches. »Früher haben wir gestritten, jetzt antwortet er mir nicht einmal mehr, wenn ich etwas von ihm verlange.«

»Hm.« Antonia sah ihre Klientin aufmerksam an. Es war nicht das erste Mal, dass Sonja im Coaching ihre Ehe thematisierte. »Du verlangst also etwas von deinem Mann, und er redet einfach nicht mit dir?«

Sonja kannte Antonia lange genug, um die liebevolle Ironie aus der Frage herauszuhören. Sie verzog die Mundwinkel und griff zum Wasserglas, an dem ihr Lippenstift rosa Abdrücke hinterließ.

»Was ist denn dein Ziel für unsere heutige Stunde?«, fragte Antonia. »Was soll anders sein, wenn du gleich hier rausgehst?«

»Bäääh«, maulte Sonja, »kann man nicht einfach mal ein bisschen Dampf ablassen?«

»Okay, leg los!«

Aber Sonjas Wut war bereits verpufft. Resignierend zog sie die Schultern hoch. »Volker regt mich auf – egal, was er tut. Er ist ständig schlecht gelaunt und weicht mir aus, wenn ich etwas von ihm will.«

»Auch wenn du Sex willst?« Antonia riss in gespieltem Erstaunen die Augen auf.

»Sex?!«

Wie viele Emotionen der Klang einer einzigen Silbe transportieren konnte: Erschrecken, Abwehr, Frustration, Traurigkeit, Sehnsucht. Antonia überlegte noch, wie sie am besten darauf eingehen sollte, als Sonja weiterredete: »Machst du Witze? Sex haben wir schon lange nicht mehr.«

»Nun gut. Wenn du daran denkst, wie es dir aktuell in deiner Ehe geht, was möchtest du dann heute aus der Coaching-Stunde mitnehmen?«

»Ein besseres Gefühl? Oder einfach wissen, was ich will? Keine Ahnung.« Sonja zog an einer dunkelblonden Haarsträhne, die sich aus dem Haarband in ihrem Nacken gelöst hatte.

»Manchmal hilft es, die Dinge aus einer veränderten Perspektive zu betrachten. Hast du Lust auf ein Experiment?« Als Sonja nickte, bat Antonia sie, zwei Kärtchen auf den Boden zu legen. Auf das eine hatte sie »Sonja« und auf das andere »Volker« geschrieben. »Finde einen Platz für dich hier im Raum, und dann bestimme ganz aus deinem Gefühl heraus, in welchem Abstand du das Kärtchen, das deinen Mann repräsentiert, hinlegen willst.« Antonia war nicht sonderlich überrascht, dass Sonja die ganze Länge des Zimmers nutzte und »Volker« etwa vier Meter von sich entfernt platzierte. Sie stellte sich neben ihre Klientin, als diese auf ihrem eigenen Kärtchen stand und nun die Charakterzüge benennen sollte, die den Umgang mit ihrem Mann so schwierig machten.

»Er ist stur. Er redet nicht mit mir. Er geht überhaupt nicht auf mich ein. Er zeigt mir schon lange nicht mehr, dass ihm etwas an mir liegt. Und … ich denke, ich finde ihn nicht mehr attraktiv.«

Antonia hatte Sonjas Mann nur einmal kurz gesehen, als er sie vom Coaching abgeholt hatte, weil ihr Auto in der Werkstatt war. Halbglatze, Doppelkinn und ein Bauch, bei dem ihr der T-Shirt-Aufdruck »Bier hat diesen schönen Körper geformt« in den Sinn gekommen war. So hatte er bei der Hochzeit vor ungefähr zwanzig Jahren sicher nicht ausgesehen. Doch es war seine muffelige Ausstrahlung gewesen, die Antonia hatte denken lassen, dass sie den Mann nicht geschenkt nehmen würde. Sie kommentierte Sonjas Aussagen nicht, sondern bat sie, nun mit einem weiteren Kärtchen eine dritte Position einzurichten, von wo aus sie die beiden auf dem Boden liegenden Namenskärtchen gut sehen konnte. »Jetzt stell dir bitte vor, dass du wie eine Zuschauerin im Kinosaal den Film ›Volker und Sonja‹ anschauen kannst, und beschreibe, wie du dich Volker gegenüber verhältst. Wie beeinflussen deine Verhaltensweisen Volkers Verhalten und lösen vielleicht sogar Reaktionen bei ihm aus?«

Sonja zog scharf die Luft ein, ihr linkes Augenlid zuckte. »Könnte sein, dass er sich von mir bedrängt fühlt. Ich rede ja meistens genug für zwei und lasse ihn nicht zu Wort kommen. Und dann sind es häufig Vorwürfe, die er von mir zu hören bekommt.«

»Ja. Wie könntest du auf andere Weise reagieren?«

Wieder ein tiefer Atemzug. Sonjas Blick war zum Boden gerichtet. »Ich könnte … ihm mehr Zeit lassen?«

»Ja. Was noch?«

»Weniger Vorwürfe.«

»Und was stattdessen?«

Erstaunt sah Sonja auf. »Jetzt verlange bloß nicht von mir, dass ich ihn auch noch dafür loben soll, dass er den Hintern nicht hochkriegt.«

»Ich verlange bestimmt nichts von dir«, sagte Antonia lachend. »Allerdings ist es wissenschaftlich erwiesen, dass der Umgang mit Männern viel leichter wird, wenn man ihnen eine gewisse Anerkennung schenkt.«

»Wissenschaftlich erwiesen« klang immer gut. Sonja reagierte wie erwartet. »Anerkennung, ja?! Und wofür bitte? Und wer gibt mir Anerkennung?«

»Wir kommen darauf zurück. Zunächst hätte ich gern, dass du eine vierte Position einrichtest, nämlich die des Filmvorführers, der in seinem Glaskasten sitzt und die Zuschauerin im Saal ebenso sehen kann wie den Film mit unseren beiden Hauptdarstellern.« Antonia begleitete Sonja zu dieser vierten Position und sagte: »Betrachte jetzt die ganze Situation aus der Perspektive des Filmvorführers. Der Abstand hilft dir, Distanz zu deinen eigenen Gefühlen zu bekommen.« Als Sonja nickte, fuhr sie fort: »Jetzt nimm bitte wahr, wie du dich selbst behandelst. Wie verhältst du dich in dem Konflikt mit deinem Mann?«

»Wie verhalte ich mich? Ich komme nach Hause und sehe, dass er wieder irgendetwas, um was ich ihn gebeten habe, nicht gemacht hat. Dann ärgere ich mich.« Sonja verzog das Gesicht. »Eigentlich ist es noch viel schlimmer. Ich rede mich schon auf der Heimfahrt in Rage. Ich erwarte geradezu, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ich verhalte mich wie ein idiotischer Kontrolletti. So wollte ich nie sein.«

»Gute Erkenntnis! Nächste Frage: Was kannst du in dieser Situation? Was sind deine Fähigkeiten?«

Sonja verschränkte die Hände hinter ihrem Rücken und sah konzentriert zur Decke. »Ich kann … Ich kann auch anders. Ich kann auch freundlich sein. Ich kann versuchen herauszufinden, was mich wirklich so unzufrieden macht.« Bei den letzten Worten traten ihr Tränen in die Augen.

»Sehr gut! Welche Fähigkeiten hast du noch?« Doch Sonja winkte wortlos ab. Sie war noch nicht so weit, den Gedanken, der ihr gerade kam, auszusprechen. Antonia wartete kurz, bevor sie die nächste Frage stellte: »Was ist dir wichtig in der Situation?« Während sie Sonja Zeit ließ, die Frage auf sich wirken zu lassen, blickte sie entspannt in den Hinterhof, wo die große Buche ihre Knospen entfaltete, sodass man beinah dabei zusehen konnte, wie das Blattwerk von Tag zu Tag dichter wurde. Unerwartet erfasste Antonia eine Glückswelle, nicht unähnlich einer Hitzewelle in den Wechseljahren, nur wesentlich angenehmer. Es fing mit einem Kribbeln im Bauch an und durchströmte ihren ganzen Körper. Normalerweise konnte sie ihr Privatleben völlig beiseiteschieben, wenn sie arbeitete. Doch jetzt hatte sie große Mühe, sich von den Bildern und Gefühlen in ihrem Inneren loszureißen.

»Harmonie ist mir wichtig. Und Lebensfreude«, sagte Sonja, und Antonia versuchte, sich wieder auf ihre Klientin zu konzentrieren. Wenn sie ihr doch etwas von der eigenen Leichtigkeit abgeben könnte. Beziehungen mussten gar nicht so kompliziert und voller schlechter Gefühle sein. »Weißt du, wenn ich in der Praxis bin, geht es mir gut. Meine Patienten mögen mich, und ich weiß, dass ich ihnen helfe. Doch wenn ich auf dem Heimweg daran denke, welche Gleichgültigkeit mich zu Hause erwartet, spüre ich, wie meine Stimmung kippt.«

»Heißt das, es ist dir wichtig, von deinem Mann wahrgenommen zu werden?«

Sonja seufzte wieder schwer, was wohl ein Ja bedeutete. »Und so etwas wie ein Wir-Gefühl, eine Zusammengehörigkeit. Ja, das ist uns irgendwie abhandengekommen.«

Bevor Sonja sich weiter mit dem beschäftigen konnte, was ihr fehlte, stellte Antonia die nächste Frage: »Und jetzt sag mir bitte: Wer oder was bist du in der Situation? Ich meine damit Sätze, die man über sich selbst sagt und die mit ›Ich bin‹ anfangen.«

»Wer oder was bin ich in der Situation? Ich bin Teil eines Paares. Aber ich bin auch ich selbst. Eine Frau. Ich bin kompetent in vielen Dingen. Ich bin offen für Veränderungen. Ja, ich will etwas verändern. Und das kann ich auch, das ist mir bei deiner Frage nach meinen Fähigkeiten klar geworden.«

»Super!«

»Jawohl, ich bin diejenige, die mit der Veränderung anfangen kann und will.«

»Wie fühlt sich das an?«

Sonja atmete ein paar Mal tief durch. »Gut.«

»Zu den Details kommen wir später. Als du auf der Position der Kinozuschauerin gestanden hast, hast du neue Informationen dazugewonnen. Bring jetzt bitte dieses Kärtchen mit den Informationen zu deinem ursprünglichen Platz, du weißt schon, dahin, wo du Volker gegenübergestanden hast.« Es war doch immer wieder verblüffend, wie gut die Arbeit mit Bodenkärtchen funktionierte, auch bei Klienten, die das noch nicht so gewöhnt waren wie Sonja. Sie starrten auf die Pappe und sahen einen Menschen dort stehen. Oder ein Ziel. Oder eine Entscheidungsoption. Die Inhalte waren beliebig.

»Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich Volker näher heranholen möchte.«

»Dann tu das!«

Sonja probierte aus, was für sie am stimmigsten war. »Am liebsten möchte ich, dass wir nebeneinanderstehen und gemeinsam nach vorn schauen.«

»Das ist wirklich eine große Veränderung. Es kommt mir so vor, als hättest du auch schon die vierte Position mit einbezogen. Dort hattest du erkannt, dass du kein Kontrolletti mehr sein, sondern deine Fähigkeiten besser nutzen willst, weil dir die Zusammengehörigkeit mit deinem Mann wichtig ist. So sorgst du selbst dafür, wieder von ihm wahrgenommen zu werden.« Antonia sah Sonja von der Seite an und fügte hinzu: »Und weißt du was? Du stehst ganz anders da als zu Beginn.«

»Ja, nicht wahr?« Sonjas Augen blitzten, als sie sich zu ihrer vollen Größe von eins sechzig streckte und ihre Muskeln angenehm spürte.

»So, jetzt kommt etwas ganz Spannendes. Stell dich bitte auf Volkers Platz, und tu so, als ob du aus seinen Augen blicken und Sonja anschauen könntest. Was nimmst du als Volker wahr?«

Sonja hatte offensichtlich Spaß an dem Rollenwechsel. »Oh, oh. Was ist denn mit meiner Frau passiert? Die meckert ja gar nicht mehr so viel. Die Nähe mit ihr gefällt mir auch ganz gut. Ich war doch vorher ziemlich frustriert, weil ich es ihr nie recht machen konnte. Jetzt sagt sie mir sogar, was ihr an mir gefällt.« Sonja lachte. »Da werde ich als Volker gleich viel wacher.«

Antonia stimmte in das Lachen mit ein. »Schön. Dann geh bitte wieder zurück auf dein Kärtchen. Wie geht es dir mit dem, was Volker gesagt hat?«

»Es entspannt mich. Mir wird ganz warm.«

Antonia entging nicht, dass Sonjas Augen feucht glänzten. Sie war also emotional berührt, das war ein gutes Zeichen. »Okay. Letzter Schritt der Übung: Wie wird es sein, wenn du Volker heute Abend begegnest?«

Sonja nahm sich Zeit für die Antwort. »Vielleicht … frage ich ihn nach seinem Tag … oder ich nehme ihn einfach in den Arm. Vielleicht erzähle ich ihm auch, dass ich bei dir war. Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall wird es anders als in der letzten Zeit sein.« Während sie wieder auf den Sesseln Platz nahmen, wollte Sonja wissen, was es denn nun mit der wissenschaftlich erwiesenen Anerkennung für Männer auf sich habe.

»Na ja, es ist doch so«, sagte Antonia mit einem Augenzwinkern, »wir alle wünschen uns Anerkennung. Doch was passiert, wenn beide Partner schmollen und insgeheim erwarten, der andere möge bitte den ersten Schritt tun? Zunehmende Enttäuschung und Frustration auf beiden Seiten! Das bedeutet: Einer muss anfangen.«

»Wie, das ist alles? Wir Frauen sollen wieder einmal den Anfang machen, weil wir ja angeblich die Kommunikationsprofis sind?«

»Nein. Für Männer ist Anerkennung ein ganz hoher und zentraler Wert. Wir Frauen wünschen uns eher Sicherheit und Liebe. Wir wollen wahrgenommen und begehrt werden – um nur einiges zu nennen. Fang damit an, deinen Mann zu loben, und du wirst wahre Wunder erleben.« Weil Sonja so ungläubig guckte, fragte Antonia, was sie denn an Volker besonders schätze, und hoffte, dass ihr nach der vorausgegangenen Übung ein paar Dinge einfallen würden.

»Er ist treu, denke ich. Egal, wie ich rumzicke: Er läuft nicht weg. Das gibt mir tatsächlich viel Sicherheit. In vielen Dingen sind wir uns einig, zum Beispiel bei der Urlaubsplanung oder bei finanziellen Entscheidungen. Eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, ohne ihn zu sein.«

»Na, das reicht doch schon für den Anfang.« Antonia sah auf die Uhr. Die Coaching-Stunde war gleich zu Ende. »Du hast vorhin gesagt, dass du herausfinden willst, was dich wirklich unzufrieden macht. Das halte ich für eine sehr gute Idee. Im nächsten Schritt entdeckst du dann, was du brauchst, um zufrieden zu sein, und was du selbst dafür tun kannst.«

»Wahrscheinlich willst du mir damit sagen, dass mein Mann nicht dafür zuständig ist, mich glücklich zu machen, oder?« Sonja seufzte, aber sie lachte dabei. »Schade eigentlich.«

»Möchtest du dich denn so abhängig von ihm machen?«, neckte Antonia.

Nachdem Sonja gleich die nächste Sitzung gebucht und sich mit einer Umarmung verabschiedet hatte, notierte Antonia ein paar Stichworte zur Coaching-Stunde, aber sie war nicht ganz bei der Sache. Noch ungefähr eine Stunde, bis … Das Telefon klingelte; es war Stefan, einer ihrer Klienten, der in unregelmäßigen Abständen zum Coaching kam. Er kündigte an, er wolle sich wieder einmal mit dem Thema »Beziehung« auseinandersetzen.

Antonia vereinbarte einen Termin mit ihm, ging dann in den privaten Teil ihrer Wohnung hinüber und stellte den Wasserkocher an. Diese Wohnung in der Bel Etage einer alten Villa war ein echter Glücksgriff. Antonia konnte die beiden nach Westen liegenden Räume für Seminare und Coaching-Stunden nutzen, ohne dass ihre Privatsphäre gestört wurde. Draußen zeigte der April, was er konnte, und produzierte gleichzeitig Hagelschauer, Sonnenschein und einen Regenbogen. Wieder einmal war Antonia dankbar, arbeiten zu können, ohne das Haus verlassen zu müssen.

Bald darauf kam die SMS, auf die sie gewartet hatte: »Telefon in einer halben Stunde?« Sie antwortete »Gern, freu mich!« und saß dann mit ihrer Teetasse am Fenster, schaute in den Abendhimmel und horchte in sich hinein. Es wäre super, wenn Fabrizio am Wochenende kommen könnte. Aber wenn nicht, wäre es auch okay. Wirklich? Ja, wirklich.

Lady in red

Mit fliegenden Fingern tippte Emily das Passwort ein und suchte nach ihrer Anzeige. Sie war online! »Lady in red sucht Man in black für heiße Nächte und mehr. W, 37/163/59, NR, BmB.« Bitte mit Bild, das war unverzichtbar. Auch wenn die Typen dieser Aufforderung nachkamen, und das taten die meisten, konnte man immer noch üble Überraschungen erleben. Vor einiger Zeit hatte ein Mann das Foto eines südamerikanischen Fußballers mitgeschickt, den sie natürlich nicht erkannt hatte, und als sie sich nach etlichen E-Mails und SMS mit dem hübschen Kerl hatte treffen wollen und stattdessen ein kleiner Dicker mit ungepflegten, langen Haaren grinsend auf sie zugekommen war, hatte sie sich entsetzt umgedreht und war in den nächstbesten Laden, eine Strumpfboutique, geflüchtet. Danach hatte sie sich tagelang geärgert, dass sie ihm keine runtergehauen hatte.

Plötzlich fürchtete sie, ihr Anzeigentext könne dominante Männer anlocken, die auf devote Frauen standen. Wieso hatte sie nicht vorher daran gedacht, dass man in Zeiten von »Shades of Grey« nicht vorsichtig genug sein konnte? Egal, diese E-Mails würde sie dann eben sofort aussortieren. Ebenso wie die Zuschriften mit der unauffälligen Abkürzung »geb.« – gebunden! Männer, die in einer festen Beziehung lebten und trotzdem eine andere Frau suchten. Am besten noch mit »Tagesfreizeit«. Nein, danke! Dieses Mal würde es klappen. Es musste doch einfach irgendwo auf der Welt einen Mann für sie geben. Den Einen, den Richtigen. Warum nur fand sie immer diejenigen attraktiv, die nichts von ihr wollten, und zog Männer an, die unerträglich langweilig waren oder aussahen wie eine Kartoffel?

Ein Blick auf die Uhr. Eigentlich musste sie los. Aber ihre Neugier siegte, und sie öffnete den E-Mail-Account, den sie speziell für ihre Online-Annonce eingerichtet hatte: ladyinred37@… Aber bisher hatte ihr noch niemand geantwortet.

Emily zog den roten Trenchcoat über, der einen so schönen Kontrast zu ihren langen, schwarzen Haaren bildete, und warf einen letzten Blick in den Spiegel. Nein, die dreiundvierzig Jahre sah man ihr definitiv nicht an.

Gitta und Sylvie würden sicher schon wie jeden Freitagabend an der Theke sitzen und die anwesenden Männer scannen. Sie hoffte, Bernd wäre auch wieder im Barista und würde sich endlich trauen, sie anzusprechen. Sie kannten sich aus dem Fitnessstudio, und zufällig hatte sie seinen Namen gehört, als er dort von jemandem begrüßt wurde. »Hallo Bernd, du auch hier?«, hatte sie immerhin letzte Woche zu ihm gesagt, als sie beide zur gleichen Zeit die Kneipe betreten hatten. Jetzt war er ja wohl an der Reihe, den nächsten Schritt zu tun, oder? Es konnte doch kein Zufall gewesen sein, dass sich ihre Blicke ein ums andere Mal getroffen hatten – er auf dem Laufband und sie selbst auf dem Ergometer. Er war genau ihr Typ: Die blonden Haare fielen ihm in die Augen, der Dreitagebart gab ihm so etwas Lässiges, muskulöse Oberarme zeichneten sich unter seinem Polohemd ab. Wäre er ein paar Zentimeter größer, dann wäre er perfekt. Nun ja, man kann nicht alles haben. Also entweder unternahm Bernd jetzt irgendetwas, damit sie sich näher kamen, oder die Online-Anzeige würde ihr den richtigen Partner frei Haus liefern.

Die Freundinnen hatten bereits Prosecco bestellt, und Emily stürzte das erste Glas hinunter, um die Zweifel zu betäuben, die irgendwo in ihrem Hinterkopf wisperten. Hätte sie hingehört, wäre ihr rasch klar geworden, dass kein Mann sich einer Dreierclique von kichernden Frauen, die sich offenbar bestens amüsiert, nähern würde. Der Abend musste zu einer Enttäuschung werden. Als Emily endlich gegen Mitternacht die roten Schuhe von den Füßen streifte, gestand sie sich ein, dass sie das von vornherein gewusst hatte. Bernd war einfach zu schüchtern, und die meisten Männer waren nicht allein unterwegs. Die Abende im Barista waren verschwendete Zeit.

Aufgekratzt und todmüde zugleich, konnte sie nicht anders, als noch einmal schnell ihre E-Mails zu checken. Mittlerweile waren bereits sieben Antworten eingegangen. Wow! Die erste E-Mail war von einem Rico, ungefähr fünfzig Kilometer entfernt, was vielleicht gerade noch anginge, wenn es wirklich zwischen ihr und dem Mann funken sollte. Der Text, der es in zwei Zeilen auf fünf Rechtschreibfehler brachte, machte ihr jedoch keine großen Hoffnungen. Am Ende stand eine Mobilnummer mit der Bemerkung: »Du willst eine nummer also gut hier ist sie. ruf an.« Es dauerte eine Weile, bis Emily begriff, dass Rico die gebräuchliche Abkürzung »NR« für »Nichtraucher« nicht kannte und für sich als »Nummer« interpretiert hatte. Das war ja irgendwie süß, doch dann öffnete sie den Anhang und fand ein Foto, das er von sich selbst mit Smartphone im Badezimmerspiegel gemacht hatte. Mit nacktem Oberkörper. Nee, Rico, das wird nichts mit uns beiden.

Sie richtete einen neuen Ablageordner ein, den sie »Auf gar keinen Fall!« nannte, und verschob die E-Mail dorthin. Die nächsten fünf E-Mails landeten ebenfalls dort. Ein Urlaubsfoto mit der Ex und der Erklärung »Hatte gerade kein anderes Foto zur Hand«? Ging gar nicht!

Doch dann öffnete sie E-Mail Nummer sieben und las: »Hallo meine rote Lady, deine Anzeige gefällt mir. Ich hoffe, du willst mit deinem Text nicht nur farbige Männer ansprechen, weil die ja, so das Klischee, für besonders heiße Nächte sorgen sollen. Dass es auch weiße Kerle bringen, würde ich dir gern zeigen, aber das ›und mehr‹ finde ich auch extrem wichtig, sofern wir beide darunter gute Gespräche, gemeinsame Unternehmungen, Treue, Vertrauen ›und mehr‹ verstehen! Ich bin 38 Jahre jung, 1,78 groß und 75 kg ›schwer‹. Sportlich, voll engagiert im Beruf, nur manchmal ein bisschen einsam … Henrik.«

Jetzt bitte kein doofes Foto! Nein, er sah nett aus, lächelte gewinnend in die Kamera und wohnte nur zwanzig Kilometer entfernt. Wenn das kein Volltreffer war! Morgen würde sie ihm antworten und ein Foto von sich schicken. Zufrieden kuschelte sich Emily unter die Bettdecke. Es gab sie doch: freie Männer, die nett waren und keinen an der Waffel hatten. Alles würde gut werden.

Love is in the air

Antonia liebte es, an einem freien Tag länger im Bett zu bleiben, die Gedanken schweifen zu lassen und sich auszumalen, wie sie den Tag gestalten wollte.

An diesem Samstagmorgen klang das lange Telefongespräch mit Fabrizio vom Vorabend in ihr nach und wärmte ihr Herz. »Es tut mir sehr leid, dass es nicht klappt«, hatte er gesagt. Seine Tochter zog um und hatte ihn in letzter Sekunde um Hilfe gebeten. Lampen anschließen, Schränke aufbauen – das volle Programm. Was sie aber eigentlich brauchte, und das war ihm natürlich bewusst, war der starke Papa an ihrer Seite, wenn sie nach dem Studium ihre erste feste Arbeitsstelle in einer fremden Stadt antrat. Da musste er zur Stelle sein. Das verstand Antonia, auch wenn sie selbst keine Kinder hatte. Sie hatten lange über die Arbeit gesprochen. Über ihre Coachings und seinen Trainingstag in einer Mittelstandsfirma mit Mitarbeitern, die am Morgen steif und misstrauisch auf ihren Stühlen gesessen und sich am Abend locker lächelnd verabschiedet hatten. Sie genossen es beide, sich mit einem adäquaten Partner über ihre Methoden und Erfahrungen austauschen zu können.

Antonia schwang die Beine aus dem Bett. Sie hatte eine Idee, die sie beflügelte. Sie würde sich mit Beatrice verabreden.

Beatrice kam am Nachmittag und brachte Kuchen mit. Die Sonne schien, sodass Antonia den Kaffeetisch auf dem Balkon decken konnte.

Beatrice zog die Strickjacke fest um sich und hielt ihr Gesicht in die Sonne. »Gut, dass du angerufen hast. So bin ich dem entsetzlichen Chaos in meinem Haushalt für ein paar Stunden entronnen.«

»Wieso? Was ist passiert?«, fragte Antonia nicht sonderlich beunruhigt. Sie kannte Beatrice’ leichten Hang zur Übertreibung.

»Seit fast zwei Wochen wohnt Nadja in ihrem alten Zimmer, aber nicht allein. Natürlich hat sie den süßen, kleinen Finn mitgebracht. Hast du eine Ahnung, wie viele Schäden ein knapp Dreijähriger an einem einzigen Tag anrichten kann? Gestern bin ich auf einer Lego-Figur ausgerutscht und wäre beinahe die Treppe hinuntergeschlittert. Ich konnte mich gerade noch am Geländer abfangen. Sobald der Junge am Morgen die Augen aufmacht, fängt er an zu reden, und er hört bis abends nicht auf. Unser Malte war doch nicht so, oder?«

»Ist er ja heute noch nicht«, grinste Antonia. Den achtzehnjährigen Nachzügler im Hause Bormann als wortkarg zu beschreiben, träfe es nicht annähernd. »Was ist denn mit Nadja?«

»Ehekrise!«, schnaubte Beatrice. »Für meine Begriffe hat sie viel zu früh geheiratet.«

»Ungefähr im gleichen Alter wie du, wenn ich mich richtig erinnere.«

Beatrice zog auf ihre unnachahmliche Art eine Augenbraue hoch. Es hatte Vor- und Nachteile, sich so lange zu kennen. Nicht nur einmal hatte sie geglaubt, nun hätten sie und Antonia sich endgültig auseinanderentwickelt, hätten doch ihre Lebensentwürfe kaum unterschiedlicher sein können. Doch immer wieder aufs Neue gab es erstaunliche Parallelen.

»Und am liebsten ärgert er den Hund«, fügte Beatrice hinzu.

Antonia rollte die Augen. Schmitz Backes, der alte Hund! Er wurde grau, roch schlecht und war zu unbeweglich geworden, um sich gegen einen Dreijährigen zu wehren. Beatrice hatte ihn vor etlichen Jahren übergangsweise mit nach Hause gebracht, als einer ihrer Klienten unerwartet ins Krankenhaus kam. Der Mann starb nach ein paar Wochen, der Hund blieb in der Familie und hatte seinen kuriosen Namen behalten. Meistens wurde er nur Schmitz gerufen, wobei der Befehl »Schmitz, sitz!« einer gewissen Komik nicht entbehrte, mittlerweile aber zunehmend sinnloser wurde, denn Schmitz’ Gehör ließ ebenso nach wie sein Temperament. In den letzten Monaten hatte Antonia nicht mehr befürchten müssen, zur Begrüßung ungestüm angesprungen zu werden.

»Ist doch wahr!«, rief Beatrice. »Wozu hat man Enkel? Damit man sie nach zwei Stunden wieder abgeben kann! Jetzt komme ich nach einem anstrengenden Tag nach Hause und darf feststellen, dass mein schöner Eichentisch voller klebriger Ringe von Finns Limonadengläsern ist und ein dicker Kratzer quer über die Terrakottafliesen verläuft. Ach, was soll’s, ich rege mich nicht mehr wegen materieller Dinge auf.«

»Was macht Oliver?«, fragte Antonia, wohl wissend, dass dieser Themenwechsel gefährlich sein könnte.

»Abgesehen davon, dass er sich gerade um Tochter, Enkel und Hund kümmern muss?« Beatrice kicherte schadenfroh. »Kannst du es dir nicht denken?«

Doch, das konnte sie. Es war Wahlkampf, und da Oliver seit vielen Jahren aktives Parteimitglied war, würden sich wahrscheinlich auf jeder freien Fläche im Bormannschen Haushalt Wahlprogramme, Flyer, Plakate und Einladungsschreiben stapeln. Traumhaft!

»Ich weiß nicht, ob es mir lieber ist, wenn er da ist oder wenn er weg ist.« Beatrice seufzte tief und schloss die Augen. »Aber nun zu dir. Wie heißt er? Kenne ich ihn?«

»Was?« Antonia spuckte vor Schreck Kuchenkrümel.

»Du bist verliebt, das sehe ich doch.«

»Du hast die Augen geschlossen!«

»Das sehe ich mit meinem Dritten Auge.« Beatrice lachte. »Also?«

Antonia kannte die Fähigkeit ihrer Freundin, messerscharfes Analysieren mit schier unglaublicher Intuition zu verbinden, und hatte sie schon immer ebenso bewundert wie gefürchtet. Sie versuchte gar nicht erst, etwas abzustreiten. »Er heißt Fabrizio.«

»Oh, ein kleiner Italiener.«

Antonia verschluckte sich vor Lachen und prustete den Kaffee in die Hornveilchen. »Nein, ein großer Deutscher. Als seine Mutter mit ihm schwanger war, las sie einen italienischen Liebesroman, und der Name des feurigen Liebhabers gefiel ihr so gut.«

Beatrice strich sich die schulterlangen, roten Haare hinter die Ohren und fixierte Antonia wortlos. Mit diesem Dompteurblick ihrer grünen Augen hielt sie ihr schwieriges Team in der Familienhilfe in Schach. Nur mit solcher Entschlossenheit hatte sie ihren Fulltime-Job mit Haushalt, drei Kindern und Hund vereinbaren können. Mit einem Mann an ihrer Seite, der währenddessen die Welt rettete – auf seinem langen Marsch durch die Institutionen.

»Der Coaching-Kongress. Du erinnerst dich? Du wolltest ja nicht mit.«

»Was anscheinend gut war.«

»Ich bin ja nicht hingefahren, um jemanden kennenzulernen. Aber dann läuft mir ständig dieser interessante Typ über den Weg und guckt mich so an, dass ich Herzklopfen bekomme. Und ausgerechnet den treffe ich am Samstagabend am Eingang eines kleinen spanischen Restaurants. Der Kellner dachte, wir gehörten zusammen, und ruckzuck saßen wir an einem weiß gedeckten Tisch vor einer Karaffe Rotwein und einem Schälchen Oliven. Eigentlich wollte ich nur einen ruhigen Abend verbringen.«

Beatrice schüttelte verständnislos den Kopf. »Ruhe« war ein Fremdwort in ihrem Leben. »Und dann hat es sofort gefunkt? Der Blitz schlug ein, und Amors Pfeile flogen tief?«

»Mach dich nur lustig.« Antonia, die mit mildem Spott schon gerechnet hatte, lachte. Schließlich war Beatrice mit ihrem Oliver in einer völlig anderen Lebensphase. Aber darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen. »Es war schon irgendwie elektrisierend. Ich dachte ständig: Den kenne ich doch schon. Wahrscheinlich ist das so, wenn man einen Seelenverwandten trifft, dass man sich so vertraut miteinander fühlt und das Reden so leichtfällt. Ich musste ihn immerzu angucken und mich sehr beherrschen, nicht nach seiner Hand zu greifen. Er hat so schöne Hände, weißt du?« Antonia warf einen Blick zu Beatrice hinüber, die sich offenbar Mühe gab, keine Miene zu verziehen. »Klingt kitschig, ich weiß. Aber so war es nun mal. Als ob es ganz natürlich wäre, sich anfassen zu wollen.« Antonia seufzte. »Und so ist es immer noch. Vertrautheit, Nähe, endlose Gespräche. Leider können wir uns nicht so oft sehen, wie wir wollen, weil wir mehr als fünfhundert Kilometer auseinander wohnen und beide sehr beschäftigt sind.«

»Ach je! Warum muss es immer irgendeinen Haken geben?« Beatrice stieß die Gabel in ihren Kuchen. »Aber bestimmt sieht er blendend aus, oder?«

»Um wieder auf die wesentlichen Dinge zurückzukommen, was?« Antonia lachte. »Mir gefällt er jedenfalls. Und du wirst ihn ja irgendwann kennenlernen. Es ist die erwachsenste Beziehung, die ich jemals hatte.«

»Wie meinst du das denn?«

Ja, wie sollte sie das jetzt erklären? »Wir kommunizieren beide sehr bewusst, schon aufgrund unseres Berufs. Wenn es doch einmal Missverständnisse gibt, reden wir sofort darüber. In einer Beziehung ist ja immer der eine der Spiegel des anderen. Bei uns gibt es weder überzogene Erwartungen noch Schuldzuweisungen. Wir haben einfach beide große Freude daran, einander mit allen Facetten kennenzulernen. Superspannend!«

Beatrice nickte und dachte: Kunststück, nach drei Monaten. Mach das mal dreißig Jahre lang. Da lässt die Freude im gleichen Maße nach, wie die Schuldzuweisungen zunehmen. Und die Facetten des anderen gehen dir größtenteils ganz schwer auf die Nerven. Aber diese Bemerkung verkniff sie sich. Und als sie laut sagte: »Das ist ja wundervoll. Genieße es!«, da schwang nur eine winzige Spur Neid in ihrer Stimme mit.

Im gleichen Moment erklang ein melodisches Pling aus Antonias Wohnzimmer. Sie sprang so hastig auf, dass der Tisch ins Wackeln geriet. »Er hat gesimst!«, rief sie von drinnen. »Entschuldige, ich muss mal eben antworten.«

Als sie zurückkam, strahlte und glühte sie so, dass Beatrice darauf verzichtete, von einem Konflikt in ihrem Team zu erzählen. Sie hatte ganz vergessen gehabt, wie schwer erträglich Verliebte für ihre Umgebung waren.

»Wir sind ständig in Kontakt, auch wenn wir uns nicht so oft sehen können. Simsen, skypen, telefonieren, e-mailen … Wenn es noch keine Flatrates gäbe, müssten sie für uns erfunden werden. Wie, willst du schon gehen?«

Kurz darauf schloss Antonia die Wohnungstür hinter Beatrice und atmete auf. Heute waren sie nicht auf eine gemeinsame Wellenlänge gekommen. Kein Wunder, wenn Kopf, Herz und Bauch so besetzt waren wie bei ihr. Aber auch das würde ihre langjährige Freundschaft wohl nicht ernsthaft erschüttern.

Lazy sunday afternoon

Als Antonia am Sonntagnachmittag am Laptop saß und die Coachings der vergangenen Woche nacharbeitete, fiel ihr plötzlich ein, was Beatrice sie noch beim Hinausgehen gefragt hatte: »Und am Ende des Abends hat er bestimmt gesagt: ›Gehen wir zu dir oder zu mir?‹ Und dann habt ihr gemeinsam die Hotellaken zerwühlt, oder?«

Wieso klangen Beatrice’ Fragen stets wie Feststellungen, die sie nur noch bestätigt haben wollte? Konnte sie nicht einfach einmal offene Fragen stellen, aus denen echtes Interesse sprach? Antonia ärgerte sich. Sie hätte von sich aus gar nichts über Fabrizio erzählt, weil alles noch so frisch und undefiniert war. Sie hatte sich überrumpeln lassen und eine Menge Blödsinn geredet.

Nein, sie hatten in der Samstagnacht nicht gemeinsam die Hotellaken zerwühlt. Die intensiven Gespräche beim Abendessen hatten sich hauptsächlich um Berufliches gedreht. Antonia hatte es bewusst vermieden zu erwähnen, dass sie seit mehr als drei Jahren allein lebte. Beinah vier Jahre, wenn sie genau rechnete. Auch Fabrizio hatte sich zum Thema »Beziehung« auffällig zurückgehalten. Mittlerweile kannte sie ja den Grund dafür. Und das machte Fabrizio nur noch liebenswerter.

Sie starrte schon wieder Herzchen in die Luft, anstatt sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Mit einem Seufzer öffnete sie ein Programm, um die Termine auf ihrer Webseite zu aktualisieren, als es an der Wohnungstür klingelte.

Im Hausflur stand ihre Nachbarin aus der Wohnung gegenüber. »Hi, Antonia, kann ich ein Kaffeepad von dir schnorren?«

»Na klar, komm herein.« Antonia ging voraus in die Küche und drehte sich auf halbem Weg um. »Wir können zusammen Kaffee trinken, wenn du magst.«

Emily stimmte sofort zu. Wenn sie ehrlich war, fiel ihr gerade die Decke auf den Kopf, und sie hatte gehofft, dass Antonia sie einladen würde zu bleiben.

Antonia hingegen war froh, eine Pause einlegen zu können. Außerdem bot sich endlich eine Gelegenheit, ihre Nachbarin etwas besser kennenzulernen. Emily war vor ein paar Wochen eingezogen, und bisher hatten die wenigen Begegnungen mit ihr nicht zu einem längeren Gespräch geführt. Wohin brauste Emily mit ihrem gelben Panda, wenn sie morgens zwischen sieben und halb acht die Wohnungstür zuknallte und die Treppe hinunterpolterte?

Sie wollte Emily gerade fragen, was sie beruflich machte, als Emily ihr zuvorkam. »Du bist doch auch Single, oder?«

Na, die kam ja direkt zur Sache. Antonia schüttete Kekse in ein Schälchen und antwortete mit einer Gegenfrage. »Wieso?«

»Ich habe vorgestern eine Online-Kontaktanzeige aufgegeben und bis jetzt schon achtundzwanzig Antwort-E-Mails bekommen. Da bekommt man einen spannenden Einblick in die Männerwelt. Hast du so etwas auch schon mal gemacht?«

Oh nein! Antonia hatte nicht vor, sich heute schon wieder ausfragen zu lassen. Die drei Monate, die sie bei einer Online-Partnervermittlung angemeldet gewesen war, lagen lange zurück und hatten sich als totaler Flopp erwiesen. Da sie den Eindruck hatte, dass Emily ohnehin lieber reden als zuhören wollte, sagte sie: »Und was ist das Interessanteste, das du bisher über Männer herausgefunden hast?«

»Es gibt viele ganz Doofe. Die wenigen netten Typen wohnen zu weit weg, sind liiert oder zu klein. Aber ehrlich gesagt, bei den meisten stört mich ihr Aussehen. Mann mit Schnäuzer geht zum Beispiel gar nicht, mit Glatze auch nicht.« Emily hielt kurz inne, um Milch in ihre Kaffeetasse zu gießen. »Immerhin gibt es einen, den ich total süß finde, Henrik heißt er. Ich habe ihm sofort geantwortet und ein Foto von mir mitgeschickt. Leider hat er noch nicht zurückgeschrieben.«

Antonia lächelte mitfühlend. Was sollte sie dazu sagen? Dass eine nette E-Mail noch nichts darüber aussagte, ob man den anderen auch riechen mochte oder sich miteinander wohlfühlen, zusammen lachen und schweigen konnte? Emily sah sie mit ihren großen Augen an, als müsse sie eine Lösung für ihr Problem aus dem Hut zaubern. Und da kam es auch schon.

»Vielleicht mache ich etwas falsch. Du bist doch Psychologin oder so etwas Ähnliches?«

»Nein, Psychologin bin ich nicht. Aber ich coache und gebe Seminare. Tatsächlich kommen viele Menschen mit Beziehungsproblemen zu mir.«

»Warum klappt das denn nicht bei mir, obwohl ich mir so sehr einen Partner wünsche? Du hast doch bestimmt einen Tipp für mich, oder?«

Emilys Stimme war in eine Kleinmädchentonlage gerutscht, die Antonia sofort auf die Nerven ging. Sie konnte es nicht ausstehen, wenn sich eine erwachsene Frau so kleinmachte. Aber was noch schlimmer war: Hier und jetzt würde sich die Qualität ihrer nachbarschaftlichen Beziehung entscheiden. Wollte sie, dass Emily ständig auf der Matte stand, um die Details ihres nicht vorhandenen Liebeslebens auszubreiten und sich unentgeltlich coachen zu lassen? Oder lieber eine eher distanzierte Begegnung im Treppenhaus? Natürlich gäbe es auch noch eine dritte Möglichkeit: Emily würde verstehen, was sich gerade abspielte, und selbst die Verantwortung für sich übernehmen.

Antonia entschied sich für Klarheit: »Ich fürchte nein. In einem Coaching-Gespräch würde ich dir viele Fragen stellen, mit deren Hilfe du selbst eine Lösung finden könntest. Wenn du einen Termin ausmachen möchtest, hole ich meinen Kalender aus der Praxis.«

Emily zog einen Schmollmund. »Ich denke darüber nach.«

»Was machst du eigentlich beruflich?« Antonia beugte sich vor und blickte ihr Gegenüber interessiert an.

»Ich bin Sekretärin in einer Anwaltspraxis.«

»Aha. Da hast du doch sicher mit vielen Männern zu tun.«

»Ja, schon. Aber der Richtige war noch nicht dabei.«

Themawechsel, ermahnte sich Antonia. »Wie gefällt es dir denn hier im Haus?«

So dümpelte das Gespräch eine Weile dahin, bis Antonia sagte, sie habe noch zu tun. Emily sprang sofort auf, bedankte sich für den Kaffee und ging.

Etwa zur gleichen Zeit wunderte sich Stefan, wieso der Tag schon fast zu Ende war, ohne dass er irgendeine seiner vielen Ideen umgesetzt hatte.

Nach einem späten Frühstück hatte er zunächst durch die Fernsehkanäle gezappt und versucht, sich darüber klar zu werden, was er tun wollte. Auf jeden Fall Sport. Aber was? Laufen oder lieber Radfahren? Als dann aber dunkle Wolkenberge aufgezogen waren, hatte er entschieden, dass es besser sein würde, ins Sportstudio zu gehen. Über diesen Überlegungen hatte er Hunger bekommen und in der Mikrowelle ein Fertiggericht erhitzt, das ihn so schlapp gemacht hatte, dass er eine Runde Solitär am Computer gespielt hatte, um wieder wach zu werden. Bei einer Runde war es jedoch nicht geblieben. Als er wieder auf die Uhr gesehen hatte, waren fast drei Stunden vergangen. Und nun fühlte er sich leer und deprimiert. Er hatte den ganzen Tag vergammelt. Er könnte es noch herumreißen, wenn er sich jetzt aufraffte und ins Barista ginge. Dort saßen oft hübsche Single-Frauen an der Theke und warteten geradezu darauf, angesprochen zu werden. Eine schöne Vorstellung.

Doch dann spielte er die Szene in Gedanken durch. Wenn ihm eine wirklich gefiele und er ausnahmsweise den Mut aufbrächte, sich neben sie zu setzen, was sollte er sagen? »Hi, ich bin Stefan, und ich würde dich gern kennenlernen«? Haha. Wahrscheinlich würde sie antworten, ihr Freund sei gerade zum Rauchen draußen. Oder ihn von oben bis unten mustern und damit wortlos ausdrücken: »Was willst DU denn von mir?« Er war einfach kein Frauentyp. Man erinnerte sich nicht an ihn. Als wäre er unsichtbar. Nein, es hatte keinen Sinn. Er musste sich heute Abend keinen weiteren Frust draufpacken. Er sollte besser früh ins Bett gehen. Morgen war der Tag durch die Arbeit strukturiert, und am Nachmittag hatte er einen Termin bei Antonia. Da würde er ja über seine Probleme reden können.

Als er gegen Mitternacht den Fernseher ausschaltete, fühlte er sich – aufgekratzt durch zwei Actionfilme – wie der Superheld, der die bösen Kerle wegballert. Superhelden brauchten eigentlich kein Coaching. Ob er nicht lieber das Geld für den nächsten Urlaub sparen und den Termin absagen sollte?

»Ich bin wie tot«, stöhnte Fabrizio, als er am späten Sonntagabend noch anrief. Nicht nur, dass Kims neue Wohnung im vierten Stock lag und er seine Beine kaum noch spürte, er und seine Tochter hatten auch noch gemeinsam ein Bett, eine Kommode und einen Kleiderschrank aufgebaut. »Aber ich bin ihr Held, und dafür tun Väter alles.« Er lachte. »Wie ist es dir am Wochenende ergangen?«

Antonia erzählte von Beatrice’ Besuch und von der Begegnung mit ihrer Nachbarin.

»Der orale Typ«, meinte Fabrizio.

»Genau. Augen wie Untertassen, zitternde Unterlippe und innerlich leer wie ein Fass ohne Boden.«

»Du hast ihr nicht den kleinen Finger gereicht. Gratuliere!«

»Manchmal lernt man aus Erfahrung.« Emilys frühkindliche Prägung war Antonia leider aus eigenem Erleben vertraut. Sie hatte in etlichen Coachings und Therapiestunden erfahren, dass sie selbst für sich sorgen konnte, aber auch um das bitten durfte, was sie brauchte. Die wichtigste Erkenntnis war vielleicht gewesen, dass man nicht erwarten durfte, ein einziger anderer Mensch könne einem alle Bedürfnisse erfüllen. Kein noch so liebevoller Partner konnte die Löcher stopfen, die in frühester Kindheit entstanden waren. Das ursprüngliche Muster blieb einem erhalten, aber Entwicklung war möglich. Transformation nannte man das. Während Antonia darüber redete, ging sie langsam durchs Wohnzimmer und schaltete alle Lampen aus, um sich voll und ganz auf das Gespräch konzentrieren zu können. »Deshalb war es leicht für mich, die Zeichen bei Emily zu sehen und mich entsprechend klar zu verhalten.«

»Ja, das kenne ich«, sagte Fabrizio. »Das Wissen um die Körpertypen hat mir auch schon oft geholfen, auf mein Gegenüber besser eingehen zu können. Auch wenn es den reinen Typ wahrscheinlich nicht gibt und man sich hüten sollte, seine Mitmenschen in Schubladen zu stecken.«

»Schubladendenken entspringt dem menschlichen Bedürfnis nach Sicherheit«, warf Antonia ein. »Denk nur an Sternzeichen, Enneagramm, Satir-Kategorien und was es noch so alles gibt. Wir wollen uns selbst besser verstehen und unsere Mitmenschen einsortieren und durchschauen können.«

»Dabei fällt mir auf, dass du mich noch gar nicht nach meinem Sternzeichen gefragt hast.«

»Weil ich es schon weiß. Dein Geburtsdatum steht in deinem XING-Profil.«

»Mist! Der gläserne Coach. Passen wir denn überhaupt zusammen?«

Auch ohne Skype sah Antonia Fabrizios jungenhaftes Grinsen vor sich. Sie lachte ebenfalls. »Dass du das fragen musst, gibt mir zu denken.«

»Schreib es meiner totalen Erschöpfung zu, dass mir darauf keine adäquate Antwort einfällt. Ich umarme dich jetzt ganz fest und hoffe, wir können uns bald sehen.«

»Es ist sooo schön, mit dir zu reden. Gute Nacht!« Sie legte auf, streckte sich auf dem Sofa aus und blickte ins Dunkel. Die Verbindung zwischen ihnen fühlte sich einfach wundervoll an.

Ihr erster Abend in dem spanischen Restaurant kam ihr wieder in den Sinn. Erst als der Chef selbst mit der Rechnung an ihren Tisch gekommen war, hatten sie gesehen, dass sie die letzten Gäste waren. Gemeinsam waren sie zum Hotel zurückspaziert. Bevor sie das hell erleuchtete Foyer betreten hatten, waren sie beide stehen geblieben und hatten sich angeschaut. Was jetzt, hatte sie gedacht. Würde er sie küssen? In den Arm nehmen? Nichts von alledem. Ein warmer Blick aus seinen braunen Augen, ein Lächeln und ein fester Händedruck, mit dem er das Kunststück fertiggebracht hatte, gleichzeitig Nähe und Abstand auszudrücken. Nähe, weil er ihre Hand länger gehalten hatte, als es normal gewesen wäre. Und Abstand, weil sein Arm wie aus Stahl gewesen war und sie von sich ferngehalten hatte. Und sie? Einerseits so aufgeregt wie ein Teenager. Andererseits die Beobachterin, die das alles genau registriert und innerlich darüber geschmunzelt hatte. Denn die Herzensverbindung zwischen ihr und Fabrizio war so deutlich wahrnehmbar gewesen wie ein farbiger Laserstrahl. Ebenso war sie sicher gewesen, dass nicht nur sie die starke erotische Anziehung gespürt hatte. Wenn das Schicksal also hier die Karten gemischt hatte, würde es auch Wege finden, um sie beide zusammenzubringen. »Es war ein sehr schöner Abend«, hatte er gesagt. »Wir sehen uns morgen.« Sie hatte lächelnd genickt und war zu ihrem Zimmer geschwebt.

Bridge over troubled water

Barbara Markland war die erste Klientin am Montagvormittag. Es musste jetzt drei Jahre her sein, dass sie an Antonias Volkshochschulkurs »Mit mentalem Training zur Wunschfigur« teilgenommen und ihr Leben ordentlich umgekrempelt hatte. Ab und zu holte sie sich in einem Einzel-Coaching eine kleine Auffrischung, um in der Spur zu bleiben. Seit sie einen neuen Partner hatte, waren ihre Besuche allerdings seltener geworden. Deshalb war Antonia besonders neugierig, mit welchem Anliegen sie kommen würde.

Die beiden Frauen begrüßten sich mit einer herzlichen Umarmung. Antonia goss Wasser in die bereitstehenden Gläser, dann sah sie Barbara forschend an. »Na, welches Thema bringst du heute mit?«

Barbara seufzte schwer. »Es ist ein Eigentlich-Thema. Eigentlich ist die Beziehung mit Walter wirklich super. Wenn nur das Aber nicht wäre!«

»Ja. Erzähl mehr.«

»Wir sind ja jetzt seit ungefähr zwei Jahren zusammen, und ich finde, es wäre an der Zeit, dass wir zusammenziehen. Aber er will nicht.«

Barbaras Schultern waren nach vorn gesackt, sie blickte auf ihre Hände. Sie würde doch nicht in ihre alte Opferrolle zurückfallen, die ihr gar nicht mehr passte?

»Und was bedeutet das für dich?«

Augenblicklich schossen Barbara Tränen in die Augen. »Dass ich ihm anscheinend nicht wichtig genug bin.«

Antonia schob eine Packung Papiertaschentücher zu ihr hinüber. Das war schnell gegangen, den alten Glaubenssatz aufzudecken, der im Hintergrund wirkte: Barbara machte ihren eigenen Wert davon abhängig, wie Walter sich verhielt. Es war klar, was da geschah: In der Intimität einer Zweierbeziehung kommen nun mal die alten Verletzungen, die jeder mitbringt, sehr rasch an die Oberfläche, als warteten sie nur darauf, geheilt zu werden. Aber ohne Hilfe von außen, ohne eine Art Übersetzer, geriet häufig die Kommunikation ins Stocken, bis schließlich Missverständnisse und Sprachlosigkeit überhandnahmen.

»Aha. Und welche Argumente hat der Mistkerl, um dir diesen Liebesbeweis zu verweigern?«

Barbara kannte Antonias Neigung zu kleinen Provokationen und musste lachen. Sie putzte sich die Nase und sagte: »Ich hatte mir ganz fest vorgenommen, heute nicht zu heulen. Das hat ja wieder prima geklappt.« Dann atmete sie tief durch. »Also – er sagt, wir wären ja keine zwanzig mehr, womit er recht hat. Mit zunehmendem Alter hätte jeder so seine Marotten, und er möchte beim Frühstück nicht schon reden müssen. Er behauptet auch, die Liebe würde frischer bleiben, wenn man nicht den ganzen Alltagskram miteinander teilt.«

»Okay. Und wie wäre es nun für dich, wenn Walter seine ganzen Bedenken beiseiteschieben würde und nur dir zuliebe deinem Wunsch nachkäme?«

Barbaras Augenbrauen gingen in die Höhe. »Oh. Dann würde ich wahrscheinlich denken, er würde es ja nur wegen mir tun und nicht, weil er es selbst will. Und dann …«

»Wäre es nichts wert?«, beendete Antonia den Satz.

»Stimmt«, sagte Barbara verblüfft.

»Tja, mit den Liebesbeweisen ist es eine seltsame Sache. Wenn man sie einfordern muss, verlieren sie an Wert. Wir möchten gern, dass der Partner etwas von sich aus tut, und genau darauf haben wir gar keinen Einfluss.«

»Und ich habe mich die ganze Zeit angestrengt, alle seine Argumente zu entkräften.«

»Das kann ich mir gut vorstellen. Empfindest du denn eure unterschiedlichen Auffassungen als Wettstreit, bei dem die Person mit den besseren Argumenten gewinnt?«

»Wenn du es so sagst, klingt es blöd«, sagte Barbara nachdenklich. »Trotzdem will ich sehr gern mit Walter zusammenleben. Was soll ich denn jetzt machen?«

»Kennst du die Geschichte, die davon handelt, wie man einen Affen fängt? Nein? Man nimmt einen großen Krug und legt eine Banane hinein. Der Affe riecht die Banane und greift danach, aber jetzt kommt er mit der Pfote nicht mehr aus dem Krug heraus, weil die Öffnung zu eng ist. Und schon ist er gefangen. Was hätte der Affe tun können?«

»Keine Ahnung. Den Krug zerschlagen?«

»Nein, der ist zu groß. Ich sage es dir: Er hätte nur die Banane loslassen müssen.«

»Loslassen?« Barbara blickte sie fassungslos an. »Ist das jetzt so ein Esoterik-Müll, nach dem Motto ›Lass los, was du liebst. Wenn es wirklich zu dir gehört, kommt es von allein zurück‹ oder so ähnlich?« Sie schnaubte.