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Flucht aus einem unerträglichen Leben, eine unerfüllte Liebe, eine Reise, die gut ausgeht, eine andere, die böse endet und der vergebliche Versuch, zu Geld zu kommen - das sind die Themen dieser fünf Geschichten. Ihre Protagonisten haben mit widrigen Umständen zu kämpfen und versuchen dennoch, ihr Leben zu gestalten und das Beste daraus zu machen.
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Seitenzahl: 26
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Marlies Fösges
Berg und Tal
Fünf Kurzgeschichten
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Wolfszeit
Berg und Tal
Bitte komm
Ohne Blut
Zen oder die Kunst des Bankraubs
Impressum neobooks
Der Mann starrte auf die roten Schlusslichter des Zuges, die Hände in den Lederhandschuhen zu Fäusten geballt. Sein Atem ging stoßweise und formte kleine, weiße Wolken, die sich rasch auflösten. Es war erst kurz nach sechs und noch dunkel. Na schön, sollte sie verschwinden. Besser so.
Er ging hastig die Treppe hinunter und zwängte sich an den Gruppen verwahrloster Menschen vorbei, die in der Bahnhofshalle Schnapsflaschen kreisen ließen und mit gierigen Augen jeden musterten, der nicht zu ihnen gehörte. Der Mann hielt den Blick gesenkt, um niemanden zu provozieren und um Scherben und anderem Müll auszuweichen.
In der Tiefgarage sah er sich vorsichtig um, bevor er mit Hilfe seiner Identitätskarte das Auto entriegelte. Es gab genug Leute, die glaubten, mit einer fremden Karte etwas anfangen zu können. Er warf einen flüchtigen Blick auf das Stückchen Plastik mit seinem Namen, seinem Foto und einer 32stelligen Folge von Zahlen und Buchstaben. Xaver Würmeling, vierunddreißig Jahre alt, blasses ovales Gesicht, graue Augen, dünne, etwas struppige Haare in fahlem Hellbraun. Er mochte dieses Bild nicht, und er hasste seinen Namen. Seine Großmutter hatte ihm erzählt, dass es in ihrer Kindheit einen Ausweis gab, der nach seinem Erfinder Würmeling hieß und mit dem kinderreiche Familien verbilligt Bahn fahren konnten. Zu einer Zeit, in der es noch Familien mit mehr als einem Kind gegeben hatte. Oder sollte er besser sagen: In der es noch Familien gegeben hatte.
Heute war einer der drei Tage im Monat, an denen er sein Auto benutzen durfte,
und er hatte viel vor. Zunächst einmal brauchte er Bargeld, und er steuerte einen der wenigen Geldautomaten an, die es noch gab. Der Automat schluckte seine Karte. Wie jedes Mal zuckte Xaver beim Klicken der Kamera zusammen, und wie jedes Mal ärgerte er sich darüber. Das Gerät verglich in Sekundenschnelle sein Foto mit dem auf der Karte und spuckte die gewünschten viertausend Euro aus. Eine sichere Methode, wenn man von den Fällen absah, wo Menschen mit Waffengewalt zum Geldabheben gezwungen wurden.
Es war nicht viel Verkehr auf den Straßen. Xavers Identitätskarte verschaffte ihm Zutritt ins Hilton, wo ein Kellner in schwarzem Anzug und weißem Hemd, eine weiße Serviette über dem linken Arm, ihn zu einem Tisch geleitete und seine Bestellung aufnahm. Dann trat er ein wenig zurück, legte die Hände in Höhe des Schritts übereinander, machte eine kleine, devote Verbeugung und ging mit abgezirkelten Bewegungen in Richtung Küche. Diese automatischen Kellner konnten einem wirklich auf die Nerven gehen.