0,00 €
1999 springt er von der Christus-Statue in Rio de Janeiro, 2003 fliegt er über den Ärmelkanal, 2007 stürzt er sich in Taiwan vom höchsten Bürogebäude der Welt. Mit diesen und vielen anderen Pioniertaten – umgesetzt unter haarsträubenden, teils illegalen Umständen – hat Felix Baumgartner unvergessliche Bilder geschaffen. Und doch waren diese Abenteuer nur Vorspiel zu einem Unternehmen von unvorstellbaren Dimensionen: sein Sprung aus 39 000 Meter Höhe, mit dem er als erster Mensch im höchsten freien Fall die Schallmauer durchbrach. Was treibt Baumgartner an? Was erlebt ein Mensch, der mit 1342 km/h minutenlang kopfüber auf die Erde zurast? Und wie bereitet man sich auf etwas noch nie Dagewesenes vor? Eins der größten Abenteuer des 21. Jahrhunderts und der persönliche Blick ins Innenleben der Mission Stratos.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 60
Mehr über unsere Autoren und Bücher:
www.malik.de
Dieses Buch ist allen Müttern dieser Welt gewidmet - weil eure bedingungslose Liebe und Hingabe für eure Kinder beispielhaft und grenzenlos ist und wir ohne euch nicht dort wären, wo wir heute sind.
Vorhergehendes Coverbild unter Verwendung von einer aus Tausenden von Kinderzeichnungen, die Felix Baumgartner zur Mission Red Bull Stratos aus der ganzen Welt erreicht haben.
XXL-Leseprobe der vollständigen E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe
3. Auflage 2013
ISBN 978-3-492-96464-7
© Piper Verlag GmbH, München 2013 Umschlaggestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de Umschlagabbildung: Jay Nemeth/ Red Bull Content Pool (erstes Cover), mit Dank an Emma, 6 Jahre (zweites Cover) Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Am tiefsten Punkt des höchsten Sprungs
Nachts um halb vier wird mir klar: Ich will nach Hause. Ich fahre jetzt von meinem Apartment in Santa Monica zum Flughafen, schaue, dass ich ein Ticket bekomme, und fliege heim nach Salzburg. Seit Wochen habe ich nicht mehr schlafen können, diese Nacht erst recht nicht, weil ich wusste: Morgen geht’s nach Brooks, San Antonio, Texas. Dorthin, wo all die Spaceshuttles getestet und die Astronauten trainiert worden sind. Da werde ich dann fünf Stunden in diesem Anzug aushalten und den Experten der Air Force zeigen müssen, dass ich es draufhabe. Und ich weiß genau: Ich habe es nicht drauf.
Was tun? Es gibt keine Lösung. Das ist nun der Tag, den ich so lange hinausgeschoben habe. Es gibt nur einen Ausweg: Flucht. Weg von hier, weg von dem Anzug, weg vom Team. Schon längst hätte ich der Mannschaft meine Angst beichten müssen. Dieses Riesenteam hat sich monatelang den Arsch aufgerissen, Tag und Nacht gearbeitet, alle haben an mich geglaubt. Und jetzt lasse ich sie fünf Minuten vor zwölf im Stich.
So etwas habe ich nie gemacht in meinem Leben. Ich habe mich immer meinen Dämonen gestellt, die Dinge nicht hinausgeschoben, sondern angepackt. Wenn es ein Problem gab, dann habe ich nach der passenden Lösung gesucht. Es ist das erste Mal, dass ich versucht habe, das Problem immer wieder wegzuschieben, in der Hoffnung, dass die Lösung irgendwann von selbst kommen würde. Jedes Mal bin ich geflüchtet und habe mir gesagt: Wenn du die Miete diesmal nicht zahlen kannst, zahlst du halt nächstes Mal. Aber ich wusste genau: Nächstes Mal wird’s nicht besser. Und irgendwann musst du die Miete zahlen. Genau das ist jetzt passiert.
Der Grund, aus dem ich vor 25Jahren mit dem Fallschirmspringen angefangen habe, ist dieses unvergleichliche Gefühl der Freiheit, wenn es dich beim Absprung runterzieht. Wenn ich gesprungen bin, dann am liebsten in Jeans und T-Shirt, manchmal mit einem Helm. Und jetzt? Rein in einen Anzug, dann einen Fallschirm drauf, der dreimal so groß ist wie ein normaler, noch zwei Sauerstoffflaschen dazu, das Chest Pack für die Datenaufzeichnung auf der Brust: Am Schluss war ich doppelt so schwer. Von Freiheit keine Spur. Es ist mühsam zu springen, macht keinen Spaß. Und ich musste alles von Grund auf neu lernen, weil das Zusatzgewicht und der Anzug mich blockierten. Ich stand da wie ein Anfänger, hatte keine Routine, kein Selbstvertrauen, wusste nicht, was auf mich zukam – und sprang trotzdem.
Ich war vom ersten Moment an professionell, was die ganze Kapseltechnik betrifft. Das Handling der Knöpfe, die Souveränität im Cockpit, die Emergency Procedures, die man auswendig wissen muss: Das habe ich immer perfekt und fehlerfrei gemacht, in Rekordzeit. Alle haben mich gelobt, dass ich mir so viele Dinge merken und unter diesen Bedingungen auch ausführen kann. Das ist genau mein Background: in kurzer Zeit immer richtig reagieren. Auf so etwas bin ich trainiert. Aber dieser Anzug! Das Selbstvertrauen, das ich immer hatte, sobald ich gut vorbereitet war, ich hätte es auch abrufen können, egal, wie viele Leute von der NASA zusehen: kein Problem – wenn der Anzug nicht gewesen wäre.
Das Projekt »Red Bull Stratos« ist jetzt drei Jahre alt. Gespürt habe ich das Problem mit dem Druckanzug immer wieder bei den Tests. Ohne den Anzug hätte ich dieses Projekt in vollen Zügen genießen können. Der gefährliche Teil des Projektes, der Entwicklungsteil, der technische Teil: Das wären alles schöne Sachen gewesen. Doch statt der Vorfreude auf einen Testsprung aus 10000Metern, dachte ich: Ich will nicht in diesen Anzug! Es war wie eine schwierige Prüfung, vor der man Angst hat. Ich wurde irrsinnig sensibel, reagierte auf Kleinigkeiten, die mir sonst nie Probleme bereitet hätten. Zum Beispiel hat mich das Licht in dem Raum gestört, in dem Mike Todd, der Anzugtechniker, mich immer angezogen hat. Ich habe zuvor nie über Licht nachgedacht. Und dann dieser Geruch! Der Helm hat eine Gummidichtung, die das Gesicht abschließt, und dieser Gummigeruch hat angefangen, mich extrem zu stören. Ich hatte an jedem Detail etwas auszusetzen, selbst an den Stimmen. Zum Glück hat Mike eine sehr ruhige, angenehme Stimme. Aber es gab andere Menschen, die reinkamen, und deren Stimmen fingen an, mich aufzuregen. Alles, was mit diesem Anzug verbunden war, hat sich irgendwann negativ aufgeladen. Es war klar, irgendwann würde ich kollabieren. Ich war gefangen in diesem Anzug, gefangen in der Tatsache, dass ich eigentlich der Held dieses Projektes sein sollte, in den vergangenen 20, 25Jahren immer meine Leistung erbracht habe, für viele in der Fallschirm- und Base-Jumping-Szene als Alleskönner bekannt war – und dann scheitere ich an der Hürde Anzug. Ich versage am Boden, nicht in 39Kilometern Höhe beim Sprung aus einer Kapsel am Rande des Weltalls. Was für ein Desaster!
Zwei Jahre lang habe ich mich und mein Team ausgetrickst. Ich habe immer geschaut, dass ich die Etappen im Anzug kurz halte. Natürlich wäre es besser gewesen, wenn ich mehr Zeit darin verbracht, mich selbst gezwungen hätte: Heute mache ich eine ganze Stunde, auch wenn ich offiziell nur eine halbe Stunde drin sein muss. Aber ich habe es immer in die Gegenrichtung getrieben, geschaut, dass ich schnell rauskomme, mir Ausreden einfallen lassen. Das Team hat sich nichts dabei gedacht. Sie nahmen an: Wenn er ein Problem im Anzug haben sollte, dann schon in den ersten fünf Minuten. Das war bei mir nicht so. Ich habe mich nicht superwohl gefühlt, aber in den ersten zehn Minuten war es auch kein wirkliches Problem. Und viel länger hat das erste Mal nicht gedauert. Danach habe ich mir Tricks einfallen lassen wie: »Kann ich kurz das Visier aufmachen, um besser sprechen zu können?« Der schlimmste Moment ist nämlich, wenn der Helm geschlossen wird. Dann bist du in deiner eigenen Welt in diesem Anzug. Mit offenem Visier ist man weniger gefangen da drin. Ich habe mir gedacht: Irgendwann kommt der Tag, an dem ich den Anzug anlege und sage: Okay, easy. Dieser Tag ist leider nicht gekommen.
Und so packe ich nun nach der schlaflosen Nacht in Santa Monica meine Sachen, sperre das Zimmer ab und denke: Du verlässt jetzt alles, wofür du gearbeitet hast. 25Jahre lang habe ich mich indirekt für dieses Projekt vorbereitet. Jeder Sprung war ein Baustein, ein Teil des Ganzen. Ich steige ins Auto. Bestimmt 50Mal bin ich hier schon zum Flughafen gefahren, aber diesmal läuft es ab wie in Zeitlupe, wie in Trance. Ich nehme die Lichter in der Nacht ganz anders wahr. Ich fliege heim, lasse alles hinter mir. Ich kann nicht zurück, muss mir Luft verschaffen, ohne Rücksicht auf das, was ich damit auslöse. Ich muss jetzt mal an mich denken.
Ende der Leseprobe