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Sie spürt die Gefahr und kann ihm doch nicht widerstehen ...
Liv wacht ohne Erinnerungen in einer Gasse neben einem Nobelclub auf. Alles, was sie weiß, ist, dass Jane sie gefunden und ihr zu einem Job verholfen hat - als Escort. Als Liv in dem Club auf Kundensuche geht, lernt sie den attraktiven Dimitri kennen. Obwohl sie sich sofort zu ihm hingezogen fühlt, spürt sie, dass Dimitri ihr gefährlich werden kann. Dennoch schafft Liv es nicht, sich seiner Anziehungskraft zu entziehen. Was sie nicht weiß: Die Mafia hat sie schon längst im Visier. Liv gerät immer tiefer in ein riskantes Netz aus Gefahr und Verlangen ...
beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
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Seitenzahl: 311
Cover
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
Sie spürt die Gefahr und kann ihm doch nicht widerstehen.
Liv wacht ohne Erinnerungen in einer Gasse neben einem Nobelclub auf. Alles, was sie weiß, ist, dass Jane sie gefunden und ihr zu einem Job verholfen hat – als Escort. Als Liv in dem Club auf Kundensuche geht, lernt sie den attraktiven Dimitri kennen. Obwohl sie sich sofort zu ihm hingezogen fühlt, spürt sie, dass Dimitri ihr gefährlich werden kann. Dennoch schafft Liv es nicht, sich seiner Anziehungskraft zu entziehen. Was sie nicht weiß: Die Mafia hat sie schon längst im Visier. Liv gerät immer tiefer in ein riskantes Netz aus Gefahr und Verlangen …
Elena MacKenzie hat als erfolgreiche Selfpublisherin bereits einige Bücher veröffentlicht. Ihr Debütroman Highland Secrets eroberte auf Anhieb die Top 10 der Amazon-Charts. Als Kulissen für ihre Geschichten sucht sich die Autorin spannende Orte aus, die zum Eintauchen in fremde Welten verführen. Denn Elena MacKenzies Motto lautet: Sich in Büchern zu verlieren, heißt grenzenlos zu träumen.
Elena MacKenzie
You Are Mine
Gefährliche Liebe
beHEARTBEAT
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment | Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Natalie Röllig
Covergestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung von Motiven © coka/shutterstock
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar
ISBN 978-3-7325-4949-8
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Die Frau im Spiegel ist Liv Hardt. Sie sieht mich aus blassgrünen, fast schon farblosen Augen an. Selbst nach fünf Monaten als Liv Hardt ist die Verwirrung noch nicht komplett aus ihrem Blick verschwunden. Aber sie gewöhnt sich an ihren Anblick, die blassen Augen, das volle hellrote, fast blonde Haar, die immer leicht offen stehenden Lippen, weil ihre Oberlippe in der Mitte eine leichte Wölbung hat und ihr Mund dadurch wirkt, als würde sie ihn die ganze Zeit über für einen Kuss nach vorn stülpen. Ihre vollen Brüste, die schmale Taille und die runden Hüften, die im paillettenbesetzten, eisblau schimmernden Kleid perfekt zur Geltung kommen.
Liv fühlt sich für mich wie eine Freundin an, die ich eben erst kennengelernt habe, vertraut genug, um sie zu mögen, aber noch immer zu fremd, um ihre Geheimnisse zu kennen. Ich lege mir die silbernen Ringe um das Handgelenk und fahre noch einmal meine Lippen mit dem roséfarbenen Lippenstift nach. Liv Hardt, sie ist jetzt mein Leben. Das bin ich. Ein Callgirl, das Abend für Abend in die Nobelclubs von Boston geht und nach Kunden Ausschau hält, die der Duft von Geld umgibt. Aber nicht Geld ist der Grund für das, was ich tue. Meine Vergangenheit ist es.
Ich atme tief ein und wende mich zur Tür um, als ich das helle Klacken von Janes High Heels auf dem Parkett höre. Sie erscheint in meiner Schlafzimmertür und sieht wie immer atemberaubend aus in ihrem saphirgrünen Designerkleid, das so perfekt zu ihren moosgrünen Augen und den kastanienfarbenen Haaren passt, die in sanften Wellen bis auf ihre Schultern reichen. Sie ist das perfekte Callgirl, unheimlich sexy, wunderschön, absolut stimmig in ihrem Auftreten. Alles, was ich kann und weiß, habe ich von ihr gelernt. Nur ist sie tausendmal besser, als ich es je sein werde, denn sie liebt diesen Job. Ich nicht. Ich tue es, weil es da sonst nichts anderes gibt. Weil alles, was ich einmal war, in der Nacht verloren ging, in der Jane mich halb zu Tode geprügelt in der Gasse hinter dem Forty-two – dem Club, den wir seit ein paar Wochen besuchen, um auf Kundenfang zu gehen oder meine Vergangenheit zu finden – in einer schlammigen Pfütze gefunden hat. Jane hat mich mitgenommen, mich gepflegt und auch verstanden, warum ich nicht die Polizei rufen wollte. Aus Angst vor dem, was sie mir sagen würden, vor den Dingen, die ich vergessen habe. Oder davor, dass die Polizei zu rufen, die dümmste Idee der Welt sein könnte, denn wer auch immer mir das angetan hat, wollte wohl nicht, dass ich überlebe.
»Bist du so weit?«, will sie lächelnd wissen und mustert mich aufmerksam, aber sie hat immer seltener etwas an mir auszusetzen oder zu korrigieren.
Ich gehe zu meinem Bett, auf dem meine Clutch liegt, nehme sie lässig mit einer Hand und nicke. »Wir können«, sage ich.
In diesem Moment klingelt es auch schon an der Tür, unser Taxi. Wir wohnen in einem recht großen Apartment im Erdgeschoss eines Hauses mit Service. Unsere Wohnung ist die einzige, die eine Terrasse besitzt und damit einen direkten Zugang zum kleinen Garten hinter dem Haus. Jane arbeitet schon seit zehn Jahren als Callgirl und hat sich vor vier Jahren dieses Apartment in einer guten Gegend gekauft. Sie macht vor niemandem ein Geheimnis aus der Art, wie sie ihr Geld verdient, weswegen auch in diesem Haus jeder weiß oder zumindest eine Ahnung hat, was wir beide tun, um uns ein Leben wie dieses leisten zu können.
Wir steigen in das Taxi und nennen dem Fahrer die Straße, dann öffnet Jane ihre Handtasche und geht den Inhalt durch: Geld, Make-up, Lippenstift, Seidenschal, Handy, Pfefferspray, Kondome. »Alles da«, sagt sie. »Schau bei dir nach.«
Ich öffne meine Tasche und überprüfe den Inhalt. Das ist unsere letzte Absicherung. Auf unseren Handys befindet sich eine Ortungs-App, damit wir uns jederzeit finden können, aber eine unserer wichtigsten Regeln ist, dass wir immer in das Hotel gehen, das in nächster Nähe zum Club liegt. Sicherheit ist wichtig, auch wenn es keine absolute Sicherheit gibt. Aber an Abenden wie diesem, wo wir auf Neukundenfang gehen, ist es wichtig, dass wir uns im Notfall gegenseitig helfen können. Keine von uns kann wissen, wie ein Mann tickt, mit dem wir es noch nie zu tun hatten. Oder ob er nicht derjenige ist, der versucht hat, mich zu töten.
»Alles da«, bestätige ich.
»Hast du deine Pistole?«, hakt Jane besorgt nach.
»Habe ich.« Jane hat mir diese kleine Waffe für Frauenhände gegeben, nur für den Fall, dass ich dem Schwein begegne, das mich in der Gasse entsorgt hat. Damit ich ihn zwingen kann, mir zu sagen, was er über mich weiß. Oder damit ich ihn umbringen kann. Es ist komisch; die Pistole zu berühren, löst in mir ein beruhigendes Gefühl aus, als wäre sie ein alter Bekannter. Ich wünschte, die Polizei würde dieses Gefühl auch in mir auslösen, dann bräuchten Jane und ich uns nicht jedes Mal in Gefahr zu begeben, wenn wir in den Club gehen, um vielleicht jemanden zu treffen, der mich kennt.
Vor dem Forty-two steigen wir aus, ich atme die kühle Frühlingsluft in meine Lungen. Hier zu sein, macht mich noch immer nervös. Jeder in diesem Club könnte darauf aus sein, mich zu töten. Ich kenne die Gesichter der Männer oder Frauen nicht, die mich sterbend in einer Seitengasse haben liegen lassen. Aber dieser Club ist meine einzige Chance, zu erfahren, wer ich bin und warum ich sterben sollte. Er ist meine einzige Verbindung zu einem Leben, das ich vergessen habe.
Ich schreite hinter Jane her, vorbei an der langen Schlange Menschen, die auch in das Forty-two möchten. Dank Jane müssen wir nie warten. Sie geht einfach auf den breitschultrigen Mann am Eingang zu, setzt ihr sexy Lächeln auf und wedelt mit ihrer VIP-Goldkarte vor seiner Nase. Diese Karte hat sie von dem Besitzer selbst bekommen, nachdem er sie eine Nacht lang austesten durfte. Für ihn gehört es zum Geschäft, die reichen und verwöhnten Männer, die in seinen Club kommen, mit dem zu versorgen, was sie wollen. Und was sie wollen, sind Frauen, die wissen, was sie tun. Frauen, die Männern jeden Wunsch erfüllen und so perfekt sind, dass sie eigentlich unmöglich existieren können. Frauen wie Jane und mich.
Unser erster Weg führt uns immer in den VIP-Bereich. Auch hier muss Jane noch einmal ihre Karte zücken, dann dürfen wir die Stufen nach oben in die nächste Etage nehmen. Hier haben nur Gäste Zutritt, die zumindest über eine Platinausgabe der American Express verfügen, einen Anzug oder ein Kleid tragen, das einen fünfstelligen Preis gekostet hat, und deren Gesichter mindestens monatlich in der Presse erscheinen. Und dann natürlich wir, die Damen, die dafür sorgen, dass die Herren mit den goldenen Breitlings am Arm zufrieden wiederkommen und ihre Freunde mitbringen.
Jane steuert einen Tisch an, der direkt neben dem von zwei Männern steht, die wir hier zum ersten Mal sehen. Natürlich gibt es hier auch Kunden, die uns schon kennen, aber wenn wir hier sind, haben wir es auf die Neuen abgesehen. Stammkunden haben unsere Nummern, sie müssen nur anrufen.
Ein Kellner zieht uns die Stühle zurück, wir setzen uns, den Blick auf unsere Auserwählten gerichtet, ein Lächeln auf den Lippen. Die beiden Männer wissen wahrscheinlich sofort, mit wem sie es zu tun haben. Und das weckt ihr Interesse. Sie grinsen breit zurück. Einer von ihnen steht sofort auf und kommt zu uns rüber. Der andere mustert mich für einen Moment misstrauisch, tritt dann aber auch an unseren Tisch.
»Ich nehme an, wir dürfen uns setzen«, sagt der Erste mit slawischem Akzent.
Ein Schauer läuft mir über den Rücken, als ich ihn so sprechen höre. Manchmal lösen Kleinigkeiten ein merkwürdiges Prickeln aus oder eine Art Déjà-vu. Ich mustere die beiden Männer aufmerksam. Die Suche nach meiner Vergangenheit ist ein riskantes Spiel. Vielleicht bin ich nur das Zufallsopfer eines Diebs geworden, vielleicht aber auch jemand, der, warum auch immer, sterben sollte. Wenn ich sterben sollte, dann kann jeder, der mir begegnet, zur Gefahr werden. Nicht nur für mich, auch für Jane. Keiner der beiden Männer scheint mich zu kennen, ihre Gesichter zeigen keinen Funken des Wiedererkennens. Es enttäuscht und entspannt mich zugleich.
»Ich nehme an, das dürft ihr«, sage ich leise säuselnd mit einem verführerischen Lächeln, und beide ziehen sich einen Stuhl zurück und nehmen Platz.
Die Männer tragen dunkle Anzüge aus teuren Stoffen. Der eine dunkelblau mit silberner, der andere dunkelgrau mit weinroter Krawatte. Die typische Kundschaft, der wir hier im VIP-Bereich begegnen und wegen der wir vom Geschäftsführer im Club geduldet werden. Ein Callgirl zu sein, ist meine Eintrittskarte in den Club und die einzige Möglichkeit, mehr über meine Vergangenheit zu erfahren. Als Jane mich gefunden hat, trug ich auch ein teures Kleid, weswegen wir sicher sind, dass ich vorher im Forty-two gewesen sein musste.
»Du hast einen russischen Akzent«, stelle ich neugierig fest und sehe den Mann im grauen Anzug lächelnd an. Dieser Akzent löst bei mir immer ein Flattern aus, das ich mir nicht erklären kann. Irgendwie vertraut, aber auch angsteinflößend.
Er reibt sich grinsend über das Kinn und wirft mir dabei einen so intensiven Blick zu, dass ich innerlich erschauere. »Richtig erkannt, aber ich bin schon eine Weile Amerikaner«, sagt er und beugt sich etwas näher zu mir. »Mein Name ist Alexander. Und deiner?«
Ich tue es ihm nach und beuge mich auch weiter nach vorn, so nah, dass sich unsere Gesichter fast berühren. »Liv.«
Etwas leuchtet in seinen Augen auf. »Liv also, schön, dich kennenzulernen. Kommst du oft hierher?«
Ich schiele kurz zu Jane, die mit dem anderen Mann beschäftigt ist, so konzentriert auf ihr Ziel, dass sie meinen fragenden Blick nicht bemerkt. Aber dass sie ihre Hand auf seinen Oberschenkel legt und sich über die Lippen leckt, beantwortet meine Frage. Diese beiden Männer gehören heute Nacht uns.
»Manchmal«, sage ich und lege meine Wange gegen seine, hauche heißen Atem in sein Ohr und presse die Lippen auf seinen Hals. »Was denkst du, hast du genug Geld bei dir, damit wir beide ein wenig Spaß haben können?«
Er lacht leise auf, schiebt seine Hand in meinen Nacken und hält mich neben seinem Gesicht fest, sodass ich nicht mehr wegkann. »Wie feucht bist du für mich?«
Ich nehme seine Hand, lege sie auf meinen nackten Oberschenkel und führe sie unter den Saum meines Kleids. »Sieh doch nach!«, flüstere ich in sein Ohr.
Er schiebt seine warme Hand langsam immer weiter unter meinen Rock, während seine weichen Lippen an meinem Schlüsselbein knabbern und heiße Blitze bis in meinen Unterleib zucken lassen. Seine Finger berühren meine nackte Scham. Ich stöhne gespielt in sein Ohr, um ihn zu ermuntern, öffne meine Schenkel etwas und lasse ihn zwischen meine Schamlippen tauchen. Er berührt meine Klitoris, bevor er seinen Finger tiefer wandern lässt und ihn in mich stößt. Ich spanne meinen Unterkörper an und dränge mich gegen seine Hand. Mit seiner anderen hält er noch immer meinen Nacken fest. Seine Fingerspitzen drücken sich grob gegen meine Halswirbel. Sein Atem beschleunigt sich, als er seinen Finger rhythmisch in mich stößt.
»Sehr feucht«, stellt er fest und löst sich von mir. Er sieht mich mit diesem feurigen Blick an, den erregte Männer immer haben und den sie niemals verbergen können. Den Trick bei der Sache mit dem Feuchtsein habe ich auch von Jane. Sie hat mir beigebracht, genau für solche Momente nie aus dem Haus zu gehen, ohne mir vorher etwas Gleitgel in die Vagina zu streichen. Die Männer mögen es, wenn sie glauben, unsere Erregung wäre nicht nur gespielt. »Ich steh nicht darauf, es in einem Bett zu machen, also machen wir es hier in einer dunklen Ecke, wo vielleicht die Chance besteht, dass uns jemand beobachtet, oder wir tun es gar nicht.« Er verzieht die Lippen zu einem Lächeln, das diabolisch und hinterlistig wirkt, aber es schmälert seine Attraktivität kein bisschen.
»Du magst es also schnell, hart und gefährlich«, sage ich grinsend, lecke mir über die Lippen und lege meine Hand auf seinen Oberschenkel. »Ich mag es auch.«
Mit einem Lächeln öffnet er seine Jacke, zieht sein Portemonnaie heraus und wirft ein Bündel Scheine auf den Tisch. Ich stecke es in meine Clutch und hole gleichzeitig ein Kondom aus der Tasche. Heute Abend könnte ich schnell wieder zu Hause sein. Oder ich mache mich auf die Suche nach einem weiteren Mann. Aber jetzt erst mal er.
Jane hat Spaß daran, Tag für Tag mit den verschiedensten Männern zu schlafen und dafür auch noch sehr gut bezahlt zu werden. Ich tue es nur, weil ich keine andere Wahl habe. Nur auf diesem Weg komme ich an Männer wie Alexander heran und bekomme die Chance, herauszufinden, wer ich bin und was mit mir passiert ist. Ich muss mich unauffällig im Club bewegen können und auch in den VIP-Bereich dürfen. Ein Callgirl zu sein, ist der einzige Weg, das tun zu können. Und ich kann Jane unmöglich meinen Unterhalt mit ihrem Körper finanzieren lassen. Sie tut schon genug für mich. Was mich persönlich betrifft, könnte ich mich nicht schlechter fühlen wegen dem, was ich tue, weil ich mich immer wieder Frage, was sie, mein anderes Ich, davon halten würde, dass ich ihren Körper verkaufe.
Ich nehme die Hand, die er mir reicht, und lasse mich von ihm hochziehen, dann folge ich ihm an den anderen Lounges vorbei in die hinterste Ecke. Hier gibt es eine abgeschiedene Lounge, die zu drei Viertel verschlossen ist und nur einen schmalen Eingang hat. Gegenüber dem Eingang ein Fenster, durch das man direkt nach unten auf die Tanzfläche schauen kann. Er schiebt mich rein. In der Lounge stehen zwei Sessel und ein kleiner runder Tisch. Es riecht nach Zigarren, weil diese Lounge eigentlich dem Clubbesitzer vorbehalten ist. Ich weiß das, aber ich weise Alexander nicht darauf hin. Er will es ja gefährlich.
Ich drehe mich zu ihm um, lege die Hände auf seine Brust. »Also, wie willst du mich?«
Er packt mein Haar, reißt meinen Kopf nach hinten und zerrt mich zu einem der Sessel. »Zuerst werde ich mich hier hinsetzen und du nimmst ihn in den Mund«, sagt er lächelnd, und seine Augen glühen vor Ungeduld.
Ich setze ein zufriedenes Grinsen auf und tue so, als hätte ich die Veränderung zum eiskalten Arschloch nicht gespürt, denn Männer wie ihn gibt es einige. Sie sind es, die diesen Job so schwer machen. Sie behandeln uns erst wie Dreck, wenn sie uns für sich haben und sich sicher fühlen. Das einfach zu schlucken, gehört dazu. Ich stoße ihm gegen die Brust, und er lässt sich in den Ohrensessel fallen, dann knie ich mich zwischen seine Beine, ziehe das Kondom aus meinem Ausschnitt und öffne langsam seine Hose. Hinter mir zucken Laser und lassen sein Gesicht bunt aufleuchten, als sie auf das Fenster treffen. Sie geben seinem Grinsen ein noch teuflischeres, monströseres Aussehen.
Ich befreie seine Erektion und sehe unschuldig zu ihm auf, während ich ihm das Kondom überziehe. Männer lieben es, wenn Frauen sich ihnen gegenüber so unterwürfig zeigen, während sie sie tief in den Mund nehmen. Über sein Gesicht zuckt Erwartung, als ich mich vorbeuge und mit der Zunge über seine Eichel lecke, sie umkreise und vorsichtig seine Spitze in mich sauge. Sein Griff in meinem Haar wird fester, er schließt für eine Sekunde die Augen und öffnet schwer atmend den Mund.
»Nun mach schon«, fordert er ungeduldig, also mache ich. Ich nehme ihn so tief in mich auf, bis ich den Brechreiz spüre und würgen muss, lasse ihn ein Stück rausgleiten und beginne, mich an ihm auf und ab zu bewegen, während mein Blick fest auf ihn gerichtet ist. Sein Atem beschleunigt sich, und er beginnt, meinen Kopf zu dirigieren und mir seine Hüften entgegenzustoßen.
»Oh ja«, stöhnt er, lässt seinen Kopf nach hinten sinken und drückt mich immer tiefer auf sich, bis ich kaum noch atmen kann und glaube, mich jeden Moment auf ihn erbrechen zu müssen. Dann plötzlich reißt er mich laut lachend weg, springt auf und zerrt mich an den Haaren mit sich nach oben.
Er stößt mich gegen das Fenster, dreht mich mit dem Gesicht zur Scheibe und schiebt mein Kleid über meinen Hintern nach oben. Dann stößt er einen Finger so grob in mich, dass sein Nagel über mein Innerstes schabt und ich den Schmerz hektisch wegatme. »Ich werd dich ficken, und jeder soll es sehen«, flüstert er in meinen Nacken und stellt sich nah hinter mich. Er schlägt mir mit der Hand auf den Hintern, und ich wünschte, ich wäre nicht hier. Das tue ich meistens, wenn ich mit einem Kunden zusammen bin. Und obwohl ich mich vor mir selbst ekle, kann ich nicht verhindern, dass mich die Lust wie heiße Lava durchdringt, wenn sie mich brutal nehmen.
So wie Alexander jetzt, der mit einem harten Stoß so heftig in mich eindringt, dass der Schmerz Blitze vor meinen Augen explodieren lässt. Ich stemme die Hände gegen das Glas und lehne die Stirn dagegen, nehme die Füße noch weiter auseinander für einen festeren Stand, um seinen harten Stößen entgegenwirken zu können, mit denen er sich rücksichtslos in mir versenkt.
Ich keuche laut auf, konzentriere mich auf die Anspannung, die sich spiralförmig nach oben schraubt und jede Zelle in mir erzittern lässt. Mein Unterleib schmerzt jedes Mal, wenn er gegen meine inneren Barrieren stößt, und mir wird heiß. Ich sehe auf die sich bewegende bunte Menschenmasse unter unseren Füßen und frage mich nur eine Sekunde lang, ob sie uns hier oben sehen können. Wahrscheinlich, denn das Licht in der Lounge ist an. Sie müssten also nur hier hochschauen und könnten mich dabei beobachten, wie ich mich von einem Arschloch vögeln lasse und mich die Lust bis an meine Grenzen katapultiert.
»Mehr«, befehle ich ihm. Ich will mehr Kraft, mehr Schmerz, mehr Bestrafung für das, was ich hier tue. Für das, was ich tue, obwohl ich es verabscheue.
Er drückt seine Finger auf meine Klitoris und reibt sie so grob, dass ich weiß, sie wird sich morgen ganz wund anfühlen. »Ja«, stöhnt er in mein Ohr. Mit einer Hand hält er meine Taille, mit der anderen stützt er sich neben meiner ab. Ich halte mit aller Kraft gegen ihn, strecke ihm meinem Arsch entgegen und lasse mich nehmen wie die Schlampe, die ich bin.
»Ich komme, Schlampe«, stöhnt er mit seinem russischen Akzent. Sogar er weiß, was ich bin.
Aber das macht nichts, es lässt mich nur um ihn herum explodieren, mich in heftigen Wellen kommen und laut aufschreien. Er erstarrt hinter mir und zuckt in mir. Nur für wenige Atemzüge erholt er sich, bevor er sich von mir löst, mir das Kondom vor die Füße wirft, seine Hose hochzieht und mich breit angrinst.
»War ganz okay«, sagt er, lacht höhnisch auf und lässt mich einfach stehen.
Meine Beine zittern, als ich mein Kleid runterziehe, dann lasse ich mich an der Scheibe nach unten gleiten und lehne den Kopf gegen das Glas. Ich versuche, nicht daran zu denken, wie abweisend und hasserfüllt sein Blick war, bevor er den Raum verlassen hat. Aber ich kann nicht anders, denn in seinem Blick stand genau das, was ich verdient habe. Für das, was ich hier mache. Ich hasse es, und gleichzeitig treibt mich etwas dazu. Es lässt mich nicht los und will, dass ich es immer und immer wieder tue, um mich für etwas zu bestrafen, von dem ich nicht einmal weiß, was es ist.
Ewan wickelt grob das Seil um den Körper des Mannes, der für Sergej arbeitet, und fesselt ihn an einen alten Stuhl. Der Mann sieht wütend zu mir auf, aber das berührt mich nicht. Er ist nicht ohne Grund hier. Und in meinen Augen rechtfertigt dieser Grund alles, was ich ihm gleich antun werde.
Entschlossen ziehe ich meine Jacke aus und werfe sie Lew zu, der ein paar Schritte entfernt steht und die Szene gelangweilt beobachtet. Mir wird nachgesagt, ich wäre ein Killer ohne Gewissen, jemand, der tötet, ohne zu fühlen. Vielleicht wirke ich auf andere tatsächlich so, aber früher einmal hat mich jeder Mord mitgenommen. Wahrscheinlich gewöhnt man sich an alles irgendwann. Ich töte nicht gern, sondern nur, weil ich es muss, um zu überleben. Ein Gewissen kann ich mir in meinem Job nicht leisten. Tod und Folter stehen in meiner Stellenbeschreibung, was nicht heißt, dass ich nichts dabei empfinde. Lew dagegen ist eine wahre Mordmaschine. Er schreckt vor keiner Gräueltat zurück. Und obwohl ich ihn jetzt schon so lange kenne, wie ich auf dieser Welt bin, schafft er es immer wieder, mich zu schockieren. Wenn man ihm bei der Arbeit zusieht, könnte man glauben, er hätte Spaß am Foltern und Morden, aber eigentlich ist er zu Empfindungen nicht fähig. Er ist ein Roboter. Deswegen fiel die Führung der Familie nach Vaters Tod auf mich. Lew wäre nicht dazu in der Lage gewesen, Entscheidungen zu treffen. Als sein Oberhaupt habe ich die Kontrolle über das, was er tun darf und was nicht. Und ich lasse Lew nicht oft von der Leine.
Ich balle eine meiner Hände zur Faust und schlage damit gegen die andere, dann setze ich dieses Lächeln auf, von dem alle behaupten, es zeige, dass ich Spaß an Dingen wie dem hier hätte. »Ich will Namen«, sage ich mit ruhiger, kontrollierter Stimme zu dem Mann vor mir, hole aus und donnere ihm meine Faust gegen den Kiefer. Der Stuhl kippt, Ewan hinter ihm fängt den Stuhl und richtet ihn wieder auf, bevor der Mann mit dem Kopf auf den dreckigen Boden der seit Jahren leer stehenden Fabrikhalle aufschlägt.
Der Kerl lacht laut und sieht mit rollenden Augen zu mir auf. Er ist allerhöchstens Mitte zwanzig, aber er muss gut sein, denn er ist einer von Sergejs Bodyguards. Und Sergej stellt nur die besten Männer ein. Dieser hier hat breite Schultern, einen militärischen Bürstenschnitt und eine Tätowierung am Unterarm, die zeigt, dass er irgendwann einmal in der Navy gedient hat. Jemand, der einmal ein normales Leben hatte und nicht in diese Welt reingeboren wurde, so wie Lew und ich. Er hat diese Entscheidung also bewusst getroffen, weswegen ich ihn noch mehr verachte. Lew und mir blieb keine Wahl.
»Steve«, sagt er und lacht wieder.
Ich hole aus und breche ihm die Nase. Blut schießt heraus, läuft über seine Lippen und tropft auf sein zerrissenes Shirt. »Wer ist Steve?«, will ich knurrend wissen.
Der Kerl leckt sich über die Lippen und trinkt sein eigenes Blut. Innerlich kämpfe ich gegen den Ekel an, äußerlich lasse ich mir nichts anmerken. »Das bin ich.«
»Dein verfickter Name interessiert hier keinen«, brülle ich, greife hinter mich, nehme eins der gezackten Messer vom Tisch, auf dem meine Instrumente liegen, und ramme es ihm in den Oberschenkel, wo ich es einfach stecken lasse. Steve brüllt schmerzerfüllt auf, sein Kopf sinkt auf die Brust, und sein Körper spannt sich an. »Wer war dabei?«, frage ich wieder.
In den letzten Monaten habe ich diese Frage oft gestellt. Immer und immer wieder. Habe versucht die Namen von den Männern zu erfahren, die meine Frau ermordet haben, aber keiner von ihnen hat jemals auch nur einen Namen ausgespuckt. Nicht einmal, um sein dreckiges Leben zu retten. Was zur Folge hat, dass ich noch tiefer in Leichenbergen wate als sonst. Vielleicht werde ich Lew ja doch immer ähnlicher? Im Moment stört mich der Gedanke kaum.
Ich beuge mich zu Steve nach unten, stütze eine Hand auf seinem unverletzten Schenkel ab, die andere auf seiner Schulter. Als ich ihm näher komme, überwältigt mich der Gestank nach Blut und Erbrochenem, weswegen ich nur flach atme, aber ich zeige ihm nicht meinen Ekel, damit er es mir nicht als Schwäche auslegen kann. Ich habe meinem Vater schon als Junge dabei zusehen müssen, wenn er Männer gefoltert hat, um Antworten auf seine Fragen und Probleme zu finden. Auch mein Vater hat das nicht gern gemacht, aber man hat es ihm nie angesehen. Es gab Zeiten, da hat mich die Gewalt in meinem Leben in die Knie gezwungen, mittlerweile ist sie Alltagsgeschäft. Vielleicht unterscheidet mich ja doch nicht mehr viel von meinem Bruder.
Steve muss die Namen kennen, als Bodyguard verbringt er fast jede Minute seines Lebens in der Nähe von Sergej. Außer in der Minute, in der wir ihn allein in einer Gasse hinter einem der Puffs entdeckt haben, die Sergej gehören. Rauchen ist tödlich. In seinem Fall hat es ihn direkt hierhergebracht.
»Namen«, knurre ich, lege eine Hand um den Griff des Messers und bewege es in seinem Bein. Der Kerl wimmert, sein Blick bleibt aber hart und unnachgiebig, also ziehe ich das Messer mit einem Ruck aus dem Fleisch. Die Zacken an der Klinge zerreißen seinen Muskel, Sehnen und auch eine Arterie, denn der Stoff seiner Hose ist binnen Sekunden durchtränkt mit Blut. Ich treibe das Messer an einer anderen Stelle wieder rein, schiebe es ganz langsam in seinen Oberschenkel, Zentimeter für Zentimeter. Steve schreit gequält auf.
»Du hast die Wahl, wir können das hier noch ein paar Stunden machen oder es schnell beenden. Wer hat meine Frau getötet?« Ich ziehe die Klinge raus und ramme sie unterhalb seines Schlüsselbeins in den Oberkörper. Steve schreit, sein Kopf rollt gegen den Stuhl zurück, und ich befürchte schon, dass er ohnmächtig geworden ist, aber dann hebt er den Kopf und flüstert einen Namen: »Alexander Smirnov.«
Ein Name, den ich nur zu gut kenne. »Also schnell«, sage ich und richte mich mit einem breiten Lächeln auf. »Wo finde ich ihn?«
Der Mann lacht dunkel, dabei spritzt Blut aus seinem Mund. Er atmet röchelnd ein. »Versuch es im Forty-two, da trifft er sich heute mit einem Geschäftspartner.«
»Noch jemand?«
Steve hustet und hat Mühe, mich anzusehen. Sein Atem kommt angestrengt, aber er grinst. »Der Pakhan persönlich und ich.« Er röchelt und stöhnt. »Warum fragst du? Dich interessiert doch eigentlich nur, wer deine Eltern umgebracht hat.«
Da hat er recht, aber ich suche schon zu lange erfolglos nach Beweisen für diesen Mord. Vielleicht habe ich mehr Glück, Beweise für den Mord an meiner Frau zu finden. Sergej ist zu schlau, um jemanden am Leben zu lassen, der bezeugen könnte, dass er ein Oberhaupt der Bratwa getötet hat, weil darauf der Tod steht. Ich reiße die Beretta aus meinem Schulterhalfter, richte sie auf seine Brust. Mein erster Instinkt ist, ihn auf der Stelle zu erschießen. Ich bin jemand, der sein Wort hält. Und ihm habe ich versprochen, es schnell zu machen. Aber ich kann nicht. Nicht, wenn dieser Mann dabei war, als meine Frau umgebracht wurde. Dieses eine Mal kann ich mein Wort nicht halten, ich muss an meinen Stand als Oberhaupt einer der vier Familien von Boston denken, die die Stadt unter sich aufgeteilt haben. Nur wenn ich als grausam gelte, kann ich mir den Respekt verdienen, den ich für meine Aufgabe als Pakhan brauche. Ich stecke die Waffe zurück, werfe einen Blick auf seinen Oberschenkel und grinse zufrieden.
»Wenn er verblutet ist, entsorg ihn«, sage ich trocken zu Ewan, nehme Lew meine Jacke ab und verlasse die Halle. Lew folgt mir wortlos. Wahrscheinlich würde er ihn sofort umbringen, nur um es beendet zu haben, aber dass Steve langsam und qualvoll stirbt, ist für ihn auch okay. Er denkt über solche Sachen wahrscheinlich nicht einmal nach.
Wir steigen in die Limousine, die vor der Halle auf uns wartet. Anton, mein Fahrer, dreht sich zu mir um und reicht mir ein feuchtes Tuch, mit dem ich meine Hände vom Blut befreien kann. Über den Knöcheln ist ein wenig Haut aufgerissen, aber das stört mich nicht. Auch den Schmerz, der nach einem solchen Schlag in den Knochen hämmert, bemerke ich kaum noch. Das sind Dinge, die zu meinem Leben dazugehören. Man gewöhnt sich so sehr daran, dass sie irgendwann einfach nicht mehr da sind.
»Wir haben Namen, und mein Anzug hat nicht einen Fleck«, sage ich. »Ein erfolgreicher Tag.«
Antons Mundwinkel heben sich, und seine Augen leuchten auf. »Wir haben die Schweine also?«
»Wir haben sie, sobald sie tot sind«, sage ich, denn jetzt, da wir sicher wissen, dass Sergej Kusnezow – Pakhan seiner Familie, Oberhaupt einer der vier Bratwa-Familien von Boston – in den Tod von Katja verwickelt ist, habe ich als Oberhaupt meiner Familie und ihr Ehemann das Recht, ihn vor das Bratwa-Gericht zu bringen. Schon mal ein Anfang, wenn es dafür leider auch kein Todesurteil geben wird.
»Fahren wir in dieses Forty-two. Holen wir uns zuerst Alexander.«
Anton grinst. »Ist ein neuer Club, in den kommt man nur auf Empfehlung.«
»Es gibt immer ein Hintertürchen.«
Unser Hintertürchen ist die Vordertür, an der wir kurzerhand den Wachhund, der so breit wie hoch ist, mit einem gezielten Schlag gegen die Stirn ins Traumland schicken und dann einfach über seinen gewichtigen Körper hinwegtrampeln, als wäre er der verdammte rote Teppich. Ewan geht vor mir in den Club, bereit, jede Kugel, die für mich bestimmt ist, mit seinem eigenen Körper abzufangen, obwohl er weiß, dass ich das niemals von ihm verlangen würde. Doch es ist sein Job, und den erfüllt er gewissenhaft, hat er schon für meinen Vater getan. Lew läuft neben mir, er ist zwar ein eiskaltes Arschloch, aber sogar er würde sein Leben für mich geben, weil ich sein Bruder bin. Es gab eine Zeit, da habe ich angenommen, er würde mich umbringen, wenn er die Gelegenheit dazu bekommen würde, um meinen Platz einzunehmen. Sogar Lew hat verstanden, dass jemand wie er keine Organisation wie diese führen kann.
Hinter uns folgen zwei meiner Männer, von denen ich hoffe, dass sie ihr Leben für mich geben würden, wenn es darauf ankommt, doch ganz anders als Ewan haben sie bis zu seinem Tod zwar auch für meinen Vater gearbeitet, würden mich aber lieber nicht an der Spitze sehen wollen. Das hier ist wie Politik, entweder du bist überzeugend, oder du bist es nicht. Ich bin nicht überzeugend genug, weil ich mich noch nicht bewiesen habe. Die Mörder meiner Eltern zur Rechenschaft zu ziehen, wäre ein guter Anfang. Und dann wieder Ordnung in die Unterwelt von Boston bringen, wäre wohl auch ein guter Weg, mir das Vertrauen der Männer zu verdienen.
Wir gehen langsam auf die Bar zu. Sie befindet sich rechts etwas versteckt hinter einer gläsernen Wasserwand, die in einem durchscheinenden Lila beleuchtet wird. In der Mitte des Raums bewegen sich Körper zu Technomusik, eine wild auf und ab hüpfende Masse unter zuckendem Stroboskoplicht und bunten Lasern, die sich ganz von allein teilt, um uns Platz zu machen. Ich bleibe stehen, als sich uns zwei Männer in den Weg stellen und uns mit harten Mienen ansehen. Nur einer hat ein provokantes Lächeln auf dem Gesicht.
»Boris«, sage ich.
»Dimitri«, antwortet er mit einem knappen Nicken, die Kiefer so fest aufeinandergepresst, dass ich seine Muskeln arbeiten sehe. »Was willst du hier?«
Ich sehe mich lächelnd um, ob es in unserer Nähe noch weitere Männer von Alexander Smirnov gibt, die eventuell in diesem Moment ihre Waffen auf uns gerichtet haben könnten, aber da sind nur seine persönlichen Bodyguards. Boris, ein groß gewachsener blonder Hüne mit Schultern, so breit wie eine alte Eiche, und Sven, ein Schwede, der nicht weniger wikingerhaft aussieht als sein Kollege. Alexander geht niemals ohne diese Männer irgendwohin, der beste Beweis also, dass er heute hier im Club ist.
»Das ist ein öffentlicher Club, soweit ich weiß.«
»Nicht ganz so öffentlich.«
»Wir hatten eine Einladung.«
»Dann werden wir dem Geschäftsführer wohl genauer erklären müssen, wie das hier in Boston läuft.«
»Wir sind unbewaffnet«, entgegne ich und breite die Arme zum Zeichen aus, dass man uns durchsuchen darf. Unbewaffnet in einen Club zu gehen, in dem auch die Gegnermannschaft ist, ist ein riskantes Spiel, aber wir setzen darauf, dass Alexander seinen Männern niemals erlauben würde, im Forty-two herumzuballern. Zu viel Aufmerksamkeit ist schlecht für das Geschäft, und noch schlechter für seine Beziehungen zur Polizei, weswegen es jeder von uns vermeidet, seine Geschäfte in der Öffentlichkeit auszutragen. Boris nickt. Sie werden uns nicht durchsuchen, sondern sich darauf verlassen, dass wir ehrenhaft genug sind, die Wahrheit zu sagen. Sind wir nicht, und das wissen sie wohl auch. Sie werden genauso wenig unbewaffnet sein wie wir. Aber in der Öffentlichkeit, mit all den Menschen als Zeugen um uns herum, sind wir alle sicher. Keiner von uns würde das Risiko eingehen, Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen.
»Was wollt ihr hier?«, will Boris wissen und tritt einen Schritt auf mich zu.
Ich sehe mich um, stoße den Atem aus und öffne den Knopf meines Jacketts, um meine Hände in die Taschen meiner Hose zu schieben. »Ich hatte gehofft, ein paar Worte mit Alexander wechseln zu können«, sage ich gelassen. Erst als ich den Satz beendet habe, sehe ich Boris wieder an. Ich möchte ihm den Eindruck vermitteln, entspannt zu sein, um ihn nicht noch nervöser zu machen und um zu bekommen, was ich will. Denn ich werde es nicht bekommen, wenn Boris nur den kleinsten Verdacht schöpft, ich könnte etwas anderes planen, als mit Smirnov zu reden. Noch glauben seine Männer, wir hätten Waffenruhe. »Ich möchte ihm eine geschäftliche Idee unterbreiten.«
Boris mustert mich, dann geht sein Blick flüchtig nach oben, ein winziges Zucken seiner Augen, von dem er vielleicht hofft, ich hätte es nicht mitbekommen, aber das habe ich. Damit er es nicht bemerkt, sehe ich ihn unverwandt an und warte auf seine Entscheidung.
»Der ist gerade beschäftigt.«
»Dann sag ihm, dass wir an der Bar auf ihn warten.«
Boris verzieht das Gesicht, wirft wieder einen Blick nach oben, dorthin, wo sich der gläserne Bereich befindet, der nur wenigen Gästen vorbehalten ist. Es kostet mich Mühe, auch diesmal nicht hinzusehen, besonders, da Ewans Hand meine wie zufällig streift. Er will mich auf etwas aufmerksam machen, aber ich muss die Kontrolle über die Situation behalten. Was auch immer er mir zeigen will, muss warten. »Das geht nicht. Ich werde ihm ausrichten, dass du hier warst.«
Langsam verliere ich die Geduld. Ich werde Smirnov heute fassen und ihm dann in meinem Keller die grauenvollsten Sachen antun. Nicht, weil ich meine Frau geliebt hätte, aber sie war meine Frau, wenn auch nur, um mich an Sergej zu rächen. Und für die Männer, die mir folgen. Mich nicht zu rächen, wäre eine Schwäche, die sie mir nicht verzeihen würden, immerhin ist sie mit unserer Heirat auch ihre Koroleva geworden.
Ich ziehe beide Augenbrauen hoch und neige den Kopf zur Seite, dann presse ich kurz die Lippen aufeinander, als würde ich abwägen, was ich antworten möchte. »Hmm, wo ist das Problem? Er ist hier, ich bin hier …« Ich lasse den Rest des Satzes in der Luft hängen.
Boris’ Blick schweift wieder nach oben, und Ewans Hand tippt noch immer gegen meine. Weil er mich damit ablenkt, stoße ich ihn leicht mit meiner Hand an, ich werde den Blick jetzt nicht von Boris lösen, denn nur ihn direkt anzusehen, zeigt ihm, wie ernst mir mein Anliegen ist. Nun sind wir an einem Punkt unseres Gesprächs angekommen, an dem es darum geht, wer als Erstes nachgibt. Und ich werde nicht nachgeben. Nicht wenn ich so kurz davorstehe, mir den Respekt meiner Männer zu verdienen. Nicht wenn ich so kurz davorstehe, einen Krieg auszulösen, den Boston so noch nicht gesehen hat, denn Alexander Smirnov zu töten, bedeutet, den Sohn eines der anderen Pakhan zu töten, und das wird der nicht einfach so hinnehmen.
»Alexander hat im Moment einen anderen Termin.« War da ein nervöser Unterton in Boris’ Stimme?
»Lass es mich so sagen: Wenn du mich nicht mit ihm sprechen lässt, dann wird er dich erschießen, weil du ihn um eine Menge Geld gebracht hast und ich mein Angebot jemand anderem unterbreite.« Ich wiege den Kopf wieder hin und her. »Ich könnte Michail Popow fragen. Wenn ich genau darüber nachdenke, wäre er ohnehin der bessere Mann«, sage ich und wende mich ab.
»Warte an der Bar, ich frage Alexander«, sagt Boris, als er glaubt, ich könnte wirklich gehen.