Young Agents (Band 3) – Codewort "Inferno" - Andreas Schlüter - E-Book

Young Agents (Band 3) – Codewort "Inferno" E-Book

Andreas Schlüter

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Beschreibung

Offiziell gibt es sie gar nicht. Und doch leben sie mitten unter uns: die YOUNG AGENTS - topausgebildete Geheimagenten, die nicht älter sind als du! Auch diesmal wartet wieder ein brandgefährlicher Auftrag auf die YOUNG AGENTS. Zusammen mit Naomi aus Paris und Charles aus London muss Billy verhindern, dass der »Boss« mit seinen Anhängern Anschläge auf deutsche Wochenmärkte ausübt. Dazu entwickelt das Trio einen genialen Plan: Sie erfinden ein Reality-Spiel, das alle Kinder der Stadt zu Agenten erklärt und auffordert, verdächtige Taschen ohne Besitzer zu melden. Zunächst mit Erfolg. Doch dann kommt es zu einem spannenden Showdown. Werden die YOUNG AGENTS es diesmal schaffen, den mächtigen »Boss« zu schnappen?

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Seitenzahl: 256

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Young Agents

Codewort »Inferno«

Band 3

eISBN 978-3-96129-187-8

Edel Kids Books

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

Copyright © Edel Germany GmbH,

Neumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Text: Andreas Schlüter

Lektorat: Nina Schnackenbeck

Coverillustration: Max Meinzold

Covergestaltung: Antje Warnecke, www.nordendesign.de

unter Verwendung von Illustration und Gestaltung von

© Max Meinzold

ePub-Konvertierung: Datagrafix GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung

des Verlages wiedergegeben werden.

INHALT

Ein ganz normaler Schultag

Entführt

Abgeschirmt

Flucht?

Frei!

Geheime Ermittlungen

Überraschende Entwicklung

Gefährliche Pläne

Bedrohung!

Gonzo, eine Gefahr?

Eine zweite Explosion

Bombenfund

Anschlag auf die Zentrale?

Inferno

Finale kopfüber

EIN GANZ NORMALER SCHULTAG

Ich darf das eigentlich nicht tun. Ich soll mich in der Schule »normal« verhalten, nicht auffallen, auf keinen Fall auch nur ansatzweise meine antrainierten außergewöhnlichen Fähigkeiten preisgeben. So haben sie es uns auf der Agentenakademie eingebläut. Und so mahnt mich auch immer wieder mein direkter Vorgesetzter, den ich nur »den Prof« nenne. Schön und gut. Ich habe mich bisher dran gehalten. Auch wenn es manchmal schwerfällt. Aber weder unsere Ausbilder in der Agentenakademie noch der Prof müssen in der Schule mit Typen wie Gonzo auskommen. Gonzo ist der ätzendste Typ in meiner Klasse, vermutlich der gesamten Schule. Keine Gelegenheit lässt er aus, andere zu mobben, zu terrorisieren, zu bedrohen oder sonst wie Ärger zu machen. Besonders mich hat Gonzo auf dem Kieker. Klar, in seinen Augen bin ich der Schwächste in der Klasse, die größte Niete auf diesem Planeten. Logisch, dass er das denkt, weil ich ihm und allen anderen genau diesen Schwächling vorspielen muss, um meine wahre Identität geheim zu halten.

Wie gesagt, bisher hat das einigermaßen gut geklappt. Aber seit kurzer Zeit ist Gonzo noch verbissener hinter mir her, weil er eifersüchtig ist. Wir haben nämlich eine neue Mitschülerin: Abena ist aus Ghana nach Deutschland gekommen, spricht für die kurze Zeit, die sie hier ist, erstaunlich gut Deutsch und hat mich als ihren ersten Ansprechpartner in der Klasse auserkoren. Das hatte sich so ergeben, weil sie zufällig neben mir sitzt. Mir ist das ganz recht, denn Abena ist ausgesprochen nett. Und genau das wurmt Gonzo, der vom ersten Tag an ein Auge auf sie geworfen hat. Aber Abena will nichts von ihm wissen, was auch wieder sehr für sie spricht. Nun sitzt Gonzo aber genau hinter uns und nervt die ganze Zeit: mich, eben weil er eifersüchtig ist, und Abena, weil er einfach nicht von ihr ablässt.

Gestern Nachmittag habe ich nach Schulschluss noch ein knappes Stündchen mit Abena im Klassenraum verbracht, um mit ihr Deutschvokabeln zu lernen. Und deshalb will Gonzo mich heute Morgen verprügeln! Einfach so. Da ich mich einerseits nicht von ihm verhauen lassen will, andererseits mich nicht anständig wehren und ihn verprügeln darf, bin ich gerade mal wieder auf der Flucht vor diesem Blödmann. Ich bin einfach in eine Toilettenkabine gerannt. Nicht besonders einfallsreich, und klar, dass er mich hier findet. Soll er auch. Die Tür habe ich deshalb auch nicht verriegelt.

Ich muss nicht lange warten. Schon höre ich, wie er angepoltert kommt.

Da steht er auch schon vor mir.

»Hab’ ich dich!«, ruft er und grinst mich voller Vorfreude an, mir gleich eine verpassen zu können. »Für so dämlich hab’ ich dich gar nicht gehalten, dass du vergisst, die Tür abzuschließen.«

»Du täuschst dich«, antworte ich, »ich schließe noch ab.«

Gonzo lacht. »Aber …«, will er sich gerade über mich lustig machen. Da packe ich ihn blitzschnell am Kragen, ziehe ihn nah zu mir, drehe mich mit ihm um 180 Grad und werfe ihn auf die Kloschüssel. Gonzo fällt, kann sich zwar gerade noch an der Schüssel festhalten, doch schon bin ich draußen aus der Kabine, ziehe die Tür von außen zu und schließe sie ab.

In der Agentenakademie habe ich das Öffnen von Schlössern aller Art gelernt. Aber das funktioniert auch umgekehrt. Mit meinem Türöffner-Agententool kann ich Türen auch verschließen. An dem Schloss gibt es nämlich einen kleinen, versteckten Riegel, an den man auch von außen herankommt, um die Tür zu verschließen. Um herauszukommen, müsste Gonzo über den versifften Toilettenboden unter der Tür hindurchrobben. Wie gesagt: Eigentlich darf ich das nicht. Hat aber viel Spaß gemacht.

»Tschüss, Gonzo«, rufe ich ihm zu, während er von innen gegen die Tür bollert.

»Ey, die Tür hat sich verhakt«, ruft er. »Lass mich raus!«

Aber da bin ich schon draußen.

Auf dem Weg zum Klassenraum bekomme ich eine Nachricht aufs Handy: Shiona will uns sehen.

»Uns«, das sind Naomi aus Paris, Charles aus London und ich. Wir drei bilden das YOUNG-AGENTS-Team, das derzeit in meiner Heimatstadt Hamburg stationiert ist. Unser aktueller Auftrag lautet: den Obergangster mit dem Spitznamen »Boss« zu überführen. Was uns nach drei Anläufen leider noch immer nicht gelungen ist. Aber wir konnten einen seiner engsten Komplizen hinter Gitter bringen: Thorsten Maffei, Shionas Vater.

Natürlich ahnt Shiona nichts davon, dass wir Agenten sind. Naomi, Charles und ich sind nur in ihre Musikband eingestiegen, um heimlich ihren Vater auszuspionieren. Diesen Auftrag haben wir erfolgreich abgeschlossen.

Und eigentlich hätten wir den Kontakt zu Shiona anschließend sofort abbrechen müssen. Persönliche Bindungen zu Gangstern und ihren Familien dürfen wir Agenten uns natürlich nicht erlauben. Aber in diesem Fall hat uns der Prof gebeten – besser gesagt: befohlen –, den Kontakt aufrechtzuerhalten und weiter mit Shiona in der Band zu spielen. Darum schreibt sie uns also noch. Verständlicherweise ist Shiona völlig fertig. Sie hat allein mit ihrem Vater – und einigen Leibwächtern – in einer riesigen Villa gelebt. Ihre Mutter hat die Familie vor längerer Zeit schon verlassen, wir wissen aber nicht, warum eigentlich und wo sie sich aufhält. Sie hat also niemanden, außer ihrer besten Freundin Kati, die Bassistin der Band, und uns, von denen sie nicht ahnt, dass wir ihren Vater in den Knast gebracht haben.

Warum wir weiterhin in ihrer Nähe bleiben sollen? Weil ihr Vater als Kronzeuge gewonnen werden sollte.

Natürlich hätte ein Gangster wie Thorsten Maffei eigentlich niemals seine Komplizen oder gar seinen Boss verraten. Ehrenkodex. Und Angst vor Rache. Allerdings: Wenn er jemals in Freiheit seine Tochter wiedersehen will, muss er kooperieren. Denn die Anklagepunkte sind beachtlich und würden ihm eine Gefängnisstrafe von mehrfach lebenslänglich einbringen. Für den Fall aber, dass er bereit ist, als Kronzeuge gegen den Boss auszusagen, hat man ihm seine Freiheit mit neuer Identität versprochen.

Maffei – so hat der Prof uns berichtet – ist tatsächlich auf den Handel eingegangen. Und seit diesem Moment in höchster Gefahr. Denn auch im Gefängnis hat der Boss seine Leute, die Maffei nun nach dem Leben trachten könnten.

In den nächsten Tagen soll Maffei darum in den Sicherheitstrakt verlegt werden. An sich ein guter Plan. Das Problem ist nur: Wenn der Boss und seine Bande nicht mehr so leicht an Maffei selbst herankommen, ist vorhersehbar, dass seine Tochter in Gefahr ist. Also Shiona.

Deswegen muss sie im Auge behalten werden, und das können wir drei YOUNG AGENTS am besten, weil wir als ihre »Freunde« direkten und ungehinderten Zugang zu ihr und ihrem Haus haben.

Darum kann ich jetzt auch nicht wie geplant in den Unterricht, Shiona hat Vorrang. Offenbar ist irgendetwas passiert, denn sonst würde sie nicht uns alle vier, inklusive Kati, anpiepen und uns zu sich rufen.

Halt! Stimmt nicht. Natürlich würde Shiona das tun. Shiona macht sich nämlich höchst selten Gedanken um andere und deren Bedürfnisse. Eigentlich geht es bei ihr immer nur um sie selbst.

Ich schaue mich um, ob ich unbeobachtet bin.

Bin ich nicht.

Ich muss mich erst mal in eine stille Ecke verziehen. Die Schultoilette wäre ein guter Ort, aber da sitzt ja Gonzo fest und randaliert oder kriecht gerade über den versifften Boden, um sich zu befreien. Also verschwinde ich in einen der Büsche am Rande des Pausenhofs, ziehe mein Handy mit den Geheimdienst-Apps aus meiner Geheimtasche und nehme Kontakt zu Naomi und Charles auf, um nachzufragen, ob es wirklich so dringend ist, jetzt sofort bei Shiona aufzutauchen.

Ach so, ich trage seit einiger Zeit meistens zwei Smartphones bei mir. Ein ganz normales in meiner Hosentasche wie die meisten Schüler. Es würde einfach auffallen, wenn ich keines hätte. Und dann mein »richtiges« Smartphone, besonders klein und flach, aber hochleistungsfähig und abhörsicher, das ich von der Zentrale bekommen habe und das die ein oder andere Sonderfunktion besitzt. Das verstecke ich aber in einer geheimen Tasche unter meinem Gürtel. Auch, damit es nicht Typen wie Gonzo oder meinem Nachbarn Murat in die Hände fällt, wenn sie mich mal wieder abziehen wollen.

Die Antwort ist prompt und kurz. Von Naomi. Sie lautet:

TM wird morgen verlegt

Ich verstehe. »TM« steht für Thorsten Maffei. »Verlegt« heißt: Er kommt an einen unbekannten Ort, an dem er bis zum Prozess in Haft bleibt.

Es geht also los. Shiona ist ab sofort in höchster Gefahr. Denn spätestens (!) jetzt kann sich der Boss denken, dass Maffei als Kronzeuge aussagen will. Und das ist auch genau der Grund, weshalb wir YOUNG AGENTS wieder aktiv werden sollen. Nicht, weil wir plötzlich zu Leibwächtern der Familienangehörigen von Schwerverbrechern geworden sind, sondern: Wenn Shiona etwas zustößt, wird ihr Vater nicht als Kronzeuge aussagen.

Ich wühle mich wieder aus dem Gebüsch heraus und – vor mir steht Abena.

»Was tust du?«, fragt sie, wobei sie auf den Busch zeigt.

»Äh …« Für jeden Agenten kann es lebenswichtig sein, im richtigen Moment schlagfertige Antworten parat zu haben und sich aus dem Stegreif glaubwürdige Ausreden einfallen zu lassen. Auch das kann man trainieren. Doch in diesem Moment, vor Abenas Augen und ihrem verdutzt fragenden Gesicht, fällt mir einfach nichts ein. Gut, ich hätte sagen können, dass ich pinkeln war. Aber das wäre mir vor ihr dann doch zu peinlich gewesen.

»B…B…B…Ball«, stottere ich stattdessen.

Abena glaubt offenbar, sie hätte das Wort nicht verstanden, zieht die Stirn kraus, eine Augenbraue nach oben und fragt zögerlich nach: »Ball?«

»J…J…Ja«, stottere ich weiter. »T…T…Tennisball. M…M…Muss dort hineingeflogen sein.« Ich drehe mich unbeholfen um und zeige auf den Busch. Meine Güte, was für eine dämliche Ausrede! Aber ich kann nicht mehr zurück.

Abena schaut auf meine leeren Hände. »Nicht gefunden?«

»N…N…Nein«, mehr fällt mir nicht ein.

In dem Moment sendet mir das Schicksal die Erlösung in Form eines recht schmutzigen und – wie ich vermute – auch stinkenden Gonzos, der mit hochrotem Kopf in feuchtem Shirt angerast kommt.

»BILLYYYYY!«, brüllt er mir zu. »RACHEEEEEE!«

Dann senkt er den Kopf wie ein wilder Stier und stampft auf mich zu.

»Sorry«, rufe ich Abena noch zu.

Dann rase ich los.

Jetzt bin ich zwar schon wieder auf der Flucht vor diesem Holzkopf, aber immerhin kann ich so weiteren Nachfragen von Abena entgehen. Hat eben alles seine Vor- und Nachteile.

Ich kann nicht direkt aus der Schule raus und zu Shiona laufen, Gonzo bekommt es fertig und folgt mir bis dorthin. Wenn der einmal wütend ist, vergisst er alles um sich herum. Also muss ich ein Ablenkungsmanöver starten. Verdammt, das nervt.

Ich renne zum Lehrerparkplatz, ducke mich hinter den erstbesten Wagen, der dort parkt, schleiche gebückt weiter, krieche unter einen anderen Wagen, rolle mich dann seitlich zum nächsten und bleibe darunter liegen. In Anbetracht dessen, dass mich nur Gonzo verfolgt, ist es hier fast schon gemütlich. Denn ich hab mich auch schon unter Autos verstecken müssen, als meine Verfolger deutlich gefährlicher waren und mir nach dem Leben trachteten.

Aus meinem Versteck heraus sehe ich Gonzos Füße über den Parkplatz laufen. Er bleibt stehen, sieht sich jetzt bestimmt um. Er fragt sich sicherlich, wo ich abgeblieben bin. Dann rennt Gonzo die Reihe parkender Autos ab, weil er wohl hofft, ich würde zwischen zweien hocken und mich erwischen lassen. Meine Reihe! Ich muss also gleich hier weg!

Doch da erscheint plötzlich noch ein Paar Füße. An den Schuhen erkenne ich, dass es unser Schuldirektor ist. Doch, doch, so was merke ich mir, ohne dass ich es mir ausdrücklich einprägen muss. Als Agent habe ich gelernt, auf Details zu achten. Das läuft mittlerweile so automatisch bei mir ab, dass ich die Schuhe also sofort erkenne: braune Halbschuhe mit einem Muster, schlecht geputzt, mit schwarzen Schnürsenkeln, die überhaupt nicht zum Schuh passen.

Der Direktor ruft Gonzo zu sich und schickt ihn unverzüglich in den Klassenraum, denn der Unterricht hat bereits begonnen. Bestens. Gonzo zieht ab, der Direktor steigt in seinen Wagen und fährt los. Ich bin wieder allein auf dem Schulparkplatz, krabble unter dem Wagen hervor, entstaube notdürftig meine Hose und gehe zum Fahrradunterstand. Ich schwinge mich auf mein E-Bike und düse los zu Shiona, deren Villa am anderen Ende der Stadt liegt. Fast vierzig Minuten brauche ich dorthin, was aber schon extrem schnell ist mit dem Rad.

Als ich ankomme, öffnet mir wie immer nicht Shiona selbst die Haustür, sondern der uns wohl bekannte Leibwächter, den wir YOUNG AGENTS unter uns den »Gorilla« nennen, weil er einen ähnlichen Körperbau hat: riesengroß, breitschultrig, muskulös, ein Mann wie ein Felsbrocken. Und genauso gesprächig wie ein Stein.

»Hallo«, grüße ich freundlich. Keiner von uns kennt seinen richtigen Namen. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass Shiona ihn uns genannt hätte.

Wie immer grüßt der »Gorilla« nicht zurück, sondern zieht die Tür nur einen kleinen Spalt weiter auf, sodass ich so eben hindurchschlüpfen kann.

Shionas eigenes Musikstudio und der Bandübungsraum liegen in der obersten Etage der Villa. Der »Gorilla« weiß, dass ich das weiß, und so lässt er mich ohne weitere Anweisungen zum Fahrstuhl gehen und hinauffahren.

Oben angekommen, empfängt mich Shiona gleich mit einem Vorwurf: »Wo bleibst du denn so lange?«

Ich sehe im Hintergrund, dass Naomi und Charles schon da sind.

»Äh …«, sage ich und fühle mich für einen kurzen Moment schon wieder so unbeholfen wie vorhin vor Abena. Dieses Mal aber bin ich schlagfertiger. »Mein Lehrer hat mich noch aufgehalten, bevor ich abhauen konnte.«

Shiona nimmt meine »Entschuldigung« hin, indem sie gar nichts dazu sagt. Sie dreht sich einfach um und geht ins Studio, wo auch Naomi und Charles noch unschlüssig herumstehen.

»Weshalb sollten wir so dringend herkommen?«, frage ich.

Shiona schaut mich verdutzt an.

»Hallo?«, antwortet sie, »wir spielen gemeinsam in einer Band. Wir müssen proben!«

»Jetzt?«, frage ich. Ich bin ehrlich verwundert, dass Shiona kein Wort über ihren Vater verliert. Ich war mir sicher, er sei der Grund, weshalb sie uns zusammengerufen hat. Aber ich darf sie nicht dazu ausfragen, denn offiziell wissen wir natürlich nichts von der Verhaftung von Thorsten Maffei.

»Wieso nicht jetzt?«, antwortet Shiona.

»Ähem«, setze ich erneut an, »weil wir Schule haben?! Darum proben wir doch immer am Nachmittag. Und wo ist eigentlich Kati?«

Shiona winkt verächtlich ab. »Ach, Schule.«

Shiona geht auf ein kleines, privates Elitegymnasium. Das hat sie uns zumindest erzählt. Und laut Recherche unseres Geheimdienstes ist sie dort tatsächlich angemeldet. Allerdings war sie, solange wir sie kennen, wohl kaum dort.

»Die Schule bringt einen nicht weiter«, setzt Shiona in betrübtem Tonfall noch eins drauf. Ihre Stimme klingt zittrig. Ihre Augen werden feucht. Und dann bricht es aus ihr heraus. Sie fängt hemmungslos an zu heulen. So haben wir sie noch nie erlebt.

Ich muss mir schnell in Erinnerung rufen, was für ein mieser und brutaler Schwerverbrecher ihr Vater ist, sonst bekomme ich glatt ein schlechtes Gewissen, dass wir ihn in den Knast befördert haben. Die Villa, in der wir gerade stehen, mit all ihrem Luxus, den teuren Limousinen vor der Tür, den edlen Möbeln, den Marmorbädern, Shionas eigenem privatem Tonstudio … Alles bezahlt aus kriminellen Geschäften mit Waffen, giftigem Elektroschrott, Schutzgelderpressung, Hehlerei, Bedrohungen, Drogen. Bei eigentlich allem, was man sich an kriminellen Geschäften vorstellen kann, hat Shionas Vater seine Hände im Spiel.

Nach außen zeigen wir natürlich Mitgefühl.

»Was ist denn los?«, frage ich zart.

Und nun sprudelt es aus Shiona heraus. Sie erzählt uns, was wir drei natürlich längst wissen: dass ihr Vater verhaftet wurde und so weiter. Und sie endet, indem sie beteuert: »Dabei ist er völlig unschuldig!«

Naomi, Charles und ich ziehen gleichzeitig die Augenbrauen hoch. Wir haben schon vermutet, dass Shiona nichts von den dunklen Geschäften ihres Vaters weiß. Aber nichts zu wissen bedeutet ja noch lange nicht, ihn auch tatsächlich für unschuldig zu halten. Sehr oft wissen die engsten Familienmitglieder der Mafiabosse nichts von deren kriminellen Geschäften, weil sie wohlweislich nicht eingeweiht werden. Dennoch ahnt die Familie meist, dass ihr Clanoberhaupt nicht täglich acht Stunden in einem Büro sitzt und Formulare ausfüllt. Einfache Büroangestellte besitzen keine Reichtümer und haben auch keine Leibwachen.

Was glaubt Shiona wohl, woher all das Geld stammt?

Ehrlich verwundert frage ich erstaunter nach, als ich es vorgehabt habe: »Unschuldig?«

Sofort braust Shiona auf. »Ja, was denkst du denn? Hältst du meinen Vater für einen Verbrecher, oder was?«

Für einen Moment bin ich perplex. Ich halte ihn nicht nur dafür, ich weiß, dass er einer ist. Und zwar von der schlimmsten Sorte.

»Natürlich nicht«, wiegle ich aber schnell ab. »Ich wollte nur sagen, wenn er unschuldig ist, wieso sitzt er dann im Gefängnis? Ich dachte, das muss man … äh … nur bei schweren Verbrechen oder Fluchtgefahr.«

»Das weiß ich doch nicht«, blafft Shiona mich giftig an. »Sie halten ihn eben einfach fest, die Arschlöcher, und ich darf ihn nicht besuchen. Ich weiß noch nicht mal, in welchem Gefängnis er einsitzt. Das … ich meine … das geht doch nicht!«

Erneut fängt Shiona zu heulen und zu schluchzen an. Während sie ihr Gesicht in den Händen vergräbt, schauen Naomi, Charles und ich uns über ihre Schulter hinweg unsicher an.

Was sollen wir jetzt tun? frage ich mich. Und offenbar nicht nur ich. Auch Naomi und Charles machen hilflose Gesichter. Was hat der Prof uns da eingebrockt? Wir sind dafür ausgebildet worden, zu spionieren, Verbrecher aufzuspüren und sie zu überwältigen und zu überführen. Aber doch nicht, um ein weinendes Teenie-Girl zu trösten und zu beruhigen. Ich stehe total auf dem Schlauch.

Zum Glück übernimmt Naomi.

»Ich glaube«, sagt sie mit sanfter Stimme, »im Moment können wir leider wenig tun. Außer …« Sie bricht ab.

Shiona hebt den Kopf und sieht sie mit verweinten Augen an.

»Außer was?«, fragt sie nach.

»Na ja«, setzt Naomi erneut an. »Genau das zu tun, was du dir offenbar auch schon gedacht hast. Sonst hättest du uns nicht zu dir gerufen. Musik machen. Zu proben.«

Über Shionas Gesicht huscht ein leichtes Lächeln.

»Du hast recht«, sagt sie. »Vermutlich ist Ablenkung im Moment das Beste.«

ENTFÜHRT

Zwei Stunden haben wir mit der Band geprobt. Es hat sogar Spaß gemacht, obwohl ich eigentlich keine Zeit dafür hatte. Gut, natürlich habe ich Zeit, denn es gehört zu unserem Auftrag, die Band weiter am Leben zu halten. Aber ehrlich gesagt hatte ich gehofft, nach der Verhaftung von Shionas Vater eine Weile etwas mehr Ruhe und mal Zeit für mich zu haben. Besser gesagt: für die Schule. Ich bin zwar ein hervorragender Spitzenagent, aber kein Wunderkind. Für den Unterricht muss ich genauso viel lernen wie meine Mitschüler. Außer, dass ich mit Hilfe spezieller Methoden und ausgeklügelter technischer Hilfssysteme der Agentenakademie schon einige Fremdsprachen gelernt habe und gerade noch Arabisch und Türkisch dazukommen, weiß ich vom meisten Stoff, den wir in der Schule durchnehmen, auch nicht viel mehr als die anderen. Mathematik zum Beispiel haben wir in der Agentenakademie so gut wie überhaupt nicht durchgenommen. Meine Eltern können mir auch nicht helfen. Die haben beide keinen höheren Schulabschluss und von Mathe keine Ahnung. Natürlich habe ich beim Prof nachgefragt, wieso sie mir nicht mit dem Autosuggestionstraining Mathe eintrichtern können, denn so habe ich schließlich auch die Fremdsprachen und im Rekordtempo das Gitarrespielen gelernt. Aber der Geheimdienst hat einfach abgelehnt. Ist das zu fassen? Da verbringt man den größten Teil seiner Schulzeit damit, Verbrecher zu jagen und das Land zu schützen, aber wenn man selbst etwas braucht, heißt es Nein. Meine Empörung hat natürlich nichts gebracht. In zwei Tagen schreiben wir eine Mathearbeit, und der Prof erwartet, dass ich mindestens mit einer Drei abschneide. Na toll! Also muss ich lernen. Bloß: Wann?

Heute Abend also.

Am Nachmittag komme ich zu Hause an. Wie immer steht ein Topf mit Gulasch auf dem Herd. Meine Eltern wissen, dass ich ein YOUNG AGENT bin, aber sie kennen keine Details meiner Aufträge und wissen deshalb auch nie, ob und wann ich nach Hause komme. Deshalb sorgt meine Mutter dafür, dass wirklich immer etwas zu essen auf dem Herd steht. Nur für mich. Mein Vater darf das Gulasch nicht anrühren.

Jedes Mal, wenn ich nach Hause komme, und wenn es nur aus der Schule ist, freut meine Mutter sich, als wäre ich wochenlang auf Reisen gewesen. Manchmal bin ich das ja auch. Meine Mutter freut sich also vor allem darüber, dass ich da bin und nicht irgendwo durch die Stadt, durch Deutschland oder Europa düse, um gefährliche Verbrecher zu jagen.

Auch jetzt springt sie vom Küchentisch auf, nimmt mich in den Arm und drückt mich wie einen Verschollenen, der soeben wie durch ein Wunder durch die Tür hereinspaziert kommt. Und sie sagt, was sie immer zur Begrüßung sagt: »Schön, dass du da bist. Es steht Gulasch auf dem Herd.«

Über ihre Schulter hinweg sehe ich, womit sie sich am Küchentisch beschäftigt: offene Rechnungen!

»Kommt ihr klar, Mama?«, frage ich.

Sie nickt. »Ja.«

»Das Geld, das ich euch für die Mietschulden gegeben habe, habt ihr doch noch, oder?«, frage ich nach. Ich hatte ihnen eine größere Menge Geld besorgt, um in Raten einen dreijährigen Mietrückstand abzuzahlen.

Meine Mutter nickt wieder. »Ja.«

»Bestimmt?«, hake ich nach. Bei meinen Eltern weiß man nie. Ich schaue mich unauffällig um, ob ich etwas Neues in der Wohnung entdecke: eine teure Küchenmaschine etwa oder einen neuen Riesenfernseher. Irgendetwas, wofür sie das Mietgeld verschleudert haben könnten. Aber ich entdecke zum Glück nichts.

»Das sind nur die üblichen Abrechnungen«, teilt meine Mutter mir mit. »Strom, Gas, Heizung, Wasser, Müll … Seit Papa wieder arbeitet, kommen wir zurecht.«

»Schön«, sage ich. »Wo steckt er denn?«

»Im Keller«, antwortet meine Mutter. »Er hat schon wieder etwas mitgebracht.«

Mein Vater arbeitet seit Kurzem als Hilfsarbeiter bei der Stadtreinigung und ist momentan auf einem Recyclinghof beschäftigt. Er kann überhaupt nicht fassen, was die Leute alles an funktionierenden Geräten, intakten Möbeln und so weiter in den Müll werfen. Ständig bringt er davon etwas mit nach Hause.

»Aber das ist illegal«, sage ich. »Dafür kann er entlassen werden.«

»Nur weil er rettet, was andere Leute achtlos wegwerfen?«, fragt meine Mutter entsetzt. »Das ist doch absurd.«

Da hat sie recht. Trotzdem: Die Gesetze sind, wie sie sind. Nimmt mein Vater sich etwas von dem Müll mit, so gilt das offiziell als Diebstahl. Als würde man in ein Kaufhaus einbrechen und von dort etwas mitgehen lassen. Das ist völlig bescheuert, aber Gesetz!

Ich gehe in mein Zimmer, um Mathe zu lernen.

Während ich meine Mathesachen aus der Tasche krame, muss ich ständig hinüberschauen zu meinem eingerahmten Ronaldo-Poster. Es sieht nur so aus, als wäre ich ein begeisterter Fußballfan. In Wahrheit stecken im Rahmen ein Hochleistungscomputer, in Ronaldos Augen zwei Kameras und in seinem Mund ein Mikro. Über dieses Bild kann mich der Prof nicht nur jederzeit über einen geheimen Kanal erreichen, sondern auch nonstop überwachen, wenn er will.

Ehrlich, Mathe lernen an sich ist ja schon doof, aber wenn man dabei noch das Gefühl hat, ununterbrochen vom Geheimdienstchef beobachtet zu werden, geht es gar nicht. Da fällt mir etwas ein. Einen Hauseingang weiter wohnt Zehra. Sie geht in meine Parallelklasse, und soweit ich weiß, haben die ihre Mathearbeit letzte Woche geschrieben. Interessanterweise bei demselben Mathelehrer. Ich wette, wir werden in unserer Klausur zumindest ein paar der Aufgaben bekommen, die auch ihrer Klasse gestellt wurden. Blitzschnell packe ich meine Sachen zusammen, rufe meiner Mutter zu, dass ich rübergehe in die Nachbarschaft, renne aus der Tür, runter aus dem Haus, will rüber zu Zehra und – pralle fast gegen Gonzo.

Oh verdammt! Was macht der denn hier? Okay, er ist der Neffe unseres Hausmeisters und treibt sich deshalb öfter hier herum, als mir lieb ist. Aber wieso muss ich ihm dann auch noch ständig begegnen?

»Hab ich’s mir doch gedacht«, sagt Gonzo und kommt auf mich zu, als hätte er auf mich gewartet.

»Was?«, frage ich und kann mir wirklich überhaupt nicht denken, wovon er spricht.

»Tu nicht so!«, blafft Gonzo mich an. »Dass du dich heimlich mit Abena triffst.«

»Hä?« Wie kommt er darauf? Und überhaupt: »Wieso heimlich? Abena und ich können uns auch nicht-heimlich treffen, so oft wir wollen.«

»Aha!«, ruft Gonzo, als hätte er mich entlarvt. »Das wollte ich nur von dir hören. Also doch. Jetzt hast du’s selbst zugegeben.«

»Du spinnst doch«, sage ich und will an Gonzo vorbeigehen.

Doch er packt mich am Arm und hält mich fest.

»Ich hab dich im Auge«, droht er mir. »Lass deine Finger von Abena. Verstanden?«

»Du kannst mich mal«, antworte ich, stoße ihn beiseite und gehe weiter.

Vermutlich hätte Gonzo mich wieder aufgehalten und möglicherweise sogar eine Prügelei begonnen. Doch unverhofft kommt meine Rettung um die Ecke: Murat. Einer von Zehras älteren Brüdern. Weil ich ihm gegenüber mal behauptet habe, Gonzo würde Zehra in der Schule mobben, ist Murat überhaupt nicht gut auf Gonzo zu sprechen. Gonzo weiß das und verzieht sich stets sofort, sobald er Murat nur aus der Ferne sieht. So wie jetzt.

»Glück gehabt«, sagt Gonzo. Ein Satz, den er immer sagt, wenn er mir bei einer Auseinandersetzung unterlegen ist.

Er lässt von mir ab und verschwindet eilig im Hauseingang, in dem sein Onkel sein Hausmeisterbüro hat. Murat ist zwar wirklich nicht der hellste Kopf unter der Sonne, oft auch ziemlich rüpelhaft und ein Angeber, wie er im Buche steht. Aber seit er weiß, dass Zehra und ich uns gegenseitig in der Schule unterstützen, komme ich mit ihm ganz gut klar. Allerdings überwacht auch er mich mit Argusaugen. Gemeinsam für die Schule zu lernen, ist in Ordnung. Aber auf keinen Fall mehr, fordert Murat. Als ob er seiner Schwester irgendetwas zu sagen hätte. Das hätte er wohl gern. Und so sieht er auch seine Rolle als großer Bruder. Aber seine Eltern sehen das ganz anders. Die sind nämlich viel fortschrittlicher als Murat und halten sein Großer-Bruder-Gebaren für genauso aufgeplustert, wie es Zehra auf die Nerven geht.

»Merhaba Murat! Nasılsın? Seninle her şey net?«, frage ich. Ich warte schon lange darauf, meine ersten türkischen Sätze anbringen zu können. Besonders bei Murat. Denn das Kuriose ist, dass Murat von seiner gesamten Familie am meisten den Türken mimt, aber – ich glaube sogar, als einziger – so gut wie kein Wort Türkisch spricht. Er und alle seine Geschwister sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Aber während die anderen die Sprache ihrer Eltern, vor allem aber ihrer Großeltern, fleißig gelernt und gepflegt haben, hat Murat das irgendwie versäumt.

Murat bleibt stehen und sieht mich entsprechend verblüfft an: »Was laberst du da?«

Ich wiederhole die Sätze, mit denen ich mich einfach nur erkundige, wie es ihm geht und ob mit ihm alles klar ist.

Ich weiß nicht, ob Murat es verstanden hat. Zumindest hat er die Sprache erkannt.

Er kommt drohend auf mich zu, packt mich am Kragen, schiebt sein grimmiges Gesicht dicht vor meines und fragt: »Seit wann sprichst du Türkisch, du Opfer?«

»Äh, ich lerne es gerade nur ein bisschen. Von Zehra.«

Was nicht gelogen ist. Ich lerne zwar Türkisch für den Geheimdienst, und zwar per Autosuggestionstraining, aber ich nutze meine Bekanntschaft zu Zehra, um das Gelernte in der Praxis zu testen.

»Lass das sein, Digga!«, warnt Murat mich und lässt mich los. »Niemand will, dass du Türkisch laberst.«

»Zehra gefällt das«, sage ich.

Und schon hat Murat mich wieder am Kragen. »Finger weg von meine Schwesta!«

»Ja, Murat. Alles gut. Wir lernen nur für Mathe. Wenn du willst, kannst du mitmachen.«

Murat lacht kurz und trocken auf, gibt mir einen Klaps gegen den Hinterkopf und sagt: »Bissu blöd? Ich lern nicht Mathe, ich lern höchstens Geldzählen. Hast du verstanden, Schwachkopf?«

»Ne, is klar, Murat. Guter Plan. Weiter als bis hundert musst du dann auch nicht zählen können.«

Diesen Witz voll auf seine Kosten versteht er zum Glück nicht. Wir gehen gemeinsam zu ihm in die Wohnung, wo es reichlich, reichlich eng ist. Zwar hat die Familie eine Vierzimmerwohnung, aber eben auch fünf Kinder, drei Jungs und zwei Mädchen. Zehra belegt ein Zimmer mit ihrer älteren Schwester. Die macht gerade ein Schülerpraktikum in einer Tierarztpraxis, sodass Zehra und ich Zeit und Ruhe für uns haben, um Mathe zu lernen. Ohne dass ich etwas sagen muss, zieht Zehra einen Zettel aus ihrer Schultasche. »Ich habe mir aus der Erinnerung die Aufgaben aus unserer Mathearbeit notiert. Ich dachte, das könnte dir nützen.«

»Und ob!«, rufe ich freudig aus. »Zehra, du bist ein Engel.«

»Oh, wäre ich ein Engel nach dem Islam, könntest du mich gar nicht sehen. Und du dürftest mich auch nicht anbeten. Also bleib lieber dabei, dass ich deine nette Nachbarin bin, und überschütte mich mit irdischem Lob«, antwortet Zehra und lacht.

»Mache ich«, verspreche ich. »Zehra, du bist … äh … super.«

Zehra lacht erneut. »Ein Poet wird aus dir auch nicht mehr.«

Dann widmen wir uns den Matheaufgaben.

Am nächsten Morgen merke ich, wie viel mir der Nachmittag mit Zehra gebracht hat. Zehn Aufgaben müssen wir in der Matheklausur lösen. Fünf davon stammen aus der Klausur der Parallelklasse, die ich gestern mit Zehra durchgegangen bin. Die halbe Miete habe ich also schon in der Tasche. Gonzo hat sich krankgemeldet. Offenbar hat er noch größere Angst vor der Matheklausur als ich und keinen zum Lernen gefunden. Wen wundert’s?

Mathe geschafft und Gonzo nicht da – besser kann der Tag eigentlich nicht laufen. Hinzu kommt, dass wir heute keine Bandprobe haben. Ich kann es gar nicht glauben, aber so wie es aussieht, habe ich nach der Schule frei! Frei, so wie alle anderen Schüler auch.

Draußen ist ein herrlicher Spätsommertag. Ende August. Blauer Himmel. 24 Grad warm. Dieser Tag ist ein Traum! Was fange ich nur mit diesem Tag an? Auf so viel Freizeit bin ich gar nicht vorbereitet.

Jetzt nach Schulschluss schlendere ich über den Hof, schaue mich um, ob ich Nelly irgendwo entdecke. Nelly ist eines der nettesten Mädchen in der Klasse. Sie und ihre Freunde treffen sich oft im Schwimmbad. Schon öfter hätte ich mitgehen können, wurde sogar ausdrücklich von ihr eingeladen. Aber jedes Mal kam etwas mit den YOUNG AGENTS dazwischen. Das konnte ich Nelly natürlich nie sagen, sondern musste mir immer irgendwelche Ausreden einfallen lassen. Inzwischen fragt sie mich schon gar nicht mehr. Ich sehe sie auch jetzt leider nirgends. Ich weiß nicht einmal, ob die Freibäder überhaupt noch geöffnet haben. Vermutlich ist die Badesaison schon vorbei.