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Umfangreiche Leseprobe, Pressestimmen und ein exklusives Interview mit dem Autor. Das komplette E-Book erscheint am 25. September 2012. Zebulon Shook taumelt an der Grenze zwischen Leben und Tod durch einen psychedelischen Western - eine Kugel im Herzen dem letzten Horizont entgegen. Zebulon Shook heißt der Held dieses Western ohne Helden: Nachdem er Lobo Bill im Kampf um eine Frau, halb Irin, halb Indianerin, erschießt, verlässt der abgebrannte Trapper und Fellhändler seine Hütte am Gila-Fluss in New Mexico und zieht Richtung Westen. Sein Weg führt ihn durch ein Land, wo kein Gesetz herrscht und Amerika noch nicht begonnen hat. In einem Bordell trifft er seinen Stiefbruder Hatchet Jack wieder, verliert beim Poker gegen die trickreiche und schöne Hure Delilah, fängt sich eine Kugel ein, und als er tags darauf erwacht, weiß er nicht, ob er noch lebt oder nur ein Geist ist unter Geistern. Auf der Suche nach seinem Vater macht er sich auf nach Kalifornien, wo der Goldrausch Exzesse von Gier und Gewalt feiert, trifft in einer Opiumhöhle Delilah wieder und wird als notorischer Outlaw von den Kräften von Recht und Ordnung gejagt. Schließlich stößt er an die letzte Grenze, wo die Welt endet und etwas anderes beginnt ...
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Seitenzahl: 84
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Rudolph Wurlitzer
LeseprobeundBonusmaterial
Residenz Verlag
Der Winter, in dem Zebulon seine Fallen am Gila River aufstellte, war kälter und länger gewesen als jeder, den er bis dahin erlebt hatte, und bescherte ihm zusätzlich zu zwei erfrorenen Zehen und einer Pfeilwunde in der Schulter von einem Crow-Überfall auch noch die überraschende Ankunft zweier kältestarrer Gestalten, die mitten in einem Frühjahrsschneesturm mehr tot als lebendig in seine Hütte gerumpelt kamen.
Der eisige Windstoß von der offenen Tür her weckte ihn nicht, sondern wurde Teil eines wiederkehrenden Traums: ein langer, endloser Sturz durch einen leeren Himmel hinab in ein sturmgepeitschtes Meer ... Komm näher, heulten die turmhohen Wogen. Er schlug die Augen auf und war sich im ersten Moment nicht sicher, ob der Mann und die Frau, die ihn anstarrten, nicht hungrige Geister waren. Ihre Brauen und Nasenlöcher waren eisverkrustet, ihre aufgedunsenen Gesichter wund und rot von der Bäume sprengenden Kälte. Der Mann trug einen Zylinder, den er mit einem langen roten Schal unter seinem bärtigen Kinn festgebunden hatte, und ein Bisonfell voller Eisklumpen. Die Frau schien ein Shoshone-Halbblut zu sein. Sie steckte in einem riesigen Soldatenmantel mit Sergeant-Streifen auf den Schultern und zwei Einschusslöchern auf der Brust.
Der Mann sank auf die Knie, fluchend und würgend vom Qualm des Feuers und dem überwältigenden Gestank aus dem Latrineneimer. Er sprach in einem heiseren Flüstern, als sei ihm der Kehlkopf eingedrückt worden. „Ich hab schon gedacht, wir sind verratzt, bis das Halbblut mir gesagt hat, dass du am Gila kampierst. Die weiß Sachen, die hat sonst kein Sterblicher parat.“
Der Mann war Lobo Bill, ein alter Trapper und Pferdedieb, berühmt für seine langatmigen Geschichten und seine Tobsuchtsanfälle, mit denen Zebulon in diversen Saloons und Unterkünften von Tularosa bis Cheyenne Bekanntschaft gemacht und vor denen er oft genug die Flucht ergriffen hatte. Als er seinen Zylinder abnahm, zeigte sich, dass sein Gesicht auf einer Seite von der Wange bis zum Kiefer aufgeschlitzt war, als hätte ein Metzger es säuberlich tranchieren wollen.
Lobo Bill nickte zu der Frau hin, die mit dem Rücken zur Wand dastand und Zebulon mit riesigen leeren Augen anschaute. „Die hat’s nicht so mit Wörtern, aber wenn sie doch mal die Klappe aufmacht, verpasst sie dir eins, dass dir Hören und Sehen vergeht. Trotzdem, ich steh in ihrer Schuld. Sie hat mir den Arsch gerettet, wie dieser Vielfraß auf mich los ist. Hat das Vieh in Stücke gehauen und mich gleich mit aufgeschlitzt. Hab sie in Alamosa beim Pokern mit einem Pferdehändler gewonnen. Straight Flush gegen sein Full House. Das Blatt des Jahrhunderts. Sie ist halb Shoshone und halb Irin. ‚Nicht-hier-nicht-da‘, so nenn ich sie, und ich kann froh sein, dass ich sie hab, so wie die Dinge dieser Tage nun mal liegen, oder auch nicht, je nachdem, woher der Wind weht, und sogar, wenn er nicht weht.“
Lobo Bill und Nicht-hier-nicht-da zogen sich aus. Als sie aufgetaut waren, warfen sie sich auf den Stapel Bärenfelle neben der Feuerstelle.
Zebulon brachte den Rest der Nacht damit zu, das Feuer zu schüren und aus einer seiner letzten Flaschen Taos White Lightning zu trinken, und dabei wälzte er Erinnerungen an Lobo Bill und all die anderen verrückten Trapper, die er gekannt hatte, daran, was er und sie gewesen waren – oder auch nicht – und was er hätte tun oder sein sollen, je nachdem, ob er es aus dem Tal oder vom Berggipfel aus betrachtete. Nicht dass von den alten Zeiten in den Bergen nichts mehr übrig gewesen wäre, obwohl der Tag mit Sicherheit kommen würde. Es war etwas anderes, das Lobo Bill und sein Halbblut mit hereingebracht hatten, ein Schatten oder ein Geheimnis, etwas Undefinierbares. Vielleicht war es aber auch nur der Anblick der zwei fremden, verlorenen Gestalten, die schnarchend auf seinem Bett lagen.
Als der Morgen dämmerte, legte sich der Wind und mit ihm die meisten seiner Vorahnungen, jedenfalls so weit, dass er neben seinen Gästen einschlafen konnte.
Als er aufwachte, spritzte hartes, sprödes Licht gegen die Wände der Hütte. Von Lobo Bill war nichts zu sehen. Als er Nicht-hiernicht-da fragte, schüttelte sie den Kopf und verdrehte die Augen, und deshalb dachte er, dass Lobo Bill entweder losgezogen war, um seine Maultiere und Fallen zu suchen, oder beschlossen hatte, sich ganz aus dem Staub zu machen. Der Boden war gefegt worden, der Latrineneimer ausgeleert, die Vorräte an Mehl, Tabak, Whiskey, Kaffee und Dörrfleisch säuberlich in einer Ecke gestapelt, und beiderseits der Feuerstelle waren Holzscheite aufgeschichtet.
Die ungewohnte Sauberkeit der Hütte und das mürrische Schweigen von Nicht-hier-nicht-da waren ihm unbehaglich, so als hegte die Frau geheime Gedanken oder, Gott stehe ihm bei, irgendeinen abgefeimten Plan. Sei’s drum, dachte er. Was kommen sollte, würde kommen, ob er wollte oder nicht.
Während sie beide darauf warteten, dass Lobo Bill sich blicken ließ, jagte Zebulon Niederwild und bereitete sich auf das alljährliche Frühlings-Rendezvous vor, indem er die Hunderte von Bisamratten- und Biberfellen zusammentrug und sortierte, die er in den Astgabeln mehrerer Bäume gestapelt hatte.
Nach drei Tagen war Lobo Bill immer noch nicht zurückgekommen. Nicht-hier-nicht-da saß die meiste Zeit auf der Bank vor der Hütte, den Blick starr auf den Fluss gerichtet, in dessen dunkelblauem Eis sich die ersten großen Spalten auftaten. Am Abend vermied sie es, ihn anzusehen, während sie eines der Kaninchen zubereitete, die er geschossen hatte.
Nach dem Essen zog sie sich nicht in die Ecke zurück, die sie zu ihrem Schlafplatz erkoren hatte, sondern setzte sich zu ihm ans Feuer. Mit einem verschmitzten Blick zu ihm hin nahm sie ihm die Flasche Taos White Lightning aus der Hand, trank den Rest aus und ging dann schwankend an ihren Platz.
Nachts wachte er davon auf, dass sie mit ihren langen Fingernägeln blutige Striemen in seinen Bauch und seine Lenden kratzte, und damit hörte sie auch nicht auf, als sie ihn in sich zog und ihre Beine mit aller Gewalt um seine Taille schlang, als wollte sie ihn in der Mitte durchbrechen.
Den Rest der Nacht dirigierte sie ihrer beider rasende Leidenschaft nach ihren eigenen unersättlichen Bedürfnissen. Am Morgen verließ sie die Hütte, ohne ihn anzusehen oder ein Wort zu sagen.
Zwei Tage später kam sie mitten in einem Gewitter zurück. Sie stellte sich vor ihn hin und schaute ihm in die Augen, während er ihr die Kleider auszog, sie rücklings auf den Tisch legte und ihr die Arme über dem Kopf niederdrückte.
Als die Tür aufging, stieß er gerade in sie hinein, als wären sie nie getrennt gewesen. Er merkte, dass Lobo Bill mit erhobenem Beil neben ihnen stand, fand aber, dass er sich auf die gleiche Art verabschieden konnte, wie er gezeugt worden war. Halb und halb genoss er diese Aussicht, und auf jeden Fall würde er den Teufel tun und Lobo Bill die Genugtuung verschaffen, sich zu entschuldigen. Er rammelte noch wilder drauflos und stieß einen langgezogenen Juchzer aus: „Uaaaaaaaaaaa!“
Unter seiner Raserei brach der Tisch zusammen, und sie stürzten beide zu Boden. Lobo Bills Beil verfehlte Zebulons Schädel um einen Fingerbreit und riss ein tiefes Loch in den Bauch von Nicht-hier-nicht-da.
Bevor Lobo Bill reagieren konnte, schnappte sich Zebulon die Pistole aus seinem Gürtel und schoss ihm zwischen die Augen.
Unfähig zu sprechen oder sich zu bewegen, saß er auf dem Boden und sah zu, wie Nicht-hier-nicht-da sich zur Tür hinaus schleppte.
Als er ihr endlich nachging, stand sie nackt auf einer Eisscholle in der Flussmitte und versuchte mit beiden Händen das Blut zurückzuhalten, das aus ihrem Bauch quoll.
„Du hast den einzigen Mann umgebracht, der sich jemals was aus mir gemacht hat“, sagte sie. „Und jetzt hast du auch noch mich umgebracht.“
Es waren die ersten Worte, die er aus ihrem Mund vernahm.
Während die Eisscholle langsam versank und sie flussabwärts trug und das eiskalte schwarze Wasser ihr über Schenkel und Hüften stieg, rief sie ihm noch etwas zu: „Von nun an wirst du wie ein Blinder zwischen den Welten treiben, ohne zu wissen, ob du tot oder lebendig bist, ob die unsichtbare Welt existiert oder ob du träumst. Drei Mal wirst du vor dir selbst verschwinden, und vor allen, die du kennst, und drei Mal wirst du –“
Sie sagte noch etwas, aber er verstand ihre Worte nicht mehr, während sie langsam unter dem Eis versank.
Als die Tage länger wurden und keilförmige Schwärme von Gänsen und Enten am Himmel erschienen, schnallte Zebulon seine Felle zwei Maultieren auf den Rücken und ritt auf seinem Pferd los. Er war ein hochgewachsener, grobknochiger Mann, der in schmierigen Hirschlederhosen durch die Berge zog, mit verfilztem blondem Haar, das ihm über die Schultern fiel, der knorrige Rumpf von oben bis unten übersät mit Narben von Messer- und Pfeilwunden sowie von geheimen, unvorstellbaren anderen Verletzungen.
In dem Jahr fand das Rendezvous am Purgatory River statt, am Ausgang eines schmalen, mit Grüppchen von Pappeln und verkümmerten Erlen bestandenen Tals. Als Zebulon mit seinem Pferd auf das weitläufige Lager halb verhungerter Indianer und betrunkener Mountain Men zusteuerte, vertrat ihm eine uralte Arapaho-Squaw den Weg, die einen Zylinder und eine schmutzige braune Decke über einem langen roten Rock trug. In einer Hand hielt sie eine aus einer Wapiti-Geweihstange geschnitzte Kriegskeule, in der anderen eine Rassel. Während er sein Pferd um sie herum lenkte, glitt ein leuchtender Schleier aus rauchigem Licht zitternd ihren Körper hinab. Er musste daran denken, wie Nicht-hier-nicht-da ihn mit zornigen, anklagenden Augen angestarrt hatte. Bei näherem Hinsehen löste sich die Gestalt in die einer Mulattin mit hohen Wangenknochen und schließlich in die starre Totenmaske einer weißhaarigen mexikanischen Vettel auf.
Die Arapaho lachte über seine Angst. Sie schüttelte ihre Rassel und umkreiste ihn drei Mal, bis ihm die Sinne schwanden und er kopfüber vom Pferd fiel. Als er sich aus dem Schlamm aufrappelte, war sie verschwunden, als sei sie nie dagewesen.