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Ein Gewissen zum Anfassen. Ein Traum, der zur Wirklichkeit wird. Ein besonderes Fundstück, das ungeahnte Folgen hat.
Zehn Geschichten zum Träumen und Staunen.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Das ganze Treiben um mich herum war einfach nur nervtötend. Meine Arbeit in einem dieser stockwerkausfüllenden Großraumbüros zerrte an den Nerven. Die Kollegen mobbten mich in die Verzweiflung. Die Wochenenden gestalteten sich einsam. Freundschaft blieb für mich nur ein Wortgerippe. Bedeutungslos. Wem konnte man heute noch vertrauen? Überall roch es nach Lug und Trug.
Ja, mein Leben gab nicht viel her. Es war nicht besonders gut zu mir und ich nicht zu ihm. Meine ständige Unzufriedenheit machte es mürrisch und unausgeglichen. Zudem war ich ein Einzelkämpfer. Ungewollt. Noch immer hatte ich die Frau meiner Träume nicht gefunden. Vielleicht waren meine Ansprüche zu hoch. Ich wünschte es mir perfekt.
Die Partnerwahl erinnerte mich an einen Schuhkauf. Wenn das Teil schon vom ersten Moment an drückte, stellte sich kein Wohlgefühl mehr ein. Selbst wenn man versuchte, das Leder weichzuklopfen oder mit einem Spanner dem Material seinen Willen aufzuzwingen, blieb doch der schale Beigeschmack des Zurechtbiegens.
Vielleicht lag es auch an meiner Ungeduld, weil ich jeder Beziehung die Möglichkeit nahm, ordentlich zu reifen oder meine Unfähigkeit, Kompromisse als etwas Gutes zu werten. Unnötig darüber nachzudenken. Ich kannte den wahren Grund. Mein Leben hasste mich, es verweigerte mir jegliches Glück. Da hatte ich schöne Träume verdient. Mehr als jeder andere.
Und weil einem nichts geschenkt wurde, musste ich selbst Abhilfe schaffen und zauberte mir ein Superweib in meine Träume. Ich nannte sie Greta, was soviel wie „Perle“ bedeutete.
Meine Fantasie wucherte ins Grenzenlose. Ich legte mich mächtig ins Zeug, was das Aussehen betraf. Rothaarig, langbeinig und natürlich mit herrlich großen Brüsten. Genauso hatte ich mir meine Traumfrau vorgestellt. Und sie gehörte mir allein.
Das Glück quoll aus jeder Pore meines Körpers. Zum ersten Mal im Leben war ich zu Zweit … zwar nur in meinen Träumen, aber ich war zufrieden. Ich zauberte sie mir her wann immer ich Lust auf sie hatte und sie verschwand bei Anbruch des Tages. Alles geschah ohne diesen lästigen Beziehungskram. Keine aufreibenden Diskussionen – keine Probleme. Nur Greta und ich. Und das Tolle war, dass sich alles so echt anfühlte.
Meine Hände glitten über samtweiche Haut und ich atmete ihren betörenden Duft, der mir die Sinne benebelte. Sie war der schiere Wahnsinn. Nichts zwickte und nichts zwackte. Sie war einfach perfekt. Um ihren Charakter wollte und konnte ich mich nicht kümmern. Die Zeit der Dunkelheit war viel zu kurz bemessen, als sie für solch eine Banalität zu verschwenden. Sie brauchte weder hausfrauliche Qualitäten aufweisen, noch musste sie mit Geld umgehen können. Im Grunde verlangte ich nur eins - sie sollte mich glücklich machen.
Es war so schön, dass es mir immer schwerer fiel, sie morgens wieder gehen zu lassen. Ich war süchtig nach ihr. Zu gerne würde ich sie mit in meinen Tag genommen haben. Aber Träume waren eben nur Träume …
… „Liiiiiiiiebling, Früüüühstück!“, plärrte es durch meine Gehörgänge.
Krass! Obwohl die Sonne schon durch die dicken Wollvorhänge lugte, war mein Traum noch immer nicht zu Ende. Vielleicht entwickelten Träume im Laufe der Zeit eine gewisse Eigendynamik. Sollte doch Greta die Regie übernehmen. Meine Fantasie schien zeitweilig schon etwas erschöpft. Gerne ließ ich mich überraschen. Trotzdem war ich ein wenig verwirrt. Dieses „Liiiebling, Früüühstück“ hörte sich so real an, dass ich mich nun doch schlaftrunken hoch rappelte und mit schweren Lidern nach links blinzelte. Der Platz neben mir war leer. Na also. Wozu die Aufregung.
„Kommst du?“ Die Stimme drängte sich rücksichtslos in meine Gedanken und bevor ich überhaupt richtig zu mir kam, um ihrem Sinn zu folgen, flog die Schlafzimmertür auf.
Und da stand sie. Rothaarig und langbeinig mit diesen ... naja … herrlichen Brüsten. Meine Traumfrau.
„Greta?“ Meine Lippen bewegten sich tonlos. Das war Greta. Eindeutig! Mit einem Satz sprang sie aufs Bett, um Sekunden später über mir zu knien. Boah, was für ein Traum. Viel realer als die Nächte zuvor. Ich fühlte die Wärme ihrer Haut und ich spürte ihre Zunge, die spielerisch meinen Hals hinunter wanderte.
„Du Schlafmütze“, nuschelte sie dabei liebevoll in meine Halsbeuge.
Ich war wie gelähmt. Schwer lagen meine Gliedmaßen auf dem Laken. Meine Stimme versagte ihren Dienst. Nur mein Hirn funktionierte noch. Und das signalisierte mir Fürchterliches.
Ich war verrückt geworden. Vermutlich hatte ich mich in meinen nächtlichen Spinnereien verfangen. Und nun gab es kein Entkommen mehr.
„Wach endlich auf!“, schimpfte Greta und trommelte mit ihren Fäusten auf meinem Brustkorb herum.
“Aua!“ Das Leben kehrte wieder zurück. Was man sich für einen Mist einbilden konnte.
Wenn ich jetzt die Augen schloss und sie gleich darauf wieder öffnete, würde sie verschwunden sein.
Aber so war es nicht. Noch immer spürte ich die Leichtigkeit ihres Körpers auf mir, noch immer waren mir ihre vollen Lippen bedrohlich nahe, saugten sich schmatzend an meinem Ohrläppchen fest.
„Du schmeckst so gut“, grunzte sie genüsslich.
Ein hartnäckiger Traum. Unwillig schüttelte ich den Kopf. Es war genug. So gern ich auch von Greta und mir träumte, durfte ich mich damit nicht an den Tag verlieren. Der Schritt in den Wahnsinn wäre vorprogrammiert.
Also schob ich Greta von mir runter und schwang meine Beine aus dem Bett. Zeit für eine kalte Dusche.
„Bleib doch hier“, jammerte sie hinter mir her. Ich würde sie einfach ignorieren, dann hörte der Spuk von selbst auf.
Als ich aus dem Bad kam, duftete es nach Kaffee. Die Ignoriertaktik funktionierte irgendwie nicht. Beherzt betrat ich die Küche. Greta! Sie strahlte mich an und hielt mir einen Pott Kaffee hin.
„Bitteschön, so wie du ihn magst. Ohne Milch aber vier Stück Zucker.“ Sie spitzte ihre Lippen und machte ein schnalzendes Kussgeräusch in meine Richtung, dass es in den Ohren nur so knallte.
Ich gab mich geschlagen und nahm die Tasse mit langen Fingern entgegen. Der Kaffee schmeckte nach Kaffee. Heiß und süß, genau wie ich ihn mochte. So etwas konnte man nicht träumen. Was passierte mit mir? Ich brauchte Ruhe. Unbedingt. Eilig zog ich meine Schuhe an und griff nach meiner Jacke. Bevor ich die Wohnungstür hinter mir zuzog, sah ich für einen Moment Gretas verdutztes Gesicht.
Aufatmend ließ ich mich auf den Fahrersitz meines Autos plumpsen. Ich musste nachdenken. Aber es gab nichts zu denken. Greta war eine Fiktion. Ein von mir erdachtes Wesen. Wie konnte sie quicklebendig durch meine Wohnung spazieren? Das war praktisch unmöglich.
Innerlich noch immer aufgewühlt fuhr ich ein paar Runden um den Block. Mein Geist wurde klarer und klarer. Das Ganze erschien mir jetzt so lächerlich, dass ich laut grölend auf das Lenkrad schlug. Ich war ein Opfer meiner eigenen Fantasie geworden. Wie konnte ich mich nur von meinem Traum irreführen lassen.
Leise schloss ich die Tür auf und spähte den Flur entlang. Nichts. Vorsichtigen Schrittes betrat ich das Wohnzimmer.
„Greta?“, rief ich mutig. Keine Antwort.
Es gab keine Greta. Nicht in meiner Wohnung und schon gar nicht in meinem Leben …
Erleichtert hockte ich mich aufs Sofa. Da hatte ich noch mal Glück gehabt. Man stelle sich vor, Greta hätte tatsächlich einen Weg in mein Leben gefunden. Belustigt schüttelte ich den Kopf. Ich war ein unverbesserlicher Spinner.
Es klingelte Sturm. Ganz schön unverschämt. Genervt erhob ich mich, schlurfte den Flur entlang und riss mit bösem Blick die Tür auf. Greta rauschte an mir vorbei. Die Tüten, die sie rechts und links fest umklammert hielt, ließ sie einfach neben der Garderobe fallen.
„Bin ich erledigt“, stöhnte sie, dabei schleuderte sie ihre Schuhe von ihren Füßen und marschierte ins Schlafzimmer. Mit lautem Wehklagen fiel sie aufs Bett.
Sprachlos verfolgte ich Gretas Tun. Der Albtraum war noch nicht zu Ende.
Wo hatte sie überhaupt das Geld für diese ausufernden Einkäufe her? Hektisch fingerte ich an meiner Gesäßtasche herum.
„Suchst du die?“, Greta wedelte mit meiner Geldbörse durch die Luft. „Da ist aber nichts mehr drin.“
Naja, viel Bares hatte ich sowieso nie dabei. Der Schaden hielt sich also in Grenzen. Beruhigt ließ ich mich neben Greta nieder.
„Und diese Geldplastik-Karten sind auch leer“, brummelte sie und schob beleidigt die Unterlippe vor.
Elektrisiert schoss ich wieder in die Höhe. Sie hatte alles bis auf den letzten Cent ausgereizt? Ich war pleite.
Nervös fuhr ich mir mit allen zehn Fingern durch die Haare und versuchte, mich zu beruhigen. Tief sog ich die Luft ein und sortierte meine Gedanken. Wie absurd. Was regte ich mich überhaupt
auf. Es gab keine Greta, sie existierte nur in meinen Träumen. Gleich würde ich aufwachen.
Meine Traumfrau hüpfte währenddessen vom Bett und öffnete sämtliche Türen des Kleiderschranks.
„Was siehst du?“, dabei schaute sie mich fragend an.
„Anzüge, Hemden, Pullover, T-Shirts und Sakkos“, antwortete ich brav. Ich war zufrieden, denn das was ich sah, bestätigte meine Vermutung. Greta existierte nicht.
„Alles Männersachen“, flötete sie und zwinkerte mir zu. Dann griff sie nach einem Stapel Hemden und ließ ihn achtlos zu Boden fallen, riss die Bügel von der Stange und warf sie samt Klamotten aufs Bett.
„Das hier ist mein Bereich“, dabei wedelte sie mit beiden Händen vor dem Kleiderschrank herum.
Mit großen Schritten kam sie auf mich zu, umfasste mein Gesicht und starrte mir in die Augen. Unsere Nasenspitzen berührten sich. Es fühlte sich so was von echt an. Ich schluckte.
„Es war nicht meine Idee. Du wolltest, dass ich das Leben mit dir teile. Zum Leben gehört auch dein Kleiderschrank.“
Ich war völlig perplex. Wie plastisch konnte man träumen?
Greta beherrschte von diesem Moment an mein Dasein. Sie war überall. In meiner Küche, in meinem Wohnzimmer und vor dem Fernseher. Sie bestimmte die Programmauswahl. Vorbei waren die Fußballabende mit Bier und Chips. Im Badezimmer zierten Wimperntusche, Nagellack, Faltencremes und Tampons das Regal. In meinem Zahnputzbecher steckten zwei Zahnbürsten. Lange rote Haare klebten in meinem Designer-Waschbecken. Und die ganze Zeit über wartete ich, dass ich endlich aufwachte.
Aber es geschah nichts dergleichen. Greta wirbelte durch meinen Tag und des Nachts lag sie
leise schnarchend neben mir, während ich mit offenen Augen in die Dunkelheit starrte. Es gab nichts mehr zu träumen. Ich hatte meinen Traum an die Wirklichkeit verloren.