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Elvira liebt rosarot, während der Himmel über Helmar nicht mehr voller Geigen hängt. Haben Schatten Gefühle? Und warum eine Zahnbürste und Chlorbleiche in jeden Rucksack gehören. Vierzehn Geschichten die zum Lachen, Weinen und Nachdenken einladen.
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Veröffentlichungsjahr: 2015
Auf meinem Tisch liegen ungeöffnete Briefe ... Rechnungen, Mahnungen und was weiß ich noch alles. Natürlich habe ich keine Lust nachzuschauen, welche Forderungen darin verborgen sind. In den letzten Monaten lebte ich ein wenig über meine Verhältnisse. Warum? Für Psychologen gibt es sicher verschiedene Erklärungen. Ich habe nur eine - Lorelei hat mich verlassen. Einfach so. Noch immer bin ich fassungslos. Um diesen tiefen Schmerz zu lindern, leiste ich mir einen neuen Flachbildfernseher, eine Mega-Stereoanlage, ein Smartphone und ein supergeiles I-Pad.
Und jetzt steht mir das Wasser bis zum Hals. Bei dem Wort Wasser klickt es in meinem Hirn und ich erinnere mich an einen Bericht, den ich im Internet gelesen habe. Da wurden mit Leitungswasser abgefüllte Fläschchen für viel Geld als geheiligtes Wasser verkauft. Und wie auf Knopfdruck fällt mir dazu die Grotte von Lourdes ein. Dorthin hatte mich vor vielen Jahren eine alte Freundin geschleppt. Sie litt an schwerem Rheuma und hoffte auf Heilung. Tatsächlich erfuhr sie schon nach einmaliger Waschung Linderung. So ist jedenfalls meine Erinnerung daran.
Oh Mann, wenn ich ein wenig von solch besonderem Wasser hätte, damit ließe sich ordentlich Geld verdienen und der Stapel Rechnungen würde schrumpfen. Mein Plan ist schnell fertig gedacht. Er ist einfach, ehrlich und gut ... finde ich.
Das Problem ist nur noch die Anfahrt - so ganz ohne Geld. Ich muss also jemand für diese Geschäftsidee begeistern. Eine Assistentin, die die Reise plant und finanziert. Und da ich im Zeitalter der Casting-Shows lebe, wird das nicht sehr schwierig sein. Mein letztes Geld verwende ich zum Druck einiger Flyer, die ich überall verteile. Natürlich habe ich nur für die Reise geworben, alles andere will ich mit der "Auserwählten" persönlich besprechen.
Wie vermutet drängeln sich am Donnerstagabend an die fünfundzwanzig mehr oder weniger gutaussehende Damen im Treppenhaus. Die Regeln sind schnell aufgestellt, für jeden verständlich ... immer eine nach der anderen.
Ich habe meinen Wohnzimmertisch zurechtgerückt, eine Flasche Bier darauf platziert und ein Schälchen Chips dazugestellt, diese neuen, mit Currywurst-Geschmack. Genüsslich lasse ich mich in den Sessel sinken und warte gespannt, was passiert.
"Ich bin die Püppi.“ Eine dralle Blondine, in einem feschen Dirndl lächelt mich freundlich an.
Echt? Püppi? Was für ein Name. Ich muss grinsen. Sie holt tief Luft und trällert los.
"Das Wandern ist des Müllers Lust, das Wandern ist …"
Warum singt sie denn jetzt?
Mit beiden Händen fuchtele ich durch die Luft.
"Halt, stopp ... ich suche eine Assistentin für meine Reise nach Lourdes und keine Sängerin."
Darüber sind wir beide enttäuscht. Sie hat eine nette Ausstrahlung. Es stellt sich heraus, dass auch sie eine Geldquelle sucht und da bin ich definitiv der Falsche. Trotzdem lasse ich mir ihre Telefonnummer geben.
Als nächstes betritt die rassige Kati mein Wohnzimmer. Sie kann Spagat und Kopfstand. Sehr bewundernswert aber letztendlich völlig unbrauchbar. Ich glaube, dass über die Hälfte der Kandidatinnen den Flyer nicht richtig gelesen hat.
Die erste, die endlich gezielt auf die Sache zu sprechen kommt, ist Franziska. Sie ist Dame Nummer zwölf und gut vorbereitet. Mit bedeutungsvollem Augenrollen legt sie mir die Reiseroute und die zu erwartenden Kosten auf den Tisch. Perfekt! Ich bin begeistert.
"Wie sieht deine Geschäftsidee überhaupt aus?" Sie hat sich soweit über den Tisch gebeugt, dass sich unsere Nasenspitzen berühren.
Das finde ich sehr aufdringlich und mir missfällt auch ihr lauernder Gesichtsausdruck. Mit so jemandem kann ich nicht zusammenarbeiten. Wütend knüllt sie die mitgebrachten Unterlagen zusammen und wirft sie mir an den Kopf. Nett von ihr, ich kann sie bestimmt noch gebrauchen.
Florentine, ist die achtzehnte Dame. Sie stellt einen großen Obstkorb mitten in mein Wohnzimmer. Für mich? Nein! Sie jongliert. Gekonnt wirbeln Mandarinen, Zitronen und Äpfel durch die Luft, während sie nebenher eine Banane verspeist. Ich finde ihre Vorstellung toll. Eine richtige Künstlerin.
Cindy hat eine Nummer mit ihrem Hund Kasper einstudiert. Er bellt auf Kommando und tanzt auf den Hinterbeinen. Warum er dafür ein rosarotes Tüllröckchen tragen muss, verstehe ich nicht. Ich fühle mit ihm und finde es einfach nur würdelos.
Die folgenden Damen können nichts Erwähnenswertes und ich muss aufpassen, dass ich nicht einschlafe. Henriette ist die Letzte der Flyer-Truppe. Sie wirkt sehr vernünftig. Sie möchte weder tanzen noch singen. Sie hat verstanden um was es geht. Leider stellt sie lauter unnötige Fragen.
"Wie hatten sie sich das mit der Reise vorgestellt? Was genau wäre meine Aufgabe und das Wichtigste, wer trägt die Kosten?" Geschickt versuche ich, nicht all zu viel von meinem Plan preiszugeben. Schließlich möchte ich mich meines Gedankenguts nicht berauben lassen. Aber sie ist nicht willens, das Geld für eine für sie undurchsichtige Sache vorzustrecken und rauscht zornesbebend wieder hinaus.
Das war es also. So versickert eine wirklich tolle Idee einfach im Sand. Schwerfällig wuchte ich mich aus meinem Sessel und schlurfe zur Wohnungstür. Vielleicht ist noch jemand gekommen. Ich spähe durch den Türspion ... und sehe Püppi auf den Stufen sitzen. Mein Herz gerät völlig aus dem Rhythmus und hüpft aufgeregt auf und ab. Ich reiße die Tür auf.
"Was machst du denn noch hier?" Frage ich hocherfreut.
Behände zieht sie sich am Geländer hoch. Ihr Lächeln verwirrt mir völlig die Sinne.
"Vielleicht finden wir doch noch eine Lösung."
Ich nicke zustimmend und weiß gar nicht, was sie gesagt hat. In meinen Ohren rauscht eine liebliche Melodie. Lourdes ist in irgendeine Ecke gerutscht. Nichts scheint mehr wichtig ... außer Püppi.
"Komm doch wieder rein, dann können wir gemeinsam überlegen." Einladend wedle ich mit der Hand.
Püppi ist die erste, der ich detailliert von meinem Vorhaben erzähle.
Wir fahren nach Frankreich und reisen mit diversen Flaschen heiligen Wassers zurück, die wir in winzige Fläschchen umfüllen und teuer verkaufen. Mit großen Augen hört sie mir zu. Ihre Bewunderung kennt keine Grenzen und ich sonne mich darin. Ich glätte die Unterlagen, die mir Franziska um die Ohren gehauen hat und staune über die professionelle Zusammenstellung der Anfahrtsmöglichkeiten. Unsere beiden Köpfe hängen dicht an dicht über dem Plan und da ist es wie selbstverständlich, dass wir uns küssen. Es fühlt sich wunderbar an. Das beste, was ich in letzter Zeit erlebt habe.
"Weißt du, wir haben noch gar kein Wasser und mein gebrochenes Herz ist schon fast geheilt“, flüstere ich und knabbere liebevoll an ihrem Ohrläppchen.
Ja, Lorelei hat mein Herz in einen Trümmerhaufen verwandelt. Allein durch Püppis Gegenwart fügt es sich Stück für Stück wieder zusammen und alles wird plötzlich so leicht ... so herrlich einfach. Oder hat schon der Gedanke an dieses besondere Wasser genügt, meinem Leben eine wunderbare Wendung zu geben?
Als ich Püppi kurz darauf zur Tür bringe, fiebere ich dem Augenblick entgegen, an dem ich sie wieder in meine Arme schließen kann. Zu schön wäre es gewesen, sie wäre gleich hier geblieben. Aber sie meint, dass das nicht ginge, sie hätte ihre Prinzipien. So schaue ich ihr mit wehem Herz hinterher, wie sie lächelnd meinem Dasein entschwebt.
Ich muss dringend mein Leben überdenken ... irgendwie driftet es in eine sehr ungemütliche Richtung ab, was mich ziemlich erschreckt. Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich mich schon gesehen, wie ich dieses Wasser mit normalem Leitungswasser strecke. Und nach dieser chaotischen Casting-Show war klar, dass mein Plan nur für reines Leitungswasser reicht. Aber jetzt gibt es Püppi und plötzlich ist alles anders.
Ich bringe mein I-Pad zurück. Und kaufe zwei Tickets für eine Busreise nach Lourdes.
"Das hast du wirklich für mich getan? Für uns?" In Püppis Augen blitzen tausend Sterne.
Ja, das habe ich für uns getan. Für Püppi und mich. Sie ist etwas ganz besonderes. Für sie nehme ich mein Leben wieder in die Hand. Keine undurchsichtigen Geschäftsideen und keine unkontrollierten Einkäufe mehr. Und zu allererst machen wir diese Wallfahrt nach Lourdes. Aus Dankbarkeit. Ich wundere mich selbst über meine Gedanken. Aber es ist tatsächlich so. Ich bin glücklich, Püppi getroffen zu haben. Meine kleine Welt liegt zu ihren Füßen und wartet darauf, in ein rosarotes Licht getaucht zu werden.