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Endlich kann er es Nia heimzahlen! Seit seine große Liebe ihn eiskalt abserviert hat, sinnt der berühmte Filmregisseur Farlan Wilder nach Rache. Jetzt ist der Moment gekommen: In den zehn Tagen, die er auf dem herrschaftlichen Landsitz ihrer verarmten Familie zu Besuch ist, will er Nia verführen – und dann fallen lassen! Aber anders als geplant, verspürt er nach der ersten Nacht der Lust jähe Zweifel: Ist Nia etwa doch nicht die berechnende Betrügerin, für die er sie bislang hielt? Oder begeht er gerade den gleichen Fehler zum zweiten Mal?
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Seitenzahl: 202
IMPRESSUM
JULIA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2021 by Louise Fuller Originaltitel: „The Man She Should Have Married“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA, Band 2510 09/2021 Übersetzung: Elisabeth Hartmann
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 09/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733719005
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Nia Elgin strich sich das lange dunkelblonde Haar aus der Stirn, atmete tief durch und folgte dem Butler durch den holzgetäfelten Flur ihres Elternhauses Lamington Hall.
Das schöne georgianische Herrenhaus war zurzeit nicht ihr Wohnsitz, sodass sie mindestens ein Jahr lang im Gärtnerhäuschen an der Zufahrt wohnen würde.
Lamington war an das amerikanische Ehepaar Tom und Diane Drummond vermietet worden, das ein Jahr in Schottland verbrachte, um Toms Stammbaum zu erforschen.
An diesem Abend besuchte sie das Haus zum ersten Mal, seit die Drummonds vor einer Woche eingezogen waren, und es war für sie ein merkwürdiges Gefühl, als Besucherin an den Familienporträts und Rüstungen vorbeizugehen.
Doch das war nicht der Grund dafür, dass ihr das Herz bis zum Hals schlug.
Als Stephen die Hand auf den Türknauf legte, atmete Nia noch einmal tief durch, zwang sich zur Ruhe und versuchte, sich gegen das zu wappnen, was sie auf der anderen Seite der Tür erwartete.
Nein, nicht was, sondern wer: Farlan Wilder.
Bei dem Gedanken an ihn hatte sie das Gefühl, dass ihr Herz aus dem Takt geriet. Selbst jetzt noch hatte sie ihre erste Begegnung deutlich vor Augen.
Er war damals zweiundzwanzig, drei Jahre älter als sie. Seine Augen waren so grün wie Farn im Sommer, und sein Lächeln machte sie unglaublich nervös.
Es war sofort Liebe auf den ersten Blick gewesen. Und er hatte ihre Gefühle ebenfalls auf Anhieb erwidert, wie die Helden in ihren Lieblingsromanen.
In jenem Jahr, dem Sommer ihrer Liebe, verging die Zeit langsamer, waren die Tage länger, und die anhaltende Hitze hatte sich über September hinaus bis Anfang Oktober fortgesetzt.
Sechs Monate und zwei Tage nach ihrem Kennenlernen hatte Farlan ihr einen Heiratsantrag gemacht. Sie hatte ihn angenommen, doch zuvor wollten sie auf Reisen gehen.
Und dann war es vorbei.
Sie hatte es beendet.
Und Farlan war auf und davon und verließ das kalte, unwirtliche Schottland für ein neues Leben in einem anderen Land.
Nia schauderte jetzt.
Allein schon die Tatsache, dass Farlan jetzt wieder in Schottland war, weckte den Drang in ihr, Halt suchend den Türgriff zu umklammern.
Am grausamsten aber war, dass Farlan auf Lamington war.
Ihr wurde flau im Magen vor Verzweiflung und Panik, wie so oft, seit Tom und Diane sie zur Burns-Nacht zum Abendessen eingeladen hatten. Dummerweise hatte sie zugesagt.
Ob es ihr etwas ausmache, wenn noch ein Gast zum Essen kam, hatte Tom sie gefragt, und natürlich hatte sie, ohne lange zu überlegen, Nein gesagt.
„Es bedeutet uns sehr viel, dass er kommt. Eigentlich sollte er erst nächste Woche eintreffen“, erklärte Tom. „Weißt du, er hasst die Burns-Nacht.“
Nia hatte zu der Zeit nicht gewusst, wer „er“ war, und es war ihr auch egal gewesen.
Tom hatte den Kopf geschüttelt, als könnte er selbst nicht glauben, was er sagte. „Vermutlich hat es mit einer Frau zu tun. Doch ich habe ihm gesagt, Junge, du kannst die Burns-Nacht doch nicht hassen, wenn du Schotte bist.“
Seine empörte Miene hatte sie zum Lachen gebracht. „Warum hat er es sich dann anders überlegt?“, fragte sie.
Er grinste. „Weil ich mein Ass ausgespielt habe.“
„Und was war das?“
„Du.“ Wieder lächelte Tom vergnügt. „Er ließ sich sehr schnell umstimmen, als ich ihm sagte, dass Lady Antonia Elgin hier sein würde. Anscheinend haben sich eure Wege vor ein paar Jahren schon einmal gekreuzt. Du musst ihn mächtig beeindruckt haben.“ Er zwinkerte ihr zu. „Ich muss sagen, ich war überrascht. Ich hatte bis dahin nie erlebt, dass etwas oder jemand Farlans Meinung ändern konnte, und das ist wirklich so.“
Er sprach weiter, doch was er sagte, drang nicht mehr zu Nia durch. Seine Worte gingen im Hämmern ihres Herzens unter.
Jetzt blickte sie starr auf Stephens Rücken, und ihr Magen krampfte sich zusammen. Was hätte sie darum gegeben, auf dem Absatz kehrtmachen und weglaufen zu können und sich in der Schutzhütte auf dem Gut zu verstecken, wo sie als Kind so oft Zuflucht gesucht hatte, um den ständigen Forderungen ihrer Eltern zu entkommen.
Der Butler öffnete in diesem Moment die Tür, und als Nia ihm ins Zimmer folgte und sich umschaute, schien für einige qualvolle Sekundenbruchteile ihr Herzschlag auszusetzen.
Tom und Diane wandten sich ihr zu und lächelten. Als Tom sie mit ausgebreiteten Armen willkommen hieß, zwang sie sich, auf ihn zuzugehen.
„Guten Abend, Lady Antonia! Oder sollte ich sagen: fáilte?“
Sie lächelte. Ganz gleich, was für Gefühle das Wiedersehen mit Farlan in ihr wachrufen würde, Tom und Diane sollten nichts davon mitbekommen. Zumal sie ganz offensichtlich nichts über ihre damalige Beziehung wussten.
Doch wie stand es mit Farlan?
Wie würde er reagieren?
„Farlan dürfte jeden Moment herunterkommen“, meinte Diane, und ihre Züge wurden weich. „Er ist erst gegen Mittag in Schottland eingetroffen.“
„Er hat einen eigenen Hubschrauber“, Tom lachte, „und ist damit hierher geflogen und direkt hinterm Haus gelandet.“
Irgendwie gelang es Nia, weiterhin zu lächeln. „Tatsächlich? Das ist ja erstaunlich.“
Tom reichte ihr ein Glas Champagner. „Auf eine unvergessliche Burns-Nacht. Slàinte mhath.“
Automatisch hob sie ihr Glas und trank einen großen Schluck. Nia konnte einfach nicht glauben, was hier geschah. Sie hätte schwören mögen, dass dieses Haus der letzte Ort auf Erden war, den Farlan noch einmal aufsuchen würde. Und das war eigentlich unumstößlich, weil er es gesagt hatte.
Schweren Herzens dachte sie an jenes letzte schrecklich steife Telefongespräch mit ihm.
Ein „Gespräch“, ein Austausch von Gedanken und Ansichten, war es jedoch nicht gewesen, denn nur sie hatte geredet. Sie hatte ihn um Entschuldigung bitten und sein Verständnis gewinnen wollen.
Er hatte erst ganz am Ende gesprochen und ihr gesagt, dass sie eine Betrügerin, ein Feigling und Snob sei und ihm absolut nichts mehr bedeute.
Sein unterdrückter Zorn hatte ihr wehgetan, sein eisiger Ton noch mehr.
Mit einiger Anstrengung fand sie jetzt zurück in die Gegenwart. „Slàinte mhath“, wiederholte sie.
Tom lächelte jungenhaft. „Ich kann gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, Lady Antonia, diese Worte endlich im Land meiner Vorfahren und in Ihrem wunderschönen Haus aussprechen zu dürfen.“
„Heute Abend ist es Ihr wunderschönes Haus“, widersprach Nia. „Und bitte sagen Sie Nia und Du. Wenn man mich Lady Antonia nennt, komme ich mir vor, als sollte ich eine Wohltätigkeitsveranstaltung eröffnen.“
Er lachte laut. „Na dann, Nia.“ Er warf einen Blick auf ihr Glas. „Komm, ich schenke nach. Wir haben etwas zu feiern.“
Panik kündigte sich bei ihr an.
Ihr war nicht nach Feiern zumute.
Doch sie war Gast und meinte, die kultivierte Stimme ihrer Mutter zu hören, die sie ermahnte, dass ein Gast immer „freundlich und entgegenkommend“ zu sein habe. Sie hielt Tom ihr Glas entgegen, damit er es wieder mit Champagner füllte. Seine unverhohlene Freude ließ sie angemessen lächeln.
„Tom, du siehst prachtvoll aus. Weißt du, ich als eine Elgin sollte es eigentlich nicht zugeben, aber der Tartan der Drummonds war schon immer einer meiner Lieblingsmuster.“
Das entsprach der Wahrheit. Das Karo in Rot und Grün war so herausfordernd und lebhaft und versinnbildlichte so trotzig und unnachgiebig den Stolz auf die Wurzeln des Clans.
Der Tartan der Elgins dagegen war braun und cremefarben und wirkte verklemmt, wenn nicht gar verhuscht.
Unübersehbar erfreut, verneigte sich Tom. „Der Tartan ist wirklich toll und kleidet meine schöne Frau ganz besonders gut.“
Tom zog Diane an sich und küsste sie auf den Mund.
Eine derart unbeschwerte, freimütige Liebesbekundung war in diesem Hause selten. Nia konnte sich nicht einmal erinnern, wann jemand sie zuletzt an sich gedrückt und geküsst hatte.
Sie spürte, dass ihr die Röte ins Gesicht stieg.
Das war gelogen.
Sie erinnerte sich sehr genau, wann jemand sie in den Arm genommen und so geküsst hatte. Wichtiger noch, sie wusste sehr wohl, wer es gewesen war, der sie an sich gedrückt und geküsst hatte.
Doch daran durfte sie jetzt nicht denken.
Es wäre zu schmerzlich, Vergangenheit und Gegenwart zu vermischen, deshalb verdrängte sie die Erinnerungen schnell und sagte rasch: „Das finde ich auch. Du siehst hinreißend aus, Diane.“
Toms Frau lachte. „Ich komme mir geradezu majestätisch vor.“ Ihr Blick wurde sanft. „Aber du, meine Liebe, bist sehr, sehr hübsch.“
Nia blickte an ihrem seidig glänzenden schwarzen Kleid herab, das eine Schulter freiließ, und spürte, dass ihr glühend heiß wurde.
Solche Komplimente waren rar in ihrem Alltagsleben.
Sie wusste, dass sie eine gute Chefin war und ihre Angestellten sie mochten, aber die Verteilung von Lob und Zuspruch war ihre Aufgabe, nicht die der anderen.
Wenn auch ihre Eltern sie liebten, neigten sie doch wie die meisten verwöhnten Reichen dazu, Perfektion zu erwarten und den kleinsten Makel streng ins Auge zu fassen.
Ohne Geschwister, die von ihr ablenkten, war es Privileg und Belastung zugleich, Lady Antonia Elgin zu sein. Es war schön gewesen, umgeben von alten Meistern aufzuwachsen und nach Belieben über den Besitz reiten zu können, doch dafür musste sie auch zahlreichen Erwartungen und Pflichten gerecht werden.
Ihr wurde die Kehle eng. Erst nachdem sie Farlan kennengelernt hatte, war auch die Bereitschaft zu Opfern hinzugekommen. Er war der einzige Mensch, der ihr das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein, und sie hatte ihn gehen lassen, hatte ihn vielmehr von sich gestoßen.
Das Glas wollte plötzlich ihrer Hand entgleiten, und sie umfasste es fester. „Danke. Ich hatte lange keinen Anlass für festliche Garderobe, deshalb ist es jetzt ein ganz besonderes Vergnügen.“
„Dann hat sich die Wartezeit gelohnt“, sagte Diane sanft. „Und diese wunderschöne Brosche!“ Voller Bewunderung betrachtete sie das auffällige mit Diamanten und Amethysten besetzte Schmuckstück in Form einer Distel, die Nias Schärpe hielt. „Ist es ein Familienerbstück?“
Nia nickte. Die Brosche gehörte zu den wenigen Stücken, die sie nicht hatte verkaufen müssen.
„Sie hat meiner Urgroßmutter gehört. Meine Mutter hat sie mir zu meinem achtzehnten Geburtstag geschenkt.“
Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte ihre Mutter sich über Nias Schönheit gefreut. Doch jetzt schienen die zarten Züge und sanften braunen Augen ihrer Tochter die Countess of Brechin lediglich daran zu erinnern, dass diese Tochter keinen passenden Mann fand.
Diane seufzte. „Sie ist vollkommen. Du bist vollkommen …“ In diesem Moment blickte sie über Nias Schulter hinweg, und ein Strahlen trat in ihre Augen. „Findest du nicht auch, Farlan?“
Nia hatte das Gefühl, zur Salzsäule zu erstarren. Der altvertraute Salon drehte sich um sie, als befände sie sich auf einem Karussell.
Unfähig, sich zu rühren, sah sie Farlan Wilder den Raum durchqueren. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Sieben Jahre waren vergangen, seit er Schottland verlassen hatte. Sieben Jahre voller Zweifel und Einsamkeit. Und Reue.
Sie hatte nicht erwartet, ihn jemals wiederzusehen.
Doch jetzt war er zurück, und wie sich alles verändert hatte!
Als sie sich beim Edinburgh-Festival vor einem Pub kennenlernten, war sie mit Freunden unterwegs. Sie hatte ein Sabbatjahr eingelegt, bevor sie in Oxford ihr Geschichtsstudium aufnahm.
Gleich diese erste Begegnung war atemberaubend gewesen. Er war cool, dreist, unverschämt sexy und ausgesprochen attraktiv gewesen. Ein mittelloser Kunstakademie-Abbrecher und Möchtegern-Filmemacher. Ohne Geld, ohne Familie, ohne Besitz. Er verkörperte nur pures, unerprobtes Talent und einen unerschütterlichen Glauben an sich selbst und hatte jede Menge Pläne.
Inzwischen war er nicht nur ein bekannter Regisseur, sondern hatte auch schon eine Vielzahl von Auszeichnungen erhalten, und sein jüngster Film war der Blockbuster des vergangenen Sommers gewesen.
Die Dreistigkeit der Jugend hatte sich bei ihm zu der unverkennbaren Souveränität eines Menschen ausgewachsen, der zweiter Klasse übers Meer geflogen und im eigenen Jet zurückgekehrt war.
Mit einem Lächeln, das auf ihrem Gesicht festgefroren zu sein schien, beobachtete sie, wie er nach einem tulpenförmigen Champagnerglas griff und Diane auf die Wange küsste.
„Oh ja, sie ist wirklich umwerfend“, sagte er kühl.
Er verlagerte sein Gewicht auf den anderen Fuß, und Nia wappnete sich, in der Erwartung, dass er sich vorbeugte und auch sie auf die Wange küsste. Doch stattdessen streckte er ihr die Hand entgegen, und das matte Metall seiner teuren Schweizer Uhr blinkte im Feuerschein.
So oft hatte sie an diesen Moment gedacht, davon geträumt und sich genau diese Szene ausgemalt.
Während sie ihn ansah, hatte sie für Sekundenbruchteile das Gefühl, noch zu schlafen und das alles nur zu träumen.
Doch dann hob er herausfordernd das Kinn, und als sie in seine zusammengekniffenen grünen Augen sah, wusste sie mit haarsträubender Gewissheit, dass sie wach war und sich nichts geändert hatte.
Farlan hasste sie.
Nia konnte sich nicht bewegen. Ihr Körper, ihre Gliedmaßen schienen den Dienst zu versagen.
Sie hatte geglaubt, auf diese Situation vorbereitet zu sein.
Doch viel zu spät erkannte sie, dass nichts sie auf diesen Gefühlsansturm hätte vorbereiten können, von dem sie ihn nichts merken lassen durfte.
Wenn er auch eine große Nummer in Hollywood geworden war, hatte er sich doch äußerlich kaum verändert, und wenn, dann nur zum Positiven.
Vor sieben Jahren war er ein hübscher Junge gewesen, mit einem ungepflegten Irokesen-Schnitt und einem betörenden Lächeln. Jetzt war er ein wahnsinnig attraktiver Mann.
Er trug keinen Kilt, nicht einmal eine Spur von Tartan. Stattdessen hatte er ein schneeweißes Hemd zu einer dunkelgrauen Hose gewählt, und die konventionelle Kleidung schien seine seltsam berückende Attraktivität und seine breiten Schultern noch zu betonen.
Die Schlaksigkeit von einst war verschwunden, die dunkle Irokesen-Frisur war einem Stoppelschnitt gewichen. Die Andeutung eines Barts untermalte die perfekten Konturen von Wangenknochen und Kinn.
Doch er lächelte nicht.
Ihr Herz krampfte sich zusammen, als er ihr die Hand entzog und sich dann mit einem Lächeln Diane zuwandte.
„Verzeih die Verspätung, Diane. Meine Gedanken sind noch in L.A., wo auch mein Rasierapparat zurückgeblieben ist.“
Er strich sich mit einer Hand über das stoppelige Kinn, und einen Augenblick lang konnte Nia nicht atmen und nicht denken. Alles in ihr drängte darauf, die Hand nach ihm auszustrecken, sein Gesicht zu berühren und wie früher zu streicheln.
Ihr schwirrte der Kopf, ihr brach das Herz, doch wenn Diane die unterschwellige Feindseligkeit im Zimmer spürte, ließ sie es sich nicht anmerken.
„Danke, dass du gekommen bist, mein lieber Junge.“ Sie lächelte ihn an. „Ich weiß, dass dir diese Nacht nicht gerade die liebste des Jahres ist, deshalb freue ich mich umso mehr über dein Kommen, und Tom freut sich ebenfalls.“
„Es ist das Mindeste, was ich tun kann.“ Farlan erwiderte ihr Lächeln. „Ihr wart für mich da, als ich euch brauchte. Ich war damals ein harter Brocken, aber ihr habt mich nie zurückgewiesen.“
Nias gesamter Körper spannte sich an, als Farlan ihr durchdringend in die Augen sah.
„Nicht viele haben ein so großes Herz wie du, Dee, oder den Mut, ihrem eigenen Urteil zu vertrauen.“
Seine Miene war ausdruckslos, seine Stimme ebenfalls, doch seine Augen hatten das gleiche abweisende Grün wie die Kiefernwälder rund um den Besitz.
„Nun, du bist auch für uns da gewesen.“ Diane warf Nia einen Blick zu. „Farlan haben wir es zu verdanken, dass wir jetzt hier stehen, nicht wahr, Tom?“
Ihr Mann legte Farlan eine Hand auf die Schulter und nickte. „Wir reden schon seit Jahren darüber, aber immer wieder ist uns etwas dazwischengekommen. Diesmal wäre es wieder so gewesen, aber da ist er ärgerlich geworden und hat gefordert, dass wir eine Entscheidung treffen und uns daran halten müssten. Auf diese Weise hat er es zu all diesen Preisen gebracht. Es reicht nicht, eine Vision zu haben. Mein Junge hier zögert nicht.“ Er zwinkerte Nia zu. „Du hast bestimmt gewusst, dass er sich bis nach ganz oben arbeitet.“
Farlans scharfer Blick ließ sie innerlich zusammenzucken.
„Ja, das heißt … Ich wusste nicht …“, begann sie, doch Farlan fiel ihr ins Wort.
„Ich bin nicht sicher, ob ich einen so starken Eindruck auf Lady Antonia gemacht habe. Ich war nur ein Bauernjunge, ein dummer, naiver Lümmel. Natürlich bin ich seitdem ziemlich erwachsen geworden.“
Nia meinte, einen Kloß im Hals zu haben, als er so demonstrativ ihren Titel benutzte. „Ich erinnere mich sehr gut an dich“, stellte sie ruhig fest.
Es war wie Ertrinken. Vor ihrem inneren Auge spulte sich ihr ganzes Leben im Zeitraffer ab.
„Wann wir uns kennengelernt haben. Wie wir uns kennengelernt haben. Du hast einen Film über das Edinburgh Fringe Festival gedreht“, sagte sie.
Jetzt lächelte er sie an, doch dieses Lächeln erreichte seine Augen nicht.
„Nicht über die Shows. Mich haben nur die Darsteller interessiert.“
Farlan sah Nia unversöhnlich an.
Diane zupfte an Toms Ärmel.
„Wir müssen Isla und Jack anrufen.“ Sie wandte sich an Nia. „Gewöhnlich essen wir zu Hause in der Burns-Nacht mit unseren schottischen Freunden zu Abend, und wir haben versprochen, sie anzurufen und ihnen zu zeigen, wie in der alten Heimat gefeiert wird.“
Immer noch verwirrt durch die Konfrontation mit Farlan, sah Nia sie verständnislos an. „Ihnen zeigen …?“
Sie riss sich zusammen und begriff dann, was Diane wollte.
„Für einen Videoanruf solltet ihr vielleicht in die Küche gehen. In diesem Teil des Hauses ist der Empfang oft schlecht …“
„In die Küche?“ Diane zögerte. „Ach, wir wollen euch beide doch nicht …“
„Geh nur, Dee.“
Farlan lächelte, doch sein Befehlston war unüberhörbar. Nia konnte ihn sich beinahe hinter der Kamera vorstellen, wie er mit wachem Auge jedes Wort, jeden Blick dirigierte.
„Keine Sorge.“
Sie verkrampfte sich, als sie dem harten Blick seiner grünen Augen begegnete.
„Ich kümmere mich um Lady Antonia.“
Als die Tür sich hinter ihnen schloss, herrschte kurz Schweigen. Farlan sah Nia ins Gesicht und meinte zu sehen, dass sie zusammenzuckte. Es hätte aber auch nur eine Täuschung aufgrund des flackernden Kerzenlichts sein können. Doch er hätte schon gern geglaubt, dass sie wenigstens einen Bruchteil seines Schmerzes verspürte. Eines Schmerzes, den das Wiedersehen mit ihr erschreckend schnell und scharf wieder hatte aufleben lassen.
Er versuchte, sich zu beruhigen. Das fiel ihm allerdings schwer, da sie ihm so nahe war. So nahe, dass er die goldenen Sprenkel in ihren hellbraunen Augen sehen konnte und den Puls, der schnell unter der zarten hellen Haut an ihrem Hals pochte.
Vielleicht hätte er sich besser geschlagen, wenn es nicht so plötzlich gekommen wäre. Nicht der Ahnenkram – darüber redeten Tom und Diane schon seit einer halben Ewigkeit –, sondern dass er hierherkommen sollte, ausgerechnet in dieses Haus.
Als Tom ihm mitteilte, dass sie Lamington Hall gemietet hatten, glaubte Farlan tatsächlich, er hätte sich verhört. Oder dass es ein zweites Lamington Hall gäbe, ein anderes Haus, das nichts mit der Familie Elgin zu tun hatte.
Oder genauer gesagt mit Nia.
Als er letztendlich einsehen musste, dass es sich tatsächlich um das ihm bekannte Lamington Hall handelte, erschien es ihm natürlich wie ein schlechter und nicht sonderlich lustiger Witz, und er verfluchte sich dafür, dass er der Haussuche der Drummonds nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
Doch was hätte es schon geändert, wenn er es gewusst hätte?
Auch ohne die Erinnerung an Nia war Schottland noch immer wie eine offene Wunde für ihn.
Tom und Diane hatten geholfen, ihm in den Staaten Türen zu öffnen. Sie hatten ihn in ihr Herz geschlossen, doch er hatte so viel von seinem Leben und von seiner Vergangenheit vor ihnen verborgen.
Sie hatten sich rein zufällig kennengelernt. Ihr Auto hatte eine Panne, und er hatte angehalten, um ihnen zu helfen. Natürlich war Tom sofort sein schottischer Akzent aufgefallen, und er lud ihn spontan zu einem Drink ein.
Auf den Drink folgte eine Einladung zum Abendessen, und bald war er häufiger Gast bei ihnen.
Seine Schultern verspannten sich. Ihm war nie in den Sinn gekommen, dass Nia ihr Elternhaus verlassen, geschweige denn, es an Fremde vermieten könnte. Dass ihr Vater ein milderes Klima brauchte, hatte sie allerdings zum Handeln gezwungen und unerwünschte, aber notwendige Veränderungen gefordert.
Jetzt schaute er in Nias abweisendes, blasses Gesicht. Nia hatte sich nicht verändert. Sie war immer noch die schönste Frau, die er je gesehen hatte.
Nichts, auch nicht die Zeit, konnte ihrer glatten, makellosen Haut oder diesen vollen, weichen rosigen Lippen etwas anhaben.
Sein Blick blieb an dem zarten Schwung ihrer Unterlippe hängen, und ohne Vorwarnung spannte sich sein Körper an, als er sich erinnerte, wie dieser Mund sich an seinem anfühlte, wie Nia sich an ihn schmiegte …
Er verdrängte die Nia von vor sieben Jahren aus seinem Kopf und zwang sich, die Frau anzusehen, die jetzt vor ihm stand.
Mit neunzehn, mit dem langen dunkelblonden Haar, das ihr in die Stirn fiel, mit dieser hellen, pfirsichzarten Haut hatte sie wie eine Göttin oder eine Märchenprinzessin ausgesehen.
Und sich auch so angehört.
Das flaue Gefühl in Farlans Magen breitete sich in seinem ganzen Körper aus.
Ihre Stimme war nicht das einzig Irreführende an ihr.
Er hatte geglaubt, dass sie ihn bedingungslos liebte. Sie hatte es ihm schließlich gesagt.
Doch als es darauf ankam und sie zwischen ihm und einem Haufen Steine wählen musste, da hatte sie ihn wie ein nutzloses Gepäckstück am Bahnhof stehen gelassen.
„Also, was ist passiert?“
Nia blickte zu ihm auf. Röte stieg ihr in die Wangen, ihre Augen weiteten sich vor Schreck oder vielleicht Verwirrung. „Wie soll ich die Frage verstehen?“
„Das hier …“, er ließ den Blick langsam durch das Zimmer schweifen, „… hat dir einmal so viel bedeutet.“
Dafür hatte sie ihn abserviert. Die unausgesprochene Wahrheit war, dass er ihr nicht wichtig genug gewesen war, um zu gehen und Lamington aufzugeben.
„Also, was hat sich geändert?“, fragte er. „Warum tust du jetzt so, als würdest du im Haus an der Zufahrt wohnen?“
Das erschrockene Aufblitzen in ihren Augen entging ihm nicht. Einerseits wollte er nicht der Grund für diesen Schmerz sein, andererseits wollte er den Schmerz, den Nia ihm zugefügt hatte, nie vergessen oder vergeben.
Nia schüttelte den Kopf. „Ich tue nicht so.“
Ihm wurde plötzlich eng in der Brust. Sie hörte sich so erschüttert an, wie er sich fühlte. Und er wusste, dass nicht nur sein Vorwurf der Grund war. Er wusste, dass diese Begegnung sie genauso schockierte wie ihn.
„Du hast mich glauben lassen, es wäre wahr.“ Seine Stimme klang scharf. Sie hatte Hoffnung und Liebe in ihm geweckt. „Was war ich für dich? Ein einjähriges Abenteuer? Ein Mittel, um deine Familie ein bisschen aufzumischen?“
„Nein, das ist nicht wahr.“
„Ach?“ Er verdrehte die Augen. „Weißt du, vielleicht hätte ich das geglaubt. Das war jedoch so einmal.“ Die Anspannung in seinem Tonfall verstärkte seinen Akzent. „Aber weißt du, Lady Antonia, ich glaube nicht mehr an Märchen.“
„Es ist kein Märchen.“ Ihr drohte die Stimme zu versagen. „Es ist die Wahrheit.“
„Das redest du dir wohl ein!“ Er schüttelte den Kopf.
Sie war gegangen, um mit ihren Eltern zu reden, hatte ihn wie irgendeinen Botenjungen in der Küche stehen lassen.
Es hatte wehgetan, ihren Vater sagen zu hören, dass sie ihr Erbe verlieren würde, wenn sie ihn, Farlan, heiratete. Es hatte ihn aber nicht so sehr verletzt wie das Telefongespräch am nächsten Tag, als sie mit ihm Schluss machte.
Der erbarmungslose Schmerz dieser Stunden erfasste ihn. Der Schock ihres Verrats war jetzt noch genauso heftig wie an jenem Tag.
„Du hast mich benutzt, Lady Antonia, und dann hast du mich abserviert.“
Jenes erste Jahr ohne sie hätte ihn um ein Haar zerbrochen. Und das Schlimmste war, er hatte so etwas schon einmal erlebt. Zu einer anderen Zeit, in einer anderen Küche, aber die Geschichte war die gleiche. Und obwohl er die Bedrohung gespürt hatte, sah er es nicht kommen.