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Hoffnung und Zuversicht trotz Lebenskrise: Auf Sinnsuche mit Viktor Frankl Er selbst erfuhr unfassbares Leid, überlebte mehrere Konzentrationslager und verlor seine Familie: Trotz dieser Schicksalsschläge war Viktor Frankl Zeit seines Lebens ein Menschenfreund, der es verstand, jede Krise zu meistern. Der Begründer der Logotherapie verwendete in seiner therapeutischen Arbeit gerne Gleichnisse aus dem Alltag, um die Bedeutung der Selbsttranszendenz für die Fähigkeit, Lebenssinn zu finden, aufzuzeigen. Elisabeth Lukas, seine bekannteste Schülerin, hat für dieses Buch die eindrücklichsten Gleichnisse zusammengetragen und kommentiert. - Viktor Frankl: Geschichten und Inspiration, zusammengestellt von einer Wegbegleiterin des berühmten Psychologen - Das Grundprinzip der Logotherapie: Wie begegnen wir dem Leben als Befragte, nicht als Fragesteller? - Die wichtigsten Gleichnisse, mit denen Viktor Frankl Werte vermittelte, neu aufgelegt und kommentiert - Was kurze Geschichten für die Persönlichkeitsentwicklung bedeuten: Eine Handreichung Kraft schöpfen mit den Büchern von Viktor Frankl: Die Gedanken einer inspirierenden Persönlichkeit »Viele Erkenntnisse, die in Frankls Schriften stecken, sind von zeitloser Gültigkeit, ja, aktueller denn je.« – Elisabeth Lukas. Mit ihren kenntnisreichen Ergänzungen verdeutlicht sie, wie relevant das Denken des Begründers der sinnzentrierten Psychotherapie heute ist. Die bibliophil ausgestattete Buchreihe aus dem Benevento Verlag macht Viktor Frankl für ein neues Publikum greifbar, das sicherlich ebenso von seinen Gleichnissen lernen wird wie frühere Generationen. Lebenskrisen meistern, anstatt an ihnen zu verzweifeln: Die Worte Viktor Frankls zeigen Wege auf, wie Mut und Hoffnung nicht verloren gehen!
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Seitenzahl: 195
VIKTOR E. FRANKL
Gleichnisse
Zusammengestellt, ergänzt und kommentiert vonElisabeth Lukas
Mit einem Vorwort vonWalter Kohl
Bei dieser Ausgabe handelt es sich um eine aktualisierte und überarbeitete Neuauflage der inzwischen vergriffenen Originalausgabe Der Seele Heimat ist der Sinn, München 2005.
Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.
1. Auflage
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Printed by GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-7109-0155-3
eISBN 978-3-7109-5145-9
Ein Vorwort in ungewissen Zeiten
Von Walter Kohl
Geeignete Gleichnisse
Wer bist du, o Mensch?
Worin die Psychoanalyse irrt
Die einzigartige Person
Wie viel Freiheit haben wir?
Der (Alp-)Traum vom Glück
Seelische Fehlhaltungen
Professionelle Behandlung
Das »Sinn-Organ« Gewissen
Vom Sinn des Lebens
Weltanschauung und Wirklichkeit
Depression, Leid, Schuld
Zeit und Vergänglichkeit
Glaube und Religiosität
… und über uns der Himmel
Editorische Notiz
Literatur
Textnachweise
Vita Viktor E. Frankl
Vita Elisabeth S. Lukas
Liebe Leserinnen und Leser,
Dieses Vorwort wird im März 2022 geschrieben. Ein wichtiger Hinweis, denn nur so können spätere Leser einordnen, dass dieser Zeitpunkt hoffentlich vielen Menschen einen neuen Zugang zu Viktor Frankl, seinem Werk der Logotherapie und damit zu Elisabeth Lukas und ihrer Weiterentwicklung seiner sinnzentrierten Philosophie und Lebensführung ermöglicht. Warum?
Es wurde unter dem Eindruck des völkerrechtswidrigen, menschenverachtenden und brutalen russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022 geschrieben. Einem Ereignis, das nicht nur die politische und gesellschaftliche Landschaft in Europa tiefgreifend und nachhaltig verändern wird, sondern auch jeden Einzelnen von uns betrifft. Mit einem Schlag hat ein Diktator, hat Vladimir Putin, vermeintliche Wahrheiten und Gewissheiten über Frieden, Zusammenarbeit und einvernehmliche Konfliktlösung in Europa mit Panzern und Raketen vom Tisch gewischt. Mehr als 75 Jahre Frieden seit dem 2. Weltkrieg, wenn auch viele Jahre davon in einem kalten Krieg, haben ein abruptes Ende gefunden. Die Welt befindet sich in einem Schockzustand, Entsetzen über das Leid der Menschen in der Ukraine, das Schicksal von Millionen von Flüchtlingen, über die eigene Naivität aber auch Ängste über das was noch kommen mag, beherrschen unser Denken. Auf einmal ist so vieles anders, wird Unvorstellbares zu neuer Realität. Es wird von einer Zeitenwende gesprochen, die Zukunft scheint unsicherer und gefährlicher denn je. Viele Menschen fühlen sich von den Ereignissen überrollt.
Und so seltsam es klingen mag, ein Ergebnis dieser heutigen Zeitenwende kann auch sein, dass wir als bisher verwöhnte »Friedenskinder« (ich selbst bin Jahrgang 1963) einen Viktor Frankl, sein Werk, seine Beweggründe besser verstehen lernen können. Geboren 1905 im kaiserlichen Wien erlebte Frankl als Jugendlicher den Ersten Weltkrieg, 1919 den Zusammenbruch der Monarchie, eine tiefgreifende Zeitenwende. Als junger Mann erlebte er die 1920er und 1930er Jahre, Zeiten voller politischer Auseinandersetzungen, großer wirtschaftlicher Krisen und der Geburt großer und kleiner Diktaturen in Europa, von Hitler über Stalin bis hin zu Mussolini und dem Ungarn Horthy. Diktaturen, die dann den Kontinent und schließlich die Welt in die Katstrophe des Zweiten Weltkrieges stürzten.
Aus unserer heutigen Warte können wir feststellen: Seit seiner Jugend kannte Frankl nur eine unsichere, unberechenbare und gefährliche Welt. Aus einer jüdischen Familie stammend wurde der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich von 1938 und der Rassenwahn der Nazis zum Damoklesschwert für seine Familie. Frankl verlor fast seine gesamte Familie, seine Eltern, seinen Bruder und seine erste Ehefrau Tilly im Holocaust. Er überlebte als Insasse mehrerer Lager, darunter Auschwitz wie durch ein Wunder. Mehr Tod als lebendig befreiten ihn amerikanische Truppen Ende April 1945. Wahrhaftig eine Stunde Null, er hatte nichts mehr, nur Tod und Verderben um ihn herum.
Doch Frankl hatte die Kraft und auch die Liebe, ein neues Leben nach dem Horror und den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges anzufangen, in Wien, am Ort seiner Jugend, in einer Stadt in der er jeden Tag an die Schrecken des Krieges, den Verrat seiner Familie an die Nazis und an die Qualen in den Konzentrationslagern erinnert wurde. Und auch dank seiner Logotherapie schaffte er das schier Unmögliche. Er heiratete 1947 seine zweite Frau Elli, mit der er bis zu seinem Tod 1997 glücklich verheiratet war. Er gründete eine neue Familie, er wurde Professor an der Universität Wien und – meiner Meinung nach seine größte Leistung – er blieb ein Freund der Menschen. Frankl sagte in bewundernswerter Weise »Ja zum Leben«. Als Arzt und Logotherapeut aus Überzeugung verzweifelte er nicht an seinem Schicksal oder den Umständen, sondern zeigte Wege auf, wie Menschen durch Sinn Heilung, Kraft und neue Zukunft finden können. Er lebte, was er lehrte und schrieb – und das bis zu seinem Tod.
In den 1960er Jahren sitzt in einer seiner Vorlesungen eine junge Studentin, Elisabeth Lukas, die zuvor noch nie von dem »kleinen, weißhaarigen Professor« gehört hatte. Doch schon nach zehn Minuten schlagen seine Worte, seine so ganz andere Art, die junge Frau in ihren Bann. In der Vorlesung spricht Frankl über die Fähigkeit des Menschen sich selbst transzendieren zu können – in der Hingabe zu einer Aufgabe bzw. in der Begegnung mit anderen Menschen. Später wird Elisabeth Lukas schreiben: »Die Selbsttranszendenz, die Fähigkeit des Menschen, in der Erfüllung eines Sinns über sich selbst herauszuwachsen, gibt es; mehr noch, sie ist das menschliche Spezifikum, das uns erst wirklich Mensch sein lässt. Eine Psychologie, die dies übersieht, kennt den Menschen nicht.«*
Die Begegnung mit Frankl und seinem Werk wird zu einem lebensverändernden Moment für Elisabeth Lukas, zu ihrer persönlichen Zeitenwende. Im positiven Sinne des Wortes infiziert von der Logotherapie wird sie ihr Leben dem Thema widmen. Schon als Doktorandin entwickelte sie den »Logo-Test«, ein psychologisches Testverfahren, das, übersetzt in 14 Sprachen, in vielen Forschungsarbeiten Verwendung fand.
Mit ihrem Mann und ihrem Sohn zog sie anschließend nach Deutschland und begann 1973 als klinische Psychologin und Psychotherapeutin zu arbeiten. Am 1. Februar 1986 gründete sie in Fürstenfeldbruck bei München zusammen mit ihrem Mann das Süddeutsche Institut für Logotherapie und Existenzanalyse. Für die Ausbildung entwickelte sie einen viersemestrigen Lehrplan, durch den die Studierenden systematisch in das Gedankengut der Logotherapie eingeführt wurden. In vielen Instituten weltweit ist ihre Grundlagenarbeit noch heute die Basis der Ausbildung.
In Kalifornien erhielt sie 1991 von der Santa Clara Universität die Ehrenmedaille für »Outstanding Contributions in Counseling Psychology to the World Community«. 2002 bekam sie von der Stadt Wien den Großen Preis des Viktor-Frankl-Fonds zur Förderung einer sinnorientierten und humanistischen Psychotherapie. Am 18. Mai 2014 bekam sie von der Universität Moskau die Ehrenprofessur verliehen. An diesen Tag erinnere ich besonders gerne, da ich die große Ehre hatte in Wien die Laudatio auf Elisabeth Lukas halten zu dürfen.
Im Frühjahr 2003 ist sie mit ihrem Mann in ihre alte Heimat in Österreich zurückgekehrt, wo sie bis 2011 als Lehrtherapeutin beim Ausbildungsinstitut für Logotherapie und Existenzanalyse ABILE tätig war.
Heute sind Viktor Frankl, seine Logotherapie und damit auch das Lebenswerk von Elisabeth Lukas aktueller denn je. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. In meiner tiefen Lebenskrise 2001 und 2002 waren es vor allem ihre für den Laien sehr verständlichen und zugänglichen Schriften zur Logotherapie, die im wahrsten Sinne des Wortes mein Leben neu ausrichteten, ja mithalfen es zu retten.
Drei fast zeitgleiche Schocks zerschlugen damals mein altes Leben: erstens der Suizid meiner Mutter in meinem Jugendbett 2001, zweitens das Zerbrechen meines beruflichen Lebensentwurfes sowie die Zerstörung der allermeisten meiner sozialen Kontakte durch die Auswirkungen der CDU-Parteispendenaffäre meines Vaters und schließlich das Zerbrechen meiner ersten Ehe. Dieser Dreifachschlag innerhalb weniger Monate überwältigte mich.
Ich konnte nicht mehr und ich wollte nicht mehr, so dachte ich jedenfalls in dieser Zeit. Wofür das alles erleiden? Warum für Dinge bestraft werden, die man nicht zu verantworten hat? Warum noch weitermachen? An diesen Fragen drohte ich zu zerbrechen und mir fehlte damals die Vorstellungskraft, dass es auch einen anderen, einen neuen Weg geben könnte.
Durch einen Zufall entdeckte ich in einer Zeitschrift Hinweise auf das Leben und Werk von Frankl, von dem ich zuvor noch nie gehört hatte. Ich las sein episches Buch … trotzdem Ja zum Leben sagen und entdeckte Elisabeth Lukas und ihre Arbeiten zur Logotherapie. Nun hatte ich konkrete Hinweise und konnte Dinge lernen, die mir neue Horizonte eröffneten. Als Volkswirt kann man sich leicht in der Welt der Zahlen, Daten und Fakten verlieren, von Selbsttranszendenz findet man in diesem Fach keine Spur. Ohne es zu ahnen war ich auf mein Lebensthema gestoßen, sinnzentrierte Lebensführung. Heute kann ich sagen – und das macht mich sehr glücklich und dankbar – dass es ohne Viktor Frankl, die Logotherapie und insbesondere die Werke von Elisabeth Lukas mich in dieser Form nicht gäbe. Daher ist dieser Text heute mehr als ein Vorwort, es ist dies eine Gelegenheit, mich tief vor den Beiden und ihrem Werk zu verneigen, mich für ihr segensreiches Wirken von Herzen zu bedanken.
Im vorliegenden Buch geht es um Gleichnisse, also um kleine Geschichten, die den Leser sowohl im Kopf als auch im Herzen erreichen wollen. Wir kennen Gleichnisse als wichtiges Stilmittel der Bibel, ein Hinweis, dass ihre Wirksamkeit seit tausenden von Jahren ungebrochen ist. Elisabeth Lukas nutzt dieses Stilmittel in meisterhafter Weise.
Ein Gleichnis kann in einfachen Worten, eingefasst in eine einfache Geschichte, zentrale Hinweise zu grundsätzlichen Lebensfragen geben. Es ist wie eine Bildergeschichte, die uns im Gedächtnis haften bleibt. Ein Gleichnis kann also Leuchtturmcharakter bekommen auf unserem Weg durch die manchmal stürmischen Gewässer unseres Lebens.
Zwei Beispiele dazu, zunächst das Gleichnis vom Pianisten und seinem Klavier, das wie folgt erzählt wird: Eine Sonate kann weder ohne Klavier noch ohne Pianisten gespielt werden … Auf einem verstimmten Klavier kann selbst der beste Pianist nicht gut spielen (Gleichnis für die Erkrankung). Dann holt man den Klavierstimmer (Intervention des Arztes). Wer wagt nun zu behaupten, das Stimmen des Klaviers macht die Kunst des Pianisten aus? Wir wissen: es macht nicht einmal die Fehler eines schlechten Pianisten aus.
Elisabeth Lukas schreibt in ihrer Interpretation des Gleichnisses »wir können die Melodie unseres Lebens ohne unser Instrument nicht spielen … und dennoch ist das ausgezeichnetste Instrument keine Garantie für köstliche Musik. Der Stümper entlockt ihm nur schrille Töne, während der Künstler selbst dem beschädigten Instrument Harmonien abzuringen vermag. Ist das nicht ganz ähnlich in unserem Leben? Ist es nicht erstaunlich, was manche kranken oder behinderten Menschen aus ihren geringen Möglichkeiten heraus noch gestalten und leisten, während andere eine beneidenswerte Vitalität besitzen und ungenützt lassen? Der Musiker bestimmt letztlich die Melodien, die er seinem Instrument – in dem Zustand, in dem es sich jeweils befindet – entlockt, er steht auf einer seinem Instrument übergeordneten Seinsstufe.«
Das zweite Gleichnis vom Wanderer und den zwei Steinmetzen hat mir früh die Kraft der Logotherapie und einer sinnzentrierten Lebensführung verdeutlicht, denn es zeigt die Kraft der Reflexion und der sinnhaften Lebensgestaltung.
In diesem Gleichnis kommt ein Wanderer in eine mittelalterliche Stadt. Neben dem Marktplatz sieht er eine große Baustelle mit vielen Arbeitern und großen Mengen Steinen. Neugierig tritt er näher und spricht einen ersten Steinmetz an, der sich fluchend mit der Bearbeitung eines großen Steines abmüht. Der Wanderer fragt: »Was machst du da?« Der erste Steinmetz dreht sich um und blafft unwirsch zurück: »Das siehst du doch, ich klopfe Steine.«
Der Wanderer geht weiter und trifft wenige Schritte weiter auf einen zweiten Steinmetz. Dieser bearbeitet fröhlich pfeifend einen noch größeren Stein. Der Wanderer spricht nun den zweiten Steinmetz an und fragt erneut: »Was machst du da?« Der zweite Steinmetz richtet sich auf, lächelt den Wanderer an, zeigt mit einer breiten Geste seiner Arme und Hände die Umrisse eines großen Gebäudes an und antwortet: »Ich baue an einer Kathedrale.«
Liebe Leserinnen und Leser,
Logotherapie, ihre Werte und Gleichnisse sind ein Schatz, der uns menschlich reich und stark macht. Diese wichtige Erkenntnis galt nicht nur zu Lebzeiten von Viktor Frankl sondern auch – vielleicht besonders – heute in unseren turbulenten Zeiten. Ich bin dankbar, dass ich diesen Schatz entdecken durfte und möchte ihn mit Ihnen teilen. Deshalb finde ich es großartig, dass diese wichtigen Schriften, dieser Erfahrungs- und Wissensschatz nun wieder neu aufgelegt und uns allen zur Verfügung gestellt wird.
Es liegt nun an uns, davon zu profitieren, denn wir alle tragen diesen Schatz in uns. Jeder sollte für sich den Mut und die innere Freiheit in Anspruch nehmen, diesen Schatz zu heben, zu nutzen. Denn was gibt es Schöneres als mit Sinn und Freude durchs Leben zu gehen? Ich hoffe, Sie können dieses Buch als Ihre Schatzkarte verwenden. Nutzen Sie seine Weisheit, seine Inspiration, werden Sie Sinn-stark und glücklich.
In diesem Sinne alles Gute
Ihr Walter Kohl
Glashütten, im März 2022
* Elisabeth Lukas, Der Seele Heimat ist der Sinn, München 2005, S. 14.
Sobald der Kranke seiner wesenhaften Verantwortlichkeit durch den Psychotherapeuten sich bewusst geworden ist, wird dieser, der Arzt, etwa die Lösung folgender zwei Hauptfragen dem Kranken selbst überlassen müssen: 1. Vor wem dieser sich verantwortlich fühle – z. B. ob vor dem eigenen Gewissen, oder: vor Gott – und 2. wofür er sich verantwortlich fühle, d. h., welchen konkreten Werten er dienend sich zuwendet, in welcher Richtung er den Sinn seines Lebens findet und welche Aufgaben ihn erfüllen.
Die Lösung dieser Fragen bleibt auf jeden Fall dem Kranken selbst vorbehalten. Und wenn er, wie so viele differenziertere Persönlichkeiten, sein Ringen um den Sinn seiner Existenz, mit der Frage nach dem Sinn des Lebens, uns offenbart, so werden wir ihm vor allem bewusst machen müssen, dass letztlich nicht er der Fragende ist, sondern eigentlich der Befragte; dass es dem Urtatbestand der Verantwortlichkeit im Dasein mehr entspräche, wenn er, statt stets nach dem Sinn des Lebens zu fragen, sich selbst als Befragten erlebte, als Menschen, dem das Leben seinerseits ständig Fragen stellt, als ein Wesen hineingestellt mitten in die Fülle von Aufgaben. Lehrt doch die Psychologie, dass Sinnentnahme auf einer höheren Entwicklungsstufe steht als Sinngebung. Zur persönlichen Fähigkeit jedoch, dem eigenen Leben in seiner Einzigartigkeit und Einmaligkeit Sinn zu entnehmen, zur Fähigkeit der selbständigen Sinnfindung also, haben wir Psychotherapeuten den Kranken zu bringen.
Was wir bisher besprochen haben, macht sozusagen den allgemeinen Teil der Logotherapie aus, der nunmehr ergänzungsbedürftig ist durch deren speziellen Teil, unter dem wir uns jene Technik vorstellen, die mit den vielfältigsten Einwänden des Kranken fertig wird, und jene Dialektik, die die Auflehnung des Menschen gegen die vermeintliche Bürde des Verantwortlichseins, die Flucht vor seiner Freiheit aufhebt. Vor allem wird es unter Umständen notwendig sein, das Aufzeigen der Verantwortlichkeit als eines Grundzuges menschlichen Daseins dem Verständnis des schlichten Menschen näherzubringen, in einer möglichst konkretisierenden Alltagssprache, die sich in manchen Fällen nicht scheuen darf, sich geeigneter Gleichnisse zu bedienen.
Dieser Textausschnitt stammt aus einem Aufsatz von Viktor E. Frankl aus dem Jahr 1938. Der damals 33j-ährige Arzt ahnte gewiss nicht, welche furchtbare Leidenszeit und »Prüfungszeit« seiner eigenen Verantwortlichkeit im Zweiten Weltkrieg auf ihn zukommen würde. Doch schon hatte er eine Lebensmaxime formuliert, die nicht nur für seine Patienten, sondern auch für ihn selbst durch alle Fährnisse hindurch tragend werden sollte: Wir sind nicht die Fragenden – wir sind die vom Leben her Befragten. Wir sind diejenigen, die dem Leben zu antworten haben – auf unsere beste Weise. Wir können uns die Frage, warum etwas geschieht, das uns nicht gefällt, sparen, denn das Leben gibt keine Erklärungen ab. Was auch kommen mag, ob es uns gefällt oder nicht, wir sind aufgerufen zur »Sinnentnahme«. Eine sinnvolle und verantwortbare Antwort auf die Fakten des Lebens zu geben, ist höchste Lebenskunst.
Es ist exakt die Kunst, die das Gedankengebäude der Logotherapie lehren und vermitteln will. Dazu bedient sie sich, wie wir im obigen Text erfahren haben, auch geeigneter Gleichnisse. Frankl selbst hat es in seinen Fachbüchern zu einer wahren Meisterschaft der Symbolsprache gebracht, insbesondere bei jenen Themen mit philosophischem Tiefgang, für die einfache Worte nicht ausreichen würden. Wo alle Worte zu wenig wären … soll das Gleichnis zu uns sprechen.
Das Geistige ist nicht etwas, das den Menschen bloß kennzeichnet, nicht anders als etwa das Leibliche und das Seelische dies tun, die ja auch einem Tier eignen; sondern das Geistige ist etwas, das den Menschen auszeichnet, das nur ihm und erst ihm zukommt.
Ein Flugzeug hört selbstverständlich nicht auf, eines zu sein, auch wenn es sich nur auf dem Boden bewegt: Es kann, ja es muss sich immer wieder auf dem Boden bewegen! Aber dass es ein Flugzeug ist, beweist es erst, sobald es sich in die Lüfte erhebt – und analog beginnt der Mensch, sich als Mensch zu verhalten, nur wenn er aus der Ebene psychophysisch-organismischer Faktizität heraus- und sich selbst gegenübertreten kann – ohne darum auch schon sich selbst entgegentreten zu müssen. Dieses Können heißt eben existieren, und existieren meint: über sich selbst immer auch schon hinaus sein.
Die Franklsche Logotherapie hat ein uraltbiblisches und trotzdem heute noch faszinierendes Menschenbild zum Fundament, nämlich das Bild eines leiblich-seelischen Wesens, dem »der Geist eingehaucht worden ist«. Dieser »Geist« meint nicht die kognitive Fähigkeit, Wissen zu entwickeln und anzusammeln. Er meint weder Intellekt, noch Intelligenz, was beides zur seelisch-psychischen Grundausstattung des Menschen zählt und sich in Ansätzen auch bei höheren Säugetieren findet. Die »eingehauchte« geistige Dimension ist aus logotherapeutischer Sicht das spezifisch Humane, das keinem anderen Lebewesen auf Erden eignet außer dem Menschen allein.
Was aber ist »spezifisch human«? Was unterscheidet uns Menschen von höheren Säugetieren? Eine im Raum nüchterner Wissenschaftlichkeit spannende Frage, die zunächst zögern lässt. Hunde, Pferde, Affen und sogar Delphine haben in ihrem Verhalten große Ähnlichkeiten mit uns. Wo und wann enden solche Ähnlichkeiten, wo und wann beginnt menschliche Existenz in ihrer Unvergleichbarkeit?
Frankl verwies auf das Flugzeug, das sich genauso wie andere Fahrzeuge auf den Straßen bewegen kann. Was unterscheidet es von Autos, Bussen, Kranwägen oder Sattelschleppern? Gewiss, seine Bauart divergiert ein wenig, aber schließlich besitzt es genauso einen Rumpf mit Fenstern, Sitzen, Rädern und Motoren. Analog divergiert die menschliche Bauart von der tierischen und ist doch nach denselben biologischen Prinzipien konstruiert. Nein, was Flugzeuge von Nichtflugzeugen unterscheidet, ist nicht ihre äußere Form, sondern ihre Potenz, sich »in die Lüfte erheben zu können«. So ist auch der Mensch ein Wesen, das sich über seine »psychophysisch-organismische Faktizität«, das heißt: über sich selbst, über seine jeweilige Verfassung, über seine Herkunft, über seine Geschichte etc., erheben kann. Er muss es nicht, und zum Glück braucht er es nicht ständig, aber er kann es: er kann stärker sein als die stärkste Prägung oder der stärkste Instinkt in ihm selbst, er kann verändern, wo er scheinbar festgelegt ist. Die »Lüfte« über ihm sind jenes winzige Stückchen Freiheit, in die er sich aus seiner Erdenschwerkraft emporschwingen kann und darf, um – wahres Menschentum zu bezeugen.
Projiziere ich ein Trinkglas in die Ebene des Tisches, auf dem es steht, so bildet es sich im Grundriss als Kreis ab, während es sich im Seitenriss als ein Rechteck abbilden würde. Nun sind diese Projektionen inkommensurabel. Trotzdem sind sie kompatibel, sobald sie eben als Projektionen aufgefasst werden. Wie uns nicht einfällt zu behaupten, ein Trinkglas setze sich zusammen aus einem Kreis und einem Rechteck, ebenso wenig setzt sich der Mensch zusammen aus Leib, Seele und Geist. Vielmehr handelt es sich beim Leiblichen, Seelischen und Geistigen um je eine Dimension des Menschseins.
Das Geistige aber ist nicht nur eine eigene Dimension, sondern auch die eigentliche Dimension des Menschseins. Sosehr jedoch die geistige Dimension die eigentliche ausmacht, sowenig handelt es sich bei ihr um die einzige Dimension des Menschseins. Ist doch der Mensch eine leiblich-seelisch-geistige Einheit und Ganzheit …
Innerhalb des Leiblichen schließen sich Ursache, Wirkung und Rückwirkung zu einem in sich geschlossenen »Kausalring« zusammen, und in diesem Sinne wird man beispielsweise das Zentralnervensystem durchaus als ein »geschlossenes System« bezeichnen müssen. Wie aber kommt es dann, dass dieses scheinbar ganz und gar in sich geschlossene System gleichzeitig offen ist und bereit, Seelisches und Geistiges in sich aufzunehmen, in sich einfließen zu lassen, sich beeinflussen zu lassen; um solcherart dem Organismus überhaupt erst seinen Dienst an der Person zu ermöglichen, der – gemäß seiner expressiven und instrumentalen Funktion – ein zweifacher ist? Nun, dieser Widerspruch: hie Geschlossenheit des neurophysiologischen Systems, da Offenheit gegenüber allem transphysiologisch Seienden – dieser Widerspruch erweist sich als scheinbar und aufhebbar, sobald wir das Menschsein dimensional betrachten.
Denn wenn ich den Grundriss eines Trinkglases nehme, also dessen Projektion in die Tischebene, so zeigt sich dieser Grundriss ja ebenfalls als ein in sich geschlossener Kreis; dennoch ist das Trinkglas selber in der nächsthöheren, in der dritten Dimension, im Raum, ebenfalls »offen« und »bereit«, etwas in sich aufzunehmen; aber auch diese Offenheit trotz gleichzeitiger Geschlossenheit offenbart sich uns eben in jener Dimension, in der so etwas wie Trinkgläser überhaupt erst vorkommt – Trinkgläser, die nun einmal dreidimensionale, räumliche Gebilde sind. Nicht anders der Mensch. Nur dass es heute leider noch nicht eine ebensolche Selbstverständlichkeit ist: Dass zur Ganzheit des Menschen das Geistige mit dazu gehört, ja, dass die Dimension des Geistigen den Raum des Menschlichen überhaupt erst konstituiert.
Frankl bedauerte es wiederholt in Schrift und Wort, dass die Geistigkeit des Menschen häufig übersehen wird. Als interessierter Mediziner, der sich kontinuierlich weiterbildete und auf zahlreichen Kongressen und Tagungen mit Fachkollegen diskutierte, spürte er den aufkommenden Trend seiner Zeit, die menschliche Persönlichkeit aus elektrochemischen Prozessen heraus ableiten zu wollen. Der Milieudeterminismus des frühen 20. Jahrhunderts, demzufolge jeder Mensch mehr oder weniger das Ergebnis seiner Erziehungs- und Gesellschaftseinflüsse sei, wurde gegen Ausklang des vorigen Jahrhunderts zunehmend von genetischen und physiologischen Erklärungsmustern abgelöst, die sich auf die neuesten Computerdaten stützten. Doch entschwand bei all diesen teils widersprüchlichen Theorien das »exklusiv Menschliche« immer mehr dem Auge des Betrachters.
Warnend brachte Frankl den Vergleich mit dem Trinkglas ins Spiel. Auf verschiedene Ebenen projiziert, bildet sich ein Trinkglas widersprüchlich ab: einmal als Kreis, einmal als Rechteck – und noch dazu immer als in sich geschlossene Figur. Aber in Wirklichkeit ist ein Trinkglas unendlich mehr als ein Kreis, unendlich mehr als ein Rechteck, und nach oben hin offen! Ähnlich ist der Mensch unendlich mehr als das Ergebnis seiner Erziehungs- und Gesellschaftseinflüsse, unendlich mehr als seine genetischen und physiologischen Programme, und ebenfalls auf gewisse Weise »nach oben hin offen«. Im Textabschnitt umschrieb Frankl diese menschliche Offenheit mit der Bereitschaft, etwas in sich aufzunehmen. Wir gehen bestimmt nicht fehl, wenn wir darunter u. a. auch die spezifisch humane Bereitschaft verstehen, Signale aus der Transzendenz aufzunehmen und in sich klingen zu lassen.
Projiziere ich beispielsweise einen Zylinder, einen Kegel und eine Kugel aus dem dreidimensionalen Raum heraus in die zweidimensionale Ebene des Grundrisses hinein, dann ergibt dies in jedem Falle einen Kreis. Nehmen wir an, es handle sich um die Schatten, die der Zylinder, der Kegel und die Kugel werfen, dann sind die Schatten insofern mehrdeutig, als ich aus ihnen, die ja die gleichen sind, nicht darauf schließen kann, ob es ein Zylinder, ein Kegel oder eine Kugel ist, was sie wirft …