Zeitgenossen - Der Wille Adads (Bd. 5): Illustrierte Jubiläumsausgabe - Hope Cavendish - E-Book

Zeitgenossen - Der Wille Adads (Bd. 5): Illustrierte Jubiläumsausgabe E-Book

Hope Cavendish

0,0
5,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im 20. Jahrhundert durchleben Gemma und ihre Freunde viele Veränderungen. Erneut sehen sie sich mit einem großen Krieg und zudem einer grausamen Diktatur konfrontiert, die sie vor ihre bisher schwerste Prüfung stellt. Der machthungrige Ur-Vampir Nergal verfolgt unterdessen weiterhin seinen Plan, die Menschen zu unterjochen. Um sich ihm und seinen Verbündeten entgegenzustellen, müssen die Freunde alle ihre Kräfte bündeln und auf die Unterstützung alter Feinde hoffen. Wird es ihnen gelingen, das Gleichgewicht zwischen Menschen und Vampiren zu erhalten und den Willen des babylonischen Gottes Adad zu erfüllen?

"Der Wille Adads" ist der finale Band der historischen Vampirromanserie "Zeitgenossen". Im Mittelpunkt der Serie steht die Vampirin Gemma, die im Laufe der Jahrhunderte erfährt, was es bedeutet, unsterblich zu sein. Sie wird zur Zeitzeugin vieler historischer Ereignisse, erlebt Kriege, Entdeckungen und Revolutionen, begegnet der Liebe, dem Kampf und dem Tod. Ihre Freunde stehen ihr dabei oft zur Seite, doch ihren Weg muss Gemma letztendlich selbst finden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hope Cavendish

 

 

Zeitgenossen

Band V: Der Wille Adads

 

Jubiläumsausgabe mit farbigen Illustrationen

 

Impressum

Zeitgenossen – Band V: Der Wille Adads

Illustrierte Jubiläumsausgabe

Copyright © 2024 by Hope Cavendish

Rogue Books I.Service, Carolin Veiland, Franz-Mehring-Str. 70, 08058 Zwickau

[email protected]

 

Cover und Illustrationen: Hope Cavendish unter Verwendung von mit Midjourney erstelltem Bildmaterial

 

 

Alle Rechte vorbehalten.

Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher Erlaubnis der Autorin möglich.

Die Personen und Handlungen im vorliegenden Werk sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Erwähnungen von historischen bzw. realen Ereignissen, realen Personen oder Orten sind rein fiktional.

 

 

Die Zeitgenossen im Internet:

https://zeitgenossen-romane.de

 

Hope Cavendish im Internet:

https://hope-cavendish.de

https://facebook.com/Autorin.HopeCavendish

https://www.instagram.com/hope.cavendish

 

Inhaltsverzeichnis
Zeitgenossen
Impressum
Inhaltsangabe: Der Wille Adads
Inhaltshinweise
Prolog
Hollywood ruft
Ausgrabung eines alten Geheimnisses
Ein neuer Auftrag
Undercover
Eine grausame Diktatur
Eine Aktion im Verborgenen
Schnelllebige Zeiten
Alte Bekannte mit neuer Gesinnung
Annäherung an den Feind
Endkampf
Epilog
Glossar
Weitere Informationen zu den Zeitgenossen
Danke schön!
Liebe Leserin und lieber Leser,

Inhaltsangabe: Der Wille Adads

 

Im 20. Jahrhundert durchleben Gemma und ihre Freunde viele Veränderungen. Erneut sehen sie sich mit einem großen Krieg und zudem einer grausamen Diktatur konfrontiert, die sie vor ihre bisher schwerste Prüfung stellt. Der machthungrige Ur-Vampir Nergal verfolgt unterdessen weiterhin seinen Plan, die Menschen zu unterjochen. Um sich ihm und seinen Verbündeten entgegenzustellen, müssen die Freunde alle ihre Kräfte bündeln und auf die Unterstützung alter Feinde hoffen. Wird es ihnen gelingen, das Gleichgewicht zwischen Menschen und Vampiren zu erhalten und den Willen des babylonischen Gottes Adad zu erfüllen?

 

Der Wille Adadsist der finale Band der historischen Vampirromanserie Zeitgenossen. Im Mittelpunkt der Serie steht die Vampirin Gemma, die im Laufe der Jahrhunderte erfährt, was es bedeutet, unsterblich zu sein. Sie wird zur Zeitzeugin vieler historischer Ereignisse, erlebt Kriege, Entdeckungen und Revolutionen, begegnet der Liebe, dem Kampf und dem Tod. Ihre Freunde stehen ihr dabei oft zur Seite, doch ihren Weg muss Gemma letztendlich selbst finden.

 

Inhaltshinweise

 

Die Zeitgenossen sind eine historische Vampirromanserie. Fans des Vampirgenres werden darum gewisse Inhaltselemente vermutlich nicht überraschend finden, sondern sie gegebenenfalls sogar erwarten. Da es dennoch möglich sein kann, dass einige Leserinnen oder Leser bestimmte Passagen beunruhigend finden könnten, möchte ich hiermit darauf hinweisen, dass dieses Buch Szenen enthält, die folgende Themen beinhalten:

Erwähnung von Blut und Verletzungen

erotische Szenen und nicht explizite Beschreibung von einvernehmlichem Sex

rassistische, diskriminierende und herabwürdigende Äußerungen von Charakteren, die Anhänger des Nationalsozialismus sind

Erwähnung von Misshandlungen ohne explizite Darstellung oder Beschreibung

Erwähnung von Verfolgungen, Gräuel und Massentötungen durch das NS-Regime ohne explizite Darstellung

beschreibende, aber nicht explizite Darstellung von körperlicher Gewalt gegen Erwachsene und von Tötungen

Das Thema Menschlichkeit und die Frage, inwieweit man diese als Vampir beibehält, steht bei den Zeitgenossen im Vordergrund. Darum habe ich versucht, sensibel mit den obengenannten Themen umzugehen und die Gewaltelemente kritisch zu thematisieren.

 

Prolog

 

Eigentlich bin ich nicht zeitgemäß, ein wandelnder Anachronismus sozusagen. Wenn man aber bedenkt, dass ich inzwischen über 400 Jahre alt bin, habe ich mich unserer Zeit letztlich doch recht gut angepasst.

Im Grunde war ich in jeder Zeit, die ich durchlebte, gezwungen, mich anzupassen. Trotzdem bestand ein Großteil meines Lebens aus Kämpfen. Ich kämpfte für die Rechte der Frau, gegen Ungerechtigkeiten, gegen Vampirjäger und gegen perfide Artgenossen, wie die Sektenmitglieder der Sybarites, sowie gegen menschliche Feinde und Gegner im Krieg.

All diese Kämpfe hätte ich jedoch niemals ohne die Hilfe und den Beistand meiner Freunde durchstehen können. Da war zunächst Giles, meine große Liebe und zugleich mein Erschaffer. Er hatte mich damals in eine Vampirin verwandelt, um mir das Leben zu retten. Meine älteste Freundin Maddy war stets für mich da, wenn ich einen guten Rat benötigte. Ihr Lebensgefährte Miguel wiederum war fast immer an ihrer Seite und sein alter Kampfgenosse Francisco wurde ebenfalls zu einem wichtigen Freund für uns, ebenso wie der irische Schelm Fergus und Franciscos syrische Gefährtin Sadia. Als Gestaltwandler besaßen Fergus und Sadia neben ihren Vampirkräften zudem ganz besondere Fähigkeiten und haben uns damit als Gerfalke und als Skorpion schon so manches Mal unterstützt. Dann gab es da noch Giles’ Erschaffer Zervan, einen über zweitausend Jahre alten Vampir, der uns stets mit seiner unerschütterlichen Weisheit und Gelassenheit überraschte und uns geholfen hatte, die Ur-Vampire zu finden.

 

 

Die vier Ur-Vampire Gula, Dagan, Apason und Nergal waren gewissermaßen unsere Ahnen, denn sie stellten den Ursprung des Vampirismus dar. Sie selbst nannten sich Etemmu-Qebrus, waren vor fast viertausend Jahren in Babylonien unter ungewöhnlichen Umständen ums Leben gekommen und der babylonische Windgott Adad hatte dann aus ihren rastlosen Totenseelen die ersten Vampire der Geschichte erstehen lassen. Adad hatte den Etemmu-Qebrus Stärke, Macht und Unsterblichkeit gegeben, doch da ihr Leben abrupt und unnatürlich beendet worden war, waren sie zu stetem Durst nach dem Lebenssaft, dem Blut anderer Lebewesen, verflucht. Wenn sie andere Wesen verwandelten, übertrugen sie ihnen nicht nur ihre Stärke, sondern ebenso diesen Fluch. Da die Ur-Vampire sich teleportieren konnten und es nichts gab, das sie töten konnte, waren ihre Kräfte den unsrigen noch um einiges überlegen. Darum hatte Adad bestimmt, dass es ihnen unmöglich war, diese Eigenschaften weiterzugeben, wenn sie jemanden in einen Vampir verwandelten. So sollte verhindert werden, dass ein zu großes Ungleichgewicht zu den Menschen entstand.

Dem rachsüchtigen Nergal gefiel dieses Gebot allerdings nicht. Er strebte die Herrschaft der Vampire an und sein Ziel war es, die Menschen zu unterjochen. Zu diesem Zweck hatte er beispielsweise schon Vampirkriege entfacht, mehrfach die Sybarites unterstützt und auch ihre Entdeckung der Mort-Vivant-Erschaffung gefördert.

Gula, Dagan und Apason haben sich darum Nergal stets entgegengestellt und ihn überwacht. Bei unserer ersten Begegnung mit Gula hatten wir ihr versprochen, ihnen hierbei nach besten Kräften zu helfen. Doch Nergal hatte uns nur verhöhnt und uns angesichts der grausamen Gräueltaten, die wir im Großen Krieg unter den Menschen beobachten mussten, darauf hingewiesen, dass die Menschen es nicht wert seien, geschützt und als ebenbürtig erachtet zu werden. Nun war er uns abermals erschienen und hatte gedroht, uns die Erbärmlichkeit der menschlichen Rasse zu beweisen.

Ich begann mich zu fragen, ob es uns jemals gelingen würde, Adads Willen zu erfüllen und das Gleichgewicht zwischen Menschen und Vampiren zu erhalten. Wie viel Einfluss hatten die Ur-Vampire wirklich auf das Machtverhältnis zwischen Gut und Böse?

Hollywood ruft

»Stopp! Nein, so doch nicht!«, rief Chaplin und stellte ärgerlich das Megaphon beiseite. Dann rannte er in die Kulisse und machte dem Kostümierten vor, wie er das Huhn zu spielen hatte, indem er mit den Armen flatterte und den Kopf ruckartig bewegte.

 

 

»Nergal wird nicht aufgeben!« Diese Feststellung von Gula hallte in meinem Kopf wider. Der machthungrige Ur-Vampir hatte erst vor kurzem das Sybarite-Oberhaupt Momboisse in New Orleans dazu verleitet, die Sybarites wieder erstarken zu lassen, um die Menschen zu beherrschen. Wie konnten wir es abwehren, dass dies erneut geschehen würde?

Gula erkannte anscheinend die Sorge in meinem Gesicht und wandte sich mir zu. »Wir haben in New Orleans gemeinsam mit Dahoma das Schlimmste verhindern können«, erklärte sie mit ruhiger Stimme.

»Aber was können wir tun, damit so etwas nicht wieder passiert?«, fragte ich beunruhigt. »Sollten wir nicht vielleicht versuchen, Nergal auf den Fersen zu bleiben und etwas über seine weiteren Pläne herauszufinden?«

Gula lächelte mich milde an und augenblicklich verspürte ich erneut dieses wärmende Gefühl, das sich auch schon zuvor in ihrer Gegenwart in mir ausgebreitet hatte. »Es wird vorerst nicht notwendig sein, Nergal direkt zu verfolgen«, bekundete sie. »Seine Drohung, uns eines Tages die Schwäche der Menschen zu demonstrieren, war sicherlich ernstgemeint, aber Nergal lässt sich immer Zeit für die Umsetzung seiner Pläne. Obgleich er ungeduldig erscheint in seinem Bestreben, die Menschheit zu unterjochen, wird er nicht übereilt vorgehen.«

Francisco sah sie skeptisch an. »Aber er verfolgt diese Ziele ja immerhin auch schon seit geraumer Zeit«, wandte er ein.

»Das stimmt. Aber durch die mentale Verbindung aller Etemmu-Qebrus untereinander konnten wir immer rechtzeitig spüren, ab wann es notwendig wurde, Nergal wieder genauer zu überwachen«, entgegnete Gula. »Dies wird auch künftig so sein. Darum solltet ihr alle ruhig euer normales Leben wieder aufnehmen. Wenn ihr uns helfen möchtet, Nergal Einhalt zu gebieten, werden wir euch beizeiten informieren.«

Ich sah meine Freunde reihum an. Giles, Maddy und Miguel blickten mich zuversichtlich an, woraus ich schloss, dass sie Gulas Worten Glauben schenkten. Fergus grinste wie immer fröhlich, augenscheinlich hatte er also wohl keinerlei Bedenken, dass von Nergal in allzu naher Zeit wieder Scherereien zu erwarten wären. In Franciscos Miene las ich noch eine leise Skepsis. Doch dann sah er Sadia an, deren bewundernder Blick auf Gula ruhte, und ihr Vertrauen in die Ur-Vampirin schien ihn wiederum zu überzeugen. Ich blickte zu Dahoma, der mir prompt schmunzelnd zuzwinkerte. Bei ihm blieb es mir stets ein bisschen unklar, wie er zu all dem stand.

Schließlich hob Giles zu sprechen an: »Ich glaube, wir alle würden euch gerne nach besten Kräften unterstützen.«

Meine Freunde und ich nickten zustimmend, woraufhin uns Gula ruhig anlächelte. »Alsdann werden wir uns wiedersehen«, verkündete sie gesetzt, während ihr Anblick bereits schemenhaft zu werden begann. Im nächsten Moment war sie so unauffällig verschwunden, wie sie erschienen war.

»Nun denn, meine Freunde«, meldete sich daraufhin Dahoma aufgeräumt zu Wort. »Was haltet ihr davon, noch eine Zeitlang meine Gäste hier in New York zu bleiben? Die Stadt hat viele neue Attraktionen zu bieten, die ich euch zeigen könnte.«

»Warum eigentlich nicht?«, nahm Fergus die Einladung gut gelaunt für uns an. »Wir haben ohnehin gerade nichts Besseres zu tun.«

 

 

Dahoma hatte mit den Attraktionen New Yorks nicht übertrieben. Schon bei unserem letzten Besuch vor über 20 Jahren war die Stadt eine lebhafte Metropole mit zahlreichen Vergnügungsstätten gewesen. Doch der wirtschaftliche Aufschwung hatte sie tatsächlich noch weiter erblühen lassen. Zu Beginn des Jahrhunderts hatte das Park Row Building mit 29 Etagen und einer Höhe von 390 Fuß als der höchste Wolkenkratzer der Stadt gegolten. Inzwischen gab es unzählige Hochhäuser und sogar mehr als doppelt so hohe Gebäude, wie beispielsweise das Woolworth Building, das mit einer Höhe von 792 Fuß und 57 Stockwerken den aktuellen Wolkenkratzer-Rekord New Yorks innehatte. Mit der New York City Subway gab es mittlerweile auch ein recht ansehnliches U-Bahn-Netz in Manhattan, das den Verkehr auf den Straßen zwar entlastete, sich dennoch nicht ansatzweise mit dem Netz der London Underground vergleichen ließ.

Zudem hatte das landesweite Alkoholverbot anscheinend die Vergnügungssucht der Bevölkerung kaum geschmälert. Egal, wofür man sich interessierte, in New York konnte man sich rund um die Uhr amüsieren. Sportbegeisterte konnten im neu errichteten Yankee Stadium die New York Yankees und ihren Star Babe Ruth beim Baseball anfeuern. Wer das Theater liebte, hatte allabendlich die Wahl zwischen zahlreichen Komödien, Tragödien und Musicals rund um den Broadway. Nicht minder populär waren die vielen großen und luxuriös eingerichteten Filmtheater, die nunmehr die kleinen Nickelodeons zunehmend abgelöst hatten und Abend für Abend das Publikum mit imposanten Kinofilmen aus Hollywood lockten.

Und natürlich waren da auch die unzähligen Speakeasies, illegale Flüsterkneipen, in denen ausgelassen gefeiert wurde und der Alkohol trotz Prohibition in Strömen floss. Fast tagtäglich entstanden an irgendwelchen geheimen Orten in New York weitere dieser Etablissements, versteckt in Hinterräumen vermeintlich ehrbarer Friseursalons, Handwerksbetriebe, Lebensmittelläden oder auch privater Wohnungen.

Dahomas Nachtclub Jordan’s Laundry war eines der beliebtesten Speakeasies, was nicht nur daran lag, dass er anstelle des vielerorts ausgeschenkten, gepantschten Alkohols exquisite Schmuggelware aus Europa servierte. Sondern auch daran, dass er in seiner allabendlichen Show so viele talentierte Künstler präsentierte. Die Tänzer, Sänger und Musiker im Jordan’s Laundry brachten das Publikum mit ihren rasanten Darbietungen stets aufs Neue zum Toben.

 

 

Da war es wohl auch nicht verwunderlich, dass Dahomas Club oft auch von prominenten Gästen besucht wurde. So betraten eines Abends beispielsweise zwei Männer und eine Frau den Club und sahen sich suchend nach einem Tisch um, und als Dahoma ihrer gewahr wurde, erhob er sich sofort fröhlich lächelnd und begrüßte sie munter. Alsdann geleitete er sie an unseren Tisch und setzte an, uns einander vorzustellen, wobei ihm aber der eine Mann mit einem gutgelaunten »Hier kommt das tollkühne Trio!« zuvorkam. Er hatte eine athletische Figur und war sehr braungebrannt, wodurch seine durch ein breites Grinsen entblößten Zähne umso weißer erschienen. Ich überlegte gerade, warum er mir so bekannt vorkam, da legte ihm seine Begleiterin, eine zierliche Brünette mit großen Augen, tadelnd eine Hand auf den Arm. »Wo bleiben nur deine Manieren, Doug?«

Eine leise Ahnung, woher ich die beiden kennen konnte, erwachte in mir. In dem Moment schnaufte Fergus neben mir auf und rief begeistert. »Der Tramp! Es ist der Tramp!«

Ich folgte Fergus’ Blick, der auf den zweiten Mann gerichtet war. Dieser war einen Kopf kleiner als der andere und hatte seine schwarze Lockenpracht offenbar nur mühsam mit Pomade bändigen können. Er lächelte uns spitzbübisch an, lehnte sich auf einen imaginären Gehstock, um den er sodann trippelnd eine zierliche Pirouette vollführte. Auch wenn seine Markenzeichen, die Melone und der aufgeschminkte Schnauzbart, hier fehlten, war es unverkennbar, dass er Charlie Chaplin war, und Fergus hatte ihn sofort erkannt. Nun bestand auch kein Zweifel mehr daran, dass es sich bei dem Paar in Chaplins Begleitung um Douglas Fairbanks und Mary Pickford handelte, nicht minder berühmte Filmstars, die vor ein paar Jahren gemeinsam mit Chaplin die unabhängige Filmgesellschaft United Artists gegründet hatten. Lächelnd reichten wir alle einander die Hand, während Dahoma uns als seine »guten Freunde vom Kontinent« bezeichnete und uns alle reihum vorstellte.

»Vom Kontinent?«, wiederholte Fairbanks fragend, derweil die Drei sich zu uns setzten. »Woher kommen Sie denn genau?«

»Gemma, Maddy und ich stammen aus England«, erklärte Giles, »Fergus aus Irland, Francisco und Miguel aus Spanien und Sadia aus Syrien.«

»Aus Syrien?« Chaplin beugte sich interessiert zu Sadia hinüber. »Sind Sie womöglich eine echte orientalische Prinzessin?«

»Orientalin: ja. Prinzessin: nein«, antwortete Sadia lächelnd.

»Und sie lebt zudem schon eine ganze Weile in Spanien«, ergänzte Francisco mit wachsamem Blick und legte demonstrativ seine Hand auf Sadias.

Chaplin gab einen übertriebenen Seufzer von sich. »Ich verstehe!«, sagte er bedauernd und lächelte dann spitzbübisch.

»Wir waren während unserer Hochzeitsreise in Europa«, meldete sich nun Fairbanks wieder zu Wort. »Ich liebe den Kontinent! Alles ist so geschichtsträchtig und die Menschen sind so kultiviert!«

»Na ja, es gibt auch in Europa ein paar Banausen«, entgegnete Fergus heiter. »Aber selbstredend repräsentieren meine Freunde und ich das vornehme Blut.«

Anscheinend kam Fergus gerade mal wieder in Fahrt, darum versetzte ich ihm unauffällig einen leichten Tritt unter dem Tisch.

Doch Fairbanks schien von dessen Bemerkung ziemlich angetan. »Das habe ich mir gleich gedacht. Ich wette, Sie stammen alle aus adligen Familien?«

Fergus senkte demütig die Lider. »Ach Gott, ich selbst bin ja nur ein einfacher Sir, doch mein Freund Giles hier ist ein Viscount, Francisco ein Marqués, Miguel ein Barón, und Gemma und Maddy sind Marquises.«

Fairbanks riss beeindruckt die Augen auf und starrte zu Dahoma hinüber. »Holy Moly, Dahoma, du hast mir ja nie erzählt, dass du so hochwohlgeborene Freunde hast!«

»Ach, heutzutage haben solche Titel doch gar nicht mehr so viel zu sagen«, wehrte Giles Fairbanks’ Bewunderung ab.

»Meinen Mann können Sie mit Titeln immer beeindrucken«, widersprach Mary Pickford lächelnd. »Unser Charles stammt ja auch aus England«, sie deutete auf Chaplin, »allerdings kommt er aus eher einfachen Verhältnissen.«

Chaplin protestierte gespielt beleidigt. »Du kränkst mich, meine Liebe! Immerhin entstamme ich dem vornehmsten Bühnenadel, einer langen Reihe von Gauklern, Clowns und Artisten.«

»Das könnte man von unserem Fergus direkt auch annehmen«, erklärte Giles trocken.

»Mylord, das trifft mich bis ins Mark!«, gab sich Fergus empört. »Dafür sollte ich Euch fordern! Gleich hier und jetzt! Ihr wählt die Waffen!«

»Ein Duell! Ein Duell!«, johlte Fairbanks und klatschte begeistert in die Hände. Er deutete eine leichte Verbeugung gegenüber Giles an. »Ich biete mich als Ihr Sekundant an.«

Derweil verneigte sich Chaplin grinsend vor Fergus. »Und ich mich als der Ihrige. Wir Gaukler müssen schließlich zusammenhalten.«

Fergus klopfte ihm gerührt auf die Schulter. »Meiner Treu! Das nenne ich wahre Loyalität!«

Mary Pickford seufzte lächelnd und sah mich verständnisvoll an. »Anscheinend sind Ihre Jungs ebenso schwer zu bändigen wie meine?«

»Ja, leider!«, antwortete ich lachend. »Sie sind immer noch nicht dem Flegelalter entwachsen.«

Fairbanks beugte sich mit Verschwörermiene zu Giles hinüber. »Die Ladies wissen einen guten Kampf halt nicht zu schätzen.«

Giles sah spitzbübisch lächelnd zu mir herüber und ich merkte ihm an, dass er geneigt war, Fairbanks zu widersprechen, da er mich ja schon bei dem einen oder anderen Kampf erlebt hatte. Darum gab ich ihm mit einem warnenden Blick zu verstehen, nicht zu viel über uns zu verraten. Giles deutete mein Mienenspiel richtig und erwiderte daraufhin mokant, dass vom »zarten Geschlecht halt nicht zu viel zu erwarten« sei.

Fairbanks stimmte ihm prompt fröhlich zu, was seine Gattin zum Anlass nahm, sich zu erheben und reihum Sadia, Maddy und mich anzuschauen. »Meine Damen, was halten Sie davon, mir an die Bar zu folgen? Ich würde Sie gerne zu einer Flasche Champagner einladen. Oder auch zwei oder drei. Unterdessen können die Herren dann ausgiebig diskutieren, was sie heute Nacht vielleicht noch von uns zu erwarten haben – oder auch nicht.« Sie lächelte uns entspannt an und Maddy, Sadia und ich folgten vergnügt ihrem Vorschlag und ließen die Männer mit leicht verdutzten Mienen an unserem Tisch zurück. Dahomas gewohnt heiseres Lachen hallte uns leise hinterher, als wir zu Bar hinüber gingen.

An der Bar nahmen wir auf vier nebeneinanderstehenden Hockern Platz, während Mary die erste Flasche Dom Pérignon orderte. Der Barkeeper stutzte für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er uns dann routiniert den Champagner einschenkte. Auch wenn sich die Rechte und Freiheiten für Frauen seit dem Krieg massiv verbessert hatten und wir inzwischen in der Öffentlichkeit ebenso ungezwungen feiern konnten wie die Männer, so war der Anblick von vier Damen, die ohne männliche Begleitung an einer Bar saßen und tranken, doch für die meisten immer noch ungewohnt.

Nachdem wir einander zugeprostet hatten, erklärte Mary: »Ich muss mich für Doug entschuldigen. Im Großen und Ganzen ist er relativ pflegeleicht. Aber manchmal schlägt er etwas über die Stränge.«

»Aber das ist doch nicht der Rede wert«, entgegnete Maddy lächelnd. »Die Männer sind halt zuweilen ein wenig übermütig. Hin und wieder sind wir das doch auch.« Sie zwinkerte mir zu und ich erinnerte mich an den einen oder anderen Schabernack, den Maddy und ich gemeinsam getrieben hatten. Zum Beispiel im Jahre 1601 mit jenem zudringlichen Großgrundbesitzer in Schottland, dem wir als vermeintliche Hexen den Schreck seines Lebens eingejagt hatten.

»Na, Sie haben ja auch gut reden«, versetzte Mary. »Ihr Miguel scheint eher der ruhige Typ zu sein.«

»Aber Francisco kann ziemlich temperamentvoll werden«, meldete sich nun Sadia zu Wort.

»Aber wohl kaum dir gegenüber?«, hakte ich zweifelnd nach. »Ich glaube, er könnte dir nie böse sein.«

»Das stimmt.« Sadia lächelte verliebt. »Er liegt mir förmlich zu Füssen – auch wenn er das niemals zugeben würde.«

Mary nahm einen Schluck aus ihrem Champagnerglas und musterte mich prüfend. »Was ist mit Ihnen? Liegt Ihrer Ihnen auch zu Füssen?«

Ich schüttelte zögernd den Kopf. »Nein, das nun doch nicht. Aber das würde ich auch gar nicht wollen.«

Pickford sah mich eine Weile lang schweigend an. Dann nickte sie zustimmend. »Allem Anschein nach ist Ihre Beziehung meiner am ähnlichsten. Aber er respektiert Sie?«

Ich nickte. »Wir respektieren uns gegenseitig. Anders würde es nicht funktionieren. Vor allem da wir bei allen Gemeinsamkeiten auch immer mal wieder unabhängige Ziele verfolgen.«

Mary erhob feierlich ihr Glas. »Diese Akzeptanz der Männer ist eine der wichtigsten Errungenschaften unserer Zeit. Es lebe das 20. Jahrhundert!«

Da wir Mary Pickford nur schwerlich hätten erklären können, dass zumindest unsere Männer diese Akzeptanz uns gegenüber bereits vor gut zweihundert Jahren erlernt hatten, stimmten wir in ihren Toast mit ein.

Anschließend fragte Mary uns, womit wir uns denn üblicherweise beschäftigten, und als sie von Maddys Tätigkeit als Ärztin, Sadias Interesse für die Elektronik und meinem Engagement für frauenrechtliche Themen hörte, zeigte sie sich beeindruckt.

»Meine Damen, was halten Sie davon, Doug und mich für eine Zeitlang auf unserem Anwesen Pickfair in Kalifornien zu besuchen?«, fragte sie schließlich. »Denn wir müssen leider schon morgen wieder zurückreisen und ich hätte gerne viel mehr Zeit mit Ihnen verbracht, um unsere anregenden Gespräche zu vertiefen. Ich bin sicher, auch im Namen meines Mannes zu sprechen, ja, ich würde mich gar nicht wundern, wenn er da drüben am Tisch bereits eine ähnliche Einladung ausgesprochen hätte.«

Ich wechselte einen kurzen Blick mit Maddy und Sadia und sah ihnen an, dass sie ebenso wie ich nicht abgeneigt waren, dem Vorschlag Folge zu leisten.

»Lassen Sie uns doch zu den Männern zurückkehren und schauen, was sie dazu sagen«, schlug ich vor.

»Ah, die holde Weiblichkeit beehrt uns wieder«, begrüßte Fairbanks uns aufgeräumt, als wir an den Tisch zurückkehrten. Chaplin ließ es sich unterdessen nicht nehmen, Sadia den Stuhl zurechtzurücken, was diese mit einem Lächeln und Francisco mit einer hochgezogenen Augenbraue quittierte.

»Schnurzelchen, du wirst es kaum glauben, diese englischen Burschen sind zwar rasend kultiviert, aber von Filmen verstehen sie überhaupt nichts«, stellte Fairbanks an Pickford gewandt fest. »Das ist für Charlie und mich natürlich ein unhaltbarer Zustand, darum haben wir überlegt, unsere Freunde vom Kontinent für eine Weile nach Pickfair einzuladen und ihnen in Hollywood alles zu zeigen. Was hältst du davon?«

Mary lächelte uns daraufhin nur wissend an, während Fairbanks zu quengeln begann, weil sie ihm nicht antwortete. »Hm? Na? Was hältst du davon, Himbeertörtchen? Nun sag schon!«

 

 

Drei Tage später bestiegen wir in der Grand Central Station einen Zug, in dem wir vier Schlafwagenabteile gebucht hatten, in Richtung Kalifornien. Meine Freunde und ich hatten die Einladung von Pickford, Fairbanks und Chaplin gerne angenommen – nicht zuletzt, weil Maddy, Miguel, Francisco und Sadia noch nie in Kalifornien gewesen waren. Fergus, Giles und ich waren wiederum neugierig, inwieweit sich die Region seit unserem letzten Besuch vor etwa zwanzig Jahren wohl verändert haben mochte. Zudem war der Staat noch längst nicht so dichtbesiedelt wie New York, was es uns einfacher machen würde, unsere Verpflegung zu sichern. Denn obgleich wir dank der Möglichkeit, heutzutage Blutkonserven zu lagern, auch in New York nicht von Durst geplagt waren, erschien die Aussicht dennoch recht verlockend, einmal wieder auf die Jagd gehen und frisches Wildtierblut genießen zu können.

Wie gewohnt hatten wir in Chicago einen kurzen Zwischenaufenthalt, weil wir dort den Zug wechseln mussten, und ich fühlte mich an die Zeit erinnert, in der ich dort gemeinsam mit Dahoma und Giles den Duc de Longueville beschattet hatte, um hinter das Geheimnis der Mort-Vivant-Erschaffung zu kommen. Seinerzeit hatte zwischen Giles und mir ein sehr gespanntes Verhältnis geherrscht, weil ich ihm während seiner fast zehn Jahre dauernden Gefangenschaft bei den Rittern des Dan großes Unrecht angetan hatte. In Chicago hatte sich diese Spannung zwischen uns schließlich in einem leidenschaftlichen Intermezzo entladen, das schlussendlich zu unserer Versöhnung geführt hatte. Ich sprach Giles darauf an, als der Zug den Bahnhof verließ und wir aus unserem Abteilfenster die Lichter des nächtlichen Chicago betrachteten.

»Selbstverständlich erinnere ich mich daran«, raunte Giles mir ins Ohr, während seine Arme mich von hinten umschlungen. »Anscheinend waren wir recht ausgehungert nacheinander.«

Er drückte mich an sich und an meinem Gesäß spürte ich, dass sein Hunger auch jetzt wieder geweckt worden war. Sofort loderte in mir das nur allzu vertraute Feuer, das selbst nach all den Jahren nie zu erlöschen schien. Ich drehte mich zu Giles um, presste meine Lippen in einem heißen Kuss auf seine und ließ es zu, dass er mich auf das Abteilbett zog, während das rhythmische Stampfen der Zugräder im Hintergrund das sich steigernde Tempo unserer Erregung untermalte.

 

 

Drei Tage später kam unser Zug in Los Angeles an, wo uns drei Chauffeure in Uniform am Bahnhof abholten und uns zu drei Limousinen führten, die – wie Francisco uns erklärte – exklusive und nur in limitierter Menge produzierte Modelle des Herstellers Du Pont Motors waren.

Die Wagen brachten uns dann nach Beverly Hills, wo das Pickfair genannte Anwesen von Douglas Fairbanks und Mary Pickford auf einem kleinen Hügel am Fuße des Benedict Canyons inmitten eines 18 Acres großen Grundstücks thronte.

Mary Pickford empfing uns strahlend in der geräumigen Eingangshalle der Villa und entschuldigte sich, dass Doug uns leider nicht begrüßen konnte, da er derzeit bei Dreharbeiten im Studio war. Dann führte sie uns in vier sehr geschmackvoll eingerichtete Gästezimmer. »Wenn Sie möchten, führe ich Sie im Haus herum, aber vielleicht wollen Sie sich nach der langen Reise erst einmal ein wenig erholen?«, fragte sie. »Ich habe unten am Pool ein paar Erfrischungen für uns alle anrichten lassen. Albert bringt Sie gerne dorthin, nachdem Sie sich etwas frisch gemacht haben.« Sie wies auf einen vornehm dreinblickenden Butler, der im Hintergrund bereits die Dienerschaft angewiesen hatte, unser Gepäck auf unsere Zimmer zu verteilen und uns nun huldvoll zunickte und sodann gemeinsam mit Pickford verschwand.

Giles warf einen nachdenklichen Blick auf das Kingsize Bett in der Zimmermitte und sah mich dann mit glitzernden Augen an. »Was meinst du? Sollen wir es rasch ausprobieren, bevor wir hinuntergehen?«

Ich lachte amüsiert auf. »Ein verlockendes Angebot! Aber wir sollten eventuell lieber noch ein paar Schlucke von unserem Reisevorrat an Blut zu uns nehmen, ehe wir uns zu unserer Gastgeberin gesellen. Das ermöglicht es uns, etwas entspannter beim Verzehr ihrer Erfrischungen zu bleiben.«

Widerstrebend gab Giles mir recht und nach dem wir uns umgezogen und gestärkt hatten, ließen wir uns von Albert gemeinsam mit den anderen an den großen nierenförmigen Pool an der Westseite des Grundstücks bringen.

Dort wartete zu unserer Überraschung nicht nur Mary mit einem üppigen Buffet exquisiter kalter Platten auf uns, sondern auch ein hochgewachsener, sehr attraktiver Mann, der uns mit melancholischem Blick anschaute. Ich erkannte ihn sofort als den gefeierten Filmstar Rudolph Valentino, wenngleich Mary ihn nur als ihren »Hausgast und lieben Freund Rudy« vorstellte. Mit traurigem Gesicht reichte er uns allen die Hand, nur bei der Begrüßung von Sadia flackerte kurz so etwas wie Interesse in seinen Augen auf.

Während Mary uns ans Buffet führte, ließ sich Valentino ermattet auf einen der Liegestühle am Pool sinken, und unsere Gastgeberin raunte uns zu, dass sich »Rudy« in ihrem Haus gerade von seiner strapaziösen Ehe mit der launenhaften Künstlerin Natacha Rambova erhole.

»Leben die beiden denn in Scheidung?«, fragte Maddy neugierig, die den Darsteller romantischer Liebhaber offensichtlich ebenso schnell erkannt hatte wie ich.

»Bislang nicht«, verneinte Pickford, »aber vermutlich kommt es früher oder später doch noch dazu. Nur macht die liebe Natacha unserem Rudy mit ihren Launen leider das Leben zur Hölle. Kürzlich hat er sogar versucht, sich umzubringen.« Sie sah mitleidig zu Valentino hinüber und interessiert folgten wir ihrem Blick.

»Kennt ihr beiden den Mann denn auch?«, fragte Sadia nun Maddy und mich, woraufhin wir sie überrascht ansahen.

»Das ist Rudolph Valentino, ein berühmter Filmstar!«, verkündete Maddy zwar leise, aber nichtsdestoweniger nachdrücklich. »Hast du noch keinen seiner Filme gesehen?«

Sadia schüttelte den Kopf. »Nein. In was für Filmen hat er denn gespielt?«

»Nun beispielsweise spielte er die Titelrolle in ›Der Scheich‹«, begann ich. »Als Scheich Ahmed Ben Hassan entführt er Lady Diana Mayo und verliebt sich in sie.«

»In ›Camille‹ verkörperte er den Studenten Armand, der der Kurtisane Marguerite verfällt, und in ›Blood and Sand‹ den berühmten Matador Juan Gallardo, der in eine Amour fou mit der schönen Carmen gerät«, zählte Mary Pickford auf.

»Und in ›A Sainted Devil‹ ist er der Edelmann Don Alonzo de Castro, der seine Braut vor den Intrigen seiner eifersüchtigen Exgeliebten und aus den Fängen eines skrupellosen Banditen rettet«, ergänzte Maddy.

Sadia nickte beeindruckt und reckte ein wenig den Hals, um Valentino etwas besser in Augenschein nehmen zu können.

Die Männer hatten sich unterdessen an einem Bartisch weiter hinten versammelt und dank meines Vampirgehörs konnte ich aufschnappen, worüber sie sich gerade unterhielten.

»Allem Anschein nach kennen sich unsere Damen mit dem Œuvre dieses schwermütigen Hausgastes sehr gut aus«, kommentierte Giles mit spöttischem Lächeln an Miguel gewandt und nippte an seinem Champagnerglas.

»Den Eindruck habe ich ebenfalls«, antwortete dieser schmunzelnd.

»Ihr könnt es ihnen doch nicht verdenken, dass sie von dem Knaben so hingerissen sind«, erklärte Fergus grinsend. »Schließlich seid ihr beiden schon ein wenig eingerostet.«

Giles und Miguel boxten ihn entrüstet lachend in die Seite.

Francisco hingegen kniff nur nachdenklich die Augen zusammen und behielt Sadia im Blick.

 

 

Nachdem wir den Nachmittag über mit Mary geplaudert, uns im Pool erfrischt, auf den Liegestühlen entspannt und zum Schein am Buffet gelabt hatten, gesellten sich am Abend Douglas Fairbanks und Charlie Chaplin zu uns.

»Da sind ja meine hochwohlgeborenen Freunde«, begrüßte Fairbanks uns entzückt. »Als dieser Bursche erfuhr, dass Sie hier sind, ließ er es sich nicht nehmen, mich zu begleiten.« Er wies auf Chaplin, der mit einem breiten Lächeln eine Verbeugung andeutete.

Die beiden schnappten sich zwei Liegestühle und setzten sich zu uns, wobei sich Chaplin direkt zwischen Sadia und mich platzierte und erstere mit einem theatralischen Augenklimpern anschmachtete. »Meine orientalische Blume!«, flötete er. »Seit unserer letzten Begegnung finde ich keinen Schlaf mehr. Eure Schönheit peinigt mich in meinen Träumen!«

»Obgleich Sie nicht schlafen können, gelingt es Ihnen dennoch, zu träumen?«, erwiderte Sadia prompt vergnügt. »Das ist interessant.«

»Und wenn er nicht schleunigst beginnt, von anderen Themen zu träumen, werden ihn noch ganz andere Dinge peinigen ...«, fügte Francisco unverzüglich, aber grinsend hinzu.

Wir alle lachten laut auf, nur Valentino, der den ganzen Nachmittag über eher schweigsam in seinem Liegestuhl gelegen hatte, beugte sich zu Sadia hinüber. »Sie stammen aus dem Orient?«, fragte er interessiert. »Woher denn genau?«

»Aus Deir ez-Zor. Das liegt am Rande der Syrischen Wüste.«

Valentino ließ seinen melancholischen Blick in die Ferne schweifen. »Die Wüste! Erbarmungslos und wundervoll zugleich.«

»Waren Sie schon einmal dort?«, fragte Sadia.

»Leider nicht.«

»Das ist schade«, meldete sich nun Fergus grinsend zu Wort. »Ich kann Ihnen versprechen, dass so ein ordentlicher Sandsturm Sie mal wieder so richtig auf Vordermann bringen kann.«

»Haben Sie tatsächlich schon einmal einen Sandsturm erlebt?«, fragte Fairbanks neugierig. Daraufhin erzählte Fergus ihm von unserer Wüstenexpedition, verschwieg allerdings, dass wir dabei auf der Suche nach unseren vampirischen Ursprüngen gewesen waren, sondern nannte als Ziel die Besichtigung der alten babylonischen Kultstätten.

Während Fairbanks und Chaplin – sofort Feuer und Flamme für unsere Abenteuer – Giles und Fergus in ein Gespräch über unsere Reisen verwickelten, wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder Valentino zu, der mit glühendem Blick Sadia bei ihrer Unterhaltung mit Pickford, Maddy und Miguel beobachtete.

Mit leichtem Unbehagen registrierte ich, dass Francisco ebenfalls jenen Blick bemerkt hatte. Zwar umgarnte auch Chaplin Sadia ständig, doch tat er dies auf so öffentliche und übertriebene Weise, dass jedermann begriff, dass es wohl eher scherzhaft gemeint war. Valentino hingegen ...

Ich hielt es für ratsam, die Situation ein wenig aufzulockern, darum wandte ich mich an Mary Pickford. »Wollten Sie uns nicht die Villa zeigen? Ich habe schon so viel von Ihrem beeindruckenden Einrichtungsstil gehört und bin darauf ganz gespannt.«

»Aber natürlich gerne!«, erwiderte Mary sofort erfreut und forderte uns alle auf, ihr ins Haus zu folgen. »Rudy kennt Pickfair ja bereits zur Genüge, darum könntest du ihm hier am Pool ein wenig Gesellschaft leisten, Doug«, bat sie Fairbanks. Die beiden fügten sich ihrem Vorschlag, Chaplin hingegen schloss sich uns fröhlich an.

 

 

Kurz darauf führte uns Mary – ganz die stolze Gastgeberin – durch die Villa. »Früher stand hier auf dem Grundstück lediglich eine kleine Jagdhütte«, begann sie die Führung. »Wir haben das Gebäude dann großräumig aus- und umgebaut. Fast alle Räume haben Parkettboden und holzverkleidete Wände, hier in der Halle haben wir die Decke zudem mit Fresken verzieren lassen.«

In einem Nebentrakt des Hauses zeigte Mary uns einen Raum, der komplett wie ein alter Wildwest-Saloon gestaltet war, mit einer Mahagony-Bar mit vergoldeten Armaturen an der einen Wand, diversen Tischen und Stühlen sowie verschiedenen Bildern des Wildwest-Malers Frederic Remington an den übrigen Wänden. »Hier feiern wir oft Partys mit unseren Freunden«, erklärte Mary lächelnd.

»Und was für welche!«, fügte Chaplin übermütig hinzu.

In einer Vitrine entdeckten wir mehrere flache Blechpfannen mit Rillen am Rand sowie verschieden geformte Rinnen.

»Eine Ausrüstung zum Goldwaschen«, stellte Fergus fachkundig fest.

»Kennen Sie sich damit aus?«, fragte Chaplin neugierig.

»Ein bisschen«, antwortete Fergus prompt. »Damals beim kalifornischen Goldrausch ...«, er fing einen warnenden Blick von mir auf und fuhr hastig fort, »... war mein Großonkel dabei. Und er berichtete mir, wie sie mit solchen Geräten die Goldnuggets ausgesiebt haben.«

Chaplin sah ihn nachdenklich an. »Ich dachte, Ihre Familie gehört zum irischen Landadel?«

»Das stimmt auch. Aber mein Großonkel war das schwarze Schaf der Familie. Ihn zog es in die Neue Welt, auf der Suche nach Glück und Gold. Und später kehrte er zurück in den Schoss der Familie und berichtete von seinen Abenteuern.«

»Diese Ausrüstung ist übrigens echt antik«, verkündete Mary. »Sie stammt aus der Zeit des Klondike-Goldrausches und Charlie wollte sie mir schon abluchsen, weil er gerade einen Film zu dem Thema dreht.«

»Und genau deshalb müssen Sie mir unbedingt von den Abenteuern Ihres Großonkels berichten«, ergänzte Chaplin launig an Fergus gewandt. »Ich könnte noch ein wenig Inspiration gebrauchen.«

Der Salon, den Mary uns anschließend zeigte, war mit verschiedenen antiken Möbeln eingerichtet, darunter eine bauchige Kommode mit filigranem chinesischen Dekor.

Pickford wies mit einer einladenden Geste in den Raum. »Unser Rokoko-Zimmer. Leider nur im Rokoko-Stil, die Möbel sind Anfang des Jahrhunderts hergestellt worden.«

Fergus strich über die Oberfläche der Kommode. »Ja, die Verarbeitung lässt auf eine maschinelle Fertigung schließen. Nichtsdestoweniger ein sehr schönes Stück im Louis-quinze Stil.«

»Louis XV.?«, fragte Chaplin. »War das nicht der französische König, der sein Volk so gebeutelt hat, dass es zu revoltieren begann?«

»Die Französische Revolution brach allerdings erst unter seinem Nachfolger Louis XVI. aus«, widersprach ich. »Und Louis XV. hätte gerne mehr Reformen durchgesetzt, musste jedoch stets gegen den Widerstand seiner Parlamente und der Adelsopposition kämpfen.«

Chaplin zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Das klingt ja fast, als wären Sie seinerzeit dabei gewesen.«

»Geschichte ist eines von Gemmas Steckenpferden«, erklärte Maddy daraufhin schmunzelnd. »Und die Beschäftigung mit Architektur und verschiedenen Kunstepochen wiederum eines von Fergus’ Interessensgebieten, weshalb er sich auch ein wenig mit Möbeln auskennt. Unglückseligerweise haben wir alle viele Interessensgebiete.«

Chaplin nickte sinnierend. »So etwas reicht gleich für mehrere Leben. Aber umso dringender muss ich darauf bestehen, dass Sie mich einmal bei den Dreharbeiten besuchen kommen. Offensichtlich könnten Sie mich in vielerlei Hinsicht beraten.«

 

 

Als wir am nächsten Morgen ins Frühstückszimmer kamen, fanden wir wieder ein reichhaltiges Angebot an für Menschen sicherlich delikaten Speisen vor.

Douglas Fairbanks saß schon am Tisch und begrüßte uns wie üblich freudestrahlend. »Mary hat sich mal wieder selbst übertroffen.« Dann stutzte er kurz mit einem Blick auf Valentino, der direkt hinter uns erschien. »Mein lieber Rudy, so früh bekommen wir dich doch sonst nie hier zu Gesicht.«

Valentino sah ihn ernst an. »Schließlich möchte ich nicht unhöflich gegenüber euren Gästen erscheinen.« Mit einer galanten Bewegung rückte er für Sadia einen Stuhl zurecht und fragte sie, ob er ihr etwas vom Frühstücksbuffet bringen dürfe.

Sadia zögerte, was Valentino falsch deutete. »Vermutlich sind Sie normalerweise exotischere Speisen gewohnt?«, erkundigte er sich.

»Alter Knabe, Sie haben ja gar keine Ahnung!«, antwortete ihm daraufhin Francisco mit grimmigem Grinsen und nahm demonstrativ neben Sadia Platz.

Valentino betrachtete ihn irritiert, woraufhin Mary Pickford nach seinem Arm griff und ihn zum Buffet führte. »Nun sei ein braver Junge Rudy. Hol dir etwas zu essen und leiste unseren Gästen Gesellschaft!«

Fergus und Giles feixten breit und schadenfroh, was mich dazu veranlasste, sie mit einem sanften Knuff zur Räson zu rufen.

Hernach erhob sich Fairbanks und erklärte entschuldigend, dass er sich nun auf den Weg ins Filmstudio machen müsse. »Aber Mary wird sie ja nachher zu uns bringen. Ich freue mich schon darauf, Ihnen alles zu zeigen. Am Wochenende werde ich zudem etwas mehr Zeit für Sie haben. Vielleicht können wir dann ja mal gemeinsam auf die Jagd gehen?«

»Eine hervorragende Idee!«, rief Fergus derart vergnügt, dass ich mich gezwungen sah, ihm unter dem Tisch einen kleinen Tritt zu verpassen.

 

 

Nach dem Frühstück fuhren wir zu den Pickford-Fairbanks Studios. Valentino begleitete uns, was bei Mary Verwunderung und bei Francisco leichte Gereiztheit hervorrief.

Nachdem wir mit den Limousinen ein breites Tor durchquert hatten, hielten wir auf einem großen Parkplatz vor einem Bürogebäude an. Ein wenig enttäuscht blickte ich mich um. Irgendwie hatte ich mir ein Hollywoodstudio abenteuerlicher und voller bunter Kulissen vorgestellt.

In dem Moment kam Fairbanks strahlend auf uns zu. Auf dem Kopf trug er einen flachen schwarzen Filzhut im Stil spanischer Flamencotänzer, dazu einen schwarzen engen Anzug, an den Beinen lange schwarze Lederstiefel und im Gesicht einen aufgeklebten dünnen Schnurrbart. Er wies uns an, in mehrere kleine Automobile mit offenem Verdeck umzusteigen, die zahlreich auf dem Parkplatz bereitstanden, offenbar das übliche Transportmittel auf dem Studiogelände.

Während Mary zurückblieb, da sie noch Büroarbeit zu erledigen hatte, wurden wir von Douglas und seinen Mitarbeitern in einer großen Kurve um das Bürogebäude herum kutschiert und fanden uns nur wenige Minuten später inmitten eines mittelalterlichen Burghofes wieder.

»Hier haben wir ›Robin Hood‹ gedreht«, berichtete Fairbanks stolz und klopfte an eine Wand der Burgmauer, was einen verdächtig hölzernen Ton verursachte. »Selbstverständlich bestehen die Kulissen nur aus Holz und Pappe.«

Dennoch war ich beeindruckt. Dies entsprach schon eher meiner Vorstellung von einem Hollywoodstudio.

Hinter dem Burghof befand sich wiederum eine Freifläche mit einem großen künstlichen See, der für die Dreharbeiten von Szenen auf dem Meer angelegt worden war, wie Douglas uns darlegte. Von dort aus blickten wir auf eine hohe und etliche Yards breite Konstruktion aus Holzgerüsten mit mehreren Türmen und Kuppeln. »Das ist die Rückseite von Bagdad«, erklärte Fairbanks lachend, und als wir die Konstruktion mit unseren Wagen umrundet hatten, begriff ich, was er meinte.

Denn von der anderen Seite aus präsentierte sich uns eine bunte, exotische Kulisse orientalischer Architektur, die wir sofort als den Schauplatz von »Der Dieb von Bagdad« erkannten. Der Film war gerade mit großem Erfolg in den Kinos angelaufen und begeisterte das Publikum nicht zuletzt durch seine diversen Effekte, zu denen unter anderem ein magisches Seil und ein fliegender Teppich zählten.

»Gefällt es Ihnen?«, fragte Valentino an Sadia gewandt. »Ich kann Sie mir sehr gut auf dem Balkon dort oben vorstellen. Das Gesicht mit einem zarten Seidentuch verhüllt, der Blick sehnsüchtig auf den Horizont gerichtet, auf der Suche nach dem Geliebten, der zur Verteidigung von Ihnen, seiner angebeteten Prinzessin, in den Kampf ziehen musste.«

»Offen gestanden war mein Leben in Syrien von dem einer Prinzessin weit entfernt«, erwiderte Sadia lächelnd. »Und die Sehnsucht nach einem Geliebten ist den Frauen in meinem Land auch eher untersagt. Dort ist es üblich, dass die Familie den Ehemann aussucht und oft ist es jemand, der dem Vater in geschäftlicher Weise nutzt.«

Valentino sah sie entsetzt an. »Aber so etwas ist barbarisch! Niemand sollte ein empfindsames Herz derart quälen dürfen. Auch die eigene Familie nicht. Eine so wunderschöne Frau sollte sich ihren Geliebten selbst aussuchen dürfen.«

Francisco beugte sich mit einem wölfischen Lächeln zu ihm hinüber. »Und genau das hat sie auch getan, mein Freund!« Dann griff er nach Sadias Hand und schlenderte mit ihr ein Stück weiter das Gelände hinab.

Valentino indes blickte ihnen nachdenklich hinterher und es verblüffte mich einigermaßen, dass er nicht im Mindesten eingeschüchtert wirkte. Dass Francisco wiederum bislang sein Temperament so gut im Griff hatte, beeindruckte mich allerdings ebenso.

Als Nächstes zeigte uns Douglas Fairbanks einen Kulissenbereich, der im Stil einer spanischen Hacienda gestaltet war und – wie er uns erklärte – für seine aktuelle Produktion errichtet worden war. »Der Mann mit der Peitsche« hieß der Film und Douglas spielte darin den Landedelmann Don Cesar de Vega, der aufgrund einer Intrige seines Erzrivalen unschuldig zum Tode verurteilt wird, sich aber retten kann und später als maskierter Rächer zurückkehrt und schließlich nicht nur seinen Ruf rehabilitiert, sondern auch das Herz seiner Angebeteten erobert.

Nun verstanden wir letztendlich auch den Grund für Fairbanks’ Kostümierung und wir durften eine Zeitlang bei den Dreharbeiten zuschauen. Fairbanks präsentierte uns eine rasante Fechtszene, in der er allerlei akrobatische Kunststückchen vollführte, auf Treppengeländer und von Balustraden sprang und schließlich seinen Gegner mit einem spektakulären Streich besiegte. Anschließend fragte er unsere Männer nach ihrer Meinung zu seiner Kampftechnik und es entspann sich ein ausführliches Fachgespräch, das Maddy, Sadia und mich veranlasste, die Männer ihren Diskussionen zu überlassen und zu den Verwaltungsgebäuden zurückzukehren.

Auf unsere Frage hin führte uns ein Studiomitarbeiter zu Mary Pickfords Büro. Mary war gerade in ein Telefongespräch verwickelt und winkte uns fröhlich lächelnd zu sich.

Kurz darauf hatte sie das Telefonat beendet und seufzte tief. »Das war mein Agent. Wir haben die Planung der nächsten Projekte besprochen. Leider will mich das Publikum immer nur in der Rolle des kleinen Mädchens sehen, weshalb wir wohl demnächst mit den Dreharbeiten zu ›Little Annie Rooney‹ beginnen, in dem ich eine 12-Jährige spielen werde.«

Wir sahen Mary erstaunt an. Nun gut, sie wirkte mit ihrer Statur von fünf Fuß recht zierlich, aber sie war bereits Anfang dreißig und eine gestandene Geschäftsfrau. Dann betrachtete ich sie etwas genauer und mir dämmerte, dass das Publikum Mary Pickford vermutlich kaum auf dieselbe Weise wahrnahm wie wir. Ihr Gesicht sah noch sehr jugendlich aus und ihre Figur war entsprechend zart. Zudem präsentierte die Presse sie auch stets als den mädchenhaften Typ. Doch ich konnte gut verstehen, dass ihr dieses Rollenklischee mit der Zeit zu einseitig wurde.

»Kürzlich habe ich die Dorothy Vernon in dem gleichnamigen Historiendrama gespielt«, fuhr Mary fort. »Das war einmal eine Rolle nach meinem Geschmack. Doch die Einnahmen spielten gerade nur so die Kosten wieder ein. Die Filme hingegen, in denen ich freche, kleine Rotzgören verkörpere, werden stets Kassenhits.«

»Nun, diese Rotzgören sind zwar Mädchenrollen und keine Frauenrollen, aber immerhin sind es selbstbewusste Figuren, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und nicht unterwürfig sind«, versuchte Maddy zu trösten.

»Das stimmt«, räumte Mary lächelnd ein. »Etwas anderes käme für mich auch gar nicht in Frage. Trotzdem würde ich gerne häufiger starke Frauen verkörpern – und nicht immer nur starke Mädchen.«

»Vielleicht könnten Sie versuchen, sich altersmäßig von Film zu Film langsam zu steigern?«, überlegte ich. »Gerade historische Rollen könnten sich hierfür gut eignen, da in den vergangenen Jahrhunderten Frauen teilweise schon ziemlich früh erwachsen werden mussten.«

Pickford blickte mich sinnierend an. »Die Idee hat was für sich. Charlie hat recht, ich denke, Sie könnten uns tatsächlich gut bei unseren Filmprojekten beraten.«

Ich ließ mir den Gedanken durch den Kopf gehen. Eine Weile lang in Hollywood zu leben und zu arbeiten, erschien mir zu meinem eigenen Erstaunen sogar recht reizvoll. Etliche der Filmschaffenden hier stammten aus Europa und brachten ein hohes kreatives Potential in diese aufstrebende Industrie ein. Allerdings war ich nicht sicher, ob meine Freunde dies ebenso sehen würden. Giles beispielsweise würde die Abenteuerlust über kurz oder lang vermutlich wieder an ferne Orte ziehen.

 

 

Am nächsten Morgen besuchten wir Charlie Chaplin bei den Dreharbeiten zu »Goldrausch«, den Film über den Klondike-Goldrausch, von dem er und Mary uns bereits berichtet hatten. Chaplin führte uns begeistert durch sein Studiogelände, das fast einem englischen Dörfchen ähnelte, da es unter anderem verschiedene Cottages, eine Villa im Tudorstil sowie reichlich grüne Landschaft aufwies.

Wie er uns erklärte, hatte er für »Goldrausch« in den Bergen der Sierra Nevada unter enormem Aufwand ein altes Goldgräberdorf errichten lassen. Doch der Großteil der dort gedrehten Szenen des Films war ihm letztendlich ungeeignet erschienen, sodass er sie nun hier in seinem Studio erneut nachdrehen ließ.

In einer großen Halle zeigte Chaplin uns eine Berglandschaft aus Holz und Pappe, auf der künstlicher Schnee aus kleinen Papierschnipseln aufgebracht war. Er erklärte uns, dass sie das Gebirge hier nachgebaut hatten, damit ein paar der halsbrecherischen Szenen des Films für ihn nicht wirklich zum Halsbruch führen konnten.

---ENDE DER LESEPROBE---