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Kann meine Arbeit in der Wissenschaft Erfolg haben und mein Leben insgesamt gelingen? – Sind gängige Methoden des Zeitmanagements dafür geeignet? – Wie müssen diese angepasst werden, um bei den ganz unterschiedlichen Aufgaben in Forschung, Lehre, Betreuung Studierender, in der Administration und bei Führungsverantwortung konkret zu helfen? In diesem Buch werden Methoden des Projekt-, Zeit- und Selbstmanagements, der Stressprävention und Motivationssteigerung, Lebensplanung und Selbstentwicklung für die Herausforderungen in der Wissenschaft adaptiert. Der Ansatz der Autoren ist ein ganzheitlicher. Sie gehen davon aus, dass ein Lebens- und Arbeitsstil in der Wissenschaft, der nur den Karriereerfolg kennt, nicht die einzige Möglichkeit ist und auch nicht die beste Option.
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Seitenzahl: 313
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[3]Markus Riedenauer, Andrea Tschirf
Zeitmanagement und Selbstorganisation in der Wissenschaft
Ein selbstbestimmtes Leben in Balance
facultas.wuv
Inhalt:
Kann meine Arbeit in der Wissenschaft Erfolg haben und mein Leben insgesamt gelingen? Sind gängige Methoden des Zeitmanagements dafür geeignet? Wie müssen diese angepasst werden, um bei den ganz unterschiedlichen Aufgaben in Forschung, Lehre, Betreuung Studierender, in der Administration und bei Führungsverantwortung konkret zu helfen?
In diesem Buch werden Methoden des Projekt-, Zeit- und Selbstmanagements, der Stressprävention und Motivationssteigerung, Lebensplanung und Selbstentwicklung für die Herausforderungen in der Wissenschaft adaptiert. Der Ansatz der Autoren ist ein ganzheitlicher. Sie gehen davon aus, dass ein Lebens- und Arbeitsstil in der Wissenschaft, der nur den Karriereerfolg kennt, nicht die einzige Möglichkeit ist und auch nicht die beste Option.
Die Autoren:
Dr. phil. habil. Markus Riedenauer ist Professor für Philosophie am International Theological Institute bei Wien sowie zertifizierter Trainer für SOI Denkstrukturenanalyse und Persolog-Persönlichkeitsmodell. Als Trainer und Coach ist er auf Beratung im Wissenschaftsbereich spezialisiert. Dr. rer. soc. oec. Andrea Tschirf ist Trainerin und Coach mit den Schwerpunkten Zeitmanagement, Work-Life-Balance, Kommunikation, Karriereplanung und Teamentwicklung.
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[4]Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
1. Auflage 2012
© 2009 facultas.wuv, Facultas Verlags- und Buchhandels AG, Stolberggasse 26, 1050 Wien, Österreich.
Satz: SOLTÉSZ. Die Medienagentur.
UTB-Band-Nr. 3668
Print-Ausgabe: ISBN 978-3-8252-3668-7
E-Book: ISBN 978-3-8385-2366-8
Auch als pdf erhältlich: ISBN 978-3-8385-3605-7
E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de
[5]Inhaltsverzeichnis
Gebrauchsanweisung
I. Spezifische Herausforderungen in der Wissenschaft – Institutionelle Faktoren
II. Spezifische Herausforderungen – Individuelle Bedingungen
1 Orientierung durch Wertbewusstsein und Rollenklarheit
2 Selbsterkenntnis: Individueller Verhaltensstil
3 Zeitgestaltung im Lebenshorizont: Karriereplanung, Integration und Balance
III. Energiemanagement: Vom Stress zum Flow
1 Distress und Eustress
2 Energien einteilen, nutzen und stärken
IV. Methoden effektiver Planung und Evaluation
1 Prinzipien
2 Aufgabenorganisation
3 Prioritäten
4 Ziele
5 Planung und Umsetzung im Alltag
6 Zeitfresser bewältigen
7 Evaluation
8 Zeitplan-Systeme
V. Ordnung
1 Information und Kommunikation
2 Raum und Zeit
VI. Zeitmanagement für wissenschaftliche Kernaufgaben
1 Fokus Forschung
2 Fokus Lehre und Betreuung Studierender
3 Fokus Administration und Führungsaufgaben
4 Fokus wissenschaftliches Vorfeld
VII. Als Frau in der Wissenschaft
Weitere Hilfen und Literaturempfehlungen
Impulse für mich
Autorin und Autor
[7]Gebrauchsanweisung
Kann meine Arbeit in der Wissenschaft Erfolg haben und mein Leben insgesamt gelingen? Sind gängige Methoden des Zeitmanagements dafür geeignet? Wie müssen diese angepasst werden, um bei den ganz unterschiedlichen Aufgaben in Forschung, Lehre, Betreuung Studierender, in der Administration und bei Führungsverantwortung konkret zu helfen? Mit welchen Instrumenten zur Planung, Priorisierung der Fülle von Aufgaben und zur Evaluation meiner Fortschritte kann ich in meiner besonderen Situation arbeiten? Wie können die Chancen aufgrund der wissenschaftlichen Freiheit erfolgreich genutzt werden?
Bewährte Methoden des allgemeinen Projekt-, Zeit- und Selbstmanagements, der Stressprävention und Motivationssteigerung, Lebensplanung und Selbstentwicklung müssen erst für die spezifischen Herausforderungen in der Wissenschaft adaptiert werden, manche nützlichen Instrumente waren neu zu entwickeln. Zugleich ist es erforderlich, die Methoden an die individuellen Situationen und Persönlichkeiten anzupassen.
Unser Ansatz ist ein ganzheitlicher, das heißt, wir gehen davon aus, dass ein Lebens- und Arbeitsstil in der Wissenschaft, der als ausschließliches Kriterium den hundertprozentigen Karriereerfolg kennt, nicht die einzige Möglichkeit ist und auch nicht die beste Option. Unsere Grundannahme ist, dass das Leben als Ganzes gelingen kann – auch in der Wissenschaft.
Die Herausforderung besteht darin, dass sehr viele Faktoren das Zeitmanagement beeinflussen: die eigene Situation und Position, persönliche Werte und Verhaltenspräferenzen, das Privatleben uvm. Folglich müsste in solch einem Buch eigentlich alles dargelegt werden: von den spezifischen Herausforderungen im Leben eines Wissenschaftlers und einer Wissenschaftlerin sowie in den diversen Fächerkulturen über den Einfluss individueller Faktoren, die sich aus der jeweiligen Lebenssituation, den äußeren Rahmenbedingungen, dem Arbeitsstil und der Persönlichkeitsstruktur ergeben, bis hin zu den neuesten technischen Möglichkeiten der EDV und Telekommunikation. Gerade in diesem Bereich kommen allerdings jedes Jahr technische Neuerungen auf den Markt, die es zielführender erscheinen lassen, sich dazu anderswo Rat zu holen. In allen grundsätzlichen Fragen aber, die die Reflexion des eigenen Lebens, der Ziele, die Kommunikation und Kooperation mit anderen sowie die praktische Umsetzung bewährter Methoden betreffen, wird dieses Buch helfen.
Die Breite an Themen, die hier angesprochen werden, ist also gewollt – und doch begrenzt. Das erste Ziel ist, Verständnis für die Komplexität Ihrer besonderen Situation in der Wissenschaft, für die vielfältigen Einflussfaktoren (institutionelle oder äußere und individuelle, also innere) zu [8]wecken. Daraus ergeben sich Fragen, welche nur Sie selbst beantworten können, was Ihnen wiederum hilft, aus dem reichhaltigen Angebot an professionellen Methoden und praktischen Ideen diejenigen auszuwählen, welche Sie dann umsetzen. Sie sollten diese genügend lange ausprobieren, zu einem fixierten Zeitpunkt evaluieren und dann an Ihre Gegebenheiten anpassen. Unser Ziel ist, zu einer selbstkritischen Reflexion und Reorganisation zu führen, sodass Sie Ihre hohe Selbstverantwortung möglichst gut und erfolgreich wahrnehmen.
Alle in der Wissenschaft Tätigen können von diesem Buch profitieren: die erfahrene Professorin, welche soeben Dekanin wurde, ebenso wie der neu angestellte Assistent mit einem befristeten Teilzeitvertrag. Wer mit einer Qualifikationsarbeit ringt, verfügt noch über wenige Erfahrungen und wird von den Erläuterungen etwa zum Projektmanagement profitieren. Da für Magister-, Master- oder Diplomarbeiten Ähnliches gilt, dürfen Sie sich in diesem Fall auch angesprochen fühlen, wenn von „Dissertation“ die Rede ist.
Jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben indessen den Vorteil, dass ihre Selbstorganisation noch wenig von dem in ihrer Organisation üblichen Stil geprägt ist. Denn jede Organisationskultur steckt an und übt einen Anpassungsdruck aus. Wenn Sie die relative Freiheit der Einstiegsphase nutzen, um Ihren eigenen Arbeitsstil zu entwickeln, der zu Ihren Zielen, Werten, Ihrer Persönlichkeit und Lebenssituation passt, legen Sie eine sehr gute Grundlage für Ihre gesamte wissenschaftliche Karriere. Vor allem in den empirischen Wissenschaften und in der Medizin herrschen besondere Situationen, die Sie dazu herausfordern, die angebotenen Instrumente zu adaptieren.
Es geht in diesem Buch um reflektierte und praktische Lösungen, nicht um Jammern und Klagen über suboptimale Situationen. Zu fast jedem Thema könnte man eine hochschulpolitische Diskussion führen. Das sollte man auch – aber anderswo. Dieses Buch hilft dem Individuum, unter den derzeit gegebenen Bedingungen besser zurechtzukommen und Erfolg zu haben.
Dahinter stehen reiche Erfahrungen aus vielen Trainings, Workshops und Einzelcoachings an Universitäten vor allem in Österreich sowie Erkenntnisse aus der Fachliteratur. Sie können zudem weitere Hilfe durch die Angebote der Personalentwicklungen erfahren, die an den meisten Universitäten Trainings, Coaching und Mentoring-Programme anbieten.
[9]Zur Orientierung im Buch
Die Hauptkapitel sind so konzipiert, dass sie auch einzeln gelesen werden können. Insoweit Informationen aus anderen Abschnitten zum Verständnis oder zur Weiterarbeit wichtig sind, wird jeweils darauf verwiesen. Wer primär an Methoden interessiert ist, kann mit Kapitel IV beginnen. Wer Unterstützung bei der Bewältigung eines wissenschaftlichen Aufgabenfeldes sucht, kann bei dem entsprechenden Fokus aus Kapitel VI einsteigen.
Die ersten beiden Kapitel behandeln die spezifischen Herausforderungen, vor denen wissenschaftlich Arbeitende stehen: zunächst die typischen äußeren Rahmenbedingungen in den akademischen Institutionen (Kapitel I), dann die individuellen Einflussfaktoren, die Sie reflektieren sollten, damit Sie Kriterien haben, um für sich Methoden auszuwählen, zu adaptieren und zu personalisieren: Das Nachdenken über persönliche Werte und Rollen (Kapitel II.1) sowie über individuelle Verhaltenspräferenzen, deren Stärken und Schwächen (Kapitel II.2) wird entscheidende innere Determinanten zeigen. Hinzu kommen in Kapitel II.3 die zu berücksichtigenden Lebensumstände: gegenwärtige und für die Zukunft erhoffte Möglichkeiten der Karriere, des Einkommens, privater Pläne und Wünsche. Eine Rollenanalyse und längerfristige Planung aller Lebensbereiche erlauben, die berufliche Zeitgestaltung in den Horizont des ganzen Lebens zu integrieren.
Zur Selbstorganisation gehört weiters ein sorgsamer und effektiver Umgang mit den eigenen Energien. Kapitel III hilft, vom Distress zum Eustress und zum Flow zu gelangen.
Das große Kapitel IV breitet den Inhalt des „Werkzeugkoffers“ für Zeitmanagement aus, seine Unterkapitel bauen aufeinander auf. Wir empfehlen, diese in der gegebenen Reihenfolge durchzuarbeiten und ergänzend Kapitel V für eine bessere Selbstorganisation in Bezug auf Informationsmanagement, Arbeitsort und Ordnung am Arbeitsplatz zu lesen.
Kapitel VI wendet die Instrumente auf die wichtigsten wissenschaftlichen Aufgabenfelder an und ergänzt sie mit spezifischen Methoden, zusätzlichen Ideen und Hinweisen. Für ein tieferes Verständnis empfiehlt es sich, die Kapitel I und II hinzuzunehmen.
Weil Frauen in der Wissenschaft mit besonderen Schwierigkeiten konfrontiert sind, werden diese in einem eigenen Kapitel (VII) thematisiert.
In den Literaturhinweisen finden Sie nicht nur weitere Hilfen, sondern auch die genauen bibliografischen Angaben zu den Zitaten und Verweisen, welche in Fußnoten nur mit Kurztiteln angeführt werden. Nur einmal erwähnte Texte werden allerdings bereits in der jeweiligen Anmerkung vollständig angeführt.
[10]Am Anfang der Kapitel oder Unterkapitel finden Sie kursiv gesetzt einen Vorblick, worum es im Folgenden geht.
In solchen Kästen finden Sie viele praktische Tipps und Hinweise.
In blauer Schrift gesetzte Fragen helfen Ihnen beim Auswählen der Methoden, welche für Ihre Situation geeignet sind. Wenn Sie die Fragen durcharbeiten, individualisieren Sie dadurch die Instrumente und passen sie an. Wir empfehlen nachdrücklich, dass Sie beim Lesen immer wieder innehalten und Ihre eigenen Erkenntnisse, Fragen und Schlussfolgerungen aufschreiben. Dafür sind auch am Ende des Buches ein paar leere Seiten vorgesehen.
Wir sind der Überzeugung, dass wissenschaftliche Arbeit ein schöner, spannender und erfüllender Beruf ist. Für seine spezifischen Herausforderungen hoffen wir mit diesem Ratgeber und Arbeitsbuch auch Ihnen persönlich eine Hilfe zu geben. Viel Erfolg!
[11]
I.
Spezifische Herausforderungen in der Wissenschaft – Institutionelle Faktoren
Worum es geht:
Jeder Beruf bringt typische Herausforderungen mit sich. Sie müssenberücksichtigt werden, um die allgemeinen Methoden des Zeitmanagements dann anzupassen. Zugleichbietet die Arbeit in der Wissenschaftoft größere Freiheiten und Chancen,die teilweise den realen Zwängen gegenüber stehen, teilweise selbst neueHerausforderungen zur Folge haben.Mithilfe dieses Kapitels können Siesich größere Klarheit darüber verschaffen, welche äußeren Faktoren Ihre Arbeit positiv und negativ, fördernd und fordernd bedingen. Schließlich werden erste Konsequenzen für das Zeitmanagement daraus gezogen, wie Wissenschaft normalerweise unter den typischen institutionellen Rahmenbedingungen funktioniert.
„Zerren dich die von außen kommenden Ereignisse hin und her? Nimm dir doch einmal Zeit, etwas wirklich Gutes hinzuzulernen und hör auf, im Kreis umherzuirren! Du mußt dich aber auch vor dem anderen Irrweg hüten: Toren sind nämlich auch die, die durch ihr Tun müde geworden sind zum Leben und kein Ziel haben.“
Marc Aurel: Selbstbetrachtungen II, 7
Freiheiten
Wissenschaftliche Arbeit erlaubt zumeist überdurchschnittlich große Freiheiten und mehr persönliche Gestaltungsspielräume – sowohl inhaltlich als auch von der Zeiteinteilung her. Das gilt für die Forschung und teilweise noch immer für die Lehre.
Für manche war die Freiheit ein Motiv, um in die Wissenschaft zu gehen, und für manche ist sie ein Motiv, zu bleiben, obwohl sich ein Wechsel in ein Unternehmen oder in eine andere Karriere im öffentlichen Dienst (wie z.B. in einem Ministerium) anbieten würde.
Viele sind seit ihrer Studienzeit daran gewöhnt, ihren Tagesablauf weitgehend selbst zu bestimmen, viel daheim arbeiten zu können, auch unter der Woche Besorgungen, Arztbesuche oder anderes zu erledigen und dafür am Abend oder am Wochenende zu arbeiten sowie in den vorlesungsfreien Monaten wenige Termine zu haben. Sie würden sich wohl häufig schwer tun mit einer Kernarbeitszeit von 9 bis 17 Uhr, mit Präsenzpflicht im Büro, den täglichen Arbeitswegen zu Stoßzeiten und dem Zählen eines jeden frei[12]en Tages.1 Da diese Freiheit in zeitlicher Hinsicht bedeutet, dass Tage, Wochen und Monate kaum von außen strukturiert sind, dass wenig Kontrolle und Rückmeldungen über effektive Zeitnutzung erfolgen, erweist sie sich besonders für junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen oft als eine Falle. Wir kommen gleich auf die sehr hohen Ansprüche an die Selbstorganisation und Selbstverantwortung zu sprechen.
Im Bereich der Forschung ist teilweise noch eine große Freiheit bei der Themenwahl gegeben. In manchen Geisteswissenschaften oder der Kunst etwa geben die Betreuenden einer Dissertation o.Ä. auch wenig Hilfestellung beim Finden und Formulieren eines machbaren Forschungsthemas. Trotz der Bemühungen mancher Universitäten, das Doktoratsstudium besser zu strukturieren, wird bereits in dieser Phase oft viel Zeit verloren. In naturwissenschaftlichen, wirtschaftlichen, technischen und medizinischen Fächern hingegen werden häufig mögliche und gewünschte Themen für Bachelor-, Master- oder Diplomarbeiten sowie Dissertationen vorgegeben, besonders dann, wenn damit eine Finanzierung etwa durch Drittmittel verbunden ist. Professoren und Lehrstuhlinhaberinnen genießen dann wieder größere Freiheiten und bestimmen ihrerseits den Freiheitsspielraum für den wissenschaftlichen Nachwuchs mit.
Größere Forschungsprojekte, wozu selbstverständlich auch schon Dissertationen zählen, haben außerdem meist wenig an zeitlicher Binnenstruktur vorgegeben. Wo nicht in gut organisierten Teams gearbeitet wird, sondern überwiegend alleine, wo nicht begrenzte und fixe Zeiten im Labor vorgegeben sind, muss man sich den langen Zeitraum von mehreren Semestern oder Jahren selbst sinnvoll gliedern, sein Projekt in entsprechende Teilschritte zerlegen und sich Teilziele mit Zieldaten festlegen sowie seine Wochenarbeitszeit einteilen. Termine für regelmäßige Rückmeldungen an Betreuende oder Kollegen kann man sich oft selbst vereinbaren und entsprechend auch leicht verschieben, da diese selten verärgert sind über das Ausfallen einer Besprechung.
Im Bereich der Hochschullehre waltete früher eine große Freiheit schon bei den Inhalten von Vorlesungen und Seminaren, welche der Ordinarius (oder seltener die Ordinaria) souverän „ankündigte“. Das hat sich sehr geändert; besonders durch die Modularisierung und Vereinheitlichung von Studiengängen im Rahmen des Bologna-Prozesses sind die notwendigen Lehrinhalte in allen Semestern weitgehend vorgegeben. Selbst wenn durch die Ausweitung der Pflicht-Lehrveranstaltungen kein Spielraum mehr für Spezialvorlesungen, neue oder alternative Seminare oder Übungen gegeben[13] ist, kann man oft innerhalb des Instituts mit anderen Lehrenden tauschen oder aber schon gehaltene Lehrveranstaltungen wiederholen – möglicherweise mit anderen Schwerpunktsetzungen.
Aber immer noch bleibt eine große Gestaltungsfreiheit in Bezug auf die Methoden und Didaktik: Wie wird der Stoff gegliedert und auf das Semester verteilt, an welchen Punkten wird in die Tiefe gegangen, und wo begnügt man sich mit einem Überblick, welche Beispiele, welche Literatur oder andere Lehrmittel werden ausgewählt, inwieweit werden Methoden des E-Learning, der Partner- oder Gruppenarbeit einbezogen, welchen Raum sollen Diskussionen einnehmen usw.
Diese ein hohes Maß an Selbstdisziplin erfordernden Freiheiten können inspirieren und motivieren, aber auch verunsichern. Teilweise werden sie von anderen Einflussfaktoren beeinträchtigt.
Wie frei bin ich derzeit in Bezug auf Forschung, Lehre und meine Zeiteinteilung?
In welchen Bereichen fühle ich mich eher unfrei?
Wie wichtig sind mir meine Freiheiten, welchen Preis sind sie mir wert?
Herausforderungen
Spezifische Herausforderungen an wissenschaftlich Tätige folgen direkt aus den skizzierten Freiheiten. Eine erste Konsequenz ist, dass der Ertrag von Investitionen an Zeit und Energie im Einzelnen schwer abschätzbar ist und sich Fragen dieser Art stellen:
Welchen Unterschied wird es für den Lernerfolg der Studierenden machen, wenn ich diese Lehrveranstaltung gründlich überarbeite?
Wie wichtig ist es, einen Aufsatz zu einem für mich neuen Themengebiet zu veröffentlichen und somit breitere Kompetenz zu zeigen? Hat es einen Sinn, einen weiteren Beitrag zu verfassen zu einem Thema, über das ich bereits publizierte?
Lohnt es sich, mich in ein Nebenthema meiner Dissertation einzuarbeiten, oder lenkt es mich eher vom Wesentlichen ab?
Kann ich z.B. als Vertreterin des Mittelbaus an meiner Fakultät etwas bewirken, was in sinnvoller Proportion zum Zeitaufwand steht?
[14]Der Erfolg von einzelnen Tätigkeiten sowohl in der Forschung als auch in der Lehre zeigt sich oft erst spät, vielleicht nach Jahren – während allgemein bekannt ist, dass die Zeitinvestition der wesentliche Erfolgsfaktor auch in der Wissenschaft ist. Daraus folgt, wie wichtig es ist, Kriterien für Prioritätsentscheidungen zu haben und sich nicht durch das lange Warten auf Zeichen des Erfolgs demotivieren zu lassen. Je weniger positive Rückmeldungen von außen kommen, je weniger wissenschaftliche Arbeit extern motiviert wird (wie durch überdurchschnittliche Gehälter), umso wichtiger wird es, einerseits seine intrinsische Motivation zu pflegen und andererseits dafür zu sorgen, dass regelmäßig Anreize von außen kommen.
Was bedeutet für mich „Erfolg“ in Forschung, Lehre und administrativer Mitarbeit?
Woran kann ich ihn jeweils messen?
Wann bekomme ich auch „unterwegs“ Rückmeldungen, dass ich auf einem guten Weg bin und Fortschritte mache?
Wo kann ich mir zusätzlich solche ermutigenden Stationen einbauen?
Definieren Sie bei großen Projekten und Aufgaben Teilziele, die Sie zu vorbestimmten Terminen überprüfen, um auch Teilerfolge bewusstzumachen und zu feiern (siehe genauer Kapitel IV, besonders unter „Ziele“ und „Evaluation“)!
Ein Hindernis ist oft, dass die Erwartungen und Qualitätsanforderungen anderer nicht recht klar sind, sodass Sie nicht wissen, wann Ihre Forschung oder Ihre Lehre als erfolgreich gelten kann. Viele, die an einer „master thesis“ oder Diplomarbeit schreiben, und so manche Dissertanten sind sich im Grunde unsicher, was die Kriterien für einen guten Text in ihrem Fall sind. Wo es keine Doktorandengruppe o.ä. gibt, sind kollegiale Rückmeldungen rar, oder man traut sich nicht, immer wieder darum zu bitten.
Was eine gute Vorlesung oder ein erfolgreiches Seminar ausmacht, ist etwas klarer, und neuerdings wird den regelmäßigen Lehrevaluationen größeres Gewicht beigemessen. Das gibt eine Richtschnur. Dennoch bleibt die Frage, was jenseits von Idealvorstellungen Studierender oder jenseits Ihres eigenen Idealbildes als Hochschullehrer bzw. Dozentin die realistischen Zielmarken sind, die zum nötigen und möglichen Zeitaufwand für die Vorbereitung und Durchführung in solch einer vernünftigen Proportion stehen, dass Sie für Ihre anderen Aufgaben auch genügend Zeit und Energie haben.
[15]Diese Fragen müssen Sie selbst beantworten – auch und gerade in dem Fall, dass Sie zu viele oder gar widersprüchliche Erwartungen vermittelt bekommen. Soweit Sie sich durch mangelnde Rückmeldungen und Einschätzungen Ihrer Arbeit durch andere alleinegelassen fühlen, sollten Sie gezielt darum bitten und nicht voller Selbstzweifel im Dunkeln tappen.
Ein gewisses Maß an „trial and error“ scheint zur akademischen Freiheit zu gehören, und Neues auszuprobieren hat einen Wert: subjektiv, insoweit es Freude macht, und objektiv, da so Innovationen entstehen. Sehen Sie aber auch die Grenzen: Routineaufgaben können nach bewährten Mustern und Kriterien erledigt werden. Strapazieren Sie nicht Ihre Kreativität und Zeit in Bereichen, wo andere mit ihrer Erfahrung helfen können.
Viele wissenschaftlich Tätige sehen in ihrem Beruf auch eine Berufung, insofern ihre Arbeit dem entspricht, was sie an Interessen und Begabungen mitbringen und was sie im Leben verwirklichen wollen. Dazu passt die relativ große Selbstbestimmung, deshalb wird auch gerne akzeptiert, dass daheim, an Abenden und Wochenenden gearbeitet werden muss. Die Falle besteht aber darin, dass Beruf und Privatleben zu sehr ineinander übergreifen, dass kein lebensförderlicher Zeitrhythmus mehr aufrechterhalten wird und dass im „home office“ keine Trennung von beidem mehr spürbar ist (nur mehr „office“, kein „home“ mehr). Wissenschaftlerinnen mit Kindern stehen hier unter besonderem Druck, aber auch Paare, wo beide an einer Hochschule tätig sind. Darunter leiden Lebensbeziehungen und Kinder sowie Freundschaften, Gesundheit und Rekreation.
Wie setze ich die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem?
Spüre ich einen Unterschied zwischen meinen verschiedenen Rollen?
Welche Rhythmen – vor allem täglich und wöchentlich – pflege ich?
Bisher haben wir über Herausforderungen nachgedacht, die sich aus akademischen Freiheiten ergeben. Es gibt aber auch spezifische, mit diesem Beruf verbundene Schwierigkeiten und Zwänge, die den Freiheiten direkt entgegengesetzt sind:
Theoretisch arbeiten Sie selbstbestimmt und selbstverantwortlich, aber praktisch sind Sie in ein Forschungsteam eingebunden, dessen Leitung Sie sich unterordnen müssen. Oder aber externe Faktoren diktieren Ihre Zeitplanung, wie z.B. Vegetationszyklen in der Biologie.
Sie haben etwa das Verfassen Ihrer Dissertation als eine Hauptaufgabe,[16] wenn Sie eine Qualifizierungsstelle innehaben, aber Ihr Betreuer und Erstgutachter ist gleichzeitig Ihr Vorgesetzter am Institut und beansprucht Ihr Zeitbudget zu stark durch seine Forderungen nach Mit- und Zuarbeit bei vielen anderen Aufgaben (genannt „Assistenten verheizen“). Solche Doppelbindungen können fatal sein, wenn Sie befürchten, durch „Nein“-Sagen in Ungnade zu fallen und schlechter bewertet zu werden. Die Unfreiheit drückt sich auch in der Sprache aus: Man kann streng genommen weder promovieren noch sich selbst promovieren, sondern nur promoviert werden. Überhaupt wird durch Hierarchien, offizielle und inoffizielle, viel an Freiheit in Frage gestellt.
Damit hängt eine Spannung zwischen verschiedenen Rollen zusammen: Gegenüber Studierenden und als Mitglied der internationalen „scientific community“ ist es nötig, selbständig, sicher und selbstbewusst aufzutreten – aber strukturell und rechtlich wird man häufig als abhängig und unselbständig behandelt, muss sich mitunter ständig beweisen.2 Auch wer diese Phase hinter sich hat, braucht zusätzliche Kompetenzen und rechtliches Wissen vor allem für Verhandlungen. Das zu erwerben kostet Zeit, und die Notwendigkeit dieses Kampfes kann belasten.
Jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in der Qualifizierungsphase haben oft schon darum weniger Freiheit, weil sie zum Broterwerb anderen Tätigkeiten nachgehen müssen. Vor allem Mediziner haben innerhalb ihres Aufgabenfeldes mehrere „Jobs“ in Forschung und Lehre, Klinik und Mitarbeit oder Vertretung in einer Praxis.
In einem sehr kompetitiven Umfeld, wo die eigenen Projekte und Ergebnisse ständigen Evaluationen und Gutachten unterzogen werden müssen, kann die Karriere als eine Einbahnstraße mit lauter Stoppschildern empfunden werden. Wenden kann man nicht mehr, aber an jeder Kreuzung besteht die Gefahr, einen befristeten Vertrag nicht verlängert zu bekommen und letztendlich die Laufbahn verlassen zu müssen. Die vielen Zeitverträge ohne Aussicht auf Verbeamtung oder Pragmatisierung (was in Österreich generell abgeschafft wurde) haben zu einem wissenschaftlichen „Prekariat“ geführt.3 Die Freiheit besteht dann darin, vielleicht nach wenigen Jahren [17]Laufzeit ganz „freigesetzt“ zu werden. Diejenigen, die es schießlich auf eine Professur schaffen, erreichen das im Durchschnitt mit 41,1 Jahren – die Etablierungsphase ist also extrem lang. Wo sich Unsicherheit über die berufliche Zukunft breitmacht, kommt der Motivationsmotor schnell ins Stottern.
Schließlich steht der grundsätzlichen Selbstbestimmung, was wann geschrieben und publiziert wird, ein weicher, aber ständiger Zeitdruck entgegen: das Motto „publish or perish“, dem sich de facto niemand entziehen kann. Termine für die Abgabe von schriftlichen Ausarbeitungen von Vorträgen oder von Beiträgen zu Sammelbänden und Zeitschriften sowie von Rezensionen liegen oft mehr als ein Jahr in der Zukunft. Das verführt dazu, leichtfertig und ohne genaue Planung Zusagen zu machen, die dann, wenn der Termin naht, Stress verursachen.
Listen Sie auf, welche institutionellen und äußeren Faktoren Ihre Freiheit einschränken, etwa Fremdbestimmung durch Teamarbeit, Doppelbindungen, Gleichzeitigkeit mehrerer Jobs, Druck durch ständige Evaluationen, Zeitverträge, gefühlter Publikationszwang, ...
Konsequenzen
Die akademischen Freiheiten, ihre inneren Problematiken sowie die skizzierten typischen Zwänge haben alle zur Folge, dass Ihre Selbstverantwortung enorm gefordert ist – vielleicht mehr als in jedem anderen Beruf. Sie können und müssen Projekte auswählen, entwickeln und strukturieren, Qualitätsmaßstäbe definieren, Prioritäten setzen und all das mit sehr viel Ausdauer und Disziplin sowie oft mit wenig Unterstützung umsetzen. Der Planungshorizont umfasst mehrere Jahre, während derer Sie Ihre intrinsische Antriebskraft nicht verlieren dürfen.
In der Motivation werden drei Ebenen unterschieden: Die Notwendigkeit, zu überleben und die dazu nötigen Mittel zu beschaffen, bildet die basale Ebene. Wo diese Grundlage brüchig ist, kann Verzweiflung aufkommen.
Die zweite Ebene, nämlich äußere Motivation durch Bestrafungen und Belohnungen, oder in milderer Form durch Kritik und Lob oder Anerkennung, ist alleine und auf Dauer auch nicht ausreichend für das Durchstehen der langen Qualifizierungsphase. Schließlich ist man hierbei von anderen abhängig, von ihrem Wohlwollen, ihrer Akzeptanz und Fairness.
[18]Die höchste Stufe ist die Selbstmotivation durch das Erfahren von Kompetenz, Können und Wissen, von Autonomie und von Sinn im eigenen Tun.4 Bei diesen drei Faktoren schneidet wissenschaftliche Tätigkeit an sich recht gut ab: Sie basiert ja auf Wissen und dessen Anwendung; zudem erlaubt sie trotz aller institutionellen und weichen Zwänge ein überdurchschnittliches Maß an Selbstbestimmung. Allerdings garantiert der Motivationsfaktor Autonomie noch nicht, dass ein angemessener, stabiler und entwicklungsfähiger Platz im System erreicht wird. Was den dritten, intrinsischen Faktor angeht, wird Wissenschaft jenseits von Master, Diplom oder Magister ohnehin von den Menschen als Beruf erwählt, die darin einen Sinn erkennen, der über unmittelbare Nützlichkeit hinausgeht – sei es klassisch gesprochen das Finden von Wahrheit, das Aufzeigen von Schönheit oder das Befördern von Gutem.
Was hat mich ursprünglich motiviert, eine wissenschaftliche Tätigkeit zu wählen?
Was motiviert mich heute, dabei zu bleiben?
Was kann ich tun, um meine intrinsische Motivation zu stärken?
Sicherlich sind Ihnen beim Nachdenken darüber, welche Faktoren Ihre persönliche Situation mit konditionieren, Ideen oder Forderungen zur Verbesserung der äußeren Bedingungen in den Sinn gekommen. Diese sind wichtig, und Sie sollten mit anderen zusammen dafür kämpfen. Allerdings werden Sie das nur dann tun können, wenn Sie Ihre eigenen wissenschaftlichen Projekte und Aufgaben mit gutem Zeitmanagement bewältigen. Da es in deutschsprachigen Universitäten nur wenige akademische Administratoren gibt, die grundsätzlich keine Forschungs- und Lehrpflichten hätten, hängt die Möglichkeit, das System zu verbessern, davon ab, durch eigene Forschung und Lehre im System zu bleiben und sich auch fachlich Reputation zu erwerben.
Nur wenn Sie selbst unter den gegebenen Bedingungen einigermaßen erfolgreich sind, ohne dabei zu zynisch zu werden, also in einer psychisch gesunden und lebenswerten Weise fortkommen, können Sie längerfristig an deren Verbesserung mitarbeiten.
Darum setzt unser Buch bei Ihnen als Individuum an, um zunächst Ihre Selbstorganisation in der Wissenschaft zu optimieren. Dabei nehmen wir [19]Ihr ganzes Leben in den Blick, um nachhaltig lebbare Methoden, Gewohnheiten und Rhythmen zu entwickeln, die zu Ihrer persönlichen Situation passen. Sich auf Kosten anderer wichtiger Lebensbereiche und -ziele im Beruf zu Höchstleistungen zu motivieren, funktioniert nur punktuell und selten auf Dauer – in der Wissenschaft noch weniger als in der Industrie, wo monetäre und andere Anreize stärker und häufiger wirksam sind.
Das hat Konsequenzen im Großen, im Kleinen und speziell im Bereich der Forschung.
1. Im Blick auf Ihr ganzes Leben auch in seiner zeitlichen Erstreckung sind Sie selbst verantwortlich für Ihre Karriere- und Lebensplanung. Es ist bekanntlich längst nicht mehr so, dass spätestens nach einer guten Promotion eine Assistentenstelle zu erwarten ist, auf der man bis zu Habilitation und/oder Verbeamtung bleiben kann, während der Ordinarius die moralische Verpflichtung spürt, seine „Schüler“ irgendwo „unterzubringen“. Es ist natürlich auch nicht mehr so wie für Immanuel Kant Ende des 18. Jahrhunderts, dass zehn Jahre ohne Publikationen akzeptabel erschienen, während derer ein „Opus magnum“ wie die „Kritik der reinen Vernunft“ erarbeitet werden konnte. Sie müssen wissen, bis wann Sie welche Karriereschritte gehen und was Sie tun wollen, wenn sich die Laufbahn an einem bestimmten Punkt als eine Sackgasse erweist. Das heißt, Sie sollten sich frühzeitig über berufliche Alternativen und deren Vorbereitung Gedanken machen. Sie müssen sich bewusst sein, welchen Preis Sie für die prekäre Freiheit eines Lebens für die Wissenschaft zu bezahlen bereit sind. (Siehe zu diesen großen Fragen besonders das Kapitel II.3.)
Vor allem in der Promotionsphase verfolgen viele knapp Dreißigjährige die Strategie, erst einmal ihr Doktorat zu erwerben, und dann weiterzusehen, ob sich irgendwelche Türen öffnen. Das hat einen hohen Preis: Das Risiko, sich im vierten Lebensjahrzehnt oder zur Lebensmitte ganz neu orientieren zu müssen, während man auf dem Arbeitsmarkt schon als überqualifiziert, zu spezialisiert oder schlicht als zu alt gilt.
Solange Sie nicht hinreichend sicher sind, dass Ihre wissenschaftliche Karriere klappen wird: Entwickeln Sie mindestens einen alternativen Lebensentwurf, am besten auch im Gespräch mit einer Vertrauensperson oder einem Coach. Das ermöglicht Ihnen, frühzeitig Vorsorge zu treffen durch zusätzliche andere Qualifikationen und Netzwerke, und verhindert, dass Sie später das Gefühl bekommen, Ihr Leben in eine Sackgasse gefahren zu haben.
[20]2. Diese Lebens- und Karriereplanung gehört nicht nur zum Zeitmanagement im großen Horizont, sondern hat über die Motivation Einfluss auf die Zeitgestaltung und -nutzung auch im Kleinen und Alltäglichen.
In den Planungshorizonten von Monat, Woche und Tag dürfen Sie Ihre langfristigen Ziele und Alternativszenarien nicht aus dem Blick verlieren. Wer sich vom jeweils Andrängenden treiben läßt, agiert nicht mehr selbstbestimmt. Denken und planen Sie von oben nach unten: vom Wichtigen zum Dringlichen, von den Werten zu den Terminen, von den großen Projekten zu den kleinen Aufgaben. Schaffen Sie in Ihrem Zeitmanagement Raum und regelmäßige Zeitblöcke für das Reflektieren und Planen selbst sowie zuerst für die größeren und langfristigen Ziele. Ein gegebener Raum für Selbstbestimmung wird nur dadurch erweitert, dass er auch genutzt wird.
Soweit Sie selbst über Ihre Zeit verfügen können, passen Sie die Zeiteinteilung auch an Ihre individuellen Ziele und Werte, an Ihren persönlichen Verhaltensstil und an Ihre Lebenssituation an (siehe Kapitel II). Selbstverständlich ist dabei die spezifische Wissenschaftskultur in Ihrem Fach und an Ihrem Institut ebenfalls zu berücksichtigen.
Wie hohe Umsetzungschancen traue ich meiner eigenen Planung und Selbstbestimmung zu? Bin ich vielleicht bereits in einer Opfer-Mentalität gefangen und lasse mich vom „Wissenschaftsbetrieb“ treiben?
Kann ich die Frage beantworten, was ich tun würde, wenn der nächste Karriereschritt misslingen sollte? Und was tue ich heute schon für diese Eventualität?
Setze ich meine großen Ziele auch in den kleineren Planungshorizonten um?
3. Die Planung von Forschungsarbeiten erfordert, Grundregeln des Projektmanagements zu kennen und anzuwenden. Vor allem bei Teamwork, aber auch in der Alleinverantwortung für ein Forschungsprojekt gilt es, von der Sache her, also objektiv sich ergebende Phasen in ihrer logischen Abfolge zu identifizieren und zu planen. Wo kein Forschungsexposé und Zeitplan vorzulegen waren, um etwa eine Förderung zu erhalten, sollten Sie sich das dennoch in Tabellenform erarbeiten (siehe Kapitel VI.1). Wenn Sie die einzelnen Phasen und Teilziele mit Zieldaten versehen und das in die chronologische Planung in Kalenderform integrieren, berücksichtigen Sie auch die Erfordernisse Ihrer subjektiven Lebenslage und „private“ Lebensziele wie außerwissenschaftliche Qualifikationen, Partnerschaft und Familie, andere Interessen und Tätigkeiten, welche für Sie Sinn stiften, Rekreation und Motivation bereitstellen. Wie das geht, erfahren Sie in diesem Buch vor allem ab Kapitel II.3.
[21]
II.
Spezifische Herausforderungen – Individuelle Bedingungen
Worum es geht:
Die spezifischen Herausforderungen inder Wissenschaft ergeben sich nicht nuraus institutionellen Rahmenbedingungen, sondern vor allem aus individuellenFaktoren. Auch diese müssen in Rechnunggestellt werden, damit einzelne Methodender Selbstorganisation nachhaltige Verbesserungen bewirken können. Dazu gehören ein Bewusstsein der eigenen Werte und Klarheit über dadurch bestimmte Rollenbilder, Selbsterkenntnis in Bezug auf individuelle Verhaltenspräferenzen und die Berücksichtigung des ganzen Lebenshorizonts, innerhalb dessen alle großen Lebensziele zu integrieren sind.
„Wir haben nicht zu wenig Zeit, aber wir verschwenden zu viel davon. Auch zur Vollbringung der größten Dinge ist das Leben lang genug, wenn es nur gut angewendet wird.“
Seneca: Von der Kürze des Lebens 1
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Orientierung durch Wertbewusstsein und Rollenklarheit
Worum es geht:
Werte steuern Lebensweisen und Entscheidungen und geben Orientierung für das Denken und Handeln des Menschen. Sie prägen die Identität und werden in Zielen operationalisiert. Persönliche Werte entstehen schon sehr früh durch das soziale Umfeld, meist Elternhaus und Schule, und entwickeln sich später weiter aus einer fortlaufenden Wahl und Gewichtung, geformt durch eigene Erfahrungen und Lebensumstände. Wie Sie die Welt und die Menschen sehen, Ihre Zeit gestalten, welchen Arbeitsplatz in welcher Organisation Sie wählen, wie Sie Entscheidungen treffen, wie Sie Ihren Neigungen nachgehen, Ihren Beruf ausüben, die Art und Weise, wie Sie mit Kollegen und Kolleginnen umgehen, sich in ein Team einfügen oder es führen, hängt sehr von den eigenen Werten ab.
Sie brauchen eine Vorstellung davon, was Ihnen wirklich wichtig ist, um mit sich, den getroffenen Entscheidungen und Ihrem Lebensstil im Reinen zu sein. Wenn es Ihnen gelingt, Ihre Werte in der Arbeit zu leben, wird sie Ihnen Freude, Befriedigung und Erfolg bringen. Das Gleiche gilt für Ihr Privatleben.
Unsere Gesellschaft wandelt sich rasch, und entsprechend ist viel von einem generellen Wertewandel zu hören, mit der allgemeinen Tendenz von Pflichtwerten hin
[22]zu Selbstentfaltungswerten und von materiellen zu postmateriellen Werten. Umso wichtiger ist es, einen persönlichen Wertekatalog zu erstellen. Klaffen die eigenen Werte und die der Organisation auseinander, so führt dies zu einer inneren Anspannung, die ein zielgerichtetes Arbeiten nur mehr schwer zulässt. Darum implementieren Unternehmen Instrumente des „Wertemanagements“.
Mithilfe dieses Kapitels können Sie sich bewusster werden, welche Werte für Sie unverzichtbar sind, und welche anderen, vielleicht auch abhängig von der jeweiligen Lebensrolle oder bestehenden äußeren (wirtschaftlichen) Zwängen, nicht immer oder weniger intensiv gelebt werden können. So werden Sie flexibler und zugleich stärker in Ihrem Agieren.
Motive – Zufall oder Selbstverwirklichung?
Werte motivieren Menschen. Welche Motive sind es, die wissenschaftlich Tätige leiten, Phasen der Frustration aushalten und durchstehen lassen und oft sogar in die Selbstausbeutung treiben? Welche Werte bringen Sie z.B. dazu, mehr Zeit als unbedingt notwendig in Projekt X zu investieren, sich für Kollegin Y einzusetzen, eine Funktion in einem nicht prestigeträchtigen Gremium zu übernehmen oder die Ziele anderer vor die eigenen zu stellen?
An intrinsischer Motivation mangelt es Menschen, die sich für eine wissenschaftliche Laufbahn entscheiden, nicht. Wissenschaft ist kein Beruf, sondern Berufung: „Es ist mein Beruf, es ist mein Leben, es ist meine Liebe.“5 Wissenschaft ist, so will es nicht nur der Mythos, sondern zeigt auch immer wieder die Realität, kein „nine to five“-Job. Arbeit und Freizeit fließen ineinander über. Die eigentliche Forschungstätigkeit findet sehr oft erst in den Abendstunden oder am Wochenende statt. So klagen Teilnehmende unserer Seminare immer wieder, dass es ein Spezifikum im deutschsprachigen Raum sei, dass Forschung zur Privatsache deklariert wird und gleichzeitig den Kern der universitären Tätigkeit darstellt.
Wer weiterkommen will, muss publizieren. In der Praxis beherrschen aber oft administrative Tätigkeiten oder zeitaufwendige Funktionen in Studien- oder Austauschprogrammen den wissenschaftlichen Alltag. Je tiefer in der Hierarchie man angesiedelt ist, umso geringer ist die Chance, sich hier auszuklinken. Wissenschaftliches Tätigsein erfordert also auf lange Sicht gesehen ein sehr hohes Maß an Selbstmotivation und Frustrationstoleranz.
[23]Der Eintritt in die Wissenschaft ist häufig durch Zufall bestimmt. Er geschieht z.B. im Rahmen eines Tutoriums oder einer Projektmitarbeit und resultiert später oft in einem „Wursteln“ von Projekt zu Projekt. „Einmal auf den Zug universitärer Gelehrsamkeit aufgesprungen, ,ergibt‘ sich alles andere von selbst“, wie das häufig ausgedrückt wird. „Es hat sich einfach ergeben. Die Laufbahn war da. Ich habe sie nur mehr beschreiten müssen. Das ging wirklich … relativ von selbst durch diesen Anstoß am Anfang … und so lief das eben weiter. Mehr oder minder wie auf Schienen, muss ich sagen.“6
Doch die „Laufbahn auf Schienen“ hat sich seit dem österreichischen Universitätsorganisationsgesetz von 2002 und vergleichbaren Reformen in anderen Ländern ziemlich aufgehört. Die Frage der Anstellung wird immer mehr zu einem Lotteriespiel. Das „drittmittelfinanzierte“ Leben ist einerseits für die meisten auf Dauer, mit zunehmendem Lebensalter oder wachsenden familiären Verpflichtungen nicht wirklich erstrebenswert. Andererseits hat man jedenfalls nach einer Promotion schon einen guten Teil seines Lebens in die Wissenschaft investiert. Da der Umstieg in die Privatwirtschaft oder Selbständigkeit für über Vierzigjährige oft nur schwer möglich ist, müssen berufliche Motive und Ziele immer wieder reflektiert und Entscheidungen getroffen werden.
Welchen Stellenwert hat der wissenschaftliche Beruf für mich?
Inwieweit ist er eine Berufung, inwieweit ein Job?
Beinhaltet die wissenschaftliche Existenz für mich das Ziel, ein Gebildeter oder eine Intellektuelle zu sein – über die Fachexpertise hinaus?
Wie viel Zeit bin ich bereit, in meine Berufsrollen zu investieren?
Wie soll daneben mein Familien- und Privatleben aussehen? Wie will ich es gestalten?
Wie gut kann ich mit Ungewissheit leben?
Wie gehe ich mit Frustrationen um?
Wie gut kann ich mich selbst motivieren?
Klarheit über die motivierenden Werte hilft, eine negative Motivationsdialektik zu vermeiden, von Hoffnung über Verzweiflung zum Trotz.
Dient Wissenschaft der Selbstverwirklichung oder dem Wunsch, einen Beitrag zur Verbesserung der Welt zu leisten, oder der Wissbegierde und dem Forschungsdrang? Trifft eine dieser Wertkonstellationen zu, so unsere[24] Erfahrung, lässt sich vieles an Frustration, zeitlichem Mehraufwand und Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen. Überwiegt hingegen das Zufallsprinzip oder fehlen berufliche Alternativen, so wird sich der Weg in der Wissenschaft, so wie er sich heute abzeichnet, nur mit sehr viel Selbstdisziplin gehen lassen.
Lehre, Forschung und Administration –Die Kunst, allen Berufsrollen gerecht zu werden
Wie viele Rollen von Ihnen gelebt werden, hängt von Ihrer momentanen beruflichen und privaten Lebenssituation ab. Wie Sie diese ausfüllen möchten, hängt von Ihnen selbst, also Ihren Zielen, Prioritäten, Erwartungen und Werten ab. Vor allem Ihre Werte bestimmen, wie viel Zeit Sie – jenseits des Minimums – in verschiedene Aufgaben investieren.
Per definitionem beschreibt und erklärt die Rollentheorie einerseits die Rollenerwartungen und -festlegungen und andererseits, welche Spiel- und Handlungsfreiräume dem Individuum in einer Rolle offenstehen. Sie beschäftigt sich damit, wie gesellschaftlich vorgegebene Rollen erlernt, verinnerlicht, ausgefüllt und modifiziert werden.
Das eigene Rollenbild zu entwerfen, es immer wieder weiter zu entwickeln und zu pflegen, ist eines der Geheimnisse erfolgreicher Lebensentwürfe. Machen Sie es sich zur Gewohnheit, Ihre Rollen regelmäßig einer Inspektion zu unterwerfen, um herauszufinden, ob Sie sich noch auf dem richtigen Weg befinden und über genügend Ressourcen für die Erledigung aller Aufgaben verfügen. Aber auch Lebensvision und -ziele sollten immer wieder überprüft und gegebenenfalls adaptiert werden.
Ist in meinem persönlichen Rollenbild die Lehre prioritär oder verstehe ich mich selbst eher als forschungsorientiert?
Sehe ich meine Rolle primär im Umfeld meiner Universität oder will ich eine internationale Wirkung entfalten?
Wie sieht meine ideale Balance zwischen berufsrelevanten und privaten Rollen aus?