Zen und das Glück, im Garten zu arbeiten - Miki Sakamoto - E-Book
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Zen und das Glück, im Garten zu arbeiten E-Book

Miki Sakamoto

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Beschreibung

Die meditative Kraft des Gärtnerns In Gartenbüchern wird hauptsächlich über Pflanzen geschrieben. Wie man Erträge erzielt, wie man Blumen zum Blühen bringt und den Garten zum Kunstwerk macht. Salat und Tomaten, Rosen und Chrysanthemen kommen bei Miki Sakamotos zwar auch vor – in ihrem von buddhistischer Weisheit durchdrungenen Buch wird der Garten jedoch zum kleinen Universum und zur Quelle von Kraft. Eine zauberhafte Anleitung zum Leben im Einklang mit der Gartennatur.

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Über das Buch

Die meditative Kraft des Gärtnerns

In Gartenbüchern wird hauptsächlich über Pflanzen geschrieben. Wie man Erträge erzielt, wie man Blumen zum Blühen bringt und den Garten zum Kunstwerk macht. Salat und Tomaten, Rosen und Chrysanthemen kommen bei Miki Sakamotos zwar auch vor – in ihrem von buddhistischer Weisheit durchdrungenen Buch wird der Garten jedoch zum kleinen Universum und zur Quelle von Kraft. Eine zauberhafte Anleitung zum Leben im Einklang mit der Gartennatur.

Über Miki Sakamoto

Miki Sakamoto, geboren 1950 in Kagoshima/Japan, entstammt der alten Satsuma-Familie. Sie studierte in Tokio klassische japanische und chinesische Literatur und Kulturanthropologie an der Universität München. In Japan schrieb sie für verschiedene Zeitungen, seit 1974 lebt sie in München. 2019 erschien ihr Buch »Eintauchen in den Wald«.

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Miki Sakamoto

Zen und das Glück, im Garten zu arbeiten

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Newsletter

Vorbemerkung

Mein Garten

Tshadou – der »Weg zum Tee«

I. Der Garten im Jahreskreis

Langsamer Anfang: der Frühling

Dem Höhepunkt entgegen: der Frühsommer

Sommer

Herbst

Winterbeginn

Wintersonnenwende

II. Facetten des Gartenlebens

Rosenkäfer und Harlekine

Glühwürmchen und andere Käfer

Zwiegespräche mit Amseln

Rasenmähen

Rosen und Palmen

Kartoffeln

Tomaten

Kraut

Schmetterlinge

Vögel im Garten

Ohrwürmer

Ungeziefer und Unkraut

Bäume und Sträucher

III. Harmonien im Zen-Garten

Novembergrau – Ein- und Ausatmen

Gartenzwerge

Baumschnitt

Nachlese

Kleiner Dank

Literatur

Anmerkungen

Impressum

Vorbemerkung

Niwayoku ist die japanische Bezeichnung dafür. Diese Haltung nutzt Aktivitäten im Garten zur Entschleunigung, atmet Bodenaromen und gewinnt meditative Entspannung in der Arbeit. Das als »Waldbaden« bekannt gewordene Shinrinyoku weitet den Aufnahmehorizont der Sinne durch aktive Entfernung von Einflüssen aus der Menschenwelt. Niwayoku hingegen verengt den Horizont durch Vertiefung in die kleine Welt gestaltender Hände, die Werden und Vergehen begleiten. Niwayoku begreift Natur als das Hervorbringende und Gebärende.

Sinn der Zen-Betrachtung des Gartens ist im Niwayoku nicht die gärtnerische Selbstdarstellung, sondern die Verinnerlichung der eigenen Tätigkeit. Die Früchte des Gartens, die Blumen und auch die gestaltete Miniaturlandschaft »kommen zustande«. Sie sind nicht von vornherein als Ziel gesetzt, für das mit viel Engagement gekämpft wird. Mit der Zen-Haltung nimmt man hin, was sonst als Fehlschlag empfunden wird, also auch, dass andere Lebewesen über das Werden und Vergehen im Garten auf ihre Weise mitbestimmen. Das Zen kennt keine Schädlinge, sondern es nimmt die Mitspieler wahr und betrachtet sie als Spiegel der Folgen unserer Bemühungen.

Zen im Garten fokussiert unsere Betrachtungsweise und damit uns selbst. Das Ergebnis ist eine aktive, nach außen gerichtete Meditation, die das eigene Wirken vertieft wahrnimmt und Teil der Lebensphilosophie wird.

Mein Garten

Dieses Buch handelt größtenteils von meinem, von unserem Garten. Er umgibt auf drei Seiten das Haus, in dem wir seit gut zehn Jahren leben. Nach Jahrzehnten in München verlagerten wir uns damals »aufs Land« in eine Kleinstadt im Südosten Bayerns. Die Lage an ihrer Peripherie in einem Neubaugebiet aus den 1970er Jahren bescherte den Wohnhäusern einen nach heutigen Maßstäben etwas großzügigeren Gartenanteil. Das größere Stück mit einer Fläche von etwa 250 Quadratmetern liegt an der südwestwärts ausgerichteten Stirnseite des Hauses vor der Terrasse. Der kleinere, als Gemüsegarten genutzte Teil auf der Ostseite des Hauses hat etwa 60 Quadratmeter. Ein breiter Durchgang verbindet beide südseitig. Die ganze Anlage wird von zwei Seiten von Straßen begrenzt. Auf den beiden anderen grenzen die Nachbargärten an, die sich nach allen Seiten in ähnlicher Weise ausdehnen. Ein Wohngebiet eben, verkehrs- und geschwindigkeitsreduziert. Überall stehen Bäume. Beim Blick aus den Fenstern des oberen Stockwerks wirkt die Umgebung sehr grün. Der Wald (Forst) ist nach Osten rund einen Kilometer Luftlinie entfernt. Davor liegt aber eine intensiv landwirtschaftlich genutzte Flur. Über die übrigen Seiten dehnt sich das Stadtgebiet aus. Eine Durchschnittslage also. Typisch für viele Wohngebiete im städtischen Siedlungsraum. Die geografische Lage rund 50 Kilometer vor dem bayerischen Alpenrand bringt uns reichlich Niederschläge von knapp 1000 Millimetern im Jahresdurchschnitt. Der Garten liegt auf fast genau 400 Metern über Normalnull. Damit gehören wir zu den wärmeren Regionen Südbayerns mit etwas höheren Durchschnittstemperaturen als München im Sommer und entsprechend tieferen Frösten im Winter. Westwind ist vorherrschend. Föhn gibt es verhältnismäßig häufig, aber nicht in der Stärke wie in München und vor allem südlich davon. In meiner Münchner Zeit hatte ich mit dem Föhn richtiggehend zu kämpfen. Auch damals brachten es günstige Umstände mit sich, dass ich stets in und mit einem Garten leben konnte, wenngleich jeweils in deutlich kleineren. Aber immerhin. Manches, wovon ich berichte, bezieht sich auch auf die Jahre der Münchner Zeit.

Die Grundstruktur der beiden Gartenteile lässt sich leicht charakterisieren. Der Gemüsegarten auf der Ostseite liegt im Winkel, den das Haus mit der Garage bildet. Er ist dem Licht von Morgen und Vormittag zugewandt und ist sehr windgeschützt. Die Wände der Gebäude speichern Wärme und geben sie nachts ab. Die Weintrauben reifen daher, wie auch die Tomaten, in ihrer Nähe besonders gut. Im Winter bleiben breite Ränder auch bei Schnee meist frei und der niedrigen Sonne zugänglich. Eine massige Thujahecke bildet die Grenze zum Nachbargrundstück. Südseitig schirmt ein hoher Holzzaun das Gelände ab. Dieser verläuft auch auf der West- und Nordseite entlang den Straßen. Davor zieht sich im vorderen Garten das dichte Buschwerk entlang, zu der die Hecke herangewachsen ist. Im Südosten ragen die als Doppelstamm aufgewachsene Birke und eine aus mehreren Stämmen zusammengesetzte, eine sehr spitze Pyramide bildende Thuja heraus. Nordseitig sind es breite Gipfel von Hainbuchen. In der Nordwestecke steht der sechseckige Holzpavillon. Ich betrachte ihn als mein Teehaus. Offener, magerwiesenartiger Rasen breitet sich davor aus bis zur Terrasse, vor der die Sternmagnolien und die Buddleja-Staude stehen. Beide Gartenteile vermitteln das Gefühl, umschlossene Inseln zu sein. Im Lauf der Jahre des letzten Jahrzehnts versuchte ich, diese Wirkung zu verstärken. Es beruhigt mich, zu wissen, dass beide Gartenteile von außen nahezu nicht einsehbar sind, auch wenn wir dank gutnachbarschaftlicher Verhältnisse von der Umgebung nichts zu »befürchten« haben. Aber so lange mein Hund lebte und den Garten als sein Revier betrachtete, war diese Abgeschlossenheit gewiss gut. Vielleicht sehen das die Amseln und Rotkehlchen auch so. Ich würde es mir wünschen.

Mit diesen rund 350 Quadratmetern Garten habe ich rund ums Jahr und über die Jahre zu tun. Meinem Rücken zufolge ist der Garten zu groß. Unseren Amseln reicht er nicht aus als Revier. Sie müssen auch die Nachbargärten mitnutzen. Ideal war er offenbar für meinen Hund. Er konnte darin herumsausen, etwas vergraben oder mein Graben und Pflanzen auf seine Weise mitgestalten. Notfalls verrichtete er ein dringendes Geschäft darin, doch nur ausnahmsweise, wenn es ihm nicht gut ging. Rückblickend meine ich, der Garten passte zu ihm am besten. Darin liegt er begraben. Ich versuche, mit den Anforderungen, die der Garten stellt, zurechtzukommen. Trotz schmerzendem Rücken schöpfe ich aus ihm Kraft. In den Garten gehe ich jeden Morgen. Er ist mein Gegenüber und mein Partner im Mitgestalten von Werden, Wachsen und Vergehen. Viele Gartentätigkeiten stimmen mich meditativ. Nicht alle. Dazu sind manche Arbeiten einfach zu profan, und mitunter auch zu frustrierend. Gerade dann tut es mir gut, die Dinge mit der Zen-Haltung relativieren zu können. Wieder und wieder stelle ich fest, was für ein Glück es ist, im Garten tätig sein zu können.

Tshadou – der »Weg zum Tee«

Im Zen-Buddhismus stellt die Tee-Zeremonie zwar einen Weg unter vielen möglichen dar, aber einen besonderen und einen in besonderer Weise zu praktizierenden: Tshadou. »Weg zum Tee« bedeutet dieser Ausdruck, der den Garten mit der Teezeremonie engstens verbindet. Ausführlicher interpretiert, verstehe ich Tshadou als den wahren und optimalen Weg zu sich selbst durch die Übung der Teezubereitung. Der Altmeister der japanischen Teerzeremonie Rikyu, der von 1522 bis 1591 lebte, gab dazu die Anweisung: »Beherzige, was es heißt, Wasser zum Sieden zu bringen, den Tee vorzubereiten und ihn mit ruhigem, besinnlichem Herzen in aufrechter Haltung zu trinken. Dies ist eine einfache Übung, nicht mehr!« Ritualisiert folgt die Teezeremonie strengen Regeln. Jede Bewegung gilt als Ausdruck und Spiegelung der inneren Haltung. Die Hände werden gereinigt beim Zutritt zur Anlage mit dem Teepavillon. Ein passendes Wassergefäß mit frischem, sauberem Wasser steht am Eingang (nijiriguchi). Dieser ist klein und eng. Das gebietet dem Samurai die Abnahme des Schwertes. Ohne Waffe und ohne Hast, fast rutschend, setzt er sich in vorgebeugter Haltung vor das Blumengesteck im Teehaus und schweigt. Vor den Blumen hat sich der Gast verneigt, um seine Verehrung auszudrücken und seine Zurückhaltung zu unterstreichen. Die Zubereitung des Tees erfolgt ohne Gespräch mit dem Begießen des Teepulvers in der von beiden Händen gehaltenen, in ergebener Ehrfurcht getragenen Schale. Fingerbewegungen, ein Tüchlein, das wie eine Serviette wirkt, und die kaum wahrnehmbaren Bewegungen des Oberkörpers dehnen den Fluss der Zeit bis fast zum Stillstand – dem Moment des Aufbrühens.

Die Teeschalen sind Gefäße vollendeter Kunst. Je nach Jahreszeit werden andere verwendet. Sie gehören zur Harmonie der Stunde, wie die gewählten Blumen, die Muster der Kimonos und die Ausblicke aus den geöffneten Schiebetüren. Harmonie, Respekt, Reinheit und Stille sind die zentralen Elemente der Teezeremonie und ihr Zen-Gehalt. Männer, die Teemeister werden wollen, und vor allem Frauen üben viele Jahre, um die Vollendung in der Teezeremonie zu erlangen. Nicht als Verpflichtung, weil Gäste auf bestmögliche Weise bewirtet werden sollen, sondern als Bedürfnis und aus der Zen-Erfahrung, dass Perfektion ein unerreichbares, gleichwohl anzustrebendes Ziel ist. Wäre ich in Japan, würde mich dieses Bedürfnis geradezu hineinzwingen in die Teezeremonie. Nur fern der Heimat bin ich in der Lage, anders darauf zu blicken: Die Harmonie, die angestrebt wird, ist nichts Absolutes. Sie ist von der Situation abhängig. Im Pavillon meinen Tee zu genießen beim Betrachten der Vögel im Garten, kann eine vergleichbare Harmonie zustande bringen wie beim Empfang des Gastes im traditionellen japanischen Teehaus. Ein Klavierstück zu üben und immer wieder zu üben, ist eine ähnliche Vorgehensweise auf dem Weg zur Perfektion. Die gleiche Berechtigung hat aber auch die Hingabe an das Treiben der Vögel im Garten und die Vertiefung in ihre Gesänge. Weil sie Harmonie und Schönheit vermitteln, die ich aufnehmen und verinnerlichen kann.

»Übung macht den Meister«, sagt man hier, und meint damit gewiss das Gleiche. Weil eben auch »kein Meister vom Himmel gefallen ist«. Doch Meisterschaft schränkt ein. Sie kann überheblich machen. Davor warnte Teemeister Rikyu auf folgende Weise. Von einem Schüler gefragt, was der Sinn des Weges zum Tee sei, hatte der Meister geantwortet: »Wasser holen, Feuer anzünden, Wasser erhitzen, Tee schlagen und trinken, das ist alles!« Als der Schüler entgegnete »Das kann ich schon alles!«, antwortete ihm Meister Rikyu »Dann möchte ich dein Schüler werden!«

Diese unvergänglichen Worte fielen mir ein, als ich, Tee schlürfend, den Spatzen am Vogelbad zusah. Jeder badete auf seine Weise, intensiver oder nur kurz, alle behielten dabei offenbar einander im Auge und richteten sich aufeinander aus. Vorbild war keiner, Nachahmer alle. Die Amsel hätte ich mir als Zen-Meister vorstellen können, der die Kleinen, die Schüler, in ihrem Tun und Streben betrachtet. Doch auch sie bestimmte nichts. Jedes kleine Leben lebt für sich und ist doch eingebunden in das Leben anderer. Auch ich bin dabei Betrachterin und Beteiligte. Meine Gartenarbeit wirkt auf die Vögel, auf all die anderen Tiere, die ich bewundere oder gar nicht bemerke, weil ich zu wenig auf sie achte, und auch auf die Pflanzen, deren Wachsen und Gedeihen ich fördere oder verhindere. Beim Meditieren werde ich Mitte, weil ich mich selbst dazu mache. Aber jedes andere Lebewesen bleibt seine eigene Mitte. Aus dieser Einsicht heraus schätze ich sie, auch die, die ich zurückdränge.

Die Wertschätzung der profanen, trivialen Gegebenheiten oder Ereignisse bildet im Zen das Kernstück. Meditative Entrückung kann Flucht bedeuten, Flucht vor der Wirklichkeit mit ihren Notwendigkeiten. Die Annahme des Lebens ist die Aufgabe, besagt hingegen die Zen-Haltung. Nicht ein Wunschziel oder eine Befürchtung, die nicht eintreten soll, jenseits des Lebens. Wie sehr es um das Leben selbst geht, sagen mir die Spatzen und Amseln, die Schmetterlinge und Käfer, die Blumen und Gräser und alles andere Lebendige, mit dem ich zu tun habe. Ich brauche ihnen nur zuzusehen. Ich muss sie nur wahrnehmen. Dann habe ich keine tiefschürfenden Philosophien über den »Sinn« des Lebens nötig. Wenn alles so, wie im Frühsommer, dem Höhepunkt und seiner Vollendung zustrebt, erlebe ich das Leben weit lebendiger als nur auf mich selbst beschränkt. Die Teestunden im Mai oder Juni vermitteln das Beste davon, wenngleich sich selbst in dieser Phase bereits Zeichen des Niedergangs zeigen. Die Frühlingsblüher sind vergangen. Sie verschwinden. Ich müsste nach ihren Resten suchen, um ihre Existenz nachzuweisen. Aber ich weiß, sie werden wiederkommen, nächstes Frühjahr, wie jetzt oder bald all jenes kommen wird, das den Sommer kennzeichnet. Darin steckt die andere Botschaft: Alles ist verschieden und alles ist doch gleich in der Verschiedenheit. Viele, für mich unüberschaubar viele Zyklen und Rhythmen folgen aufeinander und überlagern sich zum Teil. Dass sich im Frühsommer besonders viele verdichten und zueinander fügen, bedeutet nicht, dass es im Herbst und Winter keine gäbe. Sondern dass diese anders sind. Dass sie nicht so sehr die langen Tage und die starke Sonne brauchen wie die Zyklen des Frühsommers, denen ich meinen eigenen hinzufüge. Auch ich brauche und schätze sie, die Sonne und die langen Tage, die Wärme und das Gefühl, dass es aufwärts geht. Daher stimmt mich die Sommersonnenwende auch etwas wehmütig. Das Glas des Jahres ist da nicht »noch halb voll«, sondern es wird immer schneller an Fülle abnehmen. Bis zur Neige in der finsteren Zeit der Wintersonnenwende. Doch davor liegen die Wochen und Monate des Erntens. Und darauf freue ich mich. Den Anfang haben Erdbeeren, Johannisbeeren, Himbeeren und Salat gemacht. Süße und Frische also, mit viel und besonderem Aroma. Wenn die Tomaten reifen, ist der Sommer gekommen, besagt mein Gartenkalender. Und die Gurken, die Kürbisse, die Kohlrabi und schließlich auch die Äpfel. Dann erblüht der Schmetterlingsflieder und wir können daran bei sonnigem Wetter dem Treiben der Schmetterlinge und der Schwebfliegen zusehen. Bremsen und Wespen werden uns auf der Terrasse heimsuchen. Von der Birke werden erste gelbe Blätter auf den Rasen fallen. Und beim Tee werde ich wissen, was ich nächstes Jahr im Garten anders machen sollte. Perfektion wird er verhindern, ganz sicher. Es gibt im Zen keinen besseren, keinen lehrreicheren Sparringspartner als die Gartenarbeit. Die Erfahrungen und Empfindungen daraus verdichten sich zu einem Gesamtgefühl, das ich japanisch Niwayoku nenne. In diesem Buch möchte ich den Weg dorthin andeuten. Ein Weg, der auf stets anderen, höchst unterschiedlichen Pfaden zum Gartenglück führt.

I. Der Garten im Jahreskreis

Banal mag es klingen, aber im Garten erlebe ich Zeit anders. Sie ist nicht mehr zerteilt in Datum und Uhrzeit, nicht einmal als Monat festzulegen. Als Fluss, als Strom mit Turbulenzen und ruhigen Phasen zieht sie sich durchs Jahr. Nach dem heutigen Tag darf ich zwar annehmen, dass der morgige sehr ähnlich werden wird, aber am Jahresbeginn weiß ich, dass das Kommende nur ganz grob dem Vergangenen gleichen wird. Deshalb mache ich mir Pläne zu meinen Vorhaben, aber mit Vorbehalten. Viele, die gärtnern, blicken voller Erwartungen auf das neue Gartenjahr. Strahlend erblüht und voller Frucht sehen sie ihr Werk bereits vor sich. Auch ich nehme mir dies und das vor. Den Garten kann man nicht einfach auf sich zukommen lassen. Er stellt eine Herausforderung dar, eine nie ganz erledigte Aufgabe. So oder so ähnlich steht es in fast jedem Gartenbuch. Wenn man es nicht liest, weiß man es trotzdem. Jeder Garten erteilt diese Grundlektion. Beständigkeit ist Illusion, gegen Veränderungen anzugehen unvermeidbar. Doch je aufmerksamer ich betrachte, was in Gärten vor sich geht, desto klarer wird mir der Wandel bewusst. Er überlagert alles Werden und Vergehen. Dem größeren Kreislauf des Jahres gibt er die Richtung. Schon im nächsten Jahr wird vieles ganz anders sein, wenn ich der Natur freien Lauf lasse. Am Widerstand gegen den Wandel erfasse ich das Wesen der Zeit. Und in gewisser Weise auch am Scheitern von Erwartungen, die ich mit meinem Tun verbinde. Es zielt ja auf Kommendes ab, auf noch gar nicht direkt Absehbares. Sei es so etwas Simples wie Salat, den ich frisch aus dem Garten genießen möchte, oder Trauben, auf die ich hoffte, als ich einen Schössling pflanzte und sein Aufwachsen zum Rebstock begleitete. Die Rosenstauden und die Hecke werden im Herbst geschnitten, weil ich Vorstellungen damit verbinde, wie sie blühen oder als dichte grüne Wand die kleine Insel meines Gartens schützend umgeben sollen. Die Blattläuse bekämpfe ich im Mai und Juni, um mich im Juli und August an den Blüten der Hibiskusstauden erfreuen zu können. Und so fort. Ganz selbstverständlich ist das alles. Nicht wert, darüber nachzudenken. So dachte ich lange.

Im Lauf der Jahre dachte ich jedoch mehr und mehr über das »Selbstverständliche« nach. Ich vertiefte mich in die Abläufe, die ich zu beeinflussen und auszurichten versuche. Wie es die alten Zen-Meister prognostizierten, entwickelt sich daraus von selbst jenes Gefühl, das in der Meditation angestrebt wird, zu der man sich manchmal zwingt. Es kommt aus dem Tun und dem Betrachten. Die Ziele treten zurück. Sie sollen unbedeutend werden, so wünschenswert sie auch sein mögen in Form der Erdbeeren, des Krautkopfes oder der Äpfel aus dem eigenen Garten. Wer sich zu sehr auf den Ertrag ausrichtet, verliert die tiefe Bedeutung der Gegenwart. Das Wesen des Werdens verschwindet unter der Übermacht der Ziele. Viel zu oft gebraucht, und damit fast zur Bedeutungslosigkeit verbraucht drückt der Satz »Der Weg ist das Ziel« aus, worum es im Zen eigentlich geht. Der Weg ist der Gang der Jahreszeiten. Es sind die Veränderungen im Garten, die mir den Lauf der Zeit vermitteln, wie der Blick auf die Uhr den Tag und der Kalender die Tage.

Die Abläufe im Garten unterscheiden sich von den kalendarischen Jahreszeiten. Klare Grenzen gibt es nicht. Sie wären unnatürlich. Nicht allein wegen der Variabilität des Wetters. Gerade bei diesem hängen wir viel zu stark an Klischees – wie etwa, dass der Winter Schnee bringt und Schnee nur im Winter fällt. Auch der präzise, von der Witterung gänzlich unbeeinflusste astronomische Jahresgang kennt keine Grenzen zwischen Winter und Frühling oder für andere Jahreszeiten. Fix sind lediglich der Höchst- und Tiefpunkt des Sonnenstandes und die Tag-und-Nacht-Gleiche im Frühjahr und Herbst. Aber nichts in meinem Garten oder draußen im Wald oder auf den Fluren vermittelte mir irgendeinen Hinweis darauf, dass diese »Punkte« auch Einschnitte in den natürlichen Abläufen wären. Wenn ich nachfolgend die »Jahreszeiten« auf meinen Garten bezogen betrachte, sind diese nichts weiter als Hilfsmittel, um Übersicht zu gewinnen. Denn alles ist Übergang, nichts ist ganz direkt »Sommer« oder »Herbst«.

Ich hatte von Anfang an keine besonderen Schwierigkeiten, mich von der Vorstellung fester, an Monate und das Datum gebundener Jahreszeiten zu lösen, weil diese in meiner südjapanischen Heimat so verschieden sind von den mitteleuropäischen Verhältnissen. Daher betone ich, dass die fünf Zeitspannen, die ich auf meinen Garten beziehe, hiesige, ortsbezogene Phasen im Jahreslauf sind. Mir sagen sie durchaus viel. Sie bestimmen in erheblichem Umfang, was ich im Garten zu tun gedenke und wie ich damit umgehe. Vor allem verdeutlichen sie mir die Abfolge und das Ineinandergreifen der verschiedenen Lebenszyklen. Sie lehrten mich, im Umgang mit der Natur im Garten die »Eigenzeiten« der verschiedenen Organismen zu erkennen und zu berücksichtigen. Meine eigene, ganz persönliche Zeit wurde dadurch zu einer Vielzahl von Zeiten. Sie alle fließen zusammen im Werden und Vergehen. In diesem Sinne stellt für mich der Garten eine geöffnete Tür mit Blick nach draußen dar.

In Japan idealisiert das Ryokan-Hotel die Kombination des Hauses mit Garten. Über die Jahreszeiten eröffnet es den Gästen den Blick auf den Lauf der Zeit mit ihren wechselnden Szenerien. In unserer Haiku-Dichtung gibt ein so genanntes Jahreszeitenwort an, auf welche Phase des Jahres sich die Worte beziehen. Meine »Jahreszeiten« entsprechen weitgehend den hier in Mitteleuropa üblichen kalendarischen Abschnitten des Jahres. Besonderheiten, die mich beschäftigten oder faszinierten, behandle ich gesondert. Meistens fügen sie sich nicht einfach in das Schema, auch wenn sie einer Jahreszeit zugesetzt werden. Jeder »Gang durchs Gartenjahr« ist idealisiert. Das kann auch ich nicht ganz vermeiden. Meine eigenen Zeitvorstellungen sollen möglichst nicht zum Leitmotiv geraten. Gartenzeit zu erleben, heißt sich von Kalender und Uhr zu lösen.

Langsamer Anfang: der Frühling

Die Jahreszeiten liegen falsch. Dass dies keineswegs mein persönliches Vorurteil ist, das aus meiner fernöstlichen Herkunft stammt, bestätigen mir alljährlich viele Menschen und die Medien. Der Winter wird mit Schnee und Kälte schon im Dezember erwartet. Im Januar soll mit viel Schnee und tiefen Frösten sein Höhepunkt erreicht werden. Im Februar hat er zu enden und im März muss der Frühling beginnen. Doch oft bringt der Februar die größte Kälte und der März überschüttet uns mit Schnee, mitunter auch der April. Gibt es zu Weihnachten keinen Schnee, sei dies kein Winter, heißt es. In den Jahrzehnten meines Hierseins erlebte ich Schneefälle von September bis Mai, also meistens zur unpassenden Jahreszeit. Und nicht nur die weiße Pracht, sondern auch Frost. Schon lange vor meiner intensiveren Beschäftigung mit dem Garten gab ich es auf, das Wetter als Ausdruck der Jahreszeit zu betrachten. Viel wichtiger ist für mich das Licht. Aus meiner Kindheit kannte ich weder Novembergrau noch Dezemberwochen, an denen es kaum Tag wird. Jedes Jahr hoffe ich darauf, dass Schnee fällt, weil er diese finstere Zeit etwas heller machen würde. In dieser Hinsicht, stelle ich mir vor, bin ich wie eine Pflanze, die vom Lichtmangel bedrückt wird. Die Tage sind einfach zu kurz.

Etwa drei Monate nach dieser trübseligen Zeit des »Toten Herbstes«, wie er im bayerischen Volksmund genannt wird, sind endlich die Tage lang genug und die Sonne kräftiger geworden, dass aus dem filigranen Geäst der Birke im Garten morgens die Triller einer Blaumeise kommen. Da ist es an der Zeit, nach den Schneeglöckchen zu schauen. Seit es Ende Januar milde Tage gegeben hat, warte ich auf den Moment, an dem schmale grüne Spitzen die Schneereste durchbrechen. Auf was für ein Signal hin beginnt ihr Wachstum? Mir bleibt dieses verborgen. Sind es die länger werdenden Tage, müssten sie jedes Jahr zu ziemlich gleicher Zeit kommen. An der Temperatur kann es auch nicht liegen. Wir hatten Januare, die milder waren als Februar oder sogar der März, und solche mit tiefem Frost, der mich fast zur Verzweiflung trieb, wenn ich frühmorgens mit dem Hund hinausmusste und mir der Atem gefror. Ein paar Föhntage Anfang Februar reichten, und die Schneeglöckchen schoben sich durchs Moos und die dünne Schneedecke. Die Kohlmeisen sangen nach heftigem Frost besonders intensiv. Auch die ersten Triller der Grünlinge bekam ich morgens zu hören, wenn ich mich lieber noch in der Bettwärme wälzen wollte als aufzustehen. Gut, die Vögel reagierten auf die Morgenhelle und die länger gewordenen Tage. Aber die Triebe der Schneeglöckchen? Sie stecken, wie ich wiederholt feststellte, mindestens zwei Handbreit tief im Boden, zudem in der Schattenlage der Hecke. Wodurch erfahren sie, dass es an der Zeit ist? Läuft in ihnen eine innere Uhr ab, die ein letztes Mal Tageszeit genommen hatte, als irgendwann im Spätsommer die schlaff und braun gewordenen Blätter der Schneeglöckchen vollends abstarben? Allein den Gedanken an eine solche Möglichkeit empfinde ich als kaum zu fassen.

Die Feuerwanzen machen es mir einfacher. Beim Efeu an der sonnenbeschienenen Hauswand sehe ich die ersten. Schwarz und orangerot gemustert sind sie, unverkennbar. Sie wirken bedrohlich, sind aber ganz harmlos. Giftstoffe in ihrem Körper schützen sie davor, von Vögeln gefressen zu werden. Von mir haben die rund einen Zentimeter langen, ovalen Wanzen auch nichts zu befürchten. Später im Frühjahr amüsieren sie mich, wenn sie sich paaren. Dabei koppeln sich Männchen und Weibchen zusammen. Aber mit der Spitze des Hinterleibs in voneinander abgewandter Weise. Das wäre zwar auch nicht komischer als eine Marienkäferpaarung, bei der das halbkugelige Männchen das noch stärker kugelige Weibchen besteigt und eine Weile in dieser Position verharrt, ohne sich nennenswert zu bewegen. Die Feuerwanzen laufen aneinandergekoppelt umher. Recht schnell sogar. Das Weibchen bestimmt die Richtung. Das Männchen läuft mit, muss aber seine Beine entgegengesetzt bewegen. Ich halte dies für ein Kunststück, das Bewunderung verdient! Denn das Paar läuft keineswegs langsam und das Männchen lässt sich auch nicht einfach mitschleifen. Vorerst wärmen sich die Feuerwanzen an der Hauswand nur auf. Setzt erneut Winterwetter ein, ziehen sie sich zurück an die Stellen im Boden, wo sie die Wintermonate verbrachten. Ich kann nun direkt mitverfolgen, wie sie an manchen Tagen die Sonne weckt, auch wenn noch etwas Frost herrscht. Nasskaltes Wetter meiden sie, selbst wenn es dabei fünf bis zehn Grad über Null haben sollte. Ihre Reaktion auf die Frühlingssonne gefällt mir. Sie entspricht meinen Gefühlen. Am Nachmittag tanzen dann auch die Wintermücken im Garten, wie sie dies bereits im Spätherbst getan hatten und bei starkem Föhn mitunter sogar mitten im Winter tun.

Schneeglöckchen, tanzende Wintermücken und Feuerwanzen bilden ein Vorfrühlings-Trio, das den momentanen Zustand und die jahreszeitliche Tendenz vereint. Die Wintermücken und die Feuerwanzen reagieren auf den Moment, auf die Sonne, die Föhnwärme und den Schnee, der dampfend verschwindet. Die Schneeglöckchen reagieren auf die Tendenz des Wetters und bleiben, selbst wenn ein Nachwinter mit tieferen Frösten und mehr Schnee nachkommen sollte. Fast jedes Jahr gab es im letzten Jahrzehnt so einen Kälteeinbruch, vor allem, wenn Januar und Februar sehr mild gewesen waren. Für die Schneeglöckchen und die Frühlingsknotenblumen, die ihnen meistens etwa fünf Tage später folgen, mitunter aber ziemlich gleichzeitig blühen, bedeutet so ein Nachwinter offenbar nichts. Ihre Blüten, die auf Englisch so schön Snowdrops und Snowflakes heißen, werden sich im Frühlingswind wiegen, gleichgültig ob sie schon Ende Februar oder einen Monat später aufgegangen sind. Beide habe ich im Garten. In kleinen Gruppen dicht an dicht wachsen sie. Zu dicht, wie ich meine, aber die Schneeglöckchen sind da offenbar anderer Meinung. Bis zu 180 Blüten zählte ich in einem einzigen »Büschel«, das ich mit zwei Händen umfassen kann. Es dauerte einige Jahre, bis ich dahinterkam, woran es liegt, dass sie so wachsen. Sie vermehren sich durch die Abtrennung von »Tochter«-Zwiebeln. Meine Schneeglöckchen sind also Klone einer Mutterpflanze. Auch draußen in den Auwäldern, wo sie natürlicherweise vorkommen, verhält es sich so. Daher wachsen sie so dicht, fast wie zusammengepresst. In einem Büschel blühen sie ziemlich gleichzeitig. Weil sie alle Töchter einer Mutterzwiebel sind.

Im Garten sehe ich, wie über die Jahre die einzelnen Stöckchen größer werden. Nur ausnahmsweise finde ich einzelne neue Schneeglöckchen irgendwo auf dem Rasen. Hunderte haben im letzten Jahr und in den Jahren davor geblüht. Warum vermehren sie sich da nicht viel stärker? Ihre Blüten werden eifrig von Bienen besucht. In den meisten Jahren tragen nur sie schon Blüten, wenn die ersten Honigbienen ausfliegen. Von Stöckchen zu Stöckchen fliegen sie, nicht nur von Blüte zu Blüte eines Stöckchens. Also sollte es Samen geben. Viele Samen. Später im Jahr, wenn der Frühling in den Frühsommer übergeht, sehe ich die Kapseln, in denen die Samen heranreifen. Sie liegen auf dem Boden oder sind diesem zugeneigt, während die Blätter der Schneeglöckchen und auch der Frühlingsknotenblumen noch aufrecht stehen und satt grün aussehen. Im nahen Auwald gibt es Millionen davon. Dort sind sie viel gleichmäßiger verteilt als in meinem Garten. Die reifen Samen werden von Ameisen verbreitet. Sie tragen kleine Anhängsel, die auf die Ameisen wie Zuckerbrot wirken. Auch die Samen der Blausterne tragen solche Lockmittel. Doch in meinem Garten verschwanden sie schneller, als ich sie nachpflanzte. Und wenn doch der eine oder der andere Blaustern überlebte, sah er als Einzelpflanze ziemlich mickrig aus. Im Auwald gibt es die Blausterne zu Tausenden mitten unter den Millionen Schneeglöckchen und Frühlingsknotenblumen oder in großen Beständen auch alleine. Wo nur sie vorkommen, bilden sie im April blaue Bänder entlang der Wege oder ganze Flächen. Auch in meinem Garten verbessert sich die Lage für die Blausterne seit einigen Jahren. Und neue Einzelvorkommen von Schneeglöckchen und Frühlingsknotenblumen treten auf. Den Grund kenne ich inzwischen. Wir hatten zu früh gemäht. Zu früh für die Samen, um reif zu werden. Die Ameisen konnten nichts sammeln und Samen an andere Stellen tragen. Die vorhandenen Zwiebeln überlebten und bildeten mit ihren abgespaltenen Töchtern Jahr für Jahr etwas größere Büsche von Schneeglöckchen und Frühlingsknotenblumen. Die Blausterne sind offenbar nicht so gut mit der Bildung von Tochterzwiebeln. Auch im Auwald bilden sie keine dichten Büschel. Diese Erfahrung kam mir in den Sinn, als ich meine Schneeglöckchen an einem weiteren sonnigen Februartag inspizierte und feststellte, dass die größte Gruppe wiederum deutlich zugenommen hatte. Vielleicht wird sie in zwei oder drei Wochen über 200 Blüten tragen. Vorerst sehe ich nur kleine weiße Spitzen davon an Dutzenden grüner Sprossen. Ich nehme mir fest vor, beim Rasenmähen auf die Samenbildung der Frühlingsblumen zu achten. Das Vergnügen, das sie mir jetzt und in nächster Zeit bereiten, ist die Achtsamkeit wert. Mit dem beginnenden Verblühen ist es nicht vorbei mit ihrem Leben im laufenden Jahr. Allzu oft achte ich tatsächlich nur auf das Blühen, stelle ich beschämt fest. So, als ob es für mich gemacht wäre, und nicht für die Schneeglöckchen selbst und die Insekten, wie bei all den anderen Blumen.

Darüber nachdenkend wische ich den Rest Schnee von den Primeln, die unter den Rosenstauden blühen. Leuchtend gelbe und blassgelbe Blüten tragen die beiden Sorten. Sie stammen nicht von den Schlüsselblumen ab, die hier im Auwald und an den sonnigen Triften vorkommen. Sie sind »stängellos«. Ihre Blüten sitzen fast direkt auf den Rosetten breitflächiger Blätter. Primula vulgaris hatte Carl von Linné vor über zweieinhalb Jahrhunderten ihre Stammart genannt. Sie wächst im atlantischen Klimabereich West- und Nordwesteuropas und blüht bei mir den ganzen Winter über, wie vielfach auch andernorts. Weil es in ihrem Herkunftsgebiet keinen Winter mit anhaltend Frost und Schnee gibt. Mir vermitteln diese Primeln, wie wichtig die Schneebedeckung ist. Haben wir reichlich Schnee, erfrieren mir die Primeln und auch die anderen frostempfindlichen Pflanzen im Garten nicht. Die Schneedecke isoliert. Sie hält den Boden temperiert mit seiner Eigenwärme und verhindert das Eindringen von Frost. An den Primeln sehe ich bereits im Spätwinter, ob ich mit Winterfolgen für meine Gartenpflanzen zu rechnen habe. Die Schneeglöckchen eignen sich dafür nicht. Sie sind winterhart. Anders die Tulpenzwiebeln. Um sie muss ich bangen, ob sie vom Frost geschädigt wurden, wenn kein Schnee lag. Für die Tulpen sind Spätfröste gefährlicher, zumal wenn sie bereits Knospen geschoben haben. Am Zustand der Primeln richte ich auch meinen Schutz für die Rosen aus. In den meisten Wintern brauche ich mich nicht um sie zu kümmern, nachdem ich sie im Herbst zurückgeschnitten habe. Um ihre Wurzeln geht es, wenn kein Schnee liegt und eisige Nächte zu erwarten sind. Um ihren Schutz muss ich mich rechtzeitig kümmern. Gerade jetzt, wenn alle Zeichen den Vorfrühling ankündigen, aber die Nächte noch länger als die Tage sind. Bis über die Märzmitte hinaus kann es Kaltlufteinbrüche geben, wenn Forsythien und Mandeln bereits blühen.

Der Vorfrühling ist im Jahreslauf die zweitlängste Phase, so mein Eindruck. Nach der noch längeren der Winterruhe von November bis in den Februar hinein zieht er sich hin und im Garten ändert sich mitunter eine ganze Woche lang so gut wie nichts. Der alljährliche Kaltstart stottert. Erst wenn die Tage länger werden als die Nächte, wechselt das Frühjahr in den Warmstart. Ab Ende März grünt und sprießt es mit Macht. In den vier, mitunter auch fünf zähen Wochen des Vorfrühlings kann ich mich in Ruhe einstimmen auf das neue Jahr. An Neujahr hat es viel zu formal begonnen. Mit zu viel Krach und Pulvergestank dazu. Die Wintersonnenwende war da schon eineinhalb Wochen vorüber. Mit dem 1. Januar kann ich nichts anfangen. Ich denke, dass für die allermeisten Menschen, die in Regionen mit ausgeprägten Jahreszeiten leben, das Jahr mit dem Frühling richtig beginnt, mit dem Wiedererwachen der Natur. Den Winter gilt es durchzustehen. Sobald die Sonne durch Höhe Kraft gewonnen hat, geht es spürbar aufwärts. So empfindet auch mein Körper den Lauf der Jahreszeiten.

Durch bewusstes Aufnehmen, was im Garten geschieht und was im äußerlich unveränderten Zustand verharrt, bereite ich mich im Frühjahr auf die Explosion der Lebensfülle vor, zu der es im April kommen wird. Jetzt, Ende Februar, habe ich noch die Muße, den beiden Blaumeisen zuzusehen, wie sie an den dünnen, abwärts hängenden Zweigen der Birke herumturnen. Sie untersuchen die noch dicht geschlossenen, würstchenartigen Kätzchen. An der Haselstaude sind diese schon viel größer und gestreckter. Einige sonnig-milde Tage werden ihnen genügen, sich vollends zu strecken und den Pollen in den Vorfrühlingswind zu streuen. Aus den dicken Knospen an den Haselzweigen recken sich dann wie winzige Polypen rote Fäden heraus, die weiblichen Blüten. Sie zu entdecken, bereitet mir jedes Jahr Freude. Nicht nur wegen der Nüsse, die ich ihnen verdanke, sondern wegen ihrer Art, mit spinnendür