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Brigitte Werner schildert 25 kleine Begebenheiten aus ihrem Leben - mit einem aufmerksamen, liebevollen Blick auf die scheinbar-unscheinbaren Ereignisse im Alltag, die sich aber bei näherem Hinsehen als denkwürdig und hintergründig erweisen können. So kann man auch selbst aufmerksam werden, wenn man die Augen aufmacht, sie blank reibt und sich voller Freude umdreht … Die kurzen, humorvollen und nachdenklichen Texte regen Fragen an, die oft im Verborgenen schlummern und nur darauf warten, einmal ans Tageslicht gehoben zu werden.
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Seitenzahl: 105
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Brigitte Werner
Das Leben ist wunderbar
Vorwort
Elvis, Bismarck und Brahms
Von der Schönheit des Augenblicks
Als die Vögel verschwanden
Schlüsselerlebnis
Oskar, mon amour
Der Tag, als ich Renate wurde
Mondaugen
Hast du Töne
Späte Liebe
Vom Fliegen und Fallen
Ganz schön alt
Aus allen Ecken und Kanten
An der Ampel
Von Vögeln und Träumen
Der Besuch
Nachtgefährt(e)
Momentaufnahme Berlin
Ein Rudel Ungeheuer
Und sie bewegt sich doch
Monstermäßig
Herrgott noch mal
Oh wie lacht
Zurückgeschwommen
Mehr als ein Flügel
Sie hieß Carmen. Irgendwie.
Die wahre Lebensweisheit
besteht darin,
im Alltäglichen
das Wunderbare zu sehen.
Pearl S. Buck
Danke
Ich möchte an dieser Stelle ein von Herzen kommendes Danke all den lieben und besonderen Menschen sagen, die mein Leben gekreuzt oder eine Weile begleitet haben. Aber meine Dankbarkeit gilt ganz besonders den vielen Kindern, sie waren meine Engel … Und sie gilt dem Leben. Das einfach wunderbar sein kann.
Es ist schon ein seltsames, kompliziertes, nicht durchschaubares Spiel, das dieses Leben mit uns spielt. Meistens verrät es uns seine Spielregeln nicht, und so haben wir oft keine Ahnung, wer oder was gerade der Joker ist, die Ereigniskarten bleiben aus, wir ziehen nur Nieten, und so gut wie nie darf man über Los gehen und den Extrabonus einziehen. Und wo bleiben all die Asse? Und trotzdem, trotzdem, es gibt sie, die kleinen und großen Überraschungen. Mein Leben ist voll von ihnen.
Eine mittelgroße Überraschung war es, dass mich mein Verleger auf der Frankfurter Buchmesse 2013 fragte, ob ich nicht im Lebensmagazin a tempo eine monatliche Kolumne für 2014 schreiben wolle. Mein Herz begann zu stolpern, und mein Kopf fing auf der Stelle an, sein volles Programm abzuspulen: Ha, schrie er, mach das bloß nicht! Das schaffst du doch nie. JEDEN MONAT! PÜNKTLICH! NIEMALS wird dir genügend einfallen, lass bloß die Finger davon. Du kennst dich doch! Erste Panikattacken krochen mir bis ins Knochenmark. Aber andererseits, jeden Monat eine ganze Seite. Und so viele Leser! (Du spinnst, sagte prompt mein Kopf, wer will deinen Kram schon lesen. Und überhaupt, den musst du erst mal schreiben. Jeden Monat!)
Ich bat um Bedenkzeit. Ich schlich über die Buchmesse, als hätte ich die Last all der Bücher dort auf meinen Schultern. Eine Kolumne. Herr im Himmel! Eigentlich eine Auszeichnung. Eine Möglichkeit, etwas zu erzählen. Aber was überhaupt? In meiner Aufregung hatte ich vergessen zu fragen, ob diese Kolumne ein Thema haben sollte. Ja, sie sollte. Das Thema war: Zufälle. Na, Herrschaften, selbst mein Kopf war verstummt. ZUFÄLLE!
Besser ging es doch gar nicht. Ich hatte mich schon als Kind mit den großen und kleinen Zufällen in meinem Leben beschäftigt und immer wieder gestaunt, was sie alles an Überraschungen bereithielten. Abends besiegelte ich meine Zusage mit einem Handschlag.
Auf der Rückfahrt ins Ruhrgebiet wurde mir mulmig. Es war Mitte Oktober, und die erste Kolumne musste Ende Oktober im Kasten sein. Für den Januar. Shit shit shit! Die große, düstere, undurchdringliche Schreibblockade nahte mit wehenden Fahnen. Ich wusste es, ich wusste es doch!, krähte mein Kopf. Tja, mein Kopf und ich. Wir sind meistens ein sehr unfrohes Gespann. Doch als ich nachts gleich die erste Kolumne schrieb und seltsam froh und stolz und erleichtert war, rutschte die zweite, eine Weihnachtskolumne, gleich hinterher. Sie war eigentlich noch lange nicht dran, Weihnachten 2014 war ja noch in weiter Ferne, aber da passierte etwas Großartiges. Aus allen Ecken und Kanten kamen die Erinnerungen an die wundersamsten Begebenheiten in meinem Leben. Die vorgegebenen Zeichen, das waren circa eineinhalb Schreibmaschinenseiten, waren ebenfalls kein Problem, meine Zufälle fügten sich und waren getippt ziemlich genau diese verflixten eineinhalb Seiten lang, welch ein Zufall.
Und so hatte ich in Nullkommanix eine Handvoll handtellergroße Geschichten geschrieben, und die größte Angst vor Zeitdruck und leerem Kopf hatte sich in Luft aufgelöst. Ich begann, diese Kolumnenreihe zu lieben. Und kam ziemlich mies drauf, als ich alle zwölf im Kasten hatte. Da war es August.
Aber mein Verleger kam mit der nächsten Überraschung. Da die Rückmeldungen wirklich rundum gut waren – ich bekam eine Menge wundervoller Mails –, schlug er vor, aus den Kolumnen ein Buch zu machen. Zwölf waren dafür zu wenig, und so sollte ich noch einige dazuschreiben. Mein Herz hüpfte bei diesem Vorschlag, und mein Kopf füllte sich bereits mit neuen Ideen. Nun sind es fünfundzwanzig Geschichten geworden …
Und so schlüpften Erinnerungen zurück in mein Leben, die ich alle längst vergessen geglaubt hatte. Es war, als hätte ich den Korken aus einer alten, fest verschlossenen, gut durchgeschüttelten Sektflasche geöffnet, es knallte, es zischte, es sprudelte über, es erfrischte und belebte mich. So sind diese fünfundzwanzig kleinen Begebenheiten zum Staunen entstanden, ich staune sie wirklich selber immer wieder an. Meine Bruno-Geschichte zum Beispiel. Eine Bekannte zeigte mir zwei kleine Bären, die sie im Sperrmüll gefunden hatte und die nun mit ihr nach Südafrika sollten zu ihrem Enkelkind. Frisch gewaschen und reiselustig. Und schon war die Erinnerung an meine Begegnung mit Bruno prall und leuchtend in meinem Kopf, ein paar Stunden später aufgeschrieben, jetzt in diesem Buch unter dem Titel «Späte Liebe».
Ich wünsche so sehr, dass sich auch bei Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, diese kleinen und großen Wunder in jedem Tag tummeln, aber wir müssen immer wieder unsere Augen öffnen, sie blankreiben, die Blickrichtung ändern und uns voller Freude umsehen, am besten mal so richtig im Kreis drehen, und schauen – schauen und erinnern oder neu gestalten. Jeden Tag beginnen, ihn neu zu gestalten, am besten so, wie wir ihn haben wollen. Das erklärt der kleine, immer zerstruppte Hase dem immer wütenden, missmutigen Zauberer Kotzmotz. Und glauben Sie mir, es funktioniert. Na ja, nicht immer. Weil man es immer wieder vergisst. Oh, wie gut kenne ich das! Aber irgendetwas, irgendjemand zupft uns dann am Ärmel und flüstert: Schau hin. Das Leben. Schau hin. Es hat Farben. Es hat Freude. Es hat Liebe. Schau hin. Sei aufmerksam. Sei selber bunt und leuchte, verteile Freude, umarme einen Baum. Versuche es. Lache mit einem Kind. Schaue Schnecken zu. Vergiss den Abwasch. Schau immer wieder hin. Auch Marienkäfer sind zum Wundern. Am besten mit einem Lächeln im Gesicht.
Ja, lassen Sie es uns jeden Tag aufs Neue versuchen. Den Blick zu schärfen für die klitzekleinen Freu-Dinge um uns herum. Und die großen tippen uns dann auch irgendwann auf die Schulter und sagen: Hier bin ich!
Ich glaube daran. Ich habe es erlebt.
Herzlichst, Ihre Brigitte Werner
Opa Leo will durchaus nicht so sterben, wie ich es mir für ihn erdacht habe, er hat seinen eigenen Kopf, aber das Sterben findet er okay.
Was kann einer Schriftstellerin Besseres passieren, als eingeschneit zu sein, einen gut gefüllten Kühlschrank zu haben und den Kopf voll mit Ideen, dazu ein Stipendium, das einem eine gnadenvolle, vierwöchige Schreibfreiheit garantiert?! Ich spreche jeden Morgen ein Dankgebet. Papier ist genügend da, der PC und der Drucker sind arbeitswillig, der Bullerofen glüht, draußen rieselt der Schnee, und die Schlei hüllt sich in ein zartes, weißes Gewand.
Und ich? Ich schreibe unaufhörlich. Keine Störung. Kein Geräusch. Ab und zu das Knacken der Holzscheite, das Rascheln des Papiers, das Rauschen der Gedanken in meinem Kopf. Mein «Jonas-Opa Leo-Buch» wächst, meine Helden sitzen mit mir am Küchentisch, und wir reden, wir beraten, wir verwerfen. Opa Leo will durchaus nicht so sterben, wie ich es mir für ihn erdacht habe, er hat seinen eigenen Kopf, aber das Sterben findet er okay. Der Enkel Jonas will sich erst nicht verlieben, dann doch. Wo kommen plötzlich Elvis, Bismarck und die kleine Dame Frau Krümel und all die anderen Heimbewohner her? Keine Ahnung, sie sind da. Ich rede mit ihnen, ich träume von ihnen, ich wache mit ihnen auf und schlafe mit ihnen ein. Ich rieche die Küchengerüche dieses Altenheims, ich bin erstaunt über den Zivi, der dort hilft und nicht geplant war, ich schreibe und schreibe, der Ofen glüht, mein Kopf glüht, der Stift glüht.
Die Heimbewohner wollen ein Fest. Das ist okay. Das sollen sie haben. Ich höre plötzlich Zarah Leander, Elvis, den skurrilen Heimbewohner mit seiner E-Gitarre, ich höre plötzlich Brahms. Der fünfte ungarische Tanz tobt in meinem Kopf, Elvis und Opa Leo nicken sich zu, umarmen sich und beginnen zu tanzen. Ich liebe diese Musik, ich habe sie früher oft gehört, die Schallplatte ist längst verkratzt und zu Hause im Ruhrpott. Ich beschließe, mir eine CD mit den ungarischen Tänzen zu besorgen. Irgendwann in einer Welt vor meiner Haustür ohne Schnee.
Jetzt, nach dieser Überraschung mit dem Fest, brauche ich erst mal eine Pause. Ich mache mir ein paar Brote und will für einen Moment aussteigen aus meiner Schreibfamilie, ich will reale Stimmen hören, ich schalte den Fernseher an. Ich stehe wartend mit meinem Teller in der Hand vor dem Apparat, das Bild ist schlecht, der Schnee stört den Empfang, es brizzelt und knackst, dann wird das Bild scharf, ein schwarz gekleideter Mann mit wilder Mähne schaut mich eindringlich an, ich starre gebannt zurück, er sieht teuflisch gut aus, aber er dreht sich um.
Er hebt einen Stock, und – ich bin so verdattert, dass die Brote vom Teller rutschen. Ich sehe ein ganzes Orchester, das mich und diesen schwarzen, wilden Kerl anblickt. Und loslegt.
Der fünfte ungarische Tanz erklingt, und ich stehe vor diesem winzigen Fernseher, vergesse die Brote, vergesse, mich hinzusetzen, vergesse zu denken. Ich höre. Ich sehe Opa Leo und Elvis zu dieser wunderbaren Musik tanzen, ich spüre ihre Lebensfreude, ihre Begeisterung. Und als es zu Ende ist, greift meine Hand mechanisch zur Fernbedienung und schaltet den Fernseher aus.
Mehr will ich nicht haben. Mehr wäre zu viel. Meine Schreibfamilie kichert. Opa Leo und Elvis verbeugen sich. Bismarck klatscht, und Jonas ist vor Verwunderung ganz stumm, so wie ich. Die kleine Dame Frau Krümel in ihrem Rollstuhl schaut verliebt an Elvis hoch und errötet, Elvis schaut entzückt zurück. Da grinst Opa Leo sein berühmtes Opa-Leo-Lächeln, das von einem Ohr zum anderen reicht, und seine verschmitzten Augen funkeln.
«Tja», sagt er. «Tja, der Zufall! Er macht, was er will. Und manchmal fällt er einfach ins Haus.» Oder ins Herz, murmle ich.
Und ich bekomme gerade so eine Ahnung von kosmischen Zusammenhängen, von den Synchronizitäten, die C. G. Jung uns erklärt hat, die uns begleiten, die wir aber meistens nicht mitkriegen.
Und als ich ein paar Tage später das Auto freibekomme, auf die Landstraße ins Dorf zum Kaufmann biege, tuckere ich hinter einem Laster her, der in Riesenlettern die Aufschrift LEO trägt.
Ich bekomme große Augen und beschließe, es sofort, wenn ich zurück bin, meiner Romanfamilie zu erzählen. Aber die weiß das schon.
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