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Zukunft aus der Geschichte Gottes E-Book

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Beschreibung

Wo die Zukunftsentwürfe der Menschen den Verheißungen Gottes begegnen, entspringt eine gemeinsame Geschichte Gottes mit diesen Menschen. Die Geschichte Jesu Christi markiert das Zentralereignis dieser Geschichte: In Jesus Christus ist die Verheißung heilen und erfüllten Lebens konkret und zur Zusage für den Menschen geworden. Die Zukunftsfähigkeit der Kirche entscheidet sich daran, ob sie sich traut, dieser Geschichte Gottes zu trauen und sich ihr anzuvertrauen. Die Beschreibung dieser Geschichte spiegelt das theologische Leben von Peter Hünermann (* 1929), dessen ungewöhnlich breites Spektrum in dieser Festschrift nach vier Dimensionen bedacht wird: Zukunft Gottes – Zukunftsfähigkeit der Kirche – Zukunft des Erbes – Zukunft im Geist.

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Zukunft aus der Geschichte Gottes

Theologie im Dienst an einer Kirche für morgen

Für Peter Hünermann

Herausgegeben vonGuido Bausenhart, Margit Eckholt und Linus Hauser

Impressum

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-451-80139-6

ISBN (Buch) 978-3-451-30980-9

Inhalt

Vorwort

Teil IZukunftsfähigkeit der Theologie

Wesensgeschichte Gottes und Geschichte des Selbstbewusstseins. Hünermann-Rekonstruktionen im Gespräch mit dem Deutschen Idealismus

Linus Hauser

Ist Gott ein geschichtlicher Gott? Skizze eines ‚Ja‘

Guido Bausenhart

Gottes Rede in der Zeit. Dogmatische Überlegungen zum Verhältnis von Offenbarung und Geschichte in Islam und Christentum

Dirk Ansorge

Die kontextuelle Globalisierung der trinitarischen Theologie. Die Abschiedsvorlesung Peter Hünermanns als Inspirationsquelle

Alejandro Mingo Friedmann

Welt-fremder Glaube?

Thomas Schärtl

Teil IIZukunftsfähigkeit der Kirche

Von der Zitadelle zur offenen Stadt. Geschichtliche Selbstvergewisserung und dialogische Öffnung auf dem Zweiten Vatikanum

Jan-Heiner Tück

Das Zweite Vatikanum als ein qualitativer Sprung in der Kirchengeschichte. Einige Lehren aus einem Text von Peter Hünermann

Carlos Schickendantz

Sakramentalität. Plädoyer für ein geist-reiches Verständnis

Thomas Fliethmann

Welt und Kirche. Hoffnung auf katholische Gemeinschaft

Juan Noemi

Teil IIIZukunft der Tradition

Beiträge des Thomas von Aquin zu einer kritischen Religionstheologie

Joaquín Silva Soler

Sittlichkeit und Kontingenz. Die Bedingtheit des Menschen und ihre Bedeutung für die Entfaltung von Tugenden und Lastern nach Radulfus Ardens († um 1200)

Stephan Ernst

Lebendige Tradition im Ereignis des Geistes. Der Geltungsanspruch des Glaubens in der Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils

Martin Kirschner

„Und das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1,14). Das inkarnierte Subjekt und die Menschwerdung Gottes

Helmut Hoping

Glauben im bewegten Raum der Stadt. Neue Verortungen der Theologie im Gespräch der Kulturwissenschaften

Margit Eckholt

Teil IVZukunft im Geist

Glaubenszugang angesichts der säkularen Welt oder Glauben heute zur Sprache bringen

Ulrich Willers

Die Wahrheit leben: Reflexionen im Horizont einer theopragmatischen Plausibilität des Christlichen. Zugleich eine praktische Pneumatologie

Hermann Stinglhammer

Spiritualität, die sich verstehen will. Überlegungen zur Theologie als „Glaubenswissenschaft“

Alfons Knoll

Nur ein reines Herz erkennt, nein schaut Gott. Eine theologische Betrachtung

Roman A. Siebenrock

Mystik als locus theologicus. Ein Spaziergang im Garten der Theologie

Elmar Salmann

Die Straßenkinder und das Göttliche Kind. Pastorale Perspektiven einer neuen Praxis der Volksfrömmigkeit in Lateinamerika

Pablo Pagano

Spiritualität als wissenschaftliche Disziplin und ihr Verhältnis zur Theologie. Der andere Beitrag von Sandra M. Schneiders

Virginia R. Azcuy

Topographia Theologica. Ein Konzept der dogmatischen Prinzipienlehre

Peter Hünermann

Autorenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Peter Hünermann

Vorwort

Schüler und Schülerinnen Peter Hünermanns legen dem Lehrer zur Vollendung des 85. Lebensjahres eine Festschrift vor. Der Titel „Zukunft aus der Geschichte Gottes. Theologie im Dienst der Zukunftsfähigkeit der Kirche“ stellt den Versuch dar, die Impulse, die Peter Hünermann für die Theologie gegeben hat, unter ein Leitwort zu stellen. Vorausblicken in die Zukunft, für Neues offen sein, dabei diese Zukunft und das Neue aus dem Vertrauen in den Gott der Zukunft empfangen, das zeichnet Peter Hünermann aus, und in diesem Vertrauen hat Peter Hünermann seine theologische Arbeit in den Dienst der Zukunftsfähigkeit der Kirche gestellt.

Peter Hünermann, am 8. März 1929 geboren, entschied sich nach den ihn tief prägenden Erfahrungen des 2. Weltkriegs und dem Abitur, das er 1949 in Aachen ablegte, bewusst für ein Theologiestudium, das er im Herbst 1949 in Rom aufnahm. Als Priesteramtskandidat einer deutschen Diözese lebte er am vom ignatianischen Geist geprägten Collegium Germanicum et Hungaricum und studierte an der Università Gregoriana, in den ersten drei Jahren die Philosophie, von 1952 bis 1956 die Theologie. Persönlichkeiten wie der Rektor des Kollegs, Pater Franz von Tattenbach SJ, Freund von Alfred Delp, der zum Kreisauer Kreis um Moltke gehörte, oder der Spiritual Pater Wilhelm Klein SJ, prägten Hünermann, sie erschlossen – über den noch engen neuscholastischen Aufbau der Studien hinaus – neue Perspektiven für Glauben und Theologie und regten zur Auseinandersetzung mit den Klassikern der Philosophie und Theologie der Antike und Scholastik, aber auch der Moderne – Kant, Hegel und Heidegger – an. Über einen Arbeitskreis, zu dem auch Hans Küng und Bernhard Casper gehörten, begann Hünermann mit dem Studium der Autoren der Tübinger Schule, Johann Sebastian Drey, Johann Adam Möhler, Franz Anton Staudenmaier und Johann Baptist von Hirscher, aber auch mit der Lektüre der in den 50er Jahren neue Wege erschließenden Publikationen von Karl Rahner oder Hans Urs von Balthasar. Der Auseinandersetzung mit der Moderne aufgeschlossene Lehrer wie der Dogmatiker Bernard Lonergan und der Moraltheologe Josef Fuchs bildeten in seinen Studien an der Gregoriana ein wichtiges Gegengewicht zur neuscholastischen Theologie eines P. Sebastian Tromp und P. Timotheus Zapelena.

Nach der Priesterweihe 1955 in Rom begann Hünermann an der Gregoriana mit dem Promotionsstudium, das er 1958 abschloss, 1962 erschien die Studie unter dem Titel „Trinitarische Anthropologie bei Franz Anton Staudenmaier“ (Freiburg/München 1962). Bereits in der Dissertation zeichnen sich in Auseinandersetzung mit Staudenmaiers auf dem Hintergrund des Deutschen Idealismus erwachsener „philosophisch-theologischer Lehre vom Menschen“ Grundcharaktere seines theologischen Denkens heraus. Staudenmaier entwirft eine „Theologie der Geschichte“, die den vom Logos ausgehenden Systemen des Deutschen Idealismus eine trinitarische Sicht der Wirklichkeit entgegenstellt und in der geschichtlichen Erlösungstat Jesu Christi zu ihrem Wesen findet. Jesus Christus ist die vollkommene geschichtlich hervorgetretene und vermittelte, alles umfassende göttliche Offenbarung. Die von Staudenmaier erarbeiteten Kategorien „Leben“ und „Vermittlung“ werden von Hünermann als „spekulative Grundelemente“ gefasst, die in der Entfaltung der Wesensgeschichte Gottes und des Menschen immer wieder neu durchgeführt werden: Vermittlung des Heilsereignisses in Jesus Christus, auf Gott hin, zum Leben hin, auf den Menschen hin.

Nach einer Kaplanszeit in Mönchengladbach und Aachen begann Hünermann mit den Arbeiten an der Habilitation; angeregt von einer Vorlesung von Max Müller im WS 1960/61 in München und vor allem durch Bernhard Welte und das Seminar für Religionsphilosophie in Freiburg setzte er sich mit den Fragen von Geschichtlichkeit und Glauben auseinander. Die Habilitation wurde 1967 von der theologischen Fakultät in Freiburg angenommen, er erhielt die Venia legendi für Christliche Religionsphilosophie und Dogmatik; im selben Jahr erschien die Studie unter dem Titel „Der Durchbruch geschichtlichen Denkens im 19. Jahrhundert. Johann Gustav Droysen, Wilhelm Dilthey, Graf Paul Yorck von Wartenburg. Ihr Weg und ihre Weisung für die Theologie“ (Freiburg/Basel/Wien 1967). Die Zeit in Freiburg war ein entscheidender Nährboden für den Denkweg Peter Hünermanns; es war ein günstiger Zusammenfall von verschiedenen Konstellationen: die Aufbruchszeit des Zweiten Vatikanischen Konzils, die religionsphilosophische und phänomenologische Schule Bernhard Weltes, der internationale Schülerkreis und die engen Beziehungen, die vor allem zu Bernhard Casper und Klaus Hemmerle entstanden; hier wurden die Grundlagen für den neuen Zugang zur dogmatischen Theologie gelegt, den Peter Hünermann dann auf den weiteren Stationen seines wissenschaftlichen Weges – in Münster und Tübingen – weiter entfalten wird: Theologie ist Reflexion der Wesensgeschichte des sich offenbarenden Gottes und ein spekulatives Verstehen der Grundgestalten jener Wesens- und Freiheitsgeschichte. Sie wächst in ihr Wesen hinein, wenn „in der Vermittlung die vermittelnde Sache aufstrahlt und den Prozeß der Vermittlung in sich aufhebt, d. h. wo im Werke selbst Theologie als Brückenschlag sich ereignet …“ So ist dogmatische Theologie dann nicht bloße Reflexion auf Sachverhalte des Glaubens, sondern vollzieht sich selbst als „gläubiges Selbstverständnis“.

In den dogmatisch-theologischen Vorlesungen während seiner Lehrtätigkeit in Münster (1971–1882), dann in Tübingen (seit 1982) ging es Peter Hünermann darum, die „Geschichtlichkeit der im Glauben bejahten Grundrealitäten – wie Offenbarung Gottes, Kirche, Überlieferung – ansichtig zu machen“. Dabei setzte er bei dem in der Schule Bernhard Weltes erarbeiteten Offenbarungsverständnis an als „Ereignis des Heiligen“ bzw. „Ereignis des Seins“, das sich – und dies wird für die Entfaltung von Ekklesiologie und Sakramententheologie wichtig – „in Welt-stiftenden Sinnfiguren zeigt und zeigend verbirgt“. Zentrum des dogmatischen Denkens ist die Christologie, in Jesus Christus verdichtet sich in christlicher Perspektive das „Ereignis des Heiligen“, es ist konkreter Ausdruck der Freiheitsgeschichte von Gott und Mensch. 1994 legt Peter Hünermann seine Christologie unter dem Titel „Jesus Christus – Gottes Wort in der Zeit. Eine systematische Christologie“ (Münster 1994) vor, die in einer an den Impulsen des Zweiten Vatikanischen Konzils orientierten Zusammenschau von Christologie und Ekklesiologie mündet. Wenn theologisches Denken aus einem „Ereignis des Seins“ herrührt, das sich in verschiedensten Lebensformen auszeitigt, so gehört zu den Sachverhalten christlichen Glaubens immer eine „Pragmatik“. Denken und Praxis, gläubige Reflexion auf das Christusereignis und Glaubenspraxis – in einem weiten Sinn, in der Gemeinschaft der Kirche, aber auch den verschiedensten Formen der Weltgestaltung – sind aufeinander bezogen.

Dies machen gerade die beiden Vorträge, die am Anfang und Ende der offiziellen Lehrtätigkeit in Tübingen stehen, deutlich. Der bislang unveröffentlichte, im Mai 1982 gehaltene Vortrag „Topographia Theologica. Ein Konzept der dogmatischen Prinzipienlehre“, der in diese Festschrift aufgenommen wird, skizziert die aus dem Ereignis der Wesensgeschichte Gottes erwachsenen theologischen Orte, auf die Hünermann in seinen Vorlesungen immer wieder Bezug nehmen wird, an erster Stelle der „zwei-eine“ Ort von Schrift und Tradition, dann die Entfaltung dieser Grundlegung des Christusereignisses in der „sapientia christiana“ der antiken Theologie und Philosophie, dem „intellectus fidei“ und der Metaphysik des Mittelalters, der Philosophie der Moderne und dem neuen, gerade im Freiheitsgedanken erschlossenen Verständnis von Theologie als gläubigem Selbstverständnis, das sich in der Vielfalt von Konkretionen in Welt, Geschichte und Kultur ausbildet. Die Abschiedsvorlesung im Juli 1997 zum Thema „Dogmatik 1949–97: Wandlungen einer Disziplin“ (in: Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart (Hg.), Dogmatik. 1949–1997: Wandlungen einer Disziplin, Stuttgart 1997, 9–27) charakterisiert diese neuen kontextuellen Ausdifferenzierungen der Theologie und den Spannungsreichtum, den diese für die katholische Kirche auf der Suche nach einem neuen Welt-Verhältnis in sich bergen. Kirche ist eine konkrete geschichtliche Größe, sie konstituiert sich im Gegenüber und Mit-Sein mit der Welt, im Dialog mit den vielfältigen Kulturen; die Auseinandersetzung mit Fragen des Verhältnisses von Evangelium und Kultur, von Kirche und Moderne bzw. technischer Gesellschaft und Menschheitsethos, die Peter Hünermanns wissenschaftlichen Weg und seine vielfältigen Vernetzungen prägen, sind hier grundgelegt. 2003 erscheint die „Dogmatische Prinzipienlehre. Glaube – Überlieferung – Theologie als Sprach- und Wahrheitsgeschehen“ (Münster 2003), in der diese Linien gebündelt werden.

Vorliegende Festschrift ist in vier Abschnitte gegliedert, in denen Schüler und Schülerinnen den Facetten dieses neuen geschichtlichen theologischen Denkens und einer gläubigen Selbstreflexion und Pragmatik nachgehen.

Im ersten Abschnitt – Zukunftsfähigkeit der Theologie – werden von Linus Hauser, Guido Bausenhart, Dirk Ansorge, Alejandro Mingo und Thomas Schärtl Spuren der von Peter Hünermann vorgelegten „Wesensgeschichte Gottes“ entfaltet. Es geht um die Geschichte Gottes mit den Menschen, in der allein für den Menschen Hoffnung und Zukunft liegen. Die Geschichte Jesu Christi markiert das eschatologische und zugleich prototypische Ereignis dieser Geschichte, das die Christologie bedenkt.

Eine solche Wesensgeschichte zeitigt sich in unterschiedlichen Praxisformen aus, sie ist auf die Gemeinschaft der Glaubenden, die Kirche bezogen. Im zweiten Abschnitt – Zukunftsfähigkeit der Kirche – gehen Jan-Heiner Tück, Carlos Schickendantz, Thomas Fliethmann und Juan Noemi dem Beitrag Peter Hünermanns für das Aggiornamento der Kirche nach. Der Einsatz für die Zukunftsfähigkeit schlägt sich nieder in der nimmermüden theologischen Reflexion kirchlicher Vorgänge und ist konkret zu greifen in seinem jahrzehntelangen Bemühen, die wissenschaftliche Theologie weltweit zu institutionalisieren (Stipendienwerk, KAAD, ET, Soziallehre-Projekt), darin und über seine zahlreichen internationalen DoktorandInnen die Inkulturation des Glaubens und der Theologie zu fördern.

Der Weg in die Zukunft orientiert sich am Erbe und erschließt dies aus den Quellen neu. Im dritten Abschnitt – Zukunft der Tradition – gehen Joaquín Silva, Stephan Ernst, Martin Kirschner, Helmut Hoping und Margit Eckholt diesen Spuren einer theologischen Methodenlehre nach, die Tradition im Sinne einer lebendigen Tradition erschließen.

Wir kennen Peter Hünermann als geistlichen Menschen, selbst spirituell beheimatet in der Familie von Charles de Foucauld und mit einem Gespür für das theologische Potential der Spiritualitätsgeschichte, der er sich in Tübingen nach seiner Emeritierung wiederholt zugewandt hat. Diese häufig vernachlässigte theologische Ressource gilt es zu erschließen; damit einhergehen müsste wohl eine wirksamere Beachtung der Pneumatologie: Allein vom Geist geleitet finden Menschen in die Geschichte Gottes mit ihnen. Ulrich Willers, Hermann Stinglhammer, Alfons Knoll, Roman Siebenrock, Elmar Salmann, Pablo Pagano und Virginia Azcuy erschließen im vierten Abschnitt – Zukunft im Geist – diese Tradition geistlicher Theologie.

Im Anschluss an die Beiträge der Schüler und Schülerinnen wird ein bislang unveröffentlichter Text Peter Hünermanns in die Festschrift aufgenommen, ein Vortrag, den er am 12. Mai 1981 an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen gehalten hat. Die hier vorgestellten Leitideen einer „Topographia theologica“ haben ein theologisches Programm umrissen, das Peter Hünermann in den weiteren Jahren seiner Lehrtätigkeit an der Universität Tübingen entfaltet hat. Die vorliegenden Beiträge der Schüler und Schülerinnen schreiben sich in dieses Konzept der dogmatischen Methodenlehre ein.

Am Schluss darf ein Dank an alle die nicht fehlen, die diese Festschrift möglich gemacht haben: zunächst sicher an alle Autorinnen und Autoren, vor allem aber an den Herder-Verlag für die Aufnahme der Festschrift in sein Programm und an den Lektor Dr. Stephan Weber für die gute Zusammenarbeit. Ein großer Dank geht an die Übersetzer der Texte aus dem Spanischen ins Deutsche, Herrn Roberto H. Bernet, Herrn Gerhart Eskuche, Frau Lucia Ott und Frau Lena-Elisabeth Robben, sowie an die beiden wissenschaftlichen Hilfskräfte in Osnabrück Frau Anna-Maria Cloppenburg und Frau Farina Dierker, die die Texte in großer Gewissenhaftigkeit für die Drucklegung aufbereitet haben.

Wir gratulieren Peter Hünermann sehr herzlich und danken vor allem, dass er seine Schüler und Schülerinnen auf den Wegen in die Theologie begleitet hat und Vertrauen gesetzt hat in das je neue „Wagnis des Glaubens“ und die gläubige Reflexion auf dieses Wagnis.

Hildesheim, Osnabrück, Gießen, 1. November 2013

Guido Bausenhart, Margit Eckholt und Linus Hauser

Teil IZukunftsfähigkeit der Theologie

Wesensgeschichte Gottes und Geschichte des Selbstbewusstseins

Hünermann-Rekonstruktionen im Gespräch mit dem Deutschen Idealismus

von Linus Hauser

1. Philosophieren in der Theologie

Die katholische Tradition geht von der Voraussetzung aus, dass die grundlegende Methode der Theologie die Philosophie ist. Unter Philosophie verstehe ich keine akademische Denkschule, sondern den Vollzug des Philosophierens. Philosophieren erhebt den Anspruch auf Vernunftbezogenheit und in dieser Hinsicht eine existenzielle Grundhaltung zu sein und kann als unselbstverständlich Machen von Selbstverständlichkeiten oder auch als radikale, das heißt keine Lebensdimension auslassende Fragehaltung verstanden werden. Nach diesem Maßstab stellt sich in diesem Beitrag die Frage, wie man Peter Hünermanns Konzept einer Wesensgeschichte Gottes ‚vernünftig‘ begründen kann.

Um diese vernünftige Begründungsweise anschaulich zu machen, stellen wir uns vor, wir müssten einem nichtgläubigen, auch fremden Argumenten prinzipiell offenen Menschen dieses Konzept so vorstellen, dass dieser zu dem Urteil kommt, man könne christlich und zugleich ein vernünftiger Mensch sein. Der nichtgläubige Mitmensch soll nicht zum Gottesglauben argumentativ bekehrt werden, sondern nur die Nicht-Unvernünftigkeit oder mögliche Vernünftigkeit dieses Standpunktes zuerkennen.

Eine derartige Argumentation setzt nicht den Glauben an den christlichen trinitarischen Gott voraus, sondern macht diesen Standpunkt als vernunftgemäße und doch nicht alternativlos einzig vernünftig verwirklichbare Lebensmöglichkeit verständlich.

2. Anthropologische Zugänge zur heilsökonomischen Trinität

Unsere Sterblichkeit bringt es mit sich, dass wir allem im Leben prinzipiell Bedingungen stellen können. Wir können immer sagen, „Ich werde lieber sterben, als die Situation NN zu akzeptieren!“ Der Tod ist die letzte Konsequenz eines Lebens, das sich keine Bedingungen diktieren lassen muss. Das einzige im Leben, dem wir keine Bedingungen stellen können, sind der Tod und unsere Zeugung.

Wir können nicht sagen „Ich lasse mich nur zeugen, wenn …“ beziehungsweise „Ich sterbe nur dann, wenn …“. Zeugung und Tod, in das Dasein und aus dem Dasein „geworfen“ zu werden, sind Grundbestimmtheiten in unserem Leben, denen wir keine Bedingungen stellen können. In den alten Mythen taucht hier manchmal das Bild einer gebärenden und ihre Kinder wieder fressenden Urinstanz auf.

Mit der Unbedingtheit von Zeugung und Tod werden wir Menschen vor das Geheimnis eines Abgründigen in unserem Leben gestellt. Dieses abgründige Unbedingte erweckt zunächst „Angst“1, denn es stellt unser Dasein als Ganzes infrage. Zugleich taucht mit der Angst die Denkmöglichkeit auf, dieser Abgrund sei mehr als nur unpersönlich ins Leben werfend und aus dem Leben reißend. So erscheint das metaphysisch transzendente Absolute zunächst (und vielleicht bleibend) in der Gestalt des abgründigen Angsterregenden.

Kommen wir zum nächsten Schritt. Ich kann mir die Achtung meiner Mitmenschen erarbeiten. Geliebt zu werden ist ein Geschenk, dem gegenüber ich kein Verdienst in Anspruch nehmen kann. Mir werden ungeschuldet aus der Hingabe des Liebenden her neue Möglichkeiten eröffnet, sich selbst – mit den Augen des Liebenden – zu verstehen und so das eigene Leben aus der Hingabe des Liebenden heraus neu zu gestalten. Die Liebe eröffnet verschlossene Seiten eines Menschen als seine Lebensmöglichkeiten. Man kann diesen Möglichkeitshorizont eines neuen und reicheren Lebens als ein zur erfahrenen Liebe dazugehöriges Attribut betrachten, das über diese konkrete Liebesbeziehung hinaus keine Bedeutung hat. Man kann aber darüber hinaus in dieser partiellen Erschließung neuen Lebens auch ein weitertreibendes Moment bemerken, das auf mehr als nur die Erschließung einzelner, aber immer noch eingeschränkter Lebensmöglichkeiten verweist. Es taucht mit dem oben charakterisierten Zug der Liebe auch die Idee einer vollendeten Erschließung des eigenen Lebens durch einen liebenden Menschen auf, durch den die Abgründigkeit unseres Daseins als liebende allmächtige Person erahnbar wird.

Damit wird ein weiterer Schritt möglich. Nur ein liebender Mensch, keine Idee, die man nur in Worte fassen kann und kein Bild, das wir selber herstellen, können diesen Verweischarakter besitzen. Damit ist die Denkmöglichkeit einer Menschwerdung des abgründigen Unbedingten gegeben. Das abgründige Unbedingte, insofern es uns in das Dasein wirft und aus dem Dasein wieder herausnimmt und insofern es als liebender Mensch in unser Dasein tritt, stehen durch die Beziehung der Liebe so zueinander, dass man sagen kann, dass sie ‚eines Geistes‘ sind. Zugleich ist diese Beziehung der wechselseitig liebenden Freiheit auch als die der Menschen untereinander und als die der Menschen zu diesem abgründigen Liebenden bzw. dessen menschgewordener Liebe deutbar, aber nicht demonstrierbar. Mit der Entscheidung, diese universale Ausweitung der göttlichen Liebesbeziehung auf alle Menschen zu akzeptieren, ist zugleich deren geschichtliche Seite gesetzt. Zu Gottes Wesen gehört damit seine Geschichte mit den Menschen.

3. „Wesensgeschichte Gottes“ – eine Problemstellung

„Was ist mit Wesensgeschichte Gottes gemeint? Christlicher Glaube bekennt: Im Leben und Sterben Jesu, in der Auferstehung und Erhöhung des Herrn hat Gott sich selbst offenbart. Diese endgültige Offenbarung aber ist Heil für den Menschen, weil Gott sich dadurch dem Sünder mitteilt.

Offenbarungsgeschehen und Erlösung sind Gott nichts Akzidentelles. Er selbst bringt sich ein, setzt sich aufs Spiel. Über sich selbst hinaus teilt er sich ins Andere seiner selbst mit. Damit ist die Setzung dieses Anderen, die Schöpfung, Voraussetzung der Kommunikation, bedingendes Moment der Selbstentäußerung. Insofern Gott aber in dieser Mitteilung weder äußerem Zwang noch innerer Not und Dürftigkeit gehorcht, vielmehr in freiester Freiheit er selbst ist, geschieht in Schöpfung und Offenbarung Entbergung Gottes“.2

Hünermanns theologischer Begriff der Wesensgeschichte hat als einen grundlegenden dogmengeschichtlichen Ausgangspunkt das dritte Konzil von Konstantinopel (680/81). Auf dem Konzil wird die Diskussion über die Perichoresis, die liebende Durchdringung von Menschlichem und Göttlichem in Freiheit, zum begrifflichen Thema im Ausgang von der Christologie. „Im Glauben, dass unser Herr Jesus Christus, unser wahrer Gott, auch nach der Fleischwerdung Einer der heiligen Dreifaltigkeit ist, behaupten wir seine zwei Naturen, die in seiner einen Hypostase aufleuchten, in der er sowohl die Wunder als auch die Leiden während seines gesamten heilschaffenden Wandels nicht scheinbar, sondern wahrhaftig offenbar machte; dabei wird der natürliche Unterschied in dieser einen Hypostase daran erkannt, dass jede der beiden Naturen in Gemeinschaft mit der anderen das ihr Eigene will und wirkt; in diesem Sinne also preisen wir auch die zwei natürlichen Willen und Tätigkeiten, die zum Heil des Menschengeschlechts wechselseitig zusammenkommen“. (DH 5589)

In dem Augenblick, in dem die hypostatische Union nicht als substanzmetaphysische Verbindung von gleichsam dinglichen Gegebenheiten analog zu naturhaften Verhältnissen gefasst wird, erschließt sich die ursprüngliche Jesus-Erfahrung des Neuen Testaments in vertiefter Weise.

Hypostatische Union wird zu einem Prozess des kommunikativen Einswerdens von Göttlichem und Menschlichem. Hypostatische Union wird auf diese Weise zwar nicht in dem Sinne begrifflich rekonstruierbar, dass wir uns eindeutig vorstellen könnten, wie Jesus zugleich Gott und Mensch ist, wohl aber wird begrifflich fassbar, dass zur hypostatischen Union eine „herabsteigende Offenbarungsbewegung des Göttlichen“ und eine „Aufstiegsbewegung des Menschlichen“ gehören.3

Zwar ist die Offenbarungsbewegung das ermöglichende Element in dem Sinne, dass sie die ganze Unionsbewegung fundiert, trotzdem aber kann diese Bewegung nicht zu ihrem Ziel kommen, wenn sich die menschliche Freiheit in Jesus nicht diesem Ziel von sich her nähert. So wird die hypostatische Union fassbar als Verbindung zweier Liebender, des liebenden Gottes und des liebenden Menschen, der sich so ganz Gott hingibt, dass Gott nicht nur Mensch wird, sondern der Mensch auch Gott. Auf diese Weise kann man sagen, dass die Bewegung der Perichoresis zwar von Gott ausgeht, aber auch durch diese Bewegung des Menschen zu Gott hin als theosis und logosis, als Gottwerdung und Wortwerdung des Menschen bezeichnet werden kann.

Die durch das dritte Konzil von Konstantinopel erarbeiteten begrifflichen Grundmuster bestimmen zwar auch das mittelalterliche christologische Denken, werden aber erst in der Neuzeit wahrhaft virulent.

Peter Hünermann weist wiederholt auf die aktuelle Relevanz des durch Johannes von Damaskus entscheidend geprägten Perichoresis-Gedankens für das Verständnis einer nachkonziliaren Christologie hin. Wenn nämlich neuzeitliche Subjektivität als Selbstkonstitution im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem anderen seiner selbst verstanden wird4 und die höchste Form dieser Auseinandersetzung mit sich im anderen seiner selbst dann stattfindet, wenn das Nicht-Ich eine Mit-Person ist, dann besitzen wir von der neuzeitlichen Philosophie her einen direkten Anknüpfungspunkt an die Christologie.

In der Auseinandersetzung zwischen Personen kann erst Personsein vollgültig entfaltet werden, weil man sich in der Öffnung für den anderen Menschen erst neuen Möglichkeiten, Mensch zu sein, aussetzt und damit qualitativ tiefer ‚Mensch‘ werden kann.

Im Sinne dieses dialogischen Verständnisses von Selbstkonstitution als Annahme der durch andere Subjekte erschlossenen Möglichkeiten als eigener ist auch der Perichoresis-Begriff des Johannes von Damaskus zu erweitern. Johannes von Damaskus entfaltet den Gedanken, dass Perichoresis eine einigende Durchwaltung Jesu durch Gott darstellt, in der die menschliche Existenz in voller Freiheit zu Gott erhoben wird.5

Insofern nun das neuzeitliche Denken Subjektivität als Ort des Ereignens von Freiheit in vertieftem Maße begreift, wird dieser Perichoresis-Begriff im Geiste des Zweiten Vatikanums sinnvoll nicht nur im Verhältnis von Jesus Christus zum Vater anwendbar, sondern zugleich auch als begrifflicher Ausgangspunkt für das Verhältnis von Jesus Christus zu den Menschen und umgekehrt. Damit wird aber eine Geschichte Gottes mit der Menschheit auf eine Weise zum Thema, die das Erzählen eines jeweiligen situativen Eingreifens Gottes in die Geschichte auf den Gesichtspunkt einer prinzipiellen Gott ‚innerlichen‘ Dimension seiner Geschichtlichkeit, auf eine Wesensgeschichte Gottes hin transzendiert.

Die Wurzeln eines solchen Denkens weisen bei Peter Hünermann in die Gedankenwelt des deutschen Idealismus, der katholischen Tübinger Schule beziehungsweise Franz Anton Staudenmaiers, verweisen aber auch auf den geschichtlichen Blick Johann Gustav Droysens, Wilhelm Diltheys und Graf Paul Yorck von Wartenburgs. Mit Martin Heideggers „Wesensgeschichte des Abendlandes“6 und Bernhard Weltes Fragen nach einer Offenbarungskultur unter dem „Licht des Nichts“7 gelangt man dann in das unmittelbare geistige Umfeld von Hünermanns ihn wesentlich mitprägender Freiburger Zeit.

Hier genügt es, an die Systemvisionen des deutschen Idealismus und ihren Niederschlag im Denken von Franz Anton Staudenmaier zu erinnern.

4. Transzendental-geschichtliche Methode, Epochalität des Geistes und Hegel

Die transzendentale Philosophie im Ausgang des Deutschen Idealismus thematisiert das Subjekt „nicht als eine für sich stets schon fertige und strukturlose Substanz, sondern als ein Subjekt, das Tätigkeit ist und das durch Tätigkeit konstituiert ist“8. Die unhintergehbaren, „notwendigen“, d. h. auch in ihrer Negation vorauszusetzenden Selbstvollzüge des Bewusstseins, die dem vorphilosophischen Erleben unthematisch bleiben, werden auf der einen Seite hinsichtlich ihrer Unhintergehbarkeit thematisch gemacht und auf der anderen Seite zugleich Aus individueller Problemgestaltung entwickelt9. Paradigmen im Sinne individueller Musterbeispiele dafür sind etwa Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre (1794/95), Friedrich Wilhelm Joseph Schellings System des transcendentalen Idealismus oder Georg Wilhelm Friedrich Hegels Phänomenologie des Geistes in denen der Versuch einer Exposition des „System(s) der notwendigen Handlungen in seiner Vollständigkeit“10 unternommen wird. Schelling schreibt etwa von einer „Stufenfolge von Anschauungen […], durch welche das Ich bis zum Bewusstsein in der höchsten Potenz sich erhebt“11.

In Hegels Phänomenologie des Geistes12 lassen sich exemplarisch methodische Schritte feststellen, die Hünermanns Vorgehensweise in der vorsichtigen Erhebung einer Wesensgeschichte des christlichen Glaubens in einer weiteren Annäherung zum Sprechen bringen können.

In der Wissenschaft der Logik von 1812 schreibt Hegel: „Daher wird die logische Wissenschaft, indem sie die Denkbestimmungen, die überhaupt unseren Geist instinktartig und bewußtlos durchziehen und, selbst indem sie in die Sprache hereintreten, ungegenständlich, unbeachtet bleiben, abgehandelt, auch die Rekonstruktion derjenigen sein, welche durch die Reflexion herausgehoben und von ihr als subjektive, an dem Stoff und Gehalt äußere Form fixiert sind“.13

Hegel geht es also um die Rekonstruktion von Denkbestimmungen, die dem dargestellten Stoff nicht äußerlich sein, sondern diesen aus sich heraus zum Sprechen bringen sollen. Sein Interesse in der Phänomenologie des Geistes ist die Rekonstruktion des Denkweges eines philosophierenden Subjekts, das zu Beginn des 18. Jahrhunderts Selbstorientierung sucht. In dieser Situation versucht es, die „Vorbedingungen seines Lebens in einem umfassenden Sinne zu begreifen, indem es sein Denken, sein Verhältnis zur Natur und seinen Stand in der Geschichte“14 als einen schrittweise sich erhellenden Weg der Selbsterfahrung darstellt. Die hermeneutische Struktur der Phänomenologie des Geistes setzt dabei „drei Bewusstseinsinstanzen und -standpunkte“ voraus.15

Es sind der Standpunkt des Autors, des Lesers und der Standpunkt des jeweiligen Natürlichen Bewußtseins (Hegel), d. h. der untersuchte Standpunkt. Die unterschiedlichen Standpunkte, die Hegel ‚vorführt‘ sind dabei so verknüpft, dass der negierte Standpunkt zugleich auch ein Inhalt des neuen Standpunktes auf einem neuen Niveau ist. Auf diese Weise wird der alte Standpunkt in einer denkerischen Bewegung zugleich negiert und bewahrt. Hegel fasst beide Schritte, erste und zweite Negation, unter dem Terminus bestimmte Negation zusammen. Eine bestimmte Ausgestaltung des vorangegangenen Standpunktes wird negiert und zugleich werden andere inhaltliche Aspekte übernommen.

In Hegels Phänomenologie des Geistes gibt es entsprechend eine Logizität16 auf drei Ebenen: Es gibt erstens die innere Logik der jeweiligen Bewusstseinsgegenstände (an sich), die beschrieben werden, die Logik „für-uns“17(für sich), für den Autor und den Leser, die sich zum einen auf die beschriebenen Bewusstseinsgestalten als ganze richtet und zum anderen auf den Kontext, in dem sich diese Bewusstseinsgestalten entfalten und zum dritten die reine Logik der Wissenschaft (an und für sich), die Logik hinter dem Bewußtsein18, die der Autor sich erarbeitet hat. Schon bei Hegel und noch stärker bei Schelling verbinden sich allerdings sowohl im Hinblick auf das phänomenologische Bewusstsein als auch im Hinblick auf den Standpunkt des ‚Logikers‘, der auf die ‚Logik hinter dem Bewusstsein‘ sieht, die philosophische Perspektive und die der Bezugnahme auf das zeitgenössische Christentum.

Es stellt sich damit im nächsten Schritt die Frage, ob es möglicherweise auf dem Standpunkt einer transzendentaltheologisch-geschichtlichen Betrachtungsweise beziehungsweise Interpretation legitim ist, den ‚Logiker‘ gleichsam zu einem mehr Voraussetzungen eingehenden ‚Theologen‘ zu machen, ohne erkenntnistheoretisch willkürlich zu werden.

5. „… daß Philosophie der Mythologie einen höhern Zusammenhang erfordert“ (Schelling)

Schelling lässt auf seine Auseinandersetzung mit der in der mythischen Ausgestaltung erscheinenden Form des Vernünftigen in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Mythologie (1842) noch die abschließende Reflexion in seiner Vorlesung über die Philosophie der Offenbarung (1854) folgen.

„Warum ist nun eine Mythologie im Bewusstsein? […] Aus dieser Frage sehen Sie, daß die Mythologie selbst zu ihrer Erklärung uns wieder an eine höhere Ordnung verweist, daß durch eine Philosophie der Mythologie die Mythologie zwar begriffen, aber nicht erklärt ist, – daß Philosophie der Mythologie einen höhern Zusammenhang erfordert, der in höchster Instanz die Mythologie selbst erklärt. Dieser Zusammenhang kann nur in der Philosophie der Offenbarung gefunden werden“.19

Das wesentliche Offenbarungsereignis ist für Schelling die Auferstehung Jesu Christi als das Zentralereignis der Geschichte.

„Die Auferstehung Christi ist das entscheidende Faktum, womit die ganze höhere, vom gemeinen Standpunkte aus nicht begreiflich, Geschichte sich schließt. Tatsachen dieser höhern Geschichte, wie die Auferstehung Christi, sind wie Blitze, in denen die innere Geschichte in die äußere, sie durchkreuzend, durchbrechend, hervortritt. Wer diese Tatsachen hinwegnimmt, verwandelt die Geschichte in bloße Äußerlichkeit. Wie leer und tot würde die Geschichte erscheinen, wenn sie ihres Zusammenhanges mit der höhern, transzendenten, göttlichen Geschichte beraubt würde?!“20

Dabei geht es Schelling nicht darum, jeden Gesprächspartner von der Offenbarungsgeschichte hinsichtlich ihrer Wirklichkeit zu „überzeugen“21, sondern es kann für ihn die „Aufgabe einer Philosophie der Offenbarung […] nur sein, den Inhalt derselben, den Entschluß, der ihr einziger Inhalt ist, begreiflich zu machen, d. h. ihn als möglich zu zeigen“22.

Es geht um die vernünftig vertretbare Möglichkeit eines Standpunktes, nicht um dessen Alleinvertretungsanspruch hinsichtlich allgemeiner Vernünftigkeit. Diese Möglichkeit des Standpunktes der Offenbarung hat die Theologie unter dem Gesichtspunkt von dessen Wirklichkeit auf der Basis einer vorangegangenen expliziten Entscheidung zu vertreten.

6. Weltgeschichte als Erscheinung „göttlicher Lebensformen“ (Staudenmaier)

Franz Anton Staudenmaier fragt – am Beginn der düsteren Phase der gewaltsamen Gleichschaltung theologischen Denkens unter dem Kampfruf einer vormodernen Neuscholastik – in seiner 1837 in Gießen erschienenen Schrift über den Geist der göttlichen Offenbarung oder Wissenschaft der Geschichtsprinzipien des Christenthums gleichsam nach der göttlichen Offenbarung unter den Bedingungen einer Theologie auf den Spuren des Deutschen Idealismus.

Zunächst legt Staudenmaier fest, dass Gottes Offenbarung, d. h. seine Selbstmitteilung in der Natur, im Geist und in der Geschichte erfahren werden kann.

In diesen Dimensionen, die noch einmal aufeinander aufbauen, soll der Mensch die Selbstmitteilung Gottes „nachbildlich“23 zu ergründen suchen. ‚Nachbildlich‘ meint (im Kontext der Hegelschen Tradition), dass diese gläubige Annäherung an Gottes Offenbarung, in freiem, rekonstruierendem Zugang zur Realität, aber nicht in Willkür ihr gegenüber, vollzogen werden soll. Wir sollen als freie Mitsubjekte Gottes „seine Gedanken nachdenken“24.

Deshalb schreibt Staudenmaier auch davon, dass es sich hier um ein Zusammenspiel von Aposteriorischem, also der Empirie zugewandtem Denken und von Apriorischem, also dem Bereich der göttlich eingestifteten Denkformen des Menschen entstammendes Erkennen handelt.

„Die Aufgabe der Wissenschaft, wie ihr Wesen, ist daher nicht reine Construction a priori, sondern Reconstruction a posteriori und a priori zugleich“.25 Ein solcher Zugang zur Theologie setzt u. a. voraus, wie Staudenmaier schon 1828 in einer Schrift über den Pragmatismus der Geistesgaben schreibt, dass „der Mensch sich selbst begreife als individuelle göttliche Kraft und Offenbarung, […] als Glied eines göttlichen Organismus“; nur so könne man von der Welt die „wahre christliche Ansicht geben“26. Staudenmaier geht es deshalb nicht um eine abstrakte Darlegung dessen, was auf welche Weise und mit welcher Verbindlichkeit offenbart wurde, sondern um etwas, das er als den „Pragmatismus“27, also als Vollzug der göttlichen Offenbarung betrachtet.

Dieser Pragmatismus ist zunächst die Art und Weise, wie Gott das Universum als sich „entwickelndes Leben“ erschafft und zugleich mit dieser Schöpfung und fortwährenden Hege des sich entwickelnden Lebens diesem auch eine Lebensordnung gibt.

Weiterhin gehört zu diesem Pragmatismus, dass Gott diese „göttliche Lebensordnung“ als Perichoresis, also als Geschehen der Durchwaltung von göttlicher und menschlicher Freiheit angelegt hat. Der Pragmatismus der Offenbarung ist zugleich „Product des göttlichen Willens“ und Produkt in endlicher Freiheit ergriffener Realisation dieses Willens durch die Menschheit. Also ein Vollzug der „wirklichen Vermittlung des geistigen Lebens“.

In dieser, das Reich Gottes sichtbar machenden, Perichoresis von Zeit und Ewigkeit in dialogischer Freiheit entsteht die Weltgeschichte als Erscheinung „göttlicher Lebensformen“28 im Universum. So kann Staudenmaier nun inhaltlich festlegen: „Offenbarung ist Vermittlung des höhern Lebens durch die Gottheit“.29 Es ist der kopernikanischen und darwinischen Wende des Bewusstseins angemessen, wenn Staudenmaier in seiner Argumentation schreibt: „Die geschichtliche Weltansicht ist also die, welche das ganze Universum als Geschichte anschaut, als That des persönlichen Gottes, durch welche sich dieser dem endlichen Geiste offenbart“.30

Deshalb kann Staudenmaier auch sagen: „Zum Reiche Gottes gehört das ganze Universum“.31 Auf diese Weise bilden Geschichte und Offenbarung als Offenbarungsgeschichte in einem universalen Sinne die „große Form, durch welche Gott die Menschheit zuerst zu ihrem wahren Bewußtsein, und dann zu ihrem Ziele und zu ihrer Vollendung führt“32. Eine solche Bewegung des göttlichen und menschlichen Geistes in der Geschichte ist eine Bewegung des Vermittelns an dem „göttliche und menschliche Kräfte mitwirken“33. Es ist „die Natur unseres Geistes, ebenso von oben zu empfangen, als frei aus sich zu schaffen“34. So „empfängt die Menschheit mitten in sich selbst das Princip der göttlichen Lebensbildung“35. Ausgehend von Staudenmaiers Geschichtstheologie schreibt Peter Hünermann in seiner 1962 erschienenen Dissertation über Trinitarische Anthropologie bei Franz Anton Staudenmaier, sein wesensgeschichtliches Konzept schon am Anfang seines Denkens erwägend: „Die göttliche Tätigkeit ist damit die eigentlich geschichtsstiftende Macht. Indem Gott sich dem Menschen fortgehend offenbart, räumt er ihm den wirklichen Raum der Geschichte ein, indem der Mensch, ausgehend von sich selbst, in der je neuen Nähe Gottes sich selbst wahrhaft findet“.36

Hünermann gibt auf die Frage nach dem Begriff der Wesensgeschichte die oben zitierte Antwort.

7. Wesensgeschichte als Grenzbegriff theologisch gedeuteter Geschichte

Fragen wir abschließend nach der erkenntnistheoretischen Bedeutung einer derart spezifischen ‚transzendental-geschichtlichen‘ Betrachtungsweise und damit nach der wahrheitserschließenden Kraft sowohl einer Wesensgeschichte der Vernunft als auch einer Wesensgeschichte des Wortes Gottes.

Als Einstieg wähle ich Kants pragmatische Geschichtsbetrachtung. Kant fragt im zweiten Abschnitt des Streits der Fakultäten (1798) geradezu herausfordernd: „Wie ist […] eine Geschichte a priori möglich?“37 Nach Kant ist eine solche Geschichte a priori nur denkbar, „wenn der Wahrsager die Begebenheiten selber macht und veranstaltet, die er zum Voraus verkündet“38.

Die erkenntnistheoretische Bedeutung einer solchen Geschichtsbetrachtung habe ich mit dem Terminus Triftigkeitsaufweis belegt und diesen begrifflich an ein Wechselspiel zwischen der Gerichtetheit auf die geschichtliche Realität auf der einen Seite und dem engagierten Selbstvollzug auf der anderen Seite gebunden.39

Peter Hünermann verwendet ebenfalls den Terminus triftig, um die erkenntnistheoretische Bedeutsamkeit einer religionspolitisch und kirchlich engagierten Spiritualität zu charakterisieren. Triftigkeit von Glaubenssprache, „d. h. ihre Sachbezogenheit“40 bedeutet, „dass diese Sprache überhaupt etwas besagt“41.

Was für eine erkenntniserschließende Leistung steckt hinter diesem ‚etwas Besagen‘? Blicken wir zunächst auf die transzendental-geschichtlichen Selbstbewusstseinstheorien. Sie stellen den Versuch dar, eine ‚Geschichte des Selbstbewusstseins‘ zu rekonstruieren, in der dieses seine Genese unter der Prämisse der Gestaltwerdung ‚notwendiger‘ Handlungen thematisiert. Der Systemcharakter bindet sich dabei zugleich an eine bestimmte epochale Konstellation von Vernunft. Es ergibt sich in diesen Konzeptionen deshalb die Spannung zwischen dem Bezug auf ‚notwendige‘ Vernunfthandlungen auf der einen Seite und dem Maßstab einer nur im Rückblick – eben nur rekonstruierbaren – geschichtlichen Selbstkonstitution der Vernunft, die eine spezifische denkerische Gefährdung mit sich führt. Auf der einen Seite ist hier eine notwendige Formalität in der geschichtlichen Logik der Selbstkonstitution gegeben und auf der anderen Seite besteht die Versuchung, aus der rekonstruierten Geschichte des Selbstbewusstseins eine teleologische Ordnung beziehungsweise eine konstruierte Futurologie philosophisch gelenkter Ichhaftigkeit zu machen und so in den regen Austausch mit dem ‚Kollegen Weltgeist‘ zu geraten. Hegels späte Geschichtsphilosophie nimmt bisweilen solche Züge an.

Gniosdorsch42 bringt exemplarisch an Hegel das Methodenproblem der transzendental-geschichtlichen Selbstbewusstseinstheorien am Beispiel des zweiten Buches der Wissenschaft der Logik auf den Punkt. Hegel schreibt dort: „Der teleologische Prozeß ist Übersetzung des distinkt als Begriff existierenden Begriffs in die Objektivität […].“43 Aus der Bewusstseinsgeschichte als Ergebnis einer Rekonstruktion bekommt der ‚Begriff‘ – so Gniosdorsch – plötzlich durch die ‚naturale Objektivität‘ einen „aktivische(n)“44 ‚quasi-naturkausalen‘ Klang. Von daher lässt sich Hegel (und analog nicht nur Hegel, sondern die ganze Tradition der entsprechenden Selbstbewusstseinstheorien) „verschieden interpretieren, je nachdem, ob man ihn vom Ende, der Idee, her oder von seinem Weg in der ‚Logik‘ her liest. Wenn man den Perspektivenwechsel des Endes, die aktive Idee, dann in die vorhergehenden Bestimmungen hineininterpretiert, ergeben sich Ungereimtheiten“45, die zum Modell einer im Voraus konstruierbaren und eindeutig deutbaren Menschheitsgeschichte führen können.

Die Frage stellt sich damit analog: Ist Peter Hünermanns Konzeption einer Wesensgeschichte des sich offenbarenden Gottes ebenfalls dieser Gefahr nicht nur ausgesetzt, sondern auch erlegen?

Rekonstruieren wir deshalb das, was hinter der vorsichtigen Rede von der ‚Triftigkeit‘ beziehungsweise ‚Sachhaltigkeit‘ einer wesensgeschichtlichen Betrachtungsweise steht.

Ich möchte die Frage nach der erkenntnistheoretischen Triftigkeit unter der These reflektieren, dass die Frage nach einer transzendental-geschichtlichen Auslegung der Geschichte als Wesensgeschichte Gottes die Frage nach einem Grenzbegriff ist.

Begriffe sind mit dem Anspruch auf Sachgerechtigkeit auftretende Beschreibungen eines Sachverhaltes. Begriffe stehen immer in einem Kontext anderer Begriffe – durch den Bezug auf Gemeinsamkeiten und spezifische Unterschiede können sie erst bestimmt werden. Der Rahmen eines derartigen Begriffsfeldes ist sein Gesprächsbereich – in unserem Falle die Weisen, über eine Tiefenstruktur der Geschichte nachzudenken (und nicht diese Tiefenstruktur selbst).

Grenzbegriffe46 treten in Argumentationskontexten auf, in denen es um einen bestimmten Gesprächsbereich als ganzen geht, d. h. mit Einschluss aller evtl. darin vorhandenen Differenzierungen. Grenzbegriffe machen einen ganzen Gesprächsbereich – in unserem Falle in der Rede über unsere Weise über eine Tiefenstruktur der Geschichte nachzudenken – zum Thema, ersetzen aber nicht das Sich-Bewegen in diesem Bereich.

Peter Hünermanns Konzeption einer Wesensgeschichte des sich offenbarenden Gottes ist kein Entwurf im Sinne einer Projektionsfolie zum ‚heilsgeschichtlichen Einordnen‘ biblischer, dogmen-, kirchen- und theologiegeschichtlicher Ereignisse in eine ‚passend gemachten‘ Weltgeschichte. Sein grenzbegriffliches Konzept ist vielmehr eine Metatheorie der theologischen Reflexion dergestalt, dass es den groß angelegten und kühnen Versuch unternimmt, die transzendentale Grundlage einer theologischen Geschichtsbetrachtung auf dem Stand unserer abendländischen Geisteskultur zu entwerfen. Wenn Geschichte theologisch als Gang Gottes mit den Menschen konzipiert wird, dann sind die Stationen dieser Geschichte (in katholischer Lesart) mit den Denkmitteln Hünermanns sinnvoll miteinander vernetzbar.

Peter Hünermanns Konzeption einer Wesensgeschichte des sich offenbarenden Gottes ist damit ein erkenntniskritisch reflektiertes, gläubigem Nachvollzug gegenüber sinnvolles Modell der Reflexion auf diese Geschichte, das – ohne Alleinvertretungsanspruch – unter den geschichtstheologischen Entwürfen unserer Zeit seinesgleichen sucht.

Ist Gott ein geschichtlicher Gott?

Skizze eines ‚Ja‘

von Guido Bausenhart

Dass Gott geschichtlich sei oder aber ungeschichtlich, war expressis verbis nie Gegenstand lehramtlicher Klärungen – das Wort ‚Geschichte‘ bzw. ‚Geschichtlichkeit‘ oder ‚geschichtlich‘ ist in seiner gegenwärtigen Bedeutung „erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstanden“1. Worin sich die traditionelle Theologie und das kirchliche Lehramt bis in Sichtweite des Zweiten Vatikanischen Konzils aber einig waren, war die Feststellung der „Unveränderlichkeit (incommutabilis) Gottes“. Die sei mindestens ‚de fide‘ festzuhalten2, also mit einer kaum noch zu überbietenden Verbindlichkeit3: als eine Wahrheit, die „in den Glaubensquellen enthalten und in der Kirche allgemein als solche gelehrt“4 wird; als „vom ordentlichen Lehramt als geoffenbart gelehrte Wahrheit“5.

Ist so die Vorstellung einer Geschichtlichkeit Gottes – im Umkehrschluss – implizit ‚de fide‘, d. h. mit der entsprechenden Gewissheit verwerflich?

1. Die Antwort des kirchlichen Lehramts und der traditionellen Theologie

Ludwig Ott darf als zuverlässiger Repräsentant und Berichterstatter traditioneller Theologie gelten6:

„Veränderlich ist, was von einem Zustand in einen anderen übergeht.“ Jedes Geschöpf ist infolge der Endlichkeit seines Seins veränderlich. Gott ist absolut unveränderlich. De fide.

Das 4. Laterankonzil und das Vatikanische Konzil lehren, dass Gott unveränderlich (incommutabilis) ist. (D 428, 1782) Die Hl. Schrift schließt von Gott jede Veränderung aus und schreibt ihm positiv die absolute Unveränderlichkeit zu. Jak 1,17: „bei dem es keinen Wechsel gibt und keinen Schatten von Veränderlichkeit“. Ps 101,27f: „Sie (= die Himmel) vergehen, du aber bleibst. Sie alle zerfallen wie ein Gewand. Du wechselst sie wie ein Kleid, und sie wechseln, 28. Doch du bist (immer derselbe), und deine Jahre nehmen kein Ende.“ Vgl. Ps 32,11; Is 46,10; Hebr 6,17. Mal 3,6 deutet in dem Gottesnamen Jahwe den Grund der absoluten Unveränderlichkeit Gottes an: „Ich, Jahwe, ändere mich nicht.“

Mit diesem Zitat sind auch bereits die biblischen Referenzstellen genannt, die gewöhnlich herangezogen werden zur Begründung, richtiger wohl: zur Stützung der vorab bereits klaren Vorstellung eines unveränderlichen Gottes. Zu ergänzen wäre allenfalls, implizit bereits erwähnt, Ex 3,14.

Wilhelm Maas führt in seiner materialreichen historischen Studie7 exemplarisch drei Beispiele lehramtlichen Sprechens von der Unveränderlichkeit Gottes an:

In christologischem Kontext, genauer: im Vorfeld des Konzils von Chalkedon schreibt Leo I. am 13.06.449 an Julian von Kos: „Das [göttliche; G.B.] Wort verwandelte sich nicht mit irgendeinem Teil seiner selbst in Fleisch oder in Seele, weil die einfache und unveränderliche Natur (simplex et incommutabilis natura) der Gottheit immer in ihrem ganzen Wesen ist, weder Verlust noch Vermehrung ihrer selbst erfährt[…]“ (DH 297) – Gegen die Albigenser und Katharer hält das 4. Laterankonzil 1215 fest: „Wir glauben fest und bekennen aufrichtig, dass nur einer der wahre, ewige, unermessliche und unveränderliche (incommutabilis), unbegreifliche, allmächtige und unaussprechliche Gott ist, […]“ (DH 800) – Das Erste Vatikanum schließlich besteht in seiner Dogmatischen Konstitution Dei Filius über den katholischen Glauben gegenüber pantheistischen oder pantheisierenden Tendenzen auf dem realen und wesentlichen Unterschied zwischen Gott und Welt, „da er (= der eine wahre und lebendige Gott) eine einzige, gänzlich einfache und unveränderliche geistige Substanz (simplex omnino et incommutabilis substantia spiritualis) ist“ – anders als die geschaffene Wirklichkeit.

Es ist nicht zu übersehen, dass die Lehre von der Unveränderlichkeit Gottes in der amtlichen Lehrverkündigung „oft nur ‚beiläufig‘ (von der Syntax aus gesehen müsste man sagen: als Apposition bzw. im Relativsatz) erwähnt wird. Wenn wir sagen: ‚nur‘, so ist das allerdings keine Minderung des Gewichtes solcher Aussagen, im Gegenteil: Die Lehre von der Unveränderlichkeit Gottes ist etwas so Selbstverständliches, dass sie meistens gar nicht erst eigens reflektiert und begründet wird; sie ist vielmehr ein nicht mehr hinterfragtes Axiom.“8

So gehört die Unveränderlichkeit zu den konstitutiven und unverlierbaren ‚Eigenschaften Gottes‘9 neben Unendlichkeit, Unsichtbarkeit oder Allgegenwart, Allmacht, Allwissenheit – aus der Negation menschlicher Eigenschaften gewonnene oder über die via eminentiae erreichte Prädikate, die Unvollkommenheiten ausschließen und Vollkommenheiten zu absoluten steigern.

Von ‚Geschichtlichkeit‘ ist hier nicht die Rede; sie darf in der Anwendung auf Gott implizit als mitverworfen gelten.

2. Denkform griechischer Philosophie

Das Prädikat ‚unveränderlich‘ ist ein notwendiges Implikat der philosophischen Theologie der Griechen in platonischer wie aristotelischer Variante.

Platon teilt mit der überlieferten griechischen Theologie den Gebrauch des Gottesbegriffs als Prädikat. In höchster Weise ‚göttlich‘ ist ihm die Idee des Guten. Eine ‚Idee‘ „ist gegenüber dem Einzelding, von dem etwas prädiziert wird, das im eigentlichen Sinn Seiende. Das Einzelding ist sichtbar, zusammengesetzt, veränderlich, vergänglich; die Idee, an der es teilhat und von der es sein Sein empfängt, ist unsichtbar, intelligibel, einfach, unveränderlich, unvergänglich (Phd. 78b– 80b).“10

Auf Gottes Unveränderlichkeit kommt Platon auch in seiner ‚Politeia‘ zu sprechen: Die Erziehung der ‚Wächter‘ müsse darauf achten, dass ihnen „in ihrer Jugend nur solche Mythen und Erzählungen nahegebracht werden, die Wahres über die Götter aussagen. […] Es sind nun zwei Grundzüge bzw. Grundgesetze der Theologie, die er immer und überall beachtet haben will: 1. Gott ist gut; 2. Gott ist unveränderlich.“11 Selbst vollkommen bedarf Gott keiner weiteren Vervollkommnung mehr, so dass Veränderung nur eine zum Geringeren hin bedeuten könne.

Aristoteles entwickelt seine philosophische Gotteslehre vom Denken des Seins aus als ‚Onto-Theologie‘.12 Ausgezeichneter Gegenstand der Seinswissenschaft ist das ursprünglich Seiende, das in sich stehende und unveränderliche Seiende: das göttliche Seiende. Ausgezeichnet ist es dadurch, dass es reine Wirklichkeit ist und reine Form, reines Wesen ist, d. h. dass ihm Möglichkeiten und damit alles Kontingente, das im ‚Stoff‘ als Prinzip der Möglichkeit und Variabilität einer Substanz, eines Wesens bezeichnet wird, abgeht, es also immateriell ist. Unveränderlich kann solch göttliches Sein nichts beeinträchtigen, und nichts kann es bereichern. Insofern es notwendig ist, ist es „glücklich“ (Metaphysik 1072b, 10f ) – welch ein Glück!

Mit Aristoteles beginnt, was man ‚Substanzmetaphysik‘ nennen kann und gewöhnlich auch nennt: die Analyse alles Seienden nach Form und Materie, Wesen und Erscheinungsgestalt, Substanz und Akzidentien. Form, Wesen, Substanz machen eine Sache zu der, die sie ist, kennzeichnen das konstant Charakteristische, Unverlierbare, das eine Sache konstituiert, den Kern, auf den es ankommt, ohne den etwas nicht wäre, was es ist. „Während die erscheinende Gestalt der Vereinzelung, dem Wechsel und so der Nicht-Notwendigkeit unterliegt, tritt das Wesen als der Vereinzelung Überlegenes, Bleibendes und Notwendiges auf.“13 „Das Wesen ist das objektive Korrelat des (wissenschaftlichen) Begriffes.“14

3. Christliche Rezeption griechischer Philosophie

Das substanzmetaphysische Denken wurde nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil es vom christlichen Denken als christliches Denken, als christlich zu rezipierendes Denken erlebt wurde. Die Begegnung des Evangeliums mit dem hellenistischen Denken im Mittelmeerraum, die Begegnung von ‚Jerusalem‘ und ‚Athen‘ wird unter der Chiffre der ‚Hellenisierung des Christentums‘ – durchaus kontrovers – thematisiert und kann als kreativer Prozess der Inkulturation beschrieben werden.

Die provozierende Frage Quintus Septimius Florens Tertullians (ca. 160–220 in Karthago), des ersten bedeutenden lateinischen christlichen Theologen: „Quid ergo Athenis et Hierosolymis? Quid academiae et ecclesiae – was hat Athen mit Jerusalem zu tun, was die Akademie mit der Kirche?“ (De praescriptione haereticorum VII, 9) und seine eigene etwas ratlos machende Antwort: „Wenn wir glauben, begehren wir nichts mehr als zu glauben“ (VII, 13) beleuchten die Situation christlicher Theologie in ihren ersten Jahrhunderten in doppelter Weise.

Zum einen können zur Zeit Tertullians ‚Jerusalem‘ und ‚Athen‘, Chiffren für den (jüdisch-christlichen) Glauben und die (griechische) Philosophie, gar keine alternativen Größen mehr sein; sobald das junge Christentum die vom Hellenismus geprägte Welt des Mittelmeerraums betritt, begegnet es auch dem geistigen Milieu, das von der großen griechischen Philosophie in ihren stoischen, peripatetischen, mittel- bis neuplatonischen Varianten lebt. Die geistige Auseinandersetzung war der Preis dafür, dass die Christen sich verständlich zu machen suchten, ja dies mussten, wollten sie den universalen Anspruch des Evangeliums nicht unterlaufen. „Anknüpfung im Widerspruch“ hieß der manchmal schmale Grat zwischen purer Anpassung, die hoffähige Anerkennung in Aussicht stellte, und striktem Beharren auf den eigenen Traditionen, womit man verständnisloses Achselzucken geerntet und riskiert hätte, eine politisch wirkungs- und kulturell bedeutungslose, vom Verschwinden bedrohte Gruppe zu bleiben.

Zum anderen signalisiert die Auskunft, nichts als glauben zu wollen, keine Geringschätzung des Denkens und der Philosophie, denn der christliche Glaube Tertullians ist ja einer, der sich in seinen Augen in der Begegnung mit der hellenistischen Kultur durchaus bewährt, die Auseinandersetzung angenommen und dabei keine schlechte Figur gemacht hatte – trotz z. B. des befremdlichen Bekenntnisses zu einem am Kreuz hingerichteten Sohn Gottes. Diese Auskunft könnte durchaus eine Überlegenheit und Souveränität gegenüber ‚Athen‘ und der ‚Akademie‘ beanspruchen, ein Bewusstsein, die heidnische Philosophie, die ja immer Weisheit sein wollte, nun christlicherseits zu beerben, abzulösen, zu überbieten, die christliche Theologie als ‚wahre Philosophie‘ oder ‚wahre Gnosis‘15 zu präsentieren – etwa bei Justin oder Klemens von Alexandrien.

Aus echten Begegnungen geht jeder der einander Begegnenden angefragt, bereichert, verändert hervor: Christliche Theologen lernen, sich im griechisch-philosophischen ‚Sprachspiel‘ auszudrücken, übernehmen auch Gedankengut; gleichzeitig vermag das eigene biblisch-heilsgeschichtliche Denken daran auch Korrekturen anzubringen.16

Von Philon von Alexandrien, einem Zeitgenossen Jesu, jüdischen Philosophen und Exegeten stammt ein kleines Werk mit dem Titel: „τι ἄτρεπτον τὸ θεῖoν“ (Quod deus sit immutabilis), „die erste Monographie zum Thema ‚Unveränderlichkeit Gottes‘“17. Danach ist das Göttliche (auch τὸὄν genannt) ἀπαθές und ἄτρεπτον. Andersscheinende Aussagen der Schrift sind ‚uneigentliche‘ Redeweise, motiviert als pädagogische Anpassung an die menschliche Erkenntnisschwäche. „Nur diejenigen Menschen, die Gott von jeder Eigenschaft überhaupt fernhalten, ihn in seinem reinen Dasein erfassen als einfaches, unvermischtes, nicht zusammengesetztes Wesen, werden auch seine Apathie und damit letztlich seine Unveränderlichkeit erkennen. Einfachheit, Unteilbarkeit, Apathie und Unveränderlichkeit Gottes gehören also innerlich zusammen.“18

Das ist gut und gründlich griechisch gedacht; dennoch meldet sich im Werk Philons auch das Erbe biblischen Denkens – wenn auch „nur punktuell“19: Im 1. Buch ‚De vita Mosis‘ erzählt Philon die Auseinandersetzungen des heidnischen Königs Balak mit dem Seher Bileam. … Bileam muss anerkennen, dass der Bundesgott bei seinen Verheißungen bleibt. „Hier, in der Paraphrase des biblischen Textes, steht die ‚Unveränderlichkeit‘ Gottes plötzlich in einem heilsgeschichtlichen Horizont; sie ist die Unveränderlichkeit der Treue des Bundesgottes zu seinen Verheißungen.“20

Die Patristik hält an der Unveränderlichkeit Gottes fest. Nur zwei Beispiele: Origenes reagiert auf eine Schrift des griechischen Philosophen Kelsos unter dem Titel ‚Wahres Wort‘ (um 178). Darin ist zu lesen:

„Gott ist gut, schön und glücklich und befindet sich in dem schönsten und besten Zustande. Steigt er nun zu den Menschen hernieder, so muß er sich einer Veränderung unterziehen, und zwar einer Veränderung vom Guten zum Schlechten, vom Schönen zum Häßlichen, vom Glück zum Unglück und von dem besten zu dem schlimmsten Zustand. Wer möchte nun wohl eine solche Veränderung wählen? Und nur das Sterbliche ist von Natur der Wandelung und Umgestaltung unterworfen, das Unsterbliche aber ist seinem Wesen nach immer ein und dasselbe. Gott könnte also eine derartige Veränderung nicht eingehen.“21

Origenes bemerkt lakonisch, auch ein Arzt werde ja nicht dann krank, wenn er sich den Kranken zuwende.22

Augustinus markiert auch hier innerhalb der Patristik einen Höhepunkt: „esse nomen est incommutabilitatis“23. Dass Gott als das wahre Sein unveränderlich ist, weiß Augustinus, bevor er in der Schrift die schon einschlägigen Stellen findet. Auch die Menschwerdung des göttlichen Logos tangiert seine Göttlichkeit in keiner Weise; ein Kleid bedecke ja auch nur die Glieder des Körpers, verändere sie aber nicht – eine christologisch nicht ganz koschere Metapher.24

Liest Augustinus, Gott zürne den Bösen und wende sich den Guten in Gnade zu, will er das so verstanden wissen, wie wenn Licht für kranke Augen schmerzhaft ist, gesunden dagegen wohl tue; die unterschiedlichen Wirkungen seien auf die (menschlichen) Augen zurückzuführen, nicht auf das eine und selbe (göttliche) Licht.25

Doch auch Augustinus muss Kompromisse machen mit seinem biblischen Erbe; auch er bringt Gottes Unveränderlichkeit mit seiner Treue zusammen: der Treue zu seinen Verheißungen, zu seinem Bund.26 „Dieser punktuelle Durchbruch des biblischen Gottesbildes hat allerdings die sonst dominierende Stellung des griechisch-philosophischen Unveränderlichkeitsaxioms bei Augustinus nicht aufheben können.“27

Ex 3,14 ist für Augustinus – und nicht nur für ihn – eine besonders willkommene Stelle, mit der er das Unveränderlichkeitsaxiom stützen kann. In der Septuaginta-Version – ἐγὠ εἰμι ὁὤν – kann man der Versuchung kaum widerstehen, Gott als das Seiende, den Seienden schlechthin zu verstehen: das esse subsistens des Thomas. Augustinus hatte sogar vermutet, Platon habe die Bibel gekannt, auf welche Weise auch immer.28 „Die Aussage von Ex 3,14 und die platonische Lehre von der Unveränderlichkeit des wahren Seins sind für ihn [= Augustinus; G.B.] inhaltlich identisch.“29 Im Gottesnamen sieht er die absolute Seinsfülle ausgesagt: „Das Sein ist ein Name der Unveränderlichkeit. Denn alles, was sich ändert, hört auf zu sein, was es war, und fängt an zu sein, was es nicht war. Das wahre Sein, das reine Sein, das echte Sein hat nur derjenige, der sich nicht ändert“.30

Das Verständnis und so auch die Übersetzung von Ex 3,14 haben sich gewandelt:

„Im biblischen Hebräisch haben yiqtol-Formen häufig futurische Bedeutung, sodass sich sprachlich zunächst die Wiedergabe ‚Ich werde sein, wer immer ich sein werde‘ nahelegt. Wenn man den ersten Teilsatz als ‚Klassifikation‘ versteht und den zweiten als ‚Existenzaussage‘, so ergibt sich ein Verständnis des Satzes, das sich so umschreiben lässt: ‚Ich werde (einer) sein, dessen zukünftiges Sein nicht festlegbar ist.‘ Dafür sprechen auch strukturell ähnliche Satzgefüge in Ex 33,19; 1Sam 23,13; 2Sam 15,20 mit anderen Verben. Der zweite Teil des Fügungstyps (hier: „[…] der ich sein werde.“) wird ‚paronomastischer Relativsatz‘ genannt und dient zum Ausdruck der Unbestimmtheit.“31

Dem biblischen Zeugnis verpflichtet ist es für christliche Theologen natürlich ein Glücksfall, wenn es – vermeintlich oder tatsächlich – mit dem zeitgenössischen Denken harmonieren kann. Arius ist daran gescheitert; die Väter von Nikaia sahen sich zur lectio difficilior genötigt. Zugleich kann es nicht darum gehen, biblische und philosophische Perspektive gegeneinander auszuspielen: Hans Urs von Balthasar warnt stellvertretend: „Die Offenbarung mag noch so quer zu allem Vermutbaren liegen, noch so wenig nach Ergänzung eines fehlenden Stücks aussehen, sie muss dennoch vollendend in die Differenzen eingehen: Gotteswort muss sich in Seinswort einschreiben, Seinswort in die Wesensworte, die unter seienden Wesen als verständliche ausgetauscht werden.“32 Doch liegt der Primat in der christlichen Rede von Gott beim biblischen Zeugnis – Denken ‚lohnt sich‘, wenn eine entschiedene Unbefangenheit des Denkens sich verbindet mit einem Sichgefangen-nehmen-Lassen, „so dass es Christus gehorcht“ (2 Kor 10,5).

Bezeichnend ist die Gliederung dogmatischer Handbücher bis zur Schwelle des Zweiten Vatikanums, in der zuerst auf philosophische Weise ‚de Deo uno‘ gehandelt wird, um anschließend den nur heilsgeschichtlich zu erschließenden christlichen trinitarischen Gott zu thematisieren: de Deo trino.33

4. Soteriologische Motivation der Unveränderlichkeit Gottes

Im christlichen Horizont tritt zur metaphysischen Notwendigkeit einer Unveränderlichkeit Gottes ein soteriologisches Motiv. Dies wird im Kontext der christologischen Kontroversen der Patristik offensichtlich.

Von Anastasios Sinaites ist ein Fragment des Apollinaris (315–390) überliefert, in dem er seine Ablehnung einer menschlichen Freiheit in Jesus von Nazareth, dem Christus, begründet: „Zwei vernunft- und willensbegabte Wesen können nicht zusammen wohnen, damit nicht das eine mit dem anderen in Konflikt gerät aufgrund des eigenen Willens und der eigenen Wirkkraft. Darum nahm der Logos keine menschliche Seele an, sondern nur den Samen Abrahams“. (Fr. 2)34 Die Einheit Christi duldet kein Nebeneinander zweier geistiger Prinzipien: „Denn wenn jeder nus seiner selbst mächtig ist, weil er von einem eigenen Willen entsprechend seiner Natur bewegt wird, können in ein und demselben Subjekt nicht zwei einander entgegengesetzte Wollende miteinander existieren, da jeder (nus) das von ihm selbst Gewollte ausführt – er bewegt sich ja selbst.“ (Fr. 150)35

Dass göttlicher und menschlicher Wille für Apollinaris zu keiner Harmonie finden (können), ergibt sich aus der Eigenart des menschlichen nus gegenüber dem göttlichen: „Der göttliche bewegt sich selbst, und zwar in Übereinstimmung mit sich selbst, denn er ist unwandelbar; der menschliche aber bewegt sich zwar auch selbst, jedoch unbeständig, denn er ist wandelbar“ (Fr. 151)36, gemeint: wankelmütig.

Allein die Wahlfreiheit als ‚Möglichkeit zur Sünde‘ genügt Apollinaris, sie für mit Christus unvereinbar zu halten. Sie gefährdete die Erlösung. Dem Erlöser genügt keine auf einer menschlichen Freiheit beruhende und von göttlicher Gnade getragene faktische Sündenlosigkeit; diese muss vielmehr prinzipiell und absolut sein.

Dem wird im Erlöser der göttliche ‚Λόγος ἄτρεπτος‘ gerecht, der an die Stelle des ‚νοῦς ἄτρεπτος‘ tritt. „Es bedurfte eines unwandelbaren nus, der nicht der Sarx verfällt wegen der Schwäche der Erkenntnis, der vielmehr die Sarx sich ohne Zwang angleicht.“ (Fr. 76)37 ‚Ohne Zwang‘ meint: ohne der Freiheit des Angenommenen Gewalt anzutun; der Schöpfer kann ja die von ihm geschaffene Freiheit nicht beeinträchtigen. So wird sie in Christus einfach ersetzt; die Sarx ist ohnehin auf Führung angewiesen. So ist die Sarx ‚ohne Zwang‘ Gott angeglichen.

Apollinaris steht fest auf dem theologischen Boden Nikaias und fühlt sich als Erbe des Athanasius, beansprucht nach dessen Tod sogar seinen Nachlass. Auch in der soteriologischen Perspektive dieses großen Alexandriner Bischofs ist kein konstitutiver Platz für die menschliche Geistseele des Erlösers.

Erlösen kann allein Gott. Dies halten die Väter von Nikaia gegenüber Arius fest. Göttlichkeit auf der Basis von Erwählung aufgrund sittlicher Bewährung, wie sie Arius denkt, erfüllt diese Bedingung nicht. Darum betont Athanasius mit Verve, dass die göttlichen Prädikate dem Logos als der zweiten göttlichen Person „φύσει κατ῾ οὐσίαν“ – mehr geht nicht: ‚der Natur und dem Wesen nach‘ – zugeschrieben werden müssten. Hinge das Heil von einem (arianischen) ‚Λόγος τρεπτός‘ ab, bliebe es bedroht, gefährdet. Die Soteriologie des Athanasius – ohnehin der Schlüssel zu seiner Theologie – kennzeichnet darum ein Misstrauen gegenüber der (geschaffenen) Freiheit und ihrer möglichen Unentschiedenheit (῾ρόπη εἰς ἑκατέρα) und Fehlgriffe: Freies Handeln ist Sache einer wandelbaren Natur. Allein ein ‚Λόγος ἄτρεπτός‘: ein unwandelbarer, absolut verlässlicher Logos kann die Erlösung gewährleisten, ein „Kyrios ho aei kai physei atreptos“.

Maximos unterscheidet drei Modi (tropoi) des Menschseins gegenüber Gott: den sündhaften Widerspruch, die tugendhafte Übereinstimmung sowie die – einzig in Christus realisierte – Einheit. Ziel der Askese ist eine von allen ungeordneten Regungen freie akinesia der Seele bzw. ihre unveränderliche aeikinesia um Gott bzw. ihre unanfechtbare apatheia, d. h. „eine ruhevolle Zuständlichkeit, in welcher die Seele nur schwer zum Bösen zu bewegen ist“ (carit. I-36). Dies bedeutet zugleich ein Schwinden der Freiheit der Entscheidung (proairesis), da dem einen Gut Gott keine ernsthaft konkurrierenden Güter mehr erwachsen können; die Ambivalenz der Entscheidung weicht vor einer Transparenz des Guten, es wächst die Intensität der Konzentration auf das eine absolute Gut: Gott.

An noch anderer prominenter Stelle kommt der Gedanke der Unveränderlichkeit pointiert zur Sprache: Das Konzil von Chalkedon (451) lehrt, dass ein und derselbe Christus in zwei Naturen unvermischt, unveränderlich (ἀτρεπτως), ungetrennt und unteilbar erkannt werde und die Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen gewahrt bleibe (DH 302). Die adverbiale Bestimmung ‚unveränderlich‘ meint zunächst nur, dass Gott Gott bleibe im Gottmenschen; dass die Unveränderlichkeit zu den göttlichen Eigentümlichkeiten gehöre, wird nicht explizit gesagt. Wäre Gott grün, bliebe er es auch in Jesus, dem Christus. Doch kann das soteriologische Interesse am ‚Λόγος ἄτρεπτός‘ keinen Zweifel daran lassen, dass die ἀτροπἰα zur ἰδιότης des göttlichen Logos gehört.38

5. Geschichtlichkeit von Denkformen

Philosophische Denkbemühung kommt zu einer Vorstellung von Gott, nach der er unveränderlich ist, ein Prädikat, das die christliche Theologie sich beeilte, ihrem eigenen Gott zu attestieren. Die Spannungen, die sich aus der Verpflichtung auf das biblische Erbe ergaben, wurden via interpretationis entschärft.

Denken ist aber geschichtlich – nicht nur in dem banalen Sinne, dass heute und morgen gedacht werden muss und bereits gestern schon gedacht wurde; auch Denkformen unterliegen geschichtlichen Paradigmenwechseln. Hellenistisches Denken ist epochales, kein überzeitliches, zeitloses Denken (Welte).

Für selbstverständliche, a tergo wirksame Denkformen können die Konzepte der ‚Sprachspiele‘ (Wittgenstein), des In-der-Welt-Seins (Heidegger), des Horizonts (Gadamer) oder der Lebenswelt (Habermas) gelten.39

Der sich diesen Zusammenhängen von Denkform und konkretem Denken, von Weltbild und konkreter Erfahrung mit besonderer Nachhaltigkeit und auf ganz undogmatische Weise gewidmet hat, war Ludwig Wittgenstein.40 Er spricht von der ‚Grammatik‘, die den konkreten Sprachgebrauch regelt, erlaubt und verbietet, den Gebrauch von Sprache, in der Menschen sich auf Wirklichkeit beziehen und Aussagen darüber machen. Sein Begriff der ‚Sprachspiele‘ ist genau entsprechend gefasst: Die Spielregeln erlauben und verbieten bestimmte Spielzüge, der Spielverlauf selbst ist damit noch nicht determiniert. Weltbilder und Denkformen bilden den Ordnungsrahmen, in den neue Einsichten und Erfahrungen eingeordnet werden können, ihren stimmigen Platz finden im Gesamtzusammenhang und Bezugssystem aller möglichen Einsichten und Erfahrungen. Denkformen als Voraussetzungen des Denkens sind also denkerisch nicht zu hintergehen, weil stets im Rahmen dieser Formen gedacht wird, werden muss, weil nur so sinnvoll, d. h. in einem gegebenen Gesamtkontext kohärent gedacht werden kann. Die Grammatik kann ich mit sprachlichen Mitteln, die eben dieser Grammatik gehorchen, nicht in Frage stellen. Treffen unvereinbare Weltbilder aufeinander – „da erklärt jeder den Andern für einen Narren und Ketzer“41.

Und doch sind Denkformen und Weltanschauungen keine starren, sondern geschichtliche Größen. Aus ‚grammatischen Sätzen‘, die den konkreten Sprachgebrauch regeln, können inhaltlich-empirisch bestimmte Sätze werden und umgekehrt. Wittgenstein spricht metaphorisch vom ‚Flussbett‘42: Teile des Flussbetts können vom Wasser mitgerissen werden, wieder ‚in Fluss geraten‘, Teile eines Weltbildes können verändert und durch neue ersetzt werden. „Die Veränderung des Flussbettes ist […] nicht nur von der Strömung des Flusses, sondern auch von der Beschaffenheit des Flussbettes abhängig. D. h. selbst die stärksten Veränderungen im Fluss des Lebens und noch viel weniger eine noch so starke Argumentation sind in der Regel dazu in der Lage, das harte Gestein unserer Grundüberzeugungen anzutasten.“43 ‚Es gibt Gott‘ ist für das religiöse Weltbild ein grammatischer Satz, sinnvoll nur innerhalb dieser Weltanschauung, für das empirische Weltbild aber ein inhaltlicher (und dann nichtssagender) Satz.

Erfahrungen werden zwar stets in der ersten Person Singular gemacht, aber dieses Ich kann Erfahrungen nur innerhalb einer Lebenswelt und ihrer Sprache, mit einer geprägten Denkform und im Rahmen eines Weltbildes machen: nie ohne Horizont, doch der ist nicht unbeweglich; nie ohne Vorzeichen, doch die sind veränderbar; nie ohne Kontext, der kann aber gesprengt werden. Denkformen und Weltbilder bewähren in neuen Erlebnissen ihre Flexibilität als Interpretationsrahmen oder Deutungsmuster, die auch für bislang Fremdes, wenn es nun zur Erfahrung kommt, Verstehen ermöglichen. Das erlebte Fremde kann in den nun angepassten, ergänzten, korrigierten Erfahrungshorizont integriert werden.44

Nun sind aber auch Erlebnisse denkbar, die sich dem tausendfach bewährten Interpretationshorizont verweigern, die sich nicht einpassen lassen, mag der Rahmen sich auch noch so verbiegen. Es liegt zunächst nahe, an solch horizontsprengenden Erlebnissen zu zweifeln, ihnen nicht zu trauen, sie zu verdrängen, nicht nur, weil sie Vertrautes und Bewährtes unbequem irritieren, sondern weil kein passender alternativer Rahmen zur Verfügung steht, innerhalb dessen sie verstanden werden könnten. Der Versuch der Einordnung mit Hilfe bewährter Kategorien scheitert. Man steht ratlos davor: ‚Das kann doch nicht wahr sein!‘

Nur zwei Beispiele: Die astronomischen Berechnungen des Domkapitulars Nikolaus Kopernikus (1473–1543) waren mit einem geozentrischen Weltbild nicht mehr zu vereinbaren;

‚Kopernikanisch‘ nannte Immanuel Kant selbst seine schon beschriebene Wende, als er in seiner Kritik der reinen Vernunft (1789) das Subjekt zur zentralen Instanz jeglicher Erkenntnis machte und jede naiv objektive Erkenntnistheorie unmöglich machte, d. h. verbot, Denkkategorien mit Bestimmungen der Wirklichkeit selbst zu verwechseln.

Die Beispiele stehen dafür, dass neue Erfahrungen und Erkenntnisse innerhalb traditioneller Deutungsmuster nicht mehr sinnvoll zu interpretieren sind und darum diese Rahmen sprengen.

Der Wissenschaftshistoriker Thomas S. Kuhn hat auf die Bedeutung der Modelle hingewiesen, an denen sich wissenschaftliche Forschung orientiert, die – häufig gar nicht eigens reflektiert – Forschungsstrategien, methodologische Fragen, Theorien wie Praxis wesentlich vorentscheiden, die Methoden des Zugangs, ja die Objekte einer Wissenschaft selbst weitgehend bestimmen. Fundamentale Fragen gelten als beantwortet. Der Forschungsalltag lasse sich „als einen rastlosen und hingebungsvollen Versuch beschreiben, die Natur in die von der Fachausbildung gelieferten Begriffsschubladen hineinzuzwängen“45. Kuhn beschreibt dann aber solche nicht hinterfragten Paradigmen als geschichtliche: Das Interesse, das traditionelle Erklärungsmodell durch mehr und mehr Material zu bestätigen, zu präzisieren, auszubauen, Erkenntnis also zu kumulieren, werde irritiert durch „Anomalien“, die die bestehende Tradition wissenschaftlicher Praxis untergraben und ein Umdenken, einen Paradigmenwechsel provozieren. Versuche, die neuen, unvermuteten Phänomene in das traditionelle Modell einzuordnen, weisen Überhangprobleme auf und scheitern – meist nach hartnäckigem Widerstand der etablierten Wissenschaftler.