Zur finstersten Stunde - Meike Piechota - E-Book

Zur finstersten Stunde E-Book

Meike Piechota

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Beschreibung

Herzlich willkommen im Gewölbe des Prätoriums! Herrschaftsgebiet des Princeps Noir! Meister der dunklen Magie. Sei willkommen in den Reihen seiner Studenten. Willkommen in einem Leben aus Luxus, Schmerz und Blut. New London ist in Aufruhr. Seit Kurzem schwelen die Forderungen der Bewegung nach Gleichberechtigung für magisch Unbegabte in den Straßen der Stadt. In diesen unruhigen Zeiten müssen Detective Gail McAlistor, Constable Benedikt van Dijk und Lady Fleur de la Croix einen Mörder jagen. Einen Mörder, der das Chaos auf den Straßen zu nutzen weiß. Einen Mörder, der auch vor schwarzer Magie keinen Halt macht.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Prolog Fleur
1 Anonym
2 Benedikt
3 Fleur
4 Benedikt
5 Fleur
6 Benedikt
7 Benedikt
8 Benedikt
9 Fleur
10 Benedikt
11 Benedikt
12 Benedikt
13 Fleur
14 Benedikt
15 Anonym
16 Benedikt
17 Benedikt
18 Fleur
19 Benedikt
20 Anonym
21 Benedikt
22 Gail
23 Benedikt
24 Fleur
25 Anonym
26 Benedikt
27 Benedikt
28 Anonym
29 Benedikt
30 Benedikt
Epilog Fleur
Danksagung

Meike Piechota

 

Zur finstersten Stunde

 

 

 

 

Zur finstersten Stunde

 

 

© 2024 VAJONA Verlag GmbH

Originalausgabe bei VAJONA Verlag GmbH

 

 

Lektorat: Aileen Dawe-Hennings

Korrektorat: Lara Späth und Vera Schaub

Umschlaggestaltung: VAJONA Verlag GmbH unter

Verwendung von selbstgezeichneten Motiven von Diana Gus

Satz: VAJONA Verlag, Oelsnitz unter Verwendung von Motiven von Canva

 

VAJONA Verlag GmbH

Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3

08606 Oelsnitz

 

Für die, die sie in die Dunkelheit verbannten.

Für die, deren Feuer umso stärker lodert.

Hinweis

 

Liebe*r Lesende, bevor du dich der dunklen Magie stellst, lass dich mit den folgenden Worten gewarnt sein:

 

»Das ist es, worum es in der dunklen Magie geht. Um den menschlichen Körper. Blut. Und dazu gehört auch der Tod.«

Prolog Fleur

Damals

 

Ich steckte bis zu den Ellbogen in Eingeweiden. Ohne mit der Wimper zu zucken, wühlte ich darin herum. Der Gestank der Verwesung kitzelte in meiner Nase. Ein Gefühl, an das ich mich im Laufe der Jahre gewöhnt hatte. Was anderen die Galle in den Rachen katapultierte, schockte mich nicht mehr.

Mein Nacken gab ein leises Knacken von sich, als ich den Hals dehnte. Allmählich wurden meine Arme müde, denn ich grub seit geraumer Zeit in diesem Körper. Ich war auf der Suche nach etwas. Leber, Nieren, Magen, Därme. Meine Hände wanderten höher und fanden schließlich die Lunge. Das Organ fühlte sich intakt an. Hier fehlte nichts. Ich tastete weiter in den Brustkorb und fand schließlich, wonach ich suchte. Im Vergleich zu den anderen Organen waren die Muskeln des Herzens härter.

Mit einer Hand umschloss ich den Klumpen. Die andere Hand zog ich aus der Leiche und griff auf den Tisch neben mir. Ohne hinzusehen, fand ich das Skalpell und führte die scharfe Klinge an die Stellen, an denen das Herz mit dem Körper verbunden war. Ich durchtrennte die Aorta und die restlichen Venen. Schließlich hob ich das wertvolle Fundstück aus dem Brustkorb und drehte mich zum Tisch mit den Utensilien um.

Das Skalpell ließ ich auf die hölzerne Tischplatte fallen. Das Herz allerdings platzierte ich vorsichtig in einer metallenen Schale. Zufrieden betrachtete ich mein Werk, während ich mir die Hände an meiner Schürze abwischte.

»Ein Zwischenfazit?« Die Stimme meines Meisters holte mich aus meinen Gedanken. Der alte Mann lehnte auf seinem Gehstock gestützt an der Wand. Er sollte sich einen Stuhl nehmen. In den vergangenen Tagen hatte ihm sein Alter zugesetzt. Noch mehr als sonst. Aber ich verkniff mir diesen Kommentar. Er war ein Mann, dem man so etwas nicht sagte. Er war ein Princeps. Meister seines Fachs.

»Die Organe sind in einem hervorragenden Zustand. Alle soweit vorhanden und intakt«, beantwortete ich seine Frage.

»Und das Herz?« Er nickte zu der Schale vor mir.

»Es ist nicht mehr das Jüngste. Aber dennoch kraftvoll. Es beinhaltet einiges an magischer Energie«, wusste ich auch darauf eine Antwort. Natürlich tat ich das. Schließlich war ich seine Primus.

»Wie ist also das weitere Vorgehen?« In der schnarrenden Stimme meines Meisters lag Zufriedenheit. Unsere Lehrstunden waren im letzten Jahr eher eine Routine geworden. Er hatte mir all sein Wissen vermittelt und nun warteten wir beide darauf, dass das Alter mir den Weg auf seinen Platz freimachte.

»Die schnellste Methode wäre, das Herz zu essen und so die Energie zu absorbieren. Aber das wäre kein nachhaltiges Vorgehen. Ich würde es in einer Konservierungslösung auf Eis legen. So lange, bis …« Ich hob eine Hand und zeigte den verschmutzten Verband um die Innenfläche. Darunter pochte und kribbelte es. Wie der Gestank eine leidige Begleiterscheinung meiner Ausbildung in schwarzer Magie. Die Male, die meine Gabe in Schach hielten. Die mich fesselten. Ich schluckte meine Wut herunter und machte im Text weiter: »Dann wäre es ein Absorptionszauber, mit dem ich die Energie extrahieren könnte.«

»Identifikation?« Er musste seine Frage nicht ausformulieren.

Die Leiche war frisch, was das Ganze vereinfachte. Ohne Umschweife wandte ich mich um und ging auf einen der Wandschränke zu. Hinter dessen Tür wartete eine Reihe von Schubladen auf mich. Aus einer zog ich ein Säckchen. Die Steine darin stießen aneinander, als ich mit dem Samt in der Hand zum Tisch zurückkehrte.

Ich fischte vier Kiesel aus dem dunklen Stoff und platzierte sie in einem Viereck auf der Arbeitsfläche. Jeder von ihnen glomm in einer anderen Farbe. Jeder von ihnen geladen mit der Energie eines der Elemente: Feuer, Wasser, Luft, Erde.

Als mein Blick über den Kreis aus Steinen glitt, durchzog eine schmerzhafte Erinnerung meine Brust. Auch meine Magie war mithilfe solcher Brocken identifiziert worden. Es war ein dunkler Moment in meiner Vergangenheit gewesen, dessen Nachwehen noch immer mein Leben durchwirkten. Ich schob den Schmerz beiseite und sammelte mich wieder. Nicht die richtige Zeit. Nicht der richtige Ort.

Ich griff nach der Schale mit dem Herzen und hob das Organ heraus. Kaum berührte das feuchte Gewebe das Gestein, leuchtete der weiße Stein auf. »Windmagier.«

Mein Meister lächelte zufrieden. Er stützte sich mit einer Hand gegen die Wand und stieß sich davon ab. Dabei entfuhr ihm ein leises Ächzen. Er benötigte einen Moment, bis er das Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Dann schlurfte er auf den Seziertisch zu. Sein milchiger Blick streifte mich, bevor er sich auf das abgedeckte Gesicht der Leiche richtete. »Und bei einem Körper, der nicht so frisch wie dieser ist?«

Natürlich machte er es mir nicht einfach. Ich trat ebenfalls an die metallische Bahre heran. Über den auseinandergenommenen Körper hinweg musterte ich meinen Meister. Sein hohes Alter zeigte sich in tiefen Falten in seinem Gesicht. Wenige Haare waren ihm geblieben. Dass er diese paar Strähnen nicht abrasierte, wunderte mich. Denn ansonsten war der Princeps Noir auf ein gepflegtes Äußeres bedacht. Zwar waren der ausladende Schnitt seines Revers und das tiefrote Einstecktuch nicht mehr ganz aktuell. Aber sein Auftreten war stets faltenfrei, sauber und akkurat. Mein Blick fiel auf seine mit schwarzem Leder behandschuhten Hände, die auf dem vergoldeten Knauf seines Gehstocks ruhten.

Ich wies mit einem Nicken auf seine verschränkten Finger. »Ein weiteres Vorgehen wäre nur ohne Male möglich. Durch meine Gabe könnte ich mit einem Tropfen Blut das Element des Verstorbenen identifizieren.«

Die dünnen Brauen des Princeps schossen in die Höhe. Nur langsam löste er den Blick von dem Toten und richtete ihn auf mich. Er blinzelte und schürzte die Lippen. »Wann war das letzte Mal, dass wir Eure Male lösten?«

Ich schluckte und gab vor, nachzudenken. Doch ich wusste genau, wann der Bann von mir genommen und vor allem wieder auf mich gelegt wurde. Eine der vielen Maßnahmen, die ich befolgen musste, wenn ich in schwarzer Magie ausgebildet werden wollte. Dass ich sie überhaupt erlernen durfte, wurde nur durch einen politischen Vorteil begründet. Nichts machte die Landesgrenzen so sicher wie eine kleine Armee gut ausgebildeter schwarzer Magier. Das hatte der Große Krieg bewiesen. Auch wenn die offiziellen Geschichtsbücher darüber schwiegen, hatten mein Meister und seine Kameraden den Ausgang der Auseinandersetzungen in Europa maßgeblich beeinflusst. Und zum Dank hatten die anderen Princeps sie ins Gewölbe verbannt. Ich musste mich beherrschen, um nicht mit den Zähnen zu knirschen. »Das muss einige Monate her sein.«

Der Princeps Noir nickte langsam, wobei er mich musterte. Schließlich löste er eine Hand von seinem Gehstock, erhob sie und winkte mit dem ausgestreckten Zeigefinger aus der Ecke des Raumes jemanden zu uns.

Für den Bruchteil einer Sekunde weiteten sich meine Pupillen. Mein Meister wollte heute den ganzen Weg gehen. Was für mich Schmerzen bedeutete. Große Schmerzen. Von der verheerenden Leere im Anschluss ganz zu schweigen. Ich würde Tage danach im Bett verbringen und um die Kraft in meinen Venen trauern.

Eine junge Frau trat zu uns. Als sie der Geruch der Verwesung traf, schluckte sie hart. Sie trug die dunkle Uniform der Princeps-Garde. An ihrem Revers blitzte ein kleiner Flammen-Anstecker auf. Eine Feuermagierin. Nicht jeder trug ein solches Erkennungsmerkmal. Oftmals bestand ein Vorteil in dem Unwissen über die Art der Begabung eines Magiers.

»Dann möchte ich sehen, wie Ihr Euch dabei so anstellt.« Das Knarzen in der Stimme meines Meisters war unnachgiebig. So freundlich dieser Mann auch sein konnte, Nachsicht, geschweige denn Barmherzigkeit konnte keiner von ihm erwarten. Insbesondere nicht ich.

Vielleicht eine Berufskrankheit der Princeps.

 

1 Anonym

Heute

 

Deine Angst ist mein Triumph. Deine Schreie, Musik in meinen Ohren. Du windest dich vor mir. Voller Verzweiflung versuchst du, den Fesseln meiner Magie zu entkommen. Aber zu spät, alter Mann! Meiner Kraft hast du nichts entgegenzusetzen. Keiner von euch!

Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. Angeekelt huscht mein Blick über deinen nackten Körper vor mir auf dem Tisch. Dann wende ich mich meinem Werkzeug zu. Ich gehe die Schritte des Rituals im Kopf durch. Auch wenn das nicht notwendig ist. Ich weiß, was ich zu tun habe. Schließlich habe ich es immer wieder geübt. Über Jahre. All die Jahre.

Ihr erntet den Sturm, den ihr gesät habt. Bei dem Gedanken richte ich meinen Blick erneut auf dich. Mein Hass lässt dich unter deinem Knebel quieken. Wie ein kleines Schweinchen. Nun grinse ich. »Bereit, geschlachtet zu werden?«

 

2 Benedikt

Heute

 

»Bei allen Mächten.« Ich schluckte die aufsteigende Galle in meiner Speiseröhre herunter. Dass mir übel war, war nicht nur die Schuld dieses Gestanks, sondern vor allem des medizinischen Kollegen.

Dieser trat vom notdürftig hergestellten Tisch zurück und präsentierte uns seinen blutverschmierten Kittel. »Meine Herren. Ich denke, dass wir die Suche nach dem Princeps Terrae einstellen können.«

»Mach keinen Scheiß«, grummelte Gail neben mir. Wie so ziemlich immer hatte er eine Zigarette zwischen den Lippen klemmen. An dem Stummel zog er, während er die Hände in den Taschen seiner Lederjacke vergraben hatte.

Meine Übelkeit verschlimmerte sich. Die Princeps waren die Oberhäupter der vier magischen Gilden. In ihren fähigen Händen lagen die Geschicke dieses Landes. Allein, dass einer von ihnen gestern Abend verschwunden war, war ein Skandal. Ich schluckte neue Galle herunter. Nur deswegen waren mein Partner Gail und ich herangezogen worden. Normalerweise untersuchten wir Mordfälle. Doch die Spürnase des Detectives war legendär und auch beim Auffinden von Menschen hilfreich. Ganz zu seinem Leidwesen.

»Überzeugen Sie sich selbst.« Der Mediziner wischte sich die blutigen Hände am Kittel ab und trat zur Seite.

»Bei allen Mächten«, murmelte ich erneut.

Von Gail kam ein zustimmendes Grunzen.

Vor uns lag auf einem schneeweißen Tuch ein Gesicht. Nein, eher waren es Hautfetzen. Der Kollege hatte Stunden damit zugebracht, die unzähligen, kleinen Stücke zu einem Gesicht anzuordnen. Und ja, wir konnten die Suche einstellen. Denn die flachen Züge, die sich in einem blutigen Mosaik vor uns ausbreiteten, kannte ich von den Plakaten aus der Stadt nur zu gut. Dies war eindeutig der Princeps Terrae. Dieses Mal schoss mir die Galle in den Rachen, sodass ich hustete.

»Alles in Ordnung, Kiddo?«

Beim Klang von Gails rauer Stimme schluckte ich hastig. Mein Partner hielt uns Magier ohnehin für verweichlicht. Da wollte ich ihm nicht noch mehr Angriffsfläche geben. Also straffte ich die Schultern und nickte meinem Partner zu.

Obwohl er mich skeptisch musterte, sprach er zum Mediziner: »Wer weiß schon alles Bescheid?«

Der Mann schürzte die Lippen. »Ich bin gerade erst fertig geworden. Also würde ich sagen, nur unsere illustre Runde.«

»Gut. Das bleibt auch vorerst so. Sieh zu, dass das niemand zu Gesicht bekommt.« Als Gail die Doppeldeutigkeit seiner Worte bewusst wurde, gluckste er leise.

Ich hingegen war um Fassung bemüht. Um meine Nerven zu beruhigen, fokussierte ich mich auf das dumpfe Prickeln in meinen Fingerspitzen. Meine magische Fähigkeit nahm den Dunst der aufziehenden Nacht wahr. Das Wort, mit dem ich die winzigen Wassertropfen nach meinem Willen dirigieren konnte, spukte mir für eine Sekunde durch den Kopf. Um meinen Partner nicht zu reizen, blieb es unausgesprochen, das Wasser in der Luft unberührt. Stattdessen atmete ich tief durch. Unter den Geruch nach Zigarettenrauch mischte sich die süßliche Note von Verwesung. Ich musste erneut husten, was Gail mit einem Seitenblick quittierte.

»Wehe, du kotzt mir auf die Schuhe.«

Detective Gail McAlistor. Zunächst hatte ich mir nichts dabei gedacht, als ich mit meinen gerade einmal fünfundzwanzig Jahren als magischer Assistent zu Scotland Yard berufen worden war. Ich war sogar geschmeichelt gewesen, dass ich an der Seite eines der berühmtesten Detective würde arbeiten können. Doch so gut Gails Quote beim Lösen von Fällen auch war, so sehr ließen seine Manieren zu wünschen übrig.

Um den unangebrachten Kommentar Lüge zu strafen, riss ich mich zusammen. Unter einem Schnauben blähte ich die Nasenflügel und wandte mich an den medizinischen Kollegen. »Wie sehen die Ergebnisse der ersten toxikologischen Untersuchungen aus?«

»Bis auf Alkohol alle negativ.«

»Wie viel Alkohol?«

Der Kollege schürzte die Lippen und überlegte. »Nicht genug, um bewusstlos zu sein.«

»Du denkst an Entführung?« Gail warf seine Zigarette auf den Boden und trat sie aus.

»Wer würde nicht? Ich meine, was würde ein Princeps an einem Ort wie diesem wollen?« Ich wies hinter mich.

Dort erstreckte sich eine Fabrikhalle. Oder eher das, was die Zeit und Witterung davon übrig gelassen hatten. Schutthaufen türmten sich auf den zersprungenen Bodenplatten. In dem Geröll vermutete ich Teile des Dachs, denn die metallenen Verstrebungen in dem Gestein sahen verdächtig nach Stützträgern aus. Ich hob das Gesicht zu einem der Löcher, in denen der freie Himmel zu sehen war. Das Firmament verdunkelte sich allmählich.

Ich seufzte und wandte mich erneut dem Mediziner zu. »Sie können jedoch bestätigen, dass der Princeps Terrae bei vollem Bewusstsein gewesen sein muss, als er herkam?«

Der Kollege nickte, bevor er mit den Schultern zuckte. »Ich meine, Magie könnte eine Option sein.«

»Wir reden von einem Princeps. Ich wüsste nicht, wie ein einfacher Magier gegen einen Meister seines Fachs eine Chance hätte.« Ich schüttelte den Kopf. Nein, das war wirklich ausgeschlossen. Es sei denn … Ich verwarf den Gedanken so schnell, wie er gekommen war. Über diese Möglichkeit wollte ich bisher nicht einmal nachdenken. »Wir können also davon ausgehen, dass er mehr oder weniger aus freien Stücken herkam. Aber ergibt das Sinn? Ich meine, was wollte der Princeps hier?«

»Der alte Sack hatte ausreichend Dreck am Stecken, den er vor neugierigen Augen verborgen halten wollte«, war Gails Kommentar.

Ich warf ihm einen tadelnden Blick zu. Über die Princeps sprach man nicht so! Als die mächtigsten Magier des Landes besaßen sie Einfluss nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Politik. Ein metallenes Klirren ließ mich aufblicken. Der medizinische Kollege packte seine Instrumente in einen Koffer. »Wir haben dann so weit den Tatort untersucht.«

»Ein erstes Fazit zum Tathergang?« Gail musterte den Mann im Kittel aufmerksam.

»Ich muss im Labor Tests machen, bevor ich dazu etwas sagen kann. Einen ausführlichen Bericht bekommt ihr morgen.«

»Ach, komm schon. Theo, unter uns beiden Gebetsschwestern.« Gails Stimme hatte einen verschwörerischen Klang angenommen. Anscheinend kannte er den Kollegen besser. Ich musste die Namen erst noch lernen.

Der Mann mittleren Alters war gerade dabei, die Gesichtsfetzen mit einem Tuch abzudecken. Anschließend zog er das Gebilde auf eine Holzplatte und wies zwei junge Kolleginnen an, dafür zu sorgen, dass dies den Weg in sein Labor fand. Erst als die beiden außer Sichtweite waren, wandte er sich wieder an uns. »Gail, du weißt, dass ich keine frühzeitigen Ergebnisse teile. Nachher liege ich falsch. Dann ist es mein ruinierter Ruf.«

»Wir reden von Mord an einem Princeps. Der Chief rotiert, seitdem der Sack letzte Nacht verschwunden ist. Adams wird Ergebnisse sehen wollen. Eine Kleinigkeit musst du mir geben.«

Mit einem Seufzen stützte sich der Kollege auf dem Koffer ab. Er nahm sich eine Minute Zeit. Schließlich rieb er sich die Nasenwurzel. »Also schön. Das Opfer ist der Princeps Terrae. Die Identifizierung hat uns ein wenig Zeit gedauert, da dem Opfer alle Knochen entfernt wurden.«

»Entfernt …«, murmelte ich. Der Begriff war eindeutig zu harmlos für das, was die Fetzen angedeutet hatten. Unter einem tiefen Atemzug schloss ich für einen Moment die Augen. Ich vermied den Blick zum Kopf der Halle. An die Stelle, wo ein Stück Beton aus der Wand gebrochen war. Zu dem Haufen verwesender Masse, aus dem der medizinische Kollege die Fetzen gefischt haben musste. Ich hatte nicht gewusst, dass ein menschlicher Körper wortwörtlich zu Brei verarbeitet werden konnte.

»Jedenfalls konnten wir die Knochen bisher nicht ausfindig machen. Einige Trupps suchen die Umgebung ab. Aber ich schätze, dass der Täter sie mitgenommen hat.«

»Und wie hat der Kerl das hinbekommen?« Gail schien der Tatort nicht zu beunruhigen.

»Das, mein Lieber, muss dir dein magischer Kollege erklären.« Damit stieß sich der Mann vom Koffer ab. Ohne hinzusehen, schloss er den Deckel und erfasste den Griff. Mit einem Tippen an die Stirn verabschiedete er sich von uns und stapfte in Richtung des Ausganges.

»Einen ausführlichen Bericht. So schnell wie möglich!« Der Mann quittierte Gails Rufen mit einem lapidaren Winken. Dann verschwand er hinter einem der Schutthaufen.

Ich holte Luft, doch eine weitere Wolke des Verwesungsgeruchs waberte zu uns. Mir wurde wieder übel.

»Also, Kiddo?« Erwartungsvoll zog Gail eine Braue nach oben.

Ich seufzte. Bisher hatte ich mich von dem grotesken Altar fernhalten können. Doch der Mediziner hatte recht. Ich war der magische Part in unserem Duo. Ich würde mir den Tatort genauer ansehen müssen.

Innerlich verfluchte ich meine wackeligen Knie, dank derer ich mich mit staksigen Schritten in Bewegung setzte. Dabei waren die aufgeplatzten Bodenplatten der Halle nicht sonderlich hilfreich.

Tiefe Risse durchzogen den Beton, was bei einer stillgelegten Anlage niemanden mehr kümmerte. Zusätzlich zogen sich rostige Schienen durch den Beton. In einiger Entfernung standen darauf die Überreste eines Förderwagens. Mit deren Hilfe hatten früher Windmagier die produzierten Waren transportiert. Technik hatte den Einsatz von Magie für die Industrie überflüssig gemacht. Abgelöst durch die moderneren Anlagen waren diese Fabriken im Westen der Stadt ihres Zwecks und damit ihres Lebens beraubt worden. Was den Zerfall dieses Gebäudes erklärte.

Auch wenn ich mich innerlich darauf gefasst machte, schlug der Verwesungsgestank wie ein Fausthieb in meine Magengrube. Ich hatte während meines Diensts auf der Straße bereits einiges erlebt. Aber dieser Gestank raubte einem die Sinne. Er brannte in den Augen, sodass mir Tränen die Sicht nahmen. Ich versuchte, sie weg zu blinzeln. Auch wenn ich bei dem Anblick kämpfen musste, wollte ich mir keine Blöße vor Gail geben. Zum tausendsten Mal schluckte ich und achtete darauf, ab sofort durch den Mund zu atmen. Erst dann schaffte ich es, den Blick auf das Stück Beton zu richten.

Vor mir breitete sich die fleischige Masse auf der flachen Oberfläche des Steinbrockens aus. Durch meine Bewegung wurden die Fliegen aufgescheucht, die sich in Scharren auf die Leiche gesetzt hatten. Ihr dichtes Brummen ließ mich zusammenzucken. Fokussier dich, Benedikt!

Ich presste die Kiefer aufeinander und zog Luft durch die Zähne ein. Ich trat nur so nah wie notwendig an die Überreste heran. Durch die Tränen war es schwer, Einzelheiten zu erkennen. Ich lehnte mich ein Stück vor.

»Und? Was sagste?«

Beim Klang von Gails Stimme zuckte ich zurück. Von Neuem stoben Tausende Fliegen in die Luft. Kleine Körper streiften meine Wangen, die ich hektisch mit einer Hand wegschlug.

»Beruhig dich, Kiddo.« Gail schüttelte den Kopf und steckte sich eine neue Zigarette an. Dieses eine Mal war ich dankbar für den Geruch des brennenden Tabaks. Ich klammerte meine Sinne daran. Gepresst bekam ich ein paar Worte hervor. »Eindeutig Magie.«

»Stimme dir zu. Das bekommt niemand mit einem Messer hin. Der Kerl hätte stundenlang darauf einhaken müssen, um diesen Brei hinzubekommen.«

»Die Ränder.« Ich deutete auf etwas, was ich als Haut vermutete. Wie beim Gesicht war auch diese in Fetzen. »Zu fransig für eine Klinge.«

»Einen solchen Tod hat selbst der nicht verdient«, murmelte Gail. In Gedanken versunken griff er nach dem kleinen Anhänger, den er stets an einer goldenen, schmalen Kette um den Hals trug. Er nahm das runde Amulett zwischen Daumen und Zeigefinger. Das tat er immer, wenn ihn etwas beschäftigte. So viel hatte ich schon über den Detective herausgefunden.

Während mein Partner die Leiche anstarrte, ging ich in Gedanken die Lehrstunden an der Akademie durch. Magie war eindeutig im Spiel gewesen. Wenn mir nicht einfiel, welches Ritual eingesetzt worden war, hieß das nur eines …

»Also, welche eurer Schweinereien hat der Kerl durchgezogen?« Gail musterte mich.

»Ich …«, druckste ich herum. »Kann ich nicht sagen.«

Gails Augen verengten sich zu Schlitzen. »Verstehe ich nicht.«

Ruckartig drehte ich mich herum und setzte mich in Bewegung. Ich brauchte ein paar Minuten um nachzudenken. Aber mehr noch brauchte ich etwas frische Luft. Dankbar sog ich den Sauerstoff in meine Lunge, während ich die letzten Schritte aus der Halle stolperte. Vornübergebeugt kam ich zum Stehen und stützte mich schnaufend auf meinen Oberschenkeln ab. Sofort bereute ich das Atmen. Gestank folgte mir ins Freie und erinnerte mich an das Bild, das sich mir eben geboten hatte. Allein bei diesem Gedanken verkrampfte sich mein Magen, Säure wanderte meine Speiseröhre herauf.

Bereits im nächsten Moment war Gail neben mir. An seiner Zigarette ziehend musterte er mich. Plötzlich riss er die Augen auf. »Sag mir nicht, dass das was von dieser verbotenen Scheiße war?«

»Ich meine …«, brach ich ab. Ich holte noch einmal Luft und richtete mich auf. »Wie du selbst festgestellt hast, wurde eine enorme Kraft eingesetzt. Und ich wüsste nicht, dass eines der Rituale der weißen Magie dazu in der Lage wäre. Dazu die Tatsache, dass die Knochen verschwunden sind.« Viel hatten sie uns an der Akademie zur schwarzen Magie nicht beigebracht. Dass Blut, Organe und Knochenmark für diese Art von Magie wichtig waren, wusste ich allerdings.

Kaum hatte ich zu Ende gesprochen, warf Gail die Reste seiner Zigarette zu Boden und trat sie fluchend aus. »Scheiße!«

Gedanklich stimmte ich ihm zu. Schwarze Magie war seit dem Großen Krieg strengstens verboten. Zu meiner Übelkeit gesellte sich Angstschweiß. »Und jetzt?«

»Jetzt, Kiddo, müssen wir erst einmal den Chief informieren. Dem glühen ohnehin schon die Ohren seit dem Verschwinden des alten Sacks.« Gail pfiff leise durch die Zähne und wischte sich über den Mund. »Fünfzig Pfund darauf, dass dem die Glatze platzt, wenn wir ihm unsere Neuigkeit überbringen.« Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, setzte er sich in Richtung des Tors zur Straße in Bewegung.

Ich schüttelte ergeben den Kopf und folgte ihm. Gail war wirklich kein angenehmer Weggefährte. Doch ich hatte mich entschlossen, das hinzunehmen. Ich wollte von ihm lernen. Seine Erfahrung und Expertise waren Gold wert.

 

Unter einem Schnauben zwängte sich Gail in die kleine Kammer der Telefonzelle. Das, was ihm an Körpergröße fehlte, holte er in seiner Breite wieder raus. Wobei das eine Mischung aus Fettansatz am Bauch und kräftigen Muskeln an den Schultern war. Beides versteckte mein Partner gekonnt unter einem knittrigen Hemd und Lederjacke.

Ich blieb stehen und beobachtete Gail durch die verrußte Scheibe. Nachdem der erste Versuch gescheitert war, warf er sich derart heftig gegen die faltbare Tür, dass der Rahmen bedrohlich knirschte.

»Haste mal was?« Mit einer Schulter hielt Gail die Tür offen, wobei er suchend seine Taschen abklopfte.

Ich beförderte einige Münzen aus der Brusttasche meiner Uniform hervor und drückte sie ihm in die ausgestreckte Hand. »Sicher, dass die Leitungen funktionieren? Vielleicht sollten wir ins Dezernat fahren.«

»Dir ist schon bewusst, dass wir uns zielgenau mit unseren Ärschen auf ein Pulverfass gesetzt haben?« Gail nahm den Hörer vom Apparat und lauschte. Mit einem zufriedenen Brummen nickte er, warf die Münzen in den dafür vorgesehenen Schlitz und wählte die Nummer unserer Dienststelle. Während er die Hörmuschel an sein Ohr presste, wandte er sich zu mir. »Du hast mitbekommen, wie allein das Verschwinden des alten Knackers die Kollegen in Aufruhr gebracht hat. Dass der ermordet wurde, ist eine Nummer für sich.«

Gail hielt inne. »Becky? Hier ist Gail. Sei so lieb und stell mich mal zum Chief durch.«

Stille.

»Ja, ich weiß, dass der viel um die Ohren hat, aber das ist ein Notfall.«

Wieder Stille. »Süße! Wenn der alte Hund von einem Notfall spricht, dann kannste dir sicher sein, dass die Kacke am Dampfen ist. Also, tu uns beiden den Gefallen und stell mich zum Chief durch.«

Dieses Mal gefiel ihm die Antwort, denn er nickte zufrieden. An mich gewandt, sagte er: »Merken, Kiddo. Toter Princeps ist Alarmstufe rot. Princeps, umgebracht durch schwarze Magie, sprengt die Farbskala und unsere Gehaltsklasse.«

Kaum hatte er mir seine Lektion erteilt, richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf das Telefonat. »Chief? Hier spricht McAlistor.«

In der Hoffnung, wenigstens einen Teil der Unterhaltung mitzubekommen, trat ich an die halb offene Tür und lehnte mich vor.

»Wollen Sie gute Neuigkeiten oder die Wahrheit?«

Als Antwort erklang das hektische Brummeln des Chief Inspectors Adams. Ich meinte, so etwas wie »Er ist es wirklich?« darin zu erkennen.

»Ich lege einen drauf und sage Ihnen, dass der Kerl durch schwarze Magie umgebracht wurde.«

Nach einer weiteren Pause erklang eindeutig ein gebrülltes »Scheiße« durch den Hörer.

»Mein Einsatz steht noch«, grinste Gail mich über die Schulter an.

Ich ignorierte den Einwurf und sprach etwas lauter in den Hörer: »Sir? Bei dem Zustand der Leiche gehe ich zumindest von schwarzer Magie aus. Ich würde dies jedoch gerne von einem Experten bestätigen lassen.«

Meine Befürchtung, dass der Chief mich nicht verstanden haben könnte, wurde mit dem Satzfetzen »Princeps Noir« beruhigt.

Gail nickte zustimmend. »Verstanden … Sicher … Diskretion … Wir melden uns!« Damit beendete er das Gespräch und knallte den Hörer auf den Apparat. Mit einem Fluchen drängte er zunächst mich und dann seinen Körper aus der Telefonzelle.

»Und? Was hat der Chief gesagt?« Ich machte meinem Partner Platz, der wehmütig seine letzte Zigarette aus der Schachtel zog. Er knüllte das Papier zusammen und warf es achtlos auf den Boden. Die Kippe zwischen die Lippen geklemmt, hob er ein Feuerzeug an sein Gesicht. »Tja, Begeisterung sieht anders aus.« Er inhalierte, bevor er weitersprach: »Wir sollen jedenfalls mit dem Princeps Noir sprechen. Adams will die Information bestätigt wissen, bevor er die Pferde scheu macht.«

Schweigend nickte ich. Zu mehr war ich nicht in der Lage. Schwarze Magie. Unwillkürlich streckte ich meine rechte Hand aus. Sobald ich meine Aufmerksamkeit darauf richtete, registrierte meine Gabe jegliche Wasserquelle in der näheren Umgebung. Unzählige Zaubersprüche hatte ich in der Akademie gelernt, mit deren Hilfe ich das Element bändigen und nach meinem Willen formen konnte. Schwarze Magier hingegen …

»Lass das Herumgefuchtel, Kiddo. Das macht mich nervös«, knurrte Gail.

Daraufhin zog ich meine Finger zurück, das Prickeln unter meiner Haut verschwand. Mit einem entschuldigenden Lächeln an meinen Partner schob ich die Hand zurück in die Manteltasche.

»Diese Typen mit ihrem Faible für Blut und Eingeweide sind eine andere Hausnummer an Absonderlichkeit. Ich habe mich schon immer gefragt, wieso die alten Säcke sich eine Horde davon im Keller halten.« Gail blies Rauch in die Luft.

Ich schnaubte, während ich die zerfallene Halle vor uns betrachtete. Ja, schwarze Magie war im ganzen Land seit dem Großen Krieg verboten. Zu unmenschlich waren die Gräueltaten gewesen, die die Armeen von schwarzen Magiern angerichtet hatten. Noch immer waren ganze Landstriche ausgerottet. Dennoch. »Wenn es hart auf hart kommt, ist es doch gut, einige Experten auf dem Gebiet zur Hand zu haben.«

»Erklär mir eine Sache«, bat Gail. »Du kannst Kram mit Wasser anstellen. Wieso kannst du kein Blut beeinflussen?«

Ich lächelte schmal. Eine Frage, die ich als Wassermagier öfter gestellt bekam. Jedes Mal erklärte ich dasselbe: »Die Flüssigkeiten des menschlichen Körpers sind mit einer anderen Art von Energie gefüllt. Die Kraft des Lebens ist darin gespeichert. Etwas, was ich als Wassermagier nicht manipulieren kann. Ein dunkler Magier dagegen schon.«

Ein Rülpsen erklang zu meiner Seite. Ungeniert pustete Gail damit den letzten Zug seiner Zigarette in die Luft, warf den Stummel zu Boden und trat ihn aus. »Tja, Kiddo. Dann hoffe ich mal, dass du einen Schlüpfer zum Wechseln dabeihast. Wir zwei Hübschen werden dem dunklen Meister höchstpersönlich einen Besuch abstatten.«

 

Unter mir vibrierte der Ledersitz. Möglichst unauffällig klammerte ich mich daran fest und suchte instinktiv nach Wasser in meiner Umgebung. Das Blech an den Seiten schepperte bedenklich, als Gails Wagen über das Kopfsteinpflaster schoss. Der Fahrstil meines Partners war für den desolaten Zustand seines Automobils eindeutig zu rasant.

Meine Gabe ertastete den Tau der Nacht, was meine Nerven ein wenig beruhigte. Durch meine magischen Fähigkeiten hätte ich in einem Autounfall bessere Aussichten als Gail. Jedoch hoffte ich, dass wir nicht herausfinden würden, wie ungleich unsere Chancen wirklich waren.

Ich atmete durch, sobald wir die Stadtmauer passierten und damit die innere Stadt erreichten. Augenblicklich wurde die Bewegung unseres Fahrzeugs aufgrund des Asphalts ruhiger. An meinem Fenster zogen die Fassaden der mehrstöckigen Stadtvillen entlang. Je weiter wir zum Stadtkern kamen, umso verspielter wurden die Fassaden der Gebäude. Säulen stützten die Vordächer oder waren mit ihren schneckenförmigen Kapitälchen eine Zierde für das Anwesen.

Die Nacht war bereits fortgeschritten, sodass die Dunkelheit auf den Gehwegen lediglich durch das Licht der zweiarmigen Gaslaternen verscheucht wurde. An einer Straßenecke erhaschte ich einen Blick auf einen Herrn, der in einen eleganten Mantel gehüllt war. Im Mundwinkel hatte er eine Zigarre. An seinem Bein sprang ein Hund kläffend hoch. Er ignorierte das Tier, obwohl das Ende der Leine an seinem Handgelenk baumelte. Stattdessen wies er mit einem Zeigefinger zu der Laterne über seinem Kopf. Eine kleine Flamme sprang auf seine ausgestreckte Fingerspitze.

Dann verschwand der Mann aus meinem Sichtfeld, als Gail das Automobil rasant um eine Kurve lenkte. Instinktiv krallte ich mich fester an den Sitz. »Verdammt Gail!«

Der Detective quittierte meine Worte mit einem breiten Grinsen. »Krieg dich wieder ein, Kid…«, weiter kam Gail nicht. Stattdessen stieg er in die Eisen. Die Reifen quietschten. Das Gummi drehte auf dem nassen Asphalt durch. Beinahe ungehindert schlitterte der Wagen weiter.

Ich wurde auf dem Sitz nach vorn gerissen, sodass ich mich mit einer Hand an der Konsole abfangen musste. Instinktiv schoss mein anderer Arm schützend in die Höhe. Dazu brüllte ich die erlernte Formel: »μαζευτείτε!«

Augenblicklich bildete sich an der Schnauze des Fahrzeuges eine Glocke aus Wassertropfen. Auf meine Anweisung hin stemmten sie sich gegen das Fahrzeug, das weiter über den Boden schlitterte. Ich legte all meine Kraft in die Wolke und betete, dass es reichen würde.

Die Mächte erhörten mich. Unsere Fahrt endete gerade rechtzeitig. Als das Scheppern und Knirschen um mich herum still wurde, hob ich den Kopf. Ich blickte in ein vor Schreck aufgerissenes Paar Augen.

Zwischen dem jungen Mann und unserem Wagen waren nur noch wenige Zentimeter Abstand. Die schützende Glocke aus Wasser durchnässte seine Kleidung. Sein Brustkorb hob sich unter heftigen Atemzügen, während er uns durch die Windschutzscheibe anstarrte.

»Heilige Scheiße …«, murmelte Gail. Ihm war seine Zigarette aus dem Mund gefallen. Asche bedeckte sein Hemd.

Ich ließ allmählich den Arm sinken und gab das Element aus meinem Griff frei. Das gesammelte Wasser fiel zu Boden. Mit einem weiteren Murmeln zog ich die Flüssigkeit aus der Kleidung des Mannes. Das Geringste, was ich tun konnte. Ich lächelte ihm entschuldigend zu.

Mit zusammengekniffenen Augen sah der Mann dabei zu, wie sein Hemd allmählich trocknete. Als er den Blick wieder zu uns hob, war jeglicher Schreck daraus gewichen. Zornig funkelte er uns an. Mit einem Brüllen hieb er auf die Motorhaube, sodass das ganze Gefährt schepperte.

»Ey! Sag mal, haste den Arsch offen?« Gail kurbelte das Fenster herunter und lehnte sich heraus. »Du hast keine Ahnung, mit wem du dich anlegst!«

»Das weiß ich sehr wohl.« Damit zog der Mann ein Stück Stoff aus seiner Hosentasche.

»Verdammt«, murmelte ich, als ich die gelbe Farbe erkannte. »Welcher Wochentag ist heute?«

»Du kleiner Scheißer! Sieh lieber zu, dass du Land gewinnst!« Gail ging weder auf mich noch auf den jungen Mann ein.

Dieser streifte sich in einer Seelenruhe die Armbinde über. Anschließend hieb er erneut auf die Motorhaube, lachte gehässig und lief los. Im Laufen drehte er sich um und brüllte: »Magische Missgeburt!«

Seine Beleidigung stellte meine Nackenhaare auf. Ich ballte die Hand zur Faust. Am liebsten hätte ich die Tropfen erneut zusammengerufen und dem Kerl auf den Hals gehetzt. Doch ich atmete tief durch. Denn die weiteren Menschen, die die Straße bevölkerten, waren mir nur zu bewusst. Und alle von ihnen trugen eine gelbe Armbinde.

Die Bewegung. Ich schnalzte mit der Zunge und schob mich im Sitz zurück. Der antimagische Verein machte uns Begabten seit einiger Zeit das Leben schwer. »Heute ist Dienstag, oder?«

Gail grunzte und klopfte sich die Asche vom Hemd. »Ich dachte, dass denen die Proteste verboten wurden.«

»Wurde ihnen auch. Aber hast du erwartet, dass sie sich daranhalten?«, murmelte ich und musterte die Menschen, die in Grüppchen aus den Nebenstraßen weiter in die Innere Stadt liefen.

In einigen Blocks Entfernung versuchten sie sich den Demonstranten auf der Hauptstraße anzuschließen. Doch an der Ecke hatten Polizisten Aufstellung genommen. Windmagier bugsierten hölzerne Böcke durch die Luft und sperrten den Zugang ab, was von empörten Rufen der Menschen begleitet wurde. Spannung staute sich am Ende der Straße.

In meinen Fingern kribbelte es. Die Tatsache, dass wir umringt von gelben Armbinden waren, gefiel mir nicht. Die Anhänger der Bewegungen waren für meinen Geschmack zu gewaltbereit. Ich presste die Kiefer aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten, um das Zittern darin zu verbergen. Während meines Diensts auf der Straße hatte ich Bekanntschaft mit diesen Kerlen gemacht. Befeuert durch die abstrusen Ideen des Vereins und nicht zu letzt Alkohol, fielen die Hemmungen, einen magisch begabten Polizisten anzugreifen. Einige Prellungen, ein blaues Auge und eine gebrochene Rippe hatte mir dies bereits gebracht.

»Dann finden wir mal einen anderen Weg zum Prätorium.« Gail wischte sich mit einem Schmatzen durchs Gesicht. Er legte den Rückwärtsgang ein und setzte das Gefährt von Neuem in Bewegung. Dieses Mal war er durch die Menschen gezwungen, langsam zu fahren. Den Blick über die Schulter gerichtet, fluchte er und drückte auf die Hupe.

Im seitlichen Spiegel sah ich eine Gruppe von Menschen auseinanderweichen. Als wir im Schneckentempo an ihnen vorbeifuhren, erhielt Gails Wagen einige Schläge aufs Blech.

Der Detective verteilte grummelnd Verwünschungen. »Warum müssen sich die Bekloppten auch ausgerechnet heute zum Steineschmeißen treffen?«

»Kein Befürworter der Bewegung?« Ich atmete auf, als wir das Ende der Straße erreicht hatten und Gail den Wagen in eine ruhigere Gasse lenkte.

»Auch wenn ich nicht viel von euch Begabten halte, heißt das nicht, dass ich solche Anarcho-Futzis unterstütze.« In Gails Erwiderung schwang Verärgerung mit, die ich schnell zu beschwichtigen versuchte.

»Ich dachte nur …«

»Überrascht dich vielleicht. Aber als Unbegabter bin ich nicht dumm.«

»Das meinte ich damit nicht.«

»Nur, dass das alte Meckermaul denkt, dass eure magischen Hintern mit propagandistischem Gegröle und Wackersteinen gestürzt werden können?«

Ich biss die Zähne aufeinander. Hätte ich besser nichts gesagt! Ich hatte nur angenommen, dass Gail zumindest mit der antimagischen Bewegung sympathisierte. Deren abstrusen Forderungen nach eigenen Repräsentanten in der Politik passten mir zu gut zu Gails Abneigung gegenüber der Princeps. Er hätte sicher nichts dagegen, wenn der Rat der magischen Oberhäupter ersetzt werden würde.

Bevor ich etwas erwidern konnte, griff Gail zu einer neuen Packung Zigaretten, die in der Konsole in der Mitte des Fahrzeugs lag. »Lass gut sein, Kiddo. Ich denke, dass wir andere Dinge haben, um die wir uns jetzt Gedanken machen müssen.«

Erleichtert über das Einlenken nickte ich und sah meinem Partner dabei zu, wie er sich eine Zigarette anmachte.

»Hattest du schon einmal damit zu tun? Ich meine, mit schwarzer Magie?«

»Ja, ich hatte einmal das Vergnügen«, antwortete Gail nach kurzem Zögern.

Ich horchte auf. In welchem Kontext war mein Partner schon einmal mit schwarzer Magie in Berührung gekommen?

Diese Frage blieb unbeantwortet, denn Gail drehte das Radio lauter, stierte auf die Straße und navigierte den Wagen durch die Züge der verrußten Stadthäuser New Londons.

Wenige Minuten später erhob sich das Prätorium vor uns aus dem Nebel der heraufziehenden Nacht. Der Anblick des Hauptsitzes der Princeps mit ihren unzähligen Simsen und Bögen erfüllte mich stets mit Stolz. Als Gail davor anhielt, warf ich einen Blick auf meine Armbanduhr. Es war kurz vor Mitternacht. »Ob der Princeps Noir noch zu sprechen ist?«

»Selbst wenn. Der Greis soll seinen knochigen Hintern aus dem Bett schwingen, wenn es um den Mord an einem seiner Kollegen geht.« Damit stieg Gail aus.

Ich unterdrückte meinen Unmut über seine respektlose Wortwahl und warf einen weiteren Blick auf das Prätorium. Die Figuren, die das Haupttor säumten, waren steinerne Kolosse. Ihre muskelbepackten Körper strotzten vor Stärke.

War jeder magisch Begabte dazu in der Lage, Wasser, Feuer, Luft oder Erde bis zu einem gewissen Grad zu manipulieren, waren die Princeps Meister ihres Faches. Sie beherrschten die Elemente wie kein anderer Magier.

Aber so schillernd die Welt der Princeps war, so düster waren die Geschichten über den fünften Meister. Den Princeps Noir. Der Meister der schwarzen Magie. Meine Nackenhaare stellten sich allein bei dem Klang des Namens auf und die Übelkeit meldete sich erneut.

Auch wenn die dunkle Magie verboten war, war es von Vorteil, einen Meister dieses Faches in seinen Reihen zu wissen. Der Princeps Noir und seine Schüler waren notwendig für die Sicherheit unseres Landes. Aber Menschen, die tagtäglich mit Blut, Eingeweiden und Knochen experimentierten, mussten einen Hang zum Morbiden haben. Oder zumindest eine gewisse Eigenheit.

Während ich aus dem Auto ausstieg, nahm ich unser abgebrochenes Gespräch wieder auf. »Hast du schon einmal einen dunklen Magier getroffen?«

Gail warf die Tür des Wagens ins Schloss und stapfte ungerührt in Richtung der breiten Eingangstreppe. »Ist lange her.«

Er wich mir aus. Und genau das befeuerte meine Neugierde. Unter welchen Umständen konnte man einem schwarzen Magier begegnen? Ich überlegte.

Man schloss den Princeps Noir und seine Schüler bewusst von der Öffentlichkeit aus, damit sie ihr Wissen nicht unkontrolliert teilen konnten. Dass Gail einen dunklen Magier zufällig beim Dinner getroffen hatte, war damit ausgeschlossen. Oder war er bereits vor diesem Abend einmal in den unteren Stockwerken des Prätoriums gewesen? Da jedoch niemand das Gewölbe ohne triftigen Grund betreten durfte, würde dies einen Fall in den Ausmaßen eines Mordes durch schwarze Magie bedingen. Und das wäre in diesem Land niemanden entgangen. Nein, es blieb nur die letzte denkbare Option, wie mein Partner in Berührung mit schwarzer Magie gekommen war. Ein privates Treffen. Vielleicht ein Familienangehöriger? Dass er aus einer wohlhabenden Familie stammte, hatte ich dem Klatsch und Tratsch des Dezernats entnehmen können. Da er jedoch kein Magier war, hatte ich darauf geschlossen, dass es eine der wenigen magisch unbegabten Blutlinien war. Zumal mir sein Familienname nichts sagte. Wie also war er in Kontakt mit dunkler Magie gekommen?

»Kiddo, lass dir eines gesagt sein. Egal, ob Princeps Noir, Terrae oder Aquarum. Typen in solchen Positionen sind alles arrogante Ärsche«, unterbrach Gail meine Gedanken.

Ich unterdrückte ein Seufzen und schloss zu ihm auf. Eine Antwort auf diese Frage würde ich nicht allzu schnell bekommen.

 

»Guten Abend, Detective McAlistor. Was kann ich für Sie tun?« Die Freundlichkeit der Empfangsdame passte nicht zu der Nervosität in meiner Magengrube. Nichtsahnend lächelte die junge Frau am Tresen Gail entgegen.

Unsere Marken hatten gereicht, um die skeptischen Blicke der Wachen am Eingang zu beruhigen. Die Zahl Fünfhundertfünf wies uns als Mitarbeiter von Scotland Yard aus. Was so einige Türen öffnen konnte. So auch die breiten Tore des Prätoriums. Während mir die opulente Ausstattung der Eingangshalle die Sprache verschlug, widmete Gail sich der Dame am Empfang. »Guten Abend, Joy. Du wirst deinem Namen wirklich jedes Mal gerecht. Immer eine Freude, dich zu treffen.«

Mit einem Kichern quittierte die Frau Gails Kompliment und fuhr sich durch die lockigen Haare.

Mein Partner stützte sich mit einem Arm auf den Tresen und warf Joy ein Grinsen zu, woraufhin ihre Wangen in einem zarten Rosa glühten.

Mit einem Kopfschütteln trat ich neben Gail an den marmorverkleideten Empfangstresen und beobachtete das Schauspiel. Der Detective konnte also auch charmant sein. Wenn er wollte.

Gail ignorierte meine Anwesenheit und fuhr unbeirrt fort. »Hör mal, Joy. Ich weiß, dass es schon recht spät ist. Aber wir hätten da eine eilige Angelegenheit. Und die ist auch leider etwas heikel.«

Die junge Frau runzelte die Stirn, hörte Gail jedoch aufmerksam zu. »Ach ja?«

»Wir müssten mit dem Herren ’ne Etage tiefer sprechen.«

Augenblicklich erstarrte das Gesicht der jungen Frau und jegliche Röte wich daraus. »Ihr wollt ins Gewölbe?«

»Von Wollen kann nicht die Rede sein. Eher ein müssen.«

»Ihr müsst mit dem Princeps Noir reden?«

Fast schon entschuldigend zuckte Gail mit den Schultern.

»Es ist eine dringende und höchstvertrauliche Angelegenheit«, schaltete ich mich in die Unterhaltung ein. Der angsterfüllte Blick der Frau wanderte zu mir. »Bitte, Fräulein Joy. Wenn Sie so freundlich wären und uns beim Princeps Noir anmelden würden.«

Joy schluckte. Erst als Gail ihr auffordernd zunickte, nahm sie zögerlich den Hörer vom Telefonapparat auf ihrem Tisch. »Aber ich kann nicht versprechen, dass ich jemanden erreiche.«

Kurze Zeit später folgte uns Joys nervöser Blick hinter die Gitter des Fahrstuhls, das ratternd zufiel und sich mit einem Klicken schloss. Augenblicklich setzte er sich in Bewegung, was den Aufstand in meinem Magen verschlimmerte. Auch wenn ich ein großer Fan der vielen technischen Neuerungen war, musste ich mich erst an diese unsichtbaren Kräfte gewöhnen. Früher waren die metallenen Kästen von Erdmagiern bewegt worden. Entsprechend spärlich war bisher deren Einsatz in den Gebäuden der Stadt.

Gails Fluchen drang zu mir. »Was war eigentlich an Treppen so verkehrt? Warum muss heutzutage jeder Scheiß mit irgendwelchem Schnickschnack neu erfunden werden?«

Anscheinend hatte mein Partner noch größere Probleme mit der Abwärtsbewegung des Aufzugs. Ich musterte die Falten auf seiner Stirn. Für Gail wirkten sie eine Spur zu angespannt. »Schiss?«, fragte ich meinem Partner mit einem amüsierten Grinsen.

Gail schnaufte unter einem kalten Lachen. »Wenn der alte Sack wirklich mit schwarzer Magie umgebracht wurde, sollten wir alle Schiss haben.« In dem Moment ging ein Ruckeln durch den metallenen Kasten und der Fahrstuhl kam zum Stehen. »Dann wollen wir mal, Kiddo«, grummelte Gail und schob das Gitter zur Seite, ehe er das Gewölbe betrat.

Die gemütliche Atmosphäre des Salons überraschte mich. Ich hatte zwar nicht mit Blutspritzern an den Wänden gerechnet. Jedoch auch nicht mit dunkelrotem Stoff, dessen Farbe perfekt auf die Teppiche abgestimmt war. In das Konzept reihten sich Sofas, Sessel und andere bequem aussehende Sitzgelegenheiten, die für Wartende bereitstanden.

Erst verzögert nahm ich den jungen Mann wahr, der mit einem eleganten Lächeln auf uns zutrat. »Guten Abend, Detective McAlistor. Constable.« Er nickte erst Gail, dann mir zu und verschränkte locker die Hände hinter dem Rücken.

Sein schwarzer Frack mit goldenen Knöpfen passte in dieses Ambiente. Von einer solchen Ausstattung konnte ich nur träumen.

»Ist er zu sprechen?« Gail musterte den jungen Mann mit ausdrucksloser Miene.

»Der dunkle Meister erwartet Sie in seinem Büro. Wenn Sie mir bitte folgen würden?« Der Portier nickte uns ein weiteres Mal zu und drehte sich zu der doppelflügeligen Tür am anderen Ende des Raumes. Mühelos schwebte er über die dicken Teppiche in Richtung des Ausganges.

Wohingegen meine Schritte von dem weichen Material verschluckt wurden. Ohne mir etwas anmerken zu lassen, kämpfte ich mich voran.

In meinem Rücken geriet Gail währenddessen ins Schnaufen. »Diese scheiß Bonzen und ihr Faible für so einen Schwachsinn!«

Ich konnte mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Auch wenn Gail einigermaßen trainiert wirkte, forderte das Rauchen seinen Tribut.

»Spar dir das, Kiddo. Lass uns lieber besprechen, wie wir uns den alten Knacker vornehmen.« Gail schloss zu mir auf. Achtete jedoch darauf, dass unser Begleiter außer Hörweite war.

»Vornehmen? Wir bitten ihn um seine Hilfe. Das wird doch kein Verhör.«

»Bei den Princeps muss man immer auf der Hut sein. Überlass das Reden lieber mir.« Mit diesen Worten schob sich Gail an mir vorbei und durch die Tür, die der junge Mann für uns offen hielt.

Wir betraten ein Labyrinth aus Fluren. Hatte das Vorzimmer vor Luxus gestrotzt, waren die unzähligen Gänge nüchtern eingerichtet. Anfangs reihten sich einige Porträts in goldenen Rahmen an den Wänden. Die Gesichter waren mir nicht bekannt. Jedoch ließen beigefügte Symbole wie Totenschädel, in Alkohol eingelegte Körperteile und die dunkle Kleidung darauf schließen, dass es sich dabei um schwarze Magier handelte.

Sobald wir die erste Abzweigung nahmen, waren die Wände leer und schmucklos. Lediglich goldene, zweiarmige Leuchten waren in regelmäßigen Abständen angebracht. Deren elektrischen Glühbirnen surrten leise.

Wir bogen erneut ab und liefen in zwei Wachmänner hinein. Ohne eine Begrüßung wurden unsere Marken gefordert. Grummelnd holte Gail seine hervor, ich hielt meine ebenfalls hin.

»Die beiden Herren sind beim dunklen Meister gemeldet.« Obwohl der Mann im Frack eine Erklärung für unser Auftauchen gab, nahmen die Wachen ihre Aufgabe ernst. Unsere beiden Plaketten wurden genauestens unter die Lupe genommen.

Ich stutzte, als mein Blick auf die Schusswaffen an ihren Gürteln fiel. Die beiden trugen die Uniform der Princeps-Garde, welche zum Großteil aus magisch Begabten bestand. Niemand, der sich mit Magie zur Wehr setzen konnte, würde sich eine Pistole umschnallen. Unsere Gabe war ebenso zuverlässig wie tödlich.

Der Ältere musterte mein Gesicht eingehend und nickte uns schließlich zu, ehe er mir meine Marke zurückreichte und uns Zutritt gewährte.

»Eine sehr herzliche Begrüßung«, murmelte Gail, während wir dem Herrn im Frack folgten.

Zu meiner Linken ging eine Tür auf. Eine junge Frau trat in den Flur. Vor ihrer pechschwarzen Kleidung trug sie eine weiße Schürze, die mit blutigen Spritzern übersäht war. Ich schluckte. Durch den kleiner werdenden Spalt der zufallenden Tür erhaschte ich einen Blick ins Innere des Raumes.

Über einem Tisch war an einer Schnur etwas aufgehängt gewesen. Gewebe, das so dünn geschnitten war, dass der Schein mehrere Lampen hindurchleuchtete. War das etwa eine Lunge?

Bevor mein Magen einen Salto machen konnte, verdrängte ich das Bild und fokussierte mich auf Gails Rücken. Mit einem Mal ergaben die magisch unbegabten Wachen Sinn. Ein Magier könnte die Male lösen. Und ich wollte nicht allzu genau wissen, wozu die dunklen Magier eine zerschnittene Lunge benutzen konnten.

Nach einigen Abzweigungen blieb der Mann im Frack vor zwei Gardisten stehen. Die beiden waren neben einer zweiflügeligen Tür positioniert, an dessen Seite eine vergoldete Plakette angebracht war. »Princeps Noir« war in nüchternen Buchstaben in das Metall gestanzt. Ich blieb neben Gail stehen, der sich sichtlich erschöpft Schweiß von der Stirn wischte. »Endlich. Ich habe schon gedacht, dass der Futzi sich verlaufen hat.«

Der Futzi nickte den beiden Wachen zu und wies dann mit dem Kopf auf uns. »Detective McAlistor und Police Constable van Dijk. Es geht um eine dringende Angelegenheit. Der dunkle Meister ist informiert.«

Erneut wurden wir eingehend gemustert. Doch schließlich hob die Wache eine Hand zur Tür. Das Klopfen dröhnte durch den Gang und ließ die Übelkeit in meinen Eingeweiden von Neuem aufwallen.

Sobald der Wachmann die Klinke betätigte, stemmte sich unser junger Begleiter gegen das Holz. Er schob es auf und trat einen Schritt in den dahinter liegenden Raum. Seine Stimme drang gedämpft zu uns. »Princeps? Die werten Herren McAlistor und van Dijk würden Sie wie angekündigt sprechen wollen.«

Das Holz der Tür verschluckte die Antwort. Doch diese schien positiv auszufallen, denn kurz darauf trat der Mann zu uns und hielt mit seinem eleganten Lächeln den Weg frei. »Der dunkle Meister wäre dann so weit.«

Gail grunzte nur und trat ohne eine weitere Reaktion ein.

Ich erwiderte mit einem höflichen Nicken das Lächeln und folgte ihm.

Das Büro war erstaunlich klein. Aber vielleicht ließen auch die deckenhohen Regale mit den unzähligen Büchern darin den Raum kleiner wirken. Hinter einem ausladenden Holztisch erwartete uns der Princeps Noir.

Der Mann war alt. Nein, nicht einfach alt. Uralt. Haut wie Pergament, übersät mit Altersflecken. Letzte aschgraue Haarsträhnen bedeckten notdürftig seinen Schädel. Auch der perfekt sitzende Anzug konnte die dürren Schultern und Arme nicht kaschieren.

Seine hagere Silhouette versank in dem roten Ledersessel hinter dem Tisch. Ein Eindruck, der das im Raum herrschende schummrige Licht unterstrich. Beide Arme auf den Lehnen abgestützt, musterte er uns aufmerksam und bot uns mit einem Nicken die Sessel vor dem Tisch an. Wortlos tat ich es Gail gleich und nahm Platz. So zerbrechlich der Mann auch wirkte. Die Macht, die er ausstrahlte, prickelte auf meinem Gesicht. Wie ein dunkler Dunst umfing sie ihn und ließ kalte Schauer meinen Rücken hinablaufen.

»Meine Herren.« Selbst die Stimme des Princeps klang nach viel vergangener Zeit. »Dass die Polizei mit mir sprechen will, ist ungewöhnlich genug. Aber was führt Sie zudem zu einer solchen späten Stunde zu mir?«

Unbeirrt kam Gail zur Sache. »Wir haben die Leiche des Princeps Terrae in einer verlassenen Industrieanlage gefunden. Sieht nach Magie aus. Und mein magischer Constable hier.« Gail wies in meine Richtung. »Der meint, dass es sich dabei um schwarze Magie handelt.«

Eine Braue des dunklen Meisters wanderte in die Höhe, seine Aufmerksamkeit verlagerte sich auf mich. »Ist dem so?«

Kälte schwappte mir entgegen. Den Blick des Princeps auf mir zu haben, war unangenehm. Um mir Zeit zu verschaffen, räusperte ich mich. Sollte ich jetzt reden?

Fragend wandte ich mich an meinen Partner. Dieser jedoch erteilte mir weder die Erlaubnis noch verbot er mir das Wort. Das Einzige, dem er sich vollkommen widmete, war – wie immer – seine Zigarette.

Scheiße, Gail! Das war anders abgesprochen. Aufsteigende Frustration vertrieb die Nervosität. Mit einem erneuten Räuspern setzte ich mich kerzengerade hin und strich meine Uniform glatt. Die Abzeichen darauf pressten sich gegen meine Brust, was mir Selbstvertrauen gab. »Dem Körper wurden alle Knochen entnommen. Die Überreste zeigen Hinweise darauf, dass diese aus dem Körper gerissen und nicht geschnitten wurden.«

Ein Glimmen strich durch die milchigen Augen des Mannes im Halbdunkel des Raumes. »Gerissen?«

Ich nickte.

»Und Sie sind sich sicher, dass es sich um den Princeps Terrae handelt?« Der Mann wandte sich wieder an Gail.

»Der … Meister verschwand gestern Abend nach seinem … allabendlichen … Programm.« Mein Partner mühte sich mit einer korrekten Wortwahl ab.

»Unser Mediziner konnte das Gesicht des Princeps rekonstruieren, sodass eine eindeutige Identifizierung möglich war«, kam ich Gail zu Hilfe.

Mit einem müden Seufzen lehnte sich der Princeps Noir tiefer in den Ledersessel zurück und trommelte mit seinen Fingern auf den Armlehnen einen langsamen Rhythmus. »Gerissen, sagen Sie?«

»Korrekt«, bestätigte ich seine Frage.

Während er ein Nicken andeutete, fuhr sich der Meister über den Mund. Bei dieser Bewegung fielen mir die Lederhandschuhe auf, die er trug.

Übelkeit flutete mein erstarktes Selbstbewusstsein. Alle dunklen Magier im Dienst der magischen Gilden bedeckten ihre Hände. Denn in ihren Innenflächen befanden sich Male, die ihnen ihre Magie nahmen. Eine Sicherheitsmaßnahme. Ich wollte schlucken. Doch mein Mund war staubtrocken.

Die Male … ein Zauber so simpel wie mächtig, der jedem magisch Begabten ins Hirn gebrannt wird. Jeder Magier musste ihn im Notfall durchführen können. Das Sigel, das die magischen Fähigkeiten nahm. Ein Mal, das auf ewig ins Fleisch gebrannt wurde.

»Und die Knochen?«

Beim Klang der gebrechlichen Stimme riss ich meinen Blick von den Händen des Meisters. Wieder räusperte ich mich. »Am Tatort nicht zu finden.«

Der Meister schwieg.

Je länger die Stille anhielt, desto mehr verunsicherte es mich. Lag ich falsch? Verursachte ich Unruhe, statt die Wogen zu glätten? Hielt ich den Meister von seinem Schlaf ab? Angespannt richtete ich mich auf.

»Also gehen Sie mit der Vermutung meines Partners mit? Können Sie uns sagen, was das für ein Ritual war?« Gail tippte mit der Fußspitze auf den steinernen Boden. Der Rhythmus war drängelnd.

»Um dies zu tun, wäre es sinnvoll, den Tatort zu inspizieren.« Der Princeps Noir ließ die Hand sinken und musterte Gail mit vorgeschobenem Unterkiefer.

Zumindest schloss er schwarze Magie nicht aus. Ich wagte es wieder zu atmen. Doch mein Partner schien meine Erleichterung nicht zu teilen. Gail schob sich an den Rand des Sessels. »Bei allem nötigen Respekt. Aber auch ohne schwarze Magie ist der Mord an einem Princeps eine heikle Angelegenheit. Unsere Vorgesetzten wollen Ergebnisse sehen. Wir haben Besseres zu tun, als Reiseführer über unseren Tatort zu spielen!«

Nicht nur Gails Wortwahl war harsch, sondern auch der genervte Ton seiner Stimme ließ mich schaudern. Ich fixierte den Princeps. Diesen einflussreichen Mann zu beleidigen, glich einem Todesurteil für die eigene Karriere!

Doch auf dem Gesicht des Meisters zeichnete sich ein Lächeln ab. »Ich verstehe die Dringlichkeit, die diese Angelegenheit mit sich bringt. Und seien Sie sich sicher, dass auch mir daran gelegen ist, den Mord an meinem Freund aufzuklären. Aus diesem Grund will ich nicht leichtfertig ein Urteil über den Vorgang der Tat fällen.«

Der Blick seiner milchigen Augen brannte auf meinem Gesicht. »Constable van Dijk, verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Wie mir berichtet wurde, sind Sie ein hervorragender Student der magischen Lehren gewesen. Dennoch sollte sich ein Experte auf dem Gebiet der dunklen Magie den Tatort genauer ansehen.«

Hitze stieg mir ins Gesicht. Der Princeps Noir hatte Erkundigungen über mich eingeholt? In der Kürze der Zeit? Hervorragender Student?

Gails Schnauben ertönte neben mir. Er erhob sich aus dem Sessel, Asche fiel unbeachtet zu Boden. »Dann lassen Sie uns gehen. Mein Wagen steht vor der Tür.«

Jetzt lachte der alte Mann leise auf. Es war eher ein Knistern in seinen Stimmbändern. »Wie vielleicht unschwer zu erkennen ist, bin ich nicht mehr in der körperlichen Verfassung, diese Räumlichkeiten zu verlassen. Aber ich schicke Ihnen einen gleichwertigen Ersatz. Mein Primus wird in wenigen Stunden am Tatort zu Ihnen stoßen.«

 

3 Fleur

Damals

 

»Aufstehen, Dornröschen!« Schwungvoll wurde mir die Decke vom Kopf gerissen. Ich zog scharf die Luft ein, als mich das Licht blendete. Plötzlich meines Schutzes beraubt, fröstelte es mich. Instinktiv rollte ich mich auf der breiten Matratze zusammen und umgriff meine Beine. Schmerz durchfuhr mich, sodass ich aufjaulte und meine Umklammerung schnell wieder löste. Obwohl ich die Male seit einigen Wochen trug, hatte ich mich bisher nicht daran gewöhnt.

»Verpiss dich!«, fauchte ich der Person entgegen, die mich derart unsanft aus dem Bett holen wollte.

»An deiner Wortwahl müssen wir eindeutig arbeiten, Mylady.«

»Ich bin keine Lady«, war meine gezischte Antwort. Ich wollte in Ruhe gelassen werden!

»Oh, und wie du eine Lady bist. Jedenfalls ab sofort.« Das Selbstbewusstsein in der Stimme ärgerte mich.

»Halt einfach dein Maul!« Ich spie dem ungebetenen Gast meinen Zorn entgegen und fuhr hoch, nur um beim Anblick des jungen Mannes zurückzuzucken. Weder war ich auf seine Attraktivität noch auf die Freundlichkeit in seinen Zügen vorbereitet.

Während ich mich ans gepolsterte Kopfende des Bettes zurückzog, rückte ich das verrutschte Hemd über meine Schultern zurecht. Ins Bockshorn wollte ich mich von dem Kerl nicht jagen lassen. Allerdings hatte sich meine Taktik, nicht zu viel Haut zu zeigen, im Amüsement Distrikt bewährt und mir öfters den Hintern gerettet.

»Ich weiß nicht, ob sie sich einen Gefallen damit tun, ein solches Temperament im Gewölbe einzuschließen«, schmunzelte der junge Mann, der das Fußende meines Bettes belagerte.

Ich schätzte ihn auf Anfang zwanzig. Er musterte mich eindringlich, wobei seine braunen Augen amüsiert aufblitzten. Als er sich das leichte Grinsen mit der Hand vom Mund strich, fielen mir die Handschuhe auf. Sie waren aus dunklem Leder und passten zum Stil seines schwarzen Anzuges. Gemeinsam mit dem Stehkragen wirkte sein Outfit eher wie eine Uniform.

»Drum gebeten habe ich jedenfalls nicht.« Ich versuchte, eine entspannte Pose zu finden. Der Typ sollte nicht denken, dass er mich mit seinem markanten Kinn und unverschämt charmantem Lächeln in der Tasche hatte. Meine Vergangenheit hatte mich gelehrt, dass man besonders bei solchen Kerlen vorsichtig sein musste.

»Ich weiß. Genauer gesagt, habe ich das vermutet.« Sein Amüsement wich Gleichgültigkeit. Dazu zuckte er mit den Schultern, drehte sich auf dem Absatz um und steuerte auf eines der beiden Sofas in meinem Zimmer zu. Er ließ sich auf die Polster fallen und machte sich daran, die Obstschale auf einem der Beistelltische genauer unter die Lupe zu nehmen.

Auch wenn sich der Abstand zwischen uns vergrößerte, zitterten meine Schultern kaum merklich vor Anspannung. Ich war ein junges Mädchen, gerade einmal sechzehn Jahre alt und er ein ausgewachsener Mann. Wenn er wollte, konnte er mir schlimme Dinge antun. So sehr ich mich auch zur Wehr setzen würde.

Bei dem Gedanken fokussierte sich meine Aufmerksamkeit instinktiv auf das Prickeln in meinen Fingerspitzen. Meine Kraft hatte sich mir offenbart, als sich die Aufmerksamkeit eines Freiers meiner Mutter ungewollt auf mich gerichtet hatte. Als ich mich in die Ecke des winzigen Zimmers presste und er mir immer näherkam. Als niemand auf meine Schreie reagierte. Als keine Hilfe da gewesen war, hatte mich meine Gabe gefunden. Sie war aufgeflammt und hatte nach dem Krug hinter ihm gegriffen. Sie war da gewesen und hatte ihn damit zu Boden geschlagen. Und nun … Mein Herz setzte einen Schlag aus, als Stille meinem Rufen antwortete. Ungläubig starrte ich auf die Bandagen um meine Hände. Mein Blick verschwamm in Tränen. Diese elenden Male hatten mir meine Gabe genommen.

Mein Gast ignorierte meine Regung. Oder er war zu sehr mit der Obstwahl beschäftigt, dass er es nicht mitbekam. Er hob mit spitzen Fingern eine Rebe Weintrauben aus der Schale hervor. Während er sich aufsetzte, wanderte seine Aufmerksamkeit zurück zu mir. »Ich schätze, dass dich niemand in der dunklen Gilde willkommen geheißen hat?«

Ich schluckte schwer und kämpfte gegen die Tränen an. Um ihm diese nicht zu offenbaren, starrte ich weiterhin auf meine Hände. Dennoch arbeitete es in meinem Kopf. Denn der Kerl hatte Recht. Seit meiner Ankunft im Gewölbe hatte sich abgesehen von einigen Bediensteten mit Essen noch niemand für mich interessiert. Aber war es nicht absehbar gewesen, dass sich dies ändern würde? Schließlich würde ich für diesen Luxus irgendwie blechen müssen.

Flauschige Kissen schmiegten sich an meine Haut. Dieser Raum war überladen mit luxuriösem Kram. Riesige Vasen, bemalt mit hellblauer Tinte, standen in den Ecken. An der Decke tanzten kleine nackte Engel aus weißem Gips einen starren Tanz. Wuchtige Gemälde nahmen die Wände ein. Alles war überzogen mit dunkelrotem Samt oder Gold.

Ich schluckte, was mir beinahe unmöglich wurde. Denn ein neuer Gedanke schnürte mir die Kehle zu. Was in diesem Raum fehlte, waren Fenster. Licht spendete ein Feuer im Kamin. Dazu die ein oder andere Stehlampe aus goldenem Metall. Ich würde hier unten nie wieder die Sonne auf dem Gesicht spüren können. So dreckig die Luft der Stadt auch war, sehnte ich mich in diesem Augenblick nach einem Luftzug auf meiner Haut.

Ein fragendes Grunzen lenkte meine Aufmerksamkeit auf meinen Besucher. Der junge Mann kaute genüsslich, wobei er mich immer noch musterte.

Als Antwort auf seine Frage schüttelte ich den Kopf. Zu sprechen wagte ich nicht, da meine Stimme mit Sicherheit brüchig wäre.

»Nun dann!« In einer theatralischen Bewegung beugte er sich vor, wobei er das Obst zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. »Herzlich willkommen im Gewölbe des Prätoriums! Herrschaftsgebiet des Princeps Noir! Meister der dunklen Magie! Sei willkommen in den Reihen seiner Studenten. Willkommen in einem Leben aus Luxus, Schmerz und Blut.« Sobald er ausgesprochen hatte, ließ er sich schwungvoll in die Kissen fallen und hob das Obst über sein Gesicht, um weiter davon zu essen.

Ich schmunzelte. Obwohl meine Situation im Augenblick alles andere als witzig war, traf der Kerl meine Art von Humor. Dankbar für die Ablenkung wischte ich mir mit dem Handrücken die Nasenspitze. »Stehen theatralische Darbietungen hier unten auf dem Lehrplan?«

»Danke wäre eigentlich die korrekte Antwort auf meine Worte gewesen.«

Als Reaktion schüttelte ich bloß mitleidig mit dem Kopf.

»Danke, Gerd, um ganz genau zu sein«, ergänzte mein Besucher.

»Gerd? Ernsthaft?« Ich konnte ein Glucksen nicht verhindern.

Der Kerl hob die Rebe an seine Lippen und zupfte eine Traube herunter. Kauend warf er mir einen warnenden Blick zu. »Lord Gerd von Eichen.«

»Deutschland?« Verwundert hob ich die Brauen. Nach dem Großen Krieg waren diese Landsmänner eher selten in England anzutreffen.

»Bevor dieser ganze Mist in Europa losging, ist meine Familie geflohen. Ich bin die zweite Generation in England.«

»Aber die bescheuerten Namen sind geblieben. Wie ärgerlich.«

Eine weitere Traube zwischen den Lippen grinste er. »Wenigstens heiße ich nicht wie ein altes Weib.«

»Fleur?« Ich runzelte die Stirn und dachte über meinen Namen nach.

»Fleur de la Croix.«

Schnaubend schüttelte ich den Kopf. »Nein, das …«

»Das ist ab dem heutigen Tag korrekt«, unterbrach mich Gerd und schob sich mehr Obst in den Mund.

»Und du bist genau wer, dass du das entscheiden kannst?«

»Ich bin der Primus des Princeps Noir. Und obwohl das schon ein recht beachtlicher Titel ist, habe nicht ich entschieden, dass du ab sofort eine Lady bist.«

»Wer dann?«

»Die Princeps. Beziehungsweise haben sie deine Adoption durch Lord de la Croix angezettelt und beschleunigt.«

Ich presste meine Lippen aufeinander. »Adoption?«