Zur Geschichte der kommunalen IT in Deutschland -  - E-Book

Zur Geschichte der kommunalen IT in Deutschland E-Book

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Beschreibung

Der digitale Wandel hat längst auch die Kommune und ihre Verwaltung erfasst. Die Ansprüche von Bürgern und Unternehmen an eine moderne Verwaltung sind enorm gestiegen: Möglichst viele Dienstleistungen sollen über das Internet verfügbar sein. Intern laufen viele Verwaltungsprozesse seit mehr als vierzig Jahren computergestützt. Dieser Band befasst sich mit der nun zehnjährigen Geschichte der Bundes-Arbeitsgemeinschaft der Kommunalen IT-Dienstleister e.V. (Vitako) und geht in einzelnen Beiträgen zurück zu den Anfängen der kommunalen Informationstechnik. Die Autoren berichten von den Pioniertagen der kommunalen IT in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und an anderen Orten. Sie erinnern sich an den Wandel der Technik und wie viel Überzeugungskunst es seinerzeit bedurfte, den politisch Verantwortlichen die Vorteile einer modernen digitalen Verwaltung vor Augen zu halten.

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Inhaltsverzeichnis

Einstöpseln und vernetzen

Ein kurze Einführung in die Geschichte der kommunalen IT

Heinz-Bernd Weggen: Ein rasanter und dynamischer Prozess

Entstehen und Wachsen der kommunalen IT in Nordrhein-Westfalen

Alfred Trageser: „Die Gebietsreform war ein Segen für die EDV“

Alfred Trageser über die Geschichte der kommunalen IT in Bayern

Herbert Meyer: Strategen unter sich

Erinnerungen an die Gründung des Blankenheimer Kreises

Karl Tramer: Von der Zersplitterung zu einer einheitlichen IT-Strategie

Die Entwicklung der kommunalen IT in Baden-Württemberg

Peter Kühne: „Die Wendezeit war wirklich sehr turbulent“

Zur Geschichte der IT in Ostdeutschland

Matthias Kammer: Gemeinsam geht es einfach besser

Zur Geschichte von Dataport

Henning Lühr: Wie bringen wir den Amtsschimmel auf die Datenautobahn

Von E-Government bis zum Erprobungsraum Nordwest

Harald Lemke: Zwischen Wirtschaft und Verwaltung

Erfahrungen des ersten deutschen CIOs

Martin Schallbruch: Zehn Jahre öffentliche IT

Ein als Rückblick getarnter Debattenbeitrag

Tina Siegfried: Vitako als Wegbegleiter

Von E-Government zur Digitalen Agenda

Marianne Wulff: Der Elan der Anfangstage

Eine persönliche Betrachtung

Andreas Engel: Zukunftspfade kommunaler IT-Dienstleister

Wohin entwickelt sich die öffentliche Informationstechnik?

Einstöpseln und vernetzen

Ein kurze Einführung in die Geschichte der kommunalen IT

Wir sind nicht ganz sicher, ob Henning Lühr, dem wir an dieser Stelle ganz herzlich für sein Cartoon auf dem Buchumschlag danken, es so gemeint hat: Es gab eine Zeit, da fanden sehr unterschiedliche Entwicklungen in der kommunalen Informationstechnik statt. Seit den 1960-er Jahren hielten Computer Einzug in die deutsche Verwaltung – zunächst in großen Städten und Landkreisen, schnell aber auch in kleineren Kommunen, die sich zu Gebietsrechenzentren zusammengetan haben und zum Beispiel Zweckverbände gründeten. Über vierzig Jahre ist das her! Am Niederrhein, in Bayern, im hohen Norden, in Westfalen, im Südwesten, im Rheinland und anderswo entstanden Rechenzentren, die sich bemühten, die „ehrwürdige“ Verwaltung mit Produkten aus der Neuzeit vertraut zu machen: erst Lochkarten, dann Großrechner und später PCs und das Internet. Von Anfang an haben sich die Pioniere der deutschen Datenverarbeitung untereinander ausgetauscht, im Ernstfall aber auf eigene Lösungen oder auf Lösungen von wenigen Partnern gesetzt. Das führte zu verschiedenen Entwicklungen, individuellen Produkten und ganz eigenen Märkten.

Man könnte sagen, dass sich vielerorts geschlossene Systeme gebildet hatten, die wenig oder manchmal auch gar nicht vernetzt waren. Im Cartoon symbolisiert dies der gezogene Netzstecker. Da sitzt jemand konzentriert am Computer und verrichtet seine Arbeit, und er bemerkt gar nicht, dass er nicht an das (Strom-)Netz angeschlossen ist. Diese einigermaßen absurde Metapher lässt sich als Unfähigkeit verstehen, über den Tellerrand zu blicken und zu sehen, was die anderen machen. Von einem echten Computer-Nerd erwartet man vielleicht nichts anderes. Sinnvoll und effektiv ist diese Arbeitsweise aber kaum. Denn erst der Anschluss an Netzwerke, die Kommunikation und Interaktion mit anderen, die Zusammenarbeit und Kooperation mit Partnern ermöglichen eine „gute“ Arbeit – gerade im Zeitalter des Computers und der Digitalisierung, wo Anschlussfähigkeit eine herausragende Kompetenz darstellt.

Sie merken schon, worauf wir hinauswollen. Natürlich, eine Bildmetapher lässt sich nur in einer Bucheinleitung auf diese Weise überdehnen. Aber stimmt es nicht, dass vor zehn Jahren, als sich am 2. Dezember 2005 in München die Bundes-Arbeitsgemeinschaft der Kommunalen IT-Dienstleister gründete, es einfach an der Zeit war, sich bundesweit einzustöpseln und auch institutionalisiert zu vernetzen?

Wie kam es dazu? Ganz gewiss sind die Vorarbeiten der Arbeitsgemeinschaft Kommunale Datenverarbeitung (AKD) und Kommunale Datenverarbeitung Nordrhein-Westfalen (KDN) von großer Bedeutung gewesen. Dort nahm der Vernetzungsgedanke in der kommunalen IT seinen Anfang. Mehrere Autoren dieses Bandes gehen auf die bedeutsame Rolle dieser nordrhein-westfälischen Netzwerke ein. Auch die großen öffentlichen IT-Häuser wie Dataport, die Datenzentrale Baden-Württemberg und die bayerische AKDB und andere haben sich stark gemacht für eine bundesweite Vertretung ihrer Interessen: Gemeinsam können wir unsere Anliegen besser vortragen, gemeinsam kann unser Know-how einen größeren Einfluss erzielen. Und: gemeinsam sind wir stärker und schlagkräftiger – das waren die tragenden Ziele, und sie sind es bis heute.

Als sich nun das zehnjährige Jubiläum der Bundes-Arbeitsgemeinschaft näherte, trat Bernd Weggen auf die Vitako-Geschäftsstelle zu mit der Idee, eine Chronik der kommunalen Informationstechnik zu organisieren und zu verfassen. Die Überlegungen gingen in verschiedene Richtungen, bis allen klar war, dass wir zunächst ein Buch publizieren wollen mit verschiedenen Perspektiven auf unser Thema und unseren Verband. So haben wir elf Autoren angesprochen, einen persönlichen Blick auf ihre Arbeit und ihr Schaffen zu werfen, welche mit der Gründung von Vitako zum Teil aufs engste verbunden gewesen sind. Die Ergebnisse, meinen wir, können sich sehen lassen: Dieser Band dokumentiert die Geschichte der kommunalen Informationstechnik in verschiedenen Regionen, er präsentiert Rückblicke auf Erfolge und Misserfolge, er bietet unterschiedliche Perspektiven von Bund, Land und Kommunen auf die öffentliche IT. Last not least: Er erinnert an die große Überzeugungsarbeit, die geleistet werden musste, um ein Bewusstsein über die Notwendigkeit von IT für eine moderne Verwaltung zu schaffen.

Bernd Weggen macht den Anfang und beschreibt das „Entstehen und Wachsen der kommunalen IT in Nordrhein-Westfalen“. Seine kleine Technikgeschichte ruft Erinnerungen an die Anfänge der EDV wach von der Pionierzeit, als noch Lochkarten als Datenträger dienten, bis zu den Arbeitsplatz-PCs in modernen Großraumbüros. Vor allem Wirtschaftlichkeitserwägungen, so die These, haben zur „Aufrüstung“ der Verwaltung mit Informationstechnik und zu kommunalen Zusammenschlüssen geführt.

Mit einem anderen Pionier aus den Gründertagen der kommunalen IT, mit Alfred Trageser, haben wir ein Interview geführt und einen anderen Grund für die Etablierung von Informationstechnik gerade in Bayern erfahren: die Gebietsreform. Durch die so entstandenen größeren kommunalen Einheiten ließ sich die Anschaffung von IT leichter begründen, sagt Alfred Trageser und erinnert sich lebhaft an seine Zeit als „Außenminister“ der AKDB.

Herbert Meyer hat mit seinen Erinnerungen an die Gründungstreffen des Blankenheimer Kreises, wo sich die Geschäftsführer der Vitako-Mitgliedshäuser regelmäßig treffen, den vielleicht persönlichsten Bericht geliefert.

In Baden-Württemberg herrschte eine Zersplitterung in der kommunalen IT vor, und es dauerte eine Weile, bis sich das Land auf eine einheitliche IT-Strategie einigen konnte. Karl Tramer zeichnet diesen Weg und die Rolle, die die Datenzentrale dabei gespielt hat, anschaulich nach. Sein Beitrag beleuchtet auch die Geschichte der kommunalen Software-Entwicklung.

In einem Interview mit Peter Kühne haben wir die interessante Geschichte der IT in Ostdeutschland in Erfahrung gebracht. Lange vor der „Wende“ gab es in der DDR eine eigenständige Computerproduktion. Richtig Fahrt aufgenommen hat die kommunale IT aber erst in den Jahren danach, als in Leipzig das erste ostdeutsche kommunale Großrechenzentrum entstand, aus dem später die Lecos GmbH wurde.

Matthias Kammer zeichnet in seinen Reflexionen den spannenden Fusionsprozess von Dataport nach. Auch eine „Sechs-Länder-Anstalt“ hat einmal klein angefangen: mit dem Zusammenschluss des Landesamtes für Informationstechnik Hamburg und der Datenzentrale Schleswig-Holstein. Ein Grundstein war damit gelegt, auf den weitere Niederlassungen und einige innere Fusionen folgen sollten.

In seinem Beitrag über den Erprobungsraum Nordwest konstatiert Henning Lühr, dass nicht das E-Government die entscheidende Reform in der IT der öffentlichen Verwaltung gewesen ist, sondern vielmehr die Geburt des Chief Information Officer (CIO). Erst hierdurch rücken die IT-Abteilungen an den Tisch der Verwaltungsleitung und müssen dennoch immer weiter konsolidieren.

Perfekte Vorlage für Harald Lemke, den ersten deutschen Landes-CIO. Er berichtet aus seiner Zeit als hessischer IT-Staatssekretär, wo er unter Roland Koch einige Pionierleistungen unternommen hat, zunächst aber sein eigenes Ressort zu organisieren hatte. Anschaulich skizziert Lemke ein Leben „zwischen Wirtschaft und Verwaltung“.

Martin Schallbruch konstatiert in seinem Rückblick auf zehn Jahre öffentliche IT, dass E-Government nur erfolgreich ist, wenn es gesetzliche Vorgaben für die Digitalisierung gibt. Dies sei auch ein Grund dafür, dass aus Netzpolitik und digitaler Agenda bislang kein Politikfeld entstanden ist, das die öffentliche IT als Ganzes in den Blick nimmt.

In einem Sammelband darf freilich der Gastgeber, Vitako, nicht zu kurz kommen. Unsere E-Government-Spezialistin Tina Siegfried berichtet über die Anfänge der Facharbeitsgruppe E-Government, die mit vielen Projekten den digitalen Wandel hautnah erlebt und begleitet hat. Vitako-Geschäftsführerin Marianne Wulff geht in ihren Betrachtungen ebenfalls weit zurück zu den Anfängen der Bundes-Arbeitsgemeinschaft und ruft die positive Energie und den großen Elan in Erinnerung, der den Verband nach vorn gebracht hat. Und sie weist auf zukünftige, noch anstehende Aufgaben hin.

Damit ist der Geschichte der kommunalen Informationstechnik und der Bundes-Arbeitsgemeinschaft genüge getan. Nun gilt es, den Blick wieder nach vorn zu richten. Genau dies unternimmt Andreas Engel, der das Geschäft der kommunalen IT-Dienstleister unter die Lupe genommen hat und in seinem Beitrag einige Entwicklungspfade für die Branche beschreibt, die ständigen Veränderungen unterliegt: dem digitalen Wandel.

Ein rasanter und dynamischer Prozess

Entstehen und Wachsen der kommunalen IT in Nordrhein-Westfalen

von Heinz-Bernd Weggen

An nahezu allen Arbeitsplätzen der öffentlichen Verwaltung in unserem Land ist heute ganz selbstverständlich moderne Informationstechnik im praktischen Einsatz. In einem extrem rasanten und dynamischen Prozess, der etwa 1960 begann, hat sich die Technik zu einem unverzichtbaren Werkzeug im Arbeitsalltag entwickelt und das Verwaltungshandeln nachhaltig verändert.

Auf der untersten Ebene staatlichen Handelns, in den Gemeinden, Städten, Kreisen und Landschaftsverbänden Nordrhein-Westfalens, waren es in erster Linie die kommunalen Rechenzentren, die den Prozess der Einführung und Weiterentwicklung von Informationstechnik begleitet und gesteuert haben. Die imposante Entwicklung, die ich von Anfang an miterlebt habe, möchte ich am Beispiel der Region Niederrhein schildern.

Heinz-Bernd Weggen

Heinz-Bernd Weggen hat ab 1966 die Datenverarbeitung beim damaligen Kreis Moers aufgebaut. Der IT-Verbund des Kreises Moers war der Vorgänger des 1971 gegründeten KRZN. Von 1991 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2008 war er Geschäftsführer des KRZN. Heute genießt er seinen Ruhestand und engagiert sich in Ehrenämtern.

Ausgangssituation in der Kommunalverwaltung

Schauen wir uns die Kommunalverwaltung vor der Einführung moderner Informationstechnik näher an. Äußerliches Merkmal dieser Verwaltung waren vor allem viele Schränke und Regale in den Büroräumen, alle gut gefüllt mit Aktenordnern. Informationen wurden auf Papier aufbereitet. In den Verwaltungen gab es bei geringerem Aufgabenvolumen deutlich mehr Mitarbeiter als heute. Schreibkräfte übertrugen mit mechanischen, teilweise auch schon mit elektrischen Schreibmaschinen, Informationen auf Papier. Boten transportierten das Papier durch die Ämter und Abteilungen, bevor es in Aktenordnern und Archiven abgelegt wurde. Der physische Transport von „Daten“ war das große Hemmnis im Bemühen um eine Verbesserung der Effektivität in der damaligen Verwaltungsorganisation. Es gab noch keine Kopierer. Informationen, die für einen größeren Empfängerkreis gedacht waren, druckte man oder schrieb sie mit der Schreibmaschine auf Wachspapier und zog sie in einem chemischen Verfahren auf Papier ab. Dabei entstand die für diese Zeit typische blaue Schrift. Zum Telefonieren kamen Fernsprecher mit Wählscheiben zum Einsatz. Oft waren diese Fernsprecher auf einem Schwenkarm installiert, so dass sich zwei Sachbearbeiter an gegenüberstehenden Schreibtischen einen Apparat teilen konnten.

Strukturierte Informationen wurden auf Karteikarten aufbereitet und in den Amtsstuben der damaligen Verwaltung in Karteischränken aufbewahrt. Zu diesen Karteien hatte nahezu jeder Mitarbeiter der Verwaltung, berechtigt oder unberechtigt, Zugriffsmöglichkeit. Datenschutz war also schon vor Einführung der elektronischen Speicherung ein Problem, seine Bedeutung in den Augen der Öffentlichkeit aber eher untergeordnet. Gleiches galt für die Datensicherheit. Von den Karteibeständen gab es selten eine Kopie. Gingen Karteibestände verloren, stellte deren Rekonstruktion eine wenn überhaupt nur mit beachtlichem Aufwand zu meisternde Herausforderung dar.

Es waren die Großstädte in Nordrhein-Westfalen, die zuerst mit der Ablösung der oft riesigen Karteibestände durch die aufkommende Lochkartentechnik Rationalisierungseffekte erkannten und erste Gehversuche mit dieser Automation starteten. Sie profitierten dabei von Erfahrungen bei ihren kommunalen Töchtern, insbesondere den Stadtwerken, Sparkassen und Versorgungsbetrieben, die sich früh den neuen technischen Möglichkeiten zuwandten.

Die Experimente in den Großstädten fanden auch im ländlich strukturierten Teil Nordrhein-Westfalens Beachtung. Insbesondere der damalige Kreis Moers galt als besonders innovativ. Man war zum 1. April 1962 in ein neues modernes Kreishaus umgezogen und wollte auch in den Verwaltungsabläufen seine Arbeit so modern verrichten, wie es den technischen Möglichkeiten in dieser Zeit entsprach. Aus diesem Grund wurde eine Organisationseinheit im Hauptamt geschaffen, deren Aufgabe die Einführung der Elektronischen Datenverarbeitung (EDV) beim Kreis Moers war. Als ich mich damals, auf Anfrage mitzuarbeiten, bereit erklärte, hatte ich nicht im Entferntesten geahnt, welche weitreichenden Konsequenzen diese Entscheidung für mein späteres Leben haben würde.

Ein ausgestorbener Beruf: „Datentypistinnen“ anno 1967 bei der Mittagspause im Lochraum des KRZN.

Durch Beschluss des Kreistages Moers vom 15.12.1966 wurde die Kreisverwaltung ermächtigt, mit den kreisangehörigen Gemeinden eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung über die Errichtung und den Betrieb eines Rechenzentrums abzuschließen. Die im Frühjahr 1967 mit allen Gemeinden des Kreises abgeschlossene und vom Regierungspräsidenten in Düsseldorf am 17.04.1967 genehmigte Vereinbarung führte zur Gründung des Rechenzentrums beim Kreis Moers. Der Kreis Moers war die erste Region in Nordrhein-Westfalen, in der die EDV für den Kreis und seine Städte und Gemeinden gemeinsam organisiert wurde. Dieser „Moerser Weg“ war richtungsweisend für andere Kreise in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus. Noch Jahre später schickten Kreisverwaltungen Mitarbeiter zur Ausbildung nach Moers, um von unseren Erfahrungen zu profitieren. Nach und nach entwickelten sich weitere Rechenzentren im Land, die für die Kommunen ihrer jeweiligen Region gemeinsam und zentral die Aufgabe der Technikunterstützung übernahmen. Die Zusammenarbeit wurde entweder in Form einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung oder als kommunaler Zweckverband nach dem Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit geregelt. Da die Rechenzentren in dieser Zeit ausschließlich für die Anwender in ihrem Verbandsgebiet tätig waren und lediglich die anfallenden Kosten auf die Mitglieder des Verbandes verteilt werden brauchten, galten die gewählten Rechtsformen als zweckmäßig.

Schon 1965 gelangte ein Dinosaurier der Lochkartentechnik, die IBM 026, auch ins Rechenzentrum am Niederrhein.

Die Pionierzeit (1960 bis 1970)

Werfen wir einen Blick auf das technische und organisatorische Umfeld in der Pionierzeit der Datenverarbeitung. Wer vermutet, dass uns zu Beginn der Pionierzeit eigene Rechner zur Verfügung gestanden hätten, verkennt die Situation. Es herrschte „EDV-Tourismus“. Man lieh oder mietete sich stundenweise Rechnerleistung. Die ersten EDV-Anwendungen des Kreises Moers waren die Zahlbarmachung von Kriegsschadensrente und von Besoldung, Vergütung und Lohn für die Belegschaft der Mitgliedskommunen. Die Daten waren auf Lochkarten gespeichert. Für Zugänge wurden neue Lochkarten angelegt, bei Abgängen wurden die Lochkarten manuell aus dem Bestand entfernt, und bei Veränderungen wurde eine bestehende Lochkarte durch eine neue mit verändertem Inhalt ersetzt. Produziert wurde zunächst auf einem Rechner der ersten Computergeneration, einer Tabelliermaschine IBM 421, die bei den Kreis Moerser Verkehrsbetrieben installiert war. Dieser Rechner nutzte Röhrentechnologie. Fiel eine Röhre aus, stand das gesamte System still. Der Raum brauchte im Winter keine Heizung, und im Sommer wurden wegen der Hitzeentwicklung Fenster und Türen auf Durchzug gestellt. Die Daten auf den Lochkarten wurden über Mischer und Sortierer automatisiert in die richtige Ordnung gebracht. Erstellt wurden die Lochkarten von jungen Frauen, „Datentypistinnen“, die den Personalbestand der neuen Rechenzentren erweiterten.

Gestern noch der letzte Schrei: Die IBM Lochkartenanlage 1401. Von links: 1402 (Lochkarteneinheit), 1401 (Zentraleinheit), 1403 (Schnelldrucker)

Einen deutlichen Fortschritt brachte der Umstieg auf die zweite Computergeneration. Der Rechner IBM 1401, der über Transistoren als Schaltelemente verfügte, war bei der Buchungsgemeinschaft Niederrheinischer Sparkassen in Moers installiert. Wir nutzten dieses System für die Kreisverwaltung Moers zur Berechnung von Wohngeld. Prachtstück der Anlage war der erste Kettendrucker, der immerhin schon 36.000 Zeilen in der Stunde drucken konnte.

Im Laufe der Zeit vergrößerte sich die Anwendungspalette. Wir konzipierten und schrieben selbst erste Anwendungsprogramme für Stadtwerke, Krankenhäuser, Steuern und Abgaben. Das Vertrauen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die EDV war noch nicht besonders ausgeprägt; vorhandene Karteien wurden sicherheitshalber zunächst fortgeführt. Die vor allem im Einwohnerwesen abgelöste „Adrema-Technik“ wurde nicht auf den Müll geworfen, sondern zunächst sorgfältig im Keller verstaut, um sie „im Notfall“ reaktivieren zu können.

Einen Markt für kommunale Anwendungen gab es zu dieser Zeit noch nicht. Programmiert wurde in den Rechenzentren und zwar in erster Linie in der maschinennahen Programmiersprache Assembler. Auswertungsprogramme wurden mit RPG (report program generator) erstellt. Später wurden in zunehmenden Umfang COBOL für administrative und FORTRAN für technische Anwendungen genutzt.

Die dritte Computergeneration, ausgestattet mit integrierten Schaltkreisen, ließ nicht lange auf sich warten. Wir mieteten Rechnerkapazität dieser Computergeneration bei Firmen in der Umgebung und bauten unser Leistungsangebot nach und nach aus. Manche Arbeitstage hatten 24 Stunden: Tagsüber wurde organisiert und programmiert, nachts getestet und produziert.

1968 war es dann soweit. Das erste Rechenzentrum für ein Kreisgebiet in der Bundesrepublik wurde in Moers in Betrieb genommen. Der Rechner, ein System IBM 360/30, verfügte über 32 Kilobyte Hauptspeicherkapazität und war mit seinen 80.000 Instruktionen pro Sekunde für die damalige Zeit rasend schnell.

System IBM 360/30

Die Installation der ersten EDV-Anlage beim Kreis Moers wurde am 27. Mai 1968 mit folgender Maschinenkonfiguration abgeschlossen:

Zentraleinheit mit 32 KB Hauptspeicher3 Platteneinheiten1 Lochkartenleser (30.000 Karten / Stunde),1 Lochkartenstanzer (8.000 Karten / Stunde)1 Lochstreifenleser (1000 Zeichen / Sekunde)1 Drucker (36.000 Zeilen / Stunde)SteuereinheitenKonsolschreibmaschine undSortiermaschine

Zusammenarbeit – Das Gebot der Stunde (1966 – 1970)

Der Betrieb eines Rechenzentrums ist kostenaufwendig, eine Finanzierung im Verbund viel günstiger. Diese Erkenntnis führte Mitte der 1960-er Jahre zur Gründung neuer kommunaler Rechenzentren, die ihre Betriebskosten auf die ihnen angeschlossenen Städte und Gemeinden umlegten. Darüber hinaus wurde schnell deutlich, dass über die Zusammenarbeit auf lokaler Ebene hinaus beachtliche Synergien durch eine gemeinsame Vorgehensweise auf Landesebene abgeschöpft werden konnten. Vor allem die Entwicklungskosten für die kommunalen Anwendungen bereiteten den Verantwortlichen zunehmend Sorge. Da der Markt damals noch keine kommunale Anwendungssoftware anbot, waren die Rechenzentren zur Eigenentwicklung gezwungen. Aber auch der notwendige Erfahrungsaustausch untereinander und die gemeinsame Interessenvertretung nach außen waren gute Gründe für einen Zusammenschluss der kommunalen Rechenzentren auf Landesebene.

Diese Ausgangslage führte zur Gründung der beiden Interessenverbände AKD und KDN in Nordrhein-Westfalen. Die Aufteilung in zwei Arbeitsgemeinschaften war aufgrund der unterschiedlichen Betriebssysteme der beiden Marktführer IBM und Siemens notwendig. Wenn man in der damaligen Zeit ein Rechenzentrum betreiben wollte, musste man sich für einen Hersteller und dessen Betriebssystem entscheiden und ging eine langfristige Bindung mit dem Hersteller ein. Diese historische Trennung in zwei Arbeitsgemeinschaften führte in den Gründerjahren zu getrennten Entwicklungen.

 

Arbeitsgemeinschaft Kommunale Datenverarbeitung

Die Arbeitsgemeinschaft Kommunale Datenverarbeitung (AKD) gründete sich 1968. Erste Mitglieder waren die Städte Gelsenkirchen, Duisburg, Osnabrück, Bochum, Düsseldorf, Dortmund und Essen sowie der damalige Kreis Moers. Später traten noch die Gebietsrechenzentren aus Iserlohn, Frechen und Rhein-Berg-Leverkusen dem Bündnis bei.

1988 waren der AKD insgesamt 27 Rechenzentren angeschlossen, darunter das LDS NRW, die beiden Landschaftsverbände aus Köln und Münster sowie die Hansestadt Bremen. Die Anwendergemeinschaft AKD basierte auf Lösungen von IBM.

 

Kommunale Datenverarbeitung Nordrhein-Westfalen

Der zweite Interessenverband für die kommunalen Rechenzentren in Nordrhein–Westfalen ist die 1970 gegründete KDN (Kommunale Datenverarbeitung Nordrhein-Westfalen).

Mitglieder zum Gründungszeitpunkt waren die Städte Bonn, Hagen/Ennepe-Ruhr-Kreis, Köln, Mülheim an der Ruhr, Münster, Wuppertal sowie die Gebietsrechenzentren aus Gütersloh, Mettmann, Paderborn und Rhein-Sieg/Oberbergischer Kreis. 2003 beschloss die KDN-Dezernentenkonferenz die Gründung der neuen KDN als Zweckverband. Die Herstellerabhängigkeit aus der Pionierzeit – der KDN favorisierte Lösungen von Siemens – gehört längst der Vergangenheit an.

Mit der Gründung von Vitako am 2. Dezember 2005 ging die AKD in dem neuen Bundesverband der kommunalen IT-Dienstleister auf. Zu diesem Zeitpunkt hatte die AKD 28 Mitglieder, davon 20 in Nordrhein-Westfalen.

Um die Wirtschaftlichkeit gemeinsamer Anwendungsentwicklung zu verdeutlichen, haben wir im KRZN gerne das folgende Beispiel der Kostenverteilung bei der Entwicklung der Anwendung des Einwohnerwesens herangezogen:

Würde die Stadt Goch alleine eine Anwendung für das Einwohnermeldewesen entwickeln, müsste sie mit Aufwendungen in Höhe von 1.920.000 DM rechnen. Das waren die für die Entwicklung der AKD-Lösung veranschlagten Kosten. Durch die Zusammenarbeit unter dem Dach des KRZN konnte die Stadt Goch sich diese Kosten mit den anderen 39 Städten und Gemeinden im Verbandsgebiet teilen. Dann entfielen auf Goch nur 49.000 DM. Durch die Mitgliedschaft des KRZN in der AKD wurden die Entwicklungskosten auf 250 Städte und Gemeinden verteilt. Damit kostete die Stadt Goch die Entwicklung der Lösung nur 7.500 DM.

Wirtschaftlichkeit bei der Erstellung von Anwendungen am Beispiel EWO/DU

Gesetzliche Wirkmacht (1974 – 1979)

Am 12. Februar 1974 verabschiedete der Landtag Nordrhein-Westfalen das Gesetz über die Organisation der automatisierten Datenverarbeitung (ADVG-NW). Die §§ 10 und 11 dieses Gesetzes sahen vor, dass die Bewältigung automatisierbarer Aufgaben grundsätzlich allein der Kommunalverwaltung überlassen bleibt. Ein Kommunaler Koordinierungsausschuss (KKADV) schlug, auch auf Empfehlung der Spitzenverbände und der KGSt, die Bildung von 27 kommunalen Datenzentralen für die flächendeckende Versorgung in Nordrhein-Westfalen vor. Nach Klage einzelner Städte erklärte das Verfassungsgericht (VGH NRW) am 9. Februar 1979 die gesetzliche Zuordnung von Kommunen zu gemeinsamen Kommunalen Datenzentralen durch das Land für verfassungswidrig.

Dieses Urteil hatte für die Entwicklung der IT in Nordrhein-Westfalen eine entscheidende und dauerhafte Bedeutung und führte zu einer kleinteiligen Gestaltungsstruktur bei der IT im Land, wo bis heute viele Großstadtrechenzentren und regionale Rechenzentren das Bild bestimmen. Ein großer Vorteil dieser Struktur liegt in einer besonderen Nähe des IT-Dienstleisters zu den betreuten Kommunalverwaltungen. Das größte Problem ist der beachtliche Aufwand, sich landesweit auf gemeinsame Vorgehensweisen und Standards zu einigen.

Rasantes Wachstum (1971 – 1980)

Am 1. Juli 1971 gründeten die damaligen Kreise Dinslaken, Geldern, Kempen-Krefeld, Kleve, Moers und Rees den Zweckverband „Kommunales Rechenzentrum Niederrhein (KRZN)“ mit Sitz in Moers. Die kreisangehörigen Städte, Gemeinden und Ämter wurden mittelbar über öffentlich-rechtliche Vereinbarungen mit ihren Kreisverwaltungen dem Verband angeschlossen. Zum 1. Januar 1975 trat die Stadt Krefeld dem Zweckverband bei. Im Verbandsgebiet des KRZN lebten zu diesem Zeitpunkt etwa 1,2 Millionen Einwohner.

Dass Wirtschaftlichkeit und Qualität von Informationstechnik nur in hinreichend großen Nutzergemeinschaften zu erreichen ist, war eine richtungsweisende Erkenntnis. Entsprechend führte mehr Zusammenarbeit bei der Nutzung der EDV zu besserer Wirtschaftlichkeit. Die relativ hohen und ständig wachsenden Infrastrukturkosten für den Betrieb der EDV sollten auf möglichst viele Schultern verteilt werden.

Ähnlich wie im Verbandsgebiet des KRZN verlief die Entwicklung auch in den anderen Regionen Nordrhein-Westfalens. Bedingt durch die kommunale Neuordnung kam es zu Verschiebungen bei den kommunalen Rechenzentren und deren angeschlossenen Gemeinden, Städten und Landkreisen. Die Rechner arbeiteten immer mehr rund um die Uhr und ihre Bedienung wurde entsprechend auf einen Drei-Schichten-Betrieb umgestellt. Es kam zu einer erheblichen Ausweitung des Leistungsangebots mit breiter Nutzung durch die Kommunen, was mehr Personal in den Rechenzentren erforderlich machte.

Impressionen aus dem Maschinenraum des KRZN in der Uerdinger Str. 2

Neue Möglichkeiten der Datenfernverarbeitung ergänzten die Datenerfassung über Lochkarte und Belegleser. Mit speziellen Geräten wurden die Daten vor Ort in den Ämtern der Kommunen erfasst und gespeichert. Im Verbandsgebiet des KRZN waren es Datenstationen der Firma Nixdorf, die zuerst in den kommunalen Kassen und Bibliotheken und später an vielen anderen Arbeitsplätzen eingesetzt wurden. Die Daten wurden während der Dienstzeit „offline“ auf den Geräten erfasst und gespeichert und (wegen der günstigeren Telefongebühren „zum Mondscheintarif“) nachts über die Telefonleitungen in das Rechenzentrum übertragen und dort verarbeitet. Abschließend wurden die Ergebnisse wieder auf die Geräte in den Kommunalverwaltungen übertragen und dort automatisch ausgedruckt. Diese Technik hieß „Stapelfernverarbeitung“.

Ab 1978 kamen in den kommunalen Rechenzentren erste „Online-Anwendungen“ zum Einsatz. Charakteristisch für diese Form der Techniknutzung war die Tatsache, dass der Nutzer vor einem Bildschirm (Terminal) unmittelbar auf die im Großrechner gespeicherten Daten und Anwendungen zugreifen konnte. Die Intelligenz steckte im Großrechner. Durch die Vernetzung der einzelnen Terminals mit dem zentralen System im Rechenzentrum entstand ein Netzverbund. Die Computer entfalteten ihre Möglichkeiten erst in vollem Maße durch ihre Vernetzung. Nach und nach wurden in der Folgezeit immer mehr Anwendungen der Stapelverarbeitung durch moderne Online-Anwendungen abgelöst. Pionierarbeit auf dem Feld der Online-Anwendungen leistete vor allem die Kommunale Datenverarbeitungszentrale Hellweg-Sauerland in Iserlohn mit den ersten Online-Anwendungen im Bereich Kfz-Zulassung und Einwohnermeldewesen.