Zur medialen Selektion politischer Diskurse - Patrick Fink - E-Book

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Patrick Fink

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2010
Beschreibung

Diplomarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Medien und Politik, Pol. Kommunikation, Note: 1,6, Universität Siegen (Medienplanung, -Entwicklung und -Beratung), Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Arbeit will Anregungen zur Verbesserung des Zusammenwirkens von Massenmedien und politischen Entscheidungsprozessen geben – der Fokus liegt also auf der Makroebene gesellschaftlicher Prozesse. Auch wenn der Begriff der Verbesserung hier zunächst allgemein gehalten ist, führt er zum Problem der Norm und damit in das Spannungsverhältnis von analytischer Medientheorie und normativer Gesellschaftstheorie. Woran können Verbesserungen oder Verschlechterungen festgemacht sowie ihre Intensivität gemessen werden? Das Problem wird nicht darin gesehen, dass gesellschaftlicher Wandel nicht in eine bestimmte, vom Autor bevorzugte Richtung stattfindet, sondern dass ein solcher nicht diskutiert wird und nicht einmal diskutiert werden kann. Die Möglichkeit der Stellung einer bestimmten Forderung hängt von einem Grundkonsens ab, der in der jeweiligen historisch-spezifischen Situation nicht hinterfragt werden kann. Dies soll am Beispiel der Kapitalismusdebatte gezeigt werden, in deren Verlauf der Grundkonsens des liberalistischen Kapitalismus erst von realpolitischen Ereignissen erschüttert werden konnte. Mit vielen Kommentatoren der Qualitätszeitungen ist zu behaupten, dass die Finanzkrise eine realpolitisches Ereignis ist, dessen Auswirkungen den Grundkonsens Liberalismus und Deregulierung modifizieren wird, der spätestens seit Ende des Systemkonflikts 1989/90 die Wirtschaftspolitik der Welt dominierte und somit auf Grund des Primats der Wirtschaftspolitik die Lebenssituation von Millionen von Menschen in vielfältiger Weise beeinflusste. Somit kann die Analyse dieser Debatten herausarbeiten, inwiefern gesellschaftliche Probleme rechtzeitig erkannt und tragfähige Lösungsvorschläge angeboten worden sind. Hier interessiert besonders der für die Massenmedien essentielle Operationsmodus der Selektion. Dabei liegt das primäre Erkenntnisinteresse dieser Arbeit nicht im Warum oder im Wer der Selektion, nicht zentral im Wie der Selektion, sondern in den Konsequenzen der Selektion. Welche Charakteristika weißt die von den Massenmedien gezeichnete Realität auf?

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Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung.
II. Produktive Ausschließung - die Herleitung der Fragestellung
2.1 Warum Foucault?
2.2 Die methodischen Grundschritte
2.3 Diskurse und Subjekte.
2.4 Diskursive und dispositive Einschränkungen
III. Die heutigen Strukturen - die Analyse der Elemente der Fragestellung
3.1 Zur Komplementarität der Perspektiven Foucaults und Luhmanns
3.2 Die Grundprinzipien der Demokratie
3.3 Faktoren gesellschaftlichen Wandels.
3.4 Die Medien in der Demokratie - Öffentlichkeit.
3.5 Akteure und Prozesse der Politischen Kommunikation.
3.6 Aktuelle Entwicklungen.
IV. Bestimmung der Norm
4.1 Überblick über die Funktionen des Mediensystems
4.2 Deliberale Öffentlichkeitstheorie
4.3 Ein Modell zur Messung demokratischer Medienperformanz
V. Verzerrung
5.1 Nachrichtenwerttheorie.
5.2 Der Framing-Ansatz
VI. Empirische Analyse
6.1 Die Kapitalismusdebatte
6.2 Erläuterung der gewählten Methodik.
6.2.1 Auswahl der Mediengattung und der Publikationsorgane
6.2.2. Auswahl der Zeiträume: die Schlüsselereignisse
6.2.3 Generierung und Darstellung des Datenkorpus: Auswahl der Artikel
6.2.4 Anlage der Framing-Analyse
6.2.5 Details zur Vorgehensweise der Analyse auf Frame-Elemente
6.3 Präsentation und Diskussion der Ergebnisse
6.4 Erkenntnisse zu Framing-Prozessen in der Kapitalismusdebatte
VII. Fazit.
IX. Abbildungsverzeichnis.

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Zur Entstehung dieser Arbeit

Nach einer außergewöhnlichen langen Phase der Themenkonkretisierung entstand die vorliegende Arbeit in Kooperation mit der Forschungsabteilung des SPD-Parteivorstandes in Berlin. Ich danke den Mitarbeitern dort für ihre führenden Ratschläge sowie die Rücksicht auf meine Interessen - insbesondere die Einbindung der Makroperspektive auf das Verhältnis von Politik und Medien. Darüber hinaus eröffnete die angenehme Zusammenarbeit mit Christina Schildmann und ihren Kollegen mir neue Erkenntnisse über die Praxis politischer Kommunikation. Dank gilt weiter den Mitarbeitern des politischen Archivs des Willy Brandt-Hauses, deren Hilfe die Erfassung der Zeitungsartikel stark vereinfachte.

In der langen Phase der Themenspezifizierung taten sich immer neue interessante und potentiell analysierbare Aspekte politischer Kommunikation auf. Daher gilt mein Dank ebenfalls meiner Betreuerin Prof. Dr. Sigrid Baringhorst für ihre Geduld sowie das Geschick, diese Aspekte fokussiert zu lenken, ohne Erkenntnisinteressen abzublocken.

Das bisher Gesagte deutet das Unvermeidliche an: Der Theorieteil der folgenden Arbeit wird bis auf die skizzenhafte Ausarbeitung der Verbindung des Framing-Ansatzes mit der These der konsonanten Medienberichterstattung keine neuen Felder eröffnen. Seine Erarbeitung diente mir dazu, einen breiten Überblick über die im Forschungsfeld diskutierten Theorien zu erlangen. Diese Einbeziehung vieler Einzeltheorien macht es erforderlich, an Verbindungsstellen die Hauptaussage auch einer bereits erläuterten Theorie zu wiederholen - eben um den großen Zusammenhang herzustellen. Dahingehen sind die Ergebnisse der empirischen Analyse neu und halten durchaus Überraschungen bereit.

Der grundsätzliche Gedanke, der sowohl hinter der Auswahl des Themas steht als auch die vorzustellende forschungsleitende These bestimmt, stellt die Quintessenz meines Studiums dar: Nichts ist notwendigerweise so, wie es ist. Daher muss darüber gesprochen werden können, warum es so ist, ob es gut ist und wie es besser sein könnte.

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I. Einleitung

In den Politik-, Sozial- und Kommunikationswissenschaften entstanden in den letzten 50 Jahren immer differenziertere Theorien, um die gegenseitige Beeinflussung von Massenmedien und Politik zu analysieren. Mit der Anzahl der Theorien stieg auch die Anzahl ihrer empirischen Überprüfungen. Die Frage, wer die Orientierungslinien für das Zusammenleben in der Gesellschaft bestimmt, wird heute in einem theoretisch wie methodisch sehr heterogenem Forschungsfeld erarbeitet.

Dabei ergehen sich viele Studien in neutralen Deskriptionen, ohne die fortan beschriebenen Zustände zu bewerten.1Doch ohne eine Bewertung bleibt empirische wie theoretische Arbeit unfruchtbar: Eine reine Beschreibung von Sachverhalten kann nicht als Handlungsempfehlung genutzt werden und verkommt zum sprichwörtlichen Datenfriedhof. Wissenschaft legitimiert sich jedoch über Problemlösungen, also die Bereitstellung von Handlungsempfehlungen. So müssen neben dem Ausdruck von Prozessen auch die Auswirkungen von Prozessen analysiert oder zumindest begründet prognostiziert werden, um Handlungsempfehlungen abgeben zu können.

Die vorliegende Arbeit will Anregungen zur Verbesserung des Zusammenwirkens von Massenmedien und politischen Entscheidungsprozessen geben - der Fokus liegt also auf der Makroebene gesellschaftlicher Prozesse.

Auch wenn der Begriff der Verbesserung hier zunächst allgemein gehalten ist, führt er zum Problem der Norm und damit in das Spannungsverhältnis von analytischer Medientheorie und normativer Gesellschaftstheorie. Woran können Verbesserungen oder

Verschlechterungen festgemacht sowie ihre Intensivität gemessen werden?

Bevor die anzulegenden Maßstäbe begründet werden, ist das Problem zu erläutern: Viele der erwähnten Forschungsanstrengungen haben die mit der konstruktivistischen Erkenntnistheorie in Einklang stehende These bestätigt, nach der die Massenmedien die Welt nicht spiegelten wie sie sei. Vielmehr stellten sie ein eigenes Bild her, dessen Beschaffenheit

1Vgl. Matthes 2007, S. 82

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von den Regeln und Routinen der Medienbranche bestimmt sei.2Die Massenmedien müssen also als politischer Akteur begriffen werden, da ihre Produkte von den Menschen zumindest prinzipiell als Angebote für Handlungsorientierungen genutzt werden.3Dabei soll nicht von der naiven marxistisch-gramscistischen Annahme ausgegangen werden, nach der die Besitzer der Druckerpressen durch eine industrielle Ideologieproduktion ein ihnen genehmes Bild der Welt verbreiten könnten, um damit ihre materielle Herrschaft zu sichern. Vielmehr sollen die Prozesse der medialen Produktion selbst untersucht werden. Hier interessiert besonders der für die Massenmedien essentielle Operationsmodus der Selektion. Dabei liegt das primäre Erkenntnisinteresse dieser Arbeit nicht imWarumoder imWerder Selektion, nicht zentral imWieder Selektion, sondern in denKonsequenzender Selektion. Welche Charakteristika weißt die von den Massenmedien gezeichnete Realität auf?

Es wird also besonders darauf zu achten sein, wie die Massenmedien die Chancen derer beeinflussen, die dieses Bild mitbestimmen wollen, indem sie sich an öffentlichen Diskussionen beteiligen. DasWieist dabei insofern zu untersuchen, als die Stärke der Selektion die forschungsleitende These bestimmt:

Es ist davon auszugehen, dass die momentane Ausgestaltung der Strukturen, die heute geltenden Regeln sowie die aktuell herrschenden Handlungsroutinen in den Massenmedien in Gesellschaften westlichen Typs zu einem zweidimensionalen Problem führen. Zum einen führt die zunehmende Ähnlichkeit der in den Massenmedien thematisierten Gegebenheiten, ihrer Darstellungsweise sowie insbesondere ihrer Kommentierung auf der Mikroebene zur geistigen Verarmung sowie chronischer Unzufriedenheit und damit Verringerung der Lebensqualität der Rezipienten. Diese Problemdimension kann hier nicht diskutiert werden - se ist jedoch in diversen medientheoretischen Schriften wie beispielsweise aus derFrankfurter Schuleaufgegriffen worden.4,5

2Die konstruktivistische Negierung der Möglichkeit einer Spiegelung wird imKapitel V: Verzerrungberücksichtigt.

3Die Verbindlichkeit dieser Angebote wird in der Medienwirkungsforschung so kontrovers diskutiert, dass die Debatte im Rahmen dieser Arbeit nicht aufgefächert werden kann. Einen Überblick über die Medienwirkungsforschung bietet Bonfadelli: Bonfadelli 2000 und Bonfadelli 2001

4Programmatisch ist hier derKulturindustrie-AufsatzAdornos zu nennen: Horkheimer et al. 1947. Darüber hinaus beschreibt Fromm die Implikationen der gesellschaftlichen Strukturen für das Lebensglück des Einzelnen besonders herzerwärmend: Fromm 1976

5Ein Zusammenhang zum UntersuchungsthemaKapitalismusdebattebzw.Finanzmarktkrisebesteht allerdings darin, dass die Wirtschaftskrise als Resultat der Finanzkrise es erschwert, die Konsumbedürfnisse des

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Somit wird die zweite Dimension des vermuteten Problems untersucht: Es wird davon ausgegangen, dass die Massenmedien das Erkennen problematischer Umwelteinflüsse auf die Gesamtgesellschaft nicht hinreichend unterstützen und einer optimalen Reaktion auf solche Probleme entgegenwirken.

Das Problem wird nicht darin gesehen, dass gesellschaftlicher Wandel nicht in eine bestimmte, vom Autor bevorzugte Richtung stattfindet, sondern dass ein solcher nicht diskutiert wird und nicht einmal diskutiert werden kann. Die Möglichkeit der Stellung einer bestimmten Forderung hängt von einem Grundkonsens ab, der in der jeweiligen historischspezifischen Situation nicht hinterfragt werden kann. Dies soll am Beispiel der Kapitalismusdebatte gezeigt werden, in deren Verlauf der Grundkonsens des liberalistischen Kapitalismus erst von realpolitischen Ereignissen erschüttert werden konnte.

Mit vielen Kommentatoren der Qualitätszeitungen ist zu behaupten, dass die Finanzkrise eine realpolitisches Ereignis ist, dessen Auswirkungen den GrundkonsensLiberalismus und Deregulierungmodifizieren wird, der spätestens seit Ende des Systemkonflikts 1989/90 die Wirtschaftspolitik der Welt dominierte und somit auf Grund des Primats der Wirtschaftspolitik die Lebenssituation von Millionen von Menschen in vielfältiger Weise beeinflusste. Somit kann die Analyse dieser Debatten herausarbeiten, inwiefern gesellschaftliche Probleme rechtzeitig erkannt und tragfähige Lösungsvorschläge angeboten worden sind.

Der Begrifftragfähigführt zum Problem der Norm zurück. Die Kriterien für eine Bewertung der Verfasstheit des Mediensystems müssen auf Grund der unendlichen Menge an potentiellen sachlichen Inhalten abstrakt sein.

Die zu Beginn erwähnte Heterogenität des Forschungsfeldes legt als Suchmethode nach diesen abstrakten Kriterien eine systematische Textexegese nahe. Eine solche kann hier aus forschungsökonomischen Gründen nicht geleistet werden. Vielmehr werden Theorien und Methoden ausgewählt, umeinenOperationsmodus und weitereineDimension ihrer Auswirkungen in den Blick zu bekommen: die Selektion und ihre Auswirkung auf die Entwicklung der Gesamtgesellschaft.

Einzelnen zu befriedigen, welche nach Ansicht der Autoren der Frankfurter Schule die einzige Sinnquelle im Leben des kapitalistischen Systems darstellen.

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Um das Fundament besser zu verstehen, auf dem solch abstrakte Kriterien aufgebaut sein müssen, wird zunächst ein Überblick über Michel Foucaults Diskurstheorie als grundlegende Gesellschaftstheorie gegeben. Diese zeigt sowohl die Bedeutung von Arbeitsroutinen bzw.Praktikenim Allgemeinen auf sowie auch grundlegende Charakteristika derSelektion.Nachdem Foucaults Erkenntnisse tendenziell universell gelten, müssen im dritten Kapitel die heutigen Umstände untersucht werden: Wie werden Probleme im demokratischen System gelöst und wie steuert dieses System seine Entwicklung? Welche Rolle spielen die Massenmedien dabei theoretisch? Zur Analyse dieser komplexen Untersuchungsgegenstände soll das Werkzeug derSystemtheorieeingesetzt werden. Allerdings verlangt diese Einführung einer zweiten Großtheorie ein vorheriges Abgleichen mit der Diskurstheorie - mit diesem partiellen Vergleich wird also theoretisch noch weitgehend unerschlossenes Gelände betreten werden.

Im vierten Kapitel werden zunächst aus den bis dahin gewonnenen Erkenntnissen allgemeine Funktionszuschreibungen an die Massenmedien abgeleitet, um diese dann mit derdeliberalen Öffentlichkeitstheorietheoretisch zu fassen. Anschließend werden diese theoretischen Anforderungen mit Hilfe des medialenDemokratieperformanzmodellsnach Voltmer empirisch operationalisiert.

Im fünften Kapitel dann gilt es, anhand eines Überblicks über die bisherige Selektions- und Verzerrungsforschung den Blick dafür zu schärfen, wo im Prozess der massenmedialen politischen Kommunikation die in der Fragestellung vermuteten Probleme auftreten könnten und so den Realitätsausschnitt der empirischen Untersuchung zu bestimmen. An dieser Stelle wird mit dem Framing-Ansatz auch die Untersuchungsmethode eingeführt, welche zumindest potentiell den Anspruch erhebt, die vorhandene Selektions- und Verzerrungsforschung zu integrieren.

Im sechsten Kapitel schließlich wird die vorgestellte Fragestellung in einer selbst entwickeltenquantitativen Inhaltsanalyse auf Frame-Elementean den Kapitalismusdebatte untersucht. Im abschließenden Fazit sollen Gedanken skizziert werden, wie die analysierten Schwächen behoben werden können sowie Forschungslücken identifiziert werden.

Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und somit dem Wegfall eines Vergleichsmodells ist die Frage nach der Qualität demokratischer Herrschaft ebenfalls neu

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aufgeworfen. Wie die Ausführungen zeigen werden, ist mit Kaase festzuhalten, dass das Mediensystem für diese Debatte einen zentralen Faktor darstellt.6Es sollen also Erkenntnisse zur noch jungen Debatte zur Theoretisierung und Operationalisierung der demokratischen Performanz von Mediensystemen beigesteuert werden, welche durch Modelle von McQuail7und Voltmer8entscheidend voran gebracht wurde. Diese Modelle zielen auf eine Integration von demokratietheoretischen und kommunikationswissenschaftlichen Diskurssträngen ab, um den sich beständig zu beschleunigenden Entwicklungen in der Medienkommunikation und den damit betrauten Politikern eine Zielvorstellung zur Handlungsorientierung zu geben. Die hier angestrebten Regeländerungen sollen es jederzeit allen politischen Akteuren erleichtern, jegliche Art von Forderungen zu stellen und mit garantierten Minimal-Erfolgsaussichten in den Massenmedien argumentativ für diese zu werben. Dies sollte eine der ‚Zielvorstellungen und normativen Konzeptionen‘ sein, an der es für die „Ausgestaltung einer zukünftigen Kommunikations- und Medienordnung“ lauf Imhof noch fehlt.9Nur durch das Fehlen solcher Zielvorstellungen ist es zu erklären, dass die Forschung seit langem problematische Effekte des Mediensystems identifiziert hat, die Politik jedoch bisher nicht gegengesteuerte.

6Vgl. Kaase 1998, S. 25

7McQuail 1995

8Voltmer 1999

9Vgl. Imhof et al. 1999, S. 16

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II. Produktive Ausschließung - die Herleitung der Fragestellung

2.1 Warum Foucault?

Die Frage nach der Macht ist die Klammer, die das komplexe Werk Michel Foucaults zusammenhält. Obwohl Foucault Schwammigkeit und Beliebigkeit vorgeworfen werden, sind zwei seiner Erkenntnisse für die zu untersuchende Frage zentral: Auf formal-theoretischer Ebene schärft Foucault den Blick für den zu untersuchenden Elemententyp - es gilt, Praktiken statt Subjekte unter die Lupe zu nehmen. Zusätzlich entwirft Foucault im Rahmen der Überlegungen, die später unter den BegriffDiskurstheoriegezwängt wurden, eine von der konkreten historischen Situation unabhängige Typologie von Selektionsmechanismen. Diese Typologie verspricht eine Grundlage für das Verständnis des Zusammenhangs zwischen der Selektion von Aussagen und der Veränderbarkeit gesellschaftlichen Handelns zu liefern.

Bei der Fruchtbarmachung des foucaultschen Potentials hat die Wissenschaft mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass der ‚subversive Philosoph‘ auf Strukturen und Definitionen konventionellen Theoriedesigns weitgehend verzichtet. So werden die hier interessierenden Thesen aus dem Gesamtwerk Foucaults destilliert. Dabei werden die ‚theoretischen Verschiebungen‘ wie die Rückkehr zum Subjekt als Ausgangspunkt von Machtwirkungen nicht berücksichtigt und dieAnalytik der Machtnur bis zu ihrer ersten vollen Entfaltung dargestellt.10Denn diese erste Version zeichnet die neue Perspektive auf die Machtfrage am klarsten, welche von konkreten Personen abstrahiert und somit selbst Grundsätze anderer Disziplinen wie die politikwissenschaftliche Einteilung inRegierendeundRegiertein Frage stellt.

2.2 Die methodischen Grundschritte

Foucault baut seine historische Analyse auf eigene Untersuchungen von Praktiken wie der klinischen Psychologie oder des Merkantilismus auf und lehnt vorhandene Konzepte wie HegelsDialektikoder denHistorischen Materialismusab. Selbst das Konzept der Vernunft

10Vgl. Fink-Eitel 1992, S. 14

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wird als temporäres, von der Aufklärung hervorgebrachtes Konstrukt klassifiziert. Diese These verdeutlicht den wichtigsten Grundgedanken der foucaultschen Perspektive: jede Struktur und jeder Wert ist kontingent, also in spezifischen historischen Situationen auf Grund bestimmter Umstände entstanden und ebenso vergänglich bzw. wandelbar. Somit steht Foucault einzig den Konstruktivisten nahe - allerdings nicht den radikalen Konstruktivisten, denn es ist gerade die Genese der in Epochen geschlossenen Weltanschauungen, die Foucault erklären will.

Bei der Untersuchung dieser Epochen stellt sich das Problem, dass wir uns selbst in einer spezifischen Epoche befinden und unser Handeln und auch unser Denken von den Regeln dieser Epoche eingeschränkt werden. Fink-Eitel fasst Foucaults methodische Idee zur Umgehung dieser Zwickmühle in einer erhellenden Metapher zusammen: man müsse die Regelsysteme verschiedener vergangener Epochen anheben und analysieren, wie sich die Elemente dieser Systeme darunter frei bewegen. Anschließend könne man aus einem Vergleich zwischen den freien Bewegungen der Elemente und den geregelten ‚vermachteten Bewegungen‘ Rückschlüsse auf das allgemeine Funktionieren von Regelmechanismen bzw. Macht ziehen.11Das Heute kann dann auf diese allgemeinen Machtcharakteristika hin abgesucht werden - eben wie in der empirischen Analyse in Kapitel VI der Ein- bzw. Ausschluss von Akteuren untersucht werden soll.

Foucault selbst teilt sein Vorgehen in die Schritte derArchäologieund derGenealogieein: Erstere ist eine strukturelle Analyse auf einer einzigen Zeitebene, welche die Regeln identifizieren soll, die bestimmte Aussagen und Gedanken zulassen und andere verhindern. Das Werkzeug der Archäologie ist dieDiskursanalyse.Auch die empirische Analyse inKapitel VIkann in einem weiten Sinn als Diskursanalyse aufgefasst werden, so wie Foucault in seiner Vorlesung ‚In Verteidigung der Gesellschaft‘ seine Studenten explizit dazu aufforderte, mit seinen Ideen, Modellen und Instrumenten „zu machen, was Sie wollen“.12Den zweiten Schritt bezeichnet Foucault in Anlehnung an Nietzsche alsGenealogie:sie ist eine historische Analyse und soll das Entstehen der identifizierten Regeln und deren Verbindungen mit sozialen Institutionen, politischen Ereignissen und ökonomischen

11Vgl. Fink-Eitel 1992, S. 58

12Vgl. Foucault 1999, S. 7-8; In Deutschland entwickelte vor allem Keller eine detaillierter ausgearbeitete Methodik einer sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse: Keller et al. 2006

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Machtverhältnissen herausarbeiten. Genealogische Aspekte umfasst die folgende empirische Analyse mit der Differenzierung in verschiedene Akteurstypen wie Regierungsakteure und periphere Organisationen sowie der Messung des Einflusses von außerdiskursiven Schlüsselereignissen. Da die Analyse sich auf das Heute beschränkt, muss dabei nicht Derridas Vorwurf an Foucault beachtet werden, dass eine Suche nach Gründen für ein in der Vergangenheit liegendes Schweigen ‚schreckliche methodische Probleme‘ mit sich brächte.13

2.3 Diskurse und Subjekte

Das Konzept desDiskursesund seiner Analyse dient der gesamten Foucaultschen Theorie als verbindende Struktur und hat mittlerweile in den Sozial- und Geisteswissenschaften enorme Popularität erlangt. Allerdings definiert Foucault selbst den Begriff desDiskursesan keiner Stelle seines Werkes eindeutig - was zum Variantenreichtum der Weiterentwicklungen beigetragen haben dürfte. Im Folgenden werden die Charakteristika desDiskursesoffen gelegt, welche die Beschäftigung mit Praktiken begründen und die Selektionstypologie auffächern.

Zuallererst besteht ein Diskurs ausAussagen.Dabei wirdAussagenicht als grammatikalischer Satz, Sprechakt oder semantischer Gehalt einer Zeichenfolge aufgefasst, sondern als Einheit, die in einem präzisen Punkt von Raum und Zeit in einem konkreten Kontext geäußert wurde. Ein Vorschlag eines Politikers in einem Zeitungsinterview wäre eine Aussage in dem Diskurs des entsprechenden Politikfeldes. An einem Beispiel wird deutlich, dass jeder geäußerte Satz einer Reihe von Gesetzen unterliegt, um alssinnvollzu erscheinen und von den Teilnehmern des entsprechenden Diskurses akzeptiert zu werden: Ein deutscher Politiker dürfte in Deutschland beispielsweise nicht eine eventuelle historische Schuld des Judentums thematisieren. Seine Aussage würde so nicht berücksichtigt und wie am Schicksal des Bundestagsabgeordneten Martin Homann gesehen der Aussagende vom weiteren Diskurs ausgeschlossen.14

Foucault hebt mit dem Konzept desReferentialsweiter auf die konkreten Bedingungen ab,

13Vgl. Sarasin 2006, S. Kapitel I : Wahnsinn, Vernunft, Schweigen

14Nach einer Rede am 03. Oktober 2003 wurde dem CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann antisemitische Gesinnung vorgeworfen und er daraufhin aus Fraktion und Partei ausgeschlossen.

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die erfüllt sein müssen, damit eine Aussage alssinnvollaufgenommen wird. Beispielsweise müssten die gewählten Symbole den Konventionen entsprechen und den Diskursteilnehmern bekannt sein - er veranschaulicht dies am Beispiel von schallschluckenden Wänden, deren Erwähnung im 17. Jahrhundert den anderen Diskursteilnehmern nichtsinnvollerschienen wäre.

Doch hier interessiert die Akzeptanz bzw. Selektion von bereits als sinnhaft klassifizierten Aussagen. Allerdings ist der Einfluss des Aussagenden auf die Sinnhaftigkeit der Aussage festzuhalten. Beispielsweise werden Aussagen von vermeintlich Wahnsinnigen nicht angenommen. Da aber auch die Klassifikation des Wahnsinns kontingent ist, ergibt sich ein erstes taktisch einsetzbares Ausschlusspotential.

Schließlich bildet die Menge von Aussagen, die denselben Sinn- und Selektionsregeln gehorchen, einenDiskurs.Er ist „das Gesetz dessen, was ausgesagt werden kann, das System, das das Erscheinen der Aussagen als einzelne Ereignisse beherrscht, das System ihres Funktionierens.“15

Eine für den philosophischen Diskurs und die hier verfolgte Argumentation entscheidende These Foucaults ist nun, dass das gesamte Wissen der Menschheit in Diskursen angeordnet sei. Zum Beispiel hätten die wissenschaftlichen Disziplinen das Subjekt der Aufklärung und damit das neuzeitliche Individuum überhaupt generiert. Nach Sarasin widerspräche diese ‚dunkle Kehrseite der Demokratie‘ (Foucault) diametral den Vorstellungen der bürgerlichen Freiheit im 19. Jahrhundert, die den freien Bürger als gegeben und unhinterfragt voraussetzten.16,17Wenn aber nun angenommen wird, dass auch das Wissen um die Subjekte diskursiv produziert ist, ist der Diskurs dem Subjekt vorgängig und wir erkennen, dass Machstrukturen ursprünglich von diskursivenPraktikenund nicht primär von Subjekten wie beispielsweise dem Diktator oder dem Zentralkomitee einer kommunistischen Partei ausgehen. „Das Subjekt als begründendes ist in der Diskursanalyse durchgestrichen und der Autor der Texte stattdessen bloß eine Funktion, wie sie von bestimmten Diskursen ermöglicht und erfordert wird.“18

15Foucault, Köppen 1973, S. 18716Vgl. Sarasin 2006, S. 136

17In dieser Kontingenz des modernen Subjektes liegt der noch zu lösende Widerspruch zwischen foucaultscher

Diskurstheorie und habermasscher Öffentlichkeitstheorie (vgl. Kapitel 4.2).

18Sarasin 2006, S. 114

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Die Frage nach der Macht muss also die Konfiguration des Systems untersuchen anstatt sich auf die Handlungsmacht einzelner Akteure zu beschränken.

2.4 Diskursive und dispositive Einschränkungen

In seiner berühmten Antrittsvorlesung amCollège de Francepräsentiert Foucault seine Typologie der Einschränkungsmechanismen - dieOrdnung des Diskurses.19Sie bestimmten die in einem Diskurs thematisierbaren Gegenstände, einnehmbaren Positionen, verwendbaren Begriffe und anwendbaren Strategien. Foucault unterscheidet verschiedene Klassen dieser Prozeduren:

Zunächst könnten dieProzeduren der Ausschließunggewisse Gegenstände und Vorgänge zu einemTabuerklären oder es könnten durchRituale des Umstandesmanche Sprecher vom Diskurs ausgeschlossen werden. Beispielsweise wird ein akademischer Abschluss und werden bestimmte sprachliche Anforderungen verlangt, um im Wissenschaftsdiskurs zu publizieren. Parlamentsdebatten sind ein Beispiel für besonders hochgradig geregelte Diskurse mit minutiös zugestandenen Redezeiten für die einzelnen ausgewählten Sprecher.

Die wirkungsmächtigste Ausschließungsprozedur stellt derWille zum Wissenbzw. derWille zur Wahrheitdar. So bezeichnet Foucault die Entscheidung über die Akzeptanz einer Aussage auf Grund der Unterscheidungwahr/falsch.Das Schicksal Galileis verdeutlicht, was gemeint ist: Im damaligen Weltbild war es schlichtwegfalsch,dass die Erde sich um die Sonne drehte. Der argumentative Beweis war vom ersten Satz an vergebliche Liebesmüh. Hier blitzt ein erstes Mal das Problem der Konsonanz auf: etwas ist so,weilalle es so sehen. Dabei tendiert der Wille zum Wissen dazu, sich über die anderen Ausschließungsmechanismen zu erheben: beispielsweise wird jemand ausgeschlossen,weiler eine unkonventionelle These. Eine genaure Analyse dieser unglücklichen Konstellation liefert die Theorie der Schweigespirale (vgl. Kapitel 5.2.5).

Die dargestelltenProzeduren der Ausschließungumreißen die äußeren Grenzen des Diskurses. Davon geschieden werdenKlassifikations-, Anordnungs- und Verteilungsprinzipien,die das Innere des Diskurses bestimmen:

19Foucault 1991

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Neben den hier vernachlässigbaren Prinzipien desKommentarsund desAutorsinteressiert vor allem das Prinzip derDisziplin.Dieses verdeutlicht noch einmal, dass Sprecher nicht umhin kommen, die ‚Gegenstände‘, ‚Bündel von Methoden‘ und ‚Definitionen‘ des jeweiligen Diskurses zu benutzen. Foucault erläutert am Beispiel Mendels Fortpflanzungstheorie, dass es durchaus möglich ist, „im wilden Außen die Wahrheit zu sagen; aber im Wahren ist man nur, wenn man den Regeln der diskursiven Polizei gehorcht […].“21Mendel formulierte eine aus heutiger Sicht wahre biologische Theorie, die jedoch von den Biologen seiner Zeit nicht aufgegriffen wurde, da sie formal nicht deren Anforderungen entsprach. Dieser Gedanke wird von vom Framing-Ansatz im Erkennen gemäß kognitiven Schemata wieder aufgegriffen (vgl. Kapitel 5.2).