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WINTERROMANTIK PUR Für Charly, eine ausgebildete Physiotherapeutin, läuft es zurzeit gar nicht rund. Ihre geliebte Oma ist verstorben, ihr Freund verlässt sie und am Arbeitsplatz wird sie gemobbt. Da kommt das Angebot ihres Chefs genau zur rechten Zeit. Sie soll für ein paar Wochen seinen Bruder betreuen. Das ist niemand Geringerer als der bekannte Skirennläufer Marc Leander, der nach einem schweren Unfall noch immer auf Krücken angewiesen ist. Doch Marc möchte keine Physiotherapeutin! Was soll sie schon ausrichten? Er wird nie mehr Skifahren können. So beabsichtigt er, diese Frau rasch wieder hinauszuekeln. In der abgeschiedenen Hütte, in die er sich zurückgezogen hat, bevorzugt er die Einsamkeit. Allerdings weckt Charly durch ihre Hartnäckigkeit seine Aufmerksamkeit. Und dann steht auf einmal seine Exfreundin vor der Tür und ein Schneesturm macht die Abreise unmöglich … Ein bezaubernd verträumter Roman für entspannte Stunden. Die Bände der Reihe "Lovely Christmas" können unabhängig voneinander gelesen werden.
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Zwei Sterne im Schnee
Lotte R. Wöss
Lovely Christmas
Impressum
Auflage: 1
Copyright © Oktober 2020 by Lotte R. Wöss
Email: [email protected]
www.lottewoess.com
Covergestaltung:
Michael Troy / MT-DESIGN
Bildnachweis: © 4 PM production, www.shutterstock.com
© Ekaterina Kondratova, www.shutterstock.com
Lektorat:
Lisa Diletta, Danielle A. Patricks, Sandra Pulletz
Korrektorat: Enya Kummer
196 Taschenbuchseiten
Alle Rechte vorbehalten – Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Personen, Orte, Handlungen und andere Ereignisse sind entweder Produkte der Fantasie oder wurden fiktiv genutzt. Eventuelle Ähnlichkeiten mit realen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Die in diesem Buch erwähnten Markennamen und Warenzeichen sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer.
Für Sara
Inhaltsverzeichnis
1
Dream Alpin7
Genug ist genug9
Spießrutenlaufen14
Die Hütte in den Bergen28
Erstes Beschnuppern40
»Du musst mir vertrauen.«50
»Jeglicher Abschnitt hat seine Zeit.«62
Der Deal68
Glaub an dich76
Das letzte Hemd82
Wassertherapie87
Ein kleines Date?94
»Nicht alle Menschen benützen ihre Gehirnzellen zum Denken.«109
Nur ein schöner Traum?117
Eine Katastrophe kommt nie allein.126
Nichts geht mehr136
Eingeschlossen144
»Du wirst Ski fahren können!«155
Zuhören können164
»Ich habe niemanden!«171
22. Dezember177
Geständnis180
Es gibt kein Uns mehr188
Fackellauf197
Das Beste kommt am Schluss203
Liebe Leserinnen und Leser!205
Lovely Christmas Band 1207
Lovely Christmas Band 3 208
Lovely Christmas Band 4211
Das Resort inmitten verschneiter Alpengipfel für Deinen Traumurlaub.
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»Das ist kompletter Unsinn, was du da vorhast, Marc.« Die leicht genervte und gehetzte Stimme seines Bruders kannte er nur zu gut. Vermutlich schob der allseits geschätzte Oberarzt Wolfgang Leander das Telefonat mit ihm zwischen Operationen und Visite ein.
»Stell dir vor, ich frage dich nicht um deine Meinung.« Marc sah sich in seinem Zimmer um, gekalkte Wände, helle Holzmöbel, ein einfacher Tisch, an dem seine Krücken lehnten. Das war seit unzähligen Wochen sein Zuhause.
Wie er es hasste!
Vor genau sieben Monaten hatte er noch geglaubt, eine Zukunft zu haben. Sein Blick senkte sich zu seinen Beinen, diese unnützen Dinger, besonders auf das Rechte, durch Narben entstellte. Warum zum Teufel war nicht alles rascher zusammengewachsen? Besser? Ohne Komplikationen?
»Du kannst nicht allein in einer Hütte leben …«
»Kann ich nicht?« Marc lachte kurz auf. »Natürlich nicht. Ich bin ein Krüppel.«
»Was ist plötzlich los mit dir, Marc? Du wirst bestimmt wieder normal gehen können, es braucht Geduld …«
»Geduld?« Er brüllte auf und erschrak vor sich selbst. Rasch atmete er durch und schloss die Augen. Vor ihm entstanden Bilder. Zahlreiche Operationen, Schmerzen, Übelkeit, Bewegungsübungen, Rückschläge … Er hatte ein großes Ziel gehabt. Allein das hatte ihn durch sämtliche Herausforderungen getragen. Bis vor genau vier Wochen, als der Arzt ihm jede Hoffnung nahm.
»Ich werde nie mehr Rennen fahren.« Ein Schluchzer entrang sich seiner Kehle, die Wut brannte im Hals. »Weißt du, wie verdammt knapp ich dran war? Dieses Mal hätte ich die Qualifikation für die Olympiade geschafft.«
»Ich weiß, dass das von klein auf dein Traum war und ich kann nachvollziehen …«
»Einen Scheiß kannst du!« Marc schlug mit der Hand auf die Bettdecke. »Du warst schließlich der solide brave Sohn. Der Musterschüler und Vorzeigestudent. Und jetzt bist du ein Arzt in einer Nobelklinik, ein Traumjob. Aber meine Zukunft ist verbaut, endgültig.«
»Du spinnst.« Sein Bruder klang müde und resigniert. »Das Leben besteht doch nicht nur aus Skifahren.«
Marc hätte das Handy am liebsten von sich geschleudert. In ihm brodelte ein Feuer, das durch nichts zu löschen war. Was verstand denn sein Bruder schon vom Spitzensport? Dem Schweiß, den Tränen, Niederlagen, Schmerzen und sich immer wieder aufraffen müssen? Das Ziel zum Greifen nahe und dann der furchtbare Absturz?
Egal wie hoch man kletterte, wenn man stürzte, hatte man versagt. Plötzlich fühlte er sich unendlich müde.
»Lass gut sein, Wolfgang.« Er seufzte und legte sich aufs Bett, zog seine Beine nach. »Ab 30. November habe ich im ›Dream Alpin‹ gebucht, und zwar bis Dreikönig, wenn du es genau wissen willst. Ich werde weitertrainieren, aber ich werde verrückt hier auf dieser trostlosen Rehastation.«
»Du bist in einem der renommiertesten Rehazentren der Schweiz ...«
»Jaja. Meine Therapeutin wird mir Übungen aufschreiben, ich werde weitermachen. Ich muss mit mir selbst ins Reine kommen, kapierst du das nicht?«
Wie sollte er? Wolfgang hatte noch nie versagt.
»Muss es denn in einer Hütte sein? Da ist um diese Zeit Schnee in den Bergen. Du bist schließlich nicht mobil.«
»Denkst du, ich weiß das nicht? Stell dir vor, mit meinem Gehirn ist alles in Ordnung. Ich brauche gewiss keine Betreuungsperson zur Aufsicht.«
»Überlege mal, eine Hütte ist nicht eingerichtet für einen …«
»Invaliden. Sprich es ruhig aus!« Marcs Hals kratzte. Was nützte es, um den heißen Brei zu reden?
»Dreh mir nicht immer das Wort im Mund herum.« Wolfgang wurde lauter. Das kam selten vor. »Ich könnte dir eine Helferin besorgen.«
»Auf keinen Fall!«
»Ich denke an Hindernisse, Stufen, und wie willst du dich allein in einer Hütte erhalten? Nimmst du Vorräte mit? Kochst du?«
»Nein. Das ›Dream Alpin‹ ist eines der vornehmsten Luxus-Resorts in den steirischen Bergen. Weit weg von der Schweiz. Ich brauche eine Auszeit. Die Chalets, die sie vermieten, sind komplett ausgestattet. Und das Essen wird auf Wunsch geliefert. Ich werde bestens zurechtkommen. Sag das bitte auch unseren Eltern.«
Marc hörte ein tiefes Schnaufen aus dem Hörer und wollte schon auflegen, als sein Bruder nochmals etwas sagte.
»Wir machen uns alle Sorgen um dich, Marc.« Ungewohnte Resignation lag in Wolfgangs Stimme.
Marc lehnte sich zurück und schloss die Augen. Vielleicht war die Idee mit der Hütte wirklich eine Schnapsidee gewesen. Was tat er da in den Bergen? Mitten im Schnee, wo ihm seine Unfähigkeit, jemals wieder Skifahren zu können, erst so richtig bewusst werden würde?
Der Kloß im Hals wurde zum Ballon.
Ein ehemaliger Sportler war Sänger geworden. Oh Gott, nein, seine Stimme reichte gerade mal zum Mitsingen von Kirchenliedern.
Sollte er malen? Nur dass seine Lehrerin bereits in der Volksschule mitleidig gelächelt hatte, wenn er seine Kunstwerke präsentiert hatte. Möglicherweise konnte er auf ›kreativ-modern-progressive‹ Kunst machen?
Nein. Es fehlte nicht nur an Talent, er hasste Malen.
Ein Buch schreiben. Über den Skizirkel, seinen Unfall … oh Gott, nur das nicht! Bereits in der Schule war Deutsch sein unbeliebtestes Fach gewesen.
Was zum Teufel sollte er mit seinem Leben anfangen?
Sein Blick fiel auf die Krücken. Vielleicht gab es eine Chance, sie loszuwerden.
»Bist du noch dran?«, hörte er Wolfgang.
»Ja. Besorg mir eine gute Physiotherapeutin.«
Sekundenlang Stille. Schließlich ertönte Wolfgang zögernd: »Du willst in einer Hütte …?«
»Im Haupthaus gibt es ein Schwimmbad und einen Trainingsraum. Das sollte genügen. Wenn du was für mich tun möchtest, dann besorg eine Therapeutin. Möglichst eine gute.«
»In so kurzer Zeit? Die meisten Physiotherapeuten haben eine Anstellung, da werden sie nicht so leicht wegkönnen.«
»Du enttäuschst mich, Wolfgang. Es war schließlich deine Idee!«
»Ja, eine Pflegerin, die dich betreut.«
»Verdammt, ich brauche keine Betreuung. Wenn, dann eine qualifizierte Person, die wenigstens so tut, als könne sie mich wieder auf die Beine bringen. Wozu habe ich einen Bruder, der Oberarzt ist?«
Damit legte er auf. Der Ball lag in Wolfgangs Spielfeld. Wenn der glaubte, er käme nicht allein zurecht, musste er ihm eine geeignete Fachkraft schicken.
Beiß dir ruhig die Zähne dran aus, lieber Bruder. In dieser kurzen Zeit war bestimmt niemand zu finden.
Er atmete auf.
Allerdings löste das sein Problem nicht: Was sollte aus ihm werden? Vielleicht kam ihm in der Einsamkeit die Erleuchtung. Denn das war es, was er wollte: allein sein. Im unwahrscheinlichen Fall, dass Wolfgang irgendeine Person auftriebe, musste er sie rasch wieder loswerden.
Charly hielt den Kopf gesenkt. Ihre Beine waren schwer wie Blei. Der Kloß in ihrem Magen wuchs, je näher sie der Physiotherapie-Abteilung kam. Während der letzten Monate war ihre Arbeit kein Honiglecken gewesen, ihre Chefin hatte ihr die unangenehmsten Patienten zugeschanzt. Das hätte ihr nichts ausgemacht, denn sie war unkompliziert und fand fast zu jedem Zugang. Menschen nach Unfällen, deren Bewegungsfähigkeit eingeschränkt war, hatten nun mal selten gute Laune. Mehr zu kämpfen hatte sie damit, dass sich seit dem Tag, als Adrian mit ihr Schluss gemacht hatte, auch sämtliche Kolleginnen von ihr abgewandt hatten. Lea Gruber ausgenommen. Aber ihre rothaarige Freundin, die bereits am Morgen gute Laune verbreitete, hatte vor einer Woche ein Baby bekommen und arbeitete nicht mehr in der Klinik.
Charly betrat den Aufenthaltsraum, ihr erster Weg führte zu ihrem Spind, um sich umzuziehen. Zwei ihrer Kolleginnen tranken Kaffee, sie erwiderten ihren Morgengruß nicht und begannen gleich zu tuscheln.
Die Schnur um ihren Hals zog sich enger. An diesem Tag traf sie das Mobbing besonders, denn es war der erste Arbeitstag nach Omas Beerdigung. Ihre geliebte Omi war endgültig weg, auch wenn ihr Geist schon länger nicht mehr bei ihr gewesen war. Es tat trotzdem so unendlich weh.
»Du hast um vierzehn Uhr einen Termin bei Oberarzt Leander.« Ilona, ihre Chefin, flocht ihren Zopf neu, überhaupt beschäftigte sie sich immer und überall mit ihren blondgefärbten Haaren.
Charly sollte zum obersten Boss? Der hatte sie doch meist ignoriert, solange sie mit Adrian zusammen gewesen war.
Adrian. Auch das schmerzte immer noch, obwohl es eigentlich nach einem knappen halben Jahr milder sein müsste. Ihn zusammen mit seiner neuen Flamme zu sehen, Doktor Claudia Schöffmann, der Tochter des Chefarztes, verursachte ihr Magendrücken. Sie sah die beiden täglich, da sie im selben Krankenhaus arbeiteten. Von Anfang an hatte die junge Ärztin ihr Interesse an Adrian dermaßen offen gezeigt, dass es niemandem hatte entgehen können. Wie schnell Adrian schwach geworden war. Keine vier Wochen hatte es gedauert, bis er Charly klargemacht hatte, seine ›Gefühle wären verschwunden‹. Einfach so. Claudia hatte bereits Umzugskisten in Adrians Wohnung deponiert, bevor Charly ihre Sachen hatte packen können. Beim Essen in der Kantine tuschelten die Frischverliebten, dass ihr jeder Bissen im Hals stecken blieb. Die Teambesprechungen verliefen nie, ohne dass Claudia spitze Bemerkungen in ihre Richtung fallen ließ, das kam einer Folter gleich.
Was konnte Doktor Wolfgang Leander von ihr wollen? In ihr vibrierte etwas. Oberarzt Leander war seit einem Jahr der Interims-Chef des Krankenhauses. Professor Schöffmann ließ sich nach einem schweren Herzinfarkt nur mehr selten in seiner Klinik blicken. Alle gingen davon aus, dass Oberarzt Leander bald die echte Leitung übernehmen wollte, es fehlte nur noch seine Ernennung zum Professor.
Sie und Leander waren von Anfang an nie gut ausgekommen. Er mochte sie nicht und machte keinen Hehl daraus.
»Ich hoffe, du brauchst nicht zu lange, wir haben jede Menge Arbeit!« Ilona riss sie aus ihren Gedanken. »Du warst schließlich zwei Tage nicht da.«
Hallo? Sie hatte ihre Oma beerdigt! Da wäre ein bisschen Mitgefühl nicht verkehrt.
Der Kloß im Hals wuchs zum Golfball und die Schnur rundum zog sich zu. Sie schluckte mehrmals, atmete durch und ballte die Fäuste.
Nicht provozieren lassen.
Charly griff nach dem Arbeitsplan für heute. Natürlich wieder ausgefüllt, sie würde kaum eine freie Minute haben. Seit Adrian ihr einen Fußtritt der derbsten Art verpasst hatte, war das Klima rund um sie immer schlechter geworden. Sie wusste natürlich, dass Adrians neue Flamme seine Ex aus der Klinik ekeln wollte. Die Exfreundin unter demselben Dach, das ging nicht.
Charly hätte lieber heute als morgen gekündigt. Aber wo fand sie einen Job, der so gut bezahlt war wie hier? Allerdings musste sie künftig nicht mehr die Pflegekosten für ihre Oma mittragen, nur die Bestattung hatte zusätzlich ein tiefes Loch in ihre Ersparnisse gerissen. Ihre Oma sollte eine würdige Beerdigung erhalten und nicht einfach so verscharrt werden.
Vor der Tür musste die junge Physiotherapeutin ein paar Minuten warten. Nichts anderes hatte Charly erwartet. Oberarzt Leander war eine vielbeschäftigte Kapazität. Als Unfallchirurg und Orthopäde unschlagbar, als Mensch ein Ekel. Zumindest ihr gegenüber. Sie sah auf die Uhr. Vermutlich musste sie heute wieder Überstunden machen.
Endlich wurde sie ins Allerheiligste gebeten. Eigentlich war es nur ein einfacher Büroraum mit hellen Möbeln. Der Oberarzt kam um den Schreibtisch herum, strich kurz über seinen gepflegten Vollbart und baute sich vor ihr auf.
»Frau Wagner, danke, dass Sie kommen konnten. Bitte, setzen Sie sich.« Die Worte waren freundlich, im Gegensatz zu seiner gefrosteten Stimme. Mit einer schroffen Handbewegung wies er auf die Polstergarnitur im Eck. Hoffentlich machte er es kurz, dachte sie.
Kündigung.
»Sie waren die letzten beiden Tage abwesend.« Womöglich sank sein Tonfall noch mehr ab. In Minusgrade.
»Darf ich nicht mal frei haben?« Es ging ihn überhaupt nichts an, dass ihre Großmutter gestorben war. Von ihm war ohnehin kein Mitleid zu erwarten. In seiner Miene herrschte der üblicherweise missbilligende Blick, den er stets für sie reserviert zu haben schien. Zu ihren Kolleginnen war er wesentlich netter.
»Ich habe mich bloß gewundert, weil es mitten unter der Woche ist und Ihre Patienten von anderen übernommen werden mussten.«
Sie setzte sich und verflocht ihre Finger. Hoffentlich kam er endlich zur Sache.
Das tat er nicht. Mit Schwung ließ er sich ihr gegenüber nieder und sah sie mit gerunzelter Stirn an.
»Waren Sie krank? Frau Röck erwähnte nichts dergleichen.«
Sie atmete durch.
»Meine Großmutter ist gestorben.« Charlys Stimme kratzte.
Seine Augen weiteten sich. Er hatte es anscheinend nicht gewusst.
»Mein herzliches Beileid.« Es klang überraschend aufrichtig.
Nur nicht weinen, weil er einmal nett zu ihr war. Aber er war tatsächlich der Allererste hier im Krankenhaus, der kondolierte.
Im Prinzip war Wolfgang Leander ein attraktiver Mann, großgewachsen, dunkelblonde Haare und angenehme Gesichtszüge, soweit man das trotz Bart erkennen konnte. Und er war ein ausgezeichneter Arzt.
»Frau Wagner, ich habe Sie heute hierhergebeten, weil ich denke, dass Sie sich bei uns nicht mehr wohlfühlen.«
Die Untertreibung des Jahrhunderts! Natürlich wusste sie, worauf es hinauslief.
Warum also nicht gleich abkürzen? Sie erhob sich. »Ich habe keine Ahnung, weswegen Sie selbst mit mir reden. Warum überlassen Sie nicht einfach dem Personalbüro meine Kündigung?«
»Setzen Sie sich hin.« Er klang nun dermaßen scharf, dass sie sich erschrocken zurückfallen ließ.
»Ihre Kolleginnen mobben Sie und bürden Ihnen die meiste Arbeit auf.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich wäre ein schlechter Chef, wenn mir solche Details entgingen, nicht wahr? Ich bin beeindruckt, welche Fortschritte Frau Mühlenbeck gemacht hat.«
Er hatte das bemerkt? Frau Mühlenbeck war nach einem schweren Autounfall nur knapp der Querschnittslähmung entkommen.
»Jetzt machen Sie mal den Mund wieder zu. Sie konnten die Patientin motivieren und das war Gold wert.« Er sah ihr in die Augen. »Es tut mir leid, wie alles gekommen ist.«
Galle stieg in ihr hoch. Was hatte sie schon zu verlieren?
»Das glaube ich Ihnen nicht«, entfuhr es ihr mit kippender Stimme. »Sie konnten mich noch nie leiden. Es muss Sie richtig freuen, wie das alles für mich den Bach runtergeht.«
Der Arzt fuhr sich durch die Haare. »Tatsächlich finde ich Schadenfreude als reine Energieverschwendung. Und ja, ich denke, dass Sie und Doktor Remscheidt nicht wirklich zusammengepasst haben.«
Die Rührseligkeit verschwand in ihr und machte Wut Platz.
»Das habe ich sehr wohl registriert, ein paar Gehirnzellen funktionieren noch.« Was zum Teufel wollte er von ihr? Die letzten Tage hatte sie stark sein müssen, hatte funktioniert und das Begräbnis organisiert. Aber nun spürte Charly, dass sie am Ende ihrer Kräfte war. Bitte nicht weinen, nicht vor ihm, daher senkte sie den Kopf. Plötzlich war da ein Papiertaschentuch in ihrer Hand.
»Es ist alles gut, Charlotte. Sie waren lange genug stark, lassen Sie es raus.« Seine Stimme klang überraschend mild.
Da flossen die verfluchten Tränen und gefühlte Ewigkeiten sah sie nichts mehr.
Schließlich wurde der Raum um sie wieder präsent.
Was hatte sie getan? Dem Chef eine Heul-Arie geboten? Sie putzte sich die Nase.
»Es tut mir leid.« Scham überschwemmte sie.
Doktor Leander saß nicht mehr bei ihr, sondern stand in der Ecke des Raums und goss ein Glas Orangensaft ein. Mit langen Schritten kam er zurück und drückte es Charly in die Hand.
»Trinken Sie, dann geht es Ihnen gleich besser. Und bitte entschuldigen Sie sich nicht.«
Er hatte recht. Ein paar Schlucke, danach fühlte sie sich wohler.
»So, jetzt setzen wir uns wieder hin.«
»Herr Oberarzt, ich weiß schon, worauf das hinausläuft. Sie möchten, dass ich kündige.« Besser sie beendete das hier rasch, sie musste einen entsetzlichen Anblick bieten. Verheult, mit roten Augen und fleckigen Wangen.
»Wäre das so schlimm? Seien Sie ehrlich, was hält Sie hier noch? Sie sehen tagtäglich Ihren Ex mit seiner Neuen herumturteln, Ihre Kolleginnen mobben Sie und Sie werden mit Arbeit eingedeckt, dass Sie kaum zum Schnaufen kommen. Warum haben Sie nicht schon längst aufgegeben? Hoffen Sie, dass Adrian zu Ihnen zurückkommt? Er ist jetzt mit der Tochter des Chefarztes zusammen, da wird er nicht zu einer kleinen Physiotherapeutin zurückkehren.«
Er war einfach ein Fiesling. Was hatte sie erwartet? Charly wollte sich erheben, doch er griff nach ihrer Schulter und drückte sie zurück.
»Hören Sie mir bitte zu.«
Sie atmete durch. Offenbar nahmen die Demütigungen kein Ende.
»Sie brauchen Tapetenwechsel. Und ich brauche Sie.«
Jetzt horchte sie auf.
»Wie bitte?« Er wollte ihr doch kein unzüchtiges Angebot machen?
Er stand auf und trat ans Fenster, mit dem Rücken zu ihr sprach er weiter.
»Was ich Ihnen nun erzählen werde, muss vertraulich bleiben, auch wenn Sie mein Angebot nicht annehmen sollten.«
Was konnte er von ihr wollen? Eine Gänsehaut überzog sie.
»Frau Wagner, können Sie das, was ich Ihnen jetzt erzähle, für sich behalten oder nicht?«
»N… natürlich.«
»Gut. Es geht um meinen Bruder Marc.«
»Marc Leander? Den Skirennläufer?« In allen Medien war von dem furchtbaren Unfall im letzten Jahr berichtet worden, der dem Ski-Ass Marc Leander seine Karriere gekostet hatte. Er hatte schwere Verletzungen davongetragen. Den Weltcup hatte er bereits vorher gewonnen. Die begehrte Trophäe überreichte man ihm damals im Krankenhaus. Auf dem Foto posierte seine strahlende Verlobte, das Modepüppchen Madeleine Leitner.
»Ebendiesen.«
»Ich hatte keine Ahnung, dass er Ihr Bruder ist.«
Der Oberarzt verzog die Mundwinkel. »Warum auch? Er hat es vorgezogen, sich in der Schweiz behandeln zu lassen, statt in unserer Klinik.«
»Und wie geht es ihm jetzt?«
»Das weiß ich leider nicht genau.« Sein Lächeln fiel ein wenig schief aus. »Unser Verhältnis ist nicht das Beste. Laut unseren Eltern hat er die Therapien abgebrochen. Als ich ihn anrief, teilte er mir mit, er hätte sich eine Hütte in den Bergen gemietet, wo er ein paar Wochen bleiben möchte. Marc will allein weitermachen, eine Schnapsidee, wenn Sie mich fragen.«
In Charlys Kopf wirbelten die Gedanken. Was hatte sie jetzt damit zu tun?
»Frau Wagner, Sie sind Physiotherapeutin. Eine der besten, die wir hier haben.«
Hallo? Das wusste sie ja gar nicht. Dennoch. Wer würde bei diesem Kompliment nicht dahinschmelzen? Nachdem ihre Arbeit seit einem halben Jahr so gar nicht mehr gewürdigt worden war, flossen die wenigen Worte wie Honig ihre Kehle hinab. Leander hatte sie noch nie gelobt.
»Ich konnte meinen Bruder überzeugen, dass er ohne eine Therapeutin nicht weiterkommt. Er darf seine Therapie nicht abbrechen. Wenn er schon glaubt, in die Berge ziehen zu müssen, dann benötigt er Unterstützung.«
»Was sagen die Ärzte? Wird er wieder Skifahren können?«
Oberarzt Leander schüttelte den Kopf. »An Rennen ist nicht mehr zu denken und das trifft ihn schwer. Er war so gut in Form im letzten Jahr.«
»Ich weiß nur, dass beide Beine gebrochen waren. Es stand schon lange nichts mehr in den Medien über seine Rekonvaleszenz. Seine Verlobte erwähnt ihn nie in ihrem Blog.«
Ihre Freundin Lea war ein großer Fan von Marc Leander, hatte den Blog verfolgt und ihr ab und zu etwas gezeigt.
»Mittlerweile ist sie seine Ex-Verlobte.«
Davon hatte Charly nichts gewusst. Nicht dass sie das Privatleben irgendwelcher Skifahrer interessiert hätte, doch Marc Leander war schon eine Legende für sich. Charly erinnerte sich an seine zahlreichen Siege.
Und auch als Mann war er der Hammer. Allerdings unerreichbar, wie Ryan Gosling oder Channing Tatum.
»Marc empfängt schon lange keine Medien mehr.