Zwölf gute Taten - Carolin Schairer - E-Book + Hörbuch

Zwölf gute Taten E-Book und Hörbuch

Carolin Schairer

5,0

Der Titel, der als Synchrobook® erhältlich ist, ermöglicht es Ihnen, jederzeit zwischen den Formaten E-Book und Hörbuch zu wechseln.
Beschreibung

Hanna ist eine aufstrebende Wiener Anwältin mit großen Karriereplänen. Dass sie, um nach oben zu kommen, auch mal nach unten treten muss, nimmt sie billigend in Kauf. Als ihr bester Freund ihr vorwirft, sie sei deshalb ein schlechter Mensch, kommt es zu einer fatalen Wette: In zwölf selbstlosen Taten soll Hanna beweisen, dass sie ein gutes Herz hat. Da kommt ihre unbeholfene Lieblingskellnerin Josy gerade recht. Hanna rettet Josy vor deren cholerischen Chef, zeigt ihr, wie frau sich kleidet und entführt sie zu außergewöhnlichen Ausflügen. Doch was Hanna nicht einkalkuliert hat, sind die prickelnden Gefühle, die die junge Kellnerin in ihr auslöst. Und spätestens als Hanna dringend Josys Hilfe benötigt, wünschte sie, es hätte diese Wette nie gegeben …

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS

Zeit:9 Std. 25 min

Sprecher:Johanna Bernhardt
Bewertungen
5,0 (1 Bewertung)
1
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Carolin Schairer

ZWÖLF

GUTE TATEN

Roman

HELMER

 

ISBN (eBook) 978-3-89741-907-0

ISBN (Print) 978-3-89741-479-2

© 2024 eBook nach der Originalausgabe

© 2024 Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach a. Taunus

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung unter Verwendung eines Fotos von © Kneschke / Adobe Stock

 

Ulrike Helmer Verlag

Klosterhofstr. 3, 65843 Sulzbach a. Taunus

E-Mail: [email protected]

www.ulrike-helmer-verlag.de

 

Ein schlechter Mensch

»… unddannhatermichgegendenTürrahmengedrücktundsichanmirgerieben. Ichkonntespüren, dasser … dasser …« DieStimmederblassen, magerenFraubrach. SieschluchzteundverbargdasGesichtkurzinihrenknochigenHänden, ehesiedenSatzvollendete: »… dassermichwollte.«

Hanna, die bisher schweigend, aber hochkonzentriert neben ihrem Mandanten gesessen hatte, sah kurz von ihren Notizen auf.

WasfüreineeigenartigeAusdrucksweise, gingesihrdurchdenKopf. WarumkonntenmancheMenschenbeimThemaSexualitätnichteinfachKlartextreden? WashieltdieFraudavonab, zusagen, dasssieseinsteifesGliedspürenkonnte?

DieFrauweintejetztleise. IhreeigeneSchilderungdesVorfalls, derandiesemTagvordemWienerLandesgerichtverhandeltwurde, nahmsieaugenscheinlichmit.

»Bitte … FrauMarić …«

Hartmann, derihralsPflichtverteidigerzurSeitegestelltwordenwar, reichteihreinTaschentuch. Sichtlichdankbarnahmsieesentgegen.

HannakanntedenälterenKollegenauseinerfrüherenVerhandlung. DamalshatteereinenTankwartverteidigt, dersichmehrfachausderKasseseinesArbeitgebersbedienthatteundmittelsÜberwachungskameraüberführtwurde. SelbstderbesteAnwalthätteeinenSchuldspruchnichtverhindernkönnen. DassereineGefängnisstrafebekamanstattBewährung, führteHannajedochaufdieUnfähigkeitdesVerteidigerszurück. ­Benno ­HartmannwareinWeichei. ZudieserSchlussfolgerungwar ­Hannaschongekommen, nochehesieihnvorGerichterlebthatte. WaswarvoneinemJuristen, dermitüberfünfzignochimmeralsx-tesRadimGetriebeeinerdurchschnittlichenWienerGroßkanzleitätigwar, auchzuerwarten?

Hannawarerstzweiunddreißig. InHartmannsAlterwürdesiePartnerineinerrenommiertenKanzleisein, dessenwarsiesichsicher.

»Bitte, FrauMarić, erzählenSieuns, wasdannpassiertist.«

JankaMarić, dasvermeintlicheOpfer, hattesichinzwischengeschnäuztundihreEmotioneneinigermaßenunterKontrollegebracht. SieließdasbenutzteTaschentuchineinerTascheihresschwarz-weißkariertenBlazersverschwinden, dermitseinenwuchtigenSchulterpolsternvielleichtderletzteSchreiindenAchtzigerjahrengewesenseinmochte. AußerdemwarerderschmalenFrauvielzugroß. FürHannawarklar, dasssieihnex­trafürdieVerhandlungausgeliehenhatte. VermutlichhatteHartmannihrempfohlen, vorGerichtformellgekleidetzuerscheinen.

»Ichhabegesagt: ›Nein. Nein, nein!‹ – DocherhatmiteinerHandanmeinenBusengegriffenundmitderanderenzwischenmeineBeine … underhatgesagt, ichsollemichnichtsoanstellen … eswürdemirsichergefallen.« Sieschlucktesichtbar. IhreAugen, unterdenendeutlicheSchattenlagen, fülltensicherneutmitTränen. DerMannimAnzug, dernebenHannasaß, schnaubteleise.

Hannabedachteihnmiteinemkurzen, strengenSeitenblick. StefanWerder, seinesZeichensaufstrebenderRegionalleitereinerSupermarktkette,tätegutdaran, sichmöglichstneutralzuverhalten.

»ErhatteseineHandschonanmeinemSlip … dannwardraußeneinGeräusch … underhatmichlosgelassen. IchbinausdemBürogerannt.«

JankaMarićberichteteweiter, dasssiezunächstüberdenVorfallgeschwiegenhabeunderstTagespäterdenWegzumBetriebsratfand, derihrdannzueinerAnzeigeriet.

StefanWerderstrittallesab. SeinenWortenzufolgehatteerMarićmiteinerZigaretteinderHandimBüroerwischtundsielediglichhöflichdaraufhingewiesen – mitrundeineinhalbMeternAbstand –, dassRauchennurdraußenimHofgestattetsei. DaraufhinhabesiedieZigarettegelöschtundfluchtartigdenRaumverlassen.

EsgabkeineZeugen. AussagestandgegenAussage. DasGerichtwürdenundarüberentscheiden, wasindemBüroderFilialeinderKaiserstraßewirklichvorgefallenwar.

Als Hanna an der Reihe war, die Zeugin zu befragen, erhob sie sich, trat nach vorne und ließ ihren Blick auf der Frau ruhen.

JankaMarićsahgutzehnJahreälteraus, alsihrReisepassbehauptete. IhrschmalesGesichtzeigteeinenverhärmtenZug. DassderTeintdieserFraumitsüdosteuropäischenWurzelnfastnochblasserwaralsihreigener, überraschtesie. AlsRothaarigewardieSonnenichtunbedingtihrebesteFreundin.

Die Supermarktangestellte hatte sich für ihren großen Auftritt vor Gericht geschminkt. Der schlampig gezogene Lidstrich verriet, dass sie nicht regelmäßig zum Make-up griff. Zudem hatten die Tränen Spuren hinterlassen: Dunkler Mascara schlierte über ihre Wangenknochen bis zum Kinn. Das Haar fiel ihr glanzlos über die Schultern. Der dunkle Ansatz stand im krassen Kontrast zu den blonden Haarspitzen. Einzelne graue Strähnen blitzten dazwischen auf.

JankaMarićsMundwinkelzucktennervös. SiefalteteihreHändeineinanderundsenktedenBlick. Hannakonntespüren, wieunwohlsichdieFrauangesichtsdieserungeniertenMusterungfühlte.

DerRichter, einbärtigerMannumdiesechzig, räuspertesichgeräuschvoll. HannaverstanddenWink. JankaMarićhingegenhobruckartigdenKopf, alsgeltediesubtileUnmutsäußerungihr.

»FrauMarić.« HannasStimmehattediesenwarmen, herzlichenTon, densieinihrerWohnungsooftgeübthatte. »FrauMarić, wiealtsindSiegleichwieder?«

DieFraublinzelteverwirrt.

»Einspruch«, kamesvonHartmann. »DieAngabenzurPersonwurdenbereitsamAnfanggemacht!«

»Einspruchabgelehnt«, sagtederRichter. »BeantwortenSiedieFrage.«

HannaschickteHartmanneinkurzes, triumphierendesLächelnhinüber, währendMarićantwortete: »Siebenunddreißig.«

»UndSiehabendreiKinder, nichtwahr?«

»Ja, ich –«

»Einspruch«, kameserneutvonHartmann. »Wirmüssendasdochnichtnochmalsallesdurchkauen, nurweildieKolleginErlacherneuerdingsunterjuvenilemAlzheimerleidet!«

Hannadrehtesichzuihmum. »DoktorErlacher, wennichbittendarf«, korrigiertesieihnmiteinemprovokantenLächeln.

»FrauDoktorErlacher, würdenSiebittezurSachekommen«, sagtederRichter.

»Gerne.« HannawandtesichwiederderFrauzu. »Also, FrauMarić. Siesindsiebenunddreißig, verheiratet, habendreiKinder; dasjüngsteistzweiJahrealt. SchläftihreKleineschondurch?«

JankaMarićschautezuerstsieverdutztan, dannihrenAnwalt. HartmannjedochgriffsichnurandieStirn. DerRichterseufztefastunhörbar.

»Nein, nichtimmer«, beantwortetedieSupermarktangestelltedieFrage, aufdiesiesichganzoffensichtlichkeinenReimmachenkonnte.

»UndwasmachenSie, wennIhreKleinenachtsweintundnichtmehreinschlafenwill?«

»Nun …« Marić zögerte, schien zu überlegen, was ihr an dieser Frage zum Verhängnis werden könnte. »Ich stehe auf, versuche sie zu beruhigen und lege mich zu ihr. Das klappt meistens.«

»Also, wennSiebeiihrliegen, schläftsiedurch?«

»Ja.«

»UndIhrMann? StehterauchmanchmalaufundkümmertsichumdasKind?«

WiedersuchteJankaMarićdenBlickihresAnwalts. HartmannhobhilflosdieSchultern.

»Er arbeitet Schicht«, erklärtedieFraudann. »ErhatdeshalbProblememitdemSchlafen. ErnimmtmeistenseineSchlaftabletteundOhropax. Daherstehefastimmerichauf.«

DiesmalverkniffsichHannaihrLächeln. Sehrgut. MitdieserodereinerähnlichenAntworthattesiegerechnet.

»KommenwirzurückzudemTag, andemHerrWerderSieangeblichbelästigthat«, fuhrsiefort. »SiesaßenalsoimBüroundhabengeraucht. WarumimBüro, woesdochverbotenist?«

»Eshatdraußengeregnet. Ichwarallein. Ich … ichhabemirnichtsdabeigedachtundhättedanachgelüftet.«

»AberdannkamHerrWerderundhatSiegebeten, dieZigaretteauszumachen.«

»Ja … nein … also, erhatersteinenScherzgemacht … so inderArt, dassRauchenFreiheitbedeutetundichmirwohlvieleFreiheitennehme.«

DashatteStefanWerderihrverschwiegen. Mistkerl.

»UndwashabenSiegeantwortet?« DurchdieneueInformationwürdesiesichnichtausdemKonzeptbringenlassen.

»Ich … ichhabedieZigaretteausgemachtundmichentschuldigt.«

»SiesindnichtaufseinenScherzeingegangen?«

»Nein. Ichfandnichtlustig, wasersagte. EskammirvorwieeineAnspielung.«

»EineAnspielung? Worauf?«

»Nun … auf …« JankaMarićfalteteihreHändesoheftigineinander, dassdieFingerknöchelweißhervortraten. »Ich … ichmagdieseZweideutigkeitennicht. Ichgehedaraufbessernichtein; eswarmirschonimmerunangenehm.«

»HabenSieschonhäufigergegenRegelnverstoßen? WurdenSieschoneinmalvonHerrnWerderermahnt?«

HannaspürtediewachsendeNervositätderFrau.

»Nein … ich … ersagteinfachöftersolcheSachen.«

»WelcheSachen, FrauMarić?«

»Naja … Zweideutigkeiten. Anspielungen.«

»Konkretwas, beispielsweise?«

Hannawusste, dasssiesichaufdünnemEisbewegte. StefanWerdersangespannteMienebestätigte, wiefragildieEisschichtwar. TrotzdemhieltsieanihrerStrategiefest.

»EswarenalltäglicheBemerkungen … ZumeinerKolleginhatermalgesagt, siesehesoentspanntaus. Erhatgefragt, obesandervergangenenNachtliegt. ObjemandihreBlockadengelösthätte. Erhatgesagt, dasserdasauchgerntunwürde … ihreBlockadenlösen.«

»WarenSiedabei, alserdasgesagthat?«

»Nein … Siehatesmirerzählt, aber –«

»InanderenWorten: EshandeltsichumeineBehauptung. UndwirredenheuteüberSie, FrauMarić, nichtüberIhreKollegin.«

DieSchulternderFrausacktenleichtnachvorne, so, alshätteHannaihreinenStoßversetzt.

»HerrWerderhatsiealsozurRedegestellt, SiehabendieZigaretteausgemacht, sichentschuldigt – unddann?«

»Ichbinaufgestandenundwollteanihmvorbeigehen. Abererhatmichgepackt, andenTürrahmengedrücktundmichbegrabscht.«

»SiewarenschonanderTür?«

»Ja, ichhattedieKlinkefastinderHand.«

»DieTürwaralsozu?«

»Äh … ja.«

»Nurzuoderverschlossen?«

»Zu?« Marićsahsieverwirrtan. »Warumhättejemandabschließensollen?«

»Ja, warum?« HannaerwidertedenBlickmiteinemgespieltenMaßderselbenVerwirrung. »EsgababsolutkeinenGrundfürHerrnWerder, hintersichabzuschließen. ErwolltelautseinerAussagenureinenKaffeevomAutomatenholen.«

JankaMarićsahsieratlosan.

»WasbefindetsichhinterdieserTür, FrauMarić?«

»DerLagerraum.«

»Ganzgenau.« HannaholtesichihreNotizenundtatso, alsmüsstesienacheinerInformationsuchen, diesieinWahrheitlängstinsichabgespeicherthatte. »ImPolizeiprotokollistvermerkt, dassandiesemNachmittagzweiIhrerKollegenimLagergearbeitethaben. – WenndieTürnichtabgeschlossenwar, wa­rumhabenSienichteinfachdieKlinkenachuntengedrücktundumHilfegerufen?«

JankaMarićschnapptenachLuft.

»Einspruch, EuerEhren«, protestierteHartmann. »Dasistunerheblich!«

»Einspruchabgelehnt«, sagtederRichter, denHannaallmählichliebgewann. VielleichtwürdeernocheinechterFanvonihrwerden.

»Ichkonntemichnichtbewegen.« DieStimmederFrauzitterte. SchweißperlenbildetensichaufihrerStirn.

»Siekonntensichnichtbewegen?« HannarunzeltedieStirn. DannblättertesieinihrenNotizen. »Moment. Siebehaupteteneben, HerrWerderhabeIhnenmitdereinenHandandenBusengefasst, mitderanderenanIhrenSlip. ErhattekeineMöglichkeit, zusätzlichIhreHändezufixieren. SiestandenalsoimTürrahmen, dieTürwarunverschlossenundSiehabendieKlinkenichtnachuntendrückenundIhreKollegenumHilfebittenkönnen?«

»Nein … ich konnte nicht … ich … konnte nicht …« Die Frau schluchzte auf.

»Danke. KeineweiterenFragen.«

HannaspürtedenerstauntenBlickdesRichtersinihremRücken, alssiesichzurückanihrenPlatzanderSeitedesAngeklagtenbegab.

DasSchlussplädoyerdesStaatsanwaltsklangsogarinHannasOhrenlahm. Anscheinendwarerselbstnichtmehrganz ­überzeugtdavon, inStefanWerdereinenpotenziellenSexualstraftätervorsichzuhaben.

HannadagegentrugihreZusammenfassungmitsiegessicheremElanvor.

»HohesGericht, verehrterHerrStaatsanwalt. MitStefanWerderhabenwireinengerademalsiebenundzwanzigjährigenMannvoruns, dernachseinemmitAuszeichnungbestandenemWirtschaftsstudiumeinesteileKarriereinderLebensmittelbranchehingelegthat. VonseinenVorgesetztenwurdeerstetsgelobtundvordreiMonatenbekamersogareineinnerbetrieblicheAuszeichnungfürbesonderessozialesEngagementverliehen. StefanWerderwurdeeinesVergehensbeschuldigt, dasernichtbegangenhat, unddiesnur, weildieAnklägerin – eineübermüdete, sexuellvernachlässigte, siebenunddreißigjährigeMutterdreierKinder …« Hartmannschnaubteempört. DurchdieZuschauerreihen, dieandiesemVormittagerwartungsgemäßnurspärlichgefülltwaren, gingeinRaunen. Hannafuhrunverdrossenfort: »… vonihremeigenenFehlverhalten – dasRauchenimSozialraum – ablenkenundsichanihremVorgesetztenfürdieZurechtweisungrächenwill. MeinMandantistunschuldigunddaherfreizusprechen.«

NureineViertelstundespäterverließenalleParteiendenGerichtssaal.

Hannawarzufrieden. Ein weiterer gewonnenerFall. Riedherr, Lutz & Kofranek,dieKanzlei, fürdiesieseitdreiJahrentätigwar, würdebegeistertsein.

AusdemAugenwinkelnahmsiewahr, dassdiejetztbitterlichweinendeSupermarktangestelltevoneinerderFrauen, diesichunterdenZuschauernbefundenhatte, indieArmegeschlossenwurde. Hartmannwirkte, alshätteirgendwereinenKübelmiteiskaltemWasserüberihngekippt.

»EinganzherzlichesDankeschön«, sagteStefanWerderundschüttelteihrdieHand. »Ichbinfroh, dassdieSachevomTischist. WiedarfichmichbeiIhnenrevanchieren?«

»IndemSiedasHonorarpünktlichüberweisen.«

Werderlachtetrocken.

»Nichtnurbildschönundeloquent, sondernauchhumorvoll. – IchdachteeheraneingemeinsamesAbendessenodereinGlasWeinnachFeierabend«, sagtederMann, derihrschonbeidererstenBesprechungFotosseinerangeblichenVerlobtenunterdieNasegehaltenhatte.

Hannalächelteunverbindlich. »Danke, aber: nein, danke. Nach18Uhresseichnichtsmehr, undderCodexmeinerKanzleiuntersagtprivateTreffenmitKlienten.«

Werderkonntenichtsmehrdarauferwidern, dennindiesemAugenblickschosseineFrauaufHannazu. Hannaerkannteinihrdiejenige, dieJankaMarićzuvorindieArmegeschlossenhatte.

»SiesindeinschlechterMensch!«, schmettertesieihrmithartemosteuropäischenAkzententgegen. »SchämenSiesich! UnddenkenSieanmeineWorte: AuchSiewerdenIhreStrafebekommen!«

DamitdrehtesiesichumundließHanna, dieimerstenMomentzuverdutztwar, umzureagieren, einfachstehen.

StefanWerderlachte. »DummeWeiber. AnstattdankbarzuseinfüreinbisschenZuwendungvoneinemHighperformerwiemir, zickensierumundversuchen, auseinerBagatelleKapitalzuschlagen.«

Hannaverabschiedetesichzügig. SiehatteplötzlichdasBedürfnis, sovielDistanzwiemöglichzwischensichunddiesenMannzubringen.

*

DasGin & MorewarwiejedenDienstagabendgutbesucht. HannakanntevielederAnwesendenzumindestvomSehen. Das ­LokallagineinerkleinenGassezwischenMusikvereinundRing­straßeundwarseitseinerEröffnunginoffiziellerTreffpunktderWienerJuristen. HiertrafensichRechtsanwälte, StaatsanwälteundRichteraufeinFeierabendgläschen; RechtsanwaltsanwärterundgutbetuchteJus-StudententanztenzufortgeschrittenerStundeimhinterenBereichdesLokals. TagsüberlocktedasRestaurantmitraffinierter, aberschnellerKüche. DaRiedherr, Lutz & KofranekquasiumsEcklag, warHannahierStammgast.

DasGlasMerlotvorihrhattesiebislangkaumangerührt.

»IchbinkeinschlechterMensch, Ronny! IchhabenurmeinenJobgemacht, oder?« NochimmerwarsieempörtüberdieWortederFrauamVortag.

Der Mann auf dem Barhocker neben ihr, drehte sein bauchiges Glas in der Hand und betrachtete den Wein, der die Wände benetzte und langsam wieder in die Mitte des Kelchs zurückfloss. Ronald Germerten-Gingen war zwei Jahre älter als Hanna, Abkömmling eines österreichischen Adelsgeschlechts und ebenfalls Jurist. Er war mit seinen ein Meter neunzig gut dreißig Zentimeter größer als sie, athletisch gebaut und stets gut gekleidet. Sie kannten sich seit dem Kindergarten. Ihre Familien waren nicht nur befreundet, sondern lebten in direkter Nachbarschaft zueinander – im sogenannten Cottage Viertel, einer Villengegend im 18. Bezirk. Beide hatten sie am Theresianum, eine der Eliteschulen Wiens, maturiert. Ihre anfänglich lose Freundschaft hatte sich gefestigt, als sie schließlich tun mussten, was von allen Kindern alteingesessener Wiener Familien erwartet wurde: mit rund einhundertvierzig anderen jungen Paaren den Wiener Opernball eröffnen.

Hannawardamalsgeradeachtzehngewesen, hatteaberlängstgewusst, dasssiesichfürzweiDingeniemalsimLebenbegeisternwürde: fürWienerWalzerundfürMänner. Gleichzeitigwusstesie, dasssieeinTeilderGesellschaftbleibenwollte, indiesiehineingeborenwordenwar, weshalbsiebeidesfürsichbehielt. Ronny, zudiesemZeitpunktSingleundanähnlicheWertvorstellungengebunden, kamdageraderecht. NochheutebetrachtetesiegerndieFotos, diesieimschneeweißenKleidundmitkunstvollhochgestecktemHaarnebendiesemüberausgutaussehenden, dunkelhaarigenMannmitmediterranemEinschlagzeigten.

RonnyhattesiealstreuerFreundundRatgeberdurchdasJurastudiumundzusämtlichengesellschaftlichenAnlässenbegleitet, beidereinePaarkonstellationquasierwartetwurde – Bälle, Empfänge, Charity-Veranstaltungen.

AlsHannazweiundzwanzigwar, hattesieRonnyineineralkoholseligenStundemituntypischerOffenheitdavonerzählt, dasssieausschließlichmitFrauendasBettteilte. RonnyhatteesunbeeindrucktzurKenntnisgenommen. Seitherhattensieniewiederdarübergeredet.

Undauch, wennRonnyselbstdarübernieeinWorthattefallenlassen, sowarihrlängstklar, dasssiebeidedasselbeSchicksalteilten. DassersichniemalsmiteineranderenFrauaußerihrzeigte, warwohlBeweisgenug. IhrkamseineHomosexualitätgeraderecht. IndenAugenihrerElternwarRonnyeineidealePartie. UmgekehrtwarauchsiebeidenGermerten-GingenseingerngesehenerGast.

RonnystelltedasGlaszurückaufdenTisch. AmüsementstandinseinendunklenAugen.

»AbernatürlichbistdueinschlechterMensch, Süße. Daswissenwirdoch. Dulügst, ohnemitderWimperzuzucken, nutztjedenochsodubioseChancefürdeinenVorteilundscherstdichnichtumandere. Dasmachtdich – summasummarum – eindeutigzueinemMenschen, indemdiemeistennichtsGutessehen. – Warumtrifftdichdasaufeinmalso? Ichdachte, duhastdirdiesesImagebewusstmitallerSorgfalterarbeitet!«

HannanahmeinengroßenSchluckWein.

WährenddieTannineihrenGaumenpelzigwerdenließen, dachtesieüberseineAussagenach. Sosahersiealso?

»Als Anwältin ist es meine Aufgabe, auch die Bösewichte zu verteidigen. Ich weiß, dass dieser Typ von gestern ein Mistkerl ist. Aber er ist mein Mandant, und ich musste ihn verteidigen.«

Ronnynickte. »AberdeineStrategiekönntestduüberdenken. DieserohnehinschongedemütigtenFrauinsGesichtzuschmettern, dasssiesexuellfrustriertundbedürftigist, wirktschonziemlich … aggressiv.«

»Irgendetwasmussteichjasagen.« HannanahmeinenweiterenSchluck. »Undehrlich … objektivgesehen … meinMandantsiehtgutaus, stehterfolgreichimLeben … hatmirFotosvonseinerVerlobtengezeigt. Himmel, siesiehtauswieeinModel! WarumsollteerirgendeinInteresseaneinerdurchschnittlichaussehendenHilfskrafthaben?«

»EsgehtdochdabeinichtumÄußerlichkeitenoderAnziehung«, erwiderteRonny. »EsgehtumMacht. DeinMandatnötigtseineAngestellte, umsichüberlegenzufühlen. Dasserdamitungestraftdurchkommt, bestätigtihninseinemTun.«

»Duglaubst, ermachtdaswieder?«

RonnybedachtesiemiteinembeinahemitleidigenBlick, undsofortbereutesieihreFrage.

»Selbstverständlich. DankdirhatervomGerichteinenFreifahrtscheinbekommen.«

HannaverzogdasGesicht. DenFallgewonnenzuhaben, fühltesichmittlerweilenichtmehrganzsogutan.

»AberichbintrotzdemkeinschlechterMensch«, wiederholtesie. »Jederistsichselbstamnächsten. Dasistganznatürlich.«

»InunsererGesellschaft«, wandteRonnyein. »EssollindigeneVölkergeben, diedasWortEgoismusnichteinmalkennen.«

HannaverdrehtedieAugen.

»EineeinfacheFrage, Hanna.« Ronnylehntesichleichtnachvorne. »Wannhastdudichjemalsfürjemandeneingesetzt, ohneeinenVorteildavonzuhaben?«

Daswareinfachzubeantworten. »IchspendezweimalimJahranÄrzteohneGrenzenunddieUNICEF.«

Ronnylachte. »DafürbekommstdueineSpendenquittung, kannstdenBetragabsetzenundzahlstwenigerSteuern. Vorteilfürdich.«

»Ich bin trotzdem kein schlechter Mensch!«, beharrte Hanna.

»UnddennochhabeichkeineAntwortaufmeineFragebekommen …«

»Ach, Himmel!« Hanna fuhr sich genervt durch ihr langes Haar, das sie ausnahmsweise offen trug. »Ich würde dir ja zeigen, dass ich ein guter Mensch bin, wenn sich eine Gelegenheit ergäbe!«

»Ichbinsicher, esgibtvieleGelegenheiten, nurnimmstdusienichtwahr. MitetwasgutemWillenkönntestdumiraneinpaarBeispielenbeweisen, wieundwanndudichumjemandenkümmerst, ohneeinenpersönlichenVorteildarauszuziehen.«

»Wieso sollte ich dir das beweisen?«

»DubekämsteinoffiziellesRonny-Germerten-Gingen-Zertifikat, aufdemsteht: Dr. jur. HannaErlacheristeinguterMensch.«

Hannalachtehellauf. »Dasistzuwenig«, sagtesiedannflap­sig. »Wasbietestdunoch?«

EineZeitspannelang, diesichwieeinehalbeEwigkeitanfühlte, lagRonnysStirninFalten. DasKlirrenvonGläsernunddieStimmenderanderenGästedrangenüberdeutlichanihrOhr. HannawolltegeradedasThemawechseln, alsRonnyunvermitteltsagte: »ZehnJahremietfreiinmeinerWohnunginklusiveGaragenplatz.«

»Was?« Hannablinzelteirritiert. »Wiebitte?«, wiederholtesie, obwohlsiegenauverstandenhatte, wasihrderFreunddaanbot: EinhundertfünfundzwanzigQuadratmeterimDachgeschosseinessaniertenAltbausim1. BezirkinklusivezweiDach­terrassen, diemitinsgesamtsechzigQuadratmeterngenausogroßwarenwieHannasderzeitigeBleibeim8. Bezirk. SiehatteRonnyimmerumdieseEigentumswohnung, dieihmseineGroßmuttervererbthatte, beneidet.

»Du sparst zehn Jahre Mietausgaben und kaufst dir von dem Geld anschließend selbst etwas«, schob Ronny nach, als müsste er sie überzeugen. Und tatsächlich musste er das, denn so verlockend das Angebot auch klang, so sehr weckte es ihr Misstrauen.

»WoistderHaken?«

»Esgibtkeinen.« RonnyhobdieSchultern. »AußerderTatsache, dassduesnichtschaffenwirst, dieVoraussetzungenzuerfüllen.«

»Diedawären?«

»InnerhalbeinesJahreswirstduzwölfselbstloseTatenvollbringenunddamitbeweisen, dassdueinguterMenschbist.«

ZwölfguteTaten. Hannaüberlegte. SolächerlichdasGanzewar – zwölfMaletwasGuteszutun, erschienihrnichtwirklichalsHerausforderung.

»UndobetwaseineguteundselbstloseTatist, entscheidestwohldu?«

»Ichwüsstenicht, wersonst. OdersollichmichmitdeinenBrüdernzusammentunundeineJurybilden, damitunserekleineWettezumindestinderFamiliebleibt?«

»Nein! Nein«, sagteHannaschnell. DassMaximilianundGustavvondieserkindischen, aberlohnendenAngelegenheitWindbekamen, fehltegeradenoch. Gustavwürdesiejahrelangdamitaufziehen, undMaxpromptihrenElterndarüberBerichterstatten, wieunreifsichseinekleineSchwesterdochbenahm. »DeinUrteilgenügt.«

»Wunderbar. DannsetzenwirjetzteinenhandfestenVertragauf.«

»IstdasdeinErnst?«

WieernstesRonnywar, begriffHannaerst, alsereinenPapierbogenausseinemAktenkoffernahmundzuschreibenbegann. SchließlichschoberihnüberdenTischundreichteihrseinenKugelschreiber.

»IchdarfumeineUnterschriftbitten.«

SieüberflogdenText, dernichtsanderesalsdassoebenBesprocheneenthielt – inklusivedesZusatzes, dasssieihmjedeguteTatschriftlichübermittelnmusste, entwedereinzelnoderkonsolidiertamEndedesJahres.

SchwungvollsetztesieihreUnterschriftnebenseine.

»Wunderbar.« RonnyließdenZettelwiederinseinerAktentascheverschwinden. »MorgenbekommstdueineKopie.«

»Wiedumeinst.«

MittlerweilehatteHannaihrWeinglasgeleert. SiehieltnachderBedienungAusschauundentdecktesieaneinemderNeben­tische. HannahattesieschondesÖfterenimGin & MoregesehenundnanntesieinGedankenihreLieblingskellnerin. SiesahdiejungeFraumitdemausgesprochenhübschenGesicht, densinnlichgeschwungenenLippenunddengroßendunklenAugengernean. AndiesemAbendbemerkteHannazumerstenMal, dassdieseFraunichtnureineschlankeTaille, sondernaucheinensehradretten, knackigenPohatte.

SienickteHannakurzzu, umzusignalisieren, dasssieNotizvonihrgenommenhatte, währendsieweiterdieBestellungderinsgesamtsechsGästeamTischaufnahm. HannalächelteinderErwartung, dassdieKellnerinihrLächelnaufdieselbezurückhaltende, scheueArterwiderte, wiesieesschonoftgetanhatte, dochsiehattesichdenanderenGästenzugewandt. HannafühlteeinenFunkenEnttäuschung. Eswürdewohlnochetwasdauern, bissiezuihnenkam.

Siebeschloss, dieZeitzunutzenundzogeineauffestesHochglanzpapiergedruckteEinladungausihrerDesignerhandtasche.

»AmWochenendeeröffnetSisiLopez-VanderfeldeihreneueGalerie. MeinVatermeint, irgendwerausderFamiliesolltesichblickenlassen, unddaalleverplantsind, istdieWahlaufmichgefallen. – Kommstdumit?«

RonnynahmihrdieEinladungausderHandundbetrachtetesiekurz. Dannklappteersiezuundgabsieihrzurück.

»FranzösischerExpressionismus. Sehrinteressant. AllerdingsbinichamWochenendenichtinWien. Tutmirleid.«

»Wobistdudenn?«

BildetesiesichdasnureinoderzögerteRonnymitseinerAntwort?

»Paris«, sagteerdann.

»Beruflichoderprivat?«

»Privat.«

»Oh.«

BeruflichhätteHannaweitwenigerüberrascht, dennRonnywardurchseineArbeitimdiplomatischenDienstöftersimAusland. GeradewolltesiezuderneckischenFrageansetzen, waserdenninderStadtderLiebesovorhabe, alsdieBedienunganihrenTischkam.

»Bittesehr«, sagtesieleise, undHannastörtesichnichtzumerstenMaldaran, dassihre Lieblingskellnerinanscheinendnurflüsternkonnte.

»NocheinenMerlot, bitte«, bestellteHannamitfesterStimmeundineinerLautstärke, diedieKellnerinzusammenzuckenließ. AuchRonnysahsieüberraschtan.

Egal, dachteHanna. Siewollteihrjaeinfachnurzeigen, dassfrauauchlautersprechenkonnte! Abereigentlichwolltesiemehr. Siewolltewissen, wiedasLachendieserebensoschüchternenwieattraktivenFrauklang, wolltewissen, wiesiemitoffenemHaaraussah, undmehrvonihrerfahren, alsdassderMerlotvomWinzerxygeradevergriffenoderdieKnoblauchscampidasTagesgerichtwaren. Gleichzeitigverstandsiesichselbstnicht. Waserhofftesiesichdavon? EinenFlirt? EinAbenteuer? VermutlichwardieKellnerinnicht einmallesbisch.

»FürmichbitteebenfallseinenMerlot«, sagteRonnynun. ErschenktederFraueinaufmunterndesLächeln, wasHanna verärgerte. Warummussteersichsobetontfreundlichgeben, nurweilsievielleichteinwenigzubestimmtaufgetretenwar?

Ronnybegann, etwasBelanglosesübereinRestaurantzuerzählen, dasvorKurzemneueröffnethatteundeineMischungaushochwertigerkantonesischerundvietnamesischerKüchebot. DerpassendeMoment, umsichnachseinemParisaufenthaltzuerkundigen, warvorüber. Hannamusstesicheingestehen, dasssiesichtrotzihresunausgesprochenenÜbereinkommensDon’task, don’ttellsehrdafürinteressierthätte, mitwelcherArtvonMannRonnygelegentlichseinLebenteilte. Dochihndirektdanachzufragen, hättedasRisikomitsichgebracht, dassersichnachihremLiebeslebenerkundigte. DasshierseitMonatenDürreherrschte, warnureinGrundvonvielen, weshalbsienichtdarüberredenwollte.

DerWeinkam. Sieplaudertenüberdiesunddas. UmkurznachhalbelfUhrverlangteHannadieRechnung.

»Alleszusammen«, sagtesiezuderBedienung, dienochabgekämpfterwirktealszuvor. EineSträhneihresdunkelbraunenHaareshattesichausdemPferdeschwanzgelöstundfielihrinsGesicht. AllepaarSekundenstrichsiesiemiteinerfahrigenHandbewegungnachhinten.

HannareichteihrdieKreditkarteundentschied, etwaszutun, wassienochniezuvorgetanhatte: SiegabsattefünfzehnEuroTrinkgeld. SowohlRonnyalsauchdiejungeFrausahensieungläubigan.

»SiemeineneinEurofünfzig, oder?«, fragtediejungeFrauunsicher.

Hannamusstesichbeherrschen, umnichtdieAugenzuverdrehen.

»Nein. SiehabenunsheuteAbendnettundaufmerksambedient. DafürsollenSieauchbelohntwerden.«

»D…danke.«

DieKellnerinwirktenochimmerverunsichert.

KeinefünfMinutenspäterstandHannamitRonnydraußenvordemLokalundhieltnachTaxisAusschau. HannafröstelteinihremdünnenMantel. FüreinenAbendAnfangMaiwaresungewöhnlichkühl.

»Duweißtaberschon, dasseinüppigesTrinkgeldnichtalsguteTatimSinneunseresVertragszählt?«

»Wiebitte? Wiesonicht?«

»Ichbittedich.« Ronnylachtetrocken. »UmGelderzuverteilen, musstduwirklichkeingroßesHerzhaben, nureinevolleGeldtasche! – DusollstetwasNettestun!Darumgehtes!«

»Wasdenn? IhretwadasTablettabnehmenundihrenJoberledigen?«

»Ichglaubenicht, dassJosefinadaswill, aberwenndudichinSachenGroßherzigkeitschonsoaufsieversteifst: WennduihreArbeitkünftigmehrwertschätztundsiefreundlicherbehandelst, wäredassicherschoneinGewinnfürsie.«

HannarunzeltedieStirn. »Josefina? WoherkennstduihrenNamen?«

»DerstehtaufihremNamensschild. – Weißtdu, ichschenkedenMenschenummichherumAufmerksamkeit.«

»Ha, ha«, erwiderteHannalahm, ärgertesichjedoch, dasssiedenNamenausgerechnetvonRonnyerfahrenmusste.

Dannfielihrplötzlichetwasein. »Ronny, wennichineinemJahrindeineWohnungziehe, wowohnstdanndu?«

»Abgesehendavon, dassesdazunichtkommenwird, werdeichdieWohnungvermutlichnichtmehrbrauchen. AbnächstenSommerwohneichvoraussichtlichimAuslandundkommenurnochsporadischnachWien.«

»Oh.« DieOffenbarungtrafHannawieeinSchlagindieMagengrube. WennRonnydauerhaftimAuslandlebte, werbegleitetesiedannkünftigzuoffiziellenAnlässen? »UndwohininsAusland? Weißtdudasschon?«

EinTaxikam; Ronnywinkteesherbei.

»Nimmdudas, ichnehmedasnächste.«

ErhieltihrdieTüraufundwartete, bissieeingestiegenwar. Hannabegriff, dasssiekeineAntwortaufihreFrageerhaltenwürde.

 

Die erste gute Tat

HannafandsichineinemBesprechungsraumderKanzleiwieder, gemeinsammitHaraldKofranekundPhilippLutz, denSeniorpartnern, diezugleichihreChefswaren. DieSekretärinhatteKaffeeundKekseserviert. NichtsdavonbrachteHannaherunter. IhrHerzschlugkräftiginihrerBrust. SiehattesichnichtszuSchuldenkommenlassenundverzeichneteseitMonatennurErfolge, weshalbdiesesGespräch, zudemsiesounerwartetgebetenwordenwar, nureinesbedeutenkonnte: mehrVerantwortungundmehrGehalt. EndlichwürdesiegrößereFällevorGerichtvertretendürfenalsrandalierendeFußballfans, streitende Nachbarn oder der erbärmliche Versuch einer sexuellen Belästigung.

»FrauDoktorErlacher, wirverratenIhnensicherlichnichtsNeues, wennwirIhnenmitteilen, dasswiraußerordentlichzufriedenmitIhnensind«, eröffneteKofranek, einstattlicherMannumdiesechzig, dasGespräch. »SiestechenunterunserenNachwuchsanwältenhervor.«

»Dankeschön.«

HannalächeltegeschmeicheltundverbargihrevorerwartungsvollerAnspannungschwitzendenHändeaufihrenOberschenkelnunterdemTisch.

»WassindIhrePlänefürdieZukunft?«

DieWahrheitwürdesiedenbeidensichernichtaufsButterbrotschmieren … Sieantwortete: »Michweiterhinfürdie ­BelangeIhrerKanzleieinzusetzen, selbstverständlich. Dafürzusorgen, dassunsereMandantenfaireProzessebekommenundsieindiesenerfolgreichzuvertreten.«

SiemerkteandenMienenderbeiden, wiesehrsiemitdieserAntwortinsSchwarzegetroffenhatte. Perfekt.

»FrauDoktorErlacher, wirwerdendiesesGesprächnichtunnötigindieLängeziehenundkommendeshalbraschzumPunkt.« NunhattePhilippLutz, dermitknappfünfzigderjüngstederdreinamensgebendenAnwältewar, dasRedenübernommen. »KollegeRiedherrhatsichentschieden, imSommernächstenJahresfrühzeitigindenRuhestandzutreten. WirwollenalsPartnerinderDreierkonstellationbleibenundzieheninErwägung, SiealsJuniorpartnerinmitonboard zu nehmen.«

HannaöffnetedenMundundschlossihndirektwieder, weilsiespürte, dasssienichtsdarauferwidernkonnte. Ihrwarsoheiß, dasssiedasGefühlhatte, gleichzuexplodieren. HiergingesnichtnurummehrVerantwortungundmehrGeld; nein, hiergingesumetwasrichtig, richtigGroßes!

»Zugegeben, SiesindmitIhrenzweiunddreißigJahrennochsehr, sehrjungundhabengeradeeinmalIhrePflichtjahreabsolviert«, fuhrLutznunfort. »AllerdingssindSiefachlichhervorragendundfleißig, trauensich, auchunsgegenüberKritikzuäußernundbringeneinenfamiliärenBackgroundmit, deraufvieleweiterezahlungskräftigeKlientenhoffenlässt. SomitsindSiebeinahedieIdealkandidatin.«

Die Erwähnung ihres familiären Backgrounds ließ ihre Körpertemperatur um etliche Grade sinken. Ging es hier um ihren Vater, einer der renommiertesten Architekten Österreichs, oder um sie?

Dochnoch mehr ließdasWortbeinahesieaufhorchen.

»VielenDank. Dasistsehrschmeichelhaftundehrtmichsehr«, sagtesie, alssieihreStimmewiedergefundenhatte. »AbergibtesdenneinenPunkt, dernichtfürmichspricht?«

»Nun, Siesindsehrjung«, wiederholteLutz. »InIhremAlter … geradealsFrau … kannnochvielpassieren.«

EsdauerteeinpaarSekundenbisHannabegriff, worauferanspielte. Beinahehättesieherzlichgelacht.

»Also, ichhabenichtvor, schwangerzuwerden«, platzteeserleichtertausihrheraus. »DarübermüssenSiesichnichtsorgen!«

DiebeidenwechselteneinenirritiertenBlickundstarrtensiedannanwieeinAlien.

Mist.

HannarealisierteihrenFehlersofort. Kofranek, daswusstesieausgutinformiertenKreisen, wargläubigerKatholikundengagiertesichinseinerwenigenFreizeitfürdieKirchengemeinde. LutzhattemitseinerFrauinsgesamtsechsKinder.

»Ichmeinte … ichwilldemnächstnichtschwangerwerden«, korrigiertesiebemüht.

»Nun, esgibtdanocheinenPunkt«, sagteKofranek, ohneaufihreWorteeinzugehen. »IhrFamilienstatus. Siewissenja, unserKlientelistkonservativundunserRufistunssehrwichtig. – EswärevonVorteil, wennSieIhrePartnerschaftlangfristig … nun … legalisierenwürden.«

Hannaspürte, wieihrderSchweißüberdenRückenzulaufenbegann. Natürlichwusstesie, dassdieKanzleieherkonservativesPublikumanzog. DochKofraneksFormulierungbescherteihrnahezuFieberschübe. Legalisieren. Dasklangbeinahe, alswäreeinenormalePartnerschaftohneTrauscheinillegal, unddasim21. Jahrhundert!

»Was mein Kollege sagen will, ist, dass es von Vorteil wäre, wenn Sie bis zum nächsten Jahr heiraten würden«, sagte Lutz und zwinkerte ihr zu. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass es da einen verheißungsvollen Kandidaten an Ihrer Seite gibt, und ich denke, diese Verbindung wäre auch für die Kanzlei nicht die schlechteste.«

Ging es etwa zusätzlich um die Kontakte der Germeten-Gingens?

HannarangsicheinLächelnab. »VielenDankfürIhrenRat. Ichwerdedasdaheimdanneinmal … subtilanregen. AberSiewerdenverstehen, dassichindiesersehrprivatenAngelegenheitalsFrauhierausnahmsweiseeinmalnichtdieZügelindieHandnehmenkann.«

Kofraneklachte. Lutzschmunzelte. HannahattevomverkrampftenLächelnschonbeinaheeineGesichtslähmung.

Als sie das Besprechungszimmer zehn Minuten später verließ, war ihr so übel, dass sie sofort auf die Toilette flüchtete. Im Schutz der Kabine presste sie ihre heiße Stirn gegen die kalten Kacheln, während ihr zum Glück leerer Magen seltsame Salti schlug. Ihre Freude über die unerwartete Aussicht auf eine Partnerschaft wurde von nackter Panik überlagert. Sie kam sich vor, als wäre sie die unfreiwillige Hauptdarstellerin in einem US-Drama aus den Achtziger- oder Neunzigerjahren: Beförderung nur mit Ring am Finger. Nur, dass sich die Heldinnen in den Filmen, die gezwungen wurden, sich aus Prestigegründen einen Schein­ehemann zuzulegen, dann auch immer in diesen verliebten – was bei ihr nie passieren würde.

Benommen ging Hanna zum Waschbecken und ließ kaltes Wasser über ihre Hände laufen. Im Spiegel sah sie eine blasse Frau mit Sommersprossen und Stupsnase, die ungewohnt verletzlich wirkte. Sie straffte die Schultern. Nichts hasste sie mehr, als Schwäche zu zeigen! Während sie ihren Lippenstift neu auftrug und sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn tupfte, kehrte ihre Souveränität zurück. Für alles gab es eine Lösung. Auch für einen Freund, der nicht existierte.

SiewürdejetztdasBürofüreinekurzePauseverlassenundihreOptionenüberdenken.

*

JosefinastelltegeradedreiGläsermitProseccoaufeinTablett, alssiesiehereinkommensah. DieseFraumitdemrotenHaarunddenSommersprossen, dieihrneulicheinvielzuhohesTrinkgeldgegebenhatte. ZielstrebigsteuertesieaufeinenderTischeimhinterenBereichdesLokalszu. SiewarregelmäßigimGin & More, wenngleichauchnichtumdieseUhrzeit. GewöhnlichkamsiemittagsalleinodermiteinpaarKollegen, dieähnlichformellgekleidetwarenwiesieselbst. AbendswarsieoftinBegleitungihresgutaussehendenFreundes.

DieFrauwarnichtdereinzigeStammgast, wohlabereiner, derJosefinavonAnfanganaufgefallenwar. IhrrotesHaarwarnichtdereinzigeGrund, weshalbsieBlickeaufsichzog. EswarihregesamtePräsenz. SiebetratdasLokalmiteinerKörperhaltung, alswäresiedessenEigentümerin, undbewegtesichmiteinerSelbstverständlichkeit, dieJosefinabewunderte. DieRot­haarigemochtevielleichtzwei, dreiZentimetergrößerseinalssieselbst, wirkteaberumeinVielfachesraumfüllender.

ZudembesaßdieseFraueinescharfeZunge. NichtnureinmalhatteJosefinasiemitdenKollegendiskutierenhören. SievertratihreStandpunktesehrentschlossenundschiennichteinmalzubemerken, wennsieanderevordenKopfstieß. Nurabends, wennsiemitihremFreundhierwar, wirktesieruhiger, fastschonsanft.

Josefinafand, dassdiebeideneinschönesPaarabgaben. DassdieFrauindenMannverliebtwar, standaußerFrage. AlleindieBlicke, mitdenensieihnbedachte, sprachenBände. Siebewunderteihn. Undergabsichfürsorglichundliebevoll. WennerihrindenMantelhalfoderdieTüraufhielt, quollJosefinasHerzbeinaheübervorRührung. SomussteLiebesein.

Nun brachte Josefina den drei Mittvierzigerinnen, die kicherten und herumalberten wie aufgekratzte Teenager, den Prosecco, dann ging sie zum Tisch der Rothaarigen, die gerade ihr Tablet entsperrte.

»Hallo. Wasdarfichbringen?«

DieFrausahauf, undJosefinabemerktesofort, dasssienichtsogelassenundcoolwarwiesonst. IrgendetwasinihrengrünenAugenverriet, dassetwassiebeschäftigte.

»EinenEspresso. Odernein – Moment – vielleichtliebereinenfrischgepresstenOrangensaft.«

Immersprachsiesolaut. Josefinaverstandnicht, warumsiedastat – genauergesagt: mitihrtat. DennmitihremFreundunddenKollegenredetesiestetsinnormalerLautstärke. Dachtesieeventuell, siewäreschwerhörig?

»Sehrwohl.«

JosefinawarschonwiederaufdemWegzurTheke, alsdieFraurief: »Wartemal. – EuerWLAN-Passwort, wielautetdas?«

»Ich … sehenach.«

Siespürte, dassderFraudieseAntwortsogarnichtgefiel. JosefinahattedasPasswortnichtparat, weilHarry, ihrChef, esjedeWocheänderte. DasmachteeigentlichkeinenSinn, dennerkritzeltediePasswörterstetsingroßerSchriftindasoffenamTresenliegendeReservierungsbuchundverteilteesgroßzügigandieGäste.

NocheheJosefinadenOrangensaftservierte, brachtesiedasPasswort.

»Sumsibiene123«, sagtesie.

»Sumsibiene?« DieFrausahsieungläubigan. »Ernsthaft? WerdenktsichdennsoeinenSchwachsinnaus?«

Harry. Dochdasbehieltsiefürsich, denneskamihrilloyalvor, denChefsoandenPrangerzustellen. Sielächeltenurverlegen.

»Danke«, sagtedieFrauschließlich.

IndiesemMomentlachtendieFreundinnenamNachbartischsolaut, dassdiewenigenGäste, diesonstnochimLokalwaren, irritiertinihreRichtungschauten. DieFraurunzeltemissbilligenddieStirn.

»Tutmirleid«, sagteJosefinaautomatisch. WahrscheinlichwolltedieFrauirgendetwasaufdemTabletarbeitenundbrauchteRuhe.

»Wasgenaututdirleid? DasssicheinigeLeuteeinfachnichtbenehmenkönnen? – Ja, dastutmirauchleid!«

DieFrauhattesolautgesprochen, dassdieMittvierzigerinnengrimmigherübersahen. JosefinastiegdasBlutindenKopf. Siefühltesichschuldig, weilsiemitihrerEntschuldigungdenÄrgerquasiprovozierthatte. EiligsuchtesieSchutzhinterdemTresenundspülteeinpaarGläser. DieFreundinnenrundehattewiederzuihrerAusgelassenheitzurückgefunden.

»NochmaldreiProsecco, bitte!«

JosefinafülltedieGläser, stelltesiezumOrangensaftaufsTablettundliefinRichtungGelächter.

SiewolltedasTablettgeradeabstellen, alsjeneFrau, dieihrdenRückenzugedrehthatte, schwungvollaufstandundmitdemEllbogengegendasTablettstieß. PromptgerietesinSchieflageunddieProseccogläserzersprangenaufdemBoden. DasGlasmitdemOrangensaftkipptewieinZeitlupezurSeiteundergossseinenInhaltüberdieweißeBlusederFrau. DieDamenkreischten, jemandapplaudierte, einandererGastriefamüsiert: »Bravo!«

DannherrschteeinpaarSekundenlangStille, ehedieFrau, derenganzerOberkörpernunmitOrangensaftbedecktwar, giftete: »KönnenSienichtaufpassen! SehenSiedoch, wasSieangerichtethaben!«

JosefinawardenTränennahe. InSchockstarreverharrtesieanOrtundStelle.

»Wiewärees, wennSiemalzuputzenanfangen?«, herrschteeinederanderenFrauen siean.

DannstandplötzlichHarrynebenihrundentschuldigtesichwortreich: »SelbstverständlichwerdenwirfürdieReinigungaufkommen.« Er funkelte Josefinabösean. »EinMissgeschickmeinerMitarbeiterin. EntschuldigenSiebittevielmals. DienächsteRundegehtaufsHaus.«

»DasisteineSeidenbluse!«, zetertedieFrauweiter. »UndichhättedanacheinenwichtigenGeschäftstermingehabt, denichjetztnichtwahrnehmenkann! DamitentgehtmireinUmsatzvonmehrerenhundertEuro! DiesenVerlustwerdeichIhneninRechnungstellen!«

»Wiegesagt, eshandeltsichumeinMissgeschickmeinerMitarbeiterin«, wiederholteHarry, undJosefinahattedasGefühl, vorSchamimBodenzuversinken. »SelbstverständlichwirdsieIhnendenSchadenersetzen.«

»Jetztreichtesaber!« EineweitereStimmeschaltetesichindieDiskussionein. »DieBedienungtrifftüberhauptkeineSchuld. IchhabedenVorfallbeobachtet. DasVerschuldenliegtalleinbeiIhnen, werteDame! WerseinenStuhlnachhintenrutschtundaufsteht, ohnesichzuvergewissern, wasoderwerdesWegeskommt, hatsämtlicheSorgfaltspflichtenvernachlässigt.«

DieFraumitdenrotenHaarenhattesichvorderFraumitdemOrangensaftaufderBluseaufgebaut. ObwohlsiegutzehnZentimeterkleinerwar, wirktesievielgrößer.

»UndaufKostenderKellnerinwirdhiergarnichtsersetzt!«, fuhrsieentschiedenfort. »GebenSiedieBluseindieReinigung, reichenSiedieRechnungbeiGin & MoreeinundstellenSieaugenblicklichIhreunhaltbarenSchuldzuweisungenein!«

Kurzwaresstill. AusdenAugenwinkelnnahmJosefinadieFraumitdenrotenHaarenwahr, dieihreArmenunvorderBrustverschränkthatteunddieFreundinnenrundemiteisigemBlickstrafte.

Alsniemandetwaserwiderte, sagtedieRothaarige: »Gut. DankefürIhreEinsicht. DerFallistdamiterledigt.« SiesetztesichzurückanihrenPlatz.

HarryspendiertedenDamentrotzdemnocheineganzeFlascheProsecco. Erbrachtesieihnenpersönlich, währendJosefinadieGlasscherbenauffegteunddenBodenputzte. Sieschämtesichnochimmer. Siehättebesseraufpassenmüssen, keineFrage. IndenzweiJahren, indenensieinzwischenkellnerte, hattesieschonvielzuoftetwasfallengelassen, Bestellungenfalschnotiertodervergessen. SoetwasSchrecklicheswarihrjedochnochniepassiert. GleichzeitigfühltesieinihremInnereneinetröstlicheWärme. Jemandwarfürsieeingetretenundhattesieverteidigt. Auchdaswarnochnievorgekommen.

AlsdieRothaarigezahlenwollte, brannteJosefinadieFrage, warumsiedasgetanhatte, regelrechtaufderZunge. DochamTischangekommen, sagtesienurleise: »Danke, wegenvorhin. Tutmirleid, dassichSiedamitreingezogenhabe.«

»Nichtszudanken.« DieRothaarigeerhobsich. »Undhörauf, dichfürDingezuentschuldigen, fürdiedunichtskannst! Dasmachtmichwahnsinnig.«

»Entschuldigung.« Kaumausgesprochen, bisssiesichaufdieLippen.

DieRothaarigeseufzteundbedachtesiemiteinemlangen, unergründlichenBlick. »Okay«, sagtesiedann. »Wennduesschaffst, dicheinenganzenTaglagnichtfürirgendetwaszuentschuldigen, spendiereichdireinVier-Gänge-MenübeimangesagtestenItalienerinWien. Deal?« SiestreckteihrdieHandentgegen.

Josefinasahsieunsicheran. MeintedieFraudasernst?

EigentlichbereiteteihrdieVorstellung, ineinemSternerestaurantessenzugehen, eherGänsehaut. TrotzdemnahmsiedieausgestreckteHandentgegen.

DerHändedruckderFrauwarangenehm. IhreHautwarweichundwarm. JosefinahieltdieHandfestundwolltesiegarnichtmehrloslassen. Eswar, alswürdedieWärmedirektinsiehereinfließen – wieeinHitzestrom, derseinenWegdurchdieAderninihrenBauchfandunddorteinseltsamesZiehenverursachte, dassienichteinordnenkonnte.

AuchdieRothaarigemachtekeineAnstalten, ihreHandzurückzuziehen. StattdessensahsiesieeinfachnurmitdiesemunergründlichenGesichtsausdruckan. Josefinastelltesichvor, wieesseinmochte, HandinHandmitihrspazierenzugehen – wiemiteinerälterenSchwester, diesiebeschützte.

»Zahlen, bitte!«

DieStimmeeinesGastesrissJosefinaausihremTagtraum. SielösteihreHandundtrateinpaarSchrittezurück.

»Danke«, sagtesienochmal.

»DenkanunserenDeal!« DieRothaarigezwinkerteihrzumAbschiedzu.

*

»IchhabedieersteguteTatvollbracht.«

HannahattesichimBademantelinihrenKorbsesselgekuschelt, einenHandtuchturbanaufdemfeuchtenHaar, dasHandyamOhr. AufdemkleinenTischnebenihrlageineKopiedesVertrags, dieRonnyinihrenPostkastengeworfenhatte.

»Also, ziehdichwarman, Ronny. DerUmzugswagenwirdpünktlichAnfangMaivordeinerTürstehen.

SiehörtedenFreundherzhaftlachen.

»Mallangsam«, sagteer. »Erstmussjanochverifiziertwerden, obessichwirklichumeineguteTathandelt.«

InwenigenSätzenberichtetesievomVorfallimGin & More. Alssiegeendethatte, herrschteersteinmalSchweigen.

»PrinzipiellistdaseineguteTat«, stellteRonnyfest.

»Yeah!« SiestrecktejubelnddenArmnachoben. »IchbinaufdemSiegertrip, gibeszu!«

»DiekleineKellnerinscheintdiramHerzenzuliegen.«

»MirliegtdeineWohnungamHerzen, undJosefinawarzurrichtigenZeitamrichtigenOrt.«

Daswarnichtganzehrlich. AlssiesichinJosefinasGesprächmitdemChefunddendreiProsecco-Tussiseingemischthatte, waresihrumGerechtigkeitgegangen. AndenVertragmitRonnyhattesieindiesemAugenblicküberhauptnichtgedacht.

»Duweißtaber, dassdudeinenBerichtnochschriftlicheinreichenmusst?«

»Ja, duBürokrat! IchhabemirextraeinSchulheftzugelegt, indemichallesgenaunotiere. SobaldichmeinezwölfgutenTatenbegangenhabe, werdeichesdirfeierlichüberreichen.«

WiederhörtesieRonnyleiselachen. Siewusstegenau, dasserimmernochanihrunddemVorhabenzweifelte. DiesallerdingswarmomentanihrkleinstesProblem. SiekauteanihrerUnterlippe. Denndas, wassieeigentlichvonihmwollte, warvielherausfordernder, alsdiesekindischeWettezugewinnen.

»WiewaresdenninParis?«, erkundigtesiesichunschuldig. »AusgiebigesSightseeinggemacht?«

»Paris?« ImerstenMomentschienRonnynichtzubegreifen. Dannsagteer: »Achso. DerFluggingnachParis, aberwirwarendannanderLoire. WunderschöneGegend. GutesEssen. DasWetterhatauchgepasst.«

Wir.

DasWorthallteinHannanachundmachteihrVorhabennichteinfacher.

»IchhabedieChance, PartnerininmeinerKanzleizuwerden«, sprachsiedanndeneigentlichenGrundihresAnrufsan. »Allerdingshatmanmirnahegelegt, ersteinmalmitmeinemlangjährigenFreundvordenTraualtarzutreten. DieRedewareindeutigvondir, fallsduaufderLeitungstehensolltest.«

»Autsch.« Erlachtekurz, docheshörtesichkünstlichan. »AnscheinendwarenwirinletzterZeitetwaszuoftgemeinsamaufgesellschaftlichenEvents.«

Daswarnichtdas, wassiehattehörenwollen.

EskostetesieÜberwindung, diesesGesprächfortzuführen. DochsieklammertesichandieAussicht, dassbaldihrNameaufdemSchildderKanzleistehenwürde: Lutz, Kofranek & Erlacher.

»Siehmal, Ronny«, begannsiemitsanfterStimme. »WirbeideverstehenunsdochbestensundachtendiePrivatsphäredesjeweilsanderen. WirsindeingutesTeam, oder?«

»Durchaus.«

»UnsereElternverstehensichausgezeichnet. WirhabenaussichtsreicheKarrierenvoruns – Karrieren, dienochbesserfunktionierenwürden, wennwirgewisseErwartungenerfüllen.« NungabeskeinZurückmehr. Sieatmetetiefdurch. »Ronny, lassunsheiraten. Ichversprechedir, ichwerdenachaußeneinevorbildlicheEhefrauabgeben, undsolltestdueinmalirgendwoBotschafterwerden, präsentiereichmichalseloquente, aberdezenteLadyandeinerSeite!«

NatürlichwürdesienichtdauerhaftmitihminTimbuktuoderimKongowohnen! DasieihreeigeneKarrierealsAnwältinverfolgte, würdejederverstehen, dasssieweiterhindiegemeinsameWohnunginWienbewohnteundnurzuoffiziellenAnlässeninderBotschafterschien.

ErsteinmalhörtesienurRauschen.

IrgendwannsagteRonny: »Sagmirbitte, dassdugeradeeinenScherzgemachthast.«

IhrHerzrutschteeinpaarZentimeternachunten. DochaneinenRückzieherwarjetztnichtzudenken.

»Ronny. EineEhefrauwürdeauchdirhelfen. UndichbindiebesteKandidatin. Ichbindiskret, ichwillnichtmitdirschlafen, ichlassediralleFreiheiten …«

»Jetzthörmalzu, duverrücktesHuhn! EineEheistschonwasBesonderes. Soetwasschließtmannicht, nurweilmansichirgendwelchekurzfristigenVorteileerhofft. DashatmitLiebezutun.«

Himmel, seitwannwarRonnysokitschigunterwegs? SeinneuerfranzösischerFreundmussteihmwirklichgehörigdenKopfverdrehthaben! Trotzdem – miteinerHomoehewürdeerseineKarriereimdiplomatischenDienstsicherbeenden, nochehesiesorichtigFahrtaufgenommenhatte.

»DukannstdichjanacheinpaarJahrenwiedervonmirscheidenlassen«, schlugsievor. »Oderdichzumindesteinmalmitmiroffiziellverloben. WennwirnacheineinhalbJahrennochimmernichtverheiratetsind, istesauchegal. DannbinichschonPartnerin.«

»DubistwirklicheinverrücktesHuhn, Hanna.« Ronnylachtejetztwieder. OffensichtlichhielterihrenVorschlagfüreinenScherz – oderwollteihnzumindestfüreinenScherzhalten. »KeineSorge, duwirstauchohneRingamFingerirgendwannPartnerinineinerrenommiertenKanzleiwerden. VielleichtnichtbeidiesemkonservativenSpießerhaufen, aberesgibtjagenugandereKanzleien.«

UnzufriedenkauteHannawiederaufihrerUnterlippeherum. WarumkonnteRonnynichteinfacheinsehen, dasseineVerlobungodergarEheauchfürihndasBestewar? Erwarschonvierunddreißig; irgendwannwürdendieLeuteseinJunggesellendaseinhinterfragen!

»EsgibteindeutigSchlimmeres, alsmitmirverlobtzusein, oder?«, setztesievonNeueman. »HannaElisabethErlacherundRonaldSiegfriedJohannesGermeten-GingengebenihreVerlobungbekannt – wieklingtdas?«

»Fantastisch«, sagteRonnytrocken. »Ichbinbegeistert.«

ZumindesthaterdenVorschlagnichtganzabgeblockt, dachteHanna, alssiedasGesprächspäterRevuepassierenließ. Irgendwannwürdeerschoneinwilligen. Siemusstenurhartnäckigbleiben.

 

Die zweite gute Tat …

GewöhnlichbetratJosefinakeineGeschäfte, dieBoutiqueimNamenhatten, dennsieklangennachvielzuhohenPreisen. BeiderSchokoboutiquemachtesieheuteeineAusnahme. SchonoftwarsieaufdemWegvonderU-Bahn-StationzurArbeitandemSchaufenstermitdenkleinenundgrößerenKunstwerkenausSchokoladesehnsuchtsvollvorbeigegangen.

JetztstandsieimLadenundfühltesichzunehmendunwohl. DiePralinenwarennochteureralsbefürchtet.

»KannichIhnenhelfen?«, fragtedieVerkäuferinschonzumzweitenMal. SeitJosefinadasGeschäftbetretenhatte, warsieihrnichtvonderSeitegewichen. BefürchtetedieseFrauetwa, dasssieetwasstehlenwürde, oderlagesbloßdaran, dasskeineanderenpotenziellenKundenimLadenwaren?

IhrUnbehagenwuchs. SiemachteeinpaarSchrittenachlinks, umDistanzzwischensichundderVerkäuferinzuschaffen. DieFraufolgteihrprompt.

»ZartbittermitPreiselbeerfüllungistunserTippdesMonats.«

JosefinagriffnacheinerPralinenschachtel, diemithübschenStreublumenbedrucktwar, undgingzurKasse. IhreHändezitterten, alssiedieGeldbörseausihremkleinenNylonrucksackfischte.

DiePralinenschachtelkostetefastdoppeltsovielwiedas, wasJosefinaursprünglichhatteausgebenwollen. DochfüreinenRückzieherwareszuspät. SiewolltenurnochwegvondieserseltsamenVerkäuferin.

ImGin & MoreverstautesiedieSchachtelinihremSpind. Nunmusstesienurnochwarten, bisdienetteRothaarigewiederauftauchte.

*

HannaschlängeltesichzwischendenTischenhindurchzurückzuRonny. AndiesemlauenMaiabendbotsichzumerstenMaldieGelegenheit, dieDrinksaufderkleinenHolzterrassedesLokalszugenießen. SiehatteneinenderletztenfreienTischeergattert, eheHannaeinemdringendenBedürfnishattenachgehenmüssen.

»IrgendetwasstimmtmitdeinerKellnerinheutenicht«, stellteRonnybeiläufigfest, alsHannaihmgegenüberPlatznahm. »SiewirktkomplettnebenderSpur.«

»SiewirktdochimmeretwasnebenderSpur«, erwiderteHanna, währendsiesichWasserausderKaraffeeinschenkte. Dannwurdeihrbewusst, wasRonnydageradevonsichgegeben