Der Brombeergarten - Cathy Bramley - E-Book
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Der Brombeergarten E-Book

Cathy Bramley

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Beschreibung

Und plötzlich ist das Gras auf meiner Seite wieder grün ...

Mit Ende Zwanzig erfüllt sich Tilly Parker den Traum von einem eigenen Garten. Und die Gärtner-Community, der sie beitritt, nimmt sie mit offenen Armen auf. Gemeinsam mit ihrer neuen Freundin Gemma veranstaltet sie Gartenfeste, backt Obstkuchen und verkauft selbstgemachte Marmelade. Alles scheint perfekt, bis plötzlich der attraktive Aidan in Tillys Leben tritt: Er stellt ihre geordnete Welt auf den Kopf. Auch wenn Tilly es nicht zugeben will, sie könnte sich in ihn verlieben …

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Seitenzahl: 591

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Das Buch

Die Endzwanzigerin Tilly Parker muss ihre Vergangenheit hinter sich lassen und neu anfangen. Sie beschließt, dass ein Garten genau das Richtige ist, um den Kopf freizubekommen. Denn nichts ist heilsamer als frische Luft und viel Ruhe. Doch Tilly merkt schnell, dass der Kleingartenverein, dem sie beigetreten ist, nichts von ihrer Zurückgezogenheit hält. Sei es Charlie, der hilfsbereite Feuerwehrmann, Christine, die Vorsitzende des Vereins, oder auch Gemma, die exzentrische Nachbarin. Irgendjemand steht immer auf Tillys Türschwelle. Und als dann auch noch der attraktive Aidan auftaucht und Tilly den Kopf verdreht, muss sie sich ein für alle Mal entscheiden: Möchte sie sich ewig vor der Welt verstecken oder doch die Liebe zurück in ihr Herz lassen?

Die Autorin

Cathy Bramley lebt mit ihrem Mann, ihren beiden Töchtern und ihrem Hund in einem kleinen Dorf in Nottinghamshire. Sie war schon immer eine Leseratte und las früher oft mit der Taschenlampe unter der Bettdecke. Damit war erst Schluss, als ihr Mann ihr einen E-Reader mit Beleuchtung schenkte. Nachdem sie achtzehn Jahre lang eine Marketingagentur geleitet hatte, startete sie als Autorin noch einmal neu durch. Von ihrem Erfolg war sie dabei wohl als Einzige selbst überrascht.

Lieferbare Titel

Wie Himbeeren im Sommer

Fliedersommer

CATHY BRAMLEY

DER

BROMBEERGARTEN

Roman

Aus dem Englischen von

Anke & Eberhard Kreutzer

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Ivy Lane.

Deutsche Erstausgabe 08/2018

Copyright © 2015 by Cathy Bramley

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Evelyn Ziegler

Umschlaggestaltung: Eisele Grafikdesign, München

Umschlagabbildung: © GettyImages/Johner Images; Unsplash/Toa Heftiba; Bigstock/sabyna75

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-22382-3V002

www.heyne.de

Meiner Mutter Sue gewidmet

Kapitel 1

Ich zog den Reißverschluss meines Mantels zu, setzte eine wollene Baskenmütze auf und wickelte mir einen überlangen Schal um den Hals, bis nur noch Nase und Augen zu sehen waren. Ich hätte für jeden Verständnis gehabt, der bei meinem Anblick auf den Gedanken gekommen wäre, ich wollte inkognito aus meinem neuen kleinen Reihenhaus verschwinden. Aber so war es nicht. Dafür gab es keinen Grund; hier kannte mich sowieso kein Mensch.

Das liebte ich ja so daran. Und natürlich den originalen, antiken Kamin mit den hübschen alten Kacheln im Wohnzimmer. Der war ausgesprochen schön.

Hier in Kingsfield, einer Kleinstadt am Rande von Derbyshire, konnte ich einen neuen Anfang machen. Auch wenn ich nur schlappe zwanzig Meilen weit weggezogen war, würde sich mein Leben allein schon dadurch entschieden zum Guten wenden, dass mir das mitleidige Lächeln und das verlegene Schweigen von Nachbarn und Bekannten erspart blieben, so viel stand fest.

Nebenbei war auch die Haustür mit dem Buntglaspaneel ausgesprochen hübsch. Am Tag der Besichtigung war es mir nicht einmal aufgefallen. Jener Dezembertag war wie im Traum verflogen. Ich hatte mich, ohne mir große Hoffnungen zu machen, in der Vorschule All Saints zu einem Bewerbungsgespräch eingefunden, und vollkommen unerwartet wurde mir die Stelle sofort angeboten. Nur so aus Jux und Tollerei ging ich von der Schule schnurstracks in ein Maklerbüro und ließ mir dort das Angebot zu einem »überaus charmanten Haus in begehrter Lage« zeigen, »ideal für Madame«. Zehn Minuten später stand ich zur Besichtigung auf der Matte. Die Innenausstattung war veraltet, die Küche winzig, und die Kacheln im Badezimmer hielt nur noch der Schimmel zusammen, doch das Haus lag nur fünf Minuten von der Schule entfernt, und mir gefiel der klare offene Grundriss. Im Briefkasten steckte eine Werbebroschüre für Kleingartenparzellen, und mir kam die Erleuchtung.

Ein glücklicher Zufall, gelinde gesagt, doch ich griff, ohne zu zögern, zu. Wetten, dass ich schon bei der Wahl eines Takeaway länger gebraucht habe!

Ich hielt mit der einen Hand die Haustür auf und manövrierte mit der anderen vorsichtig, an den restlichen Umzugskartons vorbei, mein Fahrrad über die Schwelle, darauf bedacht, nach dem gestrigen Malheur mit der Anglepoise-Lampe, an der Tapete im Flur nicht noch mehr Schaden anzurichten. Draußen warf ich einen Blick in den Himmel.

Wenn James jetzt hier wäre …

Schon standen mir wieder die Tränen in den Augen, und ich blieb einen Moment stehen. Ich musste mir wirklich abgewöhnen, jeden Gedanken mit diesem Satz einzuleiten, doch da es Neujahr war, übte ich Nachsicht mit mir.

Wäre James jetzt tatsächlich hier, würde er in die Wolken blicken und sagen: »Ah, Cumulus und Cirrus (oder so was in der Art) – das perfekte Wetter für ein Fünfzehn-Kilometer-Pensum einen steilen Bergpfad hinauf.«

Da er aber nun mal nicht hier war, musste es genügen, dass der Himmel vielversprechend blau und von hauchzarten Wolkenfetzen durchzogen war – für einen Neujahrstag wahrlich nicht schlecht.

Ich drehte mich zu den Garderobenhaken im Flur um und beschloss, auf die gelbe Signalweste zu verzichten. Bevor es richtig dunkel sein würde, wäre ich längst wieder zuhause, und so wichtig ich meine Verkehrssicherheit nahm, war sie in diesem Fall mit meinem Mantel unvereinbar. Ich habe da einen Standard, von dem ich nicht gerne Abstriche mache. Der Fahrradhelm dagegen war ein Muss, und so stülpte ich ihn mir über die Baskenmütze.

Ich stieg auf das Fahrrad, steckte meine Hausschlüssel in die Tasche, fuhr los und war ausnahmsweise einmal dankbar für die Polster am Hintern, das Ergebnis eines langen Jahres, in dem ich im Wesentlichen darauf gesessen und mich in Selbstmitleid ergangen hatte.

»Immer schön nach vorne sehen, Tilly!«, hätte meine liebe alte Mum gesagt.

Auch wenn ich mich in meiner neuen Umgebung noch nicht so gut auskannte, wusste ich in diesem Fall den Weg recht gut; die Kleingartenkolonie Ivy Lane lag nur zwei Minuten mit dem Fahrrad von der Wellington Street entfernt, meiner neuen Adresse. Tatsächlich hätte ich zu Fuß hingehen können. Doch seit einiger Zeit fuhr ich lieber mit dem Rad, denn ich hatte begriffen, wie viel angenehmer es war, mit einem fröhlichen Winken an den Leuten vorbeizufahren, als zu einem Plausch stehen bleiben zu müssen.

Zur Mittagszeit waren am Neujahrstag die Straßen wie leergefegt. In der ganzen Wellington Street kam ich an keinem einzigen Auto oder Fußgänger vorbei. Kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die meisten meiner neuen Nachbarn das neue Jahr enthusiastisch mit Feuerwerk und lauten Partys und sogar, wenn ich mich recht entsinne, irgendwann nach zwei Uhr, mit einer betrunkenen Polonaise durch die Straße willkommen geheißen hatten. Ich bog in die nächste Straße mit einer kleinen Einkaufspassage ein. Der Zeitungskiosk hatte geöffnet, im Pub an der Ecke brannte Licht, das Café, der Makler und die anderen kleinen Läden hingegen hatten geschlossen. Ich radelte an meiner neuen Schule vorbei; schon in wenigen Tagen fing meine Arbeit dort an. Bei dem bloßen Gedanken bekam ich Muffensausen und trat schneller in die Pedale.

Die Ivy Lane war der Wellington Street ziemlich ähnlich: größere Doppelhäuser am einen Ende, am anderen Reihenhäuser. Die Kleingärten lagen ziemlich versteckt, und ich musste zwei Mal die Straße rauf- und runterfahren, bevor ich in der Häuserzeile eine Lücke entdeckte. Ich streckte die Hand aus, um niemand Bestimmtem anzuzeigen, dass ich nach rechts abbiegen wollte, und fuhr bis zum Ende der schmalen Gasse.

»Danke«, sagte ich zu dem Holzschild, das mich am Eingang der Gartenkolonie Ivy Lane willkommen hieß.

Den Eingang bildete ein imposantes Metalltor mit einem riesigen Vorhängeschloss, das ein Gefühl der Sicherheit vermittelte, aber auch etwas Einschüchterndes hatte. Ich trat auf die Bremse und zog den braunen Briefumschlag aus der Tasche. Mit dem Kleingartenvorstand hatte ich vor meinem Umzug alle Formalitäten per E-Mail geregelt, und dies war heute mein erster Besuch. Eine Dame namens Christine vom Vorstand der Kolonie hatte mir zusammen mit einem Willkommensbrief einen Schlüssel zum Vorhängeschloss geschickt sowie einen Plan, auf dem meine Parzelle 16B markiert war, genauer gesagt, ein halber Garten, da jemand anders die 16A gepachtet hatte.

Ein Schloss schwer wie ein Shetlandpony aufzuschließen, noch dazu an der Innenseite des Tors, und gleichzeitig das Fahrrad zwischen den Knien zu halten war ein Fehler. Doch als ich ihn bemerkte, hatte ich schon beide Arme zwischen den Gitterstäben durchgeschoben und war wild entschlossen. Nach zwanzig Sekunden Fummelei fiel das Schloss zu Boden. Ich war drin. Ich hatte alle Ketten gesprengt.

Von der Anstrengung und dem Erfolg schweißgebadet, schob ich mich und meinen Drahtesel durchs Tor und schloss von innen wieder ab.

Zwischen den Parzellen verlief in der Mitte der Anlage eine asphaltierte Straße, breit genug für ein Auto. Zu beiden Seiten war der Grund in säuberliche Rechtecke aufgeteilt und jede Parzelle vom Nachbargrundstück durch einen breiten Grasstreifen getrennt. Beim Anblick der Symmetrie und der klaren Ordnung schlug mir das Herz höher. Ich bevorzugte es schön ordentlich. Auf der einen Seite grenzte Ivy Lane an die Gärten einer Straße mit Reihenhäusern, auf der anderen an eine Wand aus Hecken und Bäumen. Ich schob mein Rad die Straße entlang und zählte dabei die Holzpfähle an den Enden der Parzellen ab, auf denen die Nummern standen. A oder B war darauf allerdings nicht verzeichnet – woher sollte ich also wissen, welches auf der Sechzehn meine Hälfte war? Das Gelände schien so weitläufig zu sein, dass ich das andere Ende nicht sehen konnte, doch ich schätzte es auf insgesamt etwa dreißig Parzellen. Zu meiner Überraschung hatte die Anlage weit mehr als nur Gemüsebeete zu bieten: Auf fast jeder Parzelle stand ein Baum, jetzt mitten im Winter natürlich kahl, doch ich malte mir aus, was für einen prächtigen Anblick sie im Sommer boten. Außerdem erfreuten sich Schuppen offenbar großer Beliebtheit, von stylischen kleinen Hütten mit Stores an den Fenstern bis hin zu maroden, aus Wellplatten und alten Türen zusammengestoppelten Gebilden. Gewächshäuser, Gartenmöbel, Picknicktische, Wasserfässer, sogar der eine oder andere Gartengrill … Allem Anschein nach wurde die Ivy Lane intensiv genutzt.

Vor einem niedrigen Holzbau ungefähr in der Mitte, der an einen Kricketpavillon erinnerte, blieb ich stehen. Drinnen brannte kein Licht, und der Bau war, wie die übrige Kolonie, geschlossen. Mobile Toilettenhäuschen und eine Garage vervollständigten die Verwaltungszentrale der Kolonie.

Ich verdrängte das Gefühl, unbefugt anderer Leute Grundstück zu betreten, und setzte meine Erkundung fort, bis ich zur Parzelle Nummer 16 kam.

Oh.

Trotz des ernüchternden Anblicks konnte ich mir ein schiefes Grinsen nicht verkneifen. Die Sorge, meine Hälfte nicht zu erkennen, hätte ich mir sparen können.

Auf der an der Straße gelegenen Hälfte sprossen üppige Büschel, in denen ich Lauchzwiebeln erkannte und die mich vage an die missratene Haartransplantation meines letzten Schuldirektors erinnerten, nur in diesem Fall grün und nicht schwarz. Dahinter machte ich eine Reihe Rotkohl von beachtlicher Größe aus sowie riesige grüne Stängel – ich kniff die Augen zusammen und sah genauer hin. Rosenkohl! Du liebe Güte, wer hätte gedacht, dass Rosenkohl an solch hohen dicken Stängeln wächst! Und direkt dahinter erblickte ich ein verworrenes Geflecht von Stöcken und Schnüren, die etwas als Rankhilfe dienten, von dem nur kahle Zweige zu sehen waren. Hinter zwei Bäumen und einem gepflegten Holzschuppen befand sich meine Hälfte. Der Gegensatz war, gelinde gesagt, ein Schock.

Jeder kennt vermutlich das Märchen von Dornröschen, das in einen hundert Jahre währenden Schlaf fällt, während der Wald das Schloss so überwuchert, dass es unzugänglich wird.

Das war meine Hälfte.

Im Kopf ließ ich meine bescheidene Sammlung an Gartengeräten Revue passieren – eine rosafarbene Handgabel, eine Pflanzschaufel, Gärtnerhandschuhe und eine Harke. Unzulänglich war stark untertrieben. Meine Erfahrung im Gärtnern beschränkte sich darauf, Koriander im Topf zu kaufen und, vor zwei Jahren, mit meiner Klasse Eierköpfe mit Kressehaar zu basteln. Es war immer James’ Traum gewesen, unser eigenes Gemüse zu ziehen, wohingegen ich mit abgepackten Erbsen und einer Dose Mais aus dem Supermarkt vollkommen zufrieden war.

Ich lehnte das Fahrrad an eine Bank und stakte durch das feuchte Gras, um meine Hälfte einer genaueren Inspektion zu unterziehen.

So also sah mein »neues Hobby« aus. Ich stemmte die Hände in die Hüften und verschaffte mir über das Brombeergestrüpp, die Brennnesseln, den Ampfer sowie eine Vielfalt kriechender Unkrautgewächse einen ersten Überblick. Und ich versuchte, positive Gedanken heraufzubeschwören.

Vernachlässigt, ungeliebt, trostlos …

Das reicht, Tilly, ich muss doch bitten! Drei Mal tief ein- und ausatmen. Schon besser.

Ich blinzelte und riss die Augen auf, eine klare Absage an die Tränen.

Neujahrsvorsatz Nummer eins: nach vorne schauen. Na bitte, geht doch.

Ich war hier, weil ich einen Neuanfang brauchte, eine neue Einstellung und frische Luft, so hatte es zumindest meine Therapeutin gesehen, und auch meine Mutter, besonders, was die frische Luft betraf. Offenbar konnte ich es an Blässe mit Miss Havisham aus Charles Dickens’ RomanGroße Erwartungen aufnehmen.

Das Projekt eines Kleingartens schien sich ideal für die Umsetzung meines Neujahrsvorsatzes Nummer zwei zu eignen: mich zu beschäftigen.

Das sollte nicht allzu schwierig sein; wenn ich dieses Stück verwildertes Brachland wieder zum Leben erwecken wollte, hätte ich alle Hände voll zu tun.

Außerdem sehnte ich mich vor allen Dingen nach Frieden und Abgeschiedenheit, und was konnte friedlicher sein als Gärtnern? Mitten an einem Feiertag konnte es dieser Ort an Stille und Abgeschiedenheit mit einem Leichenschauhaus aufnehmen! Ich fröstelte. Ja, der Neujahrsvorsatz Nummer drei wäre hier ein Kinderspiel: alleine sein und es bleiben.

Und mir kam der – zugegeben – rührselige Gedanke: James wäre stolz auf mich, wenn er irgendwie erführe, dass ich mir mit Mutter Natur die Hände schmutzig machte.

»Was meinst du, James, krieg ich das hin?«

»Aber klar«, kam die Antwort dicht an meinem Ohr.

Ich schrie.

Kapitel 2

Mein Herz machte einen Satz. Ich griff mir an die Brust, verlor das Gleichgewicht und stolperte vom Gras in ein Dornengestrüpp.

»Achtung!« Zwei kräftige Arme packten mich von hinten und zogen mich rechtzeitig zurück.

Das sah mir mal wieder ähnlich: das Trampeltier vom Dienst. Und ich hatte immer noch meinen Fahrradhelm auf. Die ideale Vogelscheuche: Tilly. Wenigstens verschwand mein errötendes Gesicht größtenteils unter dem Schal.

Ich drehte mich zu meinem Angreifer und Retter um, zog einen stacheligen Zweig aus meiner Strumpfhose und holte Luft. Angreifer war vielleicht ein wenig hart. Vor mir stand ein Mann, älter als ich, mit kurzem, dunkelblondem Haar und einem äußerst verlegenen Lächeln. Baumstark war das Erste, das mir zu ihm einfiel.

»Mir lag schon auf der Zunge, dass Sie perfekt hierherpassen, Sie wissen schon, wo Sie Selbstgespräche führen und so, aber ich sollte mich wohl besser dafür entschuldigen, dass ich Sie erschreckt habe. Eigentlich bin ich rübergekommen, um mich vorzustellen«, sagte er und kniff besorgt die blauen Augen zusammen.

Ich wusste nicht, was schlimmer war: die Tatsache, dass ich Selbstgespräche führte, oder dass ich es nicht einmal merkte. Ich nahm mir vor, diese besorgniserregende Entwicklung im Auge zu behalten.

Er schien, während er an den Ärmeln seines dicken Wollpullovers zupfte, auf ein erlösendes Wort von mir zu warten, doch ich keuchte immer noch und brachte keinen Ton heraus.

Er räusperte sich und reichte mir die Hand. »Ich bin Charlie. Nett, Sie kennenzulernen, und, äh, nochmals, tut mir leid.«

Ich nahm den Helm ab und schüttelte ihm die Hand.

»Tilly.« Wie ich feststellte, war meine Stimme in den letzten Monaten bedenklich eingerostet. Auch gut. Ich hätte keine Verwendung dafür gehabt.

»Und? Was haben Sie heute vor?«, fragte er und warf einen Blick über das wirre Unkraut und Gestrüpp hinter mir. »Roden?«

Roden. Sehr witzig. Unmöglich, mit diesem Dschungel alleine fertigzuwerden. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Ich überlegte, ob ich dieses vielleicht noch gegen ein anderes Grundstück tauschen konnte. Vielleicht spuckte sich ja jemand anderes bei der Herausforderung in die Hände. Zum Beispiel jemand, der einen Spaten sein Eigen nannte.

»Ähm …«

»Gemma wird sich freuen, dass jemand Gleichaltriger die Parzelle mit ihr teilt. Wir waren schon alle gespannt, wer sie übernehmen wird, nachdem die letzten Pächter rausgeflogen sind.«

Rausgeflogen? Ich schluckte bei der bangen Frage, welches Vergehen wohl einen Rausschmiss nach sich zog. Falls es auf Unfähigkeit hinauslief, würde ich meinen Vorgängern bald in hohem Bogen folgen. Andererseits klang eine Frau in meinem Alter vielversprechend. Es sei denn, sie wäre so neugierig wie Mr. Charlie.

»Sie reden nicht viel, oder? Dass Sie mich nicht falsch verstehen – das ist nicht als Vorwurf gemeint. Meine Ex hat geredet wie ein Wasserfall. Hat mich in den Wahnsinn getrieben. Ich hab lieber meine Ruhe und meinen Frieden. Deshalb bin ich übrigens hier; hatte damit gerechnet, heute der Einzige ohne einen Kater zu sein. Wie man sich irren kann.« Er grinste mich an. »Wie gesagt, das soll kein Vorwurf sein. Ich wiederhole mich. Bitte, sagen Sie was, Sie machen mich nervös.«

Darüber musste ich lachen, und in gespielter Erleichterung wischte er sich die Stirn. Er war sehr nett und gab sich redlich Mühe, freundlich zu sein. Er konnte ja nichts dafür, dass auch ich mir diesen Tag ausgesucht hatte, um hier meine Ruhe zu haben.

»Ich bin heute nur auf Erkundung hier.« Ich glättete die Baskenmütze und zupfte mir meinen nach einem Youtube-Video kunstvoll geflochtenen Fischgrätzopf zurecht. Und brachte, schon ein wenig geübter, noch einen zweiten Satz zustande: »Um zu sehen, worauf ich mich eingelassen habe.«

Er zog die Augenbrauen hoch.

Ich zuckte zusammen. »Ich habe zwar eine Herausforderung gesucht …«

Hier versagte mir die Stimme, und ich war kurz davor, alles hinzuschmeißen.

Charlie trat mit der Stiefelspitze gegen das Gestrüpp. »Keine Bange, Sie kriegen das schon auf die Reihe. Das ist ja das Tolle am Gärtnern. Sobald es Frühling wird, will das Zeug wachsen, so ist das in der Natur, nicht wahr?«

Er bückte sich und stocherte in der Erde. »Da, schauen Sie mal.«

Ich kauerte mich neben ihn, um zu sehen, was er gefunden hatte. Er roch nach Holzfeuer und Erde. So nahe war ich einem Mann seit einer Ewigkeit nicht mehr gekommen. Nicht auszuschließen, dass ich errötete.

Charlie deutete auf ein Büschel grüner Stängelchen, die so eben aus der Erde sprossen. »Grüne Schösslinge. Neues Leben. Egal, wie schlimm dieser Boden letztes Jahr vernachlässigt wurde, da ist immer noch Hoffnung, sehen Sie? Er wird trotzdem sein Bestes geben.«

Abrupt stand ich auf. »Verstehe«, murmelte ich.

»Meine Parzelle liegt da drüben.« Charlie richtete sich auf und zeigte ans andere Ende. »Die mit dem geteerten Schuppen.«

Ich nickte höflich.

»Dann lass ich Sie mal ein Weilchen in Ruhe. Aber kommen Sie doch später rüber, dann führe ich Sie rum.«

»Gern.«

Sobald er außer Sichtweite wäre, würde ich einen Abgang machen. Im letzten Moment fielen mir meine Manieren ein, und ich rief ihm meinen Dank hinterher.

Also, wo waren wir stehen geblieben? Zusammen mit der Parzelle, der die Zeit übel mitgespielt hatte, hatte ich einen schäbigen Kompostierer aus alten Holzpaletten geerbt, sodann einen vergammelten geplätteten Bereich, auf dem vielleicht einstmals ein Schuppen gestanden hatte, eine abgeblätterte Gusseisenbank und einen niedrigen, stämmigen Baum. Wie’s aussieht, fasste ich für mich zusammen, während ich so lange auf der Bank saß, bis ich einen kalten Hintern bekam, hat alles auf der 16B dringendst liebevolle Fürsorge nötig. Willkommen im Club.

Ich hüstelte. »Willkommen im Club.« Das hatte ich beim ersten Mal nicht laut vor mich hingesagt, da war ich mir sicher. Glück gehabt!

Hinter meiner Parzelle schloss sich eine Reihe Bäume an, die die Grenze des Kleingartens markierte. Ich schlenderte hindurch und strich mir die tiefhängenden Zweige aus dem Gesicht. Geradeaus bildete das Geäst zweier benachbarter Bäume einen natürlichen Tunnel, und jemand hatte eine Steinbank daruntergestellt. Ich hielt den Atem an. Selbst an einem kalten Januartag war es ein bezaubernder Anblick, der mir völlig unerwartet die Tränen in die Augen trieb.

Hastig machte ich kehrt, um mich wieder auf die 16 zu verdrücken, als ich gegen eine in raue Wolle gehüllte Wand aus Muskeln stieß.

»Verraten Sie es nicht dem Vorstand, aber ich habe mir heimlich einen Schlüssel zum Pavillon nachmachen lassen. Kommen Sie, ich glaube, Sie könnten einen Becher heißen Tee vertragen, Sie zittern ja.«

Himmel, der Kerl bewegte sich lautlos wie ein Ninja.

Doch ich behauptete die Stellung. »Charlie, wenn wir Freunde werden sollen«, fing ich an und bereute augenblicklich meine Worte, als ich sah, wie sich sein Gesicht aufhellte, »dann müssen Sie aufhören, sich so leise anzupirschen. Ich habe derzeit das dringende Bedürfnis, allein zu sein, und solche Überraschungsangriffe kann ich schon gar nicht haben.«

Das hätte ich nicht sagen sollen, er war zerknirscht.

»Ach, egal«, sagte ich, milder gestimmt. »Was Heißes wäre perfekt.«

Im Innern des Pavillons roch es nach alten Socken und nassem Hund, und es war nur geringfügig wärmer als draußen, dafür verfügte die Hütte über den Luxus eines Wasserkochers, und da meine Füße inzwischen Eisklumpen waren, freute ich mich, ins Trockene zu kommen. Auch wenn wir, wie sich zeigte, wohl im Dunkeln sitzen mussten.

»Die Hälfte des Vorstands wohnt in den Reihenhäusern da drüben.« Charlie deutete mit dem Kopf durch ein schmutziges Fenster auf die an die Ivy Lane angrenzenden Gärten. Er hob zwei Stühle von einem Stapel und stellte sie an den Tisch in der Mitte. »Beim geringsten Lebenszeichen hier drinnen rücken sie mit ihren Mistgabeln und Luftgewehren an.«

Na toll. Tag eins, und ein Trupp bewaffneter Kleingärtner fällt wegen Einbruchs über mich her. Verlockende Aussicht.

Während Charlie in die winzige Küchennische verschwand, saß ich da und wartete. Der Raum erinnerte mich an eine Pfadfinderhütte: Holzdielenboden, jede Menge Fenster und null Isolierung. Ich stellte mir vor, wie bei den Vorstandstreffen die Scheiben beschlugen. An einem Ende des Raums hingen über ein paar Schränken Blätter an der Wand: Regeln (eine Menge), Preislisten (alles von Dünger bis zu Schokoriegeln) und Ankündigungen (Jahreshauptversammlungen, Kontaktdaten der Vorstandsmitglieder sowie gesellige Ereignisse). Für einige schien diese Kleingartensause ein Vollzeitjob zu sein, und ich konnte nur hoffen, dass niemand versuchen würde, mich in diese Geschäftigkeit hineinzuziehen. Das war das Letzte, wonach mir der Sinn stand.

Charlie reichte mir einen Becher schwarzen Kaffee, gab zwei gehäufte Teelöffel Zucker in seinen und bot mir einen Schuss Brandy aus seinem Flachmann an. Ich lehnte dankend ab.

Er gönnte sich selbst einen guten Schuss und zuckte verschmitzt mit den Augenbrauen. »Nur ein Tropfen, der das Herz erwärmt. Sollte ich eigentlich nicht – verträgt sich nicht mit meinen Medikamenten.« Er verdrehte die Augen und ließ die Zunge aus dem Mundwinkel hängen, um mir klarzumachen, dass es ein Witz war, und ich musste gegen meinen Willen lachen. Normalerweise wäre ich sofort stiften gegangen, wenn ich mich unversehens mit einem Wildfremden in einem einsamen Pavillon beim schlimmsten Kaffee meines Lebens wiedergefunden hätte, doch tatsächlich war ich irgendwie froh und fast ein bisschen stolz auf mich.

Das ist es, Tilly! Du bist gerade dabei, die Vergangenheit hinter dir zu lassen.

»Also«, sagte Charlie und schürzte die Lippen. »Ich bin fünfunddreißig, Single, Feuerwehrmann und vor fünf Jahren nach Kingsfield gezogen. Mit der Kleingärtnerei habe ich angefangen, um Stress abzubauen. Und Sie?«

Ich holte tief Luft. Das war der Teil, den ich hasste. »Ich bin achtundzwanzig, neu in Kingsfield, Lehrerin. Trete nächsten Montag meine neue Stelle an. Mit dem Kleingärtnern wollte ich mich zwingen, aus dem Haus zu gehen, von den Büchern und dem spitzen Bleistift wegzukommen.« Das war nicht einmal gelogen. Ich wärmte mir die Hände am Kaffeebecher und taute mit dem Dampf meine Nase auf. Charlie nickte, er war ein sehr guter Zuhörer.

Ich seufzte. »Aber ich habe nicht den blassesten Schimmer davon. Im Vertrauen gesagt, ich kann kaum Gurken von Zucchini unterscheiden. Keine Ahnung, wie ich mich anstellen werde.«

Er sprang auf, kramte in den Schränken am anderen Ende des Raums und kam mit einer Packung Kekse zurück. Eine Weile schlürften wir unser Gesöff und tunkten unsere Kekse ein, bevor Charlie seinen Becher abstellte und mich leicht am Arm berührte.

»Keine Sorge. Das ist ja das Schöne an der Anlage hier. Alle sind enorm hilfsbereit und geben einem Tipps.« Er kicherte. »Im Sommer teilen sie auch ihr Gemüse. Wenn Sie Rat brauchen, sind Sie hier wirklich an der Quelle; selbst nach drei Jahren kann ich immer noch jede Menge von anderen lernen. Es wird Ihnen hier gefallen, wir sind wie eine große Familie.«

Ich verschluckte mich an der heißen Brühe, prustete und sprühte Charlie einen Mundvoll Kaffee ins Gesicht. Wir sprangen beide auf – ich rot vor Verlegenheit, Charlie von der heißen Brühe. Ich knallte meinen Henkelbecher auf den Tisch, schnappte mir meinen Helm und rannte nach draußen.

»Was haben Sie?«, rief mir Charlie gequält hinterher. »Was habe ich denn gesagt?«

»Tut mir leid«, rief ich über die Schulter. »Ich muss los.«

Familie. Auf der Heimfahrt liefen mir die Tränen übers Gesicht. Eine Familie war so ziemlich das Letzte, wonach mir der Sinn stand, und das würde auch eine ganze Weile – wenn nicht für immer – so bleiben.

Kapitel 3

Es dauerte sechs Wochen, bis ich erneut den Mut fasste, mich in der Ivy Lane blicken zu lassen. Mit der neuen Stelle hatte ich alle Hände voll zu tun, auch wenn ich es zu meiner Überraschung genoss, wieder vor einer Klasse zu stehen. Da ich mir die Stelle mit einer anderen Lehrerin teilte, arbeitete ich nur drei Tage die Woche, doch ich hatte fünfzehn Monate pausiert und musste mich erst wieder daran gewöhnen, morgens um sieben aufzustehen, ganz zu schweigen von der Stundenvorbereitung, dem Heftekorrigieren und dem Umgang mit einer Horde Fremder – groß und klein. Außerdem hatte mir das Wetter mit reichlich Schnee und dann Frost und schließlich Überschwemmungen einen triftigen Grund für mein Fernbleiben geliefert – eindeutig nicht die richtige Jahreszeit zum Gärtnern. Und natürlich drückte ich mich davor, Charlie wieder unter die Augen zu treten.

Andererseits standen die Ferien vor der Tür, mit dem Unterrichtsstoff lag ich voll im Plan, meine bescheidenen Habseligkeiten waren alle ausgepackt und in meinem neuen Domizil alles an seinem Platz, kurz: Mir fielen keine Ausreden mehr ein.

Als ich diesmal langsam die geteerte Straße zu meiner Parzelle radelte, waren quer über die Anlage verstreut schon eine ganze Reihe anderer Gärtner bei der Arbeit: Sie sahen in den Gewächshäusern nach dem Rechten, beugten sich über die Frühbeete, liefen mit schwer beladenen Schubkarren hin und her. Überall herrschte emsige Geschäftigkeit. Ich merkte, wie sich meine Stimmung hob, und atmete gierig die frische Luft ein.

Was sollte schon so schwer daran sein, meine Wildnis zu bändigen und etwas anzupflanzen, das man essen konnte? Kein Grund zur Panik.

Ich ließ mein Fahrrad an der Bank stehen und marschierte zu Parzelle 16. Zwei Dinge fielen sofort ins Auge: Hinter dem Rosenkohl auf der 16A war jetzt ein frisch umgegrabenes Beet mit weicher, schwarzer Erde, aus der hunderte kleine, weiße Kügelchen sprossen. Zweifellos hatte ich es beim Pächter dieser Hälfte mit einem fleißigen Arbeiter zu tun. Zudem schlug mir aus dem Schuppen Musik entgegen.

Ich zögerte.

Gut möglich, dass mich besagter »harter Arbeiter« in ein höfliches Gespräch verwickeln würde. Andererseits war dies die beste Gelegenheit, meinem Nachbarn meine Grundregeln zu vermitteln: höflich distanzierte Nachbarschaft. Unter keinen Umständen wollte ich mich mit einem begeisterten Hobbygärtner in Diskussionen über das Für und Wider von Dünger oder Laubmulch verwickeln lassen.

Ich klopfte also, weder zu laut noch zu leise – entschlossen, doch nicht zu energisch – an. Die Musik verstummte, von drinnen waren ein kurzer Aufschrei und das Klirren von Glas zu hören. Ich schluckte. Wobei störte ich den Hobbygärtner gerade? Vielleicht schlich ich mich besser wieder davon und versuchte es ein andermal …

Die Tür ging ein Stück auf, und durch den Spalt blickte mir ein großes blaues Auge entgegen. Ich sah einen Schopf blondes Haar, und mir stieg eine Wolke von … Nagellack entgegen.

»Herzanfall dotcom!«, quiekste die Person hinter der Tür.

Dann flog die Tür auf, die Bewohnerin des Schuppens packte mich am Arm, zog mich nach drinnen und knallte die Tür zu. Wir landeten beide in einander gegenüberstehenden Liegestühlen.

»Ich dachte, sie wären meine Mutter!«

Sie verdrehte genervt die Augen, fächelte sich das Gesicht und holte ein Fläschchen farblosen Nagellack hinter einem Blumentopf hervor. Dann sah sie mich ungläubig von oben bis unten an und stöhnte. »Ach je! Sie sind doch nicht etwa obdachlos?«

Ich blickte an mir herunter: braune wasserdichte Jacke (von James), graue Jogginghose (von James), braungrünes Karohemd (richtig, von James). Wenig schmeichelhaft, zugegeben. Schlabberig, gewiss. Eine Art Körperpanzerung, ertappt. Aber obdachlos?

»Nein«, sagte ich bemüht lässig. »Ich bin Tilly, ich habe die andere Hälfte dieser Parzelle übernommen. Das ist nur meine Gärtnerkluft.«

»Ach so, du bist Tilly.« Meine Nachbarin schenkte mir ein vielsagendes Lächeln und nickte, als hätte ich gerade ein Sudoku-Rätsel für sie gelöst. »Okay. Ich bin Gemma.«

Gemma war ungefähr in meinem Alter, vielleicht auch ein bisschen jünger. Sie hatte kurzes, lockiges blondes Haar, das sie aus dem Gesicht gekämmt und an einer Seite mit einer rosa Satinschleife festgesteckt hatte. Sie trug ein pinkfarbenes Kapuzen-Sweatshirt aus Nickistoff und eine farblich passende Hose. Wenn ich mich nicht täuschte, war sie völlig ungeschminkt, hatte aber einen zum Outfit passenden rosigen Teint, und ihre strahlenden Augen zierten lange Wimpern und perfekt geformte Brauen. Ich glaube, bis dahin hatte ich noch nie bei jemandem auf die Augenbrauen geachtet. Mein Gesicht musste ihr wie ein halb roher Doughnut erscheinen. Doch das Erstaunlichste an ihr – jedenfalls im Ambiente eines Schuppens – waren ihre Fingernägel, mit denen sie zum Trocknen in der Luft fächelte.

Ohne lästern zu wollen, sah sie wirklich nicht nach einer Gärtnerin aus. Und wieso fürchtete sie sich in ihrem Alter davor, von ihrer Mutter ertappt zu werden? Ich überdachte meine Beweggründe für meinen Antrittsbesuch noch mal. Ich war neugierig, mehr über sie zu erfahren, zumal Gemma augenscheinlich nicht der Typ war, der sich über Düngemethoden unterhalten wollte.

»Hast du meine Mum irgendwo gesehen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Glaube ich nicht: Wer ist denn deine Mum?«

Gemma grinste. »Christine. Die Vorstandssekretärin, rote Bäckchen, als würde sie sich das Gesicht mit Topfreiniger schrubben, dauergewelltes graues Haar. Im Ernst, sie ist bestimmt die letzte Frau im Königreich, die sich Dauerwellen machen lässt. Bald werden Leute aus allen Himmelsrichtungen herkommen, um ihren Krauskopf zu bestaunen. Fühlt sich an wie dieses Algenzeug, das man beim Chinesen kriegt. Aber ich hab sie trotzdem zum Fressen gern.«

»Bis jetzt sind wir uns noch nicht begegnet«, sagte ich, »wir sind für heute Nachmittag verabredet, da will sie mich offiziell willkommen heißen.«

»Aber ich warne dich: Sie kriegt dich in irgendeinen Ausschuss oder eine Arbeitsgruppe, bevor du es überhaupt merkst …« Gemma musterte meine Füße. »Neue Gummistiefel.«

Ich nahm mir vor, mit angemessen erdverkrusteten Stiefeln heimzufahren. Nichts verriet den Neuling so eindeutig wie makellose Cath-Kidston-Gummistiefel.

»Hey, mach dich mal nützlich«, sagte Gemma und zeigte auf eine kleine Thermoskanne. »Gieß uns was zu trinken ein, während die Schätzchen hier trocknen, und dann erzähl mir alles über dich.«

Ich tat wie geheißen – war wohl besser so – und rasselte die Kurzversion meines CV herunter, bevor ich geübt das Thema auf meine neue Nachbarin lenkte. Bei der Flüssigkeit in der Thermoskanne handelte es sich um Cranberrytee, ein widerliches Zeug.

»Ungewöhnlicher Ort für eine Maniküre«, sagte ich, runzelte die Stirn und konzentrierte mich ganz darauf, bei dem widerwärtigen Geschmack im Mund nicht das Gesicht zu verziehen.

Der Schuppen hatte zwei Fenster, Regalbretter mit Marmeladengläsern, Gartengeräten, Bindfaden, Setzkästen aus Plastik, einer Flasche Babyöl und Nagellackentferner. Größere Geräte hingen an Nägeln an der rückwärtigen Wand, in einer Ecke stand ein geöffneter Beutel Komposterde. An der Rückseite der Tür hing ein Spiegel.

»Klar, nach dem Pflanzen der Zwiebeln habe ich mir doch eine Belohnung verdient«, sagte Gemma. »Lassen wir ein bisschen Luft rein, okay?« Sie stand auf, ließ ihr Nagellackfläschchen in die Handtasche fallen und öffnete mithilfe einer Gießkanne die Tür. Die Antwort klang ein wenig ausweichend, aber ich wollte nicht nachhaken.

»Sieht gut aus«, sagte ich mit Blick auf die perlweißen Spitzen ihrer kurzen Nägel.

»Ich bin Kosmetikerin«, sagte sie und tat ihr Kunstwerk mit einem Achselzucken ab. Passte sie schon nicht in das Stereotyp eines Gärtners, dann genauso wenig in das einer Kosmetikerin. Wo waren das apricotfarbene Make-up, die falschen Wimpern und das tiefe Dekolleté? Ich verspürte den plötzlichen Drang, meine Augenbrauen und die Oberlippe mit den Fingern abzudecken. Naturbelassen, bei wohlwollender Betrachtung.

»Aber ich bin fest davon überzeugt, dass Schönheit von innen kommt«, fuhr sie mit einem Seufzer fort. »Deshalb rackere ich mich hier ab.« Sie machte eine ausladende Handbewegung über ihre Parzelle. »Sein eigenes Gemüse anbauen, sich gesund ernähren, viel Zeit an der frischen Luft verbringen …«

In einem geschlossenen Schuppen Aceton inhalieren, fügte ich innerlich hinzu.

»Das ist das Stichwort, ich sollte dann mal weitermachen«, sagte ich und stand widerstrebend auf. (Kaum zu fassen – ich genoss unseren kleinen Plausch. Meine Grundregeln hatten sich in Luft aufgelöst.) »Bei mir gibt es ziemlich viel Gestrüpp zu entfernen.«

»Da bist du bei mir richtig«, sagte Gemma und folgte mir aus dem Schuppen und an den Bäumen vorbei auf meine Parzellenhälfte.

»Nein«, sagte ich. Gemma zuckte ein wenig zusammen. Ich musste wohl mein bestes Lehrerinnengesicht aufgesetzt haben. James hatte immer gesagt, es sähe zum Fürchten aus. »Trotzdem danke«, sagte ich umgänglicher, »aber ich komm schon klar.«

Gemma zuckte die Achseln, blieb jedoch standhaft an meiner Seite. Für Beharrlichkeit bekam sie von mir eine Eins. »Okay, aber falls du es dir noch mal überlegst, kriegst du von mir einen Freundschaftspreis. Fünfzehn Pfund für ein Bikini-Waxing.«

Ich prustete los. Als ob ich mit ihr in aller Öffentlichkeit über meinen intimen Wildwuchs diskutieren würde.

»Nein. Ich meine das Gestrüpp da drüben!«, sagte ich und zeigte auf das Brombeergebüsch.

»Ach so!«

Schon seltsam – das Unkraut war fast verschwunden. Die ganze rechteckige Parzelle sah aus, als habe ihr jemand einen ziemlich schlechten Haarschnitt verpasst. Es waren nur noch struppige Stoppel zu sehen. Aber was für eine Verbesserung! Ungläubig starrte ich auf meinen Teil und zermarterte mir das Gehirn nach einer Erklärung für das Wunder.

Da war es wieder, Gemmas vielsagendes Grinsen.

»Hast du …«, fing ich an.

Bevor ich ausreden konnte, schüttelte sie den Kopf. »Das war Charlie. Er hat erzählt, bei eurer ersten Begegnung hätte er dir einen Riesenschreck eingejagt. Er hatte ein ziemlich schlechtes Gewissen. Statt einer Entschuldigung hat er sich eine Motorsense ausgeborgt und das Unkraut getrimmt.«

Ich merkte, wie ich puterrot anlief. Armer Charlie. Er hatte ja nur versucht, nett zu sein.

»Ich fand das ziemlich großzügig von ihm«, sagte Gemma, und ich sah deutlich, wie es um ihre Mundwinkel zuckte. »Jetzt verstehe ich natürlich auch, weshalb.«

Eine weitere Ergründung der unverhofften Schicksalswende blieb mir dank einer kleinen, stämmigen Gestalt undefinierbaren Geschlechts erspart. In Pudelmütze, Dufflecoat und schwarzen Gummistiefeln erschien sie in diesem Moment an der Rückseite unserer Parzelle.

»Gemma, Liebes, da bist du ja!«

Der Stimme nach, mit leichtem irischem Akzent, eindeutig eine Frau. Sie marschierte auf uns zu und strahlte, als sie auf mich aufmerksam wurde.

»Und Sie müssen Tilly sein«, rief sie und legte noch einen Zahn zu. Sie umarmte meine Taille (für meinen Hals reichte es nicht ganz) und drückte mich fest, während mich ihr Bommel an der Nase kitzelte. »Ich bin Christine. Vereinssekretärin. Hocherfreut, hocherfreut«, sagte sie. »Und wie ich sehe, haben Sie schon ordentlich losgelegt. Großartig, wirklich großartig.«

»Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe. Sonst trickst sie dich aus«, flüsterte mir Gemma zu.

In einem schwachen Versuch, meinen Freiraum wiederzugewinnen, trat ich einen Schritt zurück.

Christine wandte sich ihrer Tochter zu. »Ich dachte, du könntest mir vielleicht mit den letzten Kartoffeln zur Hand gehen. Zusammen kämen wir heute durch.«

»Tut mir leid, Mum«, seufzte Gemma, »aber ich bin schon seit Stunden hier, um all diese Zwiebeln unter die Erde zu bekommen. Mir tut schon jetzt der Rücken weh. Ich schaffe keinen Spatenstich mehr.«

Zur Demonstration legte sie die Hände ins Kreuz, streckte sich und machte ein schmerzverzerrtes Gesicht. Ich warf einen verstohlenen Blick auf ihre rosa Hose: nicht der kleinste Spritzer Erde. Blütenrein.

Christine schüttelte leicht enttäuscht den Kopf. »Na ja, das hast du auch wirklich toll gemacht, richtig toll. Egal, dann warte ich eben auf deinen Vater.« Damit stapfte sie davon. Offenbar legte sie bei allem, was sie tat, ein beachtliches Tempo vor.

»Christine«, rief ich ihrer Hobbit-Gestalt hinterher.

»Ja, Tilly?« Sie drehte sich um und machte so große, gespannte Augen, dass ihre Brauen unter der Mütze verschwanden.

»Ich glaube, ich muss mir … ein paar Geräte borgen, für die nächsten Schritte.« Ich war schlichtweg überfordert, was ich nach meinem vielversprechenden Anfang jedoch auf keinen Fall zugeben konnte. Sobald ich wieder zuhause war, würde ich mir dieses Buch vornehmen, das ich zu diesem Thema aus der Bibliothek ausgeliehen hatte.

»Sicher, sicher.« Christine nickte energisch. »Kommen Sie um halb sieben in den Pavillon rüber, und ich zeige Ihnen vor der Mitgliederversammlung die Liste mit unseren Ausleihgeräten.«

Versammlung? Nein danke.

»Aber kann ich nicht …«, nahm ich einen zweiten Anlauf.

»Nebenbei eine gute Gelegenheit, die Leute kennenzulernen.« Im selben Moment ging Christine wie der Blitz auf ein grünes Zweiglein in Gemmas neuem Zwiebelbeet los und riss es mit Stumpf und Stiel aus. Ein Unkraut, vermutete ich. Neben mir hörte ich Gemma schnauben.

Bei dem bloßen Gedanken an die Kleingärtnerversammlung stellten sich mir die Haare auf. Ich änderte die Taktik. »Ich fürchte, ich kann nicht …«

»Meine Kartoffeln rufen. Also dann, bis später.« Und schon hatte Christine, während sie zum Abschied noch einmal die Hand hob, die Straße überquert.

»Aber Christine!«

»Bis dann.« Weg war sie.

Man konnte mir nicht nachsagen, ich hätte es nicht versucht.

»Ich will nicht zu diesem Vereinstreffen«, seufzte ich.

»Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt«, bemerkte Gemma und rieb sich vergnügt die Hände. »Jedenfalls freue ich mich, dass du kommst, du kannst mir Gesellschaft leisten und nebenbei das Durchschnittsalter um fünfzig Jahre senken.«

»Na, wenn das so ist, kann ich es kaum erwarten«, sagte ich grinsend. Ich zog meine (James’) Jacke zu. Sobald man eine Weile stillstand, fror man sofort durch. »Also, dann mach ich mich mal vom Acker.«

»Schon?« Gemma zog einen Flunsch. »Du hast doch noch gar nichts gemacht!«

Zur Antwort starrte ich demonstrativ auf ihre perfekte Maniküre, und sie versteckte die Hände unter den Achseln.

»Ich bin heute Nachmittag noch mit einer sehr dicken Schwarte verabredet«, sagte ich beschwingt.

»Oh, was Schmutziges?«

»Könnte man so sagen.« Während ihre Augen aufleuchteten, presste ich die Lippen zusammen. »Kleingärten für Dummies. Also, bis nachher.«

Als ich zum Tor hinausradelte, hörte ich hinter mir immer noch Gemmas Lachen. Wäre ich auf eine neue Freundin aus – was ich natürlich nicht war, aber nur rein theoretisch –, hätte ich es wahrlich schlechter treffen können als mit Gemma.

Kapitel 4

Um Viertel nach sechs verließ ich widerstrebend die traute Einsamkeit meines Heims und fuhr im Nieselregen mit dem Rad durch die dunklen Straßen zu den Kleingärten der Ivy Lane. Obwohl ich früh dran war, brannte im Pavillon schon Licht, und es tummelten sich dort schon eine Menge Leute. Mit klammen Händen machte ich mein Rad mit dem Schloss an der Bank fest, nahm den Helm ab und fragte mich zum x-ten Mal, wie es Christine nur gelungen war, mich zum Kommen zu bewegen.

Sie hatte mich ausgetrickst, rief ich mir in Erinnerung. Ich musste auf der Hut sein, wenn ich mich nicht am Ende des Abends im Vorstand wiederfinden wollte. Ich holte einmal tief Luft und trat ein, fest entschlossen, mich an meinen Plan zu halten: Bodenfräse mieten, bei Charlie Boden gutmachen und so früh wie möglich wieder verschwinden.

»Da bist du ja!« Gemma kam mit einem Satz auf mich zu, flog mir um den Hals, küsste mich auf die Wange und zog mich an einer Gruppe vorbei zu einer Stelle in der Nähe des Heizstrahlers.

»Verstärkung ist da! Das ist Mia.«

Ich folgte ihrer Kopfbewegung und blickte auf ein junges Mädchen, das mit angezogenen Knien auf dem Boden saß und über ihrem Handy die ganze Welt vergaß. Den hängenden Schultern, dem Stirnrunzeln und ihren heftigen Handyaktivitäten nach zu urteilen war Mia ungefähr so glücklich hier zu sein wie ich.

Gemma lehnte sich zu mir. »Meine Tochter. Vierzehn und so kratzbürstig, dass sich mir der Nagellack aufstellt.«

»Meine Güte! Du siehst viel zu jung aus, um schon so eine große Tochter zu haben!«, sagte ich und zwang mich zu einem Lächeln.

Ich hatte gedacht, sie sei wie ich – aber das war sie nicht! Sie war Mutter! Ungerechtfertigterweise fühlte ich mich hereingelegt und musste mich zusammenreißen, um nicht schneller wieder zu verschwinden, als ich gekommen war.

Am besten machte ich mich sofort auf die Suche nach Christine und brachte es hinter mich. Ich blickte Gemma über die Schulter und hielt nach ihr Ausschau.

Gemma schüttelte den Kopf. »Falls du Charlie suchst, den habe ich noch nie bei einem Treffen gesehen. Das sei ihm zu aggro, sagt er, bezeichnet sich als Pazifist.« Sie zwinkerte mir zu. »Hast du gehofft, dass er heute Abend kommt?«

Gemma, so viel stand fest, packte so viel Informationen in jeden Satz, dass sie schon zum nächsten Schlag ausholte, wenn ich mich noch von der letzten Offenbarung erholen musste. Bis dato hatte sie mich auf die Wange geküsst, mit ihrem Alter schockiert und schien zu glauben, ich interessierte mich für Charlie. Ich für meinen Teil hatte noch kein einziges Wort gesagt.

»Nein, natürlich nicht, ich möchte mich nur bei ihm dafür bedanken, dass …«

»Ich nehm’s zurück und behaupte das Gegenteil. Alles ganz unverfänglich …« Sie zog die Backen ein und diese wunderschönen Augenbrauen hoch. »Ich besorg uns eine Tasse Tee. Ach ja, und meine Mum wollte mit dir reden, da drüben ist sie.«

In einer klatschnassen Jacke und mit triefendem Gesicht stand Charlie an der Tür. Offenbar hatte sich das Wetter in den letzten fünf Minuten verschlechtert; wenn ich jetzt ging, wäre ich auf dem Heimweg nach fünf Minuten bis auf die Haut durchnässt. Er warf die Kapuze zurück, ließ den Blick durch den Raum schweifen und kam, als er mich entdeckte, winkend auf mich zu. Mist! Ich hatte mir noch keine Entschuldigung für ihn zurechtgelegt.

Kaum entdeckte ich Christine, die mit einem Laptop auf den Knien in einer Ecke saß, sprintete ich in ihre Richtung.

»Christine, hast du einen Moment?«

Ohne die Pudelmütze auf dem Kopf wurde mir eine Nahansicht der Dauerwelle zuteil. Die Locken wirkten so fest, als hätte sie die Wickler noch drin, und dazwischen schimmerte ihre rosige Kopfhaut durch. Sie trug einen Pullover in Pink, farblich auf ihre Wangen abgestimmt, sowie etwas zu kurz geratene Jeans.

»Ah, hallo, meine Liebe«, antwortete sie geistesabwesend. »Dieses teuflische Ding.« Sie schüttelte den Kopf und hämmerte wütend in die Tasten.

Gemma kam dazu und reichte mir eine Tasse Tee.

»Ich halte dir einen Platz frei«, flüsterte sie und verschwand.

»Christine, ob ich mir vielleicht die Fräse für einen Tag ausleihen kann? Damit wollte ich die Erde aufbrechen und dann«, ich zog die Notizen auf meinem Handrücken zurate, »und dann wollte ich die oberste Schicht in eine feine Gare gabeln.« Ich legte eine Kunstpause ein, um bei ihr mit meiner Expertise zu punkten, doch meine Worte fielen auf steinigen Boden.

»Gute Idee, aber damit müssen Sie sich an Nigel wenden«, sagte sie nur und malträtierte weiter ihren Laptop.

»Aber …«

»Er ist noch nicht da. Kennen Sie sich mit Computern aus?«

Mit einem kläglichen Blick sah sie mich an und klopfte auf den leeren Platz neben ihr. Sowenig Ahnung ich vom Gemüseanbau hatte, in Sachen IT wusste ich, wo der Spaten hing, außerdem konnte man nicht einfach zusehen, wie sich eine ältere Frau mit der Technik abquälte, also fügte ich mich.

Sie packte mir den Laptop auf die Knie und erklärte mir das Problem. Ich sah, wie Gemma am anderen Ende des Raums versuchte, meine Aufmerksamkeit zu erregen, doch es wäre unanständig gewesen, einfach aufzustehen und zu gehen.

Bis ich ihr den Unterschied zwischen der Einfüge- und der Entfernen-Taste erklärt und gezeigt hatte, dass es für das Erstellen eines Sitzungsprotokolls eigens eine Mustervorlage gab, hatten alle Platz genommen, und ein rundlicher Mann mit Resthaarfrisur und Tweedjackett rief die Versammlung zur Ordnung auf.

»Das ist Peter, unser Vorsitzender, reizender Mann, so engagiert«, seufzte Christine. »Er hat die Parzelle neben dir und Gemma und ein Faible fürs Exotische.«

Ich hoffte doch sehr, dass sich dieses Faible aufs Kulinarische und nicht … sonst was richtete.

Ich versuchte aufzustehen, den Laptop der rechtmäßigen Besitzerin zurückzugeben und mich zu verdrücken, doch sie hielt mich mit einem erstaunlich kräftigen Griff zurück.

»Wie lieb von Ihnen, das Protokoll zu übernehmen, Tilly, wirklich ganz reizend.«

Mit einem schicksalsergebenen Schnaufer sank ich wieder auf meinen Platz. Widerstand wäre zwecklos gewesen. Außerdem goss es, nach dem Trommeln auf dem Dach zu urteilen, in Strömen, und ich wollte wirklich die Sache mit der Fräse klären, bevor ich ging.

Ein Mann in mittlerem Alter sank keuchend auf den Platz neben mir. Seine nass gesprenkelte Jeans hatte Bügelfalten, und unter einem Pullover mit V-Ausschnitt trug er ein senffarbenes Hemd und Krawatte.

»Das ist Nigel«, flüsterte Christine.

Na, immerhin etwas. Wenigstens konnte er mir am Ende der Sitzung nicht entkommen. Jetzt brauchte ich nur noch im Hintergrund abzutauchen …

»Wie Sie alle wissen«, fing der Vorsitzende an, »konnten wir letztes Jahr endlich Frank Gartons Räumung von Parzelle 16B erwirken …«

Bei der Erwähnung meines Vorgängers kam es zu verhaltenem Hohngelächter und Gemurmel. Ich hätte wirklich gern gewusst, was der Mann verbrochen hatte.

»Und ich freue mich, Tilly Parker in der Kleingartenanlage Ivy Lane willkommen heißen zu dürfen!« Peter streckte den Arm in meine Richtung aus, und etwa dreißig Augenpaare fuhren zu mir herum.

Der reinste Horror.

»Und sie ist so liebenswürdig«, flötete Christine dazwischen, »das Protokoll für unsere Sitzungen zu übernehmen.«

Es gab donnernden Applaus, und ich verging vor Schreck. Hatte sie Sitzungen – Plural – gesagt? Da konnte sie lange warten. Ich wagte einen kurzen Blick zu Gemma hinüber, deren amüsiertes Gesicht und resigniertes Kopfschütteln Bände sprach. Selbst Mia hatte von ihrem Smartphone aufgesehen und spähte grinsend herüber. Und bildete ich mir das nur ein, oder prustete Nigel beinahe vor Vergnügen?

»In unser aller Namen möchte ich Sie in unserer kleinen Gemeinschaft willkommen heißen«, sagte Peter mit einer kleinen Verbeugung. »Vielleicht erzählen Sie uns ein bisschen von sich?«

Mir wurde schwindelig im Kopf, ich bekam einen Kloß im Hals und merkte, wie mir die Oberschenkel zitterten.

»Ehrlich gesagt, Pete«, meldete sich eine Stimme von weiter hinten. Es war Charlie. »Meine Schicht fängt um acht an; meinst du, wir könnten uns an die Tagesordnung halten? Tut mir leid, ist nicht böse gemeint.«

Peter räusperte sich. »Selbstverständlich. Also, Punkt eins …«

Ich sah lächelnd zu Charlie hinüber und formte mit den Lippen ein Danke. Er grinste zurück und hielt den Daumen hoch.

Der Frieden war besiegelt.

Ich atmete auf und machte mich daran, den Gang der Hauptversammlung eifrig für die Nachwelt festzuhalten.

Eine Stunde und es war geschafft, ausgenommen die letzte Runde Tee. Alle zog es zur Küchenecke, und fröhliches Gemurmel erfüllte den Pavillon.

»Gut gemacht, Tilly«, sagte Christine und nahm mir den Laptop ab. Geschickt steckte sie den USB-Stick ein und kopierte mein Dokument.

»Gern geschehen«, sagte ich und schwor mir, mich nie wieder neben sie zu setzen. Ich stand auf, rollte die verspannten Schultern und drehte mich zu meinem Nachbarn um. »Nigel, kann ich Sie für einen Moment sprechen?«

»Da bist du ihr ja ganz schön auf den Leim gegangen«, sagte Gemma kichernd, während sie mir zum Trost eine weitere Tasse reichte.

»Deine Mutter beherrscht die Kunst des Delegierens als Kunstform«, bekräftigte Nigel.

»Ich kann nicht mit ansehen, wenn sich Leute abmühen«, antwortete ich.

Gemma verschluckte sich fast an ihrem Tee. »Die kennt sich mit dem Computer besser aus als Mia. Sie ist Chefsekretärin!«

»Bei einem Wirtschaftsprüfer«, fügte Nigel stirnrunzelnd hinzu, »aber das habe ich auch erst erfahren, nachdem sie mich bereits zum Schatzmeister gemacht hatte. Egal, wie kann ich Ihnen helfen?«

Ich wiederholte meinen Plan eine Fräse auszuleihen und ließ dabei die »Bodengare« einfließen. Nigel machte im Verzeichnis für den Geräteverleih einen entsprechenden Vermerk, und wir kamen überein, dass ich die Fräse, falls es das Wetter erlaubte, am Samstag abholen würde.

»Damit kann ich Ihnen auch ein bisschen helfen«, sagte Charlie, der wie aus dem Nichts an meiner Seite auftauchte.

»Danke«, sagte ich und merkte, wie ich rot anlief. »Aber Sie haben schon genug für mich getan.«

In dem Moment drängelte sich eine stämmige Frau mit Doppelkinn und Hakennase in die kleine Runde. »Wir Frauen schaffen das auch alleine, Charlie. Nicht jede ist eine Jungfrau in Nöten, stimmt’s, Tilly?«

Dann wurden wir Zeuge, wie sie sich Tee in die Untertasse goss, daran pustete und ihn mit gespitzten Lippen schlürfte. Das Bild erinnerte mich daran, wie James und ich in Ägypten auf Kamelen saßen und seines sich so weit zur Tränke hinunterbeugte, dass es ihn fast aus dem Sattel gehoben hätte.

»Hast du schon Shazza kennengelernt?«, fragte Gemma und bemühte sich redlich, nicht zu grinsen. »Sie ist auf der Parzelle neben uns.«

Demnach Peters Frau. Und höchstwahrscheinlich mit demselben Hang zum Exotischen.

»Hi, Shazza.« Irgendwie kam das etwas glucksend und eine Oktave zu hoch heraus, ein weiterer Grund für mich, bis in die Haarspitzen zu erröten.

»Sie würde sich bestimmt über deine Hilfe freuen, Charlie«, sagte Gemma. »Ich würde mich ja selbst anbieten, aber mit meiner Masseusen-Schulter muss ich im Moment passen.« Zur Demonstration rollte sie die Schultern und verzog gequält das Gesicht. Shazza verdrehte angewidert die Augen.

Ich wollte ja protestieren, aber wozu? Schließlich brauchte ich ja Hilfe. Doch sobald die Parzelle umgegraben und die Erde zu feinsten Krumen gefräst war, wollte ich in Ruhe gelassen werden. An einem Ort wie diesem leichter gesagt als getan, dämmerte mir beim Anblick der neugierigen Gesichter ringsum.

»Mum, wir müssen los!«, brüllte Mia, die schon am Ausgang wartete.

»Oh, Mikey ist da.« Blitzschnell zog Gemma ein Döschen Vaseline aus der Jeanstasche, tupfte sich ein wenig auf die Lippen und plusterte sich das Haar auf. »Mein Mann. Er ist Automechaniker, wundere dich also nicht über seine Hände. Komm, ich mache euch bekannt.« Bevor ich etwas sagen konnte, hatte sie sich bei mir untergehakt und manövrierte mich zur Tür.

Mia machte zwar immer noch ein finsteres Gesicht, doch nachdem sie ihr Smartphone eingesteckt hatte, sah ich zum ersten Mal ihr Gesicht in Gänze. Braune Augen, cappuccinofarbener Teint, eine Wolke Kringellocken darüber. In ihren hautengen, schimmernden Leggings und den Turnschuhen erinnerten ihre langen Beine an Golfschläger, und als wir näher kamen, stellte ich fest, um wie viel größer sie war als ihre Mutter. Das Einzige, was sie von Gemma geerbt hatte, waren die prächtigen, langen Wimpern. Auf Anhieb hätte ich geschätzt, dass ihr Dad Afrokaribe war. Und auf jeden Fall sehr groß. Im krassen Gegensatz zu dem eher zart gebauten, fuchsroten Austin-Powers-Doppelgänger, der jetzt neben Mia stand und mit den Autoschlüsseln klimperte.

Wetten, dass Gemma ein paar interessante Geschichten zu erzählen hatte!

Ich wurde vorgestellt, geküsst, umarmt und streng beäugt (von Mia), dann waren sie verschwunden.

Niemand achtete auf mich – der perfekte Moment für meinen Abgang. Ich mied jeden Blickkontakt, schlich mich aus dem Gebäude und holte mein Rad. Ein sechster Sinn sagte mir, dass jemand nach mir rief, doch es war schon spät, und für heute war mein Limit für soziale Kontakte schon überschritten.

Auf der Rückfahrt durch die dunklen Straßen ging ich die Versammlung im Pavillon noch einmal in Gedanken durch. Das Ausleihen der Geräte war geregelt, ich hatte mich mit Charlie wieder gutgestellt und mich durch die Konversation laviert, ohne allzu viel von mir preiszugeben. Alles in allem ein gelungener Abend. Fragte sich nur, wieso mich bei aller Anstrengung, auf Distanz zu bleiben, die Ahnung beschlich, in diese verschworene kleine Gemeinschaft hineingezogen zu werden.

Kapitel 5

Als ich am Samstag darauf zu Fuß durch das Tor der Ivy Lane kam, erwartete mich, so weit das Auge reichte, ein besonderer Anblick: hochgestreckte Hinterteile in jeder Form und Größe, während sich die Hobbygärtner emsig über ihre Beete beugten. Es war ein bewölkter, doch milder Tag, und bei meinem Erscheinen richteten sich alle auf, winkten oder riefen mir ein fröhliches »Guten Morgen« zu, bevor sie sich wieder an die Arbeit machten.

Irgendetwas musste ich falsch verstanden haben.

Bis jetzt hatte sich mir der Eindruck aufgedrängt, die Kleingärtnerei sei alles andere als eine einsame Angelegenheit (auch wenn ich selbst natürlich noch kein einziges Mal mit der Erde in Berührung gekommen war). Und so dankbar ich Charlie für sein Hilfsangebot war, sehnte ich mich schon jetzt nach dem Feierabend. Bisher hatte ich noch keine Minute allein auf meiner Parzelle verbracht, dabei hatte ich mich vor allem deswegen auf dieses Gartenabenteuer eingelassen. Doch wahrscheinlich würden sie mich alle in Ruhe lassen, sobald erst einmal die Knochenarbeit erledigt und mein Neulings-Status verblasst war. Es war also Land in Sicht, dachte ich mit einem stillen Seufzer.

Mein Fahrrad hatte ich diesmal zuhause gelassen und stattdessen meinen Rechen mitgebracht. Außerdem hatte ich eine Tasche mit einer Thermoskanne Tee und einer mit Kaffee, mit einer Dose Keksen und einem Glas Gummibärchen dabei. Was mir an nützlichem Gartengerät abging, hoffte ich, mit einem guten zweiten Frühstück wettmachen zu können. Ich blieb stehen, um einen Mann mit zerzaustem Haar und einer Schubkarre über die Straße zu lassen. Er trug einen zerlöcherten Pullover und ein Tuch mit einem Baby vor der Brust, von dem nur ein strubbeliger schwarzer Schopf zu sehen war. Wir begrüßten uns mit einem stummen Lächeln, und er flüsterte etwas, das wie »Rhabarber, Rhabarber« klang.

Kaum hatte ich meinen Weg fortgesetzt, als ein stämmiger Kerl mit grauem Haar und buschigen Augenbrauen hinter einem Wasserfass hervorsprang. Erschrocken schnappte ich nach Luft, konnte aber im letzten Moment mit meiner schweren Tasche ausweichen und verhindern, ihm mit meinem Rechen die Rübe abzusäbeln.

»Tut mir leid!«, brachte ich heraus.

Geduckt wie ein in die Jahre gekommener international gesuchter Spion, spähte er nach links und rechts und rückte die vier Dosen Bier zurecht, die er sich unter den Arm geklemmt hatte.

»Sie haben mich nie gesehen«, murmelte er und legte den Finger an die Lippen. Es folgte ein unverständlicher Redeschwall, in dem ich nur die Worte »Häresie«, »Bier mit Schuss« und »der König« ausmachen konnte. Bevor ich mich aus seinem Alkoholdunst verziehen konnte, flitzte er schon wieder davon und verschwand zwischen Pavillon und Toilettenblock.

Armer Kerl. Offenbar geistig verwirrt. Ich war mir nicht sicher, ob ich, wie erbeten, ein Auge zudrücken oder ihn der Obrigkeit melden sollte.

Aus dem Augenwinkel heraus erspähte ich Charlie, Gemma, Christine und Nigel an meiner Parzelle.

Nigel erklärte Charlie offenbar etwas an der Fräse, Christine sammelte Steine aus dem Boden und warf sie zwischen die Bäume, während sich Gemma die Hände eincremte. Ausnahmsweise einmal war ich dankbar Gesellschaft zu haben.

»Hat einer von euch einen Alkoholiker gesehen, der sich hier herumtreibt?«, fragte ich und lehnte meinen Rechen neben einer ganzen Reihe anderer Geräte an Gemmas Baum.

»Wieso? Hast du einen verloren?« Christine kicherte über ihren eigenen Witz. Sie stand auf, schob sich die Bommelmütze aus dem Gesicht und stemmte die Hände in die Hüften. Von der Anstrengung, vielleicht aber auch von der Stahlwolle, hatte sie ein rotes Gesicht, und sie war ein wenig außer Atem.

»Buschige Augenbrauen?«, fragte Gemma, während sie ein paar weiße Baumwollhandschuhe überstreifte. Heute war ihr Haar mit einer riesigen Strassspinne an einer Seite festgesteckt.

Ich nickte und wunderte mich einmal mehr, wie sie es fertigbrachte, in dieser Umgebung so makellos sauber zu bleiben.

»Starker nordirischer Akzent?«

Das erklärte vielleicht, wieso ich ihn nicht hatte verstehen können.

»Gut möglich«, antwortete ich.

Gemma verdrehte die Augen. »Das ist mein Dad, Roy.«

»Oh nein, dabei hat er mir versprochen, heute die Außentoilette bei uns zu streichen.« Christine stöhnte verärgert. »Und ich hab extra seinen Hennessy-Whisky versteckt, bis er es erledigt hat.«

Das erklärte die Häresie.

»Jetzt trinkt er für den Rest des Tages in Dougie Kings Hütte Bier mit Schnaps. Ich bring ihn um«, brummte sie und schickte einen großen Stein wie ein Wurfgeschoss zwischen die Bäume.

Damit war auch das Übrige geklärt. Wie gut, dass ich nicht die Polizei gerufen hatte.

Nigel räusperte sich. »Wir müssen sie sauber, funktionstüchtig und aufgetankt zurückbekommen. Das macht dann bitte zehn Pfund.« Er hielt die Hand auf. »Ich würde ja bleiben und helfen, aber ich muss heute meinen Kompost wenden.«

Zehn Pfund für ein perfektes unkrautfreies Gartenstück? Geschenkt. Bereitwillig reichte ich ihm das Geld.

»Und mich ganz allein drei Frauen ausliefern?«, beklagte sich Charlie grinsend, obwohl er über die Aussicht nicht unzufrieden schien.

»Vier!«, kam eine Stimme aus Gemmas Schuppen.

»Mia«, antwortete Gemma auf meine hochgezogenen Augenbrauen. »Sie hat Hausarrest.«

Charlie salutierte Nigels Rücken hinterher.

Für den Vormittag stellte ich mir folgenden Ablauf vor: Charlie würde die Arbeit mit der Fräse übernehmen; vielleicht würde ich mich, um meinen guten Willen zu zeigen und weil es vielleicht sogar Spaß machte, auch einmal daran versuchen; größere Unkräuter würden wir auflesen und in meinen Komposter werfen; falls ich dann noch die Kraft und die Zeit dafür hatte, würde ich anfangen, mit der Gabel umzugraben. Ich hatte den Gärtnerjargon schon ganz gut drauf.

»Gut, die meisten Steine haben wir raus«, sagte Christine und reichte mir eine Gabel. »Gemma, schnapp du dir deine, du auch, Charlie. Zuerst müssen wir die großen Brocken mit der Hand rausholen.«

Gemma war am Gesicht abzulesen, wie ich mich fühlte, und Charlie warf einen wehmütigen Blick auf seine Motorfräse.

»Wir können da nicht einfach wie wild mit der Maschine dran«, erklärte Christine, »sonst hacken wir nur die Unkrautwurzeln in winzige Stücke. Und in sechs Wochen sieht die Parzelle schlimmer aus als jetzt.«

Dagegen gab es keine Argumente.

Eine Stunde später hatte ich Krämpfe in den Beinen, mir tat der Hintern weh, und meine Gummistiefel waren ohne Frage eingeweiht.

»Teepause!«, verkündete ich und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass Christine mich nicht überstimmen möge.

»Danke euch allen für eure Hilfe«, sagte ich und ließ mich neben Charlie auf einem Plastikbeutel im feuchten Gras nieder, nachdem ich für jeden ein improvisiertes Trinkgefäß gefunden hatte. Selbst Mia kam zu uns heraus und setzte sich mit dem Glas Gummibärchen in den Apfelbaum.

»Ich glaube, ich hätte schon längst aufgegeben«, räumte ich ein. »Ist ziemlich entmutigend, so was allein anzupacken.«

Gelinde gesagt! Es war eine Sache, zwischen den Gemüsebeeten entlangzuschlendern und ein paar Samen zu streuen, und etwas ganz anderes, ein überwuchertes Gartenstück wieder zum Leben zu erwecken.

Charlie leckte sich die Lippen und griff nach einem weiteren Keks. »Gern geschehen, dafür hat man Freunde.«

Ich bekam heiße Wangen. Charlie und ich waren keine Freunde, wir wussten nichts über den anderen, und dabei wollte ich es auch belassen. Aber mach das mal Gemma klar! Obwohl ich ihrem Blick auswich, spürte ich förmlich, wie sie augenzwinkernd ihre Mutter anstupste.

Ich sprang auf. »Schmeißen wir die Fräse an.«

Charlie ließ sich nicht lumpen. »Zuerst in Längsbahnen, hat mir Nigel erklärt, dann quer.«

Gemma kehrte zusammen mit Christine zu ihrer Hälfte zurück, und schon bald verschwanden die beiden zwischen den Bambusstöcken und den Schnüren. Mia verkroch sich wieder im Schuppen und stöhnte über ihre Hausaufgaben und das fehlende WLAN.

Charlie kam schnell in seinen Rhythmus, und während er seine Bahnen zog, fühlte ich mich ein wenig überflüssig und versuchte mich nützlich zu machen, indem ich den Trampelpfad von gejätetem Unkraut und Erdklumpen reinigte. Nach einer Weile legte Charlie eine Verschnaufpause ein.

»Mit dem Unkraut muss man immer dranbleiben«, sagte er und wischte sich mit dem Arm den Schweiß aus der Stirn. »Ich bin auch erst aus Schaden klug geworden.«

»Du meinst, ich muss es ausgraben?«, fragte ich, während ich im selben Moment zwei Männer bemerkte, die, den Arm um die Schulter des anderen gelegt, mit unsicheren Schritten und in Schlangenlinien in unsere Richtung kamen. Bei dem einen handelte es sich um den Mann mit den Augenbrauen, bei dem anderen um einen Kariben mit runzligem Gesicht, auffälligen O-Beinen, grauen Dreadlocks und einer Art Seemannskappe.

Charlie senkte die Stimme. »Das sind Roy und Dougie, haben mal wieder beide einen in der Krone. Wird bestimmt interessant.« Und dann lauter: »Da greift man am besten zur Hacke, damit bekommt man die Wurzeln besser im Ganzen raus.«

Ich würde auf jeden Fall in neue Geräte investieren müssen; der gute alte Rechen reichte nicht. Inzwischen standen schon ein Spaten und eine Grabegabel – ich bezeichnete sie als Messer und Gabel – sowie eine Hacke auf der Einkaufsliste. Ich sah zu Christine rüber, um festzustellen, ob sie die Rückkehr ihres Mannes schon bemerkt hatte: eiserne Miene, gegrätschte Beine, verschränkte Arme … sie hatte.

»Ähm, wie steht’s mit Unkrautvernichter? Darf ich den hier benutzen?«