Römische Ermittlungen / Römische Verwicklungen / Römische Verdächtigungen - Bianca Palma - E-Book
SONDERANGEBOT

Römische Ermittlungen / Römische Verwicklungen / Römische Verdächtigungen E-Book

Bianca Palma

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: beTHRILLED
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Römische Ermittlungen
Der jungen Geigerin Geraldine Dvorsky steht eine steile Karriere bevor. Doch diese endet abrupt, als sie sich bei einem Autounfall das Handgelenk bricht. Schuld ist der Musikkritiker Federico Stronchetti, der kurz darauf am Fuß der Engelsburg ermordet aufgefunden wird. Sofort fällt der Verdacht auf Geraldine. Doch Commissario Caselli stößt bei seinen Ermittlungen schnell auf weitere Verdächtige. Und während er immer neue Intrigen unter exzentrischen Opernstars enthüllt, geschieht ein weiterer Mord ...

Römische Verwicklungen
Commissario Caselli steht vor einem Rätsel: Im Palazzo Spada wird die Leiche des berühmten Schauspielers Terracini aufgefunden. Über dem Toten hängt das prächtige Ölgemälde "Didos Tod". Der Tatort selbst ist wie ein Bühnenbild arrangiert. Und nicht nur das: Im stets verschlossenen Garten des Palazzo werden ein Vogelkäfig, ein Picknickkorb und ein Buch mit englischen Gedichten sichergestellt. Was hat das alles zu bedeuten?

Römische Verdächtigungen
Commissario Caselli muss in einem grausamen Fall ermitteln: Eine Kunststudentin wurde ermordet und ihr Gesicht fürchterlich entstellt. In Verdacht geraten die verflossenen Liebhaber der jungen Frau. Einem nach dem anderen fühlt Caselli auf den Zahn. Besonders verdächtig macht sich der exzentrische Kunstprofessor Alfiero Attardi, dem Verbindungen zu einem Geheimbund nachgesagt werden ...

Commissario Alessandro Caselli ermittelt in Rom - ein eleganter Kriminalbeamter mit guten Manieren und Geschmack.

Die ersten drei Fälle für den charmanten italienischen Ermittler in einer spannenden eBox.

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.



Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 953

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

beTHRILLED Originalausgabe »be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln Covergestaltung: Marina Boda Unter Verwendung der Motive von Christin Wilhelm, www.grafic4u.de Unter Verwendung von Motiven von © shutterstock/gyn9037; © istockphoto/sborisov; © shutterstock: gyn9037|Polina Shestakova; © shutterstock: gyn9073|ilolab eBook-Erstellung: readbox publishing GmbH, Dortmund ISBN: 978-3-7325-9857-1

Bianca Palma

Römische Ermittlungen / Römische Verwicklungen / Römische Verdächtigungen

Über diese eBox

Bianca PalmaRömische ErmittlungenDer jungen Geigerin Geraldine Dvorsky steht eine steile Karriere bevor. Doch diese endet abrupt, als sie sich bei einem Autounfall das Handgelenk bricht. Schuld an dem Unfall ist der Musikkritiker Federico Stronchetti, der kurz darauf am Fuß der Engelsburg ermordet aufgefunden wird. Sofort fällt der Verdacht auf die junge Geigerin. Doch Commissario Caselli stößt bei seinen Ermittlungen schnell auf weitere Verdächtige. Und noch während er immer neue Intrigen unter den exzentrischen Opernstars enthüllt, geschieht ein weiterer Mord ... Commissario Alessandro Caselli ermittelt in Rom - ein eleganter Kriminalbeamter mit guten Manieren und Geschmack.Jetzt lesen
Römische VerwicklungenCommissario Caselli steht vor einem Rätsel: Im Palazzo Spada wird die Leiche des berühmten Schauspielers Terracini aufgefunden. Der Tote lehnt an einer Wand. Über ihm hängt das prächtige Ölgemälde "Didos Tod". Der Tatort selbst ist wie ein Bühnenbild arrangiert. Und nicht nur das: Im stets verschlossenen Garten des Palazzo werden ein Vogelkäfig, ein Picknickkorb und ein Buch mit englischen Gedichten sichergestellt. Was hat das alles zu bedeuten? Seine Ermittlungen führen Caselli in die Welt der wohlhabenden Patrizierfamilien, hinter deren glänzender Fassade Hass, Habgier und ungezügelte Leidenschaften lauern ... Commissario Alessandro Caselli ermittelt in Rom - ein eleganter Kriminalbeamter mit guten Manieren und Geschmack.Jetzt lesen
Römische VerdächtigungenCommissario Caselli muss in einem grausamen Fall ermitteln: Eine Kunststudentin wurde ermordet, ihr Gesicht so fürchterlich entstellt, dass sie nur anhand ihrer außergewöhnlichen Ohrringe identifiziert werden kann. In Verdacht geraten die verflossenen Liebhaber der jungen Frau. Einem nach dem anderen fühlt Caselli auf den Zahn. Besonders verdächtig macht sich der exzentrische Kunstprofessor Alfiero Attardi, der in seinem Palazzo einen "Liliputaner" als Hausangestellten beschäftigt und dem Verbindungen zu einem Geheimbund nachgesagt werden. Und als hätte Caselli nicht schon alle Hände voll zu tun, muss er auch noch die Frau seinen Kollegen Sergente Scurzi trösten ... Commissario Alessandro Caselli ermittelt in Rom - ein eleganter Kriminalbeamter mit guten Manieren und Geschmack.Jetzt lesen

Inhalt

CoverÜber das BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungProlog 12345678910111213141516171819202122232425262728293031323334353637383940Vorschau

Über dieses Buch

Der jungen Geigerin Geraldine Dvorsky steht eine steile Karriere bevor. Doch diese endet abrupt, als sie sich bei einem Autounfall das Handgelenk bricht. Schuld an dem Unfall ist der Musikkritiker Federico Stronchetti, der kurz darauf am Fuß der Engelsburg ermordet aufgefunden wird. Sofort fällt der Verdacht auf die junge Geigerin. Doch Commissario Caselli stößt bei seinen Ermittlungen schnell auf weitere Verdächtige. Und noch während er immer neue Intrigen unter den exzentrischen Opernstars enthüllt, geschieht ein weiterer Mord …

Commissario Alessandro Caselli ermittelt in Rom – ein eleganter Kriminalbeamter mit guten Manieren und Geschmack.

 Über die Autorin

Bianca Palma studierte Musik und arbeitete als Dolmetscherin in Rom. Zeitweise lebte sie auch in Sizilien und einem sturmumwehten Bergdorf in Umbrien. Heute verbringt sie die Sommermonate in Italien, den Rest des Jahres lebt sie mit ihrem Jack Russel in Deutschland. Sie liebt Verdi, Wagner und die internationale Filmszene.

BIANCA PALMA

Römische

Ermittlungen

Ein Fall für Commissario Caselli

Kriminalroman

beTHRILLED

Digitale Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Beke Ritgen

Lektorat/Projektmanagement: Stephan Trinius

Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de

Unter Verwendung von Motiven von © shutterstock/gyn9037 © istockphoto/sborisov

eBook-Erstellung: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7325-2618-5

Bei diesem eBook handelt es sich um eine überarbeitete Neuauflage des bereits unter dem Titel »Römisches Requiem – Commissario Caselli hört Musik« erschienen Werks.

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

für Daisy Nathan-Margadonna

Prolog

Agadir. Ein junger Mann bog um eine weiße Häuserecke in eine Gasse. Durch eine blaue Tür verschwand er in einem schmalen Eingang und durchquerte den schattigen Innenhof, in dem ein Springbrunnen plätscherte und ein kühler Lufthauch feine Fontänen auf den Mosaikfußboden sprühte. Palmenblätter wogten im leichten Wind. An langen Büscheln leuchteten Datteln in der Abendsonne. Er roch die Meeresbrise und den zart betörenden Duft arabischen Jasmins, der üppig am unbehauenen Stein der Hauswand emporrankte.

Gezackte, kräftig grüne Pfefferminzblätter schwammen in einer geschnörkelten Kanne aus getriebenem Metall. Eine Berberfrau goss heißes Wasser nach, schüttete den Teeaufguss in zwei Gläser und gleich darauf wieder zurück in die Kanne. Sie wiederholte die Prozedur, dann gab sie einige Löffel weißen Zucker dazu und rührte um. Ihre Hände waren mit Silberringen und Ornamentzeichen geschmückt. Neben ihr brannte ein Windlicht. Sie hockte in der Mitte des Raums auf einem Teppich und winkte den jungen Mann zu sich heran. Er setzte sich. Sie nahm seine Hand und legte einen Elfenbeinring hinein. Dann umschloss sie seine Finger, lächelte und reichte ihm den heißen, süßen Minzetee. Sie saßen schweigend, bis aus den Lautsprechern des Minaretts die Stimme des Muezzins ertönte.

Er klomm die Stufen zum Turm und trat aus dem kuppelförmigen Torbogen auf das Dachplateau des Hauses, das nur von dreieckigen gekalkten Zinnen begrenzt wurde. Er stellte sich an den äußersten Rand und blickte auf das Meer. Kein Mensch, kein Schiff nur endloses Wasser bis zum Horizont. Lilablau, fast wie Lavendel, von atemberaubender Intensität. Sein weißer Kaftan flatterte im Wind. Er blieb stehen, bis das erste Abendrot den Horizont aprikosenfarben färbte und Venus neben der Mondsichel aufging. Er nahm Abschied. Morgen würde er zurück nach Europa reisen und ein neues Leben beginnen.

1

Einige Jahre später. Es war ein ganz normaler Arbeitstag. Caselli würde am Vormittag in sein Büro in der römischen Questura gehen und einen Aktenstapel auf seinem Schreibtisch vorfinden. Jede Woche kamen ein, zwei Fälle hinzu, meistens eine Messerstecherei an der Stazione Termini oder ein Delikt, begangen in den kahlen Betonburgen Prima Valle am Stadtrand. Nun war sein Vorgesetzter seit Längerem krank, und Casellis sorgfältig verfasste Berichte blieben in der Ablage liegen. Die römische Polizei war überlastet, litt an chronischem Personalmangel. Niemand hatte eine Vertretung für Vice-Questore Ruggiero Di Verdacchiano geschickt. Caselli war später dran als sonst. Man hatte ihn mitten in der Nacht wegen eines Routinefalls aus dem Bett geholt; deshalb hatte er sich erlaubt, länger zu schlafen. Er hätte auch den Tag ganz freinehmen können, aber das ließ sein Pflichtgefühl nicht zu. Caselli wischte sich mit einem Handtuch die Rasierschaumreste vom Kinn und schraubte das Rasierwasser auf. Er schüttete ein paar ordentliche Spritzer in die hohle Hand und klopfte die Handflächen auf seine gereizte Haut. Dann ging er ins Schlafzimmer, zog ein weißes Hemd über und schlug den Kragen hoch, um die Krawatte zu binden. Im Ankleidespiegel entdeckte er seine Knie und die knochigen, etwas krummen Schienbeine. Wie Christus am Kreuz, hatte seine Mutter immer gesagt. Er zog die Kniestrümpfe höher und freute sich am weichen, elastischen Garn. Er hatte sie bei seinem Herrenausstatter in der Via del Gambero gekauft. Teuer waren sie gewesen, aber er legte Wert auf Qualität und eine gepflegte Erscheinung. Was man von seinem Sergente nicht behaupten konnte. Caselli hob eine Augenbraue. Raffaele Scurzi sah doch stets aus, als hätte er zwei Nächte lang nicht geschlafen. Wann hatte er ihn überhaupt das letzte Mal gesehen? Scurzi erschien eher sporadisch zum Dienst. Ein typischer Fall von Vetternwirtschaft. Sein Onkel kannte den Polizeipräsidenten, und schon war alles geregelt. Scurzi erhielt ein gesichertes Einkommen und machte, was er wollte. Caselli hatte diesbezüglich gegenüber seinem Vorgesetzten eine Bemerkung fallen lassen und sich anhören müssen, er solle etwas sozialer denken. Es gäbe auch Polizeibeamte, die mit ihrem Gehalt eine mehrköpfige Familie ernähren müssten, dazu gehöre Scurzi. Schließlich habe es nicht jeder so schön wie er und könne sein Junggesellendasein in vollen Zügen genießen, oder gebe es etwa eine gebrechliche Mutter zu unterstützen? Nein, selbst damit konnte Caselli nicht dienen. Er nahm seine Hose vom Herrendiener. Er war allein, und Di Verdacchiano beneidete ihn anscheinend darum, obwohl es Casellis Meinung nach nichts gab, worum er zu beneiden gewesen wäre. Er hätte gern eine Familie gehabt. Caselli setzte sich aufs Bett, um seine Schnürsenkel zu binden. Die Bemerkung des Vice-Questore hatte ihm klargemacht, wie die Dinge lagen, daher verlor er kein Wort mehr über Scurzis Dienstauffassung. Und eigentlich tat er ja eine ganze Menge, der arme Junge. Soweit Caselli wusste, arbeitete er morgens ein paar Stunden bei der städtischen Müllabfuhr in der Verwaltung und schaute dann später in der Bar seiner Cousins an der Piazza Cavour vorbei, um ein bisschen auszuhelfen, zwischen zehn und elf, wenn das Heer römischer Angestellter en bloc aus Büros, Behörden und Ministerien strömte, um sich mit caffé & cornetto zu stärken. Nach elf hatte Caselli gute Chancen, seinen Assistenten per Handy zu erwischen, wenn es denn sein musste. Dann kam die Mittagspause, und am Nachmittag saß Scurzi immer pünktlich hinter seinem Schreibtisch in der Questura mit schuldbewusstem Gesicht und den besten Absichten, seinen Dienst zu tun.

Das alles ging ihm durch den Kopf, während er sich mit besonderer Sorgfalt fertig machte. Heute Abend würde er nur kurz nach Hause kommen, um sein Jackett zu wechseln. Er wollte ein Konzert in der Philharmonie besuchen. Es war nicht leicht, an Konzertkarten für das Orchester Santa Cecilia zu kommen, und diesmal war es besonders schwer gewesen. Die Gastsolistin, eine junge Deutsche, hatte im letzten Jahr die Aufmerksamkeit der Presse auf sich gezogen. Man bescheinigte ihr eine große Begabung, und Caselli freute sich auf den Abend. Zuletzt schlüpfte er in seine dunkelblaue Barbourjacke mit braunem Kordkragen, verließ seine Wohnung und schloss die Tür ab.

*

Als er mit seinem Wagen im Verkehrschaos auf der Piazza Venezia steckte, klingelte sein Mobiltelefon. Er drückte eine Taste, die Verbindung war schlecht. »Scurzi«, verstand er, »Autounfall« und »Villa Medici«.

Zwanzig Minuten später fuhr Caselli mit seinem Fiat Punto, dank Passierschein, der rechts unter der Windschutzscheibe klebte, die Via Gregoriana hinauf. Vor dem Hotel Hassler, oberhalb der Spanischen Treppe, schnellte ein silbergrauer Jaguar heran und nahm ihm die Vorfahrt. Caselli trat ruckartig auf die Bremse und betätigte energisch den elektrischen Fensterheber. Hinter dem Steuer des Jaguars saß ein Mann mit klassischem Profil und dunklen Haaren. Caselli erkannte ihn. Es war der Dirigent David Franceschini. Man sah den Dirigenten öfter in Rom. Er bewohnte mit seiner Familie eine luxuriöse Villa auf dem Aventin. Caselli kannte ihn aus Konzerten in Santa Cecilia. Auch heute Abend würde er dirigieren. Caselli ließ die Seitenscheibe wieder hochfahren. Franceschini hob die Hand. Er hatte bemerkt, dass er Casellis Wagen geschnitten hatte und entschuldigte sich. Caselli nickte und fuhr weiter. Kurz darauf erreichte er die Villa Medici und sah Scurzi. Er stand neben dem Kanonenkugelbrunnen unter einer Pinie und machte ein sorgenvolles Gesicht. Ein Stück weiter zog ein Abschleppwagen der Straßenwacht einen uralten Fiat Panda auf die Rampe. Caselli fuhr rechts ran und stieß die Beifahrertür auf. Scurzi überquerte die Straße.

»Was ist denn passiert? Verletzt sind Sie nicht, oder?« Er sah seinen Assistenten prüfend an.

Scurzi beugte sich zu ihm. »Mir ist ein Touristenbus hinten draufgefahren. Blechschaden, ausgerechnet jetzt, wo Marcella doch dauernd zu den Voruntersuchungen muss!«

Wie Caselli wusste, erwartete Scurzis Frau ihr viertes Kind.

»Über eine Stunde hat mich der Abschleppdienst warten lassen, aber jetzt ist alles geregelt.« Scurzi setzte sich auf den Beifahrersitz. »Deshalb habe ich Sie angerufen, um Bescheid zu geben, dass es später wird …«, meinte er. Er zog die Wagentür zu und griff nach dem Sicherheitsgurt.

»Sind Sie sicher, dass ich Sie nicht ins nächste Krankenhaus bringen soll? Vielleicht haben Sie eine Gehirnerschütterung.«

»Nein, mir geht’s gut. Nichts passiert. Gott sei Dank. Ich war ja angeschnallt.« Scurzi lehnte sich in den Sitz zurück.

»Piazza Cavour liegt aber nicht auf meinem Weg«, sagte Caselli knapp und blickte nach hinten, um sich in den Verkehr einzufädeln. Nach dem Anruf des Sergente hatte er sich große Sorgen gemacht. Er war gleich zum Unfallort gefahren und hatte erleichtert aufgeatmet, als er Scurzi heil unter der Pinie hatte stehen sehen. Doch ihn bei seiner Nebenverdienststelle abzusetzen, das ging zu weit.

»Ich fahre gleich mit ins Präsidium«, sagte Scurzi und hantierte mit dem Gurt.

»So?« Caselli sah den Sergente überrascht an.

»Heute ist doch Mittwoch«, sagte Scurzi mit gedämpfter Stimme.

»Ah, ja, natürlich, riposo settimanale«, erinnerte sich Caselli. Die Bar von Scurzis Cousin hatte Ruhetag.

2

Geraldine entdeckte den Assistenten des Dirigenten durch die Glasscheibe vor der Absperrung und winkte. Ihre Maschine hatte eine Stunde Verspätung gehabt, und Jean sah aus, als hätte er diese Stunde mit verschränkten Armen auf einem unbequemen Metallsitz verbracht, in den Monitor starrend und inständig hoffend, das rote Lämpchen der Flugnummer LH 3506 würde auf Grün springen.

»Na, endlich«, seufzte er, als sie durch die Absperrung kam, und stand auf. Der Metallsitz hatte ein Gittermuster auf seiner beigen Kordhose hinterlassen. Er nahm ihr die Kleiderhülle ab und küsste flüchtig ihre Wangen. »Was war denn los?«

»Nebel in Mailand, tut mir leid.«

Jean streckte die Hand aus. »Soll ich das auch nehmen?«

»Ja, danke.« Geraldine klemmte den Geigenkasten unter den Arm und gab Jean ihre Reisetasche.

»Wie läuft es? Wie waren die Orchesterproben?«, fragte sie, während sie die Flughalle durchquerten.

»David ist recht zufrieden.«

Sie suchte seinen Blick. »Geht es ihm gut?«

»Er vermisst dich«, sagte Jean, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Tja, euer Konzert in Neapel ist schon wieder eine Weile her. Ich habe gehört, du hast in Paris gespielt?«

»Ja, Brahms, die Kritiken waren gut.«

Jean hielt ihr die Schwingtür auf. »Und? Hast du dir ein paar schicke Abendkleider gekauft?«

Sie lachte. »Was ist mit dir?«, fragte sie dann. »Hat David dich was dirigieren lassen?«

Jean deutete auf einen Wagen. »Der da vorne, na ja, ein paar kleinere Sachen, nächsten Monat soll ich eine Bruckner-Sinfonie in Genua übernehmen.«

»Ist doch prima, oder?«

»Ja, schon … David hat die Probe für elf Uhr angesetzt. Am besten, wir fahren gleich in den Konzertsaal, oder möchtest du vorher noch ins Hotel?«

Geraldine rutschte auf den Rücksitz der Limousine, und Jean stieg neben ihr ein. »Muss nicht sein«, antwortete sie.

»Via della Conciliazione«, rief Jean dem Fahrer zu.

»Was macht seine Gesundheit?«

»Eher schlechter. Er schluckt eine ganze Menge Zeug.«

Geraldine hielt den Blick starr auf die am Straßenrand vorbeiziehenden Pinien gerichtet. »Weiß es seine Frau immer noch nicht?«, fragte sie schließlich.

»Nein. Er will es ihr nicht sagen. Das Kind, du verstehst schon. Es soll alles so lange wie möglich weiterlaufen, wie gehabt.« Er blickte sie von der Seite an und drückte kurz ihre Hand. Ihr Gesicht zeigte keine Regung.

*

Der Geigenkasten lag offen auf einem Stuhl, sie nahm den Bogen heraus, spannte ihn durch Drehbewegungen am silbernen Frosch und öffnete den Lederbeutel mit dem Kolophonium. Die Musiker tuschelten. Maestro Franceschini war eingetroffen. Sie legte den Bogen zurück, griff nach dem Plastikbecher mit Kaffee, der neben ihrem Geigenkasten auf dem Stuhl stand und trank einen Schluck. Ein kleiner, blonder Junge machte sich von der Hand seiner Mutter los und rannte durch die Sitzreihen. Der Intendant Fernandetti begrüßte das Ehepaar herzlich. Franceschini schüttelte Hände und rief seinem alten Freund Fernandetti eine scherzhafte Bemerkung zu.

»Ah! Da ist sie ja!« David Franceschini schwang sich mit Elan auf das Podium und hängte seinen Pullover über das Geländer des Dirigentenpults. »Buon giorno!«, sagte er gut gelaunt und drückte Geraldines Hand. »Giulia, das ist Geraldine Dvorsky. Sie spielt heute Abend Mendelssohn. Alles in Ordnung?«, setzte er hinzu. Er sah sie an.

»Ja, sicher«, antwortete Geraldine und ging zur Rampe, um Franceschinis Frau die Hand zu geben.

»Freut mich, Sie kennenzulernen.« Giulia streckte ihr die Hand entgegen.

Geraldine schob den Ärmel ihres weinroten Rippenstrickpullis zurück und hielt den Becher schief. Ein kräftiger Schwall Kaffee kippte aufs Parkett.

»Entschuldigung!«, sagte Geraldine sofort.

Giulia Franceschini betrachtete ihre ruinierten Wildlederschuhe. »Ach, die paar Spritzer!«, lächelte sie gezwungen. »Es war ja keine Absicht.« Sie sah auf. Ihr Sohn tobte auf dem Podium herum. »David, nicht, dass er wieder …!«

Franceschini sprach mit Jean und schlug gerade die Partitur auf.

»Na, wie heißt du denn?«, fragte die Flötistin.

»Mannimiliano«, antwortete der kleine Junge prompt und flitzte davon. Jean ging nach hinten.

»Das S klappt noch nicht so ganz!«, rief der Dirigent und lächelte. Er blätterte in der Partitur bis zum dritten Satz, mit dem er beginnen wollte. Sein Sohn stand bei den Celli.

»David!« Giulia hastete zum seitlichen Treppenaufgang. »Untersteh dich, Maxi, hörst du!«

Franceschini blickte irritiert auf.

»Aua!« Der Cellist am ersten Pult rieb sich das Schienbein.

»Na, Tozzi, nicht viel Erfahrung mit Kindern, was?«, meinte Franceschini ungerührt. »Nehmen Sie’s nicht persönlich, mein Sohn hat eine ausgeprägte Abneigung gegen Celli«, fügte er hinzu und strich die Partitur glatt. »Ich werde mal die Kindergartenpsychologin ansprechen, um zu erfahren, was es damit auf sich hat … nun, Hauptsache Ihr schönes Instrument ist noch heil, nicht wahr?«

Tozzi hatte seine Socke heruntergeschoben und kontrollierte den blauen Fleck.

»Hm, jetzt übertreibt er aber …«, murmelte Franceschini amüsiert und verschränkte die Arme vor der Brust. Im Orchester wurde locker gelacht. Giulia schritt über das Podium und nahm ihren Sohn auf den Arm. »Entschuldigen Sie bitte!«, sagte sie mit einem freundlichen Lächeln und trug ihren kleinen Jungen die Stufen hinunter. Massimiliano begann zu brüllen.

Giulia Franceschini war Antiquitätenhändlerin. Nonchalant hingruppierte Chinoiserien, schwere Silberjardinieren auf bauchigen Holzmöbeln, teure niederländische Meister an den Wänden. So stellte sich Geraldine das Geschäft in der noblen Via del Babbuino vor, während sie ihr düster nachblickte. Und Mutter war sie auch. Le gemme di Cornelia.

»Der wird bestimmt mal Tenor, bei der kräftigen Stimme und dem Dickkopf!«, kommentierte Tozzi und erntete Zurufe aus den Orchesterreihen.

Franceschini klopfte mit dem Taktstock auf das Pult. »Können wir dann?«

Der Oboist gab das A.

*

»Den Übergang von Takt 128 zur Kadenz solltest du dir noch mal ansehen.« Jean klopfte mit dem Finger auf eine Notenzeile.

»Ja, ich weiß schon«, sagte Geraldine gereizt und klemmte ihre Geige unter den Arm. »Wie lange ist Pause?«, fragte sie angespannt und griff nach dem Plastikbecher auf dem Stuhl.

»Zwanzig Minuten«, antwortete Jean.

Der Becher war leer, sie stellte ihn wieder ab, und blickte abrupt zu Franceschini. Er küsste gerade seine Frau. Die Musiker standen auf. Intendant und Techniker verließen den Zuschauerraum.

Jean klappte die Partitur zu. »Darf ich fragen, welche Farbe dein Kleid hat? Wegen der Blumenarrangements …«

»Meerblau«, antwortete Geraldine muffig. Sie stimmte gerade ihre Geige durch.

»Giulia kommt in letzter Zeit oft zu den Proben«, bemerkte Jean beiläufig.

»So?« Geraldine konzentrierte sich auf ihr E und intonierte dann forsch die ersten Takte eines Paganini-Capriccios.

»Hast du schon einen Termin beim Friseur?« Jean betrachtete kritisch ihre Haare.

»Die haben sicher einen im Hotel.« Geraldine setzte die Geige ab. Jean verstaute die Partitur in seiner Notentasche. In den letzten Monaten, in denen sie nun mit Franceschini spielte, hatte sie Jeans bestimmte, aber immer freundliche Art schätzen gelernt. Sie mochte ihn und wusste, dass man sich in jeder Situation auf ihn verlassen konnte.

»Brauchst du noch etwas?«, fragte er. Geraldine schüttelte den Kopf. »Übrigens, der zweite Satz war wunderbar.«

»Danke, Jean. Schön, dass du das sagst«, antwortete sie, ohne ihn anzusehen.

3

»Jean!« Franceschini stand vor seinem Garderobenspiegel, die Arme auf die Stuhllehne gestützt, den Kopf gesenkt.

»Ja?« Sein Assistent wandte sich ihm zu.

»Könntest du …« Der Dirigent richtete sich auf. »Könntest du mir noch mal einen Gefallen tun?« Er wartete. »Hier, du kannst den Jaguar haben, wir gehen zu Sabbatini essen; da nehme ich ein Taxi, das Zentrum ist eh gesperrt.« Er warf Jean die Autoschlüssel zu.

Jean fing sie auf und machte ein skeptisches Gesicht. »David, du weißt, ich … du hast letztes Mal gesagt, es wäre Schluss damit«, sagte er tonlos.

Franceschini nahm sein Jackett von der Stuhllehne und durchsuchte die Taschen. »Es ist reine Zeitverschwendung, darüber zu diskutieren, Jean. Du weißt doch Bescheid. Für Geraldine ist das Konzert heute Abend wichtig. Es muss ein Erfolg werden, und ich fühle mich nicht gut, also bitte!« Er nahm einige Hundert-Euro-Scheine aus der Innentasche seines Jacketts und drückte sie Jean in die Hand. »Der Rest ist für dich«, sagte er und legte Jean die Hand auf die Schulter. »Ich kann mich auf dich verlassen?«

Sein Assistent blickte ihn an, dann nickte er. »Natürlich, David.«

Franceschini drückte kurz seinen Arm. »Danke.« Dann wandte er sich ab und vergrub die Hände in den Hosentaschen. »Und, das Konzert in Genua, das läuft wie besprochen, ich gebe Forfait, und du springst ein … also dann, etwa um vier Uhr bei mir, ja? Du bringst mir die Partitur.«

Jean nickte und steckte das Geld weg.

Der Dirigent wartete, bis Jean den Raum verlassen hatte, dann nahm er einige Tabletten aus einem Röhrchen und schluckte sie mit einem Glas Wasser. Er wischte sich mit dem Handtuch den Schweiß von der Stirn und sah in den Spiegel.

»Pech gehabt, mein Junge«, sagte er zu sich selbst, »wen die Götter lieben.«

4

Als Geraldine ihr Hotelzimmer betrat, sah sie sofort die roten Rosen. Das Zimmermädchen hatte den Strauß in eine satinierte Glasvase auf die Konsole gestellt, das Billett lag daneben. Geraldine griff zum Hörer. Die Nummer des Dirigenten war belegt. Sie ging ins Bad und drehte den Duschhahn auf. Ein blasses Gesicht blickte ihr aus dem Spiegel entgegen. Ich sollte mich ausruhen und noch mal die Kadenz im dritten Satz durchgehen, dachte sie. Der Morgen hatte ein schales Gefühl hinterlassen. Nach den Proben war sie ziellos durch die Stadt gelaufen, ohne viel von der herbstlichen Schönheit des Tages wahrzunehmen. Inmitten des Gewimmels der flanierenden Menschen, die sich rufend und lachend durch Roms verwinkelte Gassen schoben, hatte sie sich nur noch einsamer gefühlt.

Als das Telefon läutete, zuckte sie zusammen. »Maestro Franceschini desidera parlarLe«, meldete der Portier. »Soll ich durchstellen?«

»David!«, sagte sie atemlos.

»Giulia wollte unbedingt mit zur Probe. Ich war heute Morgen im Hassler, aber dein Flug hatte Verspätung. Es tut mir leid, ich musste dann weg … ich wäre gern mit dir essen gegangen, nach der Probe, aber … wo warst du denn die ganze Zeit?«, fragte er ungeduldig. »Ich habe ein paarmal angerufen. Du solltest dich vor dem Konzert ausruhen.«

Geraldine setzte sich in einen Sessel und zog die Knie an.

»Danke für die Rosen, David.«

»Ich liebe dich«, seine Stimme klang matt.

»Ich dich auch. Wie geht es dir?« Ihre Stimme wurde sanft.

»Unverändert, ich habe jetzt einen Arzt, der nicht lange rumredet. Ludovica hat ihn mir genannt. Es geht schon. Und es gibt ja auch andere Kanäle.« Franceschini brach ab und wechselte das Thema. »Geraldine, ich muss morgen früh nach Florenz. Wir sind mit der Brahms-Einspielung nicht fertig geworden. Ich muss noch mal ins Tonstudio. Es tut mir sehr leid, ich hätte gern den Tag mit dir verbracht.«

Geraldine seufzte.

»Aber am Abend gibt Schwiegermamà eine Dinnerparty in ihrer Stadtwohnung. Ludovica kommt auch. Natürlich ist Giulia da, aber wir können uns zumindest sehen. Du weißt ja, ich habe der Familie meiner Frau gegenüber Verpflichtungen und kann nicht absagen. Nimm ein Taxi, Via Girolamo 1, 5. Stock, Carla Castelli, um neun. Du kommst doch?«, vergewisserte er sich.

Sie sagte zu.

*

Caselli hatte bereits den Knauf seiner Bürotür in der Hand, als das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte. Er zögerte, dann siegte das Pflichtgefühl. Er ging noch einmal zurück und nahm den Hörer ab. »Pronto?«, fragte er und rechnete mit dem Schlimmsten. Kurz darauf wurde seine Vorahnung bestätigt. Man hatte die Leiche eines jungen Mannes gefunden, auf der Isola Tiberina. Der geplante Konzertbesuch fiel somit ins Wasser. Caselli sagte, er werde sofort hinfahren, und legte auf. Er dachte einen Moment daran, wann er Gelegenheit haben würde, das neue federleichte Kaschmirjackett mit dem gestickten Emblem auf der Brusttasche anzuziehen, das er sich extra für die Herbstkonzerte zugelegt hatte. Bisher war zweimal etwas dazwischengekommen. Dann schob er den Gedanken beiseite; er war sich seiner Eitelkeit durchaus bewusst und genierte sich ein wenig dafür. Seine Mutter hatte das als unmännlich abgetan. Dieser Meinung war er nicht. Sie zensierte eben gern, und zwar alles, was ihn betraf, von der Auswahl seiner Hemden bis zum Liebesleben. Zum Glück lebte er in Rom und sie in Deutschland. Und das war das Maximum erträglicher Nähe, fand Caselli.

*

Er steuerte seinen Fiat Punto durch den dichten Vorabendverkehr des Lungotevere und steckte geraume Zeit im Stau. In der vagen Hoffnung, vielleicht wenigstens noch den zweiten Teil des Konzerts hören zu können, setzte Caselli schließlich die blaue Sirene auf das Wagendach. Als er den Tatort erreichte, war es Viertel vor neun. Er stieg aus und blickte sich um. Scurzi war nicht da. Stattdessen kam ein Mann in Carabinieri-Uniform auf ihn zu. »Buona sera, Commissario Caselli«, sagte er und salutierte. »Rocca Antonio, Capitano«, gab er an.

Caselli nickte. Sie hatten miteinander telefoniert. »Buona sera«, antwortete er und schloss seinen Fiat ab, wobei ihm bewusst wurde, dass das bei dem Polizeiaufgebot wohl übertriebene Vorsicht war. »Der Tote liegt unten am Kai, beim Ponte Vecchio«, rapportierte Rocca. »Wenn Sie gestatten, gehe ich vor!«

Caselli folgte ihm die steilen Travertin-Stufen hinunter. Sofort stieg ihm der beißende Geruch von Urin und modrigem Wasser entgegen, und er fragte sich, warum wohl die Obdachlosen, die nachts unter den Brückenbögen der Tiberinsel auf Kartons schliefen, nicht das Vespasian aufsuchten, das unweit der Piazza aufgestellt worden war und seit Jahren unbenutzt vor sich hin rostete.

Der Tote lag noch so da, wie man ihn gefunden hatte. Die Spurensicherung war bereits fertig, und der diensthabende Arzt war gegangen. So hielt sich Caselli an den Carabiniere.

»Meiner Meinung nach Tod durch Überdosis«, gab dieser Auskunft. »Und dann hat ihm noch jemand diesen Stein auf den Schädel geschlagen«, fügte er hinzu und deutete auf einen blutverschmierten Steinquader. »Sieht nicht danach aus, als sei die Kopfverletzung die Todesursache. Auszuschließen ist es aber nicht, deshalb hielt ich es für ratsam, die Mordkommission hinzuzuziehen.«

Caselli nickte.

Der Capitano nahm kurz seine Dienstmütze ab und fuhr sich über die Stirn. »Ich nehme an, einer hat ihn da liegen sehen mit der Spritze im Arm, und der wollte auf Nummer sicher gehen, bevor er ihn ausraubte.«

»Weiß man, wer er ist?« Caselli sah sich den jungen Mann genauer an.

»Er heißt Riccardo Vismara. Ein verkrachter Musiker, drogenabhängig. Er hatte seinen Ausweis und ein Adressbuch dabei«, erläuterte Rocca und ruckte die Mütze gerade, kaum dass er sie sich wieder aufgesetzt hatte. »Sein nächster Anverwandter hier in Rom ist sein Bruder, Vismara Angelo. Wir haben ihn angerufen. Die Putzfrau war am Apparat. Vismara ist Bratscher im Orchester Santa Cecilia und hat heute Abend Dienst. Jemand sollte hinfahren und ihn verständigen.«

»Ja, Capitano«, sagte Caselli, und ein Strahlen ging über sein Gesicht. »Ich übernehme das!«

Der Carabiniere sah ihn befremdet an. Normalerweise waren die Polizeibeamten schockiert, wenn sie einen Toten sahen, noch dazu, wenn er zugerichtet war wie der hier. Caselli bemerkte es und setzte eine ernste Miene auf. »Sonst noch was?«, fragte er im Verhörton, und Rocca spurte wieder.

»Das haben wir in seiner Jackentasche gefunden.« Er deutete auf ein verschlossenes Plastiktütchen, das bei den Metallkoffern der Spurensicherung lag. Caselli sah ein gefaltetes Papierquadrat mit einem roten Stempelaufdruck. Er zeigte eine Galeone mit Rudern, die in die Wellen tauchten. Darüber stand ein spanisches Wort. Caselli nahm das Tütchen und notierte das Wort unter den Ruderblättern in sein Notizbuch, dann gab er es Rocca zurück. »Gute Arbeit, Capitano«, sagte er anerkennend, und der Carabiniere salutierte wieder.

5

»Also, ich gehe mich schon mal einspielen. Carmelina, machen Sie mir bitte die Tür auf, ich komme mit dem Kleid nicht klar, und Sie holen mich in einer halben Stunde, ja? Und den Pfefferminztee, den vergessen Sie doch nicht?«

Fünf Minuten später rannte sie den Gang zurück. »Signor Pedretti!«

»Antonio«, rief die Garderobiere ungehalten, »da kommt die Dvorsky, hast du den Tee geholt?«

»Carmelina!«

»Passen Sie doch auf ihr Kleid auf! Halten Sie es nicht so gerafft. Es ist ja schon ganz zerknittert«, schimpfte die Garderobiere ungehalten, während der Inspizient den Teebeutel aus der Tasse nahm und mit zwei Fingern sorgfältig ausdrückte. »Mamma mia, wie sehen Sie denn aus, Sie sind ja völlig aufgelöst!«

»Antonio, mir ist beim Stimmen die E-Saite gerissen! Was mache ich denn jetzt?«

Antonio tätschelte ihr beruhigend den Arm. »Nur mit der Ruhe, die haben gerade erst mit der Ouvertüre angefangen, bis Sie dran sind, zieh ich Ihnen fünf neue auf.«

»Aber ich habe keine mehr! Es ist einfach keine mehr im Kasten. Das ist mir noch nie passiert.«

»Wenn das Ihre einzige Sorge ist, draußen sitzen dreißig Streicher, da wird doch wohl einer irgendeine Ersatzsaite dabeihaben.«

»Ich brauche nicht irgendeine, ich brauche eine Kaplan-Gold, 5/20 Millimeter, höchstens sieben.«

Jean tauchte auf. »Bitte nicht so laut! Was ist denn los?«

»Sie braucht eine Kaplan-Gold-E.«

»Was?«

»Eine Spezialstärke auch noch, nicht wahr, Signorina?«, nörgelte Antonio.

»Das Krokoetui, wo das Foulard liegt, vielleicht hat Signora Françoise, die Konzertmeisterin, diese Marke, sehen Sie doch bitte mal nach«, meinte Jean ruhig. Antonio öffnete das Plexiröhrchen mit den Ersatzsaiten. »Und?«

»Pirastro.«

»Ach!« Geraldine ließ sich auf den Hocker vor dem Spiegel fallen.

»Aufstehen, Sie zerknittern den Stoff!«, fauchte Carmelina und zog sie unsanft am Arm hoch, »und dann heißt es wieder, ich hätte nicht ordentlich gebügelt!«

»Wie weit ist er?« Jean hörte dem Orchester zu.

»Egmont, fast zu Ende«, sagte Geraldine und schüttelte die Garderobiere ab.

»Gut«, entschied Jean. »Nach der Ouvertüre gebe ich einen Laufzettel durch die Pulte. Geraldine, bitte reiß dich zusammen. Zur Not nimmst du eben Pirastro.«

»Das geht nicht, versteh doch, Kaplan gibt einen völlig anderen Klang und dann die Doppelgriffe in der Kadenz, unmöglich!«, sagte sie und schnäuzte sich.

»Antonio«, rief Jean kurz entschlossen im Kommandoton. »Trommeln Sie Bühnenarbeiter und Putzkolonne zusammen. Sie sollen alle Kästen nach E-Saiten abklappern!«

»Ich bin doch nicht verrückt. Die wissen doch gar nicht, wie eine Saite ausschaut, geschweige denn eine E, außerdem ist das Hausfriedensbruch. Ich kann doch nicht einfach die Kästen aller Musiker öffnen lassen, wo kommen wir denn da hin. Da sind doch auch persönliche Sachen drin, wenn dann was fehlt!«

»Ach, ich muss mich doch noch einspielen!«, schniefte Geraldine.

»Jetzt machen Sie schon!«, rief Jean.

»Sie haben mir überhaupt nichts zu sagen, capito! Da ist doch eine E-Saite, soll sie die doch nehmen. Wenn Signora Françoise damit spielt, kann sie so schlecht nicht sein. Damals, 1944, wären wir froh gewesen, wenn wir wenigstens eine Darmsaite aufgetrieben hätten.«

»Signor Pedretti, so kommen wir wirklich nicht weiter.« Jean seufzte. Ein hysterischer Aufschrei, Jean wandte sich um. »Geraldine, denk an dein Make-up. Signora Facetti, sehen Sie denn nicht, die Maskara läuft!«

Die Garderobiere eilte mit Tissue und Puderpinsel heran.

»Aua, da nicht!«

»Mein Gott, unterm Kinn, da ist ja alles wund, wie wollen Sie denn so spielen, das tut doch weh.«

»Lassen Sie nur, ich habe nur viel geübt in den letzten Tagen für die Plattenaufnahmen nächsten Monat.«

»Aber das geht doch nicht, das sieht ja furchtbar aus, Antonio hol mal ein Heftpflaster!«

»Carmelina, hören Sie auf, Sie machen mich noch nervöser. Ich sage Ihnen doch, es ist alles in Ordnung.«

»Das sehen Sie doch nicht zum ersten Mal. Man könnte meinen, Sie sind erst seit gestern Garderobiere«, blaffte der Assistent.

Die kräftigen Arme in die Hüften gestemmt, baute sich Carmelina vor ihm auf, und ihre schwarzen Augenbrauen zogen sich bedrohlich zusammen.

»Also, hören Sie mal, Sie Grünschnabel, gut zwanzig Jahre bin ich hier beschäftigt. Die größten Künstler habe ich betreut, und alle waren sie zufrieden. Picobello habe ich sie rausgeschickt, vor die Leute. ›Carmelina, was würde wir ohne dich nur machen‹, haben sie gesagt und mir sogar die Hand gegeben beim Abschied, aber so ein zerschundenes Kinn, wie die Signorina da hat … ich hole ein Heftpflaster.«

»Herrgott noch mal!« Jean platzte der Kragen. »Signora Facetti, jetzt kümmern Sie sich lieber mal um die Frisur von Signorina Dvorsky. Da hinten muss eine Nadel rein. Es kommen die Locken runter!«

Man hörte Schlussakkorde und Applaus. Jean schrieb etwas auf einen Zettel und ging hinaus. Es klopfte. Franceschini kam herein und griff nach einem Handtuch.

»Und, nervös?«, fragte er Geraldine und wischte sich über die Stirn. »Lass dich anschauen! Ah, was für ein Blau!«

»Wollen Sie ihr Frackhemd wechseln, Herr Franceschini?« Carmelina hielt schon eins bereit. Er winkte ab und flüsterte Geraldine etwas ins Ohr, dann drückte er ihre Hand und ging wieder hinaus. Das Publikum applaudierte noch.

Jean blickte auf den Zettel, der die Runde gemacht hatte. »So, Medium tension, geht das?«

Geraldine nickte heftig.

»Na, wer sagt’s denn, Tuveri, Ablage dreiundzwanzig.« Er reichte Geraldine das quadratische weiße Kuvert. Geraldine stieß einen Stoßseufzer der Erleichterung aus. Der Inspizient hatte mittlerweile den Geigenkasten aus ihrer Garderobe geholt. Geraldine nahm ihre Geige heraus. Sie zog die Saite durch die kleinen Löcher in den Wirbeln und drehte sie fest, während Carmelina sich bemühte, widerspenstige Locken mit Schildpattnadeln zu bändigen.

»Toi, toi, toi«, sagte Jean und lächelte aufmunternd. »Wird schon schiefgehen.«

Geraldine nickte und atmete tief durch.

*

Als Caselli in das Konzertgebäude kam, hörte er noch die letzten Takte des Violinkonzerts, dann brach der Schlussapplaus los. Er nahm zwei Stufen auf einmal, zeigte seinen Dienstausweis und nannte seinen Namen. Man ließ ihn ohne weitere Fragen ein, die Türen wurden sowieso gerade geöffnet. Er stand neben dem Ausgang, das Publikum jubelte, die Orchestermusiker standen auf, und der Dirigent verbeugte sich. Jemand überreichte der Geigerin einen Blumenstrauß. Caselli betrachtete die junge Frau auf der Bühne. Sie war hübsch, zweifellos. Das Publikum applaudierte frenetisch, Einzelne standen auf, dann immer mehr. Signorina Dvorsky lächelte ein wenig verlegen und hielt ihre Geige sehr fest. Eine Gruppe japanischer Touristen und ein Ehepaar mittleren Alters standen auf, drängten an Caselli vorbei und gingen zur Garderobe. Schließlich verließen Dirigent und Solistin das Podium und gingen durch das Orchester nach hinten. Der Dirigent neigte sich ihr zu und sagte etwas. Sie lächelte. Der Applaus verstummte. Nun drängte alles zu den Ausgängen.

Caselli beorderte einen Saaldiener, ihn zum Orchesterraum zu führen. Dort würde er einem der Musiker sagen müssen, dass sein Bruder nicht mehr am Leben war.

6

Caselli hatte einen langen, arbeitsreichen Tag hinter sich. Nachdem Scurzi um fünf gegangen war, hatte er sich in seinem Büro Akten vorgenommen und einen überfälligen Bericht geschrieben, den, wie es aussah, in nächster Zeit niemand lesen würde, aber er hielt sich, was das anging, gern an die Dienstvorschrift. Dann hatte er den PC heruntergefahren. Doch statt zu gehen, ging er geistig noch einmal den neuen Fall durch und rekapitulierte, was er und der Sergente bislang herausgefunden hatten.

Der Tote war ein Berufsmusiker, Bratscher, dreißig Jahre alt. Begabte Familie, hatte Scurzi ihm mitgeteilt, die Mutter spiele im La Fenice in Venedig. Vismara sei drogenabhängig gewesen und habe früher im selben Orchester wie sein Bruder gespielt.

»Er hat im Santa Cecilia gespielt?«, hatte Caselli überrascht eingeworfen.

»Ja, er war dort Bratscher, bis vor einem Jahr.« Scurzi hatte ehrlich betrübt ausgesehen.

Der Angehörige des Toten, Angelo Vismara, hatte merkwürdig reagiert, als Caselli ihm die Todesnachricht überbracht hatte. Er übte die traurige Pflicht natürlich nicht zum ersten Mal aus. Selten aber hatte er in den Augen eines Menschen, der vom Tod eines ihm Nahestehenden erfuhr, einen so undeutbaren, fremden Ausdruck gesehen. Caselli hatte so viel Taktgefühl besessen, seine Fragen zurückzuhalten. Er hatte Vismara in der Obhut des Assistenten des Dirigenten zurückgelassen, eines sehr taktvollen jungen Mannes, der ihm versprochen hatte, sich um Vismara zu kümmern.

Caselli lehnte sich in seinen Schreibtischstuhl zurück und zupfte sich nachdenklich einen Fussel von der Hose. Was ihm bei diesem Fall außerdem zu denken gab, war das quadratische Briefchen mit dem Galeonen-Aufdruck und dem Wort ›Abóbada‹. Er könnte es googlen, aber dann müsste er den PC wieder hochfahren. Er beschloss, das habe Zeit bis morgen. Diese Galeone war ihm schon einmal begegnet, im Fall der fünfzehnjährigen Drogensüchtigen, Lucia Magnani. Ein Mädchen aus gutem Hause, der Vater Anwalt, die Mutter Psychologin. Sie war drogenabhängig gewesen, seit sie dreizehn war. Die Familie hatte alles versucht. Ärzte. Entzug. Auslandsaufenthalt. Es hatte nichts gebracht. Vor ein paar Monaten hatte man die Kleine tot aufgefunden, die Spritze noch im Arm. Neben ihr lag dieses quadratische Briefchen mit dem roten Stempelaufdruck. Caselli hatte dem damals keine Bedeutung zugemessen. Lucia war ein Drogenopfer, bedauerlich jung zwar, aber doch nur eine von jenen Dutzenden, die jährlich in Rom an einer Überdosis starben. Der Fall war schnell zu den Akten gekommen. Caselli schnaufte. Er hoffe, dass die Galeone in nächster Zeit nicht häufiger auftauchte. Die römische Polizia war den Machenschaften eines international operierenden Drogenrings nur schwerlich gewachsen.

*

Kurz nach acht verließ Caselli das Präsidium und machte sich auf zur Trattoria Dal Galletto. Er hatte das Glück gehabt, nach seiner Versetzung aus Sizilien eine gute Trattoria unweit seiner Wohnung zu finden, in die er regelmäßig Essen gehen konnte. Giovanni, der Wirt, war eine Seele von Mensch und ein ausgezeichneter Koch. Hier verbrachte Caselli den Abend in netter Gesellschaft und verfolgte am Fernseher, mehr unfreiwillig, meist irgendein Fußballspiel. In die Trattoria kamen vor allem die Handwerker aus dem Viertel um die Piazza Farnese. Die Gegend war nicht die feinste. Die Nachbarschaft in der Via dei Cappellari bestand eher aus Leuten, die mit der Polizei nichts am Hut hatten. Kleine Diebe, Taschenspieler, Freudenmädchen, einfache Leute, die sich mit dem Nötigsten behalfen. In diesen Kreisen war ein Commissario nicht gern gesehen. Aber im Laufe der eineinhalb Jahre, die er nun schon hier wohnte, hatten sie verstanden, dass er sie unbehelligt ließ. Ihre Geschäfte interessierten ihn nicht, solange niemand dabei sein Leben ließ. Er hatte sich sogar Freunde gemacht. Dazu gehörten Tiberio, ein Restaurator, seine Bottega lag am Ende der Straße, dann natürlich Giovanni, den Wirt der Trattoria Dal Galletto, und Claudio, von Beruf Kinderarzt im Fate-Bene-Fratelli-Hospital auf der Tiberinsel. Mit ihnen spielte Caselli Karten und trank Rotwein. Manchmal kam noch Fulvio hinzu, Sportjournalist bei der renommierten römischen Tageszeitung Messagero. Er wohnte woanders, im feinen Stadtviertel Parioli. Irgendwann einmal war er in zwielichtiger Begleitung, leicht angetrunken, in Giovannis Trattoria gelandet. Die Freunde waren ihm behilflich, die Dame ohne viel Aufheben loszuwerden, und im Überschwang hatte Fulvio allen vier für das nächste Heimspiel von Lazio Roma Karten auf der überdachten Ehrentribüne versprochen – und Wort gehalten. Seither war er zweifellos einer von ihnen.

Gegen neun parkte Caselli auf der Piazza Farnese. Er stieg aus, schloss seinen Wagen ab und warf einen Blick auf die angestrahlte Fassade des Palazzo. Dann lief er den Vicolo dei Venti hinunter, bog zweimal ab und erreichte die Gasse, in der sich die Trattoria befand. Caselli drückte die Schwingtür auf und spürte die angenehme Wärme, die das Holzofenfeuer ausstrahlte. Tiberio war schon da und begrüßte ihn mit Handschlag. Caselli zog seine Jacke aus und setzte sich zu ihm.

Aus der Küche drang ein köstlicher Duft. Caselli war neugierig, was Giovanni ihm heute empfehlen würde. Der Wirt kochte selbst, und seine bodenständige, italienische Küche überraschte mit immer neuen Varianten. Tiberio schenkte ihm ein Glas Rotwein ein, und Caselli nahm einen tiefen Schluck. Der angenehme Teil des Tages konnte beginnen.

*

»Ecco, ci siamo, Signorina.« Sie reichte dem Fahrer einen Schein. Ein modernes fünfstöckiges Wohnhaus. Geraldine überquerte die Eingangshalle und stieg in einen der Lifts. Die Türen schlossen sich klackend, und sie lehnte sich an die kühle, metallene Wand. Der letzte Abend hatte sie erschöpft. Das Konzert war ein Erfolg gewesen. Anschließend waren sie zum Feiern in das schicke Restaurant Aurora an der Via Veneto gegangen. Der Name Riccardo Vismara war nur ein einziges Mal gefallen. Aber sogleich waren die Gespräche verstummt, und betretenes Schweigen hatte sich unter den Musikern ausgebreitet. Geraldine war durch den Kopf gegangen, dass einige von ihnen sicher zu seinen Freunden gezählt hatten. Zu Geraldines Erleichterung hatte sich Giulia Franceschini nicht allzu spät verabschiedet. Sie, David, Jean und noch ein paar Musiker hatten bis zum frühen Morgen durchgehalten, eine Flasche Champagner nach der anderen geleert. Dann hatte David sie ins Hotel gebracht. Er war in ihrem Hotelzimmer ungestüm über sie hergefallen, und sie hatten sich hastig geliebt.

Der Fahrstuhl hielt mit einem Ruck. Sie öffnete die Augen. Die Türen gingen vor einer massiven Tür mit Messingklopfer auf. Laute Bläserfanfaren drangen nach draußen. Offenbar hörte niemand die Klingel. Sie versuchte es noch einmal.

»Arrivo, eccomi!«, rief eine Kinderstimme und ein etwa achtjähriges Mädchen im Nachthemd öffnete die Tür.

»Ciao, ich bin Jacopa. Die sind im Salon.«

»Ciao«, sagte Geraldine zögernd. »Tut mir leid, ich habe dich geweckt, hm?«

»Nö, die sind viel zu laut!« Das Mädchen stand barfuß neben einer mit Briefen, Zeitungen und sonstiger Post überladenen Konsole, die aussah, als würde dort seit Wochen nachlässig alles hingeworfen, was der Briefträger so brachte.

»Du bekommst kalte Füße«, meinte Geraldine.

»Ja, weiß ich.« Jacopa schloss die Tür. »Magst du meine Schlümpfe sehen? Ich habe vierundzwanzig und Grande Puffo!«

»Ach …«, sagte Geraldine ausweichend.

Aber der Kinderblick siegte. Sie stand in einem eleganten Schlafzimmer und begutachtete vor der Terrassentür aufgereihte Plastikfiguren. »Das ist ja ein richtiges Schlumpfdorf«, zeigte sich Geraldine beeindruckt und freute sich über das Strahlen, das über Jacopas sommersprossiges Gesicht ging.

»Weiß du, mir fehlt bloß Quattrocchi, der Schlumpf mit der Brille, aber vielleicht kauft ihn mir Mama am Flughafen.«

»Na, bestimmt«, meinte Geraldine. Sie fühlte sich etwas befangen. Im Zimmer waren Spielsachen verstreut. Auf dem Nachttisch brannte eine Lampe. Die Steppdecke auf dem französischen Bett war aufgeschlagen, der Teddy neben dem Kissen hatte eine rot karierte Schleife um den Hals. Im angrenzenden Bad hingen Akte von Klimt, und auf einem Empirehocker lag nachlässig hingeworfen ein cremefarbener Seidenmorgenmantel. »Jacopa, das ist doch das Schlafzimmer deiner Mutter, ich glaube nicht, dass sie es gern sieht, dass ich hier reinplatze.«

»Meins auch!«, verteidigte sich Jacopa. »Ich schlafe hier bei Mama. Papa wohnt im Esszimmer.«

»Hm, ich gehe jetzt aber trotzdem lieber, ja?«

»Na gut, wie heißt du denn?«

»Geraldine.«

»Und was machst du?«

»Ich spiele Geige.«

»Dann magst du auch Musik, so wie mein Bruder, Federico. Weiß du, er schreibt für den Messagero, genauso wie Papa … bloß über was anderes. Er kritisiert Konzerte. Und Onkel David ist ganz berühmt, dem gehört sogar ein Orchester.«

»Aha«, sagte Geraldine und lächelte.

»Ciao, du bist nett.« Jacopa kletterte wieder ins französische Bett.

»Schlaf gut«, sagte Geraldine und hätte ihr gern über den brauen Lockenkopf gestrichen.

*

»Pertile … kein Vergleich mit heutigen Startenören, das ganze Starsystem … die Presse jubelt sie hoch.

„Aber Federico, bei aller Liebe und deiner Kompetenz als Musikwissenschaftler, fang doch nicht immer in der Steinzeit an. Pertile sang 1937 an der Scala. Ich weiß nicht, ob man den jetzt wirklich mit Kaufmann oder Alvarez …“, begann ein älterer Herr mit Brille.

„Da muss ich Ihnen widersprechen, Giacomo. Haben Sie denn die Entwicklung nicht verfolgt? Auch in den letzten zwanzig, dreißig Jahren lag das Starsystem in der Hand der großen Plattenfirmen. Hochgejubelt wurde nur, wer dort unter Vertrag war. Sang etwa Martinucci schlechter als Domingo? Oder nehmen Sie Bonisolli, der kam einfach nie zum Zug!«

»Nun ja, seine Gioconda damals in Verona war nun nicht gerade umwerfend, lieber Federico«, meinte eine aggressiv auftretende Mitfünfzigerin.

»Aber Franca«, kommentierte ein eleganter älterer Herr, »was willst du denn, mit Ponchielli war selbst in den Achtzigern, als wir beide oft in Verona waren, kein Staat mehr zu machen. Total verstaubt, das reißt die Arie O cielo, o mar auch nicht heraus.«

»Ponchielli?« Eine Dame mit dickem Goldkollier, ein Sektglas in der Hand, mischte sich ein. »Gioconda? Moment mal, gehört da nicht der Tanz der Stunden hinein, dada dada, dada dadaaa …?«

David Franceschini winkte ihr aus dem Durchgang zur Dachterrasse zu. Er sprach mit einer weißhaarigen Signora. Geraldine durchquerte den Salon.

Als die alte Dame sich zu ihr umwandte, leuchtete ihr Gesicht auf. »Geraldine, Liebes! Wie schön, dass du hier bist.« Sie umarmte sie herzlich.

»Ludovica …«, lächelte Geraldine.

»Du warst ganz exquisit gestern Abend. Ich habe Mendelssohn noch nie so gehört. Sie ist einfach göttlich, nicht wahr, David?«

»Ja, und sie sieht auch aus wie eine Göttin«, sagte Franceschini. Geraldine entdeckte das Glitzern in seinen Augen, und ihr schoss das Blut in den Kopf. Sie hörte nur noch halb, was Ludovica von den guten Kritiken erzählte, die sie gelesen habe. Sie atmete auf, als die Gastgeberin, Davids Schwiegermutter, Contessa Castelli, auf sie zurauschte, Geraldine begrüßte und sie charmant bat, Ludovica zu einem gemeinsamen alten Freund entführen zu dürfen, der gerade angekommen war. »Mi scusi, cara, vero?«

»Na«, meinte David, als sie allein waren, und drückte ihr ein Glas Sekt in die Hand, »wie fühlst du dich?«

Sein Gesicht war markant, die Kinnpartie vielleicht etwas zu hart. Er war groß und schlank, wirkte positiv und voller Energie. Man sieht ihm nicht an, wie krank er ist, dachte Geraldine.

»Etwas müde, aber sonst prima«, sagte sie nicht ganz überzeugt. »Schön, dich zu sehen«, setzte sie verhalten hinzu. Er lächelte und lehnte sich nah neben sie. Geraldine beugte sich über das Terrassengeländer, als wäre sie am unten vorbeitosenden Verkehrsgeschehen interessiert.

»Richard McFairshield ist übrigens auch hier«, sagte David unvermittelt. Geraldine schwieg. Sie spürte, wie er sie forschend von der Seite ansah. »Und er verfolgt dich mit Blicken.«

Geraldine überhörte es. Sie drehte sich um. »Wo ist eigentlich deine Frau?«

»Steht da drüben, bei Freunden von uns«, antwortete Franceschini und richtete, mit einer ihr atemberaubend gewagt erscheinenden Geste, ihren verrutschten Abendkleidträger.

Aus dem Salon ertönte Gelächter. David blickte irritiert hinüber. Geraldine tat es ihm gleich. Ein paar Gäste hatten sich um den jungen Mann gruppiert, den sie bei ihrem Eintreffen schon bemerkt hatte. Er sprach unablässig, gestikulierte und schien die ganze Gesellschaft zu unterhalten. Er strahlte eine Selbstsicherheit aus, die Geraldine arrogant fand, und er war sich seiner Wirkung nur zu bewusst. Jede seiner Handbewegungen war nonchalant, aber wohlgesetzt, und er hielt den Kopf sehr gerade. Seine Stimme war wohltönend und eine Spur zu laut.

»Ah, Federico … ich werde ihn dir nachher vorstellen«, sagte David. »Kam heute Nachmittag aus Neapel. Der Messagero bringt morgen seinen Artikel über die Spielzeiteröffnung im San Carlo. Ich rechne mit dem Schlimmsten. Sein rasanter Erfolg als Musikkritiker ist ihm zu Kopf gestiegen, totale Hybris.«

»Hmhm«, antwortete Geraldine und nippte am Sekt.

Es wurde geläutet. Die Tafel im Esszimmer fasste zwölf Gedecke. An der Rückwand stand eine wuchtige, mit dunkelblauem Samt überzogene Chaiselongue. Ein tief hängender Kristalllüster funkelte über den Köpfen der Gäste.

*

»Farinelli war der umjubeltste Kastrat seiner Zeit«, hob Federico Stronchetti an und kaute schwer am Tintenfischsalat, den er selbst, wie er betonte, mit viel Petersilie und Knoblauch angemacht hatte. »Carlo Broschi, so hieß er eigentlich, sang über dreieinhalb Oktaven! Ein göttliches Klanggebilde! Da kommt ein Countertenor nicht ran, bei Weitem nicht.«

Die Dame mit dem Goldkollier wagte einen Vorstoß. »Ja, wie war das denn, ich meine, nun ja, konnten die denn noch, wo sie doch …« Ihre Gesichtsfarbe stieg zunehmend ins Hummerrot, und sie kam ins Stocken. Im kleinen Kreis der Tischrunde gab es lockeres Gelächter.

Der ältere Herr neben ihr schmunzelte. »Aber, meine Liebe, was für eine Frage!«

Federico Stronchetti blieb ungerührt. »Ma certo, Signora, sie waren sogar die besten Liebhaber überhaupt und alles ohne Risiko«, parlierte er und erntete die erwartete Erheiterung. Er hob sein Glas und trank zufrieden einen Schluck Wasser. »Aber, um auf das Thema zurückzukommen … im 18. Jahrhundert wurden Opern fast nur mit Kastraten besetzt. Frauen waren von der Bühne verbannt. Sie durften nicht gemeinsam mit Männern auftreten. Mit Papst Sixtus V. nahm alles seinen Lauf, 1588, in der Sixtinischen Kapelle, um genau zu sein. Er erließ das erste Verbot. Der Stein kam ins Rollen und involvierte dann auch die Oper, die damals noch in den Kinderschuhen steckte. Kurzum, ein paar Jahrhunderte lang war die Musik reine Männersache, formidable Regelung!« Er schob noch ein paar rosa Tintenfischstückchen mit kleinen Saugnäpfen in den vollen Mund und schwang kräftig sein Messer. »Das schwache Geschlecht bringt es in der Kunst doch sowieso nicht weit. Gut, lassen wir mal die großen Primadonnen außen vor. Aber sonst? Nennen Sie mir eine herausragende Komponistin, Dirigentin, Solistin, abgesehen von Martha Argerich, natürlich … und Clara Schumann, der Armen. Na ja, vielleicht noch Jane Glover, der wir die grandios überflüssige Wiederentdeckung der Opern Cavallis zu verdanken haben.« Er wischte sich mit der Serviette über den Mund und kam zum eigentlichen Punkt. »Es ist eine Frage des Kopfes«, sagte er und tippte sich an die Schläfe. »Es gibt da nun mal Unterschiede in Aufbau und Funktion des männlichen und des weiblichen Gehirns. Beim Mann existiert in der rechten Hirnhälfte ein hochspezialisiertes Zentrum für alles, was abstraktes Denken betrifft. Und das Zusammenspiel zwischen den Gehirnhälften, rechts und links, das macht’s … darauf kommt es an. Übrigens, alles wissenschaftlich bewiesen!«, sagte er und griff nach einer Scheibe Brot. »Der Damenwelt geht die Voraussetzung für das Raumdenken ab, von Natur aus, sozusagen.« Er hob entschuldigend die Hand. »Tja, in dieser Beziehung tut sich schlichtweg nichts in der weiblichen rechten Hirnhälfte. Frauen sollten sich also besser darauf konzentrieren, was sie mit ihrer linken Hirnhälfte zustande bekommen, und das sind doch lauter entzückende Sachen, nicht wahr? Glauben Sie mir, die Natur lässt nicht mit sich spaßen! Sehen Sie sich die ganzen heutigen Solistinnen doch an: kein Biss, keine Kraft, keine Ausstrahlung … jede Menge Gefühle, ja, ja, doch die höhere Warte, der Blick für das Ganze, der fehlt ihnen. Zuckergussinterpretinnen nenne ich sie. Und sie können noch so heftig in die Tasten schlagen, denn im betreffenden Sektor ihrer rechten Hirnhälfte herrscht gähnende Leere. Na ja, Frauen haben andere Qualitäten, und ich wünschte, sie würden es dabei belassen«, sagte er und seufzte.

Geraldine presste ihre Serviette an den Mund und warf Franceschini einen entsetzten Blick zu. Die Contessa fing ihn auf und fasste sich nervös an ihre doppelreihige Perlenkette. Nach kurzem Räuspern sagte sie mit einem Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte: »Federico, ti prego. Du weißt, wir sind da so gar nicht deiner Meinung, außerdem haben wir einen ganz besonderen Gast, la nostra carissima Geraldine Dvorsky, die gestern Abend alle mit ihrer Interpretation von Mendelssohn hingerissen hat. Wir fühlen uns sehr geehrt, dass sie heute bei uns ist!« Sie hob ihr Glas, um Geraldine zuzuprosten, und die Gäste taten es ihr nach. Geraldine war verwirrt, unversehens im Mittelpunkt zu stehen, und lächelte beklommen. Als sie in die Runde schaute, begegnete sie dem Blick des Mannes, den sie den ganzen Abend ängstlich gemieden hatte, und sie schlug erschrocken die Augen nieder. Sie hatte einmal geglaubt, ohne Richard McFairshield nicht leben zu können, bis sie mit David zusammengekommen war. Zusammengekommen, dachte sie mutlos. Sie sehnte sich plötzlich heftig danach, Davids Hand um ihre zu spüren, warm und ruhig. Aber David Franceschini saß ihr gegenüber neben seiner Ehefrau, die an diesem Abend unbestreitbar schön aussah in ihrem engen schwarzen Cocktailkleid, zum Berühren nah und unendlich weit weg.

*

»Na, Alessandro, heute wieder ein paar Mörder hinter Schloss und Riegel gebracht?« Giovanni servierte Caselli gekonnt einen Teller dampfender Pasta alla carbonara.

»Hm, das riecht aber gut«, schnupperte Caselli und schwang anerkennend die Hand durch die Luft.

»Du Glücklicher, für dich kocht Giovanni. Ich muss essen, was mir meine Frau vorsetzt«, sagte Tiberio, der Restaurator, zerknirscht und drehte sein Weinglas hin und her.

»Na, was gab es denn Gutes?«, fragte Caselli. »Warte mal, heute ist Donnerstag …«, er blickte Giovanni an, beide sagten, wie aus einem Munde, »giovedi, gnocchi!« und lachten schallend. In jeder ordentlichen römischen Familie kamen donnerstags Gnocchi auf den Tisch. Caselli war Sizilianer, doch seit er in Rom lebte, kannte auch er dieses Synonym geregelter Essgewohnheiten. Die Tür ging auf, und Claudio kam herein, im Schlepptau den Journalisten Fulvio.

»Ciao, tutti, schaut mal, wen ich draußen getroffen habe«, rief er bester Laune und legte seinen Freunden die Arme auf die Schultern.

»Lass das doch!«, wehrte sich Caselli. »Hast du dich denn überhaupt desinfiziert, bevor du dein Insellazarett verlassen hast?« Er schob seinen Stuhl zurück.

»Commissario Caselli auf der Flucht vor Bakterien! Warte, gleich spucke ich dir in die Pasta!«, lachte der Arzt. »Damit dein Immunsystem mal so richtig auf Touren kommt.«

»Also wirklich, du verdirbst mir ja den Appetit«, nörgelte Caselli.

»Und was verschafft uns die Ehre, Signor Sportjournalist vom Messagero?«, fragte Tiberio und rückte mit seinem Stuhl ein Stück weiter, damit die beiden Neuankömmlinge noch am Tisch Platz fänden. »Hat dich die kleine rothaarige Volontärin versetzt, oder … «, er hob eine Gabel, und die Runde skandierte einstimmig im Männerchor: »… ist deine Schwiegermutter wieder da?«

Fulvio zog sich einen Stuhl heran. »Wer den Schaden hat …«, schmunzelte er, holte seine Pfeife aus dem Jackett und klopfte sie auf den Aschenbecher. »Es findet ein Dinner statt, natürlich im Esszimmer, und da steht bekanntlich meine blaue Chaiselongue.«

»Warum zieht ihr nicht endlich um?«, fragte Caselli, obwohl er sich die Antwort selbst geben konnte. Er hatte bemerkt, dass Fulvio genau das Jackett aus englischem Wollstoff anhatte, das er sich gerne gekauft hätte bei seinem Herrenausstatter in der Via del Gambero. Ein Blick auf das Preisschild aber hatte ihm genügt. Es kostete gut drei Monatsgehälter seines Sergente. Fulvio hatte keinen Sinn für Profanes wie … Mieten. Das Apartment an der Via Flaminia gehörte seiner Frau.

»Ja genau, das ist doch auf Dauer kein Zustand«, warf Tiberio ein und dachte an die unbequeme Fernsehcouch, auf der er manchmal schlafen musste, wenn er mit Giuseppina Krach hatte.

»Es gibt immer Vorteile und Nachteile«, bemerkte Fulvio souverän und zündete sich seine Pfeife an. »Man muss flexibel sein.«

Caselli stieg würziger Tabakgeruch in die Nase.

»Ach, Alessandro, du bist beim Essen … ich hatte das gar nicht bemerkt.« Fulvio ging höflich daran, seine Pfeife auszumachen.

Caselli winkte ab. »Bin eh gleich fertig.«

»Wo hast du denn eigentlich deinen neuen Sportwagen gelassen? Du bist doch eben aus einem Taxi gestiegen«, fragte Claudio und nahm sich eine Scheibe Brot aus dem Korb.

»La fortuna non mi ha baciata«, antwortete Fulvio ruhig.

»Sag bloß …« Die Männer sahen ihn perplex an und lachten ein wenig betreten. Caselli wusste, warum. Es war Fulvios Standardzitat, wenn er beim Poker mit Highsociety-Freunden im römischen Golfclub kein Glück gehabt hatte.

*

»Lassen Sie die Mousse au chocolat lieber stehen, die habe ich verbrochen!« Giulia Franceschini stand am Kuchenbüfett.

»Sie sind bestimmt auch eine perfekte Köchin«, sagte Geraldine und löffelte ihren Nachtisch, der hervorragend schmeckte. »Ich habe vorhin mit Jacopa Freundschaft geschlossen«, trug sie zur Konversation bei.

»Ah, der kleine Schatz!« Giulia verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie ist die Jüngste meiner Schwester Carla. Mutter hat Carla und meinem Schwager Fulvio das Apartment hier überlassen. Sie wohnt jetzt außerhalb, in Sacrofano, aber hin und wieder gibt sie gern ein Dinner für ihre alten Freunde. Und dafür ist dieses Apartment einfach ideal. Es liegt wunderbar zentral, nach Sacrofano fährt man ja, wenn viel Verkehr ist, fast eine Stunde«, sagte sie und setzte plötzlich hinzu: »Sie sprechen sehr gut Italienisch.«

»Ich war ein Jahr am Konservatorium hier in Rom, ich hatte den Förderpreis gewonnen.«

»Ah ja, der Förderpreis. Mein Mann engagiert sich in letzter Zeit sehr bei der Förderung junger Künstler.«

Stimmen drangen aus dem Salon. »Ach, lassen Sie sich doch nicht bitten! Dürfen wir hoffen?«

»Oje, er wird singen«, sagte Giulia und hakte sich bei Geraldine unter. »Mögen Sie Opern? Ich hoffe, Sie stehen es durch, mein Neffe Federico wäre zu gern Tenor geworden.«

Die Anfangsklänge eines Werks von Boito setzten ein. Es war eine Instrumentalaufnahme, bei der die Arie dazugesungen wurde. Ein marineblaues Jackett mit Emblem auf der Brusttasche, schwarze Slipper mit Fransen und Quasten: Federico Stronchetti sah aus, als käme er gerade vom College. Seine Krawatte hatte er gelockert, damit er besser Luft bekam. Er wartete auf seinen Einsatz und nestelte an der linken Manschette. Giulia wurde von Ihrer Mutter aufgehalten und entschuldigte sich. Geraldine ging zu Franceschini hinüber. Der Dirigent machte ein skeptisch gequältes Gesicht.

»Und, was sagst du?«, begann sie.

»Immer das Gleiche, ich kann es nicht mehr hören«, kommentierte er lapidar. »Außerdem ist das Orchester miserabel. Wer macht schon solche Einspielungen.« Er trank einen Schluck Whisky.

»Stimmt es, dass er für den Messagero schreibt?«, fragte Geraldine. Franceschini nickte. »Er ist kaum älter als ich, wie kann er da schon Kritiker sein? Die sind doch alle über vierzig, und das hat auch seine Berechtigung«, fügte sie gereizt hinzu.

»Federico ist ein Enfant prodige, hoch begabt, arrogant, selbstgefällig bis zur Naivität. Aber er versteht was von Musik und ist ein exzellenter Opernkenner. Das kann ich ihm nicht absprechen, aber sonst ist er ein Idiot«, antwortete David mürrisch und nahm noch einen Schluck aus seinem Glas.

»Jeder denkt, mein Schwager habe ein wenig nachgeholfen, Fulvio ist Sportjournalist beim Messagero«, warf Giulia ein, die nun zu ihnen stieß. »Das stimmt aber nicht. Federico hat es allein geschafft. Er ist einfach brillant. Und Federico hat auch schon einen Bildband publiziert: ›Große Dirigenten unserer Zeit‹.«

»So?« fragte Geraldine interessiert. »Und was schreibt er über Maestro Franceschini?«

David ließ ein abfälliges »Päh!« hören.

»Er hat ihn nicht hineingenommen«, lachte Giulia und legte ihrem Mann liebevoll die Hand auf die Schulter.

Franceschini bemühte sich, gleichgültig zu erscheinen, dann lachte er gedämpft. »So ein Idiot.«

7

Der Laufbursche der Bar an der Ecke balancierte das große Metalltablett fachmännisch auf einer Hand.

»Servizio Bar!«, rief er unnötigerweise und zu laut, als er durch die Tür trat, die Scurzi ihm aufhielt. Caselli sah von seinem Schreibtisch auf, nickte Scurzi zu und schob ein paar Akten beiseite, damit der Teller mit den Sandwiches Platz fände.

»Grazie, quant’è?«, fragte er, obgleich er genau wusste, dass es fünfzehn Euro machte, schließlich bestellte er sich diesen Mittagsimbiss dreimal die Woche. Er reichte dem Jungen einige Scheine und legte noch ein großzügiges Trinkgeld drauf. Die Römer liebten es bequem, und in dieser Hinsicht schloss sich Caselli gern seinen römischen Kollegen an. Warum den Weg um die Ecke auf sich nehmen, wenn die Bar netterweise ins Polizeipräsidium lieferte? Der Junge lachte breit, nahm Tassen und Gläser vom Vortag mit und verschwand. Caselli bot Scurzi ein Tramezzino an, pro forma, denn Scurzi schüttelte wie immer dankend den Kopf, dann nahm er sich selbst eins. Er lehnte sich zurück, trank einen Schluck Espresso und wartete auf Scurzis Zusammenfassung, was er an dem für ihn bereits langen Arbeitstag so alles erlebt hatte, am Morgen in der Verwaltung bei der städtischen Müllabfuhr und danach in der Bar seiner Cousins an der Piazza Cavour. Stattdessen zog Scurzi das ordnungsgemäß in einer Plastikhülle verstaute Papierchen mit der Galeone aus seiner Jacketttasche und legte es mit Bedacht vor Caselli auf den Schreibtisch.

»Portugiesisch!«, verkündete er triumphierend, zog sein Jackett aus und hängte es über einen Bügel.

Caselli fragte sich, wie Scurzis Jackett derart verknautscht aussehen könne, wo er sich doch extra die Mühe machte, es jedes Mal ordentlich auf einen Kleiderbügel zu hängen, während Casellis eigenes Jackett meist nachlässig über seiner Stuhllehne hing und kein einziges Fältchen zeigte.

»Sie meinen, das Wort ist Portugiesisch, nicht Spanisch?«, fasste Caselli zusammen und biss nochmals in sein Sandwich, bevor er nach dem Plastiktütchen griff und seinen Inhalt hin und her wendete. Er hatte es ja schon am Tatort in Augenschein genommen: Abóbada besagte der verwischte, aber noch gut leserliche Stempelaufdruck in roter Tinte.

Der Sergente nickte. »Das heißt ›Gewölbe‹«, berichtete er stolz. »Die Carabinieri haben der Mordkommission nun alle Unterlagen und Beweisstücke überstellt. Ich habe das Wort gleich zu Hause am Laptop gegoogelt. Mein Ältester hat schon einen, den haben wir ihm zu Weihnachten gekauft, vorab. Für die Schule brauchen die den ja auch mittlerweile. Er geht auf eine gute Schule, da haben wir darauf geachtet, müssen Sie wissen.«

Caselli war nicht der Meinung, dass er dies wissen müsse, raffte sich aber zu einem Lob auf. »Sehr schön, Scurzi! Somit wissen wir, was auf dem Papier steht, das das Rauschgift enthielt. Auch wenn uns das im Moment noch nicht weiterbringt. Haben Sie schon beim entsprechenden Dezernat nachgefragt, ob die etwas damit anfangen können?«, fragte er halbherzig.

»Ja, habe ich«, antwortete Scurzi.

»Und?«

»Die haben schon eine ganze Sammlung davon, können sie aber nicht zuordnen. Es steht immer etwas anderes darauf. Zum Beispiel haben sie ein paar mit der Aufschrift ›Pombo‹