Römische Verwicklungen - Bianca Palma - E-Book

Römische Verwicklungen E-Book

Bianca Palma

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Beschreibung

Commissario Caselli steht vor einem Rätsel: Im Palazzo Spada wird die Leiche des berühmten Schauspielers Terracini aufgefunden. Der Tote lehnt an einer Wand. Über ihm hängt das prächtige Ölgemälde "Didos Tod". Der Tatort selbst ist wie ein Bühnenbild arrangiert. Und nicht nur das: Im stets verschlossenen Garten des Palazzo werden ein Vogelkäfig, ein Picknickkorb und ein Buch mit englischen Gedichten sichergestellt. Was hat das alles zu bedeuten? Seine Ermittlungen führen Caselli in die Welt der wohlhabenden Patrizierfamilien, hinter deren glänzender Fassade Hass, Habgier und ungezügelte Leidenschaften lauern ... Commissario Alessandro Caselli ermittelt in Rom - ein eleganter Kriminalbeamter mit guten Manieren und Geschmack.

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Inhalt

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Über dieses Buch

Commissario Caselli steht vor einem Rätsel: Im Palazzo Spada wird die Leiche des berühmten Schauspielers Terracini aufgefunden. Der Tote lehnt an einer Wand. Über ihm hängt das prächtige Ölgemälde „Didos Tod“. Der Tatort selbst ist wie ein Bühnenbild arrangiert. Und nicht nur das: Im stets verschlossenen Garten des Palazzo werden ein Vogelkäfig, ein Picknickkorb und ein Buch mit englischen Gedichten sichergestellt. Was hat das alles zu bedeuten?

Seine Ermittlungen führen Caselli in die Welt der wohlhabenden Patrizierfamilien, hinter deren glänzender Fassade Hass, Habgier und ungezügelte Leidenschaften lauern …

Commissario Alessandro Caselli ermittelt in Rom – ein eleganter Kriminalbeamter mit guten Manieren und Geschmack.

 Über die Autorin

BIANCA PALMA

Römische

Verwicklungen

Ein Fall für Commissario Caselli

Kriminalroman

beTHRILLED

Digitale Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Stephan Trinius

Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de

Unter Verwendung von Motiven von © shutterstock: gyn9037|Polina Shestakova

eBook-Erstellung: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7325-2623-9

Bei diesem eBook handelt es sich um eine überarbeitete Neuauflage des bereits unter dem Titel »Mord im Palazzo Spada – Commissario Caselli hinter den Kulissen« erschienen Werks.

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

per me

1

Der Morgen war frisch, doch die Sonne wärmte schon. In zartgrünen Büschen zwitscherten Vögel, und eine Katze überquerte den Kies im Cortile des Palazzo Spada. Der Pförtner schloss die Tür zur Galerie auf, und ein breiter Sonnenstrahl flutete den Marmorboden. Der Pförtner merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Er kontrollierte die Alarmanlage und stellte fest, dass sie ausgeschaltet war. »Signora Vicenti?«, rief er und klopfte an das Arbeitszimmer der Museumsdirektorin. Er öffnete die Tür, das Zimmer war leer. Er ging die Wendeltreppe hinauf. Die antike Tür aus Nussbaumholz, die zu den Galerieräumen führte, stand offen. Im Durchgang zu Saal III blieb er stehen und schlug die Hände vor das Gesicht.

*

Alessia zog ihren Hut tiefer ins Gesicht. Die Blätterwedel der Palmen im Garten der alten Villa, an der sie jeden Tag vorbeikam, wogten im Wind. Ein letzter Nachtfrost im April hatte die Mimosen verwelken lassen, erfrorene Knospen ließen im dornigen Geflecht der Hecke die Köpfe hängen, nur kurz währte ihr betörender Duft. Raureif umkränzte blühende Narzissen, und filigrane Spinnweben, in denen sich Tauperlen fingen, überzogen die Rhododendren.

Als Alessia die Via Pinciana überquerte, begann es zu nieseln. Sie beschloss, die Abkürzung durch den Park der Villa Borghese zu nehmen. Im Schutz der Pinien war der feine Regen kaum zu spüren. Auf einmal hörte sie ein Geräusch, das wie das Trompeten eines Elefanten klang. Zunächst glaubte sie, es käme aus dem Zoo am anderen Ende des Parks. Dann aber entdeckte sie das Zeltdach, die sandfarbenen Planen der Stallungen und die aufgehäuften Strohballen. Am Stamm einer Steineiche klebte ein Plakat, das Clowns und fauchende Tiger zeigte. Es roch nach Pferden.

Alessia konnte ihre Neugier nicht zügeln und trat an eines der Zelte heran. Ein Rüssel tastete aus dem Spalt in der Plane, und Alessia zog hastig ihre Umhängetasche weg. Auf einmal stand ein Mann in Gummistiefeln vor ihr, eine Mistgabel in der Hand.

»Keine Angst, Signorina, der will nur spielen!«

»Hm …«, sagte Alessia und passte auf, dass sie nicht in den dunklen Fladen trat, der vor ihr auf der Erde lag. Ein junger Mann drängte sich am Tierpfleger vorbei. Er trug zwei Eimer mit Futter. Seine Stiefel waren verdreckt, der Stoppelschnitt weizenblond. Er musterte Alessia misstrauisch. Sie sah, wie er nervös und unkontrolliert mit der Schulter zuckte, als er im Zelteingang verschwand.

»Kommen Sie mal in die Vorstellung?«

»Weiß nicht …« Alessia sah in den bleigrauen Himmel. Es hatte angefangen, richtig zu regnen.

»Haben Sie keinen Schirm?«

»Ich habe nicht damit gerechnet, dass das Wetter umschlägt. Es war gestern noch so frühlingshaft warm.«

»Warten Sie mal …« Er verschwand im Zelt. Als er zurückkam, hielt er einen verbogenen Herrenschirm in der Hand. »Hier, den können Sie haben ...«, sagte er. Mit dem Zipfel seines karierten Hemds wischte er über den staubigen Griff.

»Danke!« Alessia spannte den Schirm auf. Es goss wie aus Kannen.

»Wollen Sie sich nicht lieber hier unterstellen?«

»Da rein, zu den Elefanten?«, fragte sie.

»Die machen nichts, ich bin ja da. Ich heiße Andrew …«

Er hob die Plane hoch, sodass Alessia im Licht einer an den Balken geklemmten Elektrolampe das Hinterteil eines Elefanten erkennen konnte. Sie klappte den Schirm zu und schüttelte ihn. Ein kleiner Elefant kam angetrabt, drückte sich mit Wucht gegen den Wärter und schwenkte sein haariges Schwänzchen. Der zarte Flaum auf dem Kopf stand ihm zu Berge, er wedelte mit den Ohren, und der kleine Rüssel tastete die Jackentasche ab.

»Hier hast du was, du Frechdachs!« Der Wärter nahm eine Hand voll Erdnüsse aus der Tasche. »Wollen Sie auch mal?«

»Lieber nicht …« Alessia wehrte den rosagrauen Rüssel ab.

»Na, nehmen Sie schon … da ist nichts dabei … ein Rüssel beißt nicht!«

Er nahm Alessias Hand, drückte sie flach und legte ein paar Erdnüsse darauf. »Flach halten, dann kann er sie gut nehmen!«

Alessia fühlte ein warmes Kribbeln auf ihrem Handteller.

»Na sehen Sie, war doch gar nicht so schwer … noch mal?«

Alessia lachte. »Nein, ich muss los … ich muss in die Schule.«

Sie bemerkte seinen fragenden Blick, wie ein Schulkind sah sie nicht aus.

»In die Dolmetscherschule in der Via Mercadante … die Villa, die so florentinisch aussieht …« Dann dachte sie, dass ihn das wohl kaum interessierte, und fügte rasch hinzu, sie werde den Schirm auf dem Rückweg wiederbringen.

»Schon in Ordnung, Signorina …«

»Alessia Lante della Quercia.«

*

Als Alessia am Nachmittag die pinienüberschattete Steintreppe der Dolmetscherschule hinabging, sah sie auf der anderen Straßenseite einen schwarzen Alfa Romeo warten. Sie überquerte die Via Mercadante. Die Beifahrertür wurde von innen sacht aufgestoßen. »Du hättest nicht herkommen dürfen …«, sagte sie vorwurfsvoll. Sie stieg ein, drückte Crasso einen Kuss auf die Wange und blickte ihn an. Der Bankier sah aus wie immer, der Hemdkragen saß zu eng, aber sonst machte er einen eleganten, gelassenen Eindruck. Alessia seufzte. Sie wünschte sich, auch einmal so gelassen sein zu können, wie Pierluigi Crasso. Sie war immer nervös, irgendwie aufgeregt, fast gehetzt. Wenn sie mit ihm zusammen war, gab er ihr etwas von seiner Sicherheit ab. Vielleicht hatte sie deshalb seinem Drängen nachgegeben, obwohl er um einiges älter war und es noch etwas anderes gab, das gegen ihre Beziehung sprach.

»Warum fährst du nicht Richtung Via Veneto?« fragte sie, als sie merkte, dass er wendete.

»Da muss es einen Unfall gegeben haben oder einen Brand …«, antwortete Crasso ruhig, nahm ihre Hand und drückte einen Kuss darauf. »Bei der Villa Borghese standen Rettungswagen und die Feuerwehr … die Rauchwolke zog bis zur Piazza del Popolo … da staut sich der Verkehr … wir fahren über Parioli.«

Alessia nickte. Dann würde sie den Schirm eben am nächsten Tag zurückbringen.

*

Im milden Licht der durch die Wolken brechenden Abendsonne bot sich ein eindrucksvolles Panorama über die römischen Dächer. Man sah bis hinüber zum Pincio.

»Schau dort drüben … die Lichter der Casina Valadier!«, sagte Crasso und nickte zur geöffneten Terrassentür. Es hatte aufgehört zu regnen. Der leichte Luftzug, der hereinwehte, duftete nach Frühling.

»Gehst du da heute Abend mit Lucrezia hin?« Alessia atmete heftig und presste ihr Kinn an seinen Rücken. Der Nachmittag war wie im Flug vergangen, schon schlich sich bei ihr die Traurigkeit ein, die der nahe Abschied brachte.

»Sie ist deine Mutter, Alessia, warum nennst du sie nicht so?«

»Gehst du heute Abend mit meiner Mutter …«

Crasso legte ihr den Finger auf den Mund. »Lucrezia und ich gehen essen … in die Osteria dell’Orso …«, sagte er, und es klang wie ein Seufzen.

Alessia warf die rote Lockenmähne zurück. »Dein Devisenhandel floriert wohl prima …« Abrupt stand sie auf. »Ich finde das unmoralisch … so viel Geld auszugeben für ein Essen … während überall bettelarme Kinder …«

Sie hielt inne und sah Crasso ins Gesicht. Seine Augen glitten über ihren Körper. Alessia nahm sein Hemd von der Stuhllehne und zog es über. Sie sprach nicht weiter.

»Wie eigenartig schön du bist …«, hörte sie ihn sagen. »Diese helle Haut, das rote Haar, du siehst aus … wie eine Britin, niemand würde dich für Lucrezias Tochter halten.«

»Ja, ja …« Alessia klaubte Rock und Strümpfe vom Boden auf. »Der römische Adel … Orsini, Ruspoli, Vitelleschi, Barberini … alle haben sie einen Renaissancepapst in der Familie, tief braunes Haar und ein Profil, wie in einer Bildhauerwerkstatt gemeißelt! Sieh dir Aurelio und Lavinia an.«

»Du sagst das, als wären es Fremde … ihr seid doch Geschwister«, unterbrach sie der Bankier, der sich nun ebenfalls anzog. Er nahm seine Hose vom Stuhl und strich sie glatt.

»Bloß halb … ich laufe unter Jugendsünde, das weißt du doch … auch wenn ich die Jüngste bin.« Crasso sah Alessia von der Seite an. Nur kurz, bevor er den Gürtel schloss, aber sie wusste diesen Blick zu deuten. Es war der Blick, den sie nicht ausstehen konnte. Alessia kräuselte die Nase. »Ich weiß, was du denkst … das arme Kind … kennt nicht mal ihren Vater … irgendein Schauspieler aus England, der Lucrezia damals den Kopf verdreht hat. Vielleicht ein Schotte? Weil er nicht mal für mich zahlt? Du brauchst mich gar nicht so mitleidig anzusehen. Mir geht’s prima!«

Crasso trat zu ihr. »Wann sehen wir uns wieder? Du weißt … ich kann ohne dich nicht sein!« Er strich ihr zärtlich über die Wange.

»Nächsten Donnerstag … seit zwei Monaten ist das der einzige Termin in der Woche, den du dir freihalten kannst. Also, nerve nicht mit leeren Floskeln, ja?«

»Wie du mit mir sprichst! Ich vermisse dich wirklich …«

Seine Stimme bekam einen metallenen Klang. Dann atmete er durch und setzte sich auf das Bett, um seine Schnürsenkel zu binden. »Irgendwann wird das alles anders!«, fügte er matt hinzu.

»Keine leeren Versprechungen, irgendwann werden wir uns nicht mehr Wiedersehen …«, sagte Alessia und holte Luft. Sie hatte es tatsächlich geschafft, den Satz zu sagen, ohne dass ihre Stimme zitterte.

Der Bankier stand auf. Nun war er sichtlich verärgert. »Warum bist du mitgekommen … damals?« fragte er und fixierte sie.

Alessia antwortete nicht. Sie kannte das, nun wollte er sich vergewissern, dass sie ihn liebte. Da konnte er warten. Sie zog trotzig ihre Seidenstrümpfe hoch und spürte, wie Crasso sie ansah. Sie wusste, dass er hinreißend fand, wie sie das machte. Sie trug sie ihm zuliebe. In einem schwachen Moment hatte er sie darum gebeten, und Alessia tat fast alles, worum er sie bat. Sie hatte ihm gesagt, es läge an seiner Autorität. Sie sei nicht in der Lage, einem Mann, der älter war als sie, etwas abzuschlagen. Das fand er ebenfalls hinreißend, das wusste sie auch. Eigentlich waren Männer leicht durchschaubar, fand sie. Crasso mochte es, wenn ein paar Zentimeter ihrer Haut unbedeckt waren. Manchmal, wenn sie unter den Platanen des Lungotevere fuhren, hielt er am Straßenrand vor der Bar gegenüber der Engelsbrücke und bat Alessia, Zigaretten zu holen. Dann stieg sie aus, rannte los und achtete darauf, dass ihr Rock schwang und weiße Haut blitzte. Ihr mangelte es an Sinn für Grundsatzdiskussionen und feministische Streitlust. Auch darin unterschied sie sich von ihrer Mutter. Und gerade darauf war sie stolz.

»Mein Hemd kannst du aber nicht anlassen. Was soll denn das!«, protestierte Crasso.

»Ich brauche was von dir, bitte lass es mir …«, bat Alessia. Sie legte ihm die Arme um den Hals … und plötzlich konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Der Bankier atmete durch. Alessia wandte sich hastig ab. »Entschuldige …«, sagte sie leise und fingerte an den Perlmuttknöpfen, »… es sind nur die Nerven … ich bin im Moment nicht gut drauf.« Und während sie das zerknitterte Hemd an die Lehne hängte und ihr T-Shirt überzog, wurde ihr bewusst, dass dieses Gefühl anhielt, seit Crasso sie zum ersten Mal hierhergebracht hatte.

2

Das gelbe Taxi hielt auf der Piazza Campo di Ferro. Caselli zahlte und stieg aus. Nicht zu fassen, ausgerechnet an dem Tag, an dem er einen Behördengang im EUR zu erledigen hatte, geschah ein Mord, quasi bei ihm um die Ecke. Er steckte seine Brieftasche ein und blickte auf den Palazzo. Hinter prächtigen Säulenarkaden lag ein Rondell hellrosafarbener Tulpen, in dessen Mitte, im Sonnenschein, eine Fontäne plätscherte. Der Himmel war strahlend blau, doch die Gasse schattig, und Caselli fröstelte. Ein Carabiniere mit schwarzem Schnurrbart sperrte den Eingang ab.

»Die Galerie ist heute geschlossen!« sagte er. Unwillkürlich musste Caselli lachen über den unverkennbaren kalabrischen Akzent.

»Ich bin der diensthabende Commissario …«

Der Carabiniere salutierte. »Verzeihung, Commissario, Tonino Catanazzo, Divisione Roma III! Gehen Sie außenrum, der Eingang ist im Vicolo del Polverone!«

Er deutete auf einen mit Plastikfolie geschützten Karton, der sich an den Rustikaquadern des Sockelgeschosses seltsam ausnahm.

»Sie müssen … da um die Ecke!«, wiederholte er.

»Man sieht doch, dass das der Eingang zum Palazzo ist. Mein Gott, lassen Sie mich doch einfach durch!«

Der Carabiniere baute sich vor ihm auf. »Zum Palazzo, aber nicht zur Galerie! Sie müssen außenrum, Commissario!«

Caselli gab sich geschlagen. Er bog links in die Gasse, lief an den Außenmauern entlang und sah eine schlichte Pforte. Darüber prangte eine mit Goldborte gesäumte Stoffbahn »Galleria Spada«. Caselli ging an der unbesetzten Biglietteria vorbei und trat in den Cortile. Kies knirschte unter seinen Füßen. Vor ihm lag das Rondell mit den hellrosafarbenen Tulpen. Er blickte nach links durch die Arkaden der Loggia und sah den breiten Rücken des kalabrischen Carabiniere.

Sergente Scurzi trat aus dem Eingang. »Commissario!«, rief er und zuckte zusammen, als er Casellis finstere Miene sah.

»Buongiorno …« Caselli ging auf seinen Assistenten zu. »Wo sind Sie reingekommen?«

Scurzi lachte erleichtert. »Auch ›außenrum‹!«

»So ein Dummkopf …«, sagte Caselli verärgert.

»Machen Sie sich nichts draus! Der kommt aus dem Süden … kein Wunder, die sind da unten doch alle …« Der Sergente brach ab und zog den Kopf ein. »Entschuldigung, Commissario!«

Caselli nahm gelassen zur Kenntnis, dass Scurzi liebend gern im Erdboden versunken wäre. Die Vorurteile gegen Süditaliener perlten an ihm ab, wie Wassertropfen auf einem Wachstuch. Er hatte sich daran gewöhnt, dass er als Sizilianer ständig mit den gängigen Klischees konfrontiert wurde. Leider trafen sie manchmal auch zu, was ihm erschwerte, den Süden uneingeschränkt zu verteidigen.

»Also, Kalabrien … das ist natürlich ganz anders als … Sizilien, da waren ja die Griechen, die Araber und Friedrich II. … Sie haben Kultur … das ganze Barock und die schöne Landschaft … immer gutes Wetter und mehrere Nobelpreisträger … in Literatur«, überschlug sich Scurzi in Entschuldigungen.

»Schon gut«, unterbrach ihn Caselli. »Fakten zum neuen Fall? Haben wir schon was?«, fragte er und ging voran.

»Ein Schauspieler, Ugo Terracini, zweiunddreißig, unverheiratet. Schädelfraktur und Genickbruch. Er ist bekannt … spielte gerade den Hamlet … am Teatro Argentina …«, erläuterte Scurzi, der hinter ihm herlief, »… der Pförtner fand ihn, heute Morgen …«, setzte er hinzu.

Caselli warf einen skeptischen Blick auf den älteren Herrn in Pförtneruniform, der zusammengesackt auf einem Stuhl in der Halle saß, eine Wolldecke über die Knie gelegt. Ein Carabiniere stand neben ihm und zählte Tropfen in ein Wasserglas. Der Pförtner hatte offenbar zuerst bei der Carabinieristation angerufen, dachte Caselli. Wieder mal einer, der sich mit den hoch komplizierten Zuständigkeiten der beiden Staatsorgane Polizia und Carabinieri nicht auskannte. Caselli fragte sich, wie lange sich Italien den kostspieligen doppelten Verwaltungsaufwand noch würde leisten können. Er schüttelte den Gedanken ab und wandte sich an den Carabiniere.

»Schockzustand?«

Der Carabiniere nahm Glas und Fläschchen in die Linke und salutierte. »Capitano Lucca! Wir haben schon eine tatverdächtige Person festgenommen! Sie ist da drin...« Er nickte in Richtung Tür. »Hoffe, bei Ihnen ist alles unter Dach und Fach?«

»Wie?«, fragte Caselli.

»Na, auf der Behörde, Commissario! Sergente Scurzi hat mir davon erzählt.«

»Hm.« Caselli mochte nicht darüber reden, dass er nichts erreicht hatte. Er würde eine Reihe Ordner durchforsten und einen weiteren Fristverlängerungsantrag stellen müssen. Davor graute ihm jetzt schon.

Scurzi deutete auf die Tür. »Im Garten wurde eine junge Frau festgenommen, römischer Adel, Lavinia Lante della Quercia. Sie hat ausgesagt, sie habe mit dem Mord nichts zu tun. Wir haben eine Polizistin angefordert. Die Signorina hat mit dem Anwalt ihrer Familie gesprochen und ist ziemlich aufgebracht, dass wir sie hier festhalten. Sie müssen dann gleich zu ihr rein, sie wartet in der Bibliothek.«

Eine distinguierte Dame im hellen Kostüm trat aus einer hohen Renaissancetür.

»Signora Vicenti, Commissario Caselli …«, sagte Scurzi. Caselli schüttelte der Direktorin die Hand. Sie lächelte verbindlich und wies auf die Wendeltreppe. »Hier bitte, da entlang. Ist es nicht entsetzlich? Gott sei Dank wurden keine Bilder beschädigt. Er liegt in Sala III vor dem Guercino …« Sie ging voran.

Der Schauspieler lehnte an der Wand unter einem wuchtigen Ölgemälde. Der Tod hatte seine Gesichtszüge nicht entstellt. Die Augen waren geschlossen. Der Kopf hing schräg zur Seite. Das weiße Hemd war blutrot gefärbt.

»Schädelfraktur und Genickbruch …«, kommentierte Scurzi und starrte den Toten an. Ein gut aussehender Mann, dachte Caselli. Er ließ den Blick umherschweifen. Neben der Leiche thronten zwei Silberkandelaber. Die schwarzen Dochte und das schräg getropfte Wachs zeigten, dass die Kerzen lange gebrannt hatten. Am Boden neben dem Fenster stand ein blutverschmierter Kassettenrekorder, daneben hatte die Spurensicherung ein Schildchen mit einer Nummer aufgestellt.

Auch die Direktorin sah auf die Leiche. »Er wirkt fast … malerisch, nicht? Als schliefe er … wie ein junger Gott … sogar im Tod …« Sie lächelte matt. »Wenn es nicht so erschütternd wäre …«, fügte sie hinzu, und ihre Miene wurde wieder Ernst.

»Haben Sie eine Ahnung, was das zu bedeuten hat?«, fragte Caselli und deutete in die Runde.

»Wirkt inszeniert, nicht wahr?«, antwortete die Direktorin und zeigte auf eine Konsole.

»Die Kandelaber standen dort drüben. Es sollte einen Streichquartettabend geben, nächsten Sonntag … im kleinen Kreis, zu meinem Fünfzigsten.«

»Signora Vicenti! Ein Anruf vom Ministerium!«, rief jemand in den Saal.

»Sie entschuldigen mich?«

»Natürlich, Signora, ich werde Sie nachher in Ihrem Büro aufsuchen«, sagte Caselli.

»Danke.« Sie eilte in Richtung Ausgang.

»Richtig wie im Theater …«, meinte Scurzi. »Sieht aus, wie ein Bühnenbild, nicht?«

Caselli nickte. »Und das Gemälde soll uns sicher etwas über das Motiv verraten.« Er beugte sich vor, um das Messingschild am wuchtigen Rahmen zu lesen. »Hm … ›Didos Tod‹ …« Caselli wandte sich um. »Jetzt sind Sie dran, Scurzi, Sie waren doch auf der Akademie.«

»Das haben Sie sich gemerkt?« Scurzi legte die Stirn in Falten.

»Selbstverständlich.« Caselli lächelte.

»Das ist Dido, die Königin von Karthago«, begann Scurzi. »Vergil zufolge strandete der trojanische Prinz Aeneas, der später Rom gründete, nach einem Schiffbruch in Karthago. Da war dann was zwischen den beiden … in einer Höhle. Und da Dido … mit Aeneas … na ja, also … sie dachte, er wäre jetzt ihr Ehemann und würde bei ihr bleiben. Aber Aeneas erhielt von Jupiter die Anordnung, in See zu stechen und seine Reise fortzusetzen. Dido war verzweifelt. Sehen Sie … da oben der kleine Amor, der fliegt weg. Darum heißt das Ganze auch Allegorie. Ein abstrakter Begriff, also die verlorene Liebe, wird bildhaft dargestellt … nun, auf jeden Fall: Sie ließ einen Scheiterhaufen errichten. Alle dachten, sie wolle, alles, was sie an Aeneas erinnert, loswerden, aber weit gefehlt. Als das Feuer richtig loderte, stürzte Dido sich in die Flammen und in Aeneas Schwert … was ich eigentlich nie kapiert habe. Ich meine, wenn einer auszieht, Rom zu gründen, da nimmt er sein Schwert doch mit, oder? Na ja, wahrscheinlich hatte er mehrere Schwerter … obwohl … ich dachte immer, so ein Schwert sei eine ganz persönliche Sache … also, zum Beispiel ihr Roland … der hatte doch auch ein ganz besonderes Schwert, wie hieß das noch gleich … Dur… Durla… Durlin…, erinnern Sie sich? Wie heißt das denn, das Schwert von Roland … mit dem er tapfer gegen die Sarazenen kämpfte und den Heldentod starb, irgendwo in Spanien … um Ihren Kaiser zu verteidigen. Ach, habe ich diese Geschichten geliebt als Kind. Und erst den ganzen Ariost!« schwärmte Scurzi.

»Meinen Kaiser?« Caselli hob eine Augenbraue. Der Klugscheißer Scurzi spielte offensichtlich mal wieder auf seine deutschstämmige Mutter an.

»Na, Karl den Großen …« Scurzi überlegte angestrengt, doch der Name wollte ihm offenbar nicht einfallen. »Na ja, auf jeden Fall, das ist immer ein ganz besonderes Schwert … das des Helden, oder? Das lässt man doch nicht einfach zurück!«

Caselli atmete durch. Manchmal verlangte ihm der Ermittlungsstil seines Sergente ein gehöriges Maß an Geduld ab. »Quintessenz, verschmähte Geliebte?«

»Hm …«, sagte Scurzi, »… er ließ sie sitzen, würde ich sagen, weil … ich meine … er hatte ja schon …«

»Hm …«, sagte Caselli. »Da es sich hier nicht um den Selbstmord einer Frau handelt, könnte das Bild eigentlich nur einen Hinweis geben: ›Didos Rache‹ statt ›Didos Tod‹. Es gibt aber bestimmt andere Bilder in der Galerie, die den Rachegedanken besser zum Ausdruck bringen, oder?«

»Sicher doch.«

»Also, warum ausgerechnet … hier? Zufall?«

»Glaube ich nicht …«, sagte Scurzi, »die Kerzen, der Rekorder … der Mörder hat die Kulisse hier aufgebaut.«

»Ja …«, Casellis Augen wanderten durch den Saal, »der Raum hat eine U-Form, und der Schauspieler stand mit dem Rücken zur Wand. Er hatte keine Fluchtmöglichkeit mehr.«

»Genau. Er saß in der Falle.«

»Was ist auf dem Band?« Caselli musterte den Rekorder.

»Die Spurensicherung war schon da, soll ich?«

Caselli nickte: »Ja, sie war da. Aber ich habe wenig Hoffnung. Alles ist verschmiert und die Fingerabdrücke sicher kaum brauchbar. In dem Raum hier ist eh alles voll mit Abdrücken.«

Scurzi drückte mit einem Taschentuch auf den blutverkrusteten Startknopf:

»Ich seufze dich, dein bittres Los,

Prometheus. Tränen, tropfend von

Den Augen netzen mit quellendem Nass

Die schlanken Wangen. Schmerzlich ist es,

Wie Zeus, nach eigenem Gesetz

Gebietend, den Göttern von vordem

Der blanken Waffe Hochmut zeigt.«

»Klingt wie der Chor in einem griechischen Drama, oder? Schalten Sie’s wieder aus, Scurzi, das bringt uns im Moment nichts … wir hören uns das später in Ruhe an.«

Da sah Caselli den Gegenstand. Neben dem Globus des holländischen Kartografen Guglielmo Bleau, wie Caselli dem Schildchen auf dem Glassturz entnahm, lag eine leere Tablettenhülse aus Plastik. Caselli hob sie auf. Das Silberpapier war durchgedrückt. Er zupfte es glatt, eine Ecke fehlte.

»Ergolo …«, las Scurzi laut, der hinter ihn trat. »Muss einer weggeworfen haben … der Mörder?« Er sah Caselli an.

»Oder einer der Besucher, die hier tagtäglich durch die Säle marschieren. Hier …«, er schlug die Hülse in ein Taschentuch mit seinen Initialen, »finden Sie heraus, um was für ein Medikament es sich handelt, und fragen Sie den Pförtner, wie oft hier geputzt wird … und … Scurzi?«

»Ja, Commissario?«

»Das hätte ich gern wieder. Nicht, dass es in der Gerichtsmedizin flöten geht!«

»Haben Sie das gesehen?« Scurzi zeigte auf den Fußboden. »Überall Blutstropfen … lauter kleine, versprengte Blutspritzer auf den Steinfliesen, den Saal rauf und runter, eigenartig …« Scurzi rieb sich nachdenklich sein kantiges Kinn.

»Mal sehen, was die Spurensicherung sagt …«, meinte Caselli.

Scurzi nickte und steckte das Taschentuch weg. »Wollen Sie jetzt mit der Contessa sprechen? Ich habe ihr gesagt, dass Sie sie sofort vernehmen werden, sobald Sie kommen. Sie hat sich furchtbar aufgeregt, dass wir sie festhalten. Ihren Anwalt hat sie auch schon verständigt …« Er blickte Caselli erwartungsvoll an. »Gehen Sie gleich zu ihr?«

»Was soll denn das?«, rief Caselli, sich seines rüden Tonfalls bewusst. »Contessa … ich denke, seit dem Faschismus sind in Italien die Adelstitel abgeschafft. Die soll sich nicht so haben. Sie ist im Moment die Hauptverdächtige. Es hat sie schließlich keiner gezwungen, hier einzudringen, oder? Jetzt muss sie eben die Konsequenzen spüren!«

»Ich wusste gar nicht, dass Sie Kommunist sind«, murmelte Scurzi und tappte hinter ihm die Wendeltreppe hinunter.

»Wie?«

»Ach, nichts.«

»Ich möchte mir noch den Garten ansehen …«, sagte Caselli, im Parterre angelangt. Scurzi öffnete die Pforte aus Nussbaumholz. »Irgendwas Besonderes?«, fragte Caselli, während sie den Kiesweg entlangliefen und die Kiesel unter ihren Füßen knirschten.

»Hier fand offenbar ein Picknick statt, in der Borromini-Perspektive. Haben sich manierlich verhalten. Alles wieder fein säuberlich aufgeräumt, sehen Sie?«

»Oila!« Caselli entdeckte den Säulenkorridor und staunte. »Das ist aber sehr schön!« Er blickte anerkennend zu Scurzi hinüber. »Wirklich sehr schön!«

»Was meinen Sie, wie lang der Gang ist?«

»Dreißig Meter?« schätzte Caselli auf gut Glück.

Scurzi grinste. »Gut getroffen, Commissario, genauso soll es auch wirken. Aber es sind nicht mal neun, genau gesagt: acht Meter zweiundachtzig!«

Caselli ging die Stufen hinauf und blickte in das Tonnengewölbe. »Wunderbar!« Er betastete den Marmor, der sich unter seinen Fingern glatt und kühl anfühlte.

»Die Säulenreihen verlaufen konvergent statt parallel … auf einen Fluchtpunkt zu. Nach hinten zu werden sie niedriger, während der Mosaikboden ansteigt. Das macht die optische Täuschung perfekt …«, sagte Scurzi. Er seufzte und umschlang eine Säule. »Borromini war eben ein Meister … für das Ganze hat er nur ein Jahr gebraucht, 1652 angefangen, 1653 aufgehört. Auftraggeber war Kardinal Bernandino Spada, von ihm hängt auch ein Porträt oben in der Galerie, gleich in Saal I.« Er ließ die Säule wieder los und zeigte auf das Ende des Korridors. »Übrigens war der Effekt früher verblüffender. 1861 hat dann Conte Clemente Spada die Statuette dahinten aufgestellt. Passt nicht so recht hin. Vorher war da nur ein Fresko mit Blätterwerk und Ranken, das verwirrte das Auge noch mehr. Man dachte, da geht’s in einen Garten.«

Caselli hob den Weidenkorb auf, der auf einem karierten Plaid stand. »Guter Geschmack: Gänseleberpastete, Kuchen, Sekt …«, kommentierte er und stellte den Korb wieder ab.

»Und schauen Sie mal!«

Caselli wandte sich um. Scurzi hielt einen Vogelkäfig hoch, der der Tudorzeit zu entstammen schien. Auf dem Holzgestänge hüpfte aufgeregt eine Nachtigall.

»Eine Nachtigall! Das nenne ich Romantik. Im Borromini-Garten im Mondschein … im Mai!« Scurzi seufzte. »Ach, ja … Marcella hätte das sicher auch gefallen, früher …! Da hat sich jemand wirklich Mühe gegeben.«

»Und sein Gast es ihm übel vergolten …«, kommentierte Caselli und lief an beschnittenen Buchsbüschen vorbei zum Ausgang. »Kommen Sie, ich werde jetzt mit der Direktorin sprechen.«

»Und die Contessa?«, rief Scurzi ihm nach.

»Ah, Commissario …«, Signora Vicenti trat aus ihrem Zimmer, den Bronzeknauf der Renaissancetür noch in der Hand. »Wollen Sie zu mir?«

»Ja«, sagte Caselli und beobachtete, wie Scurzi die Lippen schürzte und zur schmalen Tür blickte, die dem Büro der Direktorin gegenüberlag. Einen derart beflissenen Umgang mit dem Adel hätte er ihm gar nicht zugetraut. »Befragen Sie inzwischen den Pförtner!«, rief er hinüber und folgte Signora Vicenti in ihr Büro.

»Entschuldigen Sie, Commissario … aber möchten Sie nicht zuerst Signorina Lante della Quercia befragen?«

Casellis Gesichtsausdruck verdüsterte sich. Ging das jetzt so weiter? Offenbar nahmen die Römer ihre Aristokratie wirklich ernst. Caselli tat sich schwer, dafür Verständnis aufzubringen. Jede Bevorzugung wegen Rang, Namen und Gesellschaftsschicht war ihm zuwider.

Offenbar bemerkte Signora Vicenti sein Missfallen und setzte eine Erklärung nach. »Es geht ihr, glaube ich, nicht gut. Sie war die ganze Nacht in den Gärten und hat sich wohl etwas verkühlt. Ich vermute einen Harnwegsinfekt. Meine Nichte hatte das neulich, sehr unangenehm, wissen Sie? Sie wohnt vorübergehend bei mir, meine Nichte. Sie hat Ärger … zu Hause. Elektra möchte Schauspielerin werden … mein Bruder hat dafür leider gar kein Verständnis … da habe ich sie, einstweilen, aus der Schusslinie genommen …« Sie strich sich mit routinierter Geste eine Locke aus dem Gesicht, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatte. »Nun ja … ich habe der Signorina eine Tablette gegeben, ich hatte noch eine Schachtel Antibiotika in der Schublade. Aber das arme Kind sollte so schnell wie möglich nach Hause.«

»Das arme Kind könnte eine Mörderin sein, verehrte Signora!«

»Aber Commissario …« Die Direktorin lächelte nachsichtig. »Doch keine Lante della Quercia! Sie entstammt einer der besten Familien Roms, wenn sie einmal heiratet, wird ihr der Papst persönlich seine Glückwünsche übermitteln! Wo denken Sie hin!«

»Ach ja? Wie sind sie denn alle zu Ruhm und Ehre gekommen, die römischen Adelsfamilien und die Aristokratie?«, ereiferte sich Caselli. Endlich konnte er seinem seit dem frühen Morgen angestauten Ärger Luft machen. Ein Behördengang, wie er ihn hinter sich hatte, konnte selbst ein ruhiges Gemüt in Wallung bringen. Caselli war der Meinung gewesen, sein Nervenkostüm könne so schnell nichts erschüttern, doch dreieinhalb Stunden Schlangestehen vor einem Schalter der Steuerbehörde hatten ihn eines Besseren belehrt.

»Das waren doch durch die Bank Condottieri – die Barberini, Orsini, Colonna, und wie sie alle heißen!« fuhr er fort. »Denen der Papst für ihre getreuen Dienste, nämlich Morden und Plündern, wohlklingende Titel verliehen hat! Der Papst, der in Unzucht lebte, seine Widersacher kurzerhand vergiftete und Kriege führte, an der Spitze eines Heeres, das mordete und plünderte, um seinen Machtanspruch auszudehnen! Die Nachkommen von Mördern und Plünderern, das sind sie doch, die Adeligen, weiter nichts! Und degeneriert dazu!«, schloss er und lockerte seinen Kragen.

»Entschuldigung, ich konnte nicht wissen, dass Sie Kommunist sind …«, sagte Signora Vicenti.

»Das tut nichts zur Sache! Und ich bin kein Kommunist!« Caselli hörte, wie sich seine Stimme überschlug.

»Umso besser. Ihre Ansicht teile ich nicht. Und Sie täten gut daran, Ihr sikulisches Temperament zu zügeln, Commissario … auch wenn ich Sizilien sehr liebe, ich habe in Selinunt geheiratet im Frühjahr 1977 … bei den Tempeln. Sie kennen sie sicher, die Tempel bei Selinunt, einfach wundervoll im Frühjahr, nicht wahr?«

»Ja, ja … natürlich kenne ich Selinunt.«

»Das Mädchen war im Garten eingeschlossen. Der Schlüssel steckte außen. Es war also eine dritte Person in der Galerie. Das lässt unwahrscheinlich erscheinen, dass Signorina Lante della Quercia die Täterin ist, nicht?«

»Das herauszufinden überlassen Sie bitte mir!«, erwiderte Caselli. Das belustigte Lächeln, das über Signora Vicentis Gesicht huschte, brachte ihn wieder auf den Boden der Tatsachen. Er räusperte sich und trat ans Fenster. Der Blick in den Garten ging geradewegs auf das Rondell mit den hellrosafarbenen Tulpen, und Caselli wandte sich wieder um.

»Natürlich, Commissario …« Signora Vicenti hob beschwichtigend die Hände. »Ich glaube dennoch, Sie sollten die Signorina nach Hause bringen lassen. Ein Harnwegsinfekt ist unangenehm, bei Männern tritt so etwas ja erst später auf, so um die fünfzig …«

»Also gut …« Caselli atmete durch. Er fühlte sich selbst nicht wohl. Sein Zeigefinger pochte. Am frühen Morgen war er der Katze seiner neuen Nachbarin zu nahe gekommen. Caselli nahm sich vor, gleich anschließend ins Fate-Bene-Fratelli-Hospital auf der Tiberinsel zu fahren und sich von seinem alten Freund Claudio eine Tetanusspritze geben zu lassen.

»Wo ist sie?«, fragte er an der Tür.

»Ich begleite Sie hinüber.« Die Direktorin ging voran.

Eine dunkelhaarige junge Frau stand am Fenster des hohen Raums. Als sie Caselli und die Direktorin eintreten hörte, drehte sie sich um. Sie hielt die Arme vor der Brust verschränkt und wirkte ruhig. Ihre Wut schien verraucht. Die Polizistin stand auf, nickte Caselli zu und verließ den Raum.

»Schon besser?«, fragte Signora Vicenti aufmunternd.

»Ja, etwas.«

Die Direktorin zog die Tür zu. Sie waren allein. Caselli stellte sich vor die Fensterfront und schwieg. Er wartete, was sie von sich aus sagen würde, die beste Methode, wie er aus Erfahrung wusste. Er ertappte sich dabei, dass er sich befangen fühlte.

»Ich werde nichts sagen, bevor Avvocato Verbiani eingetroffen ist«, sagte Lavinia und setzte sich in den Ledersessel neben dem Kamin.

»Haben Sie Ugo Terracini umgebracht?« Caselli wählte den direkten Weg.

»Natürlich nicht!«

»Dann haben Sie nichts zu befürchten.«

»Das kennt man doch! Die Polizei in Italien!«, sagte sie verächtlich. »Ignoranz, Korruption und Willkür.«

Die Tür flog auf, und eine große, schlanke Frau eilte herein, gefolgt von einem älteren Herrn und Scurzi. Ihre Kleidung verriet ausgesuchte Eleganz. Die Frisur saß, der Schmuck und das Foulard, das sie trug, bezeugten Klasse und Reichtum.

»Um Gottes willen, Kind … du siehst ja furchtbar aus! Hat er dir etwas angetan? Was ist passiert?«, rief sie und packte Lavinia am Arm.

»Sie sind der Commissario, nicht wahr … Avvocato Verbiani …«

Der Anwalt reichte Caselli die Hand. »Signora Lucrezia Lante della Quercia ist die Mutter der Signorina. Darf ich fragen, was genau gegen sie vorliegt? Der Sergente hat mir die Fakten genannt: Ugo Terracini wurde ermordet. Lavinia hat man heute Morgen auf den Stufen der Borromini-Perspektive gefunden. Sie war eingeschlossen, und der Schlüssel steckte außen.«

»Mich interessiert, was die Signorina in der Galerie zu suchen hatte …«, sagte Caselli trocken und wandte sich an Lavinia. »Ihr Anwalt ist nun da, wenn Sie so freundlich wären.«

»Antworte, Lavinia«, sagte der Avvocato. »Du hast doch nichts mit der Sache zu tun. Du brauchst nur die Wahrheit zu sagen. Es kann dir nichts passieren!«

»Hat Alessia dich eingeschlossen? Sprich doch endlich!« Die Contessa schüttelte ihre Tochter am Arm.

Lavinia machte sich los und trat ans Fenster.

»Warum bist du überhaupt hergekommen! Ich hatte es euch verboten! Ausdrücklich!« Die Contessa setzte sich auf den Sessel vor dem Kamin und presste ihre Hand gegen die Stirn. »Ach, diese Kopfschmerzen! Ich muss eine Tablette nehmen. Avvocato, seien Sie so gut!«

Sie nahm eine Pillendose aus ihrer Handtasche. Der Anwalt ging zum Tisch, auf dem ein Tablett stand. Er nahm die Mineralwasserflasche, schenkte ein Glas ein und reichte es der Contessa.

»Danke.« Sie schluckte ihre Tablette. Dann lehnte sie sich zurück, schloss einen Moment die Augen und wandte sich schließlich an Caselli. »Also, Commissario … Lavinia hat mir gestern eröffnet, sie habe eine Liaison mit diesem Schauspieler. Alessia, meine jüngere Tochter, erhielt, ebenfalls gestern, eine Einladung für ein Picknick im Borromini-Garten, auch von Terracini … es sollte hier stattfinden … in der Nacht. Ugo hatte einen morbiden Hang zur Romantik …«, erklärte sie und trank noch einen Schluck.

»Du musst es ja wissen!«, fuhr Lavinia halblaut dazwischen.

»Ich habe Alessia verboten, zu dem Rendezvous zu gehen. Ich hatte meine Gründe. Natürlich ist sie trotzdem hin, man kann seinen Kindern heutzutage ja nichts mehr verbieten.« Die Contessa machte eine kleine Pause und stellte ihr Glas auf dem Beistelltisch ab. Dann blickte sie zu Lavinia hinüber. »Aber dass du so dumm sein würdest, Alessia nachzuspionieren!«