11 - Das Seminar - Gabriela Joham - E-Book

11 - Das Seminar E-Book

Gabriela Joham

0,0

Beschreibung

Greg Lundarski der besondere Trainer und Hohepriester lädt zum ersten Mal zu einem Seminar. Er hat diesen Auftrag bekommen, um Menschen zu zeigen, dass sie die Regisseure ihres eigenen Lebens sind. Kompliziert wird seine Arbeit dadurch, dass Rudolf von Walterskirchen im Seminar sitzt. Sein dunkler Gegenspieler, der abermals versucht, die Teilnehmenden auf seine Seite zu ziehen. Daraus entsteht ein spannendes Duett von Gut und Böse, das sich schließlich nur in der Zweipoligkeit jedes einzelnen auflösen kann.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 230

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Der erste Morgen

Elf

Rudolf von Walterskirchen

Die Teilnehmenden

Die Begrüßung

Die erste Pause

Der erste Vormittag

Greg

Die zweite Übung

Beim Abendessen

Der Reflexionsabend

Die Nacht

Der zweite Vormittag

Mittagspause

Das Schauspiel

Die Beobachterrunde

Der Abend

Greg und Veronika

Die Fallstudie

Die Entspannungssequenz

Der letzte Nachmittag

Speed Dating – die Feedbackrunde

Das Abendessen

Die letzte Nacht

Der erste Morgen

Greg wachte an diesem Morgen mit starken Kopfschmerzen auf. Der Autolärm, der durch das offene Fenster in sein Zimmer geschwemmt wurde, verstärkte diesen Zustand noch. Die Schmerzen zogen sich an seiner linken Seite den Rücken herauf, versteiften sein Genick und ließen ihn seinen Herzschlag wie tiefe laute Bassschläge in seinem Kopf wahrnehmen. Greg stand auf und schloss das Fenster mit festem Griff. Dabei fiel ihm die Verletzung an seinem Handrücken auf. Ein langer Kratzer mit einer Blutkruste zog sich über seine schlanke Hand. Greg runzelte die Stirn. In seinem Kopf hämmerte es weiter.

Er beschloss, eine heiße Dusche zu nehmen. Er brauchte die Hitze, um wieder zu sich zu kommen. Erst als das Wasser brennheiß aus dem Duschkopf strömte, stellte er sich darunter und atmete die gnadenvolle Hitze ein, die er alltäglich meist vermisste. Er, der von der Sonne kam, fühlte sich dann ein wenig mehr daheim. Langsam kam ihm der gestrige Abend wieder in den Sinn, die Wunde brannte ein wenig unter dem starken Strahl der Dusche.

Greg stöhnte leise auf. Er hatte sich geschlagen. Gestern Abend. Also nur einen Schlag gegen seinen Gegner ausgeführt. Hinreißen lassen. Schwach geworden war er. Dann hieß es nur noch schnell weg. Denn der andere, der ihn provoziert hatte, taumelte und fiel zu Boden, wie von einer Waffe niedergestreckt. Greg hatte nur seinen Arm ausgestreckt und mit seinem rechten Handrücken das Gesicht des Gegners gestreift. Das reichte schon, um den anderen gleich einem Stromschlag für eine Zeitlang außer Gefecht zu setzen. Die Frau an dessen Seite hatte laut aufgeschrien und Greg bat um Verzeihung. Soweit hätte es nicht kommen dürfen. Das sagte er der Frau auch und dann verschwand er gleich einem Schatten, wenn die Wolke sich vor die Sonne schiebt.

Bis die anderen Menschen im Lokal kapierten, was genau geschehen war, lag er längst in seinem Bett. Der Fusel aus der Bar war wohl verantwortlich für seine Kopfschmerzen. Heiß und fest prasselte das Wasser über seinen Rücken.

Wieso war er nur in diese Spelunke geraten? Greg verdrängte regelmäßig, dass seine heilenden Aktionen immer wieder dazu führten, dass er nicht, wie es anzuraten war, danach direkt nach Hause ging, um sich wieder energetisch zu reinigen, sondern sich verführen ließ. Von Frauen oder dem Alkohol oder gar beidem.

Nur von Drogen hatte er bislang immer seine Finger gelassen. Er wusste, dass sie seinen sicheren Tod bedeuten würden, weil sich die Heilkräfte dann umkehrten und er verglühen würde. Das war ihm bei seiner Inkarnation auf die Erde schon mitgegeben worden. Daran hielt er sich strikt. Sein weltlicher Anteil ließ ihn hin und wieder schwach werden und die Rache kam bei Fuß. So wie heute die rasenden Kopfschmerzen, die unter der Dusche nur sehr langsam nachließen.

Er hatte kaum geschlafen und fühlte sich wie gerädert. Frisch geduscht schlüpfte er wieder unter die Decke. In Phasen wie dieser kam er sich klein vor, fast wie ein Kind. Und in ihm diese große Sehnsucht nach Wärme und Nähe. Am besten es käme jetzt jemand, ganz egal ob Mann oder Frau, der oder die ihn in die Arme nähme und liebkoste. Greg konnte sich nicht erinnern, jemals wirklich gehalten worden zu sein. Manchmal in den Armen einer Frau stieg eine Ahnung in ihm auf, wie es sich wohl anfühlte, bedingungslos geliebt zu werden.

Sein Weg war vorgezeichnet, er war ein Hohepriester auf dieser Erde, der sich als Trainer und Coach verkleidete, um an die Menschen zu gelangen, denen Spiritualität immer noch ein Fremdwort war. Auch an jene, die sich erhaben fühlten. Sie würden eines Tages die Demut vor der Schöpfung wohl lernen müssen, doch zuvor ließ Greg nichts unversucht, sie zur echten Vernunft der Wahrhaftigkeit zu inspirieren. Das gestaltete sich ungemein schwierig und kraftaufwändig. Mutter und Vater fehlten ihm sehr. Tränen schossen ihm in die Augen und er versuchte, wieder einzuschlafen. Dieser kalten Welt zu entfliehen in seine eigene Welt, auf seinen Herkunftsplaneten zu flüchten. Das Universum erhörte ihn und schickte eine kräftige Ladung Sonnenstrahlen durch das geschlossene Fenster direkt in sein Gesicht.

„Steh auf, du kannst es!“ schienen die Sonnenstrahlen zu sagen.

Sie kitzelten seine Nase und er musste niesen. Sein ganzer Körper wurde durchgeschüttelt und mit einem Mal war das Kopfweh wie weggeblasen. Die Spitze des heißesten Sonnenstrahles durchdrang seine Schädeldecke und ersetzte die dunklen Schmerzen durch einen gleißend hellen Auftrag. Greg atmete tief durch. Er ging abermals unter die Dusche, doch diesmal bei normaler Temperatur. Das war notwendig, um die Gedanken zu ordnen.

Die Aufträge kamen als Energieimpulse herein, die sich erst nach einiger Zeit in Worte formen ließen. Manche von ihnen kamen direkt in sein Herz. Das waren jene, die als Kristalle verschiedener Farben sich in seinem Blut verflüssigten und seine Ausstrahlung dem jeweiligen Auftrag anpassten.

Er begann sich unter dem frischen Wasser an das Seminar zu erinnern, dessentwegen er in diese Stadt gekommen war. Er trocknete sich mit dem weichen Handtuch von oben bis unten ab. Immer wieder verwundert über seinen irdischen sehr männlichen Körper, den er manchmal gar nicht spürte. So gut aufgehoben war er in seiner geistigen Welt. So gefangen allerdings manchmal auch.

Nachdem er frische Kleidung angezogen hatte, fühlte er sich wieder irdischer. Greg liebte es, die Reinigung im Hotel zu beanspruchen, das gab ihm das Gefühl umsorgt zu werden. Das weiße Hemd war frisch gestärkt und die Jeans zum Glück nur wenig gebügelt. Den dunkelbraunen Ledergürtel führte Greg zuerst zu seiner Nase und erst dann fädelte er ihn durch die Gürtelschlaufen. Er roch nach Leder. Dieser Geruch war ihm vertraut und er mochte ihn. Deswegen trug er auch nur Maßschuhe, denn er musste vorher an dem Leder riechen. Was andere für eine Macke hielten, war für ihn überaus wichtig. Er brauchte das Gefühl der Erdung, um nicht ungeplant abzuheben und dafür eignete sich eben nur das Leder, das er aussuchte.

Das Seminarhotel war groß und hell. Greg mochte das, weil es ihm das Gefühl von Weite gab. An der Rezeption händigte eine liebe Angestellte ihm die Liste der Teilnehmenden aus. Der Name von Rudolf von Walterskirchen war gelb markiert. Greg frage freundlich nach, weswegen.

Die junge Frau antwortete ihm mit einem schlichten: „Er wollte es so, sprach von einer Bekanntheit zwischen Ihnen beiden.“

Greg seufzte. Rudolf wollte ihn offensichtlich provozieren. Auch seine Wortwahl ließ darauf schließen. Sie kannten einander aus wirklich alter Zeit. Na also dann. Greg stellte sich der Herausforderung. Wichtiger war es ihm allerdings die anderen Namen zu lesen und festzustellen, dass sie bis auf einen die gleichen geblieben waren. Dr. Helmuth Biegler fehlte. Makaber hätte es für jeden anderen gewirkt, doch Greg nickte stumm als er das „Verstorben“ hinter diesem Namen las. Er selbst glaubte nicht nur an die Reinkarnation, er wusste, dass es sich so verhielt. Und Helmuth war wahrscheinlich auf dem Weg in ein neues, besseres Leben. Also blieben 11 Teilnehmende über.

Elf

Das Zahlwort elf, noch bis ins 19. Jahrhundert eilf, stammt vom althochdeutschen Wort einlif ab, gebildet aus den Wurzeln ein (eins) und lif (übrig) (vgl. englisch "left"). Es bedeutet also ungefähr „Rest eins“. Es beschreibt den Rest, der bleibt, wenn man von elf (mit den Fingern) zehn abgezählt hat. Eine ähnliche Bildung gibt es im Litauischen: Die Zahlen elf bis neunzehn werden dort mit der Endung -lika gebildet, die zur Familie des Wortes leihen - (über)lassen gehört. Die Elfmänner im antiken Athen hatten die Aufsicht über das Gefängniswesen und überwachten den Vollzug der Todesstrafe.

Im 19. Jahrhundert wurde die Elf zur Zahl des rheinischen Karnevals. Den Prunksitzungen sitzt ein Elferrat vor, der Karnevalsbeginn wird in neuerer Zeit am 11.11. um 11.11 Uhr begangen. Dies soll sich aus dem abgekürzten Wahlspruch der Französischen Revolution „Egalité, Liberté, Fraternité“ abgeleitet haben. Es mag jedoch zusätzlich eine Parodie auf häufig zehn- oder zwölfköpfige Gremien sein.

Die Elf ist die kleinste Schnapszahl.

Der Elfmeter im Fußballspiel rührt von den ursprünglich in angelsächsischen Maßen definierten Abmessungen des Spielfelds her. Exakt handelt es sich um 10,9728 m, also 12 yards. Seit 1870 bestehen Fußballmannschaften regelmäßig aus elf Spielern, daher das Synonym Elf für Fußballmannschaft.

11 kann symbolisch auch für den islamischen Ausdruck Allahu Akbar (Gott ist groß) stehen.

Elf, maskulin, keltische und germanische Märchen- und Sagengestalt; Naturgeister mit guter oder schlechter Gesinnung, Fantasy: menschenähnliche Wesen eher guter Gesinnung.

Die 11 geht einen Schritt über die vollkommene Zehn hinaus, zur nächsten Vollzahl, der Zwölf, fehlt ihr ein Schritt. Die 11 markiert mithin einen Ausbruch aus einem geschlossenen System.

Die 11 gilt in moderner Numerologie als 1. Meisterzahl. Sie ist Summe aus der Eins, der Zahl der Schöpfung und des Willens, und der Zehn, der Zahl des Durchbruchs. Alle Produkte der 11 (22, 33, 44, ...) gelten als Meisterzahlen. Gleichgewicht und Kraft.

Rudolf von Walterskirchen

Greg bedankte sich höflich und nahm den Seminarraumschlüssel in Empfang. Kurz darauf betrat er den vorbereiteten Raum und wunderte sich über das Chaos, das er vorfand. Er setzte sich in der Mitte des Raumes auf den Boden und prüfte die Energie.

„Greg Lundarski, tatsächlich. Wer könnte es auch anders sein?“

Die tiefe Stimme, die spöttisch lächelnd hinter Greg ertönte, riss ihn aus der Konzentration. Als Rudolf von Walterskirchen dann auch noch seine Hand auf Gregs Schulter legte und ihn tätschelte, sprang Greg auf, drehte sich blitzschnell um und blickte in die funkelnden grünen Augen von Rudolf. Dabei hatte er die Berührung abgeschüttelt, wie ein nasser Hund das Wasser.

„Untersteh dich!“ funkelte Greg zurück.

Rudolf zeigte sein breites Lachen, das nur noch aus blitzenden Zähnen bestand. Sonor und tief lachte er und ausgelassen noch dazu. Greg hasste das. Er brauchte seine Konzentration auf den Raum und die Teilnehmenden und Rudolf polterte hier so einfach herein.

„Es darf doch jeder teilnehmen, oder? Du hast es so demokratisch und als Gutmensch in diese Seminarausschreibung geschrieben. Und außerdem macht es dir doch ohnehin Freude, mit mir hast du wenigsten eine Herausforderung an diesen drei Tagen. Einige von den Teilnehmenden habe ich schon gesehen, das sind ja zahme Schafe.“

Und wieder lachte er laut. Am meisten störte Greg, dass Rudolf mit dem was er sagte, auch genau den Punkt traf, den auch Greg bemerkte. Sie waren beide Herzchirurgen an den Menschen. Wobei Greg die Herzen heilen wollte und Rudolf auf Beutesuche nach Liebesenergie war.

„Du wirst dich ganz normal benehmen, verstehst du?“

Greg war knapp daran, die Beherrschung zu verlieren. Da legte ihm Rudolf den Arm um die Hüfte. Warm und sanft fühlte sich das an.

„Verdammter Hund!“ schimpfte Greg und Rudolf nickte leise.

„Ja, ich werde mich ganz normal benehmen. Versprochen. Außer vielleicht bei der spröden Brünetten, die werde ich vielleicht schon bald auf eine Weise knacken, von der du ja bekanntlich nicht so viel hältst.“

Rudolf ließ Greg wieder los und zwinkerte ihm zu. Danach ging Greg zum Telefon im Raum, wählte die Nummer der Rezeption und bat um Hilfe bei der Vorbereitung des Seminarraumes. Danach ging Greg auf leisen Sohlen wieder aus dem Zimmer. Greg atmete tief durch. Rudolf und er standen für verschiedene Pole und dennoch hatten sie beide Seiten auch in sich selbst. Auf Rudolfs helle Seite war er damals hineingefallen wie ein Stümper. Seine Einsamkeit hatte Greg erdrückt und Rudolf begegnete ihm mit wachem Geist, der ebenso verbunden mit Höheren Mächten war, wie Greg auch. Während er versonnen über ihr Kennenlernen nachdachte, kam die kleine blonde Seminarbetreuerin herein.

„Ach du liebe Güte!“ rutschte es ihr heraus.

Greg wandte sich ihr zu. „Ja, das kann man so sagen. Doch wir haben ja noch genug Zeit.“

„Ich kann mir das gar nicht erklären, der Kollege hat doch gesagt …“

„Bitte sparen Sie sich ihre Erklärungen, wichtig ist jetzt, dass der Raum fertig ist, wenn die ersten Teilnehmenden eintreffen. Ich werde eine halbe Stunde vorher wieder hier sein und meine Vorbereitungen treffen. Sie haben also genau zwanzig Minuten. Die sollten Sie nicht mit Reden verschwenden“, sprach es und wandte sich zum Gehen.

Hinter seinem Rücken hörte er sie noch telefonieren und Anweisungen treffen. Genug der weltlichen Dinge. Greg beeilte sich, in sein Zimmer zu kommen. Dort zog er sich die Schuhe aus, lockerte den Gürtel und legte sich auf das ungemachte Bett. Seine Augen starrten an die Decke. Endlich zeigten sich die ersten Strahlen, bis nach und nach ein gleißend heller Mittelpunkt zu sehen war, von dem in alle Richtung weißgoldene Strahlen auf einem strahlend orangen Hintergrund aufzuckten und er ihre Hitze auf seinen Körper herab prasseln, in jede Zelle schlüpfen und ihn mit der heilenden Energie der Sonne anfüllte. Die alles transformierte, was schlecht oder dunkel war. Wie Kügelchen von Pech flogen diese negativen Energien aus seinem Körper, wurden transformiert und kamen als heilsamer Balsam in seinen Körper zurück.

Wenig später richtete sich Greg auf, stellte seine Beine fest auf den Boden und fühlte Wurzeln tief in den Boden wachsen. Die brauchte er, um mit den Menschen arbeiten zu können. Er atmete tief ein und verband sich gleichzeitig wie durch ein Fenster in seinem Kopf mit dem Himmel. So konnte über sein Rückenmark eine Verbindung entstehen, die ihn durch seine Taten begleitete, manchmal sogar zu ihnen führte.

Von außen war diese Verbindung nur daran zu erkennen, dass seine Augen leuchten und für Menschen, die so wie er hellsichtig waren an einem Strahlen seiner Aura. Rudolf von Walterskirchen war fähig das zu erkennen. Wenn das Strahlen hell und eindeutig war, konnte er nichts ausrichten, weil das Licht das Dunkel überdeckte.

Doch manchmal schlichen sich graue Schleider oder dunkle Schatten in Gregs Energiefeld und da war die Zeit für ein Scharmützel günstig.

Die Teilnehmenden

Fünf Frauen und sieben Männer waren diesmal angemeldet. Einer der Männer war Greg gut bekannt. Es war Rudolf von Walterskirchen. Für jeden der anderen hatte Greg nur eine Vermutung. Denn jedes Mal wenn er einen Namen las, entstand in ihm sofort ein Bild für die Person. Oft auch noch der Klang dessen Stimme oder der Geruch dessen Haut. Das war schon seit seiner Kindheit so, deswegen wunderte es ihn nicht, im Gegenteil, er war der Meinung jeder Mensch verfügte über diese Eigenschaft. Deswegen sprach er auch nicht darüber. Er nahm sich die Namensliste vor und ging an das Kennenlernen der Teilnehmenden.

Dr. Helmuth Biegler – das vornehme Helmuth passte so gar nicht zum leutseligen Biegler und das Gefühl für diesen Mann war fast ein … modriges. Etwas schien mit der Anmeldung nicht zu stimmen. Weiter zum nächsten Namen.

Christa Bruckner - von ihr ging eine ganz besondere Jugendlichkeit aus, ein Zauber fast, der sie umhüllte. Greg lächelte, das besondere an seiner Wahrnehmung hatte ihn schon oft in die Irre geführt, was das Alter der Person betraf. Oft fanden sich unter den jugendlichsten Energien ältere Menschen und umgekehrt. Deswegen beschwichtigte er sich selbst, nicht auf eine schöne junge Frau zu hoffen.

Andreas Krämer - eine Traurigkeit umgab diesen Namen. Gemischt mit vergangener Mutlosigkeit und doch mit einem Ansatz an Hoffnung. Greg fühlte, dass dieser Mann wohl als einer der ersten seine Geschichte loswerden musste. Er würde ihm die Gelegenheit geben.

Gerhard Glockner - interessanterweise kam seine Anmeldung von einer griechischen Mailadresse. Sie duftete nahezu nach dem Geruch von Meeressalz und Oregano. Das machte Greg neugierig, ebenso wie die viel zu früh entrichtete Seminargebühr. Gerhard wollte unbedingt dabei sein. Fast wie auf der Flucht.

DI Veronika Schuster - sie war bestimmt jung. Die Wortwahl ihrer Mail ergänzte Gregs Wahrnehmung von einer jungen Elfe. Aus welchem Grund kam sie ins Seminar? Die Antwort stellte sich flugs ein, es war wohl wegen ihrer besonderen Gabe.

Mag. Anna-Maria Bernsteiner- und darunter in kleinen Lettern „Kleinkindpädagogin“. Mit dieser Bezeichnung konnte Greg nichts anfangen. Er schloss kurz die Augen. Ein Bild stellte sich ein. Anna-Maria selbst als kleines Kind. Alleine auf einem Hohlweg stehend. Ihr einziger Kontakt der Hund an der Kette. Zu dem traute sie sich nicht. Greg konnte die Einsamkeit förmlich spüren. Er atmete durch und öffnete die Augen. Das reichte vorerst. Ein Stück kindlicher Neugierde wollte er sich für Anna-Maria behalten.

Franz Watzka - die Anmeldedaten waren auf den Folder mehr gekritzelt, denn geschrieben. Franz war wohl von einfacher Herkunft. Am untersten Ende war eine kleine handgezeichnete Rose zu sehen. Daneben ein Pfeil und der Zusatz – so heißt meine Frau, sie hat mich zu Ihnen geschickt – und ein lachendes Smiley. Franz war bestimmt ein ganz besonderer Mensch.

Christian Berghammer M.A. - das M.A. hinter dem Namen trat stärker hervor. Christian Berghammer hatte einen Namensstempel verwendet, der seinem Titel gerecht wurde. Die übrige Anmeldung war mit Füllfeder ausgefüllt, deswegen war sie auch in einem Kuvert angekommen. Dieses wiederum mit einem Stempel als Absender, der schon fast einem Siegel glich. Greg spürte die Anspannung des Absenders, das Streben nach Ansehen und Perfektion. Er nahm einen Schluck Tee und einen zweiten Anlauf das Formular zu lesen. Der echte Christian Berghammer war kaum zu erkennen.

Dr. Irene Schmidt - eine Sachlichkeit umgab ihren Namen. Der zweite Impuls war das Innere eines Vulkans, dessen Ausbruch sich anbahnte. Greg legte seine Hände an dieser Stelle über das Papier. Leichter, weißer Dampf stieg auf. Gut, dass diese Frau in sein Seminar kommen wollte. Es war höchste Zeit.

Bea Wallner - das geblümte Briefpapier und die vielen Worte und Hinweise auf Weiterbildungen vernebelten Greg den Blick. Er schaute ein zweites Mal mit geschlossenen Augen und sah ein kümmerliches Häufchen Mensch, aufgetakelt gleich einem Zirkuspferd. Jedes Mal wieder fand sich eine derartige Person in einem seiner Seminare. Offensichtlich hatte er daraus noch zu lernen. Seufzend las er weiter.

Bernhard Rausch - wohl jeder andere hätte den Namen sofort erkannt. Bernhard Rausch war einer der bekanntesten Trainer im Umkreis. Ein Kollege sozusagen. Für Greg bedeutete das nichts. Er spürte die Energie eines jungen Rennpferdes, das ausgepowert am Limit lief. Bernhard erschien ihm weit weg von der gesunden Form, die seine Performance brauchte. Gut, dass er bald ins Seminar kam, lange konnte das so nicht mehr weitergehen.

Die Begrüßung

Greg betrat kurz darauf abermals den Seminarraum. Hinter sich zog er seinen Trolley mit seinen Materialien nach. Jetzt waren die Sessel und Tische so platziert, wie er sich das vorstellte. Auch der Beamer war an und die beiden Flipchart Ständer wie vereinbart mit dicken Blöcken bestückt. Greg probierte die Stifte aus, die in den Stiftemulden lagen. Wie erwartet, funktionierten sie nicht. Gut, dass er immer sein Equipment dabei hatte.

„Guten Morgen!“

Plötzlich stand eine hagere, brünette Frau vor ihm.

„Ich bin Dr. Schmidt, Dr. Irene Schmidt. Und Sie? Leiten Sie das Seminar hier?“

Zweifel sprachen aus ihren Worten. Greg erinnerte sich. Irene Schmidt, richtig, das war die Frau mit dem weißen Dampf. Greg atmete tief durch und umhüllte sich augenblicklich mit der Aura des Unnahbaren.

Er setzte sein professionelles Lächeln auf und antworte Frau Dr. Schmidt mit einem lässigen „Ja.“

Keine Lust habend, ihr jetzt noch mehr in ihren gierigen Rachen zu werfen. Rudolf fiel ihm ein. Just diese Dr. Irene Schmidt hatte er wohl mit der spröden Brünetten gemeint. Das Lächeln, das sich über sein Gesicht zog, deutete diejenige als einen charmanten Zug, nichtsahnend davon, dass es von Gregs Erkenntnis kam. Sie suchte sich einen guten Platz, zog ihre Kostümjacke aus, legte sie über den Sessel und stellte ihre Handtasche demonstrativ auf den Tisch. Die durchsichtige Bluse offenbarte eine zartbrüstige, hagere Gestalt.

Greg interessierte das nicht weiter, doch er wusste jetzt, welche Frau Rudolf gemeint hatte. Verdammt, soweit wollte er sich gar nicht mit ihm verbunden wissen. Dr. Schmidt verließ den Raum wieder. Zum Glück, Greg mochte es gar nicht, wenn Teilnehmende zu früh kamen, das störte ihn in seiner Konzentration. Er ging zur großen Fensterfront, die in den Garten führte und öffnete die schwere Terrassentür. Frische Luft strömte in den klimatisierten Raum, einige Blätter flogen von ihren Stapeln. Deswegen schloss er die Eingangstüre und versprach sich davon einen Moment der Ruhe. Kurz darauf steckte jemand den Kopf zur Terrassentür herein.

„Darf ich?“ fragte der schlanke, sportliche Mann höflich.

Greg nickte. Da kam er schon auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen und drückte sie fest.

„Bernhard Rausch. Ein Trainerkollege.“ Bernhard sagte das ohne jeden Unterton. Er stellte es fest. Greg spürte trotz der warmen Hand ein Zittern im Körper des Teilnehmers.

„Ja, ich habe sowas läuten hören. Gab es da nicht sogar einen Artikel über Sie in irgendeiner Zeitschrift? Verzeihen Sie, wenn ich irgendeine Zeitschrift sage, doch ich lese häufiger Bücher als diese Art der Lektüre.“

„Ja.“ Bernhard lächelte. „Es stimmt schon, es ist irgendeine Zeitschrift und ich sollte mir darauf wohl nicht zu viel einbilden.“

Dabei fielen seine Schultern ein wenig zu tief.

„Nein, nein, so habe ich das keineswegs gemeint. Sie können durchaus stolz darauf sein, dass Sie zu einem der besten Trainer von Ihren Teilnehmenden gewählt worden sind. Und es ist doch schön, wenn man scheinbar etwas bei den Teilnehmenden bewirkt hat. Aufrecht stehen!“

Bei diesen Worten legte er Bernhard die Hand auf das Rückgrat. Bernhard richtete sich auf. Greg wusste, dass es hier an Unterstützung von hinten fehlte. Er nahm seine Hand wieder weg und ging nach vorne zum Tisch, wo die Liste der Teilnehmenden lag. Darauf machte er jetzt das zweite Kürzel. So gelang es ihm, die Essenz jedes einzelnen und jeder einzelnen im Auge zu behalten. Neben Dr. Schmidt stand ein „L“ für: ihr fehlt so viel Liebe. Bei Bernhard, dem er sich gleich per Du vorgestellt hatte, stand ein dickes „V“, Vaterlinie zu schwach, muss gestärkt werden.

Dann bat er den jungen Trainerkollegen, die Terrassentüre wieder zu schließen. Bernhard tat, wie ihm geheißen. Er bot Greg daraufhin auch gleich weitere Hilfe an, doch jener lehnte ab. Bernhard verstand, verließ den Raum und schloss die Seminarraumtür von außen. Er wollte aufpassen, dass niemand zu früh in Gregs Konzentration hineinplatzte. Unverbesserlich in seinem Engagement. Sein Blick streifte durch den Gang. Dabei bemerkte er einen Mann, der zusammengekauert in der weitläufigen Lounge Garnitur des Hotels saß. Bernhard ging auf die Sitzgruppe zu und setzte sich ebenfalls. Fast wirkte es, als würde der andere sich unsichtbar machen. Bernhard kannte das von den Seminaren, bei denen er selbst als Trainer fungierte und war froh, ein Stück seiner Kraft zu spüren, anderen behilflich sein zu können.

„Kommen Sie auch zu diesem SELBST und NEU Seminar? Also ich habe mich angemeldet und jetzt weiß ich gar nicht…“ leitete er in Worten ein, was in Franz Watzkas Körperhaltung zu sehen war.

Dieser richtete sich tatsächlich ein wenig auf und blickte Bernhard direkt in die Augen.

„Ja, so geht es mir auch. Ich bin Franz, Franz Watzka.“

Dabei streckte er ihm seine große, kräftige Hand entgegen. Bernhards Hände nahmen sich dagegen zart aus, der Händedruck war verbindlich und warm. Franz war Bernhard nun näher gekommen.

„Meine Frau hat mich angemeldet. Sie dachte wohl, dass ich es nötig habe.“ Dabei lächelte er zaghaft.

„Ach was“ erwiderte Bernhard, „wir alle haben es ab und an nötig, uns mit uns selbst zu beschäftigen.“

Dass ausgerechnet der smarte, gutaussehende, durchtrainierte Mann, der ihm jetzt gegenüber saß, das sagte, beruhigte Franz ungemein. Vielleicht hatte sie ja doch recht gehabt. Seine Frau, die Rose hieß und ihm den größten Schatz auf Erden geschenkt hatte, seinen Sohn Jonathan. Von dem begann er nun zu erzählen und Bernhard berichtete von seinen beiden Kindern. Währenddessen näherte sich Gerhard Glockner den beiden Männern. Er freute sich, nicht der einzige männliche Teilnehmende an diesem vielleicht sogar esoterischen Seminar zu sein und setzte sich einfach dazu. Die beiden begrüßten ihn und sie stellten sich einander vor. Bernhard stellte fest, dass sie bis jetzt nur Männer waren, ihn erfasste die gegenteilige Sorge, vielleicht wieder in einem Kreis mit Konkurrenten gelandet zu sein. Der Trainer gleich inklusive. Zum Glück schlug die Uhr in der Lobby. Jetzt wurde es langsam Zeit, in den Seminarraum zu gehen. Bernhard stand auf und Gerhard und Franz taten es ihm gleich. Langsamen Schrittes folgten sie Bernhard, der zu wissen schien, wo sie hin sollten.

Greg hatte die Tür zum Seminarraum schon weit aufgemacht und draußen ein Flipchart mit einer riesigen Sonne auf dem weißen Blatt Papier platziert. Im Kreis stand S U N. Hinter den Männern waren Schritte zu hören. Die restlichen Teilnehmenden näherten sich. Drinnen im Raum waren die Sessel im Kreis gestellt, die Tische standen an der Wand. Vor jedem Sessel stand eine Namenskarte aus leuchtend gelbem Karton. Daneben lag ein dicker Filzstift.

Bernhard eröffnete den Reigen und schrieb nur seinen Vornamen auf die Karte. Franz und Gerhard folgten wiederum seinem Vorbild. Auch die anderen, die sich nunmehr ihre Plätze gesichert hatten, ergriffen den Stift und schrieben ihre Namen auf die Schilder. Manche den Vornamen, manche den ganzen Namen, manche sogar den Titel hinzu. Gut, dass die Schilder zwei Seiten hatten, denn Greg würde in den ersten Minuten den Vorschlag machen, sich beim Vornamen anzusprechen. Mit der einfachen Begründung, dass wir alle uns dann persönlicher angesprochen fühlten als wenn wir die Nachnamen oder Titel hörten. Rudolf von Walterskirchen hatte sich gleich neben Dr. Irene Schmidt gesetzt. Und sie gleich beruhigt, als Greg mit diesem Vorschlag kam. Auf sein Schild hatte er zuvor auch Rudolf von Walterskirchen geschrieben, um sich ihrer ebenbürtig zu erweisen. Nun tat er gönnerhaft und weise, dass auch sie beide bereit waren, sich auf den jeweiligen Vornamen reduzieren zu lassen.

Bevor er jedoch das Schild umdrehte und seinen Namen groß auf die anderen Seite zu malen, stand er auf, verbeugte sich vor Dr. Irene Schmidt und sagte mit sonorer Stimme: „Rudolf“.

Daraufhin verzog sie sogar den Mund zu einem Lächeln, nickte und erwiderte „Irene“.

Der Teilnehmer, der auch seinen M.A. und den ganzen Namen geschrieben hatte, war Christian Berghammer. Neben ihm saßen zum Glück auf der einen Seite Veronika und auf der anderen Seite Anna-Maria. Beide hatten ihre Titel und Nachnamen von Anfang an weggelassen, beide spürten die Unsicherheit des sehr gut aussehenden und perfekt gekleideten jungen Mannes. Sie lächelten ihn freundlich an, als er sein Christian Berghammer M.A. durch das einfache Christian ersetzte. Er lächelte scheu zurück. So interpretierten die Frauen das, in Wahrheit war ihm diese Anbiederung jetzt schon zuwider.

Greg wartete geduldig, bis alle die Namensschilder ausgefüllt hatten. Erst dann begann er zu sprechen. Er fühlte sich von Rudolf beobachtet, doch das störte ihn nicht weiter.

Die erste Frage war: „Wie seid Ihr zu diesem Seminar gekommen?“

Und schon war ein unruhiges auf dem Sessel Herumwetzen zu bemerken. Endlich fing Bernhard an.

„Also, ich fand den Folder zufällig in der Post und war gerade in einer kritischen Situation, also habe ich mich schnell angemeldet. Jetzt bin ich umso gespannter, was uns erwarten wird.“

Christian, durch den Vorredner angespornt, wollte nicht schlechter dastehen und setzte fort.

„Mir ging es ganz ähnlich, auch jetzt bin ich erwartungsfroh und ungeduldig, ob der Titel nicht zu viel versprochen hat.“

Danach lehnte er sich gönnerhaft zurück, so unter dem Motto „Trainer, zeig, was du kannst.“

Ihm folgte Bea, die mit zittriger Stimme und ganz leise anhob zu sagen „Also, lieber Greg, ich bin ja so froh, dass wir per du sein können. In meinem Leben läuft gerade einiges durcheinander, ich hoffe, in deinem Seminar ein wenig Struktur und Ordnung in meinen Alltag holen zu können.“

Dabei sah sie Greg fast flehend und doch mit einem Hauch von Flirt an.

Greg hörte die Worte, nickte und antwortete mit der Neutralität eines Priesters „Ja, Bea, das hoffe ich auch.“