Weglichter II - Gabriela Joham - E-Book

Weglichter II E-Book

Gabriela Joham

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Beschreibung

Geschichten für Weihnachten und jeden anderen besonderen Moment, bereichert mit Gedanken der Liebe.

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Seitenzahl: 108

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Inhaltsverzeichnis

Taktvoll

Atem

Gilabert, King of the Elves

Gedankenlos

Alles ist gut

Er

Es gibt Menschen

Da ist etwas, das mich berührt

Die kleine Hexe Walpurga

Danke dir

Acht Gläser

Nebenan

Was mach ich…

Schön

Jetzt

Das Geheimnis der Farben

Taktvoll

Nach und nach kamen die Leute aus dem schweren Haustor. Junge und alte, Männer und Frauen, mit einem seltsam verklärten Lächeln auf den Lippen. Manche von ihnen begleitete ein Summen auf die Straße hinaus. Dass das Tor hinter jeder kleineren Gruppe wieder lautstark ins Schloss donnerte, daran waren die anderen Hausbewohner längst gewöhnt.

Denn immer dann, wenn Chiara ihre Chorproben veranstaltete, erfüllten diese das Gebäude anfangs und gegen Ende zwar mit krachenden Haustorklängen, doch mittendrin mit dem herrlichen Gesang ihrer Schülerinnen und Schüler. Alle im ungefähren Alter zwischen zwanzig und siebzig. Sie kannten einander nur beim Vornamen und fanden sich einmal in der Woche zusammen, um zu singen.

Chiara spielte das Klavier und unterrichtete die Laien darin, die Freude an ihren Stimmen mit einem Stück Professionalität auszustatten. Und das tat sie in einer Art und Weise, die es warm werden ließ in dieser alten Wohnung, die nunmehr als ein Hort der Freude diente. Stets gelüftet und geheizt, sauber und funktionell beherbergte sie die Schar der Sangesfreudigen.

An diesem feuchten Dezemberabend allerdings geschah etwas Seltsames.

Mit dem letzten Chormitglied huschten vier elegante, schwarze, bezaubernde Wesen mit hinaus in die Winternacht. „Wohin gehen wir jetzt? Was hast du vor?“ wollten die beiden zartesten der vier wissen. Die Frage richtete sich an die mächtige erste, die auf den zweiten Blick unter ihrem schwarzen Mantel ein wunderbar glitzerndes, beinahe durchsichtiges Kleid trug. „Ach, fragt nicht so viel.

Wir werden schon sehen!“

„Nun“ mischte sich die zweite ein, eine stattliche Gestalt mit elegantem Hut auf dem Kopf. „So einfach ist das auch wieder nicht. Wann warst du denn das letzte Mal draußen in der Stadt?“ „Ach herrje!“ erwiderte die erste brüsk.

„Vertraut mir einfach.“ Die zartesten seufzten laut, es entwischte ihnen ein „Na, mit dem Vertrauen, da haben wir es nicht so recht.“ Das kam wohl daher, weil sie nur mit einem zarten Fähnchen bekleidet waren und selbst ihre flinken Bewegungen sie nicht wirklich gegen die kühle Luft zu schützen vermochten. Sie kamen immer nur kurz zu Wort und stets musste es schnell gehen. Deswegen umfingen sie sich und hielten sich aneinander fest.

Als sie draußen auf dem schmalen Gehsteig standen, ertönte eine kurze Melodie, nein besser gesagt, nur ein einziger Takt davon. Tatsächlich, ein Takt war mit aus dem Haustor geschlüpft und wollte hinaus in das vorweihnachtliche Treiben. Angestiftet von der mächtigen halben Note, die die Viertelnote überzeugen konnte, der wiederum die beiden Achtelnoten vertrauten. Das entstand wohl auch deswegen, weil sie in einer zauberhaften Anordnung in diesem Takt vereint waren, die schon oft die Kehlen der Singenden zum Jubeln gebracht hatte. Und jedes Mal, wenn die Chorprobe zu Ende gegangen war und die Menschen ihre Jacken und Mäntel anzogen, waren die vier im leeren Zimmer zurückgeblieben. Zwar gemeinsam mit allen anderen im gefalteten Notenblatt der liebevollen Chorleiterin und dennoch neugierig auf das, was die Menschen alles erleben und sehen konnten, während sie zum Bleiben verdammt schienen. In solch einer Nacht fasste die halbe Note den Plan, es auszuprobieren. Tief durchzuatmen und los zu starten. Doch alleine gelang es ihr nicht. So fragte sie die Viertelnote. Die kleinen Achtelnoten schienen ihr nicht allzu geeignet für das große Vorhaben. Schließlich blieb ihr nichts anderes übrig, nur alle zusammen konnten die Kraft aufbringen, sich vom Notenblatt zu erheben.

Chiara bemerkte das nicht, sie war viel zu beschäftigt damit, den Raum wieder für die nächste Gruppe am folgenden Abend herzurichten. Dabei ging ihr der dumme Streit mit ihrem Freund nicht und nicht aus dem Kopf, den sie während der Probe noch gut verdrängen hatte können.

Draußen vor den erleuchteten Fenstern stand derweil immer noch der Takt, im Hintergrund schlug die Kirchenuhr acht Mal. „Kommt, dort fliegen wir hin, zur Kirchenglocke, kommt!“ Flugs schwebte der Takt in den Glockenturm.

„Bim bam, bim bam, bim bam“.

Die Achtelnoten hielten sich die Ohren zu, viel zu laut schien ihnen dieses Geläute. Endlich verklang der letzte Ton und die halbe Note fragte selbstsicher: „Du, Kirchenglocke, wohin kann man denn gehen, in so einer Vorweihnachtsnacht?“ „Ach Kindchen“, die Stimme der Kirchenglocke hallte durch den Turm. „Da seid ihr schon richtig hier. Sitzt schön still und benehmt euch gut, dann werdet ihr die Engel sehen können. Gell. Und nicht dreinreden, wenn ich läute.“ Ihr strenger Ton gefiel den Vieren gar nicht. Wozu das alles, wenn sie jetzt wieder nur brav sein sollten.“ „Ähm…danke“, die Viertelnote behielt die Fassung und deutete den anderen mit einer winzigen Bewegung an: Nichts wie weg!

So purzelten sie mehr als sie schwebten hinunter auf den Kirchenvorplatz direkt hinein in den Kebab Stand. Das Transistorradio plärrte türkische Musik, die allerdings im Grunde sehr melodisch klang und die Vier ermutigte, hier nachzufragen, welcher Platz denn besonders wundervoll wäre in dieser Vorweihnachtsnacht. Das Radio staunte, als sich die Vier so alleine und unabhängig vor ihm aufbauten.

Auf die Frage wusste es leider auch keine ergiebige Antwort. „Also wenn ihr mich fragt, mir ist es hier ohnehin zu kalt. Deswegen bin ich ja im Kebab Stand, da ist es ein wenig wärmer, denn wo ich herkomme, da ist es jetzt…“ Bei diesen Worten geriet das Radio ins Träumen und jetzt platze den beiden Achtelnoten endgültig der Kragen. „Also jetzt reicht es doch, wir müssen woanders hin. Du hast doch gesagt, die Menschen…“ Bevor sie den Vorwurf an die halbe Note so richtig verdichten konnten, fiel die ihnen schon ins Wort. „Jammert nicht, kommt, wir finden schon noch, wonach wir suchen.“ Tatsächlich bremste sich gerade neben dem Kebab Stand eine Straßenbahn ein. Das Rattern gefiel dem Takt und so beschlossen die Vier ein Stück mitzufahren. Flink hüpften sie in den Fahrgastraum und setzten sich sanft auf die Schulter des Fahrers. So konnten sie alles sehen. Der Fahrer griff sich ans Ohr, was war das für ein Geräusch? Weder durfte er Musik hören, noch erblickte er im Rückspiegel jemanden, der das tat. Komisch, normalerweise fuhr immer jemand mit, der die Musik in den Kopfhörern zu laut gedreht hatte und den Waggon damit unterhielt oder störte. Allerdings heute schien der Waggon mucksmäuschenstill, nur er hörte diese Musik, oder besser gesagt, diese paar Töne immer und immer wieder. Vielleicht sollte er doch zum Arzt gehen... Das Nachdenken verlangsamte glücklicherweise seine Fahrt. Denn das Auto, das die Straßenbahn scheinbar nicht bemerkte, lenkte seine ganze Aufmerksamkeit plötzlich auf sich. Es konnte doch nicht sein, dass ihn der Autolenker nicht sah! Er bimmelte laut und bremste scharf. Die Noten purzelten von seiner Schulter. Zu spät, der Fahrer des gelben Citroëns fuhr direkt auf ihn zu und krachte in die Schnauze der Straßenbahn.

Einen Höllenlärm machte das! Der Fahrer stieg sofort aus, um sich um den Lenker zu kümmern. Die Straßenbahntüre blieb weit offen und die kalte Winterluft verstärkte das Unwohlsein der Fahrgäste. Auch den vier Noten wurde plötzlich bang. Mit seinem Mobiltelefon rief der Straßenbahner Rettung und Polizei, die Straßenbahn hatte einige kleine Kratzer, das Auto war wohl ein Totalschaden.

Die Rettungsmänner luden den jungen Mann in ihr Auto, die Polizei nahm alle Daten auf und verständigte den Abschleppdienst. Nach einer guten halben Stunde setzte die Straßenbahn ihre Fahrt fort. Und die Noten, wo waren die geblieben? Der Winterwind hatte sie hinausgezogen in die Nacht und weil die Tür des Rettungswagens gerade offen stand, plumpsten sie in ein weiches Kissen neben der Rettungsliege. Etwas benommen rappelten sie sich wieder auf. Der junge Autofahrer lag friedlich neben ihnen. Fast zu friedlich. So etwas hatten sie noch nie gesehen.

Normalerweise waren die Menschen in ihrer Umgebung sehr lebendig oder bereits sicher in Holzkisten verwahrt.

„Ich hab Angst.“ Die Viertelnote und die Achtelnoten blickten sich erstaunt an. „Ja, ich hab Angst, „ sagte die halbe Note abermals. Die flinken Achtelnoten holten tief Luft. „Also, also, das brauchst du nicht. Wir wissen zwar nicht, wieso genau, doch irgendwie, hmm, also, das wird schon wieder, bestimmt.“ Woher sie wohl den Mut und die Zuversicht nahmen? Sie nickten den beiden anderen zu und deuteten die nächste Bewegung an. Die vier hüpften in die Hosentasche des jungen Mannes. Im Krankenhaus angekommen wurde jener auf innere Verletzungen, Drogen– oder Alkoholmissbrauch und einiges anderes untersucht.

Die vier Noten warteten derweil im Krankenzimmer und hatten sich mit einiger Mühe wieder aus der Hosentasche befreit, um mittlerweile gemütlich auf dem großen, weichen Kopfkissen auf den Patienten zu warten. Derweil blickten sie sich um. Drei Betten standen ringsum in denen bereits andere Männer lagen. Der ein starrte auf den Fernseher, der andere in ein Buch, der dritte schien zu schlafen und schnarchte ein wenig. Weit und breit keine Musik. Plötzlich fühlten sich die Vier sehr alleine. Wo waren sie hier nur hingeraten? Sie kuschelten sich aneinander und beschlossen, einander Geschichten zu erzählen, die ihre Gemüter wieder aufhellen konnten. Geschichten von Tonleitern und Partituren, vom Kanon singen und Chorproben. Erschöpft schliefen sie schließlich ein.

Deswegen bemerkten sie auch nur am Rande, wie der grobschlächtige Krankenpfleger den jungen Mann wenig später fast liebevoll in sein Bett hievte und ihm mit rauer Stimme eine gute Nacht wünschte. Mit seinen großen Händen hatte er zuvor einmal sanft das Kissen aufgeschüttelt, um es für den Patienten herzurichten. Dabei huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Er hätte nicht sagen können wieso. Ahnte er doch nicht, dass seine zarte Berührung den Takt kurz zum Klingen gebracht hatte.

Nebenan im Ärztezimmer steckten die Ärzte die Köpfe zusammen. „Glück hat er gehabt, der Junge.“ Glück, dass die Straßenbahn so langsam und der Fahrer so geistesgegenwärtig gewesen ist. „Na wenn er schon „der Glückliche“ heißt“, scherzte jemand zwischendurch.

Eingeschlafen ist er einfach. Vollkommen übermüdet und fast dehydriert. Felix war an diesem Tag bereits viele Stunden wach, er hatte weder gegessen noch getrunken.

Wiedersehen wollte er sie, seine Freundin, und sie um Verzeihung bitten. Und dann hatte ihm sein Körper diesen blöden Streich gespielt. Ganz knapp vor seinem Ziel.

Felix war in einen tiefen Schlaf gefallen und träumte, während ihn die Kochsalzlösung mit Flüssigkeit versorgte.

Er träumte von einer großen, grünen Blumenwiese im warmen Sommerwind. Von weißen Wolken, die über ihn hinweg zogen und von der Frau, die ihm liebevoll über den Kopf strich und ihm dabei ein Lied sang. Sein Körper und seine Seele erholten sich langsam und die Melodie ging Note für Note heilsam ihn jede seiner Zellen über. Ungefähr um Mitternacht drehte er sich von einer Seite auf die andere.

Die vier Noten kullerten zu Boden und landeten unsanft.

Davon wachten sie auf. „Hast du das auch bemerkt?“ fragte die Viertelnote die halbe Note. „Ja, es war fast unheimlich, oder?“ „Wir waren das ganze Lied! Wir vier!“ jubelten die Achtelnoten. Sie blickten um sich und staunten. Wie konnte das möglich sein? Mit viel Enthusiasmus hüpften sie auf das Nachtkästchen. Sie trauten ihren Augen kaum.

Da saß ihr wohlbekannter, kunstvoll geschwungener Notenschlüssel und lächelte sie an. „Aha, hier seid ihr also abgeblieben, Ihr Schlingel!“ In seinen tadelnden Worten lag genug Liebe, sodass die vier seinem Blick standhielten.

Diesmal fing die Viertelnote an: „Also wir wollten nur, also eigentlich…“ Der Notenschlüssel unterbrach sie sanft. „Ihr Lieben, ihr wisst wohl genau, worauf es ankommt, in diesen Vorweihnachtsnächten?“ „Nun, eigentlich war das nicht ganz so“ setzte die halbe Note verantwortungsbewusst an.“Wir …“ „Papperlapp, wir haben euch vermisst und jetzt habe ich die anderen zur Unterstützung mitgebracht. Wir bleiben jetzt hier, bis der Junge wieder glücklich und gesund das Krankenhaus verlässt. Einverstanden?“ Zeitig am nächsten Morgen betrat Chiara das Krankenzimmer. Die Nachricht auf ihrer Handymailbox, sie möge ins Krankenhaus kommen, Felix Hafner hätte sie als Notfallnummer eingespeichert und sonst stand da nichts, hatte sie den Streit vergessen und nur noch auf ihr Herz hören lassen. Felix war bereits wach. Sein Zustand war stabil und seine Laune wider Erwarten gut. „Können wir vielleicht nochmal reden?“ waren die ersten Worte, mit denen er sie begrüßte. „Was glaubst du, weswegen ich gekommen bin?“ antwortete sie ein wenig vorwurfsvoll.

Doch dann lächelte sie plötzlich ungläubig. „Meine Noten, seit wann interessierst du dich denn für meine Musik?“ Dabei griff sie nach dem vierfach gefalteten Notenblatt auf seinem Nachtkästchen. Sie setzte sich auf den Bettrand und legte ihre Hand in seine. Er schaute verdattert auf das Blatt Papier. „Kannst du mir das Lied vielleicht vorsingen?“, mehr kamen die Worte wie von selbst aus ihm heraus, als dass er sie sagen hatte wollen. „Singen, jetzt? Ich hab gar nicht gedacht, dass ich die Noten bei dir liegengelassen habe. Seltsam...“ „Bitte denk nicht drüber nach. Kannst du mir dieses Lied bitte vorsingen?“ Seine Bitte klang flehentlich. Jetzt nur nicht aufwachen aus diesem Traum.