12/47 - J. C. Ward - E-Book
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12/47 E-Book

J. C. Ward

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Beschreibung

Dezember 2047: Gennaro Innocente, 87 Jahre alt, hetzt durch die Gänge der Kommandozentrale der letzten freien Menschen auf dem Planet Erde – verfolgt von einem Killer-Roboter, der eine einzige Aufgabe hat; sämtliche Menschen zu eliminieren die sich der allmächtigen und totalitären Staatsmaschinerie nicht unterwerfen. J.C. Ward entwirft in kurzen, sarkastisch-satirischen Episoden, die Vision einer dystopischen Zukunft, in der Individualität und der freie Wille zum Verbrechen erklärt wurden.

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Seitenzahl: 130

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12/47

DAS ENDE DER FREIHEIT

VON

J. C. WARD

Originalausgabe 2024

 

Alle Rechte vorbehalten

 

© Riverfield Verlag, Reinach BL (CH)

www.riverfield-verlag.ch

 

Covergestaltung: Riverfield Verlag

Bildnachweis Cover: Riverfield Verlag (created with generative AI)

 

E-Book Programmierung: Dr. Bernd Floßmann

www.IhrTraumVomBuch.de

 

ISBN 978-3-907459-16-4 (E-Book)

INHALT

Prolog

Episode 1

Episode 2

Episode 3

Episode 4

Episode 5

Epilog

Zum Autor

PROLOG

Der Qualm hängt fast schwerelos im Raum. Das Funkeln des Lichtes verleiht den Rauchkringeln beinahe etwas Mystisches. Elegant und scheinbar jeglicher Schwerkraft trotzend, wabert der Zigarettenrauch durch das Zimmer. Die frisch ausgepusteten Schwaden – über die Lippen der gierig dran saugenden Münder stossweise in die Freiheit der Atmosphäre entlassen, gesellen sich, zunächst in einem noch zart jungfräulichen hellblau, später ins gräuliche wechselnd, zu dem schon eine Weile im Raum schwebenden älteren Qualm und scheinen diesen – wie verliebte Paare es zu tun pflegen – sich sanft und liebkosend zu umschlingen, um sich dann in der Schwerelosigkeit des Seins zu einem gräulichblauen Gemisch zu vereinigen.

«Jeden Tag versammelt sie uns hier – wie lange soll denn das noch dauern?» Der Gedanke lässt ihn nicht los.

«Hört endlich mit der Qualmerei auf, ihr Idioten.»

Der Angesprochene bläst ihm den Rauch direkt ins Gesicht und antwortet: «Ich rauche wann und wo ich will. Ist mein gutes Recht.»

Zustimmendes Gemurmel der anderen Raucher.

«Blödsinn … eben nicht», keift eine Stimme: «Rauchen schadet – euch und uns auch.»

«Dann geht doch raus.»

«Geht ihr doch raus.»

«Nö, uns gefällt’s hier.»

«Dann hört mit dem blöden Gequalme auf oder es setzt was …»

«Du willst mir doch wohl nicht drohen du … du intoleranter Idiot du!»

«Ich und intolerant? Ich fass das nicht! Warum sind wir wohl hier? Hä? Wegen euch stupiden Rauchern sind wir hier! Ihr seid an allem schuld.»

«Quatsch. Hättet ihr uns in Ruhe gelassen, wäre das alles nicht passiert … Du Trottel.»

«Ich was? Du verdammtes Arsch…»

«Kinder!»

Ihre Stimme ist gütig und doch sehr bestimmt – wie immer schon.

«Kinder, Kinder.» Wie immer hatten sie sie nicht hereinkommen hören.

Sie senken schuldbewusst den Kopf, das schlechte Gewissen nagt, und etwas betreten murmeln sie: «Tschuldigung … Mom.»

Sie nickt gütig.

«Schon gut Kinder … Wir haben ja Zeit. Nicht wahr?»

Missmutig, aber folgsam und im Chor die Antwort: «Mhmm … ja … haben Zeit … ja ja.»

«Also?»

«Was denn noch?

«Na?» Ihre Stimme – süss wie Honig. «Naaa?»

«Was denn, Mom?» Folgsam schauen alle brav in ihre Richtung.

«Aber Kinder … Wie oft soll ich es euch noch sagen?»

Ein Lächeln umspielt erneut ihren Mund. Oh, dieses Lächeln … unvergleichlich … immer schon!

«Na was denn schon wieder?» Der Missmut des Chors ist nun nicht mehr zu überhören, aber sie bleibt wie immer gütig: «Ihr wisst es, Kinder, wie oft soll ich es euch noch sagen?» Kein Zorn – nur ein klitzeklein wenig Ungeduld hat sich in ihre letzten Worte geschlichen.

Immer dieselbe Leier – der Gedanke, bei allen derselbe, doch auch dies weiss sie natürlich. Erneut ein verständnisvolles gütiges Lächeln: «Na?»

Schweigen.

«Naa?»

Alle wissen, dass sie nicht aufgeben würde – nie tat sie dies – bis allesamt ihr die Antwort geben, die sie seit Jahr und Tag schon hören will, doch wie jeden Tag siegt zunächst der Trotz.

«RAUCHEN IST TÖDLICH!», schreit die eine Hälfte der Anwesenden.

«Ja, auch», antwortet sie.

«RAUCHEN IST FREIHEIT!», kontert genau so vehement die andere Hälfte.

«Ja ja … auch dies.»

Wildes Gemurmel, dann wieder gegenseitige Beschimpfungen, Handgreiflichkeiten …

«STOPP!»

Etwas schärfer – ein ganz klein wenig nur (aha, auch ihre Geduld scheint Grenzen zu haben), sagt sie: «Nein, nein, nein! Wie es scheint, wollt ihr es einfach nicht verstehen.»

Am liebsten würde sie sich die Haare raufen, ihr Mund verzieht sich leicht nach unten, so dass ihre feuerroten Lippen einen kurzen Augenblick leicht spöttisch zu lächeln scheinen. Dies tut sie immer, wenn sie Dinge wieder und wieder erklären muss. Heute scheint in der Tat nicht ihr Tag zu sein.

Sie baut sich in ihrer ganzen, fast unendlichen Grösse vor ihnen auf, alle schauen, nun doch etwas verängstigt und manche gar leicht zitternd, zu ihr hoch. Doch ihr Mund lächelt erneut, nachsichtig ihr gütiger Blick.

«Kinder, Kinder … wie oft muss ich es denn wiederholen? Die richtige Antwort lautet …»

Anmerkung des auktorialen Erzählers: Die richtige Antwort kommt dann ganz am Schluss, doch jetzt wollen wir erst schauen, was noch alles passiert.

EPISODE 1

Ich bin einer der letzten meiner Art. Eines der noch wenigen lebenden Exemplare einer fast ausgerotteten Spezies. Männlich, einen Meter siebenundachtzig gross, dunkelbraune Haare, braungrüne Augen, gut aussehend und fast neunzig Jahre alt, sehe aber (der geklauten Gentechnik sei Dank – die mir jetzt wohl nichts mehr nützen wird), kaum älter als sechzig aus.

Alles umsonst!

Wir haben versagt! Die Kämpfe, die Opfer, die jahrelangen Entbehrungen und Demütigungen, die wir in Kauf genommen – alles für die Katz. Aber aufgeben will ich noch nicht, nein, noch ist ein Letztes zu tun. Ich muss zum Kontrollzentrum, ich muss es bis dahin schaffen, mich in Sicherheit bringen, vielleicht erwischen sie mich doch nicht. Ich höre meine eigenen Schritte an den Wänden widerhallen, renne um mein Leben, mein Atem rasselt wie eine alte Dampflok, die man dann und wann noch (illegal) auf dem Discovery Channel sehen kann. Über einen alten Satelliten, den die vergessen haben auszuschalten. Da kann man Sendungen und Aufzeichnungen aus längst vergangenen Tagen sehen. Dampfloks, freie Menschen … solche Dinge eben – Tempi passati.

Diese Schweine, wie ich sie hasse – und dennoch haben sie gewonnen. Wir sind die Guten – und die Bösen siegen.

Aber hoppla, jetzt vergesse ich doch tatsächlich meine gute Kinderstube – meine Mama würde sich bei meinem ungebührlichen Verhalten, mich Ihnen nicht vorzustellen, im Grab nicht nur umdrehen, sondern wie ein alter Flugzeugpropeller rotieren.

Also, ich heisse Gennaro Innocente, was sinnigerweise «unschuldig» heisst und ich war – sobald ich Ihnen diese Geschichte erzählt habe – der letzten Raucher dieses Planeten. Was ich noch vergessen habe: mein Kampfname ist «Smokey», und den habe ich mir auf meinem Handrücken eintätowieren lassen. Sicher ist sicher.

Oh Gott, Sie kommen! Haben mich mit den Sensoren erfasst, gleich werden sie mich erwischt haben und «terminieren». Ich höre schon das typische, etwas eigenartige, an das Klopfen eines Spechtes erinnernde Geräusch der multimorph geformten Beine. Nun ja, eigentlich sind es keine Beine, sondern hybridmetallene mit ultrascharfen Titankrallen versehene Robobeine. Sie nennen diese Dinger die «NikoKills».

«Maschinen, deren einzige Existenzberechtigung darin besteht, vom Leid zu erlösen. Die, die sich selbst zu erlösen nicht imstande sind.» So oder ähnlich hat es einst dieses Schwein von Weltpräsident der Föderation definiert.

Witzig finde ich das nicht – jetzt nicht mehr.

Taka taka taka taka … Das Klopfen der «NikoKill»-Robobeine kommt immer näher … sie sind zu schnell – gleich werden sie mich kriegen. Ich krame im Laufen in meinen Manteltaschen. Eine letzte Zigarette, eine letzte noch – bitte, lieber Gott. Ja, ich weiss, ihr Schweine. Blasphemie, Blasphemie … Es darf keinen Gott mehr geben, verboten habt ihr ihn, wie alles andere auch. Alles habt ihr verboten. Die Freiheit der Gedanken könnt ihr jedoch nicht verbieten. Oh Gott oh Gott oh Gott … Meine Stimme hallt von den Felswänden des Höhlenganges wider, während ich im Rennen in meinen Taschen verzweifelt nach einer Zigarette suche. Verdammt, wo ist es denn? Ich hatte es doch mit dabei, das Erbstück meines Vaters. Sowas findet man nicht mehr – eine Rarität: Das letzte volle Päckchen Zigaretten meines Vaters. Seit vielen Jahrzehnten trage ich es mit mir herum, verschweisst in Plastik – wie anno dazumal eben Zigarettenpackungen aussahen. Ahh, hier … Ich kann sie fühlen, spüren, meine geliebt-schmalen-kleinen-freudebringend-süchtigmachend-todbringenden-aber-nicht-mehr-von-ihnen-loskommbaren Lebensbegleiter. Ich krame in den Taschen (verdammt schwierig, wenn man in einem Höhlengang wie verrückt um sein Leben rennt), versuche, die Plastikhülle vom Paket zu reissen.

Zisch! Ich spüre den Einschlag zunächst gar nicht, nur ein leichtes Brennen in der rechten Schulter. Ein Streifschuss, aber ich weiss, was dies bedeutet. Die «NikoKills» haben mich getroffen, mit einem dieser neuen «SmokeFree-Geschosse». Hochkonzentriertes Nikotin, tausendfache Zigarettendosis in jedem Projektil. Man stirbt innert weniger Minuten – ein ganzes Raucherleben, ausgelöscht in ein paar Minuten!

Schuld, Sühne und Busse eines jeden Rauchers – die ultimative und letzte Nikotin-Katharsis – die Erlösung für die nicht Lebenswerten.

Von wem stammt dieser zynische Spruch nochmals? Ah ja, jetzt weiss ich es wieder: Heinrich Hiller, erster Föderationspräsident der vereinigten Erde. Dieser verdammte Mistkerl. Ein Kind der Demokratie? Dass ich nicht lache. Die Diktatur der Demokratie hat gesiegt. Doch das daraus geborene Kind frisst seine Eltern, und was bleibt, ist nur die Diktatur. Und die Diktatoren. Wie konnten wir es bloss so weit kommen lassen?

Fuck! Ich fühle schon die Wirkung. Bald bin ich mausetot.

Hätte ich doch bloss auf meine Mama gehört.

«Junge, hör mit dem Rauchen auf.»

«Ich kann nicht, Mama.»

«Warum nicht?»

«Na, weil es eben eine Sucht ist.»

«Schau mich an. Ich rauche auch nicht.»

«Du hast eben dein Lebtag nie geraucht, Mama.»

«Was eben?»

«Na eben, dann brauchst du ja auch nicht damit aufzuhören. Ich rauche aber schon!»

«Na dann hör auf damit.»

«Wenn es so einfach wäre würde ich es tun.»

«Rauchen ist eine Charakterschwäche.»

«Hitler war Nichtraucher.»

«Das ist nicht dasselbe.»

«Warum?»

«Er war Deutscher.»

Die Logik meiner Mama war unbestechlich, doch bevor ich jeweils nachhaken konnte, kam immer gleich der nächste Satz aus ihrem Mund: «Schmeiss die Dinger einfach in den Müll und denk nicht mehr daran!»

«Das kann ich nicht. Die Sucht ist stärker, Mama.»

«Quatsch …»

Man konnte mit meiner Mama nicht argumentieren. «Schau mal Junge, dein Onkel Eddy zum Beispiel …»

Und an dieser Stelle folgte dann immer dieselbe obligate Story von meinem Onkel Eddy. Der ist schon lange tot, wie meine Mama auch, doch Onkel Eddy diente Mama immer als lebender Beweis, dass man – «wenn man bloss will» – wie sie immer anfügte, «sehr wohl mit dem Rauchen aufhören kann.»

Das was sie dann jeweils nonchalant unterschlug (oder wenn ich es ansprach, einfach nicht gelten liess und überhörte) war, dass Onkel Eddy eigentlich gar nie ein «richtiger» Raucher gewesen war. Naja, er war einer dieser Gelegenheitsraucher (ein paar Zigaretten pro Tag vielleicht), und er war auch noch sehr jung, als er aufhörte zu rauchen. Und was meine Mama auch immer verschwieg war, dass Onkel Eddy damals frisch verliebt war, in meine spätere Tante Julia, und es war Tante Julia, derentwegen mein Onkel das Rauchen aufgab. Doch was mein Onkel Eddy nicht aufgeben konnte oder wollte, war seine Lust, mit anderen Frauen ins Bett zu gehen und, dass er gar nicht am Nikotin starb, sondern dass Tante Julia ihn beim Vögeln ihrer Schwester erwischte – im eigenen Schlafzimmer, und dass er wohl besser weitergeraucht hätte, statt sein Ding dauernd in andere Frauen zu stecken, denn dort, wo ich aufgewachsen bin, war dies beileibe kein Kavaliersdelikt. Nein, ganz und gar nicht, denn damals und dort ging es noch um Ehre, Rache und Sühne. Begriffe, die heute keiner mehr versteht. Auf jeden Fall hat Tante Julia mit Onkel Eddy, als sie ihn in flagranti mit ihrer Schwester erwischte, kurzen Prozess gemacht Sie sagte kein Wort, drehte sich um, ging in die Diele, nahm die Schrotflinte aus dem grossen Holzschrank und schoss dem armen Onkel Eddy kurzerhand das Gemächt weg.

Das muss eine Sauerei gewesen sein, kann ich mir vorstellen. Solche Dinge jedoch erwähnte meine Mama nie – nein, sowas wäre meiner Mama nie über die Lippen gekommen – meiner Grossmutter aber schon.

Herrgott, wozu erzähle ich Ihnen eigentlich all diese Nebensächlichkeiten?

Ich habe bestenfalls noch ein paar Minuten zu leben, hetze durch einen dunklen Höhlengang, hinter mir das tak tak tak der «NikoKills», gleichzeitig in meiner Tasche nach der letzten Zigarette kramend, die Wirkung des Niko-Geschosses schon spürend.

Auf jeden Fall endete die Diskussion ums Rauchen mit Mama immer mit dem Satz: «Das Nikotin wird dich eines Tages noch umbringen, Schätzchen.»

Wie Recht du doch hattest Mama, wie Recht … Doch auch ich hatte Recht Mama (falls es einen Himmel und Gott gibt und du mich da hören kannst), denn ich hatte dir auch immer geantwortet: «Das Nikotin vielleicht, aber nicht die Glimmstängel.»

An meinen Papa kann ich mich kaum erinnern. Mama erzählte immer nur diese eine Geschichte: Jung und schön sei er gewesen, mein Papa. Und Kettenraucher! «Ja, mein Sohn, dein Vater war Kettenraucher, doch er hat auf mich gehört, nicht wie du, Junge. Dein Vater hat sich meinen Ratschlag zu Herzen genommen und die Glimmstängel über Nacht weggeworfen». Was meine Mama an der Stelle (wie bei manch anderen Geschichten, wie wir nun wissen) unterschlug, erzählte mir eines Winterabends vor dem Schlafengehen meine Grossmutter. Oh, ich habe sie geliebt, meine Grossmutter. Meine Mama hab ich auch geliebt, aber Grossmama war etwas ganz Besonderes. Eine Frau wie keine zweite war sie. Mama zeigte mir einmal ein Foto, als Grossmutter so um die sechzehn Jahre alt war; eine atemberaubende Schönheit fürwahr. Selbst ich, der ich damals noch ein kleiner Junge war und sie, in meinen kindlichen Augen zumindest, schon eine uralte Frau, konnte es auf dem Foto ganz deutlich erkennen; meine Grossmama war bestimmt eine der schönsten Frauen, die je auf dieser Erde gelebt haben!

Meinen Grossvater jedoch hab ich nie kennen gelernt. Dies hatte einen einfachen Grund: Das Thema war bei uns Tabu. Grossmutter muss ihn (meinen richtigen Grossvater) nur ein einziges Mal und bloss für ein paar Tage getroffen haben. Als sie noch ganz jung wie auf dem Foto war. Es muss passiert sein, als sie zu Besuch bei ihrer Tante in Norditalien war. Sie wurde schwanger, und das war ein Riesenskandal, denn niemand wusste, wer der Vater meiner Mutter war und Grossmutter hatte nie ein Sterbenswort darüber verloren, wer der mysteriöse Unbekannte war, der sie geschwängert hatte.

Doch dazu später mehr – denn es ist wichtig für diese Geschichte.

Also, eines Abends erzählte mir meine Grossmutter, was mit meinem Vater wirklich geschah. Er war Gemüsefahrer gewesen. Für einen Grossverteiler. Frühmorgens bestieg er wie immer seinen Kleinlaster, fuhr zur Rampe des Verteilzentrums und dann auf seine Tour in die Berge und Täler der abgelegensten Dörfer, um die Ware in die kleinen Läden und Geschäfte zu bringen. An besagtem Morgen (es war ein trüber Herbsttag, der Nebel hing wie zähe Melasse in der kühlen Morgenluft und die Blätter verabschiedeten sich von den Bäumen, um auf den nieselnassen Strassen ihr Dasein als glitschige Masse zu beenden), fuhr also mein Vater «die grosse Tour», wie er es nannte. Ein paar Tage zuvor hatte er das Rauchen aufgegeben. Echt! Er hatte wohl Mamas nörgelnde Stimme einfach satt, die unentwegt und wie eine tibetanische Gebetsmühle immer wieder denselben Satz predigte: «Der Tabak wird dich eines Tages noch umbringen.» Mein Vater jedoch (er wollte es wohl einfach nicht zugeben) behauptete an besagtem Tag, an dem er das Rauchen aufgab: «Die verdammten Glimmstängel sind mir schlicht zu teuer.»

Ein paar Tage nach diesem denkwürdigen Satz und als frischgebackener Nichtraucher, fuhr er also los auf seine «grosse Tour». Da er an diesem Tag etwas spät dran war, jagte er seinen Kleinlaster zügig in Richtung Oberbergstrasse – dies sollte sich als fatal erweisen.