13, verliebt, unsichtbar - Sylvia Gelinek - E-Book

13, verliebt, unsichtbar E-Book

Sylvia Gelinek

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Beschreibung

Als Moni von ihrer besten Freundin Laura hört, dass der unauffällige Timm aus der Parallelklasse einen tödlichen Unfall hatte, beginnt sie, ihm in ihrem Tagebuch zu schreiben. Zwar hatte sie nie etwas mit Timm zu tun, doch plötzlich fühlt sie sich mit ihm verbunden. Schließlich war er auch so unscheinbar wie sie und hatte wenig Freunde. Moni hält Timm über das Leben in der Schule auf dem Laufenden und erzählt ihm von ihrer Unsichtbarkeit: Keiner beachtet sie, nicht mal die eigenen Eltern. Aber das Schlimmste ist: Auch die Jungs haben keine Augen für Moni - und trotzdem ist sie ständig heftig verliebt. Was für ein Mega-Schlamassel! Ein witziger und berührender Tagebuchroman mit frechen Illustrationen von Jana Moskito!

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Sylvia Gelinek

13, verliebt, unsichtbar

Roman

Schwarzkopf & Schwarzkopf

Für Simi

Sonntag, 25.Juli

Timm ist tot! Laura hat gerade angerufen und mir er­zählt, dass er von einer Straßenbahn überfahren wurde. Hilfe, das ist so schrecklich, ich fühle mich ganz taub. Laura kann sich nicht vorstellen, wie man von einer Straßenbahn erfasst werden kann. So eine Bahn kommt doch nicht aus dem Nichts, sie fährt schließlich auf Schienen und ist auch nicht gerade leise. Das stimmt, aber vielleicht hat er Musik gehört und geträumt? Er war ja auch irgendwie seltsam  – o still und unauffällig. Seine Haut war ganz blass und sein Haar hellblond. Er war fast durchsichtig. Und nun ist er ... ganz weg.

Timm ging in meine Parallelklasse, aber ich hatte nie etwas mit ihm zu tun. Ich glaube, ich habe nur einmal mit ihm geredet. Na ja, eigentlich hat er nur etwas zu mir gesagt. Wir haben beide schweigend vor dem Sekretariat gewartet und er guckte mich die ganze Zeit so komisch an. Dann hat er plötzlich mit dem Finger in mein Gesicht gezeigt, sodass seine Fingerspitze fast meine Wange berührte, und gesagt: „Du hast da Tinte.“ Ich habe mir über die Wange gewischt und mich einfach weggedreht, ich fand das irgendwie peinlich. Da ging auch schon die Tür zum Sekretariat auf und ich bin ganz schnell rein. Ich hab nicht mal Danke gesagt.

Wenn die Schule wieder anfängt, werden bestimmt alle über Timm reden, aber richtig traurig ist wahrscheinlich keiner. Er war so ein Junge, den keiner vermisst, wenn er nicht mit auf Klassenfahrt oder zur Weihnachts­feier kommt. Ich habe ihn nie mit Freunden oder überhaupt irgendjemandem zusammen gesehen. Ich habe ihn ja auch selbst nie beachtet, ich bin wohl genauso ignorant wie alle anderen.

Ob jemand traurig wäre, wenn ich sterben würde? Mal abgesehen von meiner Familie und Laura natürlich. Mich kennt ja eigentlich auch keiner. Manchmal fühle ich mich so durchsichtig wie Timm. Die Lehrer beachten mich nicht, die Jungs interessieren sich nicht für mich, ich bin nicht beliebt, meine Eltern sind nur stolz auf meine Schwester und die hat sowieso nie Bock auf ihre kleine Schwester. Da kann man echt das Gefühl bekommen, unsichtbar zu sein.

Das fängt im Grunde schon beim Namen an: MONI. Wer heißt denn schon Moni? Nicht Monika, Monique oder Simone. Nein, einfach nur Moni. Und wem habe ich das zu verdanken? Meiner lieben Schwester Vanessa. Es wurde mir überliefert, dass sie im Krankenhaus auf dem Arm meines Vaters auf mich gezeigt und „Moni“ gesagt hätte, und da haben meine verantwortungslosen Eltern mich einfach so genannt. Es ist ja auch so eine süße Geschichte! Kotz. Ich frage mich, was gewesen wäre, wenn Vanessa „Kaka“ gesagt hätte. Würde ich jetzt Kaka Nicklich heißen? Meine Schwester selbst wurde natürlich nach einer französischen ­Sängerin benannt. Und ich nach der spontanen Äußerung einer nicht mal Dreijährigen!

Herzlichen Dank auch.

Vanessas Deutschlehrerin wollte mal, dass sich jeder in der Klasse in drei Worten selbst beschreibt. ­Vanessas Selbstbeschreibung lautete: klug, witzig, kreativ. KREATIV? Ich sag nur: Moni! Ich könnte wetten, sie hätte lieber klug, witzig und hübsch gesagt, aber wollte nicht eitel wirken. Als sie mir damals von der Aufgabe erzählte und sich natürlich nicht dafür interessierte, wie ich mich beschreiben würde, dachte ich für mich selbst an: süß, verträumt, Zeichentalent. Aber wahrscheinlich würde bei dieser Beschreibung keiner darauf kommen, dass ich gemeint bin. Zumindest hat mich noch nie jemand süß gefunden, soweit ich weiß. (Mütter zählen nicht.)

Also wenn mich morgen die Straßenbahn überrollen ­würde, müsste­ auf meinem Grabstein – in der hintersten Ecke des Friedhofs, wo der Totengräber immer unbeobachtet sein Nickerchen macht – stehen:

Ich muss ab jetzt wirklich öfter Tagebuch schreiben. Damit etwas von mir übrig bleibt, wenn mir mal was passiert.

Montag, 26. Juli

Lieber Timm,

ich habe beschlossen, von nun an immer an dich zu schreiben. Das bin ich dir schuldig, weil ich dich nie beachtet habe und wegen der Sache mit der Tinte im Gesicht … danke für den Hinweis! Und na ja, ich würde mich auch freuen, wenn mir jemand schreiben würde, wenn ich tot wäre. Ich habe noch mal im Jahrbuch nachgeschaut, wie du genau aussiehst, äh aussahst. Auf dem Klassenfoto musste ich dich ganz schön lange suchen. Ich habe eine Zeichnung von dir gemacht. Findest du, dass ich dich getroffen habe?

Ich bin übrigens letzte Woche 13 geworden. Also bin ich jetzt offiziell ein Teenager. Ich finde, zwischen 12 und 13 liegen Welten. 12 klingt total kindlich, aber 13 ist fast erwachsen. Das darf ich nur nicht Laura sagen, die wird erst nächstes Jahr im Mai 13. Laura ist meine allerbeste Freundin. Okay, sie ist auch meine einzige Freundin, trotzdem ist sie die allerbeste. Sie ist ein bisschen durchgeknallt, deshalb ist sie auch nicht so unauffällig wie ich. Aber sie fällt eben nicht positiv auf wie meine Schwester, mehr so wie nasses Klopapier am Schuh, während man durch das Schulhaus läuft. Da bin ich ehrlich gesagt manchmal auch ganz froh, dass mich keiner kennt.

Sie bringt Sachen fertig wie zu spät zum Unterricht kommen und erst im Klassenzimmer merken, dass sie ihre Schultasche in der Eile zu Hause vergessen hat. Und das, obwohl unsere Schule auf einem Berg liegt! Man muss doch merken, dass der Schulweg auf einmal viel leichter ist ohne Gewicht auf dem Buckel. Na ja, und dann schüttelt die Lehrerin ungläubig den Kopf und alle kichern. In solchen Situationen schäme ich mich immer ein bisschen für sie, obwohl ich weiß, dass man sich für seine beste Freundin niemals schämen sollte.

Sie kann aber auch total cool sein und einen Fahrkartenkontrolleur davon überzeugen, dass wir am Kindertag keine Fahrscheine brauchen. An dem Tag wurden wir nämlich beim Schwarzfahren erwischt, weil wir beim Ohrringekaufen vergessen hatten, uns Geld für die Rückfahrt aufzuheben. Laura hat zudem einen ziemlich ungewöhnlichen Kleidungsstil. Ungewöhnlich im Sinne von mutig, individuell und leicht daneben. Vor Kurzem hat sie sich auf einem Mittelaltermarkt ein Kleid gekauft, das sie jetzt andauernd anzieht  – auch in die Schule. Stell es dir so vor:

Ich sage dann Dinge zu ihr wie: „Das sieht wirklich hübsch aus, aber vielleicht würde es auf einem Mittelaltermarkt besser zur Geltung kommen?“ Und sie antwortet: „Nein, überhaupt nicht, dort sehen ja alle so aus.“ Sie ist schon irgendwie cool. Die Person neben Laura bin übrigens ich. Ich sehe ganz normal aus, wie du siehst, also wenn ich nicht gerade Tinte im Gesicht habe.

Dienstag, 27. Juli

Lieber Timm,

ich habe noch nie mit einem Jungen über Jungs geredet. Aber ich gehe davon aus, dass du nichts weitererzählen wirst. Ich muss dir sagen, dass meine Unsichtbarkeit in keinem günstigen Verhältnis zu meiner Fähigkeit, mich zu verlieben, steht. Ich verliebe mich andauernd und das sehr heftig. Deshalb nennt man dieses Gefühl wohl auch verknallen. Im letzten Schuljahr war ich in mindestens vier Jungs verknallt. Ohne Happy End versteht sich. In einigen Fällen lag es sicher auch daran, dass die Jungs in meinem Alter noch total unreif sind. Man verliebt sich in sie, macht sich hübsch für sie, himmelt sie an, begegnet ihnen ständig ganz „zufällig“, aber die Idioten haben nur Fußball, ihre Playstation und die „Simpsons“ im Kopf! Nächstes Schuljahr werde ich mich nach einem Älteren umsehen. Mit einem Neuntklässler müsste man eigentlich auf der sicheren Seite sein.

Im Gegensatz zu mir ist Laura schon seit der dritten Klasse in denselben Typen verliebt. Fabian Liebig. Oder wie Laura seit Jahren seufzt: „Fabian Liebich.“ Er geht in unsere Klasse und sitzt zwei Reihen vor uns. Laura hat ihn also immer im Blick. Und das meine ich wörtlich. Fabian ist okay, aber Lauras Besessenheit kann ich nicht nachvollziehen. Sie haben sich einmal beim Flaschendrehen auf den Mund geküsst. Das war der schönste Moment in Lauras Leben, sagt sie. Die Welt stand still und so. Dabei blendet sie aus, dass er danach auch noch Celine und Pia geküsst hat. Liebe macht eben blind, das weiß ich am besten. Schau, so blind laufe ich meistens rum.

Warst du auch mal verliebt, Timm? Ich wünschte, du könntest mir verraten, wie das bei Jungs so ist. Seid ihr auch so verrückt nach Liebe und könnt an nichts anderes mehr denken als an den einen einzigartigen Menschen? Macht ihr dumme Sachen für Mädchen und malt euch stundenlang aus, wie es wäre, für immer zusammen zu sein? Eigentlich kann ich mir die Frage auch selbst beantworten, wenn ich an die Jungs in meiner Klassenstufe denke: NEIN. Wahrscheinlich warst du noch nie verliebt und wirst es nun auch niemals sein. Das ist echt traurig. Ich stelle mir lieber vor, wie du als heller Geist durch das Universum schwebst und ein süßes Mädchen kennenlernst, das auch gerade gestorben ist. Ihr verliebt euch und fliegt Hand in Hand davon! Ich sag doch, wir spinnen, wir Mädchen. Haben nur romantische Grütze im Kopf.

Donnerstag, 29. Juli

Lieber Timm,

ich habe mich gestern mit Laura zum Eisessen getroffen und ihr von meinem Tagebuch erzählt. Sie findet es total gut, dass ich dir schreibe. Natürlich wollte sie es auch gleich lesen, aber ich habe ihr erklärt, dass niemand außer dir zu meinen Lebzeiten das Buch lesen darf. Ich lese ja auch nicht ihr Tagebuch. (Außer das eine Mal, als sie nicht im Zimmer war und ich mal neugierig einen Blick reingeworfen habe. Sie hat unglaublich liebe Dinge über mich geschrieben, dass ich begabt, lustig und fantasievoll bin. Da habe ich mich gleich schlecht gefühlt, hinter ihrem Rücken rumzuschnüffeln, und das Buch schnell wieder zugeklappt.) Aber falls ich sterben sollte, darf sie das Buch als Erste lesen und es dann, nachdem sie alle peinlichen Passagen gestrichen­ hat, im Internet veröffentlichen. Vielleicht werde ich dadurch nach meinem Tod berühmt. Die Hoffnung stirbt zuletzt, wie man optimistisch sagt.

Übernächste Woche geht die Schule wieder los. Ich freue mich sogar ein bisschen darauf. Nicht auf den Unterricht, aber auf die Pausen! Aber morgen gehen wir erst mal baden, das Wetter soll die nächsten Tage richtig schön werden. Endlich kann ich meinen neuen Bikini anziehen, den ich zum Geburtstag bekommen habe. Mein erster Bikini, wenn man die Kinderbikinis von früher nicht mitzählt, die letzten zwei Jahre hatte ich immer einen Badeanzug an. Der Bikini ist dunkelblau mit hellblauen Blümchen. Total hübsch!

Freitag, 30. Juli

Lieber Timm,

ich habe mich verliebt! Ich weiß nicht, wie er heißt, aber er hat schimmerndes dunkles Haar, das ihm bis über die Ohren reicht, und eine grüne Badehose. Er macht gern Arschbomben, isst Burger mit Pommes und hört Musik, zu der er mit dem Kopf nickt. Er war mit zwei Freunden da und sie haben viel Quatsch gemacht: mit Handtuch ins Wasser schubsen, sich gegenseitig untertauchen und so.

Laura hat den ganzen Tag wie besessen ihren Fantasy-Roman gelesen, da hatte ich viel Zeit zum Beobachten. Der mit der grünen Badehose ist so süß! Wie er sich die Haare aus dem Gesicht streicht, seufz. Ich muss morgen unbedingt wieder ins Freibad! Leider geht Vanessa morgen auch mit ihren Freunden dahin, hoffentlich nervt sie mich nicht.

Samstag, 31. Juli

O mein Gott, Timm, ich habe mich megamäßig blamiert! Ich werde jetzt noch rot wie eine Tomate, wenn ich daran denke. Ich kann nie wieder ins Freibad gehen! Ich habe den ganzen letzten Sommer Köpper vom Einmeterbrett geübt und kann das jetzt wirklich gut. Der mit der grünen Badehose war mit seinen Freunden gerade bei den Sprungbrettern und da habe ich mir gedacht, ich könnte mal einen astreinen Sprung präsentieren. Das hat auch geklappt, aber als ich aufgetaucht bin, war mein Bikinioberteil nicht mehr da, wo es hingehört, sondern klebte unterm Bauch. Ich stand also kurz OBEN OHNE im Wasser!!! Das war superpeinlich! Ich kann es kaum zeichnen, aber ungefähr so muss es ausgesehen haben:

Panisch bin ich wieder untergetaucht und hab unter Wasser mit dem Oberteil gekämpft, bis es wieder an seinem Platz war. Natürlich haben es alle gesehen und gelacht. Auch ER! Und meine Schwester hat mich wirklich ganz toll getröstet: „Das ist doch nicht so schlimm, da gibt es doch sowieso noch nichts zu sehen.“ Ich hasse sie!!! Zum Glück gibt es Laura, sie hat mich beruhigt und mir versichert, dass es erstens nur fünf Prozent der Leute im Schwimmbad mitgekriegt haben und zweitens die Sonne so geblendet hat, dass man nicht viel erkennen konnte. Wir sind danach gleich nach Hause gefahren. Später beim Abendbrot hat Vanessa die ganze Zeit blöd gegrinst und den Eltern erzählt, wie lustig es heute im Schwimmbad gewesen ist. Ich habe nichts dazu gesagt.

O Mann, ich kann mich doch nie wieder dort sehen lassen! Dabei will ich ihn doch so gern wiedersehen. Mist!

Sonntag, 1. August

Lieber Timm,

das Wetter ist bombig und ich bin in meinem Zimmer und gucke fern. Ich wünschte, es würde aus Eimern schütten! Dann wäre er ganz sicher heute nicht im Schwimmbad und ich würde nicht verpassen, wie sein nasses Haar auf seine Schultern tropft. Warum musste mir das passieren?!

Ich weiß, dir ist etwas viel Schlimmeres passiert. Es tut mir leid, dass ich dich mit meinen banalen Problemen zutexte. Wenn ich dich dadurch zurückholen könnte, würde ich nackt ins Schwimmbad gehen. ­Ehrlich! Aber das geht nicht. Ich hoffe, du bist nicht böse auf mich.

Montag, 2. August

Lieber Timm, today no comment:

Dienstag, 3. August

Lieber Timm,

Laura hat mich heute Morgen überzeugt, dass genug Gras über die Sache gewachsen ist und wir wieder baden gehen können. Ich habe mir vorsichtshalber ein Basecap und eine Sonnenbrille aufgesetzt und meinen alten Badeanzug angezogen. Erst ist auch alles in Ordnung gewesen, ich lag unauffällig auf unserer Decke und keiner hat mich beachtet. Also alles wie immer. Laura fand allerdings, dass ich übertreibe, als ich mit Mütze und Sonnenbrille ins Wasser gegangen bin.

Danach ist das Unfassbare passiert. Wir sind gerade aus dem Wasser raus, da kommt ER uns entgegen. Ich war total aufgeregt und konnte ihn unter meiner dunklen Sonnenbrille unbemerkt anglotzen – ich dachte ja, er würde sowieso nur vorbeilaufen. Doch als er an uns vorbeiging, grinste er plötzlich und sagte: „Na, heute nicht im Bikini?“ Ich wusste erst gar nicht, ob ich vor Scham heulen sollte oder mich freuen, weil er sich an mich erinnerte. Aber wahrscheinlich hat er mich nur an Laura und ihrem knallgelben Rüschen-Bikini erkannt, sie hatte nämlich wieder dasselbe an wie am Samstag. Dumm gelaufen! Wir haben noch eine halbe Stunde auf unserer Decke gehockt, damit es nicht so nach Flucht aussieht. Dann haben wir uns aus dem Staub gemacht.

Jetzt kann ich wirklich nicht mehr ins Freibad gehen und ich will auch gar nicht mehr. Hoffentlich begegne ich ihm nie wieder!

Freitag, 6. August

Lieber Timm,

ich habe den Bikini-Schock inzwischen überwunden und das mit dem Baden hat sich wettertechnisch sowieso erledigt. Und wenn es doch noch mal schön wird, frage ich einfach meine Eltern, ob wir raus an einen See fahren können.

Nächste Woche fängt die Schule wieder an, mal sehen, was über dich erzählt wird. Mir wird ganz mulmig, wenn ich mir den leeren Stuhl in deiner Klasse vorstelle … Ich muss jetzt erst mal meine Hefter sortieren und meine Schultasche ausmisten. Ich bin schon gespannt, was wir für neue Lehrer kriegen und ob der Stundenplan zumutbar ist. Hoffentlich habe ich einen Tag ohne Mathe! Das wird dann automatisch mein Lieblingstag. Ich finde Mathe echt furchtbar, in der Nacht vor einer Mathearbeit kann ich manchmal gar nicht schlafen. Aber das Schlimmste ist, wenn ich an die Tafel muss. Schon beim Gang nach vorn setzt mein Gehirn aus und mir wird kotzübel. Ich fühle mich wie auf dem Weg zur Hinrichtung. Selbst wenn ich die Aufgaben eigentlich kann, funktioniert unter Beobachtung gar nichts mehr. Rechnen in der Öffentlichkeit sollte verboten werden!

Montag, 9. August

Lieber Timm,

du glaubst es nicht, rate mal, wer neu an der Schule ist?! Mein Freibad-Schwarm!!! Ich dachte, ich spinne, als ich ihn im Gang gesehen habe. Zum Glück hat er mich nicht erkannt   er kennt mich ja nur halb nackt ... Aber ist das nicht echt krass, so ein Zufall! Jetzt kann ich ihn jeden Tag sehen. In mir keimt die Hoffnung, dass das neue Schuljahr richtig genial wird. Als Nächstes muss ich rausbekommen, wie er heißt und in welche Klasse er geht. Hoffentlich nicht in die zehnte, dann wäre er in Vanessas Klassenstufe  oder noch schlimmer: in ihrer Klasse.

Jetzt habe ich wieder nur von mir geredet, dabei habe ich auch Neuigkeiten für dich. Unser Klassenlehrer Herr Fuchs hat uns über deinen tragischen Unfall informiert, aber es wussten eh schon fast alle. Die meisten haben sich gefragt, wie das passieren konnte, sie haben über Details spekuliert und teilweise rumgesponnen. Du weißt ja, bei schlimmen Nachrichten gibt es immer Gerüchte und ab und zu mal einen dummen Spruch. Auch in unserer Schule sind die Gehirnzellen nicht gleichmäßig auf alle Schüler verteilt. Morgen kurz vor zwölf gibt es jedenfalls eine Schweigeminute für dich und ich glaube, in dieser Minute werden viele mitfühlende Gedanken bei dir ankommen. Also setz dich kurz vor zwölf auf eine Wolke und halte dich fest, damit du von dem Gedankensturm nicht weggeweht wirst. Ich werde auch ganz doll an dich denken! So stelle ich es mir vor:

Mein Stundenplan ist übrigens ganz okay. Abgesehen von der Doppelstunde Mathe am Mittwoch. Würg. Dafür kann ich mich dann am Donnerstag mathefrei entspannen. „Mathefrei“ – was für ein schönes Wort. Sogar noch schöner als „Kunstdoppelstunde“ oder „Mittagspause“.

Dienstag, 10. August

Lieber Timm,

kurz vor zwölf hat Herr Fuchs uns gebeten, alles aus der Hand zu legen. Er hat gesagt, dass wir jetzt alle gemeinsam schweigen und an dich denken werden. Es wurde wirklich ganz, ganz still im Zimmer, alle haben runtergeguckt – und die Minute kam mir sehr lang vor. Ich konnte mich ehrlich gesagt gar nicht richtig konzentrieren, weil die Luft von der Stille so dick war, dass ich richtig Druck auf der Brust hatte. Nach der Minute ist es nur langsam wieder lauter geworden und jeder hat sich irgendwie vorsichtig bewegt, als ob wir deinen Geist sonst erschrecken könnten. Sogar die Pausenklingel wurde abgeschaltet. Sind unsere Gedanken denn bei dir angekommen? Falls meine nicht dabei oder total wirr waren, entschuldige ich mich. Dafür denke ich sonst ganz viel an dich, das weißt du ja.

In der Mittagspause hat leider irgendein Spinner rumerzählt, dass du dich mit Absicht vor die Straßenbahn geworfen hast. Aber das habe ich keine Sekunde lang geglaubt, da wollte sich nur jemand mit blöden Gerüchten wichtig machen. Es war doch ein Unfall, stimmt’s? Ich möchte übrigens gern mal sehen, wo du gewohnt hast. Ich frage morgen Josephine aus deiner Klasse nach deiner Adresse.

Mittwoch, 11. August

Lieber Timm,

ich habe jetzt deine Adresse. Ich musste mich ganz schön durchfragen, weil Josi und die meisten aus deiner Klasse gar nicht wussten, wo du gewohnt hast. Natürlich wollten sie alle wissen, wozu ich deine Adresse brauche. Ich hab gesagt, dass ich noch ein Buch von dir habe und es abgeben möchte. Ich konnte ja nicht sagen, dass ich mir mal dein Haus anschauen will wie so ein Katastrophentourist. Da meinten auf einmal drei Leute, dass sie auch noch etwas von dir zu Hause haben, das ich gleich mit abgeben soll, wenn ich zu deiner Familie gehe. O Timm, was hab ich mir nur eingebrockt. Ich kann doch nicht einfach bei deiner Familie klingeln. Was mach ich denn jetzt? Ich wollte doch nur wissen, wo du gewohnt hast. So ein Mist!

Wie mein Freibad-Schwarm heißt, habe ich übrigens noch nicht rausgefunden. Ich habe jetzt andere Probleme. Und die erste Mathe-Doppelstunde des Schuljahres war auch nicht gerade aufmunternd. Ich sag nur Terme, Gleichungen und rationale Zahlen ... wenn Zahlen emotional wären, könnte ich sie bestimmt besser verstehen. Als Hefterfarbe für Mathe habe ich Schwarz gewählt, von einer fröhlicheren Farbe würde ich mich verarscht fühlen.

Donnerstag, 12. August

LUKAS. Lieber Timm, er heißt Lukas und geht in die 9b. Ich bin sehr erleichtert, dass er nicht in die Zehnte geht. Dann wäre er ein bisschen zu alt und würde eventuell etwas mit meiner Schwester zu tun haben. Aber ein Neuntklässler ist genau richtig: geistig gereift, aber nicht zu erfahren.

Freitag, 13. August

Lieber Timm,

folgende vier Dinge von dir habe ich von deinen Mitschülern bekommen:

1.Ein „Die Sims 2“-Computerspiel

2.Ein Buch namens „Mein Aquarium“

3.Dein altes Poesiealbum (das hatte dir Sebastian seit der 5. Klasse nicht zurückgegeben, es war ihm sichtlich unangenehm)

4.Eine Biologie-Klassenarbeit über wechselwarme Wirbeltiere, auf die du eine 1 bekommen hast