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Die Freude am Für-sich-Sein entdecken
Alleinsein kann eine echte Kraftquelle sein ─ der Anstoß, sich selbst intensiv zu begegnen und das Leben auf eine ganz neue, freiere Art zu betrachten. Wer einmal gelernt hat, gut mit sich allein zu sein, der wird sich nicht mehr einsam fühlen. Er wird zu tieferen Formen der Verbundenheit finden: mit sich, mit anderen Menschen, mit der Natur, mit dem Spirituellen.
Dieses Buch ist eine Liebeserklärung an das Alleinsein. Mit vielen praktischen Anregungen und wertvollen Impulsen teilt Franziska Muri 21 verborgene Schätze des Für-sich-Seins, um das Leben ganz neu zu entdecken und zu genießen.
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Seitenzahl: 354
Das Buch
Es ist ein leiser Trend in einer lauten Welt: Immer mehr Menschen entdecken, dass sie gern allein sind und es genießen, ganz für sich zu sein. Dennoch: Der Ruf des Alleinseins ist nicht der beste. Viele vermeiden es nach Kräften oder leiden darunter, wenn es ihnen geschieht. Höchste Zeit also, diesem ganz natürlichen Zustand ein Image-Upgrade zu bescheren.
In einer Phase, in der Beziehungen von immer kürzerer Dauer sind und jeder Fünfte allein lebt, betont dieses Buch die Chancen, die im Für-sich-Sein liegen. Es spart die problematischen Seiten nicht aus und wird niemals polemisch gegen Zweierbeziehungen. Doch es führt zu einem neuen, einem positiven Blick auf das Alleinsein: zu 21 Gründen, sich ihm anzuvertrauen, daran zu wachsen und in ihm zu einer tiefen Lebensliebe zu finden.
Franziska Muri hat den Mut, Denkgewohnheiten und gern zitierte Statistiken zu hinterfragen. Tiefgründig und dabei unterhaltsam gibt ihr Buch wertvolle Impulse und praktische Anregungen. Es zeigt, dass die Fähigkeit, genussvoll allein zu sein, eine Voraussetzung für wirkliche Reife ist.
Die Autorin
Sie lebt allein, sie arbeitet allein – und sie liebt es. Meistens. Mit diesem Buch kommt sie ihrem Herzensanliegen nach: den Ruf des Alleinseins zu verbessern und es »SolistInnen« leichter zu machen. Franziska Muri ist Kulturwissenschaftlerin und seit vielen Jahren als Lektorin in der Buchbranche tätig. Beruflich wie privat sind ihre Themen ganzheitliche Heilung und Spiritualität. Als Autorin verfasste sie unter anderem den Bestseller »Vom Zauber der Rauhnächte« (gemeinsam mit Vera Griebert-Schröder) und »Alles, was mich glücklich macht«.
Franziska Muri
21 Gründe, das
Alleinsein
zu
lieben
Die in diesem Buch vorgestellten Informationen und Empfehlungen sind nach bestem Wissen und Gewissen geprüft. Dennoch übernehmen die Autorin und der Verlag keinerlei Haftung für Schäden irgendwelcher Art, die sich direkt oder indirekt aus dem Gebrauch der hier beschriebenen Anwendungen ergeben. Bitte nehmen Sie im Zweifelsfall bzw. bei ernsthaften Beschwerden immer professionelle Diagnose und Therapie durch ärztliche oder naturheilkundliche Hilfe in Anspruch.
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Copyright © 2017 by Integral Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle Rechte sind vorbehalten.
Redaktion: Daniela Weise
Umschlaggestaltung: Guter Punkt GmbH und Co. KG
unter Verwendung eines Motivs von © loliputa / thinkstock
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-641-19971-5V002
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Alleinsein hat einen schlechten Ruf. Das finde ich so ungerecht, dass ich begann, dieses Buch zu schreiben. Denn ich bin viel allein – und ich liebe es. Meistens. Die darin verborgenen Schätze zu kennen und weiter zu erforschen, hilft mir in den Momenten, in denen auch ich am Alleinsein leide, mich einsam oder »falsch« fühle. Und ich denke, das wird vielen anderen Menschen ebenso gehen. Für sie ist dieses Buch.
Inhalt
Eine Reise auf die Sonnenseite des Alleinseins
1. Ergreif die Chance!
Das Leben traut Alleinigen etwas zu
2. Eine Solistin unter tausenden
Wer allein ist, ist in guter Gesellschaft
3. Schluss mit Einreden!
Im Alleinsein bist du frei von …
4. Schluss mit Ausreden!
Im Alleinsein bist du frei für …
5. Deine Zeit, dein Rhythmus
Allein ist alle Zeit dein
6. Dein Anker in der Reizflut
Allein kannst du die heutigen Informationsunmengen leichter verarbeiten
7. Musen küssen keine Massen
Alleinsein beflügelt die Kreativität
8. Einer geht immer
Allein bist du flexibler, dein Leben fährt sich weniger leicht fest
Special: Allein reisen, allein ins Restaurant
9. Leben heißt Lernen
Alleinsein fördert Eigenständigkeit und persönliche Weiterentwicklung
10. Beim nächsten Mal kann’s wirklich besser werden
Gut genutzt ist das Alleinsein eine Lernphase für neue Beziehungen
11. Wer bist du noch – außer (mögliche) Partnerin?
Allein findest du am besten zu dir selbst
12. Täglich hundert winzig kleine Küsse
Die Wertschätzung für alle, auch kleine Begegnungen wächst
13. Nie mehr irgendein Erstbester
Kannst du gut allein sein, hast du bei neuen Beziehungsangeboten die Wahl
14. Gebend, nehmend, bei sich
Kannst du gut allein sein, bist du bereichernd für andere
15. Ade, was beengt
Lebst du (zeitweise) das Alleinsein, wirst du Mitgestalterin von neuen Zusammenlebensformen
16. Du bist die Frau deines Lebens
Bist du viel allein, wirst du zur Selbstliebe geradezu gezwungen
17. Niemand ist je wirklich allein
Allein bist du näher an der Natur, näher an der geistigen Welt und erfährst dort ein heilsames großes Du
18. Sich auf das eigene Selbst verlassen
Hast du das Alleinsein gelernt, hast du es an den großen Kreuzwegen des Lebens leichter damit
19. Die Energie aus dem Zentrum
Hast du das Alleinsein zum Freund, ist es dir eine immer verfügbare Kraftquelle
20. Wie es Liebe wird
Kenner des Alleinseins sind Pioniere einer neuen Stufe der Verbundenheit mit dem Leben selbst. Genau das, was wir heute brauchen.
21. Mystiker 5.0
Allein bist du näher am reinen Sein, am All-Eins- Sein, der übergroßen Erfülltheit
Zum Abschluss
Danksagung
Literaturauswahl
Anmerkungen
Eine Reise auf die Sonnenseite des Alleinseins
Dieses Buch habe ich für mich selbst zu schreiben begonnen. Es sollte das Buch werden, das ich mir immer gewünscht hatte, wenn ich mich einsam und verlassen fühlte, wenn ich das Gefühl hatte, alles falsch gemacht, »falsch gelebt« zu haben, kurz: wenn mein eigentlich sehr gemochtes Alleinsein zu quälender Einsamkeit geworden war. Ich machte mein ungewöhnlich häufiges und intensives, meist freiwilliges, aber zeitweise auch auferzwungenes Alleinsein zum Forschungsgegenstand.
Als diese Idee geboren war, fühlte ich mich um Tonnen erleichtert. Jetzt wollte ich es wissen! Schluss damit, mich von Bekannten oder Nachbarn bemitleiden zu lassen, nicht selten von solchen, die gern jammerten, mich aber niemals jammern hörten. Schluss damit, mich von Therapeuten und Hobbypsychologen pathologisieren zu lassen, weil ich nicht fähig sei (»nicht willens« zählte nicht, das wurde als noch schlimmere, unbewusste Unfähigkeit interpretiert), mich in die »gesunde Norm der Gesellschaft« einzureihen. Schluss vor allem aber damit, mich selbst als Problem anzusehen. Denn was ich seit einigen Jahren, in denen ich überwiegend Single war, erlebte, war doch Entwicklung, war Wachstum im ganzheitlichen Sinne, war vor allem zunehmende Lebenszufriedenheit. Es ging nur eben nicht in die Richtung, die ich (und andere) glaubte einschlagen zu müssen. Was also war los mit mir und der Welt?
Alle mir zugänglichen Kanäle wollte ich befragen – und blicke heute zurück auf eine intensive Forschung: Ich beschäftigte mich vermehrt mit Büchern, Fachzeitschriften und Vorträgen, in denen Soziologen, Historiker, Psychologen, Hirnforscher, Paar- und Familientherapeuten, Philosophen und spirituelle Lehrer zu Wort kamen. Ich schaute mir zu meinem Thema allgemein die Medien an und lauschte den Äußerungen der Menschen um mich herum mit größerer Aufmerksamkeit. Ich befragte Leute. Zugleich – und stets in Bezug zum Gelesenen und Gehörten – untersuchte ich die vielfältigen Regungen in mir immer genauer, meditierte, lauschte der Intuition.
Auf diesem Weg erlebte ich kostbare Momente des Erkennens. Ebenso erstaunt wie dankbar begann ich zu begreifen, dass ich in meinem Alleinsein nicht allein war. Ich war sogar Teil eines kollektiven Prozesses, der jetzt offenbar wichtig und notwendig ist. Wir Heutigen leben eine schon vor Jahrhunderten begonnene zunehmende Individuation. Dabei verabschieden wir uns auch von Beziehungsmustern, die sich überlebt haben. Frauen sind selbstbewusster und selbstständiger geworden und suchen heute auch in Liebes- und Lebensbeziehungen völlig neue Wege. Und immer mehr von ihnen nehmen nicht mal ungern in Kauf, dass sie dies zunächst in eine Phase des Alleinlebens führen kann. Zugleich nimmt das Spirituelle heute fernab der etablierten Religionen eine sinnstiftende Rolle im Leben von immer mehr Menschen ein – und das braucht Raum für Stille, den Rückzug nach innen, das Für-sich-Sein. All das markiert einen Aufbruch zu etwas Neuem, noch Ungewissem, in dem das Alleinsein eine wertvolle und stützende Rolle spielt.
Wie herrlich war es, dies alles zu erkennen! Die quälenden Essen an Katzentischen von Restaurants, die Tränen an manch einsamen Abenden, das beißende Gefühl des Andersseins an Sonntagen zwischen spazierenden Paaren und Familien, die Ängste, das Leben nicht hinzubekommen, all das bekam plötzlich Sinn, und was darunter lag, war folgerichtig und gesund. Es war ein Weg zu etwas noch nicht Erkennbarem, aber irgendwie doch Lockendem. Genau so, seltsam und doch irgendwie stimmig, hatte es sich als grobe Linie in meinem Leben auch angefühlt. Etwas in mir wollte diesen kaum beleuchteten Weg gehen, scheinbar wider alle Vernunft.
Wenn ich dieser inneren Kraft vertraute, war alles leicht und gut. Ich fühlte mich verbunden – mit dem Leben selbst. Eine unbeschreiblich schöne Erfahrung, die ich niemals so tief hätte machen können, wenn ich dem angstvollen Sehnen nach »normalem« Eingebundensein in eine Partnerschaft oder in einen unternehmungslustigen Freundeskreis nachgegeben hätte. Die nährende Süße des Für-mich-Seins erfüllte mich ganz und gar … bis wieder einmal die Zeit von Angst und Zweifel kam. Heulende, zitternde, schwach machende Einsamkeit. Aber letztlich hat genau sie mich immer wieder zum Weitersuchen gebracht, zum noch tieferen Eindringen in die geheimen Kräfte des Alleinseins, das mein überwiegender Alltag war. Irgendwann konnte mich vieles, was mich wenige Jahre zuvor noch fertigmachte, nicht mehr greifen. Stattdessen entdeckte ich ein paar glitzernde Juwelen in genau dem, was mir zeitweise so problematisch erschienen war. Sie sind der Kern dieses Buches: 21 Gründe, das Alleinsein zu lieben.
Nutze es für dich
Ob du Single bist, geschieden, verwitwet, ob du langjährig allein lebst oder erst seit Kurzem, ob du in Beziehung oder Familie eingebettet bist und dich dennoch ab und an allein fühlst, ob du es liebst oder fürchtest – wenn dich das Alleinsein so sehr bewegt, dass du zu diesem Buch gegriffen hast, wirst du hier viele Anregungen finden, es neu zu betrachten und als etwas Schönes und Kostbares zu empfinden. Als eine Kraftquelle, die dir immer zur Verfügung steht. Als eine – nicht immer süße – Medizin, die das Leben dir schenkt, um dich zu heilen.
»Jeder Mensch ist eine kleine Gesellschaft«, sagt Novalis und meint das sicherlich nicht als Trost bei akuter Einsamkeit. Aber er spricht an, dass wir in uns selbst Widersprüche und Launen haben, die daher kommen, dass unterschiedliche Persönlichkeitsanteile in uns wirken. Deswegen kann es auch mal die eine und dann wieder eine ganz andere Facette des Alleinseins sein, die dir Freude macht, dir Sinnhaftigkeit schenkt oder Trost. An manchen Tagen ist es vielleicht die Nummer drei der hier beschriebenen Gründe, die perfekt passt und jubelnd zelebriert wird, an anderen ist es die fünfzehn, die neun oder – still und kraftvoll – die einundzwanzig. Manchmal braucht man Gründe für den Verstand, dann ist es auch gut, sich von der Wissenschaft unterstützen zu lassen, die dem Alleinsein in einigen Untersuchungen ansehnliche Gütesiegel gab. An anderen Tagen braucht man etwas für die Gefühle, dann wieder ist man offen für das Spirituelle. Pick dir einzelne Punkte heraus oder nutze sie nacheinander wie einen Weg. Die 21 Gründe wollen angenommen, erlebt, teilweise auch errungen werden. Bei vielen könnte man sagen: Das Alleinsein öffnet eine Tür, durchgehen aber musst du selbst.
Natürlich kann man problemlos auch 21 und mehr Gründe finden, Partnerschaft oder Gemeinschaft zu lieben. Aber die schwirren ohnehin durch unsere Köpfe und alle möglichen Zeitschriften und Ratgeber. Genau sie machen viele von denen, die gerade allein sind, ja so unzufrieden.
Wichtig ist mir: Es geht nicht um Besser oder Schlechter. Allein sein oder mit anderen zusammen? Beides gehört zum Leben und beides hat Vor- und Nachteile. Je nach Lebensphase und Wesen eines Menschen. Besser oder schlechter ist gar keine Frage. Entweder man ist allein oder man ist es nicht. Niemand verlässt eine erfüllte Partnerschaft, weil er allein leben will. Und genauso wissen Singles, dass man sich nicht einfach für eine neue Beziehung entscheiden kann, nur weil man eine möchte. Wenn man niemanden kennt oder findet, mit dem es passt, ist man eben allein. Wichtig ist, mit dem umgehen zu lernen, was gerade da ist. Das ist beim Alleinsein nicht unbedingt einfach, aber sehr lohnend. Zum einen, weil kein Leben ohne auskommt. Zum anderen, weil die darin verborgenen Geschenke zu einer tiefen Lebensliebe führen können. Und was könnte schöner sein, als die zu entdecken?
Vielleicht aber willst du dich gar nicht mit dem Alleinsein anfreunden, sondern einfach nur das Eine: den richtigen Partner für eine glückliche, erfüllte Beziehung finden. Traurig oder frustriert warten oder krampfhaft suchen allerdings wäre ziemlich kontraproduktiv. Oder wie attraktiv und beziehungstauglich findest du Männer, die genau dies in der Hoffnung auf eine Frau tun? Die Chancen steigen, wenn du gut mit dir allein sein kannst. Vielleicht gibst du dir die Chance, dich an das heranzulieben, was jetzt gerade da ist: Du bist allein. Das mag dir wehtun, zumindest zeitweise. Aber es hat auch schöne Seiten und Vorzüge, die du bestimmt noch nicht alle ausgekostet hast.
Es gibt eine Linie, oberhalb derer das Alleinsein Freude macht und fruchtbar ist. Für viele ist es dort sogar eine gleichberechtigte Lebensform, die sie in vollen Zügen genießen. Die meisten Menschen siedeln das Alleinsein aber weit unterhalb dieser gedachten Linie an. Sie finden es schwer, leiden daran, sind einsam oder langweilen sich, wenn sie niemanden um sich haben. Weil das so ist, wird es in diesem Buch häufig auch um die Schattenseiten des Alleinseins gehen, um die Ursachen dafür, dass wir es so dunkel sehen, und dann vor allem um die Wege, Sprünge oder Kletterpartien nach oben über diese Linie. Ich hoffe sehr, dass es mir auf diese Weise gelingt, die hellen, schönen Facetten oberhalb der Linie auch denen nahezubringen, die momentan unterhalb davon unterwegs sind.
Für mich war es gar kein so langer Weg, das Alleinsein lieben zu lernen. Aber es war ein langer Weg, zu dieser Liebe zu stehen und mich darin okay zu finden. Ich hoffe mit diesem Buch auch sehr, dass sich alle verwandten Seelen fortan leichter die Erlaubnis geben, gern allein zu sein, in ihrem Maß, auf ihre Weise.
Ich erinnere mich dabei an einen persönlichen Schlüsselmoment: Es war eine warme, ruhige Sommernacht. Ich stand am Fenster und schaute auf Tausende von Sternen, die sich überwältigend klar am Himmel zeigten. Ich wusste: Sie alle haben den gleichen Ursprung, sie alle kommen wie die Erde von diesem einen zentralen Fleckchen (so stelle ich mir das Unvorstellbare vor), diesem unfassbaren Urknall, mit dem alles begann. Sternenpartikelchen formten sich über Jahrmilliarden zu unzählbaren, unendlich vielgestaltigen Lebensarten und Lebensweisen, von denen wir bis heute nur einen Bruchteil kennen. Eine solche Vielfalt! Eine solche Weite und Fülle und atemberaubende Faszination! Und ich, dieses winzige Wesen aus Sternenstaub auf diesem kleinen blauen Planeten, ringe jahrelang mit der Frage, ob es okay ist, so viel von meiner Lebenszeit allein zu verbringen? Dabei bin ich doch untrennbar verbunden, mit all diesem Wunderbaren um mich her!
Hinein in neue, tiefere Verbundenheit
Die kreativsten Köpfe und liebevollsten Herzen gehen heute allerorten davon aus, dass wir uns zusammenschließen müssen, um die anstehenden Herausforderungen zu lösen und das Ruder für die Zukunft der Menschheit noch herumzureißen. Es braucht ein ganz neues Wir-Gefühl. Und in genau dieser Zeit schreibe ich über die guten Seiten des Alleinseins? Ja. Denn es passiert. Dass Millionen allein leben und sich noch viel mehr Menschen zeitweise einsam fühlen, ist Teil der Realität, Teil des Ganzen. Und wie alles andere birgt es auch Chancen. Nur sollten wir aktiv einen gesunden Umgang mit diesem Phänomen finden. Was ich hier schreibe, ist daher keine Verherrlichung der Vereinzelung. Kein Hoch auf den Individualismus oder gar Narzissmus. Stattdessen sehe ich das Alleinsein als einen Weg zu einem neuen, tieferen Eingebundensein. Die Erfahrungen und Gedanken, die sich hier finden, haben letztlich einen Tenor: Raus aus der Einsamkeit, hinein in eine neue Art von Verbundenheit – mit sich selbst, mit der Natur, mit anderen Menschen, mit der Welt, mit dem Geistigen, mit dem Leben an sich. Das bringt nicht zuletzt auch der Gesellschaft etwas. Es kommen Facetten stärker zum Leben, die sonst im Ganzen fehlen würden. Eine neue Balance.
Noch ein Hinweis
Ich habe, anders als üblich, an vielen Stellen im Text die weibliche Form der Worte genutzt, da sich dieses Buch überwiegend an Frauen richtet. Alleinsein stellt sich für Frauen und Männer aus biologischen und vor allem aus soziologischen Gründen jeweils anders dar. Und naturgemäß kann ich nicht so tief erfassen, was es für Männer bedeutet, wie ich das für Frauen kann. Zugleich freue ich mich, wenn auch Männer in diesem Buch lesen. Ein Großteil der Gründe, das Alleinsein zu lieben, trifft für sie genauso zu. Und über die anderen könnten Frauen und Männer künftig bestenfalls in einen aufrichtigen Austausch kommen.
Von Herzen alles Liebe auf deinem Weg des verbundenen Für-dich-Seins
Franziska Muri
1. Ergreif die Chance!
Das Leben traut Alleinigen etwas zu
Alleinsein ist nicht einfach. Keine Frage. Wir sind es immer weniger gewohnt und unsere Gesellschaft gibt uns kaum positive Vorbilder dafür. Wenn es dir so intensiv geschieht, dass es ein Thema für dich wird, kannst du davon ausgehen: Das Leben will etwas von dir. Hier wartet eine Aufgabe, an der du wachsen kannst. Wer es so sieht, macht es sich schon mal leichter. Er sagt Ja dazu, sich vom Leben ergreifen und auf eine neue Stufe heben zu lassen.
Ein Grund, das Alleinsein zu lieben
An meinen eigenen Umgang mit einem schon recht extremen, nicht wirklich freiwilligen Alleinsein vor einigen Jahren erinnere ich mich manchmal, wenn ich Marienkäfern oder anderen Insekten aus der Wohnung heraushelfe. Sie flattern oder krabbeln an der Fensterscheibe herum und weigern sich hartnäckig, einmal kurz über den Holzrahmen zu gehen, obwohl dort der zweite Fensterflügel geöffnet ist. Auf der anderen Seite des Holzes wartet die Freiheit – doch der Rahmen scheint ihnen der falsche Weg zu sein, immer dort kehren sie um. Verständlich, denn er versperrt ihnen die Sicht nach draußen. Das, wohin sie wollen, wirkt von dort aus noch ferner. Wie nicht mehr existent. Und so vollführen sie, manchmal über Stunden, einen kräftezehrenden Kampf des immer gleichen Versuchens und Scheiterns. Die Scheibe gibt sie nicht frei – während das Fenster daneben weit offen steht. Doch das wissen sie nicht und in ihrem blinden Kampf können sie es auch nicht erfahren.
Wenn ich dann zu helfen versuche, wird es nicht gleich besser. Panik kommt hinzu. Etwas übermächtig Großes drängt das kleine Tierchen in Richtung Dunkel und so kämpft es sich mit aller Kraft immer neu zurück ins Licht. Leider nur bleibt es dort weiterhin an der Scheibe hängen, an diesem unverständlich unsichtbaren und doch schmerzhaft existenten Ding. Heftige Aufregung, Verzweiflung … Ich habe mittlerweile Übung und meist gelingt es mir schnell, fliegende Insekten mithilfe eines Blattes Papier vorsichtig über den Rahmen zu nötigen. Oder ich stülpe ein Glas über sie und schiebe eine Postkarte darunter. Wenn ich dieses kleine Kurzzeitgefängnis, in dem sich das Biestchen wiederum panisch oder bereits resigniert benimmt, in der Weite des offenen Fensters öffne, fliegt es nach kurzem Zögern davon. Ich selbst spüre die große Erleichterung: Es war schlimm, es war zum Verzweifeln, Ratlosigkeit und Angst waren die herrschenden Kräfte vor allem in den letzten Sekunden – doch nun ist gerade durch das Geschehen in diesen letzten Sekunden die Freiheit da. Das Leben, das in einer Sackgasse zu enden schien, geht weiter. Frei und weit, mit all dem unermesslichen Potenzial, das es auszumachen pflegt.
Wie wäre es, denke ich manchmal in diesen Momenten, in denen so ein Käfer, so eine Fliege, so eine Wespe wieder in die Unendlichkeit eintaucht, wie wäre es, wenn das Leben es mit uns ähnlich macht wie ich mit diesen Insekten? Wenn es uns liebevoll wissend dorthin drängt, wo wir einen Ausweg finden, auch wenn er in genau der Richtung liegt, in die wir niemals freiwillig gehen würden: noch tiefer hinein in Angst und Dunkel und genau dadurch ins Licht? Es weiß um die höheren Gesetze, die wir nicht überschauen, ebenso wie ich um die Erfindung der Fensterscheibe weiß, die dem Insekt ein unangenehmes Rätsel bleibt. Wie also wäre es, wenn uns das Leben auf die jeweils nächste Stufe unserer Entwicklung zu heben versucht, indem es uns Wege zeigt, die wir niemals zu beschreiten gewagt hätten, die aber genau dorthin führen, wohin wir uns sehnen?
Wir alle kennen das bereits von unserem allerersten Weg: dem durch den Geburtskanal. Während wir uns da, am Anfang unseres Lebens, noch vertrauensvoll auf die größeren Kräfte einließen, können uns spätere Krisenerfahrungen in einen destruktiven Kampf bringen. Wie ich bei den Insekten muss uns dann auch das Leben manchmal uns selbst überlassen und warten, bis unsere Kräfte schwinden, bis wir das Toben und Wüten lassen, währenddessen es keine Rettung gibt. Oft können uns erst in einer gewissen Erschöpfung die wohlmeinenden Hinweise erreichen, die uns dorthin führen, wohin wir gehören: in die Weite zwischen Himmel und Erde, wo wir genährt sind und wachsen können.
Durchtauchen statt Weglaufen
Alleinsein kann eine wundervolle Erfahrung sein. Für die meisten von uns ist es das aber nicht von Anfang an. Wir können sehr daran leiden. Und doch werden wir alle immer wieder Phasen des Alleinseins haben. Zu positiven, wertvollen Erfahrungen werden sie erst, wenn wir sie annehmen. Wenn wir nicht mehr vorm Alleinsein weglaufen, sondern unseren Mut zusammennehmen, uns umdrehen und ihm ins Gesicht schauen. Vielleicht merken wir dann, dass es uns freundlich zunickt. Dass es uns anlächelt und uns einlädt, sich ihm anzuvertrauen und dabei über uns hinauszuwachsen. Hinein in unsere wahre Stärke.
Das Alleinsein kann zu einem Freund werden, der uns immer begleitet, der uns mal näher ist und mal beinahe vergessen. Wenn er kommt, dann nie mit leeren Händen, nie ohne Geschenke. Das Durchtauchen führt aus meiner Erfahrung dazu, dass man es lieben lernt und selbst Momente der Einsamkeit gut durchleben kann. Zugleich aber führt es auch in eine neue und intensivere Verbundenheit mit anderen.
Wie Patricia Tudor-Sandahl schreibt: »Der Mensch ist ein soziales und zugleich einsames Wesen, mit dem Bedürfnis ausgestattet, sowohl für sich zu sein als auch in enger Beziehung zu anderen zu stehen. Sich zwischen diesen Zuständen frei hin und her bewegen zu können – darin liegt der Schlüssel zum ganzen und reifen Menschen.«1 In genau dieser Aufgabe liegt die große Chance des Alleinseins. Denn meist ist es diese Seite der Medaille, die wir (noch) nicht ertragen. Sich ihr zu stellen, führt uns dazu, ganz zu werden, ein vollständiger Mensch. So drückt es auch Anselm Grün aus: »Doch um die einmalige Person zu werden, die ich bin, ist es notwendig, die eigene Einsamkeit anzunehmen. Sie gehört zu mir. Und nur, wenn ich mich damit aussöhne, werde ich wirklich erwachsen, werde ich wirklich eine Person, die in Beziehung ist zu sich selbst und zugleich offen für andere Personen.«2
Zunächst kann das Alleinsein eine heftige Krise auslösen. Die Trennung vom Partner, die Leere nach dem Auszug der Kinder, die Isoliertheit nach dem Umzug in eine andere Stadt, die Resignation nach vielen erfolglosen Dates oder das Realisieren, dass wir uns in der Beziehung einsam fühlen – wir merken, dass die Dinge nicht so laufen, wie wir es uns vorgestellt, wie wir Sie erträumt hatten. Fest scheinende Muster, in denen wir unser Denken und Empfinden eingerichtet hatten, sind aufgebrochen. Nichts stimmt mehr – und das Schlimmste ist: Es gibt keinen engen Vertrauten, mit dem gemeinsam wir es tragen könnten. Wir sind auf uns selbst zurückgeworfen. Und je nachdem, wie abhängig wir von bisherigen Bezugspersonen waren oder allgemein davon, »dass da jemand ist«, kann das sehr schmerzhaft sein. Denn das Selbst, auf das wir zurückgeworfen wurden, scheint uns klein und bedürftig.
Doch woran wachsen wir? Sicher weniger an den rosigen Momenten, in denen alles so läuft, wie wir es uns ausgemalt hatten. Sondern genau dann, wenn es »schiefgeht«. Leiden entsteht, wenn das Leben nicht so mitspielt, wie wir es wollen. Richtiger formuliert: Leiden entsteht, wenn wir nicht so mitspielen, wie es das Leben nun mal will. So oft lenkt es uns anders, als wir es geplant hatten – und so oft steckt genau darin das größte Geschenk, auch wenn wir das meist erst im Rückblick erkennen können.
Strukturen zerbrechen – und das Beste, was wir jetzt tun können, ist, sie nicht zu schnell wieder zusammenzufügen, sondern zu schauen, was sich aus den Bausteinen und Trümmern vielleicht auf eine ganz neuartige, lebenswertere Weise zusammensetzen lässt. Eine Krise bewusst als Chance zu nutzen, ist nicht nur der beste Weg, sie zu meistern. Es ist auch der Garant dafür, dass wir lernen, uns weiterentwickeln und als neuer Mensch – stärker und reifer – aus ihr hervorgehen. Damit ertragen wir die Situation nicht einfach oder lassen sie über uns ergehen, sondern gestalten sie aktiv.
Carlo Zumstein beschreibt am Beispiel der Depression, wie eine schwere Krise die Initiation zur eigenen Heilkraft sein kann. Er kam zu der Überzeugung, dass »die Depression wie jede Krankheit ihr eigener Selbstheilungsversuch ist«3. Sicher gilt das auch für Krisen allgemein. »Wir haben vergessen, dass der Same des Lebens in der Finsternis des Mutterschoßes und der Erde keimt.« Der stereotype Rat, bei Einsamkeit unter Leute zu gehen, könnte dann so wie der Versuch sein, Depressive »zur Rückkehr ins Tagelicht« zu zwingen, »wo sie doch auf dem Weg zur Lebenskraft hinter der Finsternis sind«4. Der Geistliche Richard Rohr weist darauf hin, dass das Heilmittel für die Einsamkeit paradoxerweise das Alleinsein ist.5
Bist du bereit für so einen Weg? Bereit, das Alleinsein und sogar die Einsamkeit – zumindest probeweise – nicht als Fehler anzusehen, weder als den eigenen noch den des Lebens? Bist du bereit, dich »im Dunkeln einem unsichtbaren Stern zu überlassen«, wie es Pablo Picasso für die beschreibt, die nicht länger suchen, sondern finden?
Sagst du hier Ja, wird es sofort leichter: Dein momentanes Alleinsein ist nicht super oder schlimm. Es ist einfach. Es ist Tatsache. Du kannst dir erklären, warum es so ist – biografisch vielleicht, psychologisch, aber auch gesellschaftlich, soziologisch – und dann schauen, was du daraus machst.
Eines darfst du dabei wissen: Das Gehirn, das der Neurobiologe Gerald Hüther so schön als »Problemlösungsorgan« bezeichnet, bleibt niemals bei etwas stehen, was uns schmerzt. Es sucht unermüdlich nach neuen Wegen, nach einer positiven Antwort, nach etwas, das uns wieder erfüllt und glücklich sein lässt, zumindest aber schmerzfrei. So wird es auch alles tun, um uns aus einer Einsamkeit herauszuführen oder uns die Sehnsucht nach guten Beziehungen zu erfüllen. Wir können ihm da vertrauen, ebenso wie unseren Gefühlen, die uns nicht ärgern wollen, sondern uns zeigen, wo wir gerade stehen, wer wir gerade sind. Alle Instanzen in uns als Team zu begreifen, das für uns arbeitet, bringt Mitgefühl hinein und Zuversicht. Und es macht mutiger, wirklich das anzunehmen, was gerade gelebt werden will. Denn das wandelt sich ohnehin immer wieder und kann so manche unerwartet positive Überraschung bereithalten. Für manche auch die, das Alleinleben plötzlich mehr zu lieben als jede andere Lebensform.
Was will das Leben von mir?
Die Salutogenese ist die Lehre davon, was uns Menschen gesund erhält oder im Falle einer Störung wieder gesund macht. Drei Faktoren nennt sie als maßgeblich dafür, ob wir als schwierig empfundene Umstände meistern können:
Verstehbarkeit – wir müssen verstehen, was uns geschieht und warum. Gestaltbarkeit – wir brauchen das Gefühl, aktiv auf unsere Situation einwirken und die Dinge beeinflussen zu können.Sinnhaftigkeit – wir müssen in dem, was uns widerfährt, einen Sinn erkennen können.Alle drei sind auch für gelingendes Alleinsein wesentlich. Und für alle drei werden dir die folgenden Kapitel jede Menge Anregungen geben. Es braucht die Offenheit dafür, die Dinge anders zu betrachten, als du es möglicherweise bisher getan hast. Vielleicht hast du schon deine Schleifen gedreht, bist mehrfach in die gleiche Art von letztlich unbefriedigender Beziehung geraten, hast auf die immer gleichen Weisen versucht, »den Richtigen« zu finden – vergeblich. Hast dir mehr Kontakt gewünscht und bist dann doch für dich geblieben. Immer wieder warst du allein. Oder du bist es gerade zum ersten Mal, dafür aber gleich bedrohlich intensiv. Statt nun zu fragen, was falsch läuft, könntest du fragen: Was will das Leben von mir?
Es braucht ein wenig Mut und Neugier für diese Haltung. Welche Chance und welche Aufgabe liegt im Alleinsein? Was geschieht wirklich, wenn ich nur mit mir bin? Was wandelt sich dabei zum Gesunden? Liegt der Sinn dieser Phase nicht vielleicht darin, Anteile von mir zu entdecken, die ich noch gar nicht kenne? Kann ich dem Leben mehr vertrauen als meinen eigenen Ideen davon, wie »es« sein müsste?
Es gibt unendlich vieles, was du entdecken könntest. Unendlich viele Spielarten, die du ausprobieren könntest. Wer fernab des Modells Mannfraukind lebt, hat die eine oder andere Klippe zu nehmen. Doch wer weiß, vielleicht ist dein Frausein einfach nicht so sehr von Aphrodite oder Hera geprägt, jenen griechischen Göttinnen, die nicht ohne Mann denkbar sind, sondern mehr von Athene oder Artemis, diesen unabhängigen Solistinnen, die niemandem gehören. Auch das sind vollwertige Frauen. Und auch sie werden gebraucht im Reigen all dessen, was Menschsein ausmacht.
Vielleicht dient dir das Alleinsein auch dazu, eine so tiefe, weite, wunderschöne Intensität an Selbstliebe zu entwickeln, wie du sie niemals für möglich gehalten hättest. Die Fähigkeit, bei dir zu bleiben, bei deiner Wahrheit, deinem Empfinden, das der Welt fehlt, wenn du vorrangig auf andere schaust. Vielleicht brauchst du eine Zeit, in der du dich selbst entdeckst – und als diese Person wirst du dann umso freudiger auf andere zugehen und von ihnen ganz neu wertgeschätzt und angenommen werden.
Fühlst du dich einsam, zieh dich zurück …
… von der Idee, dass es falsch ist, allein zu sein, sich einsam zu fühlen. Erkenne die Aufgabe darin, die das Leben dir stellt: für dein Wachstum. Werde zur Forscherin, zum Schatzsucher.
Es kann alles wandeln, wenn wir uns dem Alleinsein stellen – und es kann jede Einsamkeit auflösen. Besonders in Lebenskrisen kann etwas passieren, was wir Selbstorganisation oder auch Emergenz nennen: In der Natur wie in unserem Inneren kann aus jedem Chaos eine neue Ordnung entstehen, ohne dass aktiv etwas getan werden müsste. Auch was wir als Wunder wahrnehmen, ist häufig einfach darauf zurückzuführen, dass sich ein System in einer Krise selbst komplett neu organisiert, um weiterleben zu können. Auf rein rationalem Weg ist so etwas weder erklärbar noch möglich. Carl Gustav Jung nennt es die »transzendente Funktion«, die dazukommen muss: das Wirken des Unbewussten, die Intuition, die Inspiration, die innere Öffnung für etwas, das über uns hinausweist, vielleicht in der Meditation, in einem Gebet, zumindest in der Loslösung vom Altbekannten. So drängt alles auf eine nächste Stufe der Entfaltung. Und das Alleinsein kann der Faktor sein, der all das in Bewegung bringt.
Was macht es zuweilen so schwierig?
Ein Mensch ist allein in einem Raum. Vielleicht für längere Zeit oder recht häufig immer wieder. Was ist daran schlimm? Von Weitem betrachtet gar nichts, oder? Als Kind habe ich mir oft vorgestellt, nach oben zu schweben, immer weiter weg von dem Haus, in dem ich war, von der Straße, der Stadt, der ganzen Erde. Dann schaute ich mir das, was gerade so los war, von Weitem an – und fand es seltsam, mit welcher Ernsthaftigkeit bestimmte Dinge so sein mussten, wie sie nach Ansicht der Erwachsenen eben sein mussten. Wenn ich mit diesem Blick auf das Alleinsein schau, würde ich fragen: Die Welt ist voller Menschen und nur weil sich in manchen Räumen einzelne allein befinden, gibt es ein Problem? Was steckt dahinter?
Ich möchte das Leiden am Alleinsein, die Einsamkeit, keinesfalls verharmlosen. Dieser Schmerz kann schrecklich sein und uns alles, wirklich alles infrage stellen lassen. Die Neurobiologie weiß, dass im Gehirn die gleichen Zentren aktiviert werden, wenn wir uns verlassen, betrogen, ausgegrenzt, einsam fühlen, wie wenn wir körperlich leiden. »Sozialen Schmerz« schätzt das Gehirn ebenso schlimm und gefährlich ein wie physischen. Beide können ja auch tatsächlich Leib und Leben bedrohen. Denn vollkommen allein kann ein Mensch nicht existieren.
Psychischer Schmerz entsteht vor allem aus unseren Vorstellungen. Sobald die Realität denen nicht entspricht, leiden wir. Ob es nun kollektive Bilder sind, die wir irgendwann übernommen haben, oder unsere eigenen Ideen: Wenn wir sie genauer unter die Lupe nehmen, verlieren sie viel von ihrer Macht. Wir erkennen, dass es Vorstellungen sind, die sich im Laufe der Zeit wandeln. Sie sind keine absolute Wahrheit. Mit diesem Wissen beginnen für uns die Schätze zu glitzern, die bislang unter Gefühlen von Selbstunwert und Falschsein verborgen waren. Fragen wir uns also: Warum ist das Alleinsein so krisenbehaftet und mit einem derartig schlechten Ruf belegt? Zunächst ein kurzer Überblick.
Das Empfinden
Manche fühlen bereits großes Unbehagen, wenn sie eine Stunde lang allein sind. Andere sind Single, leben allein, arbeiten zudem als Selbstständige ganz für sich – und lieben es. Es lässt sich also nicht an der objektiv gemessenen Zeit, die ein Mensch allein ist, ablesen, ob er sich einsam fühlt. Und auch jeder Mensch hat Phasen, in denen es ihm leichter fällt als in anderen.
Alleinsein, das ist eine objektive Tatsache: Da ist ein Mensch ohne die Gegenwart anderer oder einer, zu dem auch innerlich kein anderer Mensch gehört. Einsamkeit hingegen ist das Gefühl der Verlassenheit, das Leiden am Alleinsein. Einsam ist jemand, der eine schmerzliche Differenz zwischen gewünschten und realen Kontakten erlebt. In einer Gesellschaft, die in einem extremen Maß darauf baut, dass man sich an anderen orientiert, dass man kommuniziert, sich zeigt, sich darstellt, kann jedes Für-sich-Sein befremdlich wirken. Es fühlt sich dann nicht richtig an.
Dazu kommt eine existenzielle Einsamkeit. Als bewusste Wesen wissen wir um unsere Endlichkeit und können damit auch allzu leicht in ein Gefühl der Sinnlosigkeit stürzen: Wozu lebe ich überhaupt, wenn ich eh irgendwann ausgelöscht sein werde? Im Zusammensein mit anderen ist das leichter zu ertragen. Aber entkommen können wir dem nicht. Wir fühlen es dann vielleicht nicht, weil die anderen unsere Existenz bezeugen, indem sie uns bemerken, anschauen, ansprechen, sogar wertschätzen, ja lieben. Doch an der Tatsache unserer Sterblichkeit ändern sie natürlich nichts. An dieser Tatsache kann nichts und niemand etwas ändern. Wir müssen damit leben, und Spiritualität und Religion können uns dabei sicher mehr unterstützen als dauernde Ablenkung. Es ist ein Ringen, das zum Menschsein immer dazugehört.
Der Neandertaler in uns
Ein Mensch allein kann nicht lange überleben. Vor allem nicht in der Wildnis. Menschen schlossen sich schon immer zusammen, um sich gegenseitig Schutz zu bieten, die Arbeit zu teilen und ihr Überleben zu sichern. Zugleich war es unterhaltsamer.
Heute leben wir in einer Gesellschaft der extremen Arbeitsteilung. Für alles gibt es »Leute«, selbst für unsere Sicherheit. Daher ist es nicht mehr in dieser direkten Weise nötig, Menschen um uns zu haben. Vor allem nicht dauernd. Doch die ältesten Teile unseres Gehirns lassen sich nicht so leicht davon abbringen, in ihrer Sorge um unser Wohl darauf zu pochen, dass wir ausreichend eingebunden sind.
Die sozialen Normen
Weil Alleinsein einen schlechten Ruf hat, leiden wir darunter – und deswegen wird sein Ruf nicht besser. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist mir ein wirkliches Anliegen. Es spricht sich in unserer reizüberfluteten und sehr fordernden Zeit allmählich herum, dass jeder Mensch Momente, Stunden, Tage ganz für sich braucht, in denen er regenerieren und einfach mal nur er selbst sein kann. Aber es gleich übertreiben, vielleicht sogar allein leben, ohne Partner sein? Millionen tun es, müssen sich aber trotzdem ab und zu schief dafür anschauen lassen. Nicht zuletzt von sich selbst, wenn sie die noch immer geltende Norm des Paarseins verinnerlicht haben.
Natürlich ist Singlesein heute weitgehend akzeptiert, aber es ist eben doch nur eine »oberflächliche Legitimität, die bei zahlreichen Gelegenheiten infrage gestellt werden kann.«6 Jean-Claude Kaufmann schrieb diese Bemerkung um den Jahrtausendwechsel, aber sie ist auch heute nicht vom Tisch. Singlesein gilt vielen allenfalls als Zwischenzustand, der notgedrungen sein darf und schnell wieder verlassen werden muss – was die Betroffenen aber nur bedingt beeinflussen können. Immer mehr Menschen, vor allem Frauen jenseits der vierzig, sehen es nicht mehr so. Sie leben gern allein. Doch oft bekommen auch sie das Gefühl, die ganze Welt wolle ihnen einreden, dass es besser sei, Teil eines Paares und ganz allgemein »unter Leuten« zu sein. Aber stimmt das? Stimmt es für dich?
Sind die Singles dann auch noch glücklich, stellen sie das Leben der Paare gehörig infrage. Dann versucht man gern, ihnen einzureden, dass sie eigentlich neidisch, verbittert, zu kurz gekommen und – natürlich – einsam seien. »Auf einen alleinstehenden Menschen wird die eigene Wahrnehmung der Einsamkeit projiziert. Wer selbst nicht allein sein kann, denkt, es muss auch für andere total furchtbar sein«, so Christiane Rösinger.7 Doch bis das nicht mehr wehtut, kann der Weg durch einige Täler führen.
Der nicht so gute Ruf des Singleseins wird auch spürbar, wenn man sich darauf festgelegt fühlt. Die Journalistin und Buchautorin Meike Winnemuth beschreibt, dass sie in der Millionärsendung von Günther Jauch als »ledig, Single, kinderlos« vorgestellt wird, und merkt, wie traurig das klingt. Sie selbst würde das nie so sagen, sie sieht sich als »Einzelgängerin mit hoher Sozialkompetenz«8.
Ich bin davon überzeugt, dass das Gefühl der Einsamkeit gesamtgesellschaftlich deutlich seltener und weniger leidvoll wäre, wenn wir ein positives Bild vom Alleinsein hätten. So eines, wie es Meike Winnemuth mit dieser Selbstbeschreibung vermittelt. Es wäre für alle einfacher, wenn wir uns gegenseitig darin bestärken würden, dass es okay ist, phasenweise oder auch länger allein zu sein, da dies in heutigen Biografien eben passiert. Würden wir uns gegenseitig darauf aufmerksam machen, dass das Alleinsein besondere Geschenke für uns bereithält und wir es genießen und lieben können – dann würden wir diese Zeiten auf beste Weise nutzen, ohne uns den kritischen oder mitleidigen Blicken der anderen ausgesetzt zu sehen. Den realen und den eingebildeten.
Die individuelle Psyche
Während wir heutzutage als Erwachsene physisch durchaus überleben könnten, ohne jemanden persönlich zu kennen und Beziehungen zu haben – psychisch geht es nicht. Wir brauchen nicht nur die Freude am Austausch, gelegentlichen Trost und Rat, die Möglichkeit, unsere Fähigkeiten einzubringen, sondern ganz schlicht auch die Bestätigung anderer Menschen. Nicht von ungefähr tut es so gut, sich verstanden zu fühlen, gesehen zu werden, geschätzt und auch gefördert und gefordert. Die Möglichkeiten dafür allerdings sind meist vielfältiger, als wir meinen. Sie gehen weit über die Paarbeziehung hinaus, auf die wir oft regelrecht fixiert sind. Gerade dann, wenn sie für uns gerade nicht existiert.
Natürlicherweise bestimmen auch die frühen Erfahrungen mit Bindungspersonen mit, wie man das Alleinsein und das Zusammensein mit anderen empfindet, was man sucht, was man fürchtet, woran man leidet, was einen freut. Letztlich kann es nur darum gehen, mit dem, was gegeben ist, einen lebenstauglichen Umgang zu finden. Es gibt Einsamkeit, aus der ein Mensch nicht mehr allein herausfindet, die zutiefst unglücklich und krank macht. Spätestens dann ist professionelle Hilfe nötig.
Werkzeuge und Wegweiser
»Ein Mensch, der im Alleinsein geübt ist, kennt keine wirkliche Einsamkeit«, schreibt Hans-Peter Hempel.9 Das heißt: Wir müssen es üben! In den heutigen Biografien gibt es für die meisten immer wieder Phasen, in denen sie aufgefordert sind, allein zurechtzukommen. Das Üben lohnt also. Es beginnt damit, dass man Klarheit schafft.
Steinzeit oder Konvention – woran genau leidest du?
Wenn du Alleinsein erlebst und darunter leidest, momentweise, phasenweise, dauerhaft, dann frage dich: Woran genau leide ich? Zwei Grundtendenzen zeigen sich hier aus meiner Erfahrung: Leide ich daran, dass ich keine(n) vertrauten Menschen um mich habe? Oder leide ich daran, dass ich es als falsch, peinlich, gefährlich, schlecht ansehe? Anders gefragt: Leide ich tatsächlich am Alleinsein oder schmerzen mich die Konventionen und Konditionierungen, das gesellschaftliche Bild des Alleinseins? Wenn du das genauer weißt, kannst du viel besser gegensteuern.
Du kannst detaillierter prüfen: Was fehlt dir, während du dich einsam fühlst?
Ein bestimmter Mensch?Ein Mensch, der dir das Gefühl gibt, für dich da zu sein?Ehrlicher, freundschaftlicher Austausch mit anderen?Berührung, Hautkontakt, Wärme? Sex?Die starke Schulter?Leichtigkeit, Lachen, Lebensfreude?Wertschätzung durch andere?Die magischen Momente in tiefen Begegnungen? Der Zauber der Liebe?Hast du Angst vor Hilflosigkeit im Alter? Finanziell oder lebensorganisatorisch?Fehlt dir das Gefühl, dazuzugehören?Ist dir dein Alleinsein peinlich, unangenehm vor anderen? Fühlst du dich sitzengelassen? Sitzengeblieben?Ist dein Leben einfach nicht so, wie du es willst und dir vorgestellt hast?Hast du Langeweile?Erscheint dir dein Leben sinnlos?Wärst du dir gern selbst genug, hast aber keine Vorstellung davon, wie das geht?Würdest du dein Alleinsein gern genießen, weißt aber nicht recht, wie?Ist es nur eine vorübergehende Laune, weil »eigentlich« alles stimmt?Frage dich außerdem: Welche der unerfüllten Bedürfnisse lassen sich auch anders als bisher geglaubt befriedigen?
Was immer diese Reflexion für dich ergibt – in den weiteren Kapiteln wirst du jede Menge Anregungen finden, damit gut umzugehen. Auch wenn dir eine Paarbeziehung weiterhin das Wichtigste und Größte bleibt, kann dich eine freundliche Annäherung an das Alleinsein, wenn es momentan deine Realität ist, sicherlich darin entspannen. Damit strahlst du dann vielleicht auch etwas aus, das dich der Erfüllung deines Wunsches sogar näherbringt. Wer weiß.
2. Eine Solistin unter tausenden
Wer allein ist, ist in guter Gesellschaft
Unzählbar viele Menschen sind allein oder fühlen sich einsam. Zuerst denken wir dabei an Singles oder Verwitwete. Doch auch in festen Beziehungen gibt es Einsamkeit. Missverstandene, Ausgegrenzte können sie fühlen, Sitzengelassene, Verratene, Andersdenkende … Es gibt unendlich viele Spielarten dieses zutiefst menschlichen Gefühls. Auch wenn es jeder für sich allein durchlebt – es ist viel weniger individuell als meist geglaubt. Alleinsein wird überwiegend als persönliche Fehlleistung empfunden – doch es gehört natürlicherweise zum Leben und unser Leiden daran hat starke gesellschaftliche Wurzeln. Darum zu wissen, gibt dem Einsamen das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein. Deshalb hier ein paar Zahlen und Fakten.
Ein Grund, das Alleinsein zu lieben
Unzählige Menschen sind allein, jetzt in diesem Moment. Jeder Fünfte in Deutschland lebt allein. Und es gibt kaum eine Biografie, die ohne Singlezeiten auskommt. Andere sitzen allabendlich mit ihrem Partner auf demselben Sofa und fühlen sich innerlich verlassen. Die Tatsache, dass es dieses – und viele andere – Bücher zum Alleinsein gibt, beweist: Es ist nicht nur mein und dein Thema, sondern das sehr vieler anderer ebenso, ob sie daran leiden oder sich daran freuen. Wer sich gerade einsam fühlt, glaubt, das beträfe nur ihn, weil er sich darüber ja mit niemandem austauscht. Es kann Gefühle des Falschseins auslösen, doch wir schämen uns für etwas, was zutiefst menschlich ist.
Wenn man allein im Leben unterwegs ist, hilft es zu wissen, dass viele einen ganz ähnlichen Weg gehen. Tolle Menschen, die mit Herz und Verstand kreative Ideen spinnen, erproben und weiterentwickeln, um ihre Situation bestmöglich zu gestalten, um ihre Freiheit zu nutzen, um beständigere, liebevollere Bindungen aufzubauen. In trüben Momenten der Einsamkeit, in denen du vielleicht alles infrage stellst, kannst du wissen, dass so viele vor dir, zugleich mit dir und auch nach dir mit der gleichen Empfindung ringen. So entsteht Mitgefühl und das Wissen um eine ganz eigentümliche Verbundenheit.