Leo und der Himmel auf Erden - Franziska Muri - E-Book

Leo und der Himmel auf Erden E-Book

Franziska Muri

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Beschreibung

Anni ist Anfang vierzig und hadert mit allem. Da trifft sie ein wundersames Wesen namens Leo: einen Esel! Leo ist ein wahres Feuerwerk an Humor - und an Weisheit. Wer hätte das gedacht? In seiner weit verzweigten Familie lebte man schon mit Buddhisten, Hindus, Sufis und Christen zusammen und sammelte dabei so einige Lebenserfahrung. Deshalb ist Leo genau der Richtige, um Anni den Weg zu innerem Frieden, ja sogar zu allumfassender Verbundenheit und Liebe aufzuzeigen. Anni findet in jeder Begegnung mit Leo mehr zu sich, erlebt, wie alte Wunden heilen und sich eine tiefe Erfüllung einstellt. Berührend, humorvoll, bewusstseinserweiternd: Diese mitreißende spirituelle Fabel schenkt uns einen köstlichen Geschmack vom Himmel auf Erden. 

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Seitenzahl: 168

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Impressum

© eBook: 2024 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2024 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

unum ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, www.gu.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.

Projektleitung und Lektorat: Anja Schmidt

Bildredaktion: Petra Ender

Covergestaltung: ki 36 Editorial Design, München

eBook-Herstellung: Liliana Hahn

ISBN 978-3-8338-9558-6

1. Auflage 2024

Bildnachweis

Coverabbildung: ki36, iStockphoto

Illustrationen Innenteil (Esel): GU Bildredaktion Icon "Stern": Shutterstock

Syndication: Bildagentur Image Professionals GmbH, Tumblingerstr. 32, 80337 München www.imageprofessionals.com

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KONTAKT ZUM LESERSERVICE

Für meine Großmütter Anni und Elfriede.Ich hatte den Eindruck, dass sie mir »von der anderen Seite aus« manchmal amüsiert beim Schreiben zuschauten und sich an der einen oder anderen Stelle kreativ einmischten.Danke, auch dafür.

DER INTUITION VERTRAUEN

Anni war an diesem Morgen viel zu früh aufgewacht und hatte beschlossen, einen Spaziergang zu machen – über ein paar Felder und durch ein Wäldchen vor den Toren der Stadt. In ihrem Kopf tobten so viele Gedanken, vielleicht würde die Bewegung sie etwas beruhigen.

Die Luft draußen war frisch und kühl und Anni erfreute sich am Gehen. Dass es bewölkt war, daran hatte sie sich beinahe schon gewöhnt, schließlich war es seit Wochen so. Meckern und Jammern zwecklos. Doch als sie aus dem Wäldchen kam und schon den Rückweg antreten wollte, sah sie auf einem kleinen Hügel einen Lichtschimmer. Dort oben war tatsächlich ein Fleckchen Erde in morgendliches Sonnenlicht getaucht. Pfeilgerade Lichtstrahlen fielen aus einem winzigen Loch in der Wolkendecke auf den Hügel.

»Dort will ich hin!«, sagte sie zu sich selbst und stiefelte los. Es war nicht weit bis hinauf und sie wollte so gern ein bisschen Sonne tanken.

Bald hatte sie den Hügel erreicht. Sie blieb stehen, schloss die Augen und drehte den Kopf zur Sonne hin. Wundervoll war das! Warm und hell beschienen die Strahlen ihr Gesicht und ihren ganzen Körper. Anni atmete auf. Ihr war, als würden mit diesem Licht ganz wesentliche Lebensgeister zu ihr zurückkehren.

Als sie nach einer Weile die Augen wieder öffnete und den Kopf etwas drehte, um nicht geblendet zu werden, erstarrte sie. Sie war gar nicht allein hier! Nur wenige Meter von ihr entfernt stand: ein Esel. Ein grauer Esel mit weichem Fell, das in der Morgensonne schimmerte. Und wie von einem romantischen Maler hindrapiert, stand seitlich hinter dem Tier ein kleiner Baum mit geradem Stamm und einer in frischem Grün leuchtenden Kugel aus Blättern. Anni konnte von ihrem Platz aus sehen, dass es eine Linde war. Linden kannte und mochte sie.

Der Esel schaute zu ihr rüber.

»Guten Morgen«, grüßte Anni ganz selbstverständlich und blickte sich im nächsten Moment peinlich berührt um. Sie war so überrascht von der Szenerie, dass sie schon Esel grüßte. Nun gut, sonst war niemand hier, der sie hätte hören können.

»Einen wunderschönen guten Morgen«, vernahm sie nun aber.

Anni hielt verwundert inne. Wer anders konnte das gewesen sein … als dieser Esel?

»Hast du gerade Guten Morgen gesagt?«, fragte sie in Richtung des Tieres.

Langsam kam der Graue ein paar Schritte auf sie zu. »Ich habe ›Einen wunderschönen guten Morgen‹ gesagt. Man darf Wunder nämlich einladen. Damit macht man es ihnen leichter, sich zu zeigen.«

Verblüfft schaute Anni den Esel an, der nun ziemlich nah vor ihr stand. »Okay«, erwiderte sie schließlich, »gute Idee: einen wunderschönen guten Morgen also.«

Sie betrachtete das Auge, das er ihr zuwandte, die dichten Wimpern und das schöne warme Braun der Iris. Dieses Auge nahm sie richtiggehend ein, eine ganze Welt tat sich darin auf. Anni merkte, wie sie immer tiefer in der geheimnisvollen Weite dieses Raumes versank. Ein Raum wie das All, gänzlich dunkel und doch von Licht durchsät. Er erschien ihr wie ein sehr freundliches Universum.

Plötzlich tauchten Bilder auf, die Anni nur zu vertraut waren – Stapel von Papier in ihrem Büro, rote Zahlen, die über ihren Bildschirm flackerten, schnell hinuntergeschlungenes Irgendwas von irgendeinem Imbiss, hastige Blicke auf die Uhr und immer schneller werdende Schritte, die sie zum nächsten Termin brachten, Druck im Bauch, ihr laut pochendes Herz. Mehrmals blitzten Bilder ihrer Wohnung auf, die ihr verwaist vorkam, während sie immer nur hinein- und wieder hinauslief. Stimmen, Wortfetzen. Streiflichter auf Männergesichter … und auf diesen einen Mann, der sich langsam entfernte und sich im Nebel aufzulösen schien, während ihr Herz ihn nicht lassen wollte … Anni schloss die Augen, als wollte sie das alles nicht mehr sehen.

»Dein Leben«, flüsterte der Esel sanft.

Sie schaute ihn wieder an.

»Dein aktuelles Leben.« Er flüsterte erneut und schüttelte langsam den Kopf. Seine großen plüschigen Ohren wackelten dabei etwas zeitverzögert mit.

»Mein aktuelles Leben«, wiederholte Anni leise, fühlte Traurigkeit und schloss die Augen. Tränen drückten sich unter ihren Lidern hervor und liefen ihre Wangen hinab.

Der Esel ließ ihr Zeit. Er blieb weiter still vor ihr stehen, so nah, dass sie die beruhigende Wärme seines Körpers spüren konnte. Er war einfach da und ließ Anni weinen.

»Alles falsch gemacht?«, fragte sie schließlich leise, ohne die Augen zu öffnen.

»Dann wärst du jetzt nicht hier«, antwortete der Esel freundlich.

Ja, jetzt war sie hier und eine unerklärliche Magie lag in der Luft.

Sie schwiegen erneut und Anni empfand mit der Zeit einen eigentümlichen Frieden.

»Man darf Wunder einladen. Damit macht man es ihnen leichter, sich zu zeigen.«

Irgendwann begann sie sich wieder zu bewegen und straffte die Schultern. Sie spürte ganz neu die Sonne auf ihrer Haut und genoss die Szenerie um sie her.

»Warum kann ich dich reden hören?«, fragte sie den Esel. »Und warum verstehst du mich?«

Ohne zu zögern entgegnete er: »Vielleicht wünschst du dir einfach, dass jemand mit dir spricht.«

Erneut schossen Anni Tränen in die Augen. Es stimmte so sehr! Sie wünschte sich, dass jemand mit ihr sprach. Dass sie jemanden zum Reden hatte. Über wirklich Bedeutsames. Dass jemand mal so da war wie dieser Esel eben. Der sie einfach sah und hörte. Wie ein Zeuge, ein stiller, offener, freundlicher Zeuge ihrer Existenz. Und dass er ab und zu noch etwas Kluges zu sagen oder zu fragen wusste, war für sie so hilfreich.

»Aber du …« Anni schreckte innerlich auf, als sie sich die Situation neu vergegenwärtigte. Der Esel lief derweil ein paar Schritte auf und ab, schüttelte sich und schnaubte. Dann wandte er sich ihr wieder zu: »Aber?«

»Ich meine …«, Anni druckste herum und der Esel streckte ihr mit immer länger werdendem Hals seinen Kopf entgegen, als wollte er besser hören, was sie sagte. Anni musste in sich hineinlachen, denn seine komische Geste bestätigte, was sie dachte. »Also, na ja, du bist …, na, du bist ein Esel!«

»Ja, bin ich. Und?« Stolz richtete er sich wieder auf.

»Bitte versteh mich nicht falsch, ich selbst weiß gar nichts über Esel und ich bin dir dankbar für unseren kleinen morgendlichen Austausch. Aber Esel gelten bei uns Menschen … als, nun ja, als etwas dumm und stur.«

»Und auf dieses Framing fällst du rein?« Der Esel grinste.

»Dumm«, erklärte er dann, »nennt man andere oft, wenn man sie nicht versteht, wenn man nicht mal ihre Sprache kennt. Und stur, das ist doch gar nicht schlecht, oder? Man lässt nicht alles mit sich machen. Oder ist einfach vorsichtig. Mir gefällt das. Und wenn man mich für dumm hält, dann bleibe ich ganz entspannt. Schließlich weiß ich, was ich weiß. Nämlich: nichts.«

An dieser Stelle fing der Esel lauthals an zu lachen. Er warf den Kopf zurück, entblößte zwei Reihen riesiger Zähne und schrie sein »Iiiiieeh-Aah, Iiiiieeh-Aah, Iiiiieeh-Aah, Iiiiieeh-Aah« so laut in die Welt hinaus, dass Anni immer wieder zusammenzuckte. »Ich weiß, dass ich nichts weiß«, brachte er noch einmal zwischen zwei Lachsalven hervor und konnte sich gar nicht mehr beruhigen.

Mit einer Mischung aus Entsetzen wegen dieses heiser krächzenden »Iiiiieeh-Aah« und Erheiterung wegen seines wirklich guten Gags stand Anni da und schaute ihrem eigenartigen Gesprächspartner einfach nur dabei zu, wie er sich köstlich amüsierte.

Als er wieder normal atmen konnte, sagte er ernst: »Unterschätze mal uns Esel nicht. Uns gibt es schon sehr lange. Seeehr lange. Wir haben mit Buddhisten gelebt, mit Sufis, mit Hindus, mit Christen, sogar Ur-Christen, und mit Moslems, mit Bauern, Philosophen, Heiligen, Kräuterfrauen, Kaufleuten, Schmugglern, Weisen und allen nur erdenklichen Leuten. Wir wissen mittlerweile ganz gut Bescheid. Auch über eure Welt.«

Anni dachte nach. Dann sagte sie vorsichtig: »Ich wollte dich nicht beleidigen.« Sie war beeindruckt von der Erkenntnis, wie viel Geschichte, Wissen und Weisheit Mensch und Esel offenbar teilten. Innerlich war sie diesem erstaunlichen Gesellen damit ein Stückchen nähergekommen.

Als würde sie etwas wiedergutmachen wollen, fragte sie: »Wie heißt du denn? Ihr habt doch auch Namen, oder?«

»Haben wir«, bestätigte der Esel. »Ich bin Leo.«

»Wie?« Anni blickte ihn – schon wieder – verdutzt an und als er keine Miene verzog, hakte sie nach: »Du heißt Leo? Als Esel?«

»Klar. Oder glaubst du etwa, der Name ist nur Löwen vorbehalten?«

Anni schaute ihn ein paar Momente lang sprachlos an. Dann sagte sie: »Also gut: Leo. Freut mich. Ich bin Anni.« Sie machte einen Schritt auf ihn zu und es wirkte, als wolle sie ihm gleich die Hand reichen.

»Ebenfalls erfreut«, sagte Leo höflich und da er Annis unbeholfene Geste bemerkte, ergänzte er: »Du darfst mich zwischen den Ohren kraulen.«

»Gern«, erwiderte Anni mit einer gewissen Erleichterung. Sie lächelte: »Weil du ja kein Löwe bist.«

Der Esel schloss die Augen und genoss die Streicheleinheit. Nach einer Weile fragte er beiläufig: »Und einen Löwen würdest du nicht gern kraulen?«

Anni überlegte, während ihre Hand über das weiche Fell auf Leos Stirn strich. »Das wäre bestimmt kuschlig. Und imposant. Aber es wäre mir viel zu gefährlich.«

»Wer mit Eseln über sein Leben redet, der kann auch Löwen streicheln«, konstatierte Leo trocken.

»Wer mit Eseln über sein Leben redet, der kann auch Löwen streicheln.«

»Das verstehe ich nicht.« Anni dachte nach. »Nein, wirklich nicht.«

»Hm«, machte Leo. »Es ist eigentlich nicht schwierig. Was tun wir hier?«

Er ließ ihr einen Moment Zeit, um die Frage für sich zu klären.

»Wir reden miteinander«, sagte Anni.

Da Leo schwieg, wurde sie genauer: »Okay, ich rede mit einem Esel, auch über mein Leben. Aber deswegen würde ich doch keinen Löwen streicheln.«

»Könntest du aber, und zwar auf der gleichen Ebene.« Leo blickte Anni so erwartungsvoll an, als hätte er gerade die Lösung eines der größten Lebensrätsel präsentiert. Doch Annis Gesichtsausdruck zeigte deutlich: Sie hatte nichts kapiert.

Leo stupste ihr freundlich mit seiner Nase gegen den Arm, um ihr zu signalisieren, dass sie mit dem Kraulen aufhören konnte. Jetzt musste er schließlich etwas erklären.

»Also«, setzte er neu an. »Wir reden hier miteinander und wir reden nicht miteinander. Es gibt eine Ebene, da führen wir ein Gespräch. Gerade rede ich und du hörst mir zu. Richtig?«

Anni nickte. Es gefiel ihr, wenn Leo so dozierte. Er alberte zwar gern herum, aber er nahm die wirklich wichtigen Dinge offenbar sehr ernst. Ja, er nahm sie ernst.

Anni nickte noch einmal.

»Gut«, sprach Leo weiter, »wir reden also miteinander – und auch wieder nicht. Wenn uns hier jemand beobachten würde, vor allem jemand von deiner Spezies, dann würde der wahrscheinlich nichts davon mitbekommen. Er würde uns einfach nur hier stehen sehen. Mehr nicht. Ein Esel, eine Frau, irgendwie zufällig oder warum auch immer stehen die da, könnte er denken.«

Tatsächlich fiel Anni in dem Moment auf, dass der Esel das Maul gar nicht bewegte, während er sprach – oder besser: während sie ihn hörte. Na ja, und wirklich mit den Ohren zu hören war er auch nicht. Eigentlich hörte sie ihn nur in ihrem Kopf.

War etwa alles nur Einbildung? War sie so gestresst, dass sie allmählich verrückt wurde? Oder zumindest wunderlich?

Anni spürte einen leichten Schrecken in ihrem Bauch. Denn sie selbst, das merkte sie erst jetzt, hatte auch nicht laut geredet. Der ganze Austausch der letzten Minuten hatte genau genommen nur in ihrem Kopf stattgefunden. Und doch war es eine Unterhaltung gewesen. Daran bestand gar kein Zweifel.

Oder etwa doch?

Anni wollte plötzlich nach Hause. Es gab so viel zu tun und sie stand hier herum und … Was tat sie hier eigentlich?

Als sie umherschaute, stand da ein Esel, ein Baum, es war nett gewesen, mal einen Moment Sonne getankt zu haben – aber jetzt musste sie wirklich gehen. Ihr fielen die heutigen Termine ein und in ihrem Bauch wurde es dumpf und fest. Sie setzte schnell ein paar Schritte in Richtung Heimat. Dann aber fand sie es doch unhöflich, einfach so grußlos zu gehen. Sie hatte ja immerhin einige Zeit mit diesem Esel verbracht. Also wandte sie sich ihm noch einmal zu, um sich mit einem Kopfnicken kurz zu verabschieden.

»Was schaust du so mürrisch?«, fragte Leo, als sich ihre Blicke trafen.

Anni bemerkte wieder diese Wärme und Weite in seinen Augen und irgendwie war da so ein lichter Schimmer auf seinem Fell, der ihn richtiggehend leuchten ließ. Während ihr Blick bei ihm verweilte, beruhigte sich etwas in ihr. Ihre Unterhaltung war real. Irgendwie. Das spürte sie.

»Siehst du«, sagte Leo sanft, »wir unterhalten uns – und wir unterhalten uns nicht.«

»Ja«, sagte Anni nur. Sie schloss die Augen und wandte ihr Gesicht erneut der Sonne zu. Es tat gut, einfach nur das Licht und die Wärme zu spüren. Und dabei zu atmen.

»Und der Löwe?«, fragte sie nach einer Weile.

»Auf der Ebene, auf der wir uns unterhalten, kannst du ihn kraulen. Ich würde es nicht unbedingt im Masai Mara in Kenia tun – weder als Mensch noch als Esel.« Leo schmunzelte. »Aber auf dieser inneren Ebene, auf der wir hier reden, ist es möglich. Da kannst du auch mit einem Adler fliegen oder auf einem Krokodil durch den Nil schwimmen.«

Anni musste lächeln, als sie sich das vorstellte. »Dann meinst du Fantasie.«

Leo überlegte einen Moment. »Fantasie hängt sicher damit zusammen«, meinte er schließlich. »Aber es ist viel mehr als das. Es geht um Intuition, um Inspiration. Um eine Ebene von Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühlen, Eingebungen und Wissen, die du mit deinem Kopf nicht unbedingt verstehen wirst, denen du aber vertrauen kannst. Intuition sagt dir oft etwas absolut Stimmiges, was du dir nicht hättest ausdenken können. Bei der Fantasie ist dein Verstand aktiver, auch wenn es sich natürlich mischt. Bei der Intuition kommen die Informationen oft ganz unwillkürlich zu dir, als Geistesblitze. Als prachtvolle Ideen, die dein ganzes Leben verändern können. Oder es sind Bauchgefühle, die dich von einem Fehler abhalten, ein plötzliches Wissen oder Ahnen. All diese Dinge, die in deinen Bauch, in dein Herz und in deinen Kopf kommen, ohne dass du es hättest ›machen‹ können. Aber es gehört eben noch mehr dazu – und ganz besonders der Austausch über Spezies und Lebenswelten hinweg. Zum Beispiel, ganz wichtig«, Leo grinste breit, »Unterhaltungen mit einem klugen Esel. Auch sie werden durch das möglich, was wir Intuition und Inspiration nennen.«

»Es sind Geschenke«, warf Anni, die genau zugehört hatte, leise ein.

Leo hatte sich so in Schwung geredet, dass er kurz stockte und Anni verblüfft ansah. »Genau. Es sind Geschenke. Auch Gespräche wie das unsere.«

Es entstand eine Pause. Beide hingen ihren Gedanken nach. Dann begann Leo erneut zu sprechen: »Manchmal entfalten sich solche Gespräche – und oftmals nicht. Weil keiner damit anfängt oder eine Seite die andere nicht hört. Gerade ihr Menschen habt dafür zwar feine Antennen, aber sie sind wie abgeknickt. Einfach zu wenig benutzt und etwas angerostet oder wirklich ramponiert.«

Anni war wieder ganz in das Gespräch mit Leo eingetaucht und ihr Alltag lag in weiter Ferne. Wie eine andere Welt, irgendwo da unten am Fuße des Hügels, hinter dem Wäldchen und ein paar Feldern. Irgendwo in ihrem Kopf.

»Weißt du«, begann sie. »In unserem täglichen Leben spielt all das, wovon du sprichst, gar keine Rolle. Da geht es um alles Mögliche, um Dinge und Aufgaben, um Fakten und Zahlen, um Termine, Pläne und Konzepte und ein bisschen Unterhaltung. Aber diese …«, sie suchte nach den passenden Worten, »… diese feinere Ebene, dieses irgendwie Stillere, Fühlige oder sogar Zauberhafte, das kommt nicht vor. Das hat keinen Platz.«

»Ja, ihr seid seltsam geworden«, stellte Leo fest.

Anni schaute ihn überrascht an. Sie erwartete, dass er gleich wieder lachen oder wenigstens schmunzeln oder grinsen würde. Aber nichts davon. Er schaute ernst über die Wiese hinweg in Richtung Horizont.

»Wenn ihr glücklich dabei wärt …«, sprach er nach einem Moment der Stille weiter. »Aber so kommt ihr mir nicht vor. Oder nur selten.«

Anni schluckte. Dieser Esel war sehr direkt. Das war nicht so leicht zu nehmen. Aber er hatte wohl recht. Etwas fehlte – ihr selbst und so ziemlich jedem, den sie kannte.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, fuhr Leo fort: »Was euch fehlt, ist wirklich das Feinere, das Spürige. Das hast du schön gesagt. Wenn ihr es kennen und leben und darauf vertrauen könntet, würdet ihr es euch viel leichter machen. Und nicht nur euch, uns allen.«

»Ich würde schon gern darauf vertrauen und es mehr leben«, warf Anni ein. »Aber ich weiß nicht, wie ich das machen soll.«

»Du brauchst Erfahrungen damit. Positive Erfahrungen. Du hast ja auch Vertrauen in die Erdanziehungskraft, denn du erfährst sie täglich. Oder in deine Fähigkeit, Fahrrad zu fahren, denn du hast es oft genug getan. Bei der Intuition fehlt euch Menschen die Übung. Und ohne Übung gibt es kaum Erfahrung und noch weniger Vertrauen. Daher solltest du üben, auf deine Intuition zu achten, wenn du lernen willst, ihr zu vertrauen.«

»Und wie übe ich das am besten?« Anni wollte es wirklich wissen.

»Das ist ganz leicht.« Leo machte ein Gesicht, zu dem der Ausruf »Tadaa!« gepasst hätte. »Du redest ab jetzt einfach mit jedem Esel, der dir über den Weg läuft.«

Anni schmunzelte. Leo warf den Kopf zurück und sie wusste, was jetzt kommen würde: sein ohrenbetäubendes »Iiiiieeh-Aah«. Es erfüllte die Luft aber nur zweimal. Leo wurde schnell wieder ernst und sprach weiter: »Intuition ist unschätzbar wertvoll. Ihr vertrauen zu lernen, kann das Leben sehr viel reicher machen. Aber«, wenn er Hände gehabt hätte, hätte er an dieser Stelle einen Zeigefinger nach oben gestreckt; Anni konnte es richtig vor sich sehen, »bevor es ans Üben geht, sollten wir noch genauer definieren, wovon wir reden.«

»Einverstanden.« Anni nickte interessiert.

»Intuition erlebst du, wenn du plötzlich auf eine deutliche oder eher unterschwellige Weise etwas weißt. Vielleicht musst du eine Entscheidung treffen, ringst dich lange nicht dazu durch – aber da ist so ein Gefühl, dass der eine Weg gut wäre und der andere nicht. Das kennst du sicher, oder?«