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Kulturelle Räume kreieren ihre eigenen Realitäten und nur innerhalb dieser kann ein einzelner Geist – auch psychosomatisch – erkranken. Michael von Brück beschreibt in seinem Aufsatz zum Kursbuch 175 die heilende Wirkung der Religion. Transzendenz durch Meditation verschafft dem Individuum hierbei die nötige Distanz, die zur Heilung führt.
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Seitenzahl: 23
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Michael von Brück
32 Arten des Pulses
Über das interkulturelle Verstehen von Gesundheit
Vorbemerkungen
Moderne bedeutet: gesteigerte Geschwindigkeit in allen Lebensbereichen. Dies wurde und wird ambivalent erfahren, als »veloziferisch« bei Goethe, als »verlockend und zugleich beängstigend« von Heinrich Heine, in der »verdreifachte[n] und vervierfachte[n] Schnelle […] als Schwindel erregende[r] Frage« der Johanna Schopenhauer, und spätestens seit Mitte des 19.Jahrhunderts stehen wir in einem fortwährenden »Kulturkampf um Beschleunigungstechnologien«.1 Beschleunigung erzeugt Stress, weil Verarbeitung von Reizen Zeit erfordert. Die Komprimierung raumzeitlicher Reizcluster verlangt demzufolge ständig neue Anpassungen, deren Tempo dehnbar ist, aber nicht beliebig gesteigert werden kann. Der Mangel an Ruheplateaus führt zu inadäquaten Anpassungsleistungen, die Versagen und Versagensängste auslösen. Depression kann dann als »Pathologie der Zeit« diagnostiziert werden2, die sich somatisiert. Unterschiedliche Störungen von systemischen Balancen sind die Folge.
Eine kaum noch überschaubare Anzahl von empirischen Studien und Metastudien befasst sich mit den Auswirkungen von Yoga, Meditation und anderen psychosomatischen Praxen auf Zeitstress, Depressionen und ganz allgemein auf die Aufrechterhaltung und/oder Wiederherstellung von Gesundheit. Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR), wie es von Jon Kabat-Zinn aus der buddhistischen Achtsamkeitspraxis entwickelt wurde, erfreut sich im medizinischen wie pädagogischen System eines transatlantischen Booms.3 Spiritualität gilt als Praxis, die dem modernen Menschen ein glücklicheres und gesünderes Leben verspricht. Dabei wird Spiritualität abgelöst von Religion, die inhaltliche Bestimmungen über das Woher und Wohin, mithin über den Sinn des Lebens, machen und damit unter »Ideologieverdacht« stehen würde. Vor allem leiste spirituelle Praxis Abhilfe hinsichtlich eines geradezu epidemischen Übels, denn laut Stressstudie der Techniker Krankenkasse von 2009 empfinden sich 80Prozent der Deutschen unter Stress stehend, bei den befragten Schülern sind es 90Prozent. Die Nachfolgestudie an Studierenden aus Nordrhein-Westfalen 2012 kommt zu dem Ergebnis, dass die Einnahme von Psychopharmaka im Zeitraum 2006 bis 2010 unter Studierenden um 55Prozent zugenommen habe. Stress äußert sich unteranderem in Herzrhythmusstörungen, schwankendem Blutdruck, Schlaflosigkeit, Angststörungen und Depression, Schmerzzuständen.4 Dies wird mit den genannten spirituellen Methoden bekämpft, zweifellos mit signifikantem Erfolg, der häufig den durch Behandlung mit Psychopharmaka übertrifft. Allerdings übersehen solche Studien gelegentlich, dass seit William James (1842 – 1910) bekannt ist, dass spirituelle Praxis, durch die sich das Selbstmodell des Individuums verändert, sowohl positive als auch negative Einflüsse auf die psychische (und somatische) Stabilität haben kann, und zwar in Abhängigkeit von den Deutungen unspezifischer »Ganzheitserfahrungen« im religiösen Glaubenssystem.5