350 Jahre? - Werner Schwarz - E-Book

350 Jahre? E-Book

Werner Schwarz

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Beschreibung

Der Klimawandel hat in den vergangenen 350 Jahren seinen Höhepunkt erreicht, die Pole sind geschmolzen, Gipfel der Berge sind schneefrei und Gletscher versiegt. Weltweit sind alle Küstenregionen der Erde mit gigantischen Dämmen versehen worden. Der Rhein wurde mit gewaltigen Schleusen und Kraftwerken aufgestaut, es entstanden imposante Stauseen. Als Vertreter einer immer bereitstehenden Eingreiftruppe, ist der 21-jährige Berliner Kapitän Mario Seifert die einzig menschliche Person auf einem dieser 160 Meter langen und 20 Meter breiten, hochmodernen Normschiffe, die diese Gewässer befahren. Mit dem Prototyp eines überwiegend autonom bewegten Tankschiffes, ist er auf den der Zeit angepassten Binnengewässern in Europa unterwegs. Einziger Ansprechpartner an Bord ist sein PLS, der Private Life Support. Ein mikroskopisch kleiner Hochleistungs-Chip, der ihm schon bei der Geburt im Jahr 2352, hinter dem Ohr implantiert wurde und mit ihm aufwuchs. Marios PLS nennt sich Elli, eine imaginäre Erscheinung, die sich als Hologramm in allen nur denkbaren Formen sichtbar machen kann, was viel Abwechslung und Unterhaltung verspricht. Sie ist allwissend, extrem menschlich und ihr Humormodus ist relativ hoch eingestellt. Mario ist natürlich bekannt, dass Elli nur so programmiert ist und dennoch besteht ein sehr menschlicher Bezug zwischen den beiden. Die Erde überstand einen Meteoriteneinschlag, der am Ende nur Gutes auf den Planeten brachte. Städte haben sich in extremstem Maße verändert, der Planet ist überbevölkert, die Erde, selbst der Mond wurde sämtlicher Bodenschätzen beraubt. Der Mars wird gerade besiedelt, man kann ihn über zwei Zwischenstationen, die auf Meteoren errichtet wurden, erreichen. Eines Tages kapern IT-Piraten über Satelliten virtuell Marios Schiff. Nehmen unerkannt Zugriff auf die autarke Steuerung des Schiffes, ändern den Zielhafen, wollen die wertvolle Ladung rauben. Geschickt schleusen die Piraten einen Spion, den Gino Baretta auf das Schiff ein, um die Computer entsprechend zu manipulieren. Die Piraten sind nun in der Lage, die eigentliche Route noch immer auf den Monitoren der Reederei als richtig anzuzeigen, womit das Verlassen der geplanten Route, hin zu einem Piratenkompatiblen Hafen nicht bemerkt wird. Auch Ellis Verbindung zu Außenwelt wird geblockt, sie kann nur noch im Schiff, nur mit Mario in Verbindung treten. Letztendlich nimmt die Geschichte eine gravierende Wendung, die von keinem so erwartet wurde.

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Inhalt

Ein sehr wichtiger Hinweis!

Vorwort

Käpt'n Seifert erwacht am Mittwochmorgen, 14. Mai 2373 …

Der Rentnerkrieg 2042 …

Elli, Marios PLS, sein Private Life Support und der HPC …

Wie Mario zur Binnenschifffahrt kam …

Marios Lieblingskneipe, das Galander, über 350 Jahre Tradition …

Hurtig Mario, heute ist Schichtbeginn …

Mit der Drohne an Bord …

Der Klimawandel und was daraus wurde …

Aus dem All sichtbar, die rettenden Staudämme aller Küsten dieser Erde …

Das Haustier im Jahr 2373 und der „Dog poop vacuum cleaner“ …

Käpt'n Martina ruft …

Kajüte? Käpt'n Ahab würde tanzen …

Abenteuer Toilettengang, alles eine Frage der Technik …

Wohnliche Atmosphäre, ganz nach Belieben …

Rheinlandschaften schön und biologisch wie nie zuvor …

Köln, Mainz und andere Städte, die einst die Schifffahrt verbannten …

Die Kirche und was von ihr blieb …

Der alte Oli, dem sein Private Life Support ausgefallen ist …

Eine kolossale Verwandlung, der Aufstau des Rheins …

Alarm an der Schleuse Loreley …

Simultane Schleusenfahrt in Loreley, Part I …

135 Meter Höhenunterschied, kein Problem …

Großstadt, St. Goar und St. Goarshausen …

Das Sportbootverbot? Unumgänglich! …

Großstadt Bingen Rüdesheim

Simultane Schleusenfahrt in Loreley, Part II …

Auch wenn es weh tut, rein muss es doch …

Schleusensimulation beendet, es wird ernst …

Komische Materialien beherrschen die Menschheit …

Marios Hommage an den Mond …

Der Segen, der 2198 vom Himmel fiel …

Guten Appetit …

Shopping? Der Mensch kann es nicht lassen …

Schiffstyp ESC-T-2373, ESC-F-2373 und ESC-P-2373 …

Pro Guss, ein Schiff. 160 x 20 Meter, in acht Wochen …

Flüsternde Antriebe, stark, schnell, effizient …

Elektrizität, sogar Schiffe, alles bewegt und arbeitet mit Strom …

Der Loreley-Wiesbaden-Kanal …

Cyberattacken, die Schwachstellen der Zukunft, Part I …

Frachten, Lade- und Entladevorgänge …

Cyberattacken, die Schwachstellen der Zukunft, Part II …

Die Verbannung der Binnenschifffahrt ab 2016 und ihre Folgen …

Was passiert da im Hafenland Aschaffenburg …

Cyberattacken, die Schwachstellen der Zukunft, Part III …

Piraterie, ein Schrecken der Zukunft. Gino Baretta und seine Freunde …

Zur Not, aufs Klo …

Erklärungsnot, wie kann das alles sein? …

Wahrnehmung diverser Epochen und die drei Jahreszeiten …

Vorbereitung zum Gefecht …

Maschinen, die einfach alles können …

Holohamster Elli …

Time stand still …

Zugriff …

Alarm, Alarm, Blackout …

Die Helden von einst …

Anlegemanöver 2373 selbst gemacht …

Einsam ohne Elli …

Elli kommt nach Hause, Gino wird verhaftet …

2373, wie konnte das nur passieren …

Frankfurt, weiter auf dem Main, neues Ziel Basel …

Wie langweilig manchmal. Zeitvertreib …

Chaos im Hafenland Basel …

Der erste Kontakt mit der obersten Geschäftsleitung der ESC …

Ein erhabener Flug zur ESC-Zentrale …

Vorhang auf! …

Verrücktes Erwachen …

Vita Nina Heinke, Illustratorin

Zum Autor

Ein sehr wichtiger Hinweis!

Leider wurde mir kurzfristig mitgeteilt, dass mein bisheriger Verlagspartner IATROS zum Jahresende 2022 all seine Aktivitäten aus Altersgründen einstellt.

Vom Aussterben bedrohte Verlage reißen leider auch ihre Autoren mit in den Abgrund. Dieser fatalen Situation ist der akribische Schreiber leider machtlos ausgeliefert. Da die alles entscheidenden ISBN meiner Bücherreihe „Schlechtwetterzonen“ auch verlagsbezogen sind, wird es in vielen Onlineshops und Vertriebsunternehmen Lieferschwierigkeiten geben. Es besteht daher die Gefahr, dass all meine Bücher bei diversen Anbietern als entweder „zurzeit nicht lieferbar“ gekennzeichnet sind oder komplett aus deren Portalen gelöscht werden.

Der Autor hat übrigens bei keinem Verlag das Recht, seine eigene ISBN für sein Werk zu verwenden, was ihn in eine besondere Lage der Abhängigkeit und Verpflichtung gegenüber den Verlagen versetzt. All meine Bücher mit neuer, eigener ISBN noch einmal drucken zu lassen, ist aus finanziellen Gründen erstmal unmöglich.

Das alles so zu aktualisieren damit der Vertrieb meiner Werke ungehindert weiterläuft, gleicht einer Mammutaufgabe, die zum Erscheinen von „Schlechtwetterzonen“, Band VII, nicht bewältigt werden konnte.

Daher, solltest Du Gefallen an diesem Buch gefunden haben, und gerne Weiteres von mir lesen wollen, bitte ich darum, meine Bücher ausschließlich auf folgenden Plattformen zu bestellen. Ich bemühe mich sehr um eine zügige Zustellung und als Dank sollst Du meine Werke auch hier portofrei bis 30.04.2023 erwerben können.

shop.schlechtwetterzonen.de

arge-iavm.blogspot.com/2013/10/onlineshop.xhtml

Ich hoffe sehr, dass bis zum Erscheinen des Buches „Schlechtwetterzonen“, Band VIII, alles wieder entsprechend geregelt ist.

Vielen Dank für Dein Verständnis, vielen Dank für Dein Interesse, alles Gute,

Werner Schwarz

Vorwort

Er hat es getan, er hat einen Science-Fiction-Roman geschrieben. Oder ist seine irre- und wahnwitzige Verschriftlichung doch „nur“ bei der utopischen und fantastischen Literatur, gar bei Fantasy-Geschichten anzusiedeln? Darüber darf, könnte und wird vielleicht gestritten werden. Was ihn nicht weiter beschäftigt, für ihn bleibt es ein neues Genre, in das er schon immer mal eintauchen wollte. Er war dazu bereit, Vieles auf sich zu nehmen, Vieles schrieb er, was er niemals so erleben wollen würde, Vieles, was er genauso zu gerne für einen kurzen Augenblick sehen oder genauso erleben möchte.

Leicht war es nicht und es wurde seine bisher größte Herausforderung. Wirft doch jeder Satz, den man mit dem Gedanken an die Zukunft niederschreibt, Fragen über Fragen auf. Fragen, denen man nicht ausweichen kann. Fragen, die einen immer wieder aufhalten, weil man sie eigentlich beantwortet haben möchte. Fragen, die gut überlegt als beantwortungswürdig erkannt werden müssen. Letztendlich Fragen, die nicht der Autor sich beantworten möchte, nur der Leser mit großer Wahrscheinlichkeit gerne beantwortet haben will und sie sich auch beantworten kann, ganz nach seinen eigenen Vorstellungen, wenn der Autor keine Antworten auf die Fragen des Lesers geliefert hat.

Hmmmm, die Fantasie des Lesers ist also durchweg gefordert. „Die Zukunft ist ein unerschöpflicher Fragenkatalog, der keine realen Antworten parat hält.“ Jede Minute, die vor uns liegt, ist nur bedingt vorhersehbar, aber noch nicht erlebt. Die gängige Antwort lautet am Ende schlicht: „Ich hab es kommen sehen.“ Allerdings ist diese Feststellung nur Zeit eines Lebens anwendbar, alles was darüber hinaus geschieht?

Der Leser ist also eingeladen, einfach mal ein bisschen mit zu spinnen, um das Unmögliche zu analysieren. Und insgeheim kann er versuchen, die wahnwitzigen Worte des Autors empörend, erschreckend, lachend und kopfschüttelnd zu widerlegen. Die für ihn unvorstellbaren Schönheiten der Zukunft genießen, eventuell Diskussionen mit Freunden entfachen, den Autor als totalen Spinner oder genialen Geschichtenerzähler wahrnehmen.

Dem Autor ist alles Recht und dieser erhofft sich nur, einem gewissen Unterhaltungswert genüge getan zu haben. Er hat es also gewagt, sich eine Zukunft vorzustellen, wobei ja mancher heutzutage daran zweifelt, dass es für die Menschheit überhaupt eine geben wird. Aber egal, ob diese Vorstellungen zutreffen werden oder nicht, der heutige und sicher auch der zukünftige Leser werden sie wohl so nicht erleben müssen.

Und wenn er sich schon die Mühe gemacht hat, diese irre, weitaus surreale Zukunft zusammenzuspinnen, dann besteht er darauf, es so zu tun wie er es möchte.

Vielen Dank und gute Unterhaltung.

Käpt'n Seifert erwacht am Mittwochmorgen, 14. Mai 2373 …

John Kincade mit seinem Welterfolg „Dreams Are Ten A Penny“, ein steinalter beschwingter Hit aus den 80ern des letzten Jahrtausends, weckten den fast 21-jährigen Mario Seifert morgens um 0600. In bester Qualität werden diese, heute nicht so sehr beliebten Töne der damaligen Zeit in der gesamten Wohnung leise aber doch laut genug dargeboten, um ihn schwungvoll zum Aufstehen aufzufordern. Sein Freundeskreis hat wenig Verständnis für seinen komischen Musikgeschmack, was Mario aber nicht die Bohne interessiert.

Und noch während er sich aus dem Bett dreht, sprach er verschlafen knarzig: „Fenster klar und öffnen, lass frische Luft rein, du Luder.“

Wie von Geisterhand wandelte sich das tiefe Schwarz der computergesteuerten, glasähnlichen Fensterscheibe gemächlich in ein immer heller werdendes Tageslicht, während sich das wandgroße Fenster langsam öffnete, indem es lautlos zur linken Seite hin im Mauerwerk verschwindet. Das sommerliche Morgenrot zeigte sich gerade über den Dächern der Stadt, sendete schon etwas Wärme in den Raum, als der strohblonde, muskulöse, sportlich schlanke, 1,78 Meter große Mario wie Gott ihn schuf aus dem Bett stieg. Verschlafen trat er an den Rand des Abgrunds in der zehnten Etage seines Wohnkomplexes vor das offene Fenster, das halbhoch mit einem ebenfalls glasähnlichen Geländer gesichert war.

Mit gestreckten Armen dreht er sich hin und her, blickt sich streckend in die Ferne, um einfach mal so gähnend klingend hinaus zu brüllen: „Good Moooorning Berliiiiin“, während er aus seinem strammen nackten Hintern ordentlich knatternd einen fahren ließ, der ihn wohl schon die ganze Nacht geplagt hatte, unbedingt seine Freiheit suchte und dieser nun endlich folgen konnte.

Er wurde am 21. September 2352 hier in Berlin geboren und in einem genussvollen längeren Augenblick verharrte er, wie schon so oft fast an jedem Morgen, tief durchatmend an dieser Stelle, um all das viele Schöne auf sich wirken zu lassen. Lobte still in sich gekehrt mit einem schweifenden Blick sein wunderschönes Berlin, all das Großartige, was diese Stadt zu bieten hat. Alle möglichen Arten von Vögeln waren schon am Rumschwirren, am Pfeifen und Singen und morgendliche Stille herrschte auf den satten, grün bewachsenen Fluren der Stadt. Eine Weltstadt mit etwas über 6 Millionen Einwohnern, deren Straßen und Gassen einst, ca. dreihundertfünfzig Jahre zuvor, noch von, man nannte sie Autos, Bussen und Lastwagen, befahren waren. Diese waren damals so zahlreich, dass man lebende Organismen, Menschen und Tiere, die einst hin und her, kreuz und quer unterwegs waren, gar nicht mehr wahrnahm, wenn man diesen beängstigenden Umfang an Bewegung erblickte, weil das alles nun mal genau so normal war.

Ständig schwelgte er in Gedanken in dieser Epoche, die er so gern erlebt hätte, liebte er doch die alten, längst vergangenen Zeiten, Tatsachen und Dinge, über die sich Mario immer wieder und mit weiter bestehender Neugierde informierte, auch wenn sie fast unvorstellbar weit vor seiner Geburt geschahen. Wie ein paar andere Menschen, allerdings nur wenige aus seinem Bekanntenkreis, von den Ägyptern und Römern fasziniert sind, ist er von dieser Zeit, die gerade erst 350 Jahre zurückliegt, geradezu besessen. Viele seiner Freunde belächeln sein Hobby, einige lieben es, wenn er in seinen Märchenstunden davon erzählt, wieder andere sind genervt, wenn er aus diesen vergangenen Zeiten, die er nicht einmal selbst erlebt hat, klugscheißerisch berichtet, als wenn er doch dabei gewesen wäre.

All die Dinge und Geschehnisse, die ihn vor allem am Abend vor dem Einschlafen in Trance versetzen und Träume wach werden lassen, wenn er sein Schlafengehen mit einem uralten, leider digitalisierten Buch abschließt, indem er hin und her wischend auf seinem Tablet auf der Suche nach diesen historischen Zeiten blättert, zu oft ermüdend davon lesen konnte, wie das damals alles war und darüber hinaus schon etliche Male mit diesem Gedanken, diesem Trance, in den er sich hineinliest, sich leibhaftig in dieser Zeit befindet, mit alldem dann doch eingeschlafen ist.

Manchmal wünscht er sich, wenn er sich so extrem in diese Zeiten hineinversetzt, dass sich an einem Morgen wie diesem das Fenster öffnet und nur in einem kurzen Augenblick alles so vor ihm erscheint, wie es einst gewesen ist. So richtig, mit allem Drum und Dran möchte er sein Berlin von damals erleben. Mit all den Bewegungen, den Geräuschen, das Alltägliche, das Leben und das Getümmel, selbst den Gestank, den es einst gegeben haben soll, würde er dafür in Kauf nehmen. Vielleicht jeden Morgen eine andere Zeitepoche und die dürfte gern schon im Jahr 1973, also vor 400 Jahren anfangen.

Erst gestern vor dem Einschlafen las er wieder davon. So stand in einer Biografie geschrieben: „… während Rolfi seinem Frauchen einen großen Haufen vor die Füße schiss, blätterte Reni in den Stellenanzeigen der frisch gedruckten Tageszeitung.“ Und dieses Geschehen plagte ihn dann geradezu die ganze Nacht, das war ihm auf einmal fast zu real. Denn dieser Augenblick erschien dann auch noch bildlich vor seinem geistigen Auge, er hörte das Rascheln des Zeitungspapiers und glaubte, Rolfis Hundehaufen zu riechen. Dieser Akt der tierischen Erleichterung im Jahr 1973 schüttelte ihn sogar und Ekel machte sich breit in seinem Bett, auch wenn es so unfassbar weit entfernt liegt von seinen Vorstellungen, dass dies in diesen Zeiten genau so geschehen ist. Das Zigmillionen Hundehaufen tagein, tagaus irgendwo in dieser Stadt, nein auf der ganzen Erde auf deren Straßen und Gehwegen landeten, während danebenstehende Menschen in Zeitungen blätterten.

Literatur aus dieser Vergangenheit gibt es zuhauf in digitalen Formen, Literatur, die in ihrer Art und Verwendbarkeit der neuen heutigen Zeit angepasst ist. „Read out“ nennt sich dieses Programm und mit ein paar Berührungen, Sprachbefehlen und Blicksteuerung wird das nur wenige Gramm schwere Tablet aufgefordert, das gewünschte Werk sogar vorzulesen. Man wählt seine favorisierten Vorleser je nach Belieben und Geschichte, sogar die passenden Stimmen. Und natürlich gab es diese, damals sagte man Hörbücher dazu, schon seit Ewigkeiten. Mario beschäftigt dabei schon immer der Gedanke, warum denn noch immer Hörbücher notwendig sind, gibt es doch schon seit Ewigkeiten keine Gehörlosen oder blinden Menschen mehr. Schließlich bleibt ein Buch doch einfach nur ein Buch, was man doch ausschließlich zum Lesen erfunden hatte. Sogar Kindern wurde aus Büchern vorgelesen, und das über Hunderte Generationen hinweg, derweil die Thematik der Bücher immer anders war. Das später bekannte Buch speziell für Kinder erlebte seinen Höhepunkt dann ab dem 19. Jahrhundert. Bedauerlicherweise wurde es wie eine Scheibe Brot, auch so ein Ding von damals, nach und nach vergessen.

Heute fehlt den meisten Menschen selbst die Vorstellung von einem echten Buch, so richtig aus echtem Papier, einem Umschlag oder Einband. Man konnte es in den Händen halten und daran riechen, man konnte durch Körperaktivität etwas umblättern und es Tausende Male noch einmal lesen.

Werner Schwarz, 1961–2042.

Sein einziges Werk in echter Buchform, also noch auf echtem Papier gedruckt, das er in seinen jungen Jahren für sehr viel Geld erstehen konnte, ist sein ganz persönlicher antiquarischer Schatz, den er ganz vorsichtig behandelt und niemandem erlaubt, ihn zu berühren. Diese so seltene Ausgabe mit dem Titel SCHLECHTWETTERZONEN aus dem Jahr 2018 vom Autor Werner Schwarz wäre im Buchhandel, wenn es noch einen gäbe, sicherlich aufzufinden. Dieser Autor von damals war ebenfalls ein waschechter Berliner, der vom 24. Dezember 1961 – 6. April 2042 lebte und im Rentnerkrieg, der nur von Januar bis April 2042 dauerte, gefallen ist.

Der Rentnerkrieg 2042 …

Elli, die Ihr noch kennenlernen werdet, hat Mario diese Geschichte erzählt, als sie mal wieder über ihn sprachen, fand dazu etwas in ihren Archiven. Das Land hatte erneut, kurz gesagt, die Rechnung ohne den Wirt gemacht, dachte, das minderwertige Rentnerpack, egal ob weiblich, ob männlich wird schon seit Ewigkeiten, unterdrückt, verarscht, belogen, vernachlässigt, misshandelt und betrogen, das lässt sich weiter und weiter so beibehalten. Der passive Widerstand bestand anfänglich wie es immer so ist, aus leisen Demonstrationen, eher Schweigemärschen. Das veränderte, wie es nicht anders zu erwarten war, gar nichts. Eine kleine Schlagzeile in den Tageszeitungen, gleich neben den Ergebnissen des dritten Spieltages der Regionalliga.

Das Berliner Stadtblatt vom 12. April 2042.

Dennoch wurden es mehr und mehr Demonstrierende, die Märsche wiederholten sich und es zeigten sich die ersten Transparente und Spruchbänder, auf denen unter anderem prägende und aussagekräftige Worte standen, wie: „Nieder mit der Diktatur, Freiheit für die Rentner“; „Wir haben unsere Schuldigkeit getan, jetzt seid Ihr dran“; „Wir fordern mehr Respekt vor dem Alter“; „Kleine Renten, kurzes Leben, mit uns nicht“; „WIDERSTAND“. Und es vermehrten sich Sprüche von Rentnern, die aus den unteren sozialen Schichten hervorgekrochen sind, deren Sprüche lauteten dann: „FUCK YOU CORRUPT BASTARDS“; „WENN ICH STERBE, DANN MIT EUCH“; „AN DIE WAFFEN IHR HELDEN DER VERGANGENHEIT“: NIE WIEDER DIKTATUR“ und andere Parolen an Rollstühle und Rollatoren geknotet, mit Gehstöcken und Krücken bewaffnet zogen kleine Gruppen durch ein paar Städte dieses Landes und Schwarz mittendrin. Und es wurden immer mehr, so viele, dass die Heerscharen der männlichen und weiblichen staatlichen Sicherheitskräfte begonnen haben, die alten Leute mit Gummiknüppeln zu verprügeln, Tränengas und Wasserwerfer einsetzten. Es gab die ersten Schwerverletzten, Männer und Frauen im Alter zwischen 65 und 93 Jahren starben und man sagte, es war deren Alter geschuldet.

Doch der Widerstand hörte nicht auf, im Gegenteil, die alten Knochen Tausender alter Menschen wurden wieder lebendig, hatten ein für alle Mal genug von der ignoranten Politik, Renten- und Krankenkassen, die ihre Medikamente nicht mehr bezahlen wollen, Finanzämter, die ihre kläglichen Renten auch noch besteuerten, von diesem Leben in Armut, in schlecht geführten Altenheimen, Pflegeheimen, die ihnen keinen Euro für eine Tafel Schokolade ließen, schlecht bezahlte und überforderte Pflegekräfte, die sie der Not gehorchend vernachlässigten, einige sie schlugen, mit Medikamenten in ihrem widerlichen Kamillentee einfach nur das Maul stopften.

Die Medien zeigten sich anfänglich interessiert, ergriffen Partei für die Rentner, verstummten aber, je mehr sich dieser Widerstand ausweitete. Sie hatten, so wird vermutet, ein staatlich angeordnetes Verbot erhalten, weiterhin darüber zu berichten, damit nicht noch mehr Rentner von dieser Aktion erfahren und sich dem Mob anschließen. Rentner mögen alt und klapprig sein, die meisten davon sind dennoch sehr gebildet und lebenserfahren, waren internetkompatibel und in der Lage, sich weltweit zu vernetzen.

Die Welle des Widerstandes schwappte in weitere Städte, letztendlich in andere europäische Länder über. Die Demokratie in diesem Land hatte im Allgemeinen ihren absoluten Tiefpunkt erreicht. Zu viele Menschen waren durchweg unzufrieden, wurden Marionetten der Macht und des Alltags. Und jetzt müpfen auch noch die Rentner auf. Das galt es unbedingt zu unterbinden, bevor diese Demonstrationen in den anderen, kopfnickenden und schweigenden Bevölkerungskreis doch noch überschwappen und sie solidarisch den Rentnern zur Seite stehen.

Und als der Staat drohte, daran zu kollabieren, ließen sie auf diese Rentner schießen, putzten ein paar dieser aufrührerischen Ausgeburten einfach weg. Bauernopfer wurden Schwarz und noch ein paar andere, die halt dann als „Opfer einer völkerrechtswidrigen Demonstration“ der Öffentlichkeit präsentiert wurden. So endete sein Leben dann doch im Kampf gegen die Ungerechtigkeit, ein Kampf, den er als Individuum verloren, aber auf seine Einstellung bezogen gewonnen hat. Märtyrer wurde keines der damaligen Opfer. Nach der großen Schießerei im April 2042 endeten alle Bemühungen, etwas für die Rentner in diesem Land zu verändern, kläglich. In Vergessenheit sollte diese kurze Episode dennoch nicht geraten und so lange es noch Rentner gab, die diesem Widerstand beiwohnten, gedachten sie jedes Jahr am 6. April den Opfern dieses Rentnerkrieges. Klar, dass sich das längst erledigt hat nach 331 Jahren.

Heute befinden sich neben seinem Exemplar vom Autor Schwarz nur noch wenige davon in den Archiven und Museen, absolut unerreichbar für schmutzige Menschenhände. Nur mit feinen dünnen Schutzhandschuhen und Staubmaske vor dem Gesicht nimmt er manchmal sehr vorsichtig dieses kostbare Stück heraus aus dieser unzerstörbaren, luftleeren und Temperatur geregelten Aufbewahrungsbox. Sie ist UV-neutral innenbeleuchtet und nicht viel größer als das Buch selber, ist fest verschlossen in diesem Plexiglas ähnlichen Safe. Gut sichtbar präsentiert sich das Ganze auf dem Sideboard in seinem Wohnzimmer. Die wenigsten aus seinem Freundeskreis teilen seinen komischen Fetisch, wie sie seine Vorliebe für so Altes bezeichnen, haben kein Verständnis für sein ungewöhnliches Hobby, sie verstehen halt einfach nicht, was Mario daran finden kann. Daher dürfen seine Gäste auch nur von oben hineinblicken in diesen ungewöhnlichen, kleinen lichtdurchfluteten gläsernen Sarkophag, in dem nur dieses eine, aber echte Buch liegt.

Manchmal, wenn kein anderer im Haus ist, kann er einfach nicht anders. Dann zieht er wenigstens einen Handschuh aus, um gaaanz vorsichtig streichelnd das Papier zu fühlen, auf dem all diese Worte gebannt sind. Hebt seine Maske etwas vom Gesicht, um mal wieder tief einatmend an diesem schon etwas muffigen Papier zu riechen. Sehr selten nimmt er dieses Original zur Hand, um ein wenig darin zu lesen, zu groß ist seine Angst, dass sein Schatz Schaden nehmen könnte. Gelesen hat er alles von diesem Schwarz, gibt es doch alles im Read-Out-Programm. Blöderweise lässt sich damit die innige Bindung zum Autor und seinen einst handgeschriebenen Werken einfach nicht so richtig wecken. Seine Bindung zu diesem Schriftsteller ist auch nachvollziehbar. So ist Schwarz seines Erachtens nach einer der besten Autoren, der autobiografisch aus der vergangenen Zeit über einen Beruf berichtete, mit dem sich Mario heute aktiv rumschlagen muss, denn auch Werner Schwarz war damals vor 350 Jahren Kapitän in der Binnenschifffahrt. Dieser befuhr damals ebenfalls den Rhein, der heute aber ganz anders aussieht. Aber das, was es heutzutage gibt, ist nun mal real und hat nicht mehr viel mit dem Inhalt des Buches von damals zu tun.

Irgendwie mag er ja alles so, wie es jetzt 2373 ist, all das auch so platzsparend, wenn er daran denkt, wie sehr alle Bücher, die er schon gelesen hat, seine Wohnung im extremsten Maße einengen würden. Read out ist definitiv eine tolle Erfindung, bietet so viel Realität beim Lesen, es geschieht das, was man hört, man ist mitten drin im Geschehen. Das ist so dermaßen perfekt, dass man nach optischen Darbietungen gar kein Verlangen mehr hat. Menschen wurden extrem audiophil in den letzten Jahrhunderten, nicht nur einer, sondern alle.

Die besten High Resolution Audio Soundanlagen gibt es mittlerweile seit Gedenken der Menschheit. Diese sind Mietbestandteil in jeder Wohnung dieser Stadt, Lautsprecher sind unsichtbar in der ganzen Wohnung in ausnahmslos allen Räumen strategisch sinnvoll implementiert, selbstredend ganz simpel sprachgesteuert, der Mieter spricht nur seinen Befehl, egal in welchem Raum er sich befindet, und sein Wille geschieht. Eine der großartigsten Erfindungen aller Zeiten, da auch das Umfeld und die akustischen Geschehnisse aus diesen vorgelesenen Werken sehr eindrucksvoll klingen. Man ist mittendrin im Geschehen, die Wahrnehmungen fühlen sich absolut real an.

Da bleibt kein Wunsch verborgen, alle historischen Klänge, Laute aus dem damaligen Alltag werden originalgetreu wiedergegeben. Geräusche, die es zum Teil seit Jahrhunderten nicht mehr zu hören gibt, Straßenlärm, brummende Motoren, hupende Autos, penetrierende Menschen, heute gar nicht mehr vorstellbar, Flugzeuge, die mit schreienden Düsen angetrieben wurden, Züge, die auf Schienen fuhren, die mächtigen Motoren eines Schiffes, Menschen, Meeresrauschen, Wind, Donner, alle Tiergeräusche, die es jemals auf diesem Erdball gegeben hat, alles zur richtigen Zeit im richtigen Absatz machen solch eine Vorlesung zu einem fast realen Erlebnis.

Seit kurzem gibt es mit einer entsprechend höheren oder weiteren Investition eine Erweiterung in dieser wohnungsinternen Soundtechnik. Jetzt lassen sich mit dieser Erweiterung, die sich „Smell mode“ nennt, sogar Gerüche in die Vorlesung einbringen. Der Kaffee heute wird von seinem PNS73/6 (Proper Nutritional System für 6 Personen) serviert, kein Mensch trinkt heute noch Kaffee aus Bohnen. Düfte und Gerüche aus Kochtöpfen, nur in historischen Museen gibt es noch Töpfe zu bestaunen.

Und das Beste, man kann sogar das riechen, was man damals so alles auf den Straßen riechen konnte. Gerüche und natürlich auch Gestank, die es zum Teil ebenfalls seit Hunderten Jahren nicht mehr gibt. Das hat Mario zu seinem Ärgernis leider nicht integriert in seine schon 10 Jahre alte Technik. Aber auf seinem nagelneuen Schiff, auf das er heute nach einem längeren Lehrgang und seiner Freischicht wieder zusteigen soll, der TMS ESC-T-2373, Baujahr 2373, da gibt es das alles. Er ist richtig hibbelig, heute wieder an Bord zu dürfen. Na ja, und ein Freund von ihm, der hat dieses Smell-Mode-System einbauen lassen und nur aus diesem Grund weiß Mario, wie gebrannte Mandeln duften, Abgase stinken, ein Döner riecht, etwas, was die Menschen vor allem in Berlin jahrzehntelang an allen Ecken auf den Straßen in der Hand gegessen haben. Unfassbar, die haben Tiere in Scheiben geschnitten, durch einen Fleischwolf gedreht, auf einen Spieß gesteckt, gebraten und dann gegessen. Wie widerlich unsere Vorfahren damals waren.

Elli, Marios PLS, sein Private Life Support und der HPC …

Schon seit über hundert Jahren, auch bei seinen Eltern, deren Eltern und davor auch schon, werden allen Babys dieser Erde Chips hinter das linke Ohr implantiert. Ein mikroskopisch kleiner Hochleistungscomputer oder „High Performance Computer“, kurz HPC, wissenschaftlich HPC210952/02:59/MS/29 genannt. Das ist ein Ding, das einfach jeder Mensch in der Birne hat und nach wie vor sein Leben als Mensch weiter lebt, macht also menschliche Fehler, menschlich komische Dinge und spricht menschlich fragwürdige Worte. Er ist eben noch immer nicht perfekt. Diese Redewendung, „Du hast wohl 'nen Vogel“, wenn mal jemand eine der vielen guten und schlechten menschlichen Eigenschaften an den Tag legt, liegt in der Tatsache recht viel näher als vor Hunderten von Jahren. Manche Menschen sagen dann heute: „Du hast wohl 'ne kaputte Leitung in Deinem HPC“, oder, „Geh Updaten, Du Knaller, je nach dem, in welchem Umfeld man sich gerade aufhält.

Er ist nicht viel größer als ein Stecknadelkopf, der enorme Möglichkeiten beinhaltet. Ein kleines putziges Ding aus der Mikrotec-Biologie, das den Menschen ein Leben lang bis zu dessen Tod, der in weiterer biologischer Verwendung als Organspender dient, nonstop aktiv ist. Erst dann wird der HPC, in Marios Fall Typ E210952/02:59/MS/29, dem Körper wieder entnommen. Detailliert zeigt diese Nummer: E für Europa, das Geburtsdatum und die Geburtszeit, die Anfangsbuchstaben seines Namens und die 29 steht für die 29. Person, bei der die Anfangsbuchstaben des Namens MS lauten. Die gespeicherten persönlichen Daten des verblichenen Menschen werden auf einem Zentralrechner archiviert, weil sie eventuell eines Tages für die Zukunft wichtig werden könnten. Der dann formatierte und aktualisierte HPC wird einem anderen Neugeborenen implantiert. Die benötigte Energie filtriert das putzige Ding aus den Körpersäften der Menschen, ist somit ein Leben lang immer gut mit Strom versorgt. Er ist so gesehen wartungsfrei und wird nur noch von außen durch diverse Scann-Vorgänge und automatisierte Updates immer auf dem neuesten Stand gehalten.

Ab dem Tag der Implantierung ist jedes Baby mit seinen Private Life Support dem PLS gekoppelt, der nun das Leben des Heranwachsenden durch absolut alle Lebenssituationen hindurch begleitet, seinen Menschen besser kennenlernt als jeder andere. Den ersten Schrei des Kindes haben und werden weiterhin nur die Eltern des Kindes hören, auch haben die Eltern die Entwicklung und Erziehung des Kindes in der Hand, stehen über dem PLS, können ihn auch verbal deaktivieren. Ein Befehl, der über allen anderen Befehlen steht. Erst wenn das Kind das 12. Lebensjahr erreicht hat, also volljährig ist, kann das Kind den Eltern diesen Zugriff entweder verweigern, eingrenzen oder komplett annullieren. Mario hat es, wie die meisten seiner Freunde, so hinterlegt, sollte er aus irgendeinem Grund, medizinisch oder geistig, in ein Problem geraten und selber nicht mehr agieren können, tritt seine Elli automatisch an seine Eltern heran.

Dieses allgegenwärtige, unsichtbare PLS ist ein hyperintelligenter lebensbegleitender Lehrmeister, hilft bei der Erziehung, unterstützt die schulische Bildung, deaktiviert sich aber von selber, wenn das Kind eine Schule betritt. Sie können absolut alle Fragen beantworten und Ratschläge geben, die der Mensch nicht unbedingt befolgen muss, müssen sich aber dann von ihrem PLS die Konsequenzen anhören. Es lehrt Anstand und Werte und formt diese Symbiose mit jeder Sekunde des Zusammenlebens weiter und weiter. Letztendlich ist der PLS die Megaverbindung zu absolut allen technischen und elektronischen Gerätschaften, die ein Mensch für ein leichtes und problemloses Leben benötigt. Die Ausfallquote liegt bei unter 0,123%.

Die Grundidee bestand einst im Jahr 2140 darin, dass alle Menschen gleich eine ausgewogene Bildung erhalten sollen, was nichts mehr mit arm oder reich zu tun haben darf. Es gibt keine Armut mehr und alle Menschen sind, wenn man so will, fast gleich reich. Zig Billiarden Daten und technische Raffinessen gibt es, aber es gibt keine Billionäre, Milliardäre nicht einmal mehrfache Millionäre mehr. In diesem Jahrhundert sind sich alle Menschen so ähnlich, wie sie noch nie vorher gewesen sind.

Marios PLS, die Elli, kennt ihn also wie kein anderer, agiert manchmal mütterlich, manchmal dominant, doch meist als beratender Freund, der immer und ewig in allen Lebensabläufen imaginär an seiner Seite steht. Durch die über Jahrhunderte gewachsene Holo-Technik kann sich Elli auch selbstständig zeigen, sich sichtbar machen. Sie erscheint dann geradezu realistisch und da flimmert und wackelt nichts mehr, wenn sie erscheint. Und doch kann man durch sie hindurchschreiten. Sie ist dann so real, wie man sich Menschen nur vorstellen kann. Am liebsten mimt sie dann die Mutterrolle, mit Schürze, hin und wieder mit Lockenwickler in ihren Haaren, so farbig, wie es ihr gefällt. Kennt natürlich Marios Hang zur alten Geschichte, weiß auch, dass Lockenwickler und Schürze vor hunderten Jahren ein alltägliches Erscheinungsbild von Müttern und Hausfrauen waren.

Elli, Marios PLS, sein Private Life Support, ist in der Regel unsichtbar.

Nicht selten erscheint sie auch, wie es nur Mario beliebt, wenn es zum Beispiel etwas Hochinteressantes, aber Schwerwiegendes zu diskutieren gibt. Dann möchte er gern, dass sie sich ihm gegenüber sitzend zeigt. Und da Elli über eine riesige Datenbank verfügt, was das Aussehen der Menschen seit Beginn der Evolutionsgeschichte betrifft, zu alldem auch noch mit einem Übermaß an Humor ausgestattet ist, wird es neben vielen ernsthaften Debatten oftmals auch sehr lustig. Der Spaß-Modus kann mit einem Befehl vom Menschen in diverse Stufen eingestellt werden, Minimum 1 bis Maximum 10. Von 10 ist allerdings abzuraten, denn dann lacht der PLS wegen absolut jedem Mist laut und schallend. Man spricht dann vom „Lachgas Effekt“, Menschen, die sogar dann noch lachen, wenn man ihnen eine Hand abhackt.

Elli ist auf Stufe 5 eingestellt, das ist ein durchaus menschlicher und erträglicher Humor eines zufriedenen Durchschnittsmenschen. Sprechen sie über Dick und Doof, zwei Komiker aus den 1930 Jahren, dann taucht sie auch gerne mal erst als Dick und dann als Doof auf. Sprechen sie über Technik, mimt sie recht gerne einen kohleverstaubten Heizer eines Dampfschiffes von 1887, betrifft das Thema Medizin, erscheint sie als allwissender Professor im weißen Kittel. Tausende Diskussionen haben sie so schon geführt und allen Kindern dieser Erde wird so die bildliche Vorstellung der Vergangenheit übermittelt. Gibt es besondere menschliche Dinge, die Mario in Erfahrung bringen möchte, geschieht das durch einen Sprachbefehl, den er einfach ausspricht, wie Elli zu erscheinen hat.

Elli ist so extrem vermenschlicht, dass sie sogar Meinungen zu ihrem Aussehen und Outfit ausspricht. Etliche Geschichten dafür gibt es. Mario interessiert das heutige Geschehen, das Jahr 2373 nicht wirklich, er muss gelegentlich damit leben und er tut es gerne. Die Vergangenheit ist viel unterhaltsamer und da er sehr belesen ist, kommt er manchmal auf die blödesten Ideen. Zum Beispiel hat er Elli mal als Mutter Theresa verlangt und das ausgerechnet, als er unbedingt wissen wollte, wie genau damals ein sogenannter Quickie in den Büschen abgelaufen ist.

Elli empörte sich darüber und sprach am Ende des erotischen Referates: „Kann ich jetzt wieder weg, Mario, ich denke, Du hast genug gelacht.“

Zu gerne nutzt er diese fantastische Erfindung, um sich zu informieren, aber auch zu amüsieren. Elli mit ihrem sehr ausgeprägten humoristischen Charakter hat an vielen bekloppten Spielereien ihren Spaß, ist auch in der Lage, schallend darüber zu lachen. Diverse Späße hatten sie in all den Jahren und werden sie weiterhin haben. Alles ist mehr oder weniger von der Tagesform abhängig. Zu, na ja, 80% unterhalten und funktionieren sie imaginär, streiten sich auch manchmal. Elli lehrt und berät ihn über alle Facetten des Lebens, seinen Anforderungen nach, egal ob schwer oder einfach, und kann absolut alle Fragen beantworten. Auch die, die ein Mensch sich nicht einmal mehr stellen kann, weil es einfach zu unglaublich ist, wie so Vieles einst gewesen ist. Sie ist unsichtbar und allgegenwärtig, kann mit Mario durch diesen Chip, ohne einen Schalter umlegen zu müssen, auch lautlos kommunizieren, Mario spricht dann nur, „Elli, be silent“, und schon hört keiner mehr, was Elli ihm erzählt.

Mit den besten Rechenzentren der Erde sind diese PLS über Satelliten vernetzt, ihre Bandbreite an Wissen ist unerschöpflich. Sie sind Technikerin, Pilotin, Kapitänin, Wissenschaftlerin, Ärztin, Seelsorgerin, Bewacherin, Beschützerin – einfach alles, was das Leben vereinfachen kann. Nur tatkräftig oder körperlich aktiv können sie nicht werden. Alles, was getan werden muss, können sie nur empfehlen, anleiten und raten, tun müssen die Menschen noch immer alles selber.

Aber es ist doch nicht schlecht, wenn Elli morgens sagt: „Mario, zieh Dir andere Schuhe an, es wird Regen geben“, oder, „Unter diesen Umständen ist in 29 Stunden und 37 Sekunden mit einer Erkältung zu rechnen.“ Beide gehen durch dick und dünn, gehen manchmal sehr herzlich miteinander um, manchmal beleidigt und bockig, beschimpfen sich und geben sich böse Namen, wenn es hin und wieder zu viel wird. Kurzum, wenn man sich so viele Jahre kennt, dann weiß ein jeder sehr gut, was er vom anderen hat.

Diese Erfindung funktioniert hervorragend und die innigen emotionalen Bindungen zwischen Mensch und seinem PLS werden, weil er eben Mensch ist, nur von ihm so wahrgenommen und empfunden. Was nicht immer so ganz einfach ist, da Elli alles, was sie von sich gibt, nur aus irgendwelchen Daten zusammenträgt, es hervorragend real und rhetorisch wiedergibt und wenn man es genau nimmt, in Wirklichkeit so emotional ist wie eine Saftschorle. Wie es auch sei, sie ist durch und durch rational und absolut perfekt, immer das Richtige zur richtigen Zeit vermittelt und all das funktioniert durchweg hervorragend.

Wie Mario zur Binnenschifffahrt kam …

Diese Wohnung, in der er seit fast 8 Jahren allein lebt, haben ihm seine Eltern überlassen. Und diese Geschichte, die sein Leben massiv veränderte, ist absolut irre. Seine Eltern hatten größeres mit ihm vor, auch er sollte einmal ein Professor Dr. Seifert werden. Vater Alexander ist Professor der Mikrobiologie, seine Mutter Professorin der Kernfusionstechnik. Sie sind beide vor sieben Jahren nach Australien ausgewandert und während Papa neue biologische Errungenschaften umsetzt, baut Mutter Petra mittlerweile den siebten Kernfusionsreaktor in der Australischen Wüste. Sie haben hin und wieder nur via Monitor oder seinem privaten Tablet Kontakt, was der vielen Arbeit geschuldet ist. Mario ist hier in Berlin geboren und seine Eltern haben diese Wohnung viele Jahre vor seiner Geburt erworben.

Auch sein Vater hat geradezu einen Fetisch gegenüber der menschlichen Vergangenheit, was wohl auf Mario übergesprungen ist. Und als er diese Wohnung kaufte, fand er in diesen ihm übergebenen uralten Unterlagen den Namen von diesem Mann, Werner Schwarz, der genau hier, eigentlich an dieser Stelle ab 2013 bis zu seinem jähen Ende gelebt hat. Er konnte erlesen, dass dieser Schwarz Kapitän in der Binnenschifffahrt gewesen ist und schriftstellerisch tätig war, hat weiter recherchiert und kam so an die Werke dieses Mannes, die er und sein Sohn Mario leider nur elektronisch verschlungen haben.

Das Gebäude dazu besteht nach 350 Jahren natürlich nicht mehr. Aber diese einstige Chaosstadt Berlin hat sich bei der größten Baureform aller Zeiten im Jahr 2262 dazu entschlossen, alte überlieferte Baupläne neu zu aktivieren. Sie wollten ihre Stadt so wieder haben, wie sie einst vor den vielen Kriegen gewesen ist. Das Problem mit der Bevölkerungsexplosion ließ das Originalgetreue dann aber doch nicht zu. Nur sechs, vielleicht sieben Etagen? Vollkommen hirnrissig, so kleine Häuser zu bauen. Und so entstanden nach und nach im Verlauf von über hundert Jahren in der ganzen Stadt, vor allem im Stadtkern, diese massiven und unzerstörbaren Häuser, wie sie es jetzt sind. Es wurden grundsätzlich ganz normale Hochhäuser, natürlich sehr modern und mit allen Raffinessen ausgestattet, mit dem, was halt jetzt, 2373, normal ist.

Menschen wurden dazu umgesiedelt und ganze Stadtteile in einer Abrissaktion dem Erdboden gleich gemacht. Allein das dauerte mehrere Jahre. Krachend und knirschend wurde jeder Stein wieder zu sandigem Füll- und Baustoff umgewandelt. Mehrere Quadratkilometer große, brache Landschaften voll Staub und Dreck zeichneten das Stadtbild. Mario kennt diese Mondlandschaft nur von Bildern aus den für Menschen zugänglichen Archiven. Hier, wo sein Haus jetzt steht, hätte er mit einem Blick von der Yorckstraße über den Landwehrkanal, den man nur schiffbarer gemacht hatte, bis zum Potsdamer Platz blicken können. 90 Meter tief wurde alles entfernt, was den alten Zeiten dienlich war. Und es wurde gebaut, dass sich die Balken bogen.

Fassade Berlin anno 2022.

Dieses Haus, die Yorckstraße 78, das als eines der letzten erst 2344 gebaut wurde, wurde noch 10 Etagen hoch gebaut. Alles, was danach errichtet wurde, hatte dann schon 15 und 20 Etagen. Die Stadterweiterung in den zig Kilometer entfernten Neuansiedelungen, da stehen sogar Hochhäuser mit 60 Etagen, die sicher 150 Meter hoch sind.

Die Verwendung der alten Pläne aus dem Historismus und dem Jugendstil, zum Teil von 1840 und ansteigend später bis 1930, wurden letztendlich für einen Teil der Fassaden, zu den Straßen hin für diese Hochhäuser verwendet. Praktisch wurden die Fassaden der alten Zeit reproduziert, originalgetreu nachgestellt mit Baumaterial des Jahres ab 2340.

Fassade Berlin 2373.

Die Fassade des Hauses, in dem Mario also heute lebt, sieht bis zur siebten Etage genauso aus, wie es 1868, als dieses Haus hier das erste Mal errichtet wurde, aussah. Die Stockwerke darüber, über der siebten, den drei weiteren bis zur zehnten Etage, sind mit normalen zeitgenössischen Baustoffen errichtet worden und sehen auch so aus wie heute, eckig, trist, Hochhäuser eben. Seine Lieblingskneipe, das Galander um die Ecke, die wurde etwas abweichend von diesem allgemein üblichen Vorgehen, auch innen gestaltet wie damals, was er sich erst nicht erklären konnte, aber toll fand.

Es ist ihm ein Bedürfnis und eine Ehre zugleich, immer mal wieder Gast in diesem wunderschönen Etablissement, dem Galander, zu sein. Auch wenn er wieder einmal aus Zufall auf dieses unfassbare Phänomen gestoßen ist, ist der gewachsene Zusammenhang geradezu …, nein, es ist absolut irre. Also kein Zufall, vielleicht sogar eine Fügung. Er wusste natürlich, dass auch dieses Gebäude bei der großen Baureform seit dem Jahr 2262 abgerissen und neu errichtet wurde. Und er wusste, dass gerade in diesem Gebäude das Erdgeschoss des Galanderhauses in der Großbeerenstraße außergewöhnlicherweise wieder so nachempfunden wurde, wie es einst gewesen war.

Marios Lieblingskneipe, das Galander, über 350 Jahre Tradition …

Seit vielen Jahren geht er dort ein und aus, nicht regelmäßig, eher spontan. Er findet das Ambiente absolut großartig, spiegelt es doch eine Zeit wieder, die er so gerne erlebt hätte. Auch wenn die sehr vornehm gekleideten Keeper immer wieder überlegen, wenn Mario an ihrem Tresen Platz nimmt, „war der schon mal da oder ist der neu?“, der eine oder andere ihn dann doch wiedererkennt, kann man sich hier einfach nur wohlfühlen. Ein dunkler Tresen mit schweren, aber bequemen Barhockern, absolut real wirkende Kerzen auf der Bar und den Tischen bilden ein angenehmes schummriges Licht, was für das tolle Geschlecht ein übermäßiges Schminken überflüssig macht. Tolle chillige Musik im Hintergrund, nicht so aufdringlich und laut und doch abwechslungsreich. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er sagen, schon beim Betreten des Galander beginnt eine kleine Reise in eine andere Zeit, allein durch den 1920er-Jahre-Charme in diesem originalgetreu neu errichteten Berliner Altbau, der einst ganz bestimmt vor 1900, vor 473 Jahren erbaut wurde.

Auch wenn der Keeper alle Getränke der heutigen und der vergangenen Zeit in einem PNS73/Gastro fertigen lässt, entsteht vor allem für Mario mit seinem Insiderwissen mit nur wenig Fantasie eine Art Werner-Schwarz-Atmosphäre, den man sich in seiner Fantasie hier sitzend, vielleicht schon ergraut, mit seinem Ober- und Unterlippenbart und Brille auf der Nase, durchaus real werden lassen könnte, vielleicht bei einer feinen Zigarette und einem exzellenten guten Whisky. Denn dieser Mann war tatsächlich schon in den Jahren ab 2013 Gast hier.

Erzählt hat ihm davon keiner, die wenigsten kennen diesen Autor, aber klar war, er konnte dieser Wahnsinnstatsache nicht entfliehen, er wäre so oder so irgendwann darauf gestoßen, wo er doch so besessen war von seinem Lieblingsautor. Und der hat in seiner Bücherreihe „Schlechtwetterzonen“ einmal einen Kriminalroman geschrieben, der sich „Im Schatten der Zufriedenheit“ nannte. Mario, der schon zuvor die vorherigen Bücher von Schwarz gelesen hatte, fand den Einstieg in diese Kriminalgeschichte eigentlich gar nicht so schlecht, kannte er doch die Beweggründe von W. S. warum er diesen 500-Seiten-Wälzer so geschrieben hatte. Andere, könnte er sich vorstellen, fänden die Vorgeschichte bis zum Beginn der Kriminalgeschichte vielleicht etwas langatmig. Doch wenn der Leser geduldig bleibt und bis zum Beginn des eigentlichen Romans durchhält, wird er sicherlich mit viel Humor, Spannung und Abwechslung mit einer irren Geschichte belohnt. Aber wie es auch sei.

In diesem Roman aus dem Jahr 2020, der zum Teil in Berlin und auf einem Tankschiff, der TMS ZUFRIEDENHEIT, auf dem damaligen Rhein handelt, benötigte der Autor wie in vielen anderen Romanen anderer Schriftsteller entweder eine Kneipe, eine Lokalität, eine Spelunke oder ein feudales Etablissement. Und jetzt kommt der Hammer. Schwarz hatte schon 2019, als er begann, den Roman zu schreiben, dieses Galander, in dem er damals selbst Gast war, dafür auserwählt, das Galander, in dem Mario heute, 354 Jahre später, sich hin und wieder mit Freunden trifft und einen guten Drink zu sich nimmt.

Und gleich, nachdem er diesen Roman gelesen hatte, dachte er sich: „Das gibt’s doch nicht, das Galander, mein Galander, hier um die Ecke, das gibt es doch heute noch, genau dort wo es Schwarz im Jahr 2019 beschrieben hatte, steht es, gut, zwar neu errichtet, aber es ist noch immer existent.“ Das war an diesem Tage ein Grund, das Galander mal nicht zufällig, sondern gezielt zu besuchen. Er hoffte ein wenig, dass er einen Kumpel antrifft, irgendjemandem musste er jetzt diese verrückte Entdeckung erzählen.

Ein Wochentag, gerade mal 21 Uhr war es an diesem Tag im Jahr 2373, und außer einem Typen, der an einem Tisch mit Tablet im Arm am Lesen war, waren nur er und ein Keeper anwesend. Er bestellte ein frisches Bier, frisch aus dem PNS73/Gastro.

„Sag mal“, sprach er den Keeper damals an, „wie lange arbeitest Du denn schon hier, hab Dich zwar schon paarmal gesehen, aber?“

„Gefühlte tausend Jahre“, lachte er und meinte, „warum fragst Du?“

Und Mario meinte: „Das ist jetzt total bescheuert und es interessiert Dich womöglich gar nicht, aber wusstest Du eigentlich, dass diese Kneipe hier schon seit über 350 Jahren besteht?“

Und der sagte ganz trocken: „Ja klar, weiß ich das, hier hat, warte mal“, zählte er sich an den Fingern ab, „mein Ururururururururururgroßvater so ungefähr in den 2000er Jahren damit angefangen.“

„Ja leck mich doch am Arsch“, konnte Mario nur vor Erstaunen sagen und, “dann bist Du ein waschechter Galander?“

„Ja“, meinte er wieder locker, „ich heiße Tobias Galander und“, zählte erneut mit den Fingern, „mein Ururururururururururgroßvater war der Gründer dieser Kneipe, der Dominik Galander, ich bin die, keine Ahnung“, überlegte er rechnend, „die zwölfte oder dreizehnte Generation, die diesen Laden betreibt.“

Mario musste sich erstmal aufrecht hinsetzen, mit allem hat er gerechnet, damit sicherlich nicht, und sprach total erstaunt: „Das gibt’s doch gar nicht!! Warum ist mir das denn noch nie aufgefallen, da wäre ich ja in 100 Jahren nicht darauf gekommen, verdammte Scheiße, unglaublich!! Ich habe immer geglaubt, die haben das nach der Baureform 2262 nur wegen den historischen Hinterlassenschaften wieder so aufgebaut.“

„Neneeeee“, meinte Tobias, der unbedingt etwas richtig zu stellen hatte. „So war das nicht ganz. Der Vater meines Vaters, der auch Dominik hieß und auch schon in, was weiß ich welcher Generation Wirt hier war, hat dem Abriss und dem Wiederaufbau nur zugestimmt, wenn das Galander erneuert so erhalten bleibt, wie es in seiner Kneipe war und er es weiterhin betreiben darf. Das war 'ne harte Kiste damals. Die meisten Hauseigentümer wurden damals zwangsenteignet, um die Baureform nicht zu blockieren usw. Die Familie Galander pochte nach so vielen Generationen auf Bestandsschutz und dann ist man auf den Protest von meinem, warte mal“, rechnete er wieder, „von meinem Opa praktisch eingegangen.“

„Na jetzt wird mir einiges klar“, meinte Mario.

Und Tobias fragte nach: „Ist ja sehr ehrwürdig, dass Du Dich für unsere Familiengeschichte interessierst, aber warum interessiert Dich das, wie heißt Du gleich wieder?“

Ururururururururururgroßvater Dominik Galander anno 2020, der Gründer des Galander.

„Mario, ich heiße Mario“, meinte Mario und fuhr fort. „Jaaaaaaaa, woher weiß ich das?“, macht er es spannend, „das ist auch eine total freaky Storry, mein Lieber, die ist nämlich auch steinalt und hat mit Deinem Ururururururururururgroßvater Dominik Galander zu tun.“

Tobias hatte keine weiteren Gäste, der Abend war zäh und so wollte er die Gelegenheit nutzen, sich diese freaky Storry, diese Geschichte erzählen zu lassen. Und so erzählte Mario seine Zusammenhänge vom Galander und dessen Geschichte, stellte den Autor Werner Schwarz vor und dass dieser damals ab dem Jahr 2013 Gast im alten Galander vor 360 Jahren gewesen ist, einen Roman schrieb und Dominik Galander irgendwann ansprach, ob es ihm recht wäre, wenn seine Lokalität ein markanter Ort in seinem Roman „Im Schatten der Zufriedenheit“ werden würde.

„Dieser Schwarz und mein Ururururururururururgroßvater kannten sich also persönlich?“, hinterfragte Tobias.

„Jaaaaaa genau, ist das nicht total cazzy?“, betonte Mario diesen Wahnsinn, dem Tobias nur zustimmen konnte.

„Und Du“, schaute er Mario konzentriert an, „Du hast diesen Roman, auch womöglich noch die Erstausgabe?“

„Ja, Du Wahnsinniger, dass wäre schön, man, wäre das geil“, meinte Mario, „aber leider nein, doch hab ich ihn im Read out gefunden, da ist dieser Roman und alle anderen Bücher von diesem Schwarz gelistet.“

Und prompt sprach Tobias seinen PLS an, der lustigerweise Whiskey hieß und männlich war.

Buchcover anno 2020.

„Whisky, schau mal nach dem Autor Werner Schwarz“, fragte Mario nochmal, „wie hieß nochmal der Roman? Im Sch…“

„Im Schatten der Zufriedenheit“, ergänzte Mario.

Whiskey war im Silent-Modus und Mario konnte ihn nicht hören.

Tobias sagte nur: „Auf den Monitor“, und da erschien am Monitor an der Wand das Cover zu dem Roman „Im Schatten der Zufriedenheit“ von Werner Schwarz.

Mario dauerte das zu lange, war das doch ganz schön aufregend und klinkte Elli mit ein.

„Elli, hast ja mitgehört, was wir suchen, geh mal gleich dahin, wo das mit dem Galander anfängt.“

Und Elli, die nicht auf Silent-Modus geschaltet war und sich beim Betreten des Galander in dessen Soundanlage eingeklinkt hatte, erzählte: „Lumpentreffen in der schummrigen edlen Bar Galander von Werner Schwarz aus dem Kriminalroman „Im Schatten der Zufriedenheit“ von Dezember 2020, Seite 224.“

„Ich brech' ab“, meinte Tobias, „das gibt es doch nicht, hahaaaaa, Lumpentreffen bei meinem Ururururururururururgroßvater, ich hau mich weg.“

Mario fiel auf einmal ein: „Elli, zeige Bilder.“

Er erinnerte sich daran, dass Schwarz damals für sehr teures Geld Karikaturen hat anfertigen lassen vom Ururururururururururgroßvater Dominik und seinem Galander von 2020.

Das Galander anno 2020.

Nun war Tobias dran zu sagen als die Bilder erschienen: „Ja leck mich doch am Arsch, das ist mein Ururururururururururgroßvater Domminik?“

„Da kiekst, wa“, fiel Mario dazu nur ein, „genau, so muss er ausgesehen haben und das Galander, schau hin, sieht heute noch so aus wie damals, ist zwar nur gezeichnet, aber anscheinend nach Vorlage von Fotos gefertigt.“

Tobias war von den Socken: „Der sah richtig gut aus damals oder was meinst Du?“

„Absolut“, konnte Mario nur bestätigen und versuchte, in Tobias Ähnlichkeiten im Vergleich mit Dominik zu erkennen. Meinte: „Abstreiten kannst Du den Verwandtschaftsgrad auf alle Fälle nicht, hast schon Ähnlichkeit, bist ja noch jünger und hast noch ein volleres Haupthaar, hahaaa.“

Tobias kam nach dem Mitlachen nicht drum rum zu sagen: „Mario … da trinken wir jetzt einen drauf, Himmel, ist das ein Wahnsinn, was möchtest Du denn gerne, kannst trinken was Du möchtest, bist auf alle Fälle mein Gast.“

„Dann machen wir es perfekt, Tobias“, forderte Mario.

„Aha und wie?“, wurde Tobias neugierig.

„Der Mann, der dieses Buch geschrieben hat, schwor damals auf ein Getränk, einen Branntwein, der sich Asbach Uralt nannte und damals als 8-jähriger zu einem gehobenen Brandy gehörte. Meinst Du, Dein PLS kriegt den gezaubert?“

Tobias sprach seinen PLS an, „Whiskey, schon mal was von einen 8-jährigen Asbach Uralt gehört?“

Wieder konnte Mario nicht hören, was Whiskey sagte, meinte aber: „Meine Elli hat den drauf, es ist also noch nichts verloren, wenn Whiskey den nicht kennt.“

Aber Tobias meinte: „Cool running, die Kiste hat 27.568 verschiedene Getränke im Programm und das Galander hat schon immer alles geschafft, geht gleich los.“

„Hey“, meinte Mario noch, „ich hätte gern ganz traditionell einen großen Eiswürfel dazu und einen Spritzer Cola. Nur so mochte Schwarz ihn damals.“

Zwei Minuten später kredenzte Tobias das Getränk und die beiden tauschten sich noch den ganzen Abend über Werner Schwarz, seinen Ururururururururururgroßvater Dominik und das Galander im Jahr 2020 aus. So eine irre Geschichte mit so vielen neuen Erkenntnissen. Alles unter der sechsten und siebten Etage, auch hier das Galander, ist so bunt, schön und prunkvoll wie es einst gewesen ist. Wenn man also durch den Stadtkern von Berlin läuft, dann findet man sich rein optisch, genau in dieser vergangenen Zeit wieder, man darf nur nicht nach oben schauen, denn dann erblickt man den Gigantismus, der einen schwindlig werden lässt. Soviel dazu.

Also, mit 3 Jahren wurde Mario eingeschult, wechselte mit 4 Jahren in eine höhere Schule, machte mit 10 Jahren mit dem Abitur seinen schulischen Abschluss und mit 12 Jahren entschied er sich, in die Binnenschifffahrt zu gehen, angefixt von seinem literarischen Idol, dem autobiografischen Schriftsteller Werner Schwarz. Anfänglich war es schwierig, seinen Eltern seine Pläne zu vermitteln. Er war 11 Jahre alt mit dieser komischen Idee.

„Flausen im Kopf“, meinte sein Vater, „Du wirst etwas anständiges aus Deiner Vorbildung machen“, meinte er. „Schiffer!! Ja wo kommen wir denn da hin!“

Selbst seine baldig anstehende Volljährigkeit ließen seine Eltern nicht gelten. Mario, so schlau und gebildet wie er auch war, sehen sie ihn dennoch als ihr Kind und die Eltern sollten das letzte Wort haben. Nur Elli, mit der er immer im regen Austausch stand, mehr als mit seinen Eltern, die auch in seinem Kinderzimmer allgegenwärtig war, als er trotzig in den Boden stampfend meinte: „Ich will aber aufs Schiff“, fand seine Idee toll.

Eines Tages bei einem ernsthaften Gespräch zwischen Elli und dem Elternpaar, was allein Elli aktivieren kann, um den Erziehungsstatus des Kindes nur mit den Eltern zu besprechen, hat Elli Vater Alexander und Mutter Petra einfach mal in die Geschichte und die Entwicklung der Binnenschifffahrt entführt. Hat ihnen klar gemacht, dass Binnenschifffahrtskapitän noch viel wichtiger ist, als in Mikrobiologie oder in der Kernfusion habilitiert zu sein. Dieser Beruf war noch nie so anerkannt wie heute und ist einer sehr umfangreichen und breitgefächerten Professur gleichzusetzen. Gibt es doch zu 75% der Weltbevölkerung nur noch Wissenschaftler auf der guten alten Mutter Erde. Am Ende hatte Ellis Wort die Entscheidung für das Kind gebracht und Mario durfte seinen Traumberuf verwirklichen.

Seine Ausbildung bestand erstmal darin, weitere drei Jahre die Schulbank in einer für die Binnenschifffahrt geschaffenen Schule zu drücken. Die Binnenschifffahrt von heute ist nicht im Ansatz mit der Zeit von einst vergleichbar, so wie sie Mario immer nur geträumt hat, wenn er dem Schwarz seine Bücher gelesen hat. Knatternde, laute, qualmende und stinkende Motoren, unvorstellbar, wo doch der letzte Verbrenner-Motor schon 2042, vor 310 Jahren, außer Betrieb ging. Strömende Gewässer gab es zu Hauf und etliche verschiedene und kleine Schiffstypen, die wild und menschlich kontrolliert umherfuhren, von Menschen umher gefahren wurden. Was für ein Schwachsinn das alles.

Die mussten ihr Essen noch so richtig selber in Töpfen mit künstlich erzeugter Hitze kochen und haben ihre Notdurft tatsächlich in die Gewässer abgelassen. Oh Gott, wie ekelhaft, dort hinein was heute als Trinkwasser Verwendung finden muss. Schiffe wurden durch Handanlegen mit Seilen an Land und untereinander verknotet. Ständiger Gestank von Antriebs- und Schmierstoffen, die Diesel, Öl und Fett hießen, Frachten und Ladungsgüter, die man heute nicht einmal mehr mit den besten Schutzausrüstungen berühren würde. Viele Dinge, die es seit Hunderten Jahren nicht mehr gibt, wurden in Schiffen transportiert. Sie haben den Erdball fast schon entkernt, um „Bodenschätze“ zu finden, womit sie ihre Wohnungen und stromerzeugenden Kraftwerke heizten. Und sie haben, und das ist der Hammer, Futtermittel transportiert. Diese bestanden aus Pflanzen, welche auf der ganzen Welt wucherten, wuchern mussten, muss man sagen. Und man will es sich gar nicht mehr vorstellen, denn das haben sie dann den Tieren gegeben, die sie, wenn sie fett genug waren, selber aufgefressen haben.

Was war das nur für ein Volk damals, unglaublich alles.

Nichts ist mehr wie es einst war, absolut nichts. Aber Mario ist so smart, wie er auch ist, sehr schlau und unheimlich clever und wusste natürlich, das Einzige, was damit noch im Zusammenhang steht, ist ein Schiffskörper und das notwendige Wasser. Doch er war, egal was da kommen mag, vom ganzen Herzen bereit, diesen Schritt zu gehen. Er wollte ohne Wenn und Aber Binnenschifffahrtskapitän werden. Er lernte in seiner Ausbildung so Vieles, wofür Schwarz in seinen Büchern nicht einmal Worte hätte finden können. Nervend viel Theorie, nautische Ausbildung erlangte er ausschließlich in Simulatoren, bevor er nach drei Jahren bereits sehr gut ausgebildet das erste Schiff betreten durfte. Seit 2370 ist er Kapitän, war vorher zum Eingewöhnen auf der alten Krücke von 2342, dem „TMS ESC-T-2342“. Wurde erneut für eine neue, noch modernere Schiffstyp-Baureihe mehrere Monate auf eine sehr akribische Schulung geschickt und hat jetzt mit 21 Jahren das Kommando über eines der modernsten Binnenschiffe der Menschheitsgeschichte.

Hurtig Mario, heute ist Schichtbeginn …

Gemächlich begab er sich auf den Weg ins Bad, in dem ihn automatisch ein warmes beruhigendes Licht empfing und er sich auf die aus Kunststoff bestehende vollautomatisierte „Keramik“, setzte. Auch wenn Menschen in dieser Zeit durch ihre sehr ausgewogene Ernährung nur noch sehr kleine Haufen machen, bleibt es ein Bedürfnis, das sich mit aller Technik der Welt nicht beeinflussen lässt.

Und noch bevor er sich rauschend seiner nächtlichen Sammlung von Flüssigkeiten entledigt hatte, sprach er knarzig: „Nachrichten, ich will Nachrichten und Kaffee, mach Kaffee, Elli, Konversation ein“, annullierte damit den gestrigen Befehl, „Konversation aus“, um Elli zur Nachtruhe zu zwingen.

„Guten Morgen, Mario“, wobei ein Radiosender nun von der Welt erzählte, „schön, dass Du mich wieder aktiviert hast“, antwortete darauf eine weiblich klingende, lieblich nette, sehr ruhige, mütterlich menschlich klingende Computerstimme aus einem nirgendwo sichtbaren Lautsprecher.

„Guten Morgen, Elli“, und fragte sofort, „ist irgendwas, was macht unser Flugkorridor, gibt es Stau oder Stress und wie liegen wir in der Zeit?“

„Alles bestens, Mario, keine Probleme, der Kaffee ist fertig, Du hast noch eine Stunde, zwölf Minuten und 14 Sekunden bis zum Eintreffen des Passenger-Copters. Wir haben 15 Minuten für's Boarding. Dein Gepäck befindet sich schon auf dem Landedeck“, konnte Elli berichten.

Das Gepäck, welches er schon gestern Abend in seinem persönlichen „Firefighting-Transportlift, 100 x 80 x 60 Zentimeter groß, mit Befehl, es hinauf zu bringen, nach oben befördert hatte, war also schon oben.

Diese Technik dient grundsätzlich der Brandbekämpfung, denn dieser Lift ist zugleich ein gut getarnter Brandbekämpfer. Brände entstehen nur noch zu 95% aufgrund elektrischer Kurzschlüsse, wo doch niemand mehr in seiner Wohnung mit offener Flamme hantiert, Feuer im öffentlichen Raum sogar durchweg verboten ist. Die Brandbekämpfung in diesen Städten gleicht einem Wahnsinn. Hochhäuser unerreichbar hoch, Wasser zu knapp, um damit auch noch Brände zu löschen.

Somit hatte einst ein kluger Bastler diese pfiffige Anlage erfunden. Bricht in irgendeiner Wohnung Feuer aus, findet dieser Lift in Sekundenschnelle die betroffene Wohnung und sucht sie auf. Der „Aufzug“ öffnet sich und schießt mit hohem Druck ein feuererstickendes, gasförmiges Gemisch in die Wohnung, das kein Feuer dieser Erde aber der Mensch überleben kann. Großfeuer, indem ganze Häuser in Flammen stehen? Man kann sich schon nicht mehr daran erinnern. Und es gibt kein Elektronik zerstörendes Löschwasser, das von der 60sten Etage durch die darunter liegenden Etagen hindurch läuft, keine Feuer löschenden Menschen, die sich in Gefahr begeben. Ein pfeifendes, unbemerktes Pfffffft und der Fall ist erledigt. So oft brechen aber in diesem Jahrhundert keine Feuer mehr aus und dennoch muss man diesen natürlichen Feind des Menschen im Auge behalten und damit diese Anlagen auch immer in Funktion bleiben, im Blick des Menschen, hat man diese weitere Funktion des Transportaufzugs erfunden.

Menschen beschweren sich eher über den Ausfall eines Aufzugs als über den Ausfall eines Feuermelders, dachte man sich. Und wenn er ihn benutzen möchte, wird der Mensch durch ein Signal regelmäßig dazu aufgefordert, einen Funktionstest mit der Einrichtung durchzuführen. Tut er es dann nicht, was nur wenige Minuten dauert, kann er das Ding auch nicht als Aufzug benutzen. Jede Wohnung in allen Hochhäusern dieser Städte verfügen über diese kleinen unscheinbaren Aufzüge, denen man ihre lebensrettende Leistung nicht ansieht. Waren, Gepäck oder anderes werden mit direktem Anschluss hinauf zum Landedeck oder hinunter ins Erdgeschoss gebracht. Die einstige Information „Ich schleppe erstmal mein Gepäck hoch“ hat sich also auch erledigt. Mario oder seine Nachbarn müssen aber ihre Wohnungen verlassen und können ohne Last und Gepäck einen der drei normalen Personenaufzüge zum Landedeck oder in das Erdgeschoss verwenden.

Die Fliegerei ist weniger und anders geworden, die fetten Schweine der Lüfte musste man wegen der fortschreitenden Energiekrise im Rohölsektor durchweg ersetzen, biologisch einwandfrei. Und auch, wenn der Flugverkehr nur für einen besonderen Personenkreis genehmigt ist, besteht grundsätzlich etwas zukunftsweisend diese Möglichkeit für alle Haushalte, sich von einem Passenger Copter befördern zu lassen. Das ist allerdings noch nicht so richtig ausgereift, man befürchtet zu viel Geschwirre am Himmel und lässt sich mit der Umsetzung dieser Fortbewegungsart noch ausreichend Zeit. Die Verkehrsregelung und das Anbringen von Ampeln über den Dächern der Städte scheinen schwierig zu sein. Rein bautechnisch sind aber alle Gebäude dieser Idee angepasst und haben einen ca. 50 Quadratmeter großen Landeplatz auf den Dächern, die grundsätzlich den Rescue Coptern, der Menschenrettung, vorbehalten sind. Der Rest dieser gigantischen Dachflächen aller Städte sind als hausinterne Parkanlagen zu 40% begrünt und der Rest davon mit Fotovoltaikmodulen, technischer Stand 2370, belegt. Den Besuch dieser Dachgärten hat der Mensch gelernt, genau zu planen, meist morgens vor 10 oder abends nach 18, 19 Uhr. Der Rest des Tages muss mit Vorsicht genossen werden. Eine supermoderne Dachgestaltung und eine Technik, die ganze 10-Etagen-Häuser vollkommen eigenständig mit Strom versorgen und den Anwohnern mit Wohlbefinden dienen kann. An manchen Häusern sind die der Sonnenseite zugewandten Außenwände, 150 Meter hoch und 70 Meter breit, auch noch mit Modulen betafelt.

Man möchte sich gar nicht daran erinnern, dass der Mensch der Vergangenheit so lange dafür gebraucht hat, diese sinnvolle Nutzung umherstehender Flächen als Produktionsflächen zu entdecken. Jahrhunderte, gar Jahrtausende haben sie der Erde Boden geraubt, ohne darüber nachzudenken, was sie sich selber damit antun.

Die größte Erlösung, aber auch rettend für die Erde war erstmal, schon 2226, die internationale und konsequente Bekämpfung der korrupten und geldgierigen Machtmenschen und die Abschaffung des vollkommen unüberschaubaren und unkontrollierbaren Kapitalismus, wodurch diese Menschen mit diesen perfekten Erfindungen immer fetter und reicher wurden. Heute gibt es keinen einzigen Menschen mehr, der stinkreich wird, so reich, dass er jegliche Menschlichkeit, jegliches Solidaritätsempfinden, sogar jeden Anstand verliert, weil er glaubt, er könnte sich alles leisten und alles unbestraft erlauben. Ende, aus und vorbei diese Form der Völlerei. Reichtum macht einfach keinen Spaß mehr, auch weil keiner mehr weiß, wie es ist, reicher zu sein als alle anderen.

Aber Mario ist ein, einst hätte man gesagt, ein „ganz normaler Malocher“ mit einem außergewöhnlichen Beruf. Und er gehört auf alle Fälle zu den besonders Privilegierten, die so bequem fliegen dürfen, denn sein Schiff kann nur mit einem Passenger Copter erreicht werden. Privat ist er immer unterwegs wie alle anderen Bürger auch.

Bei der großen Baureform hat man alle Untergrundbahnen so nach und nach verschwinden lassen, man brauchte die Tiefen, um diese Wolkenkratzer stabil bauen zu können. Und mit der massiven Erweiterung der Magnetschwebebahn in den letzten 10 Jahren, hat sich erneut einiges verbessert. Der rote CC, der „City Connector“, der Stadtteilverbinder, und der blaue Straßenverbinder bringen ihn fast überall bis vor die Haustüren seines Verlangens. Sogar die Yorckstraße ist nun endlich an dieses Netz angeschlossen und Marios Bahnhof befindet sich direkt gegenüber, über dem Grünstreifen vor seiner Haustüre, dem Haus mit der Hausnummer 78. 20 Meter über den Köpfen der Menschen schwebt sie lautlos zwischen den Baumkronen der begrünten Stadt auf einer Hochbahn im Minutentakt durch die Flure.

Das viele Grün auf diesem ganzen Planeten besteht übrigens aus Pflanzen, speziellen Kreuzungen und Züchtungen, die große Hitzewellen fast ohne Wasser überstehen können. Hat doch die Welt eine große Überraschung erlebt, die ihr eigentlich, wie man einst sagte, „den Arsch rettete“. Pflanzen aus tropischen und wüstenähnlichen Gefilden wurden mit Dingen aus dem All gepaart und wurden überall angesiedelt. Dazu später genaueres.

Diese schicke schleichende und dem Umfeld angepasste Magnetschwebebahn verbindet die Menschen, ohne dass sie sich eine „Fahrkarte“ kaufen müssen, um zu ihren Tätigkeiten und privaten Unternehmungen zu kommen. Alle Menschen sind gechippt, alle werden überall gleich behandelt, kein Mensch hat mehr verkeimtes und dreckiges Geld in der Tasche.

Diese kleine stadtinterne Schwebebahn ist eine etablierte Alternative zur stadtinternen Verbindung und hält alle ca. 1,5 Kilometer an jedem Bahnhof, der mit Aufzügen erreicht wird.

In wenigen Minuten, kurz vor dem Abflug, wird die autark betriebene Drohne, der Passenger Copter, unaufgefordert, unmittelbar nach der Landung Marios Gepäck aus diesem Gepäcklift heraus an Bord ziehen, er steigt ein, Elli übernimmt das Fluggerät und los geht die Reise.