A Night On The Rocks - Stephanie Kempin - E-Book
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A Night On The Rocks E-Book

Stephanie Kempin

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Beschreibung

1 Bar.* 12 Geschichten. 14 Cocktails. Ein immer anderes Setting, und doch so gleich. Eine Reise quer durch Cocktailkarte und literarischer Genres. Fantastisch, gruselig, romantisch, spannend, anders – lehnt euch zurück und genießt … *präsentiert von Chefbarkeeperin Michaela Harich

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Was darf‘s für euch sein?
Liebe, vielleicht
Mahony
Die Nacht des Kapitäns
Dicker Vince
Ein Drink mit C.K. Baker
2206
Blueberry Jenny
Lynchberg Lemonade
Pisco Sour
Die Stunde des Jägers
The green Widow

A Night on The Rocks

Michaela Harich

1. Auflage, 2020

© Alea Libris Verlag, Wengenäckerstr. 11, 72827

Wannweil

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Viktoria Lubomski

Schriftzug: @lellouletters

Lektorat: Michaela Harich

ISBN: 9783945814499

Triggerwarnungen:

Espresso Martini: TW Mobbing, Cybermobbing

Lynchburg Lemonade: TW Vergewaltigung, Kannibalismus

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich

geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung

des Verlages und des Autors unzulässig.

Dies gilt insbesondere für die elektronische oder

sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung

und öffentliche Zugänglichmachung.

Unser spezieller Dank geht an unseren Patreon.

Simon Rottler

Nadine Panzer

Vorwort

Blow Job

- Liebe, vielleicht - Susanne Pavlovic

Blue Time Machine

- Familienunternehmen - Stephanie Kempin

Bold Bright Fearless

- Mahony - Juliane Schiesel

Orangen Ananas Daiquiri

- Die Nacht des Kapitäns - Philipp Mattes

Dicker Vince

- Dicker Vince - Vincent Voss

Espresso Stout

- Ein Drink mit C.K. Baker - Monika Loerchner

Espresso Martini

- 2206 - Lisanne Surborg

Heidelbeer Cocktail

- Blueberry Jenny - Marie H. Mittmann

Lynchburg Lemonade

- Lynchber Lemonade - M.H. Steinmetz

Pisco Sour

– Pisco Sour - Simona Turini

Old fashioned

- Die Stunde des Jägers - Torsten Scheib

Green Widow

- The green Widow - Michaela Harich

Was darf‘s für euch sein?

Vorwort.

Ich wollte schon immer ein Vorwort schreiben.

Und jetzt, wo ich eines schreiben kann (hier sei mal angemerkt, dass da kein Lektor rübergehen wird und mein schwäbisches Erbe voll durchkommen kann), weiß ich nicht, was ich schreiben soll.

Die vorliegende Anthologie ist der Auftakt einer Anthologie-Reihe, die sich um Essen, Locations,

einer wilden Mischung und verrückter Ansätze dreht. Dieses Mal, zum Start, beginnen wir mit einem gemütlichen Abend in einer Bar. Man kennt das ja – ein gemütlicher Abend mit Freunden bei einem leckeren Cocktail oder einem Bier, man quatscht, man hat Spaß, man schwelgt in Erinnerungen.

Unser Abend in der Bar sieht ein wenig anders aus. Wir befinden uns zwar in jeder Geschichte in einer Bar und genießen einen »signature cocktail«, aber was sich in dieser Bar abspielt, ist jedes Mal anders. Die eingeladenen Autoren, die eine Geschichte zu dieser etwas anderen Anthologie beigesteuert haben, haben alle ihre Handschrift hinterlassen – jede Geschichte steht exemplarisch für ihren Stil.

Und ich steh drauf.

Es ist eine wilde Mischung aus Phantastik, Grusel, Horror, Liebe, Humor – wie es sich auch für eine gute Cocktailkarte gehört. Ich bin sehr stolz und sehr aufgeregt, dass wir euch dieses besondere

Buch präsentieren können und hoffe, dass euch die Geschichten so gut unterhalten, wie sie mich unterhalten haben. Man muss jetzt dazu sagen, dass ich mir echt immer wieder Gedanken darum gemacht habe, was ich schreiben könnte; hab mir ausgemalt, wie prosaisch und poetisch und grandios die Worte klingen werden. Eine Lobhymne an euch, liebe Leser, und an diese genialen Autoren, die meiner Einladung gefolgt sind. Stattdessen klinge ich gerade wie jemand, der einen Schulaufsatz schreibt und nicht so wirklich weiß, was er sagen soll – ich bin einfach wahnsinnig überwältigt, was hier entstanden ist. Zumal ich immer noch ein wenig vor Augen habe, was das letzte Mal passiert ist, als ich als Herausgeberin fungiert habe. Doch lassen wir die Geister der Vergangenheit ruhen, bevor ich mich um Kopf und Kragen schreibe. Genießt die erste Anthologie, die sich um eine bestimmte Location dreht, und verratet uns doch am Ende, welcher Cocktail euch besonders zugesagt hat.

Um abschließend meine Kollegen der Ghostreaders zu zitieren:

»Am Ende gehen hoch die Gläser!«*

Michaela

*und wenn ihr eine Buchbox habt, wäre das jetzt der ideale Zeitpunkt, den Cocktail aufzumachen und zu trinken =)

Liebe, vielleicht

Dein Lächeln kam zu mir wie ein Lichtstrahl. Draußen ging ein kräftiger Aprilregen nieder, der das schöne Frühlingsfest in deiner kleinen Stadt zum Erliegen brachte. Er hatte uns voll erwischt auf dem Weg vom Auto hierher.

Und dann kamst du auf mich zu, mit diesem sanften Schwung deiner Hüften, und ich wollte nichts mehr als hierzubleiben: im Frieden deiner schönen goldgrünen Augen.

Du hast gelächelt, als würden wir uns schon ewig kennen.

„Er ist aber noch nicht volljährig“, sagtest du und zeigtest auf den Jungen, der mir am Mantel klebte, müde und eingeschüchtert und neugierig zugleich.

„Das macht nichts“, sagte ich und bemühte mich um Haltung. „Ich bin’s dafür dreimal.“

Du hast sicher gesehen, wie jämmerlich mein Lächeln war. Ich war nass, übermüdet, durchgefroren, ich machte mir Vorwürfe, weil ich nicht gut für den Jungen gesorgt hatte. Doch du hast mich behandelt, als sei ich ein König. Du hast uns nach hinten in den Personalraum gelassen, damit wir uns trockene Sachen anziehen konnten. Wir waren die einzigen Gäste in dieser Bar am Ende aller Tage. Du hast uns bewirtet mit allem, was die Küche um diese Uhrzeit noch hergab, und ich beglückwünschte und bedauerte mich gleichzeitig – ausgerechnet heute eine Wahnsinnsfrau wie dich zu treffen, und mich dir nicht nähern zu können.

Wie du dich dann neben mich auf die Bank geschoben hast. Dein Knie an meinem, unaufdringlich, beinahe zufällig. Dein Duft. Oh, dein Duft. Maiglöckchen und Puder und süße Weiblichkeit. Für eine Weile konnte ich nichts als atmen.

„Wie heißt du denn?“, hast du den Jungen gefragt, der sich konzentriert durch einen Berg Pommes arbeitete. „Leon“, hat der Junge gesagt. „Das heißt der Löwe.“

„Ein schöner Name“, hast du gesagt und dich ein wenig zu mir gebeugt. Ich spürte eine Ahnung deines Atems auf meiner Wange. „Dein Sohn?“, hast du weiter gefragt, und ich bejahte und bemühte mich um Selbstverständlichkeit. Du hast mich von der Seite angesehen. In meinem Alter ist man eher Großvater als Vater eines Achtjährigen,

aber du hast nicht gefragt.

„Der beste Papa von allen“, hat der Junge im Brustton der Überzeugung gesagt. „Er nimmt mich mit zu meiner Tante Frieda. Die hat Geburtstag und feiert ein großes Fest. Die ganze Familie kommt. Wir haben eine riesige Familie. Es gibt Kuchen und Luftballons und ein Feuerwerk.“

Ich wusste nichts von einem Feuerwerk. Ich wusste ja nicht einmal von einer Tante Frieda, aber ich nickte.

„Kommt deine Mama auch?“, fragtest du. Für einen Augenblick wurde mir kalt.

„Ich hab keine Mama“, hat der Junge gesagt und ein Pommes in den Ketchup gestippt. „Nur einen Papa.“

Ich legte eine Hand auf deinen Arm und schüttelte den Kopf, aber du hast es selbst gemerkt und das Thema fallenlassen. „Das klingt nach einem tollen Fest“, hast du gesagt. „Da habt ihr ja ein paar schöne Tage vor euch.“

Du brachtest Kaffee für mich und Limonade für den Jungen. Du bliebst an meiner Seite und hast mich mit plätscherndem Geplauder unterhalten, und ehe ich dir völlig erlag, kratzte ich einen Rest Verstand zusammen und fragte nach Blacky. Wegen ihm hatte ich schließlich den ganzen weiten Weg auf mich genommen – weil er alles beschaffen konnte, wenn man ihn nur anständig bezahlte.

„Den habe ich heute Abend noch gar nicht gesehen“, sagtest du. „Bist du mit ihm verabredet?“

„Ja, aber ohne Uhrzeit.“

Du hast mir angeboten, ihn anzurufen, vom Telefon hinter dem Tresen aus. Ich bin dir gefolgt und konnte mich nicht sattsehen an deinem prachtvollen Hintern in diesem engen roten Kleid. Und wie du dich bewegt hast auf diesen hohen Hacken – anmutig, beinahe schwebend. Der Junge ließ seine Pommes im Stich und folgte mir. Sein Gesicht war klein und weiß unter dem struppigen blonden Haarschopf. Du hast mich mit einer Geste hinter den Tresen eingeladen. Der Junge wollte mir nach, wurde aber vom Barmann abgefangen.

„Hier hinten ist wirklich nicht für Kinder“, sagte er, nicht unfreundlich, aber es hat gereicht, um den Jungen an den Rand der Tränen zu bringen. Um ihn abzulenken, habe ich ihm den Flipper gezeigt. Der Junge hatte noch nie einen gesehen, und ich schon lange keinen mehr. Ich schob ihm einen Stuhl ran, damit er von oben draufschauen konnte, warf ihm eine Münze ein, und schon bald war er ins Spiel vertieft. Ich ging hinter den Tresen und erledigte meinen Anruf.

„Nicht vor halb elf“, sagte Blacky mir. Ich stimmte widerstrebend zu. Lieber wäre ich früher wieder auf der Straße gewesen. Ich legte auf, und du hast mich über den Tresen hinweg angelächelt.

„Stunde Wartezeit mindestens“, sagte ich.

„Wie schön“, hast du gesagt. „Dann kannst du mit mir trinken, wenn schon sonst nichts.“

Ich sah nach dem Jungen. Die blinkenden Lichter legten ihm einen Anschein von Lebendigkeit in die Augen. Seine Zungenspitze war zwischen den Zähnen zu sehen. Dann ging die Kugel ins Aus und er sank enttäuscht in sich zusammen.

„Noch eine Runde?“, bot ich ihm an, und er seufzte klaftertief.

„Aber dann werde ich doch dumm.“

„Wer sagt das denn?“

„Olli sagt das. Zu viel Computerspielen macht dumm. Deshalb bin ich doch in der Einrichtung. Weil ich mich dumm gespielt habe.“

„Erstens“, sagte ich und versuchte wirklich alles, um unbeschwert zu klingen. „Das hier ist ein Flipper, kein Computer. Und zweitens. Du bist das schlaueste Kind, das ich kenne. Olli hat überhaupt keine Ahnung.“

„Wie viele Kinder kennst du?“, hat er mich gefragt, und diesmal war mein Lächeln echt.

„Nur ein schlaues Kind kann so eine Frage stellen“, habe ich ihm gesagt und ihn mit Münzen versorgt. Für einen Augenblick war wieder die Angst in seinem Gesicht, aber ich habe ihm gezeigt, wo ich sitze, und versprochen, dass ich nicht weggehe, und so gab er sich wieder dem Sog des Spiels hin.

Ich kehrte zurück zu dir. Du hast den Kopf auf die Hand gestützt und mir entgegengelächelt, sehr sanft, ein bisschen müde. Dein Haar fiel dir wie gesponnenes Gold ums Gesicht. Das Rot auf deinen Lippen war zu einem zarten Schatten vergangen.

„Ich mag ja Blowjobs“, hast du gesagt.

„Tatsächlich“, sagte ich. „Das trifft sich gut. Ich auch. Nur nicht in aller Öffentlichkeit.“

„Keine Sorge“, hast du gesagt. „Wir fangen ganz harmlos an.“

Du hast den Blick des Barmannes aufgefangen und zwei Finger gehoben. Er hat genickt und begonnen, aus verschiedenen Flaschen etwas in Gläser zu füllen, aus denen ich lieber einen guten Whiskey getrunken hätte. Dann schob er die beiden Gläser rüber – eine helle Schicht, eine dunkle und eine Mütze aus Schlagsahne.

Das Beste daran war dein Lächeln.

„Weißt du, wie man ihn trinkt?“, fragtest du mich.

„Augen zu und durch?“, habe ich vermutet, und du hast gelacht.

„Ohne die Hände zu benutzen“, hast du mir erklärt, und ich habe begonnen zu begreifen, warum der Drink so heißt.

Du hast dich zu deinem Glas gebeugt und begonnen, die Sahne aufzuschlecken. Deine Hände hast du nur benutzt, um deine Haare wegzuhalten – vielleicht, damit sie nicht klebrig wurden, vielleicht, damit ich eine bessere Sicht auf den Tanz hatte, den deine Zunge im Glas vollführte. Du hattest erkennbar Übung darin, und der Gedanke befeuerte mein Verlangen. Dein Blick lag auf mir, als du schließlich den Rand deines Glases zwischen die Zähne genommen und es behutsam angehoben hast. Ein Klecks Sahne saß auf deiner Nasenspitze, und ich muss wie ein alter, hingerissener Idiot ausgesehen haben, denn plötzlich hast du angefangen zu lachen. Die braune Flüssigkeit lief dir aus dem Mundwinkel und den Hals hinab und verschwand im Tal zwischen deinen Brüsten. Ich lachte mit, das Universum zog sich um uns zusammen wie eine goldene Blase, in der alles möglich war, sogar ein glückliches Ende für eine schöne Barfrau und einen alten Trottel, und noch lachend hast du angefangen, mich zu küssen. Dein Mund hat süß und bitter zugleich geschmeckt, deine Lippen waren klebrig von der Sahne, meine Hände folgten der Spur, die der Likör auf deinem Hals hinterlassen hatte, und du hast meine Finger in den Mund genommen und alle Spuren abgeleckt, und es war ein Klischee, aber das Intimste, was ich seit langem erlebt hatte.

„Was ist mit deinem?“, hast du gefragt und auf mein Glas gedeutet.

„Ich hatte gerade den besten Blowjob aller Zeiten“, sagte ich. „Ich brauche keinen zweiten.“ Doch du hast das Glas genommen und es mir an die Lippen geführt, und ich musste die süße Mischung aus Amaretto und Kaffeelikör schlucken. Immerhin hast du mir erlaubt, die Sahne übrigzulassen.

Du hast dich auf mein Knie gesetzt und dich an mich gelehnt und mit meinen Haaren gespielt, und ich schloss die Arme um dich und berauschte mich an dem Gefühl, wie zierlich du in meinen Armen warst, und wie weich und rund zur gleichen Zeit.

„Ich möchte mehr über dich wissen, aber ich habe so das Gefühl, dass du mir nichts erzählen wirst“, hast du gesagt, und ich habe genickt und dein goldgesponnenes Haar geküsst.

„Erzähl mir das Wichtigste“, hast du gesagt. „Die eine, wichtigste Sache. Dann erzähle ich dir meine.“

„Gut“, sagte ich. „Du fängst an“, und du hast gesagt, „nein, du“, und ich wieder, und du wieder, und dann hast du nachgegeben.

„Wenn ich genug Geld beisammenhabe, wandere ich aus“, hast du gesagt. „Nach Florida. Ich werde Sängerin. Keine berühmte, ich weiß schon, dass das nicht so einfach geht. Mir würde es reichen, wenn ich am Strand singe und den Hut rumgehen lasse. Oder in Bars wie dieser hier. Nur so, dass es zum Leben reicht. Ich will ein kleines Appartement mit Blick auf den Strand. Ich will die Sonne. Ich weiß, der Traum ist albern und gewöhnlich. Alle träumen von Amerika. Du darfst ein Mädchen nicht für ihre Träume verurteilen.“

„Tu ich nicht“, sagte ich. „Jeder will doch am liebsten weit weg sein.“

„Jetzt du“, hast du gesagt.

Ich sah auf dich hinunter. Ich wollte dich nicht anlügen, ich konnte dir nicht die Wahrheit sagen.

„Es gab eine Frau, in die ich mal sehr verliebt war“, sagte ich und betastete vorsichtig den Schmerz. „Aber sie nicht in mich. Ich war nie mehr als ihr väterlicher Freund. Sie hatte andere Männer, viele, und keiner war gut zu ihr. Das mitanzusehen war schwierig.“

„Was ist mit ihr passiert?“, hast du leise gefragt.

„Sie hat sich umgebracht.“

Ich habe mich gewundert, wie ruhig meine Stimme blieb. Vielleicht wegen deines Herzens, das so ruhig an meinem schlug.

Du hast hinüber zu dem Jungen gesehen.

„Deshalb hat er keine Mama“, hast du gesagt, und ich habe genickt und versucht, es auszuhalten.

„Und du bist gar nicht der Vater“, hast du weiter eins und eins zusammengezählt.

„Nicht der leibliche“, habe ich gesagt, und dann hat es doch zu sehr wehgetan.

„Ich könnte noch einen Blowjob vertragen“, habe ich gesagt, um dich abzulenken. „Oder etwas Stärkeres.“

„Eine große, glückliche Liebe“, hast du gesagt, „aber die kann man leider nicht in Gläser füllen. Sonst hätte ich mich schon längst damit betrunken.“

„Vielleicht wartet sie auf dich, in Florida. Unter Palmen. Vielleicht ein Schlagzeuger. Oder einer mit einem ganz gewöhnlichen Beruf. Hauptsache, er ist gut zu dir.“ „Ich hab ein Ding mit älteren Männern“, hast du gesagt und deine Augen zu mir aufgeschlagen. „Die geben mir Sicherheit.“

„Alter egal, Beruf egal“, sagte ich. „Versprich mir nur, dass du dich niemals schlecht behandeln lässt. Wenn einer ein Arsch ist, ist er’s immer. Du kannst ihn nicht retten. Du gehst nur kaputt dabei. Also lass die Finger von solchen.“

Du hast es mir in die Hand versprochen, und dann haben wir wieder angefangen, uns zu küssen, und wir haben uns immer weiter geküsst, bis jemand meinen Arm umklammerte und fest dran zog.

„Du sollst sie nicht heiraten und aufhören, dich um mich zu kümmern“, hat der Junge finster gesagt.

Du hast gelacht, ein bisschen verunsichert. „Aber wir heiraten doch nicht. Wir kennen uns doch gar nicht.“

„Aber ihr küsst euch“, hat der Junge gesagt. „Also kennt ihr euch doch.“

Du bist von meinem Schoß gerutscht. Meine Arme fühlten sich leer an für einen Augenblick, oder vielleicht war es auch mein Herz.

„Keine Sorge, kleiner Mann“, hast du zu dem Jungen gesagt, „ich nehme dir deinen Papa nicht weg.“

„Ich will schlafen gehen“, hat der Junge gesagt.

Ich musste ihn vertrösten. Ich musste Blacky sprechen, heute Nacht noch. Ich bot dem Jungen an, sich auf eine Bank zu legen, aber er hat den Kopf geschüttelt und die Arme nach mir ausgestreckt. Ich habe ihn hochgehoben, und er hat sich auf meinem Schoß zusammengekauert. Er macht sich immer so klein, wenn er schläft, damit die Monster ihn nicht finden. Ich habe ihn sachte geschaukelt und zugeschaut, wie ihm die Augen zufielen. Du hast inzwischen den Sahnerest mit dem Finger aus meinem Glas gefischt.

„Er ist ja anhänglich“, hast du leise gesagt, es klang besorgt. „Wie alt ist er?“

„Kommt drauf an, wer gerade vorne ist. Felix ist acht, aber ich glaube, Leon ist jünger. Fünf vielleicht. Das hier ist Leon. Felix hab ich heute noch gar nicht gesehen.“

Du hast ihn lange betrachtet, aber du warst zu feinfühlig, um nachzufragen, und ich zu erschöpft, um zu erklären.

Dann kam endlich Blacky, begrüßte mich und bat mich nach hinten. Der Junge schlief inzwischen so fest, dass ich es wagte, ihn auf einer Bank abzulegen. Ich musste dich nicht bitten. Du hast dich zu ihm gesetzt und angefangen, eine Melodie zu summen, deine Stimme war wie warme Milch und ein Kuss auf die Stirn, ich hätte den Kopf in deinen Schoß betten wollen und lauschen bis zu meinem letzten Atemzug.

Ich folgte Blacky nach hinten.

Blacky ist ein Geschäftsmann vom alten Schlag. Ich musste mit ihm trinken und über das Weltgeschehen plaudern, ehe er mir gab, weshalb ich gekommen war.

Ich war abgelenkt, während ich mit ihm zusammensaß. Ich machte mir Sorgen um den Jungen. Ich zweifelte an meinem Entschluss – jetzt, wo es zu spät war. Ich fragte mich, ob ich der Verantwortung gewachsen war, aber dann sah ich wieder die Augen des Jungen vor mir, blau und riesengroß, den Bluterguss, der seine ganze Wange verfärbte, und ich hörte ihn, wie er mir erzählte, er käme jetzt in eine Einrichtung, und mich fragte, ob das ein Gefängnis sei für dumme, böse Kinder.

„Was ist los?“, durchkreuzte Blacky meine Gedanken. „Hast du gehört, was ich gesagt habe?“

„Was? Ja. Natürlich. Entschuldige. Ich war … abgelenkt.“

„Die süße Holly?“

„Du kennst mich. Immer die Blondinen.“

Blacky lachte. „Versuch’s ruhig bei ihr. Sie nimmt manchmal jemanden mit nach Hause. Bessert ihre Reisekasse ein bisschen auf, und du könntest ihr Typ sein.“

„Ein andermal. Heute muss ich los.“

Blacky ging raus und kam gleich darauf mit einem großen Umschlag zurück. Er kippte den Inhalt vor mir aus: zwei Reisepässe, ein Kfz-Schein, ein Autoschlüssel. Während ich alles überprüfte, rumorte er im Klappkasten der Eckbank. Gleich darauf hielt er mir eine Beretta hin und ein Magazin dazu.

„Brauchst du?“, fragte er. „Eine Schachtel Munition leg ich obendrauf.“

Ich zögerte. Ich wollte die Waffe, ich wollte mich sicher fühlen. Aber was, wenn der Junge die Waffe fand? Und würde ich wirklich jemanden erschießen, wenn der Junge womöglich zusehen musste?

„Nein danke“, sagte ich. „Auf die Gefahr hin, dass ich es bereue.“

Blacky sah mich lange an, dann legte er die Waffe zurück in die Eckbank.

„Ich hab ja schon viel erlebt“, sagte er. „Dass jemand mit einer Frau durchbrennt. Dass jemand mit einem Haufen Geld durchbrennt. Aber dass jemand mit einem Kind durchbrennt, ist mir noch nicht untergekommen. Und noch nicht mal mit dem eigenen.“

„Das macht keinen Unterschied“, sagte ich.

„Hast du das Geld dabei?“, fragte Blacky. Ich nickte und holte den gefalteten Stapel Geldscheine aus der Manteltasche. Blacky nahm ihn entgegen und zählte.

„Okay. Wagen steht hinter dem Haus. Blauer VW-Bus. War wie immer eine Freude, mit dir Geschäfte zu machen.“

Es war zehn vor elf, als ich zurück in den Gastraum kam. Schlüssel und Papiere hatte ich sicher in der Manteltasche verwahrt. Du hast an der Bar gesessen. Dein Kleid umschloss deine Formen wie die Hand eines Geliebten. Du hast ein bisschen Bein gezeigt – schlanke Fesseln, kräftige Waden, die Ahnung eines rundlichen Knies. Frauen haben mir schon viel mehr gezeigt und mich viel weniger damit verzaubert.

„Du bist gerade rechtzeitig zum Feuerwerk“, hast du gesagt. „Es hat aufgehört zu regnen. Gehst du mit mir raus?“

Ich habe gezögert und rüber zu dem Jungen geschaut, der auf seiner Bank tief und fest schlief.

„Ich muss eigentlich los.“

Du hast meine Hand eingefangen und mich nähergezogen. Du hat mir die Haare aus dem Gesicht gestrichen und mich geküsst, lange, sanft, ein Abschiedskuss, dabei wollte ich nicht weg von dir, ich wollte bei dir bleiben und versuchen, der Mann zu werden, den du in mir sahst.

Und das war einer der Fehler, von denen mein Leben so voll ist. Denn um sieben vor elf ging die Tür auf, und einer kam rein. Ich kannte den schlurfenden Gang, das teigige Gesicht, den glasigen Blick. Ich schob dich sachte von meinem Schoß.

Olli blieb stehen und sah sich um. Entdeckte den Jungen, ignorierte mich, steuerte auf den Jungen zu. War vor mir bei ihm. Rüttelte ihn unsanft an der Schulter.

Der Junge war kaum wach und fing schon an zu schreien.

„Wir gehen“, sagte Olli und zog den Jungen unsanft in die Höhe. Der Junge schrie nach mir, in höchster Not.

„Lass ihn“, sagte ich mit aller Ruhe, die ich aufbrachte.

Olli fuhr herum und fixierte mich.

„Du kommst später dran“, sagte er. Sei übler Atem schlug mir ins Gesicht. „Das ist Kindesentführung, was du da gemacht hast. Dafür fährst du ein.“

„Vielleicht fahre ich ein, aber sicher nicht dafür“, sagte ich. Immerhin hatte Olli den Jungen losgelassen. Der kauerte auf der Bank und umklammerte seine Knie.

„Ich geh nicht zurück in die Einrichtung“, schluchzte er. „Ich bin nicht dumm. Ich will lieber tot sein.“

„Felix“, sagte Olli ungeduldig, aber der Junge schrie ihn einfach nieder.

„Ich bin nicht Felix! Ich bin kein glückliches Kind! Ich bin ein Löwe!“

„Halt’s Maul!“, schrie Olli. „Deinen Scheiß-Leon gibt’s gar nicht! Den hast du dir nur ausgedacht! Du kommst jetzt mit mir, und wenn ich noch einmal was von deinem Scheiß-Leon höre, knallt’s!“

Ich nahm Olli beim Arm. Ich spielte jeden Trumpf aus, den ich hatte: dass ich viel größer war als er und doppelt so breit, dass ich mir trotz aller Versuchung nie das Hirn weggesoffen hatte.

„Komm mit mir nach nebenan“, sagte ich. Es war kein Vorschlag, sondern eine Ansage. „Wir besprechen in Ruhe alles. Wir müssen das nicht vor dem Jungen machen.“

„Was willst du denn besprechen“, knurrte er mich an, aber ich ließ ihn einfach nicht los und schob ihn vor mir her.

Du standest neben der Bar, mit riesigen Augen. Das Schluchzen des Jungen lähmte mich und löste gleichzeitig die letzten Fesseln.

„Tu mir einen Gefallen“, sagte ich zu dir. „Nimm den Jungen und unser Zeug. Geh vorne raus und dann ums Haus herum. Da müsste irgendwo ein blauer VW-Bus stehen. Warte dort auf mich. Ich bin gleich da. Wir schauen uns dann zusammen das Feuerwerk an.“

Du hast genickt, blass. Ich habe Olli vor mir her durch die Tür nach hinten geschoben, in den kleinen Personalraum. Niemand war da außer uns. Vom Personalraum führte eine Tür hinaus in den Hof. Ich habe die Tür geöffnet, damit ich das Feuerwerk hören konnte, wenn es losging. Das Mondlicht lag auf den Mülltonnen. Fetzen von Musik und Gelächter wehten durch die Nacht. Ich hatte vielleicht noch eine Minute zu überbrücken.

„Es gibt tatsächlich nichts zu besprechen“, sagte ich über die Schulter. „Ich nehme den Jungen. Ich sorge ab sofort für ihn. Das hätte ich längst tun müssen.“

„Du bist aber nicht sein Vater“, sagte Olli. „Oder etwa doch?“ Er kam auf mich zu, versuchte bedrohlich zu wirken. „Ist das etwa dein Scheiß-Balg? Hast du sie gevögelt? Das wolltest du doch immer, du Perverser!“

„Ich bin ihm ein besserer Vater, als du es je gewesen bist, Blutsverwandtschaft hin oder her“, sagte ich. Die Turmuhr begann zu schlagen.

„Du hast sie auf dem Gewissen“, sagte ich. „Du und die Arschlöcher, die nach dir kamen. Du hast sie kaputtgemacht. Ihr jeden Ausweg und jede Selbstachtung genommen. Ich lasse nicht zu, dass ihrem Kind das Gleiche passiert. Ich bin sicher, sie wollte, dass ich ihn beschütze. Dass ich tue, wozu sie nicht in der Lage war.“

„Ich weiß nicht, was du meinst“, sagte er. „Sie hat eine Schachtel Tabletten mit einer Flasche Schnaps runtergespült. Selber schuld, sag ich da nur.“

Ich drehte ihm den Rücken zu. Ich öffnete die Klappe der Eckbank, holte die Beretta raus, nahm das Magazin, legte es ein. Meine Hände erinnerten sich, auch wenn sie seit Jahren keine Waffe mehr gehalten hatten. Das Ganze dauerte nur wenige Sekunden.

Dann ein Donnerschlag, und der Himmel explodierte in allen Farben.

Du hast tatsächlich mit dem Jungen am Straßenrand gewartet. Der Asphalt glänzte noch vor Nässe. Der Junge stürzte auf mich zu, als ich mich näherte, und schlang die Arme um mich.

„Ich geh nicht in die Einrichtung“, sagte er.

„Nein“, sagte ich und strich über sein struppiges blondes Haar. „Du bleibst bei mir.“

„Wo ist Olli?“, fragte er.

„Olli kommt nicht“, sagte ich, und er nickte.

„Du hast das halbe Feuerwerk verpasst“, sagte er.

„Das macht nichts“, tröstete ich ihn. „Das von Tante Frieda wird tausendmal schöner.“

Der Himmel leuchtete und funkelte. Der Junge schaute nach oben und du auch, nur ich sah dich an, versuchte, mir dein Gesicht einzuprägen, deine schönen, feinen Züge, die weiche Müdigkeit. Ich wünschte dir so sehr, dass du nicht müde würdest vom Leben, ehe du nicht, die nackten Füße im Sand, unter Palmen gesungen hättest.

„Ich sehe dich nicht wieder“, hast du irgendwann gesagt.

„Nein“, habe ich gesagt.

„Das hätte was werden können mit uns.“

„In einem anderen Leben. Unter einem anderen Stern. Wer weiß das schon.“