Abenteuer unterwegs - Peter Klein - E-Book

Abenteuer unterwegs E-Book

Peter Klein

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Beschreibung

Eine Liebeserklärung an das Reisen mit dem Fahrrad! Bevor es lostgeht, bin ich jedesmal nervös. Meine äußerliche Gelassenheit ist nur vorgespielt. Erst am Bahnhof rechtzeitig angekommen, wartend auf den Zug, werde ich ganz langsam ruhiger. Dann sitze ich im Zug, mein Fahrrad im entsprechenden Abteil geparkt, schaue aus dem Fenster - und denke: herrlich, die Reise geht los. Ein wundervolles Gefühl zieht durch meinen Körper und mein erster Eintrag ins Tagebuch ist: "Ich bin wieder unterwegs!"

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Peter Klein lebt mit seiner Ehefrau an der Ostsee. Neugierig auf die Welt ist er seit seiner Kindheit gerne unterwegs. Zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem Auto, im Flugzeug, vor allem mit wenig Gepäck.

Viele Jahre kletterte er als Bergsteiger an steilen Fels- und Eiswänden in den Alpen. Er stand auf dem höchsten Berg Europas, dem Elbrus im Kaukasus, war bei Expeditionen im Himalaja dabei und wanderte tagelang im Januar auf einem gefrorenen Fluss im Norden Indiens ins ehemalige Königreich Zanskar.

Er bereiste mit seiner Frau per Fahrrad die Küste der Niederlande, die Nordseeküste Deutschlands, radelte mit einem Freund von Kassel bis in die südliche Schweiz nach Soglio, bevor er beschloss, mit seinem Fahrrad allein von Wien nach Istanbul und in späteren Jahren durch Zentralasien bis zur chinesischen Grenze zu fahren. Inzwischen kennt er Oman in Arabien per Rad, umrundete Kuba, wanderte an der belgische Küste von den Niederlanden bis Frankreich, in Deutschland von Flensburg bis Kiel und … und …

Besonders genießt er seit einigen Jahren seinen Cappuccino am Ostseestrand in Damp …

Bisher erschienen:

Peter im Himalaja, 1997

Tagebuch einer Expedition zum Manaslu

Peter im Karakorum, 2000

Tagebuch einer Pionierreise zum Fuß des K2

blue eyes – so strahlend himmelblaue Augen, 2020

ein Liebesroman

Küsse, fliegende Tomaten und sonstige Leidenschaften, 2022

ein Liebesroman

Inhalt

Kapitel 1: Wien Westbahnhof

Kapitel 2: Blick zurück

Kapitel 3: Die letzten Vorbereitungen

Kapitel 4: Der erste Reisetag

Kapitel 5: Der zweite Reisetag ist für mich immer der Schwerste

Kapitel 6: Erste Einladung

Kapitel 7: Meine erste Reifenpanne

Kapitel 8: Auf den Spuren von Kaiserin Sissi

Kapitel 9: Lange Fahrt durch topfebene Landschaft

Kapitel 10: Endlich ein Ruhetag

Kapitel 11: Ein neues Land

Kapitel 12: Neues Land, neue Erfahrungen

Kapitel 13: Der Campingplatz

Zu den zwei Eichhörnchen

Kapitel 14: Mitten in Siebenbürgen

Kapitel 15: Sibiu

Kapitel 16: Über die Karpaten

Kapitel 17: Endlich im warmen Süden

Kapitel 18: In der Walachei

Kapitel 19: Sonne, Staub, flaches Land

Kapitel 20: In Bulgarien an der Donau entlang

Kapitel 21: Im fünf Sterne Hotel

Kapitel 22: Endlich am Schwarzen Meer

Kapitel 23: Am Schwarzen Meer entlang

Kapitel 24: Vollmond über dem Strand von Vama Veche

Kapitel 25: Wieder in Bulgarien

Kapitel 26: Bergauf – bergab

Kapitel 27: Mein zweiter Ruhetag

Kapitel 28: Seltsame Stimmung auf dem Weg zum Sonnenstrand

Kapitel 29: Eine kurze Etappe von Nesebar bis Sozopol

Kapitel 30: Eine lange Fahrt durch Buchenwälder

Kapitel 31: Eine ungewöhnliche Unterkunft

Kapitel 32: Türkei, das fünfte Land meiner Reise

Kapitel 33: Efes Bier und Goethe

Kapitel 34: Die T-Kreuzung in der Türkei

Kapitel 35: Am Marmarameer entlang

Kapitel 36: Istanbul

Kapitel 37: Ata Türk Airport

Reiseroute

Anmerkung zu diesem Buch

Eine persönliche philosophische Betrachtung, die ich mir vor längerem auf einem kleinen Blatt Papier notierte:

Eigentlich besteht Leben aus wenigen intensiven Momenten und vielen Zwischenräumen. Ein Gehirn braucht Pausen – man kann nicht nur mit voller Power leben.

Das hält keiner aus. Blickt man im Alter zurück, hat man vielleicht 10, 20 Jahre intensiv gelebt.

Aber diese, meine Reise im August / September 2006 gehört unbedingt dazu.

Vorwort – Mein Fahrrad

Im Spätsommer 1996, nachdem meine Frau und ich von Zürich zurück nach Kassel gezogen waren, fühlte ich wieder Lust, häufiger Fahrrad zu fahren und beschloss mir ein Tourenrad anzuschaffen. Ich ging in das kleine barackenähnliche Geschäft zum alten ‚Edelmann‘, der in Kassel einen gewissen Kultstatus bei Fahrradfahrern hatte, und erklärte ihm, was ich suchte. Er stellte mir einige Räder vor, schaute, welche Rahmengröße zu mir passen würde und gab mir schließlich mehrere zur Probefahrt. Ein dunkelgrünes gefiel mir sowohl von der Ästhetik als auch vom Fahrgefühl. Ich sagte, „das nehme ich, aber zu dem dunkelgrünen Rahmen passt weder das schwarze Schutzblech noch der schwarze Gepäckträger, die hätte ich gerne genauso silbern wie den Lenker. Außerdem möchte ich an diesem geraden Lenker links und rechts silberne Hörnchen“. Ich fand sowas sah schick aus und stellte später auf meinen Langstrecken fest, wie gut es ist, wenn man die Hände am Lenker in variable Stellungen bringen kann. Als letztes sagte ich noch, „der Sattel, der ist mir zu schmal, ich möchte einen gemütlichen haben“. Bei allen anderen Wünschen nickte Herr Edelmann, ein älterer Herr im grauen Arbeitskittel, nur hier widersprach er mir sofort. „Junge“, sagte er, „der Sattel ist super, je schmaler und härter, umso länger kannst du darauf fahren. Der bleibt!“ Er setzte dann noch hinzu, „wenn du ihn doch wechseln willst, kannst du jederzeit kommen, dann tausche ich ihn um.“

Wir einigten uns auf den Preis, das Abholdatum und ich marschierte zufrieden voller Vorfreude nach Hause.

Inzwischen ist mein Fahrrad 26 Jahre alt, der dunkelgrüne Rahmen strahlt noch immer. Irgendwann habe ich das Vorderrad gewechselt, fahre jetzt mit Radnabendynamo, das Hinterrad musste erneuert werden, die Pedale sind erneuert, die Bautenzüge, die Zahnräder hinten, der Gepäckträger. Der Sattel jedoch ist immer noch derselbe. Ich hatte nie Probleme, lange Strecken darauf zu sitzen. Der Tipp vom ‚alten Edelmann‘ war gut. Manchmal, wenn ich am späten Nachmittag noch keine Unterkunft gefunden hatte, sagte ich zu mir, nicht lange knurren, ab mit deinem Po auf diesen Sattel, gib Druck auf die Pedale und zisch ab.

Prolog

‚…catch your dreams, bevor they slip away …. lose your dreams and you lose your mind…‘

Songzeile aus Ruby Tuesday , Rolling Stones

Die T-Kreuzung in der Türkei am 16. September 2006:

Da stehe ich nun in der Türkei, Mitte September, Samstag nachmittags so gegen 15 Uhr, die Sonne scheint, die Mittagshitze ist vorbei, Wind weht, ich habe mein Fahrrad am Straßenrand abgestellt, die Karte in die Hand genommen. Ungefähr 100 km hinter mir liegt Bulgarien und etwa 150 km vor mir Istanbul mein Ziel.

Eine T-Kreuzung rechts Richtung Marmarameer, links zum Schwarzen Meer. Ich trinke einen Schluck Wasser, stecke mir ein Stück Schokolade in den Mund und schaue von meiner Karte zur Landschaft, zu den Hügeln rechts, wo irgendwo weit hinten das Marmarameer sein muss. Ich blicke auf die Straße links, die in sanften Kurven über welliges Gelände zum Schwarzen Meer führt.

Meine Oberschenkel sind müde vom stetigen auf und ab der hinter mir liegenden Straße. Vor ca. einer Stunde habe ich in einer Konditorei einen Tee getrunken und zwei wahnsinnig süße Stückchen gegessen. So süß normalerweise wäre mir schlecht geworden, aber bei dieser Strecke 50 Meter hoch, 80 runter, 70 hoch, 40 runter und immer so weiter hatte ich die Kalorien dringend benötigt, außerdem blies der Wind in den letzten Stunden intensiv aus Südost gegen mich.

Jetzt also muss ich mich entscheiden, fahre ich Richtung Süden zum Marmarameer, hauptsächlich bergab oder zum Schwarzen Meer wieder östlich gegen den Wind und wie meine Karte zeigt, wird es hügelig weitergehen. Ich bin vom Schwarzen Meer mit seinen kräftigen dunkelblauen Wellen vor zwei Tagen in Bulgarien ins Landesinnere abgebogen und durch wenig bewohntes Grenzland in die Türkei geradelt. Leider gibt es direkt am Meer keinen Grenzübergang.

Ich stehe in der Sonne und lasse meine Gedanken rückwärts schweifen.

Vor fast 4 Wochen hatte ich mein Fahrrad in Wien am Westbahnhof aus dem Fahrradwagen des Nachtzuges ausgeladen und war seitdem etwas über 2600 km durch Österreich, Ungarn, Rumänien, Bulgarien in die Türkei getrampelt. Bei Sonne, Hitze, im Regen, gegen oder mit dem Wind, über hohe Pässe durch Schnee, bis ich endlich in Constanta mein erstes Ziel, das Schwarze Meer, erblickte. Dort las ich auf einem Straßenschild Istanbul 980 km und noch 12 Tage Zeit, bis mein Flieger vom Ata Türk Airport Istanbul zurück nach Frankfurt starten sollte. In diesem Moment war ich mir sicher, ich schaffe auch mein zweites Ziel, ich werde Istanbul von Wien aus mit meinem dunkelgrünen Fahrrad und den beiden Satteltaschen mit ca. 12 Kilo Gepäck beladen erreichen.

Aber zurück zur T-Kreuzung. Schade, dass es kein Kreisverkehr ist, da könnte ich stundenlang radeln, ohne mich entscheiden zu müssen. Hier heißt es links zum Schwarzen Meer, das mich 1969 auf meiner ersten Tour nach Istanbul (damals mit zwei Freunden und Auto) beim Anblick am Abend auf einem Campingplatz so faszinierte mit seinen dunklen Wellen, seinem extrem klaren Sternenhimmel oder rechts zum Marmarameer und dann an der Küste entlang an Büyük Cekmece vorbei. Der Ort, in dem ich mit meiner Frau und meinen Kindern bei türkischen Freunden vor über 15 Jahren mehrere Urlaube verbrachte. Hinter Büyük Cekmece, ich erinnere mich, geht es auf einer langen Steigung die vierspurige Straße Richtung Istanbul hoch, an der ich damals, vor dem Ferienhaus sitzend, die Rücklichter der Autos wie Glühwürmchen den Berg hochziehen sah.

Wie soll ich mich entscheiden? Meine Grundidee war, ab Wien in relativ direkter Linie zum Schwarzen Meer, dann möglichst nah an der Küstenlinie entlang zu fahren. Würde es am Schwarzen Meer eine kleine Küstenstraße geben, obwohl auf meiner Landkarte keine eingezeichnet war? Ich hatte zur Gewichtsersparnis für diese Region nur eine Karte mit sehr großem Maßstab von Bulgarien mitgenommen, auf der der europäische Teil der Türkei als Restposten mit dran hing.

Fragen über Fragen, woher die Antworten nehmen?

Kapitel 1: Wien Westbahnhof

Wie und wann entstand diese Idee, dieser Wunsch ans Schwarze Meer und bis nach Istanbul zu radeln? Alleine mit wenig Gepäck, mit dem Plan, jeden Abend ein gemütliches Bett zu haben und einmal am Tag warm zu essen.

Intensiv überlegt, was nehme ich wirklich mit, denn alles, was ich in meine Satteltaschen einpacke, ist Gewicht, das ich zusätzlich zu mir auf dem Fahrrad bewegen muss. Das schwerste sind Werkzeug und Ersatzschläuche, Erste-Hilfe-Kästchen, Reiseführer, Kamera mit Ladegerät, Rei in der Tube, Waschsachen. Dazu für alle Fälle einen Biwaksack, Regenjacke und Regenhose, Unterwäsche, Socken, eine warme Jacke, T-Shirts, Badehose. Den Fahrradhelm, Sonnenbrille, lange Hose, deren Hosenbeine man hochkrempeln kann, leichte Turnschuhe. Ein elastischer Gürtel mit zwei flachen Stofftaschen dran, der direkt auf der Haut getragen wird mit Geld, Pass, Kreditkarte, Leporello mit Fotos meiner Lieben, eine Bauchtasche mit Brille, Kamera, Handy.

Endlich, am 20.8.2006 starte ich nachmittags mit einem Regionalexpress von Kassel nach Frankfurt Hbf, wo ich in den Nachtzug Amsterdam – Wien Westbahnhof umsteigen werde. Von dort aus will ich mit dem Fahrrad nach Istanbul zum Ata Türk Airport radeln und spätestens am 21.09.2006 zurück nach Frankfurt fliegen. Schließlich werde ich mit dem Regionalexpress nach Kassel-Wilhelmshöhe zurückfahren. Das ist mein Plan, dafür habe ich Zugfahrkarten und Flug bei Lufthansa gebucht.

So gegen Mitternacht läuft der Nachtzug ein. Ich verstaue mein Fahrrad im Gepäckwagen, lege meine Satteltaschen auf ein Bett in der Zweierkabine, die ich gebucht habe und gehe in den Speise- und Barwagen, um einen Schlummertrunk zu nehmen. Dort treffe ich auf zwei weitere Radler. Wir plaudern beim Bier, fragen gegenseitig, wer will wohin? Sie haben den Schlafwagen bis Triest gebucht, um von dort die kroatische Küste entlang bis nach Dubrovnik zu radeln. Später, beim nächsten Bier, erzählen wir gegenseitig, wer bislang welche Strecken, welche Straßen befahren hat, welche lustigen und interessante Dinge wir schon in diversen Ländern Europas erlebten.

Als ich zurück zu meinem Abteil komme, ist für das zweite Bett in der Kabine ein Schlafgast eingetroffen, ein US-Amerikaner, der nach Wien will, um Geschäfte zu machen, Urlaub oder so? Er tut sehr geheimnisvoll, so stelle ich mir vor, er sei ein Spion auf dem Weg in den Balkan. Am Morgen bekommen wir vom Schlafwagenservice ein kleines Frühstück, Croissant, Kaffee gebracht.

Gegen 9.00 stehe ich mit meinem dunkelgrünen, in der warmen Augustsonne glänzenden Fahrrad an jeder Seite des Gepäckträgers dunkelgrüne, wasserdichte Satteltaschen auf dem Platz vor dem Wiener Westbahnhof, schaue mich um, denn ich suche einen Fotoladen.

„Entweder brauche ich Dia-Filme oder eine moderne kleine Digitalkamera“, sage ich zu dem Verkäufer. Meine Mutter hatte mir beim Abschied in Kassel 200 Euro in die Hand gedrückt und die gebe ich jetzt aus. Der Verkäufer erklärt mir kurz die Kamera, legt die Speicherkarte ein und eine halbe Stunde später rolle ich zum Vorplatz des Bahnhofes zurück. Ich möchte unbedingt ein Foto von meinem Fahrrad vor dem Schriftzug Wien Westbahnhof haben. So erledigt, Beweisbild gespeichert, jetzt kanns losgehen. Einen Stadtplan von Wien habe ich nicht. Über die Sonne, die glücklicherweise scheint, peile ich die Himmelsrichtung an und radle solange nach Südosten, bis das erste Straßenschild auftaucht, auf dem Eisenstadt steht. Das passt, denn es ist eine Stadt im Südosten Österreichs kurz vor der Grenze zu Ungarn. Dieses Land zu erreichen, ist mein Ziel für heute. In einem kleinen Supermarkt besorge ich mir Saft, Wasser, Schokolade, Bonbons, alles, was ich so als Notration dabeihaben möchte und etwa eine Stunde nach meiner Ankunft fahre ich endlich aus Wien aus der Großstadt raus.

Wunderbar diese Stille auf dem Land. Ein weiter Blick über Felder voller Sonnenblumen, Obstbäume am Wegrand, ich rolle beschwingt auf einer kleinen Landstraße im Sonnenschein entlang und komme an etlichen Bauernhöfen vorbei, deren Eingänge mit bunten Sträußen verziert sind und an denen ein Schild hängt: ‚ausgesteckt vom soundsovielten bis soundso‘. Kenne ich, das sind Weinbauern, die kurzfristig ein Heurigenlokal einrichten dürfen. Hier gibt es den ersten neuen Wein des Jahres und leckere Vesper dazu. Mittags stoppe ich an einem mit gelben und roten Blumengirlanden geschmückten Tor und betrete einen gemütlich eingerichteten Innenhof. Ich trinke Weinschorle, esse ein dick mit Schinken belegtes Brot, superlecker. Danach finde ich im Hintergrund noch ein gemütliches schattiges Plätzchen für einen kurzen Mittagsschlaf.

Kapitel 2: Blick zurück

So im Halbschlaf rotieren die Gedanken durch meinen Kopf und tausend Fragen tauchen auf. Wieso bin ich bereit, einen Monat lang meinen Po auf diesen schmalen Sattel zu setzen, um ungefähr 2500 km bis Istanbul zu trampeln. Um das zu erklären, drehe ich meine Zeituhr sechs Jahre zurück.

Ich war mit einem Schweizer Bergführer und weiteren neun anderen Abenteurern auf einer Pionierreise unterwegs, von Bishkek der Hauptstadt von Kirgistan über Kashgar, einer seit Jahrhunderten bekannten Metropole an der Seidenstraße in China, ins wilde Karakorum. Wir wollten in diesem Gebirgsmassiv, in dem einige über 8000m hohe Berge stehen (K2, Broad Peak u.a.), eine Wanderroute entwickeln. Auf unserer Fahrt in Kirgistan mit einem umgebauten Armeelaster auf Straßen voller Schlaglöcher, sah ich einen Fahrradfahrer, voll bepackt mit Satteltaschen vorn und hinten und am Gepäckträger eine Deutschlandfahne. Wow, dachte ich, ist das toll, radelt der so von Deutschland aus durch Asien, stark. Ein paar Wochen später sah ich im dichten Nebel am Khunjab-Pass zwischen China und Pakistan auf dem Karakorum Highway weitere Fahrradfahrer, diesmal zwei junge Männer mit einer tschechischen Fahne. Diese Bilder haben sich in meinem Kopf eingebrannt und in mir den Wunsch geweckt, nachzudenken, ob ich das auch machen könnte, von Deutschland nach Peking zu radeln.

Unsere damalige Reise war eine Pionierreise, weil nie klar war, ob alles so funktionierte, wie Kari (unser Reiseführer) es geplant und angeboten hatte. Nach zwei Wochen im Karakorum mussten wir unsere Route komplett umplanen, denn unsere Kamele, auf denen das Gepäck (und manchmal auch wir) durch Flüsse transportiert wurden, weigerten sich schließlich einen immer stärker strömenden Fluss zu durchqueren. Das Wasser reichte ihnen bis zur Bauchmitte und das mochten sie überhaupt nicht. Also blieb uns nichts anderes übrig, als den Weg, den wir gekommen waren, wieder zurückzugehen, durch Geröllfelder, Steinwüsten, über einen 4750 Meter hohen Pass. Die Entscheidung, nicht weiter vorwärts zu trecken, wurde uns durch den Willen der Kamele vorgegeben, zurück zum Ausgangspunkt der befahrbaren Straße. Dort warteten Jeeps auf uns, die unser chinesischer Begleitoffizier per Karis Satellitentelefon geordert hatte. Sie brachten uns zurück nach Kashgar. Von dort ging es per Bus über den bereits erwähnten Khunjab-Pass nach Pakistan auf dem wilden Karakorum Highway, vorbei am Nanga Parbat, dem am weitesten westlich gelegenen 8000er, nach Gilgit und letztendlich zur Hauptstadt Islamabad. (Im Detail nachzulesen in meinem Tagebuch ‚Peter im Himalaja‘, erschienen in 2001)

So ist das mit den Pionierreisen. 4 Jahre später war ich im Januar mit einer kleinen Gruppe im Himalaja unterwegs, diesmal von Ladakh in Nordindien nach Zanskar auf einem gefrorenen Fluss. Total spannend, aber mich störte der Aufwand, den wir betrieben, 30 Träger, wir durften nur in Zelten schlafen, bekamen speziell für uns gekochte Speisen zu essen. Die Träger schliefen in Höhlen am Lagerfeuer, aßen ihren Getreidebrei, tranken Tee dazu, während bei uns sogar Whisky zum Aperitif gereicht wurde. Nach einigen Wandertagen kam uns eine Französin mit einem einheimischen Führer auf dem Fluss entgegen, sie hatte ein halbes Jahr in Zanskar gelebt und ethnologische Studien betrieben. Die beiden schleppten keine Zelte und keinen solchen Luxus mit wie wir. Wozu benötige ich einen Reiseleiter, den ich auch noch bezahlen muss, damit er dieselben Dinge erlebt wie wir Teilnehmer? Nein, dachte ich am Ende dieser – insgesamt total spannenden – Reise, das nächste Mal bin ich alleine oder nur mit einem Freund unterwegs.

Die Bilder der Radfahrer in Kirgistan und auf dem Karakorum Highway waren nie aus meinem Kopf verschwunden. In Kashgar trafen wir auf dem Markt einen Franzosen, der von Paris aus zu Fuß nach Peking wanderte. Außerdem einen Österreicher, der per Bus und trampend unterwegs war und uns von den leckeren und preiswerten Speisen in den Garküchen an den Straßen Asiens vorschwärmte. So viele Eindrücke, so viele Sehnsüchte, die in meiner Seele das stets vorhandene Fernweh erst recht zum Lodern brachten.

In den folgenden Jahren schaute ich oft die Landkarte Asiens an, habe die Kilometer bis Peking überschlagen, eine Strecke überlegt, ungefähr 10.000 km machbar, vermutlich in sechs Monaten, aber mit allen Unwägbarkeiten, Umwegen, die einzukalkulieren sind, würde ich mindestens neun Monate veranschlagen und diese viele freie Zeit an einem Stück habe ich nicht. Funktioniert nicht, wenn man wie ich in einer guten, intensiven Beziehung lebt, so lange werde ich Marilu, meine Frau, nicht allein lassen. Ob meine berufliche Situation zu einer so langen Abwesenheit gepasst hätte? Vielleicht. Es klang in meinem Kopf immer wieder ein Lied auf, das ich 1996 in einem Theaterstück in Zürich gehört hatte, ‚s‘ isch ja nur es chlies Träumli gsi, Träumlis sind so schnall vorbi‘. (Frei übersetzt: hör auf zu träumen, bringt eh nichts …)

Aber im Frühjahr 2005, etwa ein Jahr nach meiner Zanskarreise, meldete sich mein Fernweh zu kräftig zurück, fing an, wie Feuer in mir zu brennen, und immer, wenn mir das Lied von den ‚Träumlis‘ in den Kopf kam, standen mir die Tränen in den Augen. Nichts half, außer über neue Touren nachzudenken.

Vielleicht könnte ich nächstes Jahr mir wieder einen Monat von allen Verpflichtungen freinehmen, in die Welt hinausfahren. Vielleicht diesmal mit dem Fahrrad unterwegs sein, überlegte ich. Wohin? Auf jeden Fall sollte es etwas Abenteuerliches, Ungewöhnliches sein. Ich gab meinem Unterbewusstsein den Auftrag, denk drüber nach, lass dir was einfallen und die geheimen Nervenzellen, die verborgenen Synapsen fingen an, sich zu verknüpfen, zu fantasieren, zu träumen, etwas zu konkretisieren, zu verwerfen, wieder neu aufzunehmen. Ab und an erschienen diese Pläne in meinem Bewusstsein, ich schaute auf Karten, schätzte Entfernungen ein, beschäftigte mich mit Wetterprognosen, fühlte in mich hinein, was traue ich mir zu?

Das Schwarze Meer ploppte mehrfach in meinem Kopf auf. Ein spannendes Ziel. Dieses Meer beeindruckte mich im Jahr 1969 tief. Damals war ich mit zwei Freunden im Auto über Österreich, Ungarn, Serbien, Bulgarien bis Istanbul gefahren, zurück ging es über Griechenland, an der Küste , damals die jugoslawische, hoch bis Triest und mit letzter Kraft des Vergasers unseres Fahrzeugs über den Brenner nach München, wo ich lebte und studierte. Wir lagen in unseren Schlafsäcken unter freiem Himmel am Ufer des Schwarzen Meeres, die Wellen rollten in sanften Klängen auf den Sandstrand. Ich sah einen wundervollen Sternenhimmel, Sternschnuppen blitzten durch die dunkle Nacht. Sieht man eine Sternschnuppe, darf man sich etwas wünschen, aber nie aussprechen. Habe ich mir damals gewünscht, an dieses Ufer zurückzukehren?

Mit dem Fahrrad das Schwarze Meer umrunden? Ich studierte im Internet Karten, suchte nach Reiseberichten von anderen Langstreckenradlern, aber fand keine zu diesem Thema. Ukraine, Russland, Georgien, Türkei, Bulgarien, Rumänien, einmal rund um dieses Meer ist nicht in einem Monat zu schaffen, das wurde mir bald klar. Zu weit, dazu die derzeitige Unmöglichkeit von Georgien nach Russland weiterzureisen. Diese beiden Länder stehen sich derzeit an ihren Grenzen unversöhnlich gegenüber, denn Abchasien, die nördliche Provinz an der Küste, hatte sich von Georgien unabhängig erklärt und war freundschaftlich von Russland empfangen worden. Keine Ahnung, aus welchen politischen oder historischen Querelen sich dieses Problem entwickelte.

Plan gestrichen. Allerdings ließ mich das Schwarze Meer nicht los. Wieder intensives Studium der Landkarte von Südosteuropa. Rumänien kannte ich noch nicht, Ungarn hatte ich auf meiner Balkantour 1969 mit einem 72 Std-Durchreisevisum kennengelernt, Bulgarien für 48 Stunden. Die Idee, zum Schwarzen Meer und an der Küste entlang bis Istanbul zu radeln, gefiel mir. Wo starten? In München, von dort auf dem Donauradweg nach Wien? Nee, der Radweg Passau-Wien törnte mich nicht an, er war als Autobahn der Radwanderer bekannt. Nichts für mich. Wie weit ist es eigentlich von Wien bis Istanbul? Heute, in diesem jetzigen Jahr, indem ich diesen Bericht schreibe, ist so was simpel, man geht auf eine App ‚bikemap‘ und in kurzer Zeit ist die Strecke dargestellt, eventuell sogar mit Höhenmetern. Übernachtungen sucht man sich per ‚Maps.me‘ raus. Damals, in 2005 begann das Abenteuer bereits bei der Planung. Ich fing an, auf Karten im Internet Entfernungen zu recherchieren und schätzte schließlich die Strecke auf 2500 Kilometer. Ist das in einem Monat machbar? Bis Wien könnte ich von Frankfurt aus im Nachtzug reisen, denn in diesem kann man im Gegensatz zum ICE sein Fahrrad mitnehmen.

All das reifte vom Frühjahr 2005 bis zum Frühjahr 2006 in meinem Kopf, schaffe ich das so ganz allein? Gibt es jemanden, der Zeit und Lust hätte, mit mir einen Monat lang diese Strecke zu radeln? Ich ging in Gedanken meine Freunde, die für so was infrage kämen, durch, fand aber keinen. Sollte ich es allein versuchen? Ich überließ diese Frage wieder meinem Gehirn, sollte sich mein Unterbewusstsein mit diesem Thema rumschlagen. Die Vernunft würde sagen: „Junge, es gibt schöne Hobbies und Spiele, Halma, Mühle, Mah-Jongg oder so. Wozu willst du dich auf einem harten, schmalen Sattel einsam über die Straßen des Balkans quälen.“ Je länger sich meine Gehirnzellen damit beschäftigten, umso deutlicher wurde meine Sehnsucht nach Freiheit, mein Abenteuer auf Neues, meine Neugier auf die Menschen, die dort wohnen, auf die Kulturen der Länder, die ich durchzureisen plante. Ich bestellte Reiseführer und Landkarten, berichtete meinem Freund Manfred, in dessen Geschäft ich derzeit für Buchhaltung zuständig war, von meiner Idee und dass ich im Spätsommer vier Wochen nicht im Büro sein könne.

Bevor ich allerdings weiter planen konnte, musste ich erst mal mit Marilu sprechen, ihr erklären, dass mein Fernweh wieder riesengroß war, dass die weite Welt mich rief, nein, nicht nur rief, sie zog mich. Es ist sehr schwierig, jemandem, der das nicht kennt, die Sehnsüchte, den Wunsch nach Freiheit und Abenteuer (zumindest für einen Monat) zu erklären.

Ihre Fragen hießen: „Wieso? Was willst du dort? Warum musst du dich auf ein solches Wagnis einlassen? Warum schon wieder?“ Letztlich sagte sie, „schreibs mir auf, warum du diese Reise unternehmen willst.“

Einen solchen Brief schrieb ich schon mehrfach, der Text war jedes Mal ähnlich, immer wieder der Versuch, Fernweh zu erklären. Wer dieses Gefühl nicht kennt, weiß nicht, wie sehr es schmerzen kann. Der Geruch von fremder Luft, die Neugier, Neues kennenzulernen, das Überschreiten von Grenzen real und symbolisch, eine fremde Sprache zu hören, vielleicht sich sogar mit einem anderen Alphabet zu beschäftigen, fremde Währungen umzurechnen, fremde Speisen kennenzulernen, Früchte dort zu essen, wo sie wachsen. Das Bewusstsein, ein Fremder, ein Exot zu sein, etwas Ungewöhnliches zu unternehmen, über das man in der Ferne ins Gespräch mit den staunenden Einheimischen kommt. Andere Reisende zu treffen, auf der Straße oder in einem Café und mit diesen Erlebnisse auszutauschen. Später wieder zu Hause, all diese Momente in den Synapsen gespeichert, jederzeit im Kopf abrufen und voller Freude in Gedanken nachreisen zu können. Farben, Düfte, Gespräche, die man kurz geführt hat, Landschaften, die aufblitzen. Diese ungeheure Fülle neuer Erfahrungen, wow, all das zieht mich hinaus.

Nachdem ich Marilu den Plan erzählt hatte und ihr konkret nannte, wann ich reisen will, begannen ihre Fragen und meine Erklärungen immer wieder von neuem. Ein Kreisverkehr, der erst dann endet, wenn ich ihr den Abschiedskuss gebe und losfahre.