Das Aufstellungsbuch - Peter Klein - E-Book

Das Aufstellungsbuch E-Book

Peter Klein

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Beschreibung

Aufstellungen helfen, Krisen zu bewältigen, die Persönlichkeit zu stärken und das Innen- und Außenleben in eine ausgeglichene Balance zu bringen. Was ist eine Aufstellung und wie funktioniert sie? Das Aufstellungsbuch erklärt die theoretischen Grundlagen und die praktische Anwendung dieser Methode. Neben einem fundierten Überblick über die Geschichte, die Entwicklung und die Pioniere der Aufstellung bietet es umfassende Informationen über deren vielfältige private und gesellschaftliche Einsatzgebiete. Diese reichen von Familien, Paarbeziehungen und Organisationen über Management, Gesundheit und Kunst bis hin zu Herausforderungen in Finanzkrisen. Neben theoretischen Informationen zu zahlreichen Arten der Aufstellung zeigen die Autoren anhand aussagekräftiger Beispiele die Praxis, "State of the Art", auch mit neuesten Entwicklungen wie Szenischen oder Kollektiven Aufstellungen.

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Seitenzahl: 533

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Peter KleinSigrid Limberg-Strohmaier

Das Aufstellungsbuch

Familienaufstellung, Organisationsaufstellungund neueste Entwicklungen

Peter KleinSigrid Limberg-Strohmaier

Das Aufstellungsbuch

Familienaufstellung,Organisationsaufstellung undneueste Entwicklungen

Unter Mitarbeit von Sonja Stepanekund Monika Hahn

Aus Gründen der Lesbarkeit wurde in diesem Buch darauf verzichtet, geschlechtsspezifische Formulierungen zu verwenden. Die Autorin und der Autor möchten jedoch ausdrücklich festhalten, dass die verwendeten maskulinen Formen für beide Geschlechter zu verstehen sind.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Vorwort von Florian Henckel von Donnersmarck („Jede gute Geschichte hat eine gewisse Unausweichlichkeit“) aus: Psychologie heute

1. Auflage 2012© 2012 by Braumüller GmbHServitengasse 5, A-1090 Wien

www.braumueller.at

Cover: Yasmin Sowa

ISBN E-Book: 978-3-99100-077-8

ISBN der Printausgabe: 978-3-99100-076-1

Inhalt

Vorwort von Florian Henckel von Donnersmarck

Vorwort von Sigrid Limberg-Strohmaier und Peter Klein

1. Das Erlebnis einer Aufstellung

Ein Dialog

2. Die Grundlagen der Aufstellung

2.1. Die verschiedenen Perspektiven einer Aufstellung

2.2. Die Aufstellung erweitert und vertieft Perspektiven

2.3. Hokuspokus oder wie funktionieren Aufstellungen?Wissenschaftliche Erklärungsversuche

2.3.1. Wissenschaftliche Forschung

2.3.2. Erklärungsansätze aus verschiedenen Perspektiven

2.3.3. „Es wirkt!“ – Wirksamkeitsstudien zu Aufstellungen

2.3.3.1. Das Selbstbild verändert sich

2.3.3.2. Wie reagieren Gehirne in Aufstellungen? Gehirnstrombilder

2.3.3.3. Die Wahrnehmung des Stellvertreters ist nicht willkürlich

2.3.3.4. Die Organisationsaufstellung als wirksame Unterstützung für das strategische Management

2.4. Neue wissenschaftliche Erklärungsmodelle liefern Denkansätze für das Verständnis von Aufstellungen

2.4.1. Der Erklärungsansatz über morphogenetische / morphische Felder

2.4.1.1. Morphogenetische Felder

2.4.1.2. Morphische Felder

2.4.1.3. Morphische Resonanz

2.4.2. Erklärungsansätze aus der Neurobiologie

2.4.3. Die Denkansätze aus der Quantenphysik

2.5. Die buddhistischen Vorstellungen

2.6. Das Orakel von Delphi – Themen für eine Aufstellung

3. Die Pioniere der Aufstellungsarbeit

3.1. Am Anfang war die Familienaufstellung

3.2. Jakob Levy Moreno (1889–1974) – Psychodrama und Soziometrie

3.3. Virginia Satir (1916–1988) – Begründerin der Systemischen Familientherapie

3.4. Bert Hellinger – Der Vater des Familienstellens

3.5. C. G. Jung (1875–1961)

4. Integral-Systemische Aufstellungen der Inneren Form

4.1. Das Lehrsystem der Inneren Form

4.2. Der Methodenkreislauf der Inneren Form in einer Aufstellung

4.3. Kinesiologie – der Körper gibt Feedback

5. Fallbeispiele aus der Praxis

5.1. Mit Geld spielt man nicht – vor allem nicht in Beziehungen!

5.2. „Sich wegbeamen oder im ‚Hier und Jetzt‘ neu durchstarten“

5.3. Geld weist den Weg in das neue Bewusstsein

5.4. Aus Wut entsteht Mut, dem eigenen Herzen zu folgen

5.5. Aus Frust wird Lebenslust und selbstbewusstes Handeln

5.6 Ich bin im falschen Film, nichts klappt in meinem Leben

5.7. Identität statt Selbstverleugnung!

5.8. Mutter- und Tochterkonzern – die Macht der Entscheidung

5.9. Ein Unternehmer übergibt sein Unternehmen – an sich selbst …

6. Neue Formen der Aufstellungsarbeit

6.1. Kunst- und erlebnispädagogisches Lernen – Von der Drehbuchaufstellung zur Szenischen Aufstellung

6.2. Kollektive Bewusstseinsaufstellung – Finanzkrise

6.3. „Es braucht noch viel Heilung …“ Kollektive Bewusstseinsaufstellung: Finanzkrise – Symptom einer Systemkrise?

7. Möglichkeiten und Grenzen der Aufstellung

8. Ausblick

Danksagung

Glossar

Literatur

Abbildungsverzeichnis

Vorwort von Florian Henckel von Donnersmarck

„Jede gute Geschichte hat eine gewisse Unausweichlichkeit“

Im Rahmen meines Filmstudiums an der Hochschule für Film und Fernsehen München hatte ich schon einmal eine Drehbuchaufstellung mitgemacht. Sie hat mich nicht überzeugt. Dort wurde ich zum Beispiel selbst als Hauptfigur aufgestellt, wodurch das Ganze eine sehr kontrollierte Komponente bekam. Ich konnte die Person so bewegen, wie es mir richtig schien – und wurde somit lediglich in meiner eigenen Sicht der Dinge bestärkt. Ich ging also mit viel Skepsis in meine zweite Aufstellung.

Doch schon bald merkte ich, dass hier anders gearbeitet wurde. In einem sehr interessanten Einleitungsgespräch befragten mich die Aufsteller zu meinem Buch und meinen Ideen. Als ich erklärte, dass für mich das zentrale Thema „die Menschlichkeit“ sei – also die Frage, wie weit sich meine Figuren ihre Menschlichkeit auch unter starkem Druck erhalten –, beschlossen sie, dass ich neben den DRAMATIS PERSONAE auch die MENSCHLICHKEIT als Figur aufstellen sollte.

Ich durfte aus einem Kreis von ungefähr 25 sehr unterschiedlichen Teilnehmern selbst aussuchen, wer wen darstellen sollte. Es war eine Art „Blitzcasting“, ein Jahr vor dem Dreh. Schon das war ungemein nützlich: Plötzlich standen Menschen aus Fleisch und Blut vor mir, die die Namen meiner Charaktere trugen (ab da spricht man sie nur noch mit dem Rollennamen an) und sogar ein bisschen so aussahen und waren, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Mit ihnen spielte ich dann – unter der einfühlsamen „Regie“ der Aufsteller – den seelischen Verlauf des Filmes durch.

Wenn Personen gleichberechtigt im Raum stehen, zusammen mit ihrer „Menschlichkeit“, ihrer „Angst“ und anderen Abstrakta, dann erinnert man sich sehr deutlich daran, dass jede einzelne Person für sich selbst der Mittelpunkt des Universums ist. Plötzlich gibt es keine Nebenrollen mehr, genauso wenig wie es Nebenpersonen im Leben gibt. Es gibt nur noch Menschen, die man zwar weniger oft sieht als andere, die aber genau die gleiche Komplexität haben wie die besten Freunde. Ein anderes fast magisches Element der Aufstellung ist, dass ich mit meinen Figuren reden und sie Dinge fragen kann, die mir schon lange auf dem Herzen liegen. Ich kann meiner Heldin ins Auge sehen, ihr eine echte, indiskrete Herzensfrage stellen und sie wird mir darauf antworten müssen, in aller Ehrlichkeit aus der Dynamik der Konstellation heraus.

Aber woher weiß sie es, wenn sie die Geschichte nicht kennt? Dazu Folgendes: Jede gute Geschichte, egal ob Märchen, Theaterstück oder Drehbuch, hat eine gewisse Unausweichlichkeit in sich: Ab zehn Minuten von „Romeo und Julia“ wüsste man, auch wenn es einem nicht schon bekannt wäre, dass die beiden über die Klinge springen müssen, um die Geschichte glaubhaft zu machen. Und irgendwie ahnt man auch schon in „Episode IV“, dass Darth Vader der Vater von Luke ist. Als James Earl Jones es am Ende von „Das Imperium schlägt zurück“ tatsächlich sagt, war man zwar schockiert, aber nicht erstaunt.

Mit diesem unbewussten Wissen arbeitet auch die Drehbuchaufstellung. Wir sind viel klüger, als wir in unseren trüben Momenten denken, wenn wir allein in unserer Schreibstube sitzen. Die Art, wie jemand im Raum steht, enthält fast unbegrenzt viele Informationen. Bei der Drehbuchaufstellung zapfen wir diese Ressourcen an, aktivieren wir diese feinen Sensoren und kommen so in einer Dreiviertelstunde weiter als manchmal in einem Dreivierteljahr.

Vorwort von Sigrid Limberg-Strohmaier und Peter Klein

Viele Künstler lassen sich – wie Florian Henckel von Donnersmarck, der für seinen Film „Das Leben der Anderen“ nicht nur europäische Filmpreise, sondern auch den Oscar für den besten fremdsprachigen Film erhielt – durch Aufstellungen inspirieren, um ihre Charaktere möglichst authentisch miteinander agieren zu lassen. Folgt die Handlung einer unbewussten seelischen Dynamik, so erscheint sie den Zuschauern spannend und glaubwürdig zugleich, denn sie finden sich selbst darin wieder.

So wie jede überzeugende Filmhandlung eine Logik und somit auch eine gewisse „Unausweichlichkeit“ in sich birgt, so zieht sich auch durch das Leben jedes einzelnen Menschen ein unsichtbarer roter Faden. Dieser sogenannte „rote Faden“ reicht weit in das Familiensystem jedes Einzelnen zurück. Auf magische Weise verknüpft er die einzelnen Menschen eines Systems miteinander – selbst dann, wenn sie sich nicht kennen oder nichts von der Existenz des jeweils anderen wissen. Diese Verbindung beeinflusst, bindet oder unterstützt die Gefühle und Handlungen des Einzelnen in der Gegenwart, egal ob er sich dessen bewusst ist oder nicht.

Immer mehr Menschen machen sich in Aufstellungen auf die Suche nach ihrem roten Faden, wenn sie sich in einem Lebensbereich verheddert haben oder dem Drehbuch ihres Lebens eine neue Orientierung geben möchten. Im Feld der Aufstellung zeigen sich verdeckte Einflüsse, die in ihrer Wirkung erfahrbar und erkennbar werden. Sind Verknotungen entwirrt und alte Verstrickungen gelöst, kann über den Faden die Kraft aus dem System wieder frei fließen. Dies erweitert Entscheidungsspielräume und setzt Energie für praktisches Handeln im Alltag frei.

Aus der ursprünglichen Familienaufstellung haben sich die Aufstellungen in verschiedenen Kontexten weiterentwickelt. So suchen Unternehmer in Organisationsaufstellungen genauso nach Antworten wie Partner in Paaraufstellungen nach Klärung ihrer Beziehung. Eine Symptomaufstellung trägt dazu bei, Botschaften, die hinter einer Erkrankung stehen, zu entschlüsseln. Neben Ressourcen und Potenzialen kann man Anteile des Selbst genauso aufstellen wie die einzelnen Bestandteile eines Traumes. Kollektivaufstellungen befassen sich mit politischen, historischen und wirtschaftlichen Themen. Es wird für viele Menschen zunehmend schwieriger, sich innerhalb dieser Vielfalt zu orientieren.

In unserem Institut trugen die Ausbildungsteilnehmer häufig die Frage an uns heran: Gibt es ein Buch über Aufstellungen, das ich meinem Freund, meiner Nachbarin geben kann? Gibt es ein Buch, das für Laien verständlich geschrieben ist und zugleich einen fundierten Einblick in die Thematik der Aufstellung und deren Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte vermittelt?

Bisher haben wir dieses Buch noch nicht gefunden und uns deshalb selbst ans Werk gemacht.

Für uns ist jede Aufstellung ein einzigartiges Kunstwerk, das uns mit der Komplexität des Lebens und der Schönheit der Seele in Kontakt bringt. Um neuen Lösungen wirklich Raum zu geben, braucht es Achtsamkeit, Erfahrung und Präsenz in der Begleitung. Deshalb betonen wir besonders die innere Haltung der Aufstellungsleitung – die Innere Form.

Wir hoffen, es ist uns gelungen, Sie, werte Leserin, werter Leser, neugierig zu machen und Ihr Interesse zu wecken für diese wertvolle Methode.

1. Das Erlebnis einer Aufstellung

Ein Dialog

Die fordernde Berührung am Arm reißt Sandra aus ihren Gedanken und holt sie zurück an diesen Küchentisch, in diesen Morgen, zu ihrem Mann.

Mit forschendem Blick bringt er sich in Erinnerung: „Hallo, guten Morgen. Träumst du noch? Übrigens … dein Kaffee wird kalt“, stellt er sachlich fest.

Etwas irritiert von dem Gefühl, ertappt worden zu sein, wendet sich Sandra ihm zu: „Sorry, ich war in Gedanken bei meiner Aufstellung am Wochenende. Du weißt schon – dieses Seminar, zu dem du nicht mitgehen wolltest.“

„Scheint dich ja intensiv zu beschäftigen, wenn du so wegdriftest. Das kenn ich gar nicht an dir. ‚Immer schön auf dem Boden bleiben und den Realitäten ins Auge sehen‘, so lautet doch dein Lieblingsspruch. Gestern wolltest du mir nicht einmal erzählen, was du dort erlebt hast. Erst bist du das ganze Wochenende weg und dann machst du noch ein Geheimnis daraus. Vielleicht war es ja ein Fehler, nicht mitzugehen. Im Moment nimmst du mich nicht mal wahr“, betont er mit beleidigter Miene.

Seufzend lehnt sich Sandra auf dem Stuhl zurück: „Jetzt krieg dich wieder ein, Stefan. Ich wollte die Bilder erst einmal auf mich wirken lassen.“

„Heißt das, ihr habt dort Bilder gemalt? Dann war es eine gute Entscheidung, nicht mitzugehen, denn Malkurse sind nicht mein Ding. Malen habe ich schon in der Schule gehasst“, neckt sie Stefan.

Nicht aufgelegt zum Scherzen, antwortet Sandra verstimmt: „Tu nicht so, du weißt genau, dass ich nicht auf einem Malkurs war. Im Seminar ging es um eine andere Art von Bildern, um Menschen, die in einem Raum stehen und dadurch in Beziehung zueinander treten: Schauen sie sich an oder nicht? Wie viel Distanz, wie viel Nähe ist da? Und so weiter. Es ging mehr um innere Bilder, die einem nicht bewusst sind. Bilder zu einem Thema, das einen innerlich umtreibt. Du weißt genau, warum ich dort war – wegen dem Stress mit meiner Mutter.“

Seufzend stimmt Stefan ihr zu. Ihm geht die Aufdringlichkeit seiner Schwiegermutter schon lange auf die Nerven: „Die müsste wirklich mal auf so ein Seminar gehen. Warum hast du SIE nicht da hingeschickt? So wie die uns immer in Beschlag nimmt.“

Auch Sandra belastet der Konflikt schon lange. Immer wieder gibt es Streit mit Stefan, weil sich die Mutter in ihre Angelegenheiten einmischt. Sie kann es einfach nicht lassen, gute Ratschläge zu geben und zu den unpassendsten Zeiten aufzutauchen. „Meine Mutter würde nie ein Seminar besuchen, wenn sie nicht genau wüsste, was auf sie zukommt. Da zum Streiten immer zwei gehören, habe ich beschlossen zu schauen, ob es für mich möglich ist, besser verstehen zu können, was dahintersteckt und ich dementsprechend bei mir etwas verändern kann. Und es war spannend, was sich da gezeigt hat. Das hätte ich nicht erwartet.“

„Was sind das überhaupt für Leute, die in so ein Seminar mit Aufstellungen – so heißt das doch – gehen? Lauter Softies, die sich andauernd ihre Wunden lecken und in ihren Gefühlen schwelgen?“

„Du mit deinen Vorurteilen! Das waren ganz normale Leute. Ein junges Pärchen, Eltern, einige Singles waren dabei und sogar eine Oma, die ihr Enkelkind unterstützen wollte. Die fand ich ganz reizend.“

„Also nicht lauter Sozialarbeiter, Therapeuten oder Coaches?“

„Nein, nein. Natürlich hat sich niemand mit seinem Beruf vorgestellt. Aber manchmal konnte man aus dem Anliegen auf den beruflichen Hintergrund schließen. So wollte zum Beispiel ein Mann – ein Banker offensichtlich –wissen, ob bzw. wann er aus der Bank aussteigen soll.“

Ganz irritiert fragt Stefan nach: „Stellen die Teilnehmer sich nicht vor? Bei meinen Firmenseminaren präsentiert sich jeder mit seinem Namen, seinen Titeln und seinem beruflichen Werdegang – und das nicht zu knapp.“

Sandra kann sich genau ausmalen, wie es bei Stefans Seminaren zugeht. Jeder schiebt seine Titel und seine beruflichen Erfolge vor sich her wie ein Schutzschild. Sie antwortet: „Wir haben eigentlich nur unseren Vornamen erwähnt und erklärt, warum wir gekommen sind. Das war alles. Jeder hat den anderen mit Du angesprochen.“

„Aber man muss doch wissen, mit wem man es zu tun hat, vor allem, wenn es um persönliche Themen geht und die anderen etwas über das eigene Privatleben erfahren. Wie soll ich etwas Privates über mich erzählen, wenn ich nicht einmal weiß, wem ich gegenübersitze?“

Nachdenklich entgegnet Sandra: „Gerade durch die Anonymität entstand eine gewisse Intimität. Es war nicht wesentlich, zu wissen, über welchen Status die Teilnehmer verfügen, welchen beruflichen Werdegang sie haben oder wie hoch ihre Gehaltsklasse ist. Die üblichen äußeren Fassaden waren nicht relevant. Alle befanden sich auf einer Ebene, waren einander ebenbürtig – ohne die übliche Selbstdarstellung. Über das Du kommst du einem Menschen näher, gerade weil die gängigen Schubladen und sozialen Zuordnungen wegfallen.“

„Und mit den Seminarleitern wart ihr wohl auch per Du? Waren das Psychologen?“, will Stefan wissen.

„So genau kann ich das nicht beantworten. Auch die Leiter haben sich nicht mit ihrer beruflichen Qualifikation vorgestellt. Im Flyer steht …“

„Sag bloß, du weißt nicht einmal, zu wem du gegangen bist und ob die überhaupt qualifiziert genug sind. Da gibt es doch viele Scharlatane in diesem Bereich. Man hört ja so einige Geschichten, was da passiert bei Aufstellungen“, hakt Stefan sofort nach.

„Lass mich doch mal ausreden. Ich war gerade dabei, das zu erklären. Sigrid und Peter haben eine eigene Aufstellungsmethode entwickelt und bereits Bücher darüber veröffentlicht. Sigrid ist Diplompädagogin und Peter kommt aus dem Businessbereich. Die beiden bilden auch Coaches aus, die in verschiedenen Kontexten mit dieser Methode arbeiten. Reicht dir das an Referenzen?“, fragt Sandra in gereiztem Tonfall.

Stefan merkt, dass er zu weit gegangen ist. Geschickt lenkt er Sandras Aufmerksamkeit mit neuen Fragen in ungefährlichere Gefilde: „Und was passiert bei einer Aufstellung. Wer stellt da wen auf?“

Versöhnlich lässt sich Sandra darauf ein: „Wenn man es nicht selbst erlebt hat, ist es vielleicht schwer nachzuvollziehen. Ich versuche es mal. Also, du setzt dich vor die Gruppe zwischen die zwei Leiter und erzählst, was dein Problem ist. Davor haben sie mit dem Muskeltest ausgetestet, wer an die Reihe kommt, wenn sich keiner von selbst meldet.“

‚Öffentlich seine Probleme ausbreiten und dazu noch vor einer ganzen Gruppe – das geht ja gar nicht‘, denkt sich Stefan entrüstet und fragt misstrauisch nach: „Was hast du denn da vor der Gruppe erzählt? Hast du nur über deine Mutter gesprochen oder auch über mich?“ Bei dem Gedanken wird ihm ganz heiß.

Sandra spürt Stefans Misstrauen und beruhigt ihn mit den Worten: „Ich habe berichtet, welche Probleme ich mit meiner Mutter habe bzw. dass der Kontakt so schwierig ist, weil sie ständig meine und auch unsere Grenzen überschreitet. Zum Beispiel, wenn sie unangemeldet auftaucht oder ständig anruft.“

Etwas beruhigt, pflichtet Stefan Sandra bei: „Ich glaube immer noch, dass sie Alkoholikerin ist. Das ist meine ehrliche Meinung.“

„So unrecht hast du gar nicht. In der Aufstellung hat sich etwas gezeigt, das in diese Richtung führt. Wirklich spannend. Das interessiert dich sicherlich. Aber lass mich erst mal erzählen, wie es weitergegangen ist, damit du dir auch ein Bild vom Ablauf machen kannst. Also, ich einigte mich mit den Leitern auf folgende Personen, die ich miteinander in Beziehung sehen wollte: SANDRA – eine Person, die mich vertreten sollte, Stellvertreter heißt das, weil sie meine Rolle übernimmt. Dann interessierte mich natürlich die Rolle meiner MUTTER und das THEMA, das zwischen uns steht. Später kamen dann noch die GROSSELTERN mütterlicherseits und das LEBEN hinzu.“

„Das alles klingt ein wenig nach Theater. Dort spielen die Schauspieler ja auch Rollen. Wie hast du denn die sogenannten ‚Rollen‘ vergeben?“, erkundigt sich Stefan mit belustigt hochgezogenen Brauen.

„Für die Rolle meiner Mutter wählte ich eine Teilnehmerin aus, indem ich einfach nachspürte, zu welcher Person im Kreis der sitzenden Menschen es mich hinzog. Spannenderweise nahm ich wirklich einen Impuls wahr und folgte ihm.“

„Hast du ihr dann etwas über deine Mutter erzählt?“, fragt Stefan nach.

„Nein, natürlich nicht, aber ich erzähle dir, was ich gemacht habe. Ich habe die drei Personen in die Mitte des Raumes geführt und intuitiv auf einen Platz gestellt, der mir passend erschien. Irgendwie berührte mich das innerlich sehr. Ich kann gar nicht sagen, warum. Es war ein seltsames Gefühl von Aufregung. Mir schlug das Herz bis zum Hals. Die Personen, die im Raum standen, haben dann die Augen geschlossen, geatmet und sich in die Rolle eingespürt oder hineinversetzt und dann haben sie sich im Raum bewegt.“

„Also doch so eine Art Rollenspiel.“

„Ja, ein stummes Rollenspiel. Zuerst haben sie sich ohne Worte bewegt. Dann haben sie berichtet, was sie in ihrer Rolle spürten.“

Skeptisch bemerkt Stefan: „Ja – aber erfinden die dann nicht irgendetwas? Die kennen deine Mutter ja gar nicht. Sie wissen nichts von ihr.“

Sandra erzählt begeistert weiter: „Genau das finde ich ja so erstaunlich. Die Frau, die meine Mutter spielte, klagte über ein Ziehen im unteren Rücken – genau wie meine Mutter. Du weißt, sie jammert oft über Rückenschmerzen. Die Frau stand genauso da wie meine Mama, wenn sie der Rücken plagt.“

Zweifelnd bemerkt Stefan: „Wie soll so etwas funktionieren?“

Sandra zuckt ratlos mit den Schultern: „Die Frage kann ich dir nicht genau beantworten. Die Leiter haben etwas von ‚in Resonanz mit einer Rolle sein‘ erzählt. Jedenfalls lief es bei der Frau, die mich gespielt hat, genauso. Obwohl sie mich vorher noch nie gesehen hatte, sprach sie mit meiner MUTTER wie ich. Es war mir manchmal fast peinlich, mich so sprechen zu hören – vor all den Leuten.“

„Das kann ich mir gar nicht vorstellen!“

„Ja, ich war selbst überrascht. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Wenn mich meine Freundin Miriam nicht mitgeschleppt hätte, weil sie das Thema mit meiner Mutter nicht mehr hören kann, wäre ich dort sicher nicht so schnell gelandet. Aber lass mich weitererzählen: Anfangs schaute das THEMA in die Luft und meinte: ‚Ich bin noch nicht dran‘, und die SANDRA wollte nichts mit meiner MUTTER zu tun haben. Das irritierte mich, denn ich war extra gekommen, um mir den Konflikt mit meiner MUTTER anzuschauen.“

Stefan gähnt laut, reibt sich die Augen und stellt fest: „Ehrlich gesagt hört sich das für mich ziemlich ermüdend an. Ich brauche bald Streichhölzer, um meine Augen offen zu halten!“

Sandra reagiert verschnupft: „Immer wirst du müde, wenn ich über etwas spreche, was mir am Herzen liegt.“

Stefan korrigiert energielos: „Wenn du länger über deine Mutter redest, dann werde ich müde. Das schläfert mich unwillkürlich ein – auch wenn ich mir alle Mühe gebe, wach zu bleiben.“

Sandra, die dieses lähmende Gefühl kennt, lenkt ein: „Das wundert mich nicht. Da siehst du, wie energielos manche Themen machen können. Auch in meiner Aufstellung hat sich gezeigt, dass da etwas über meine Mutter auf mich wirkt, was mich müde und kraftlos macht.“

„Interessant, das habe ich jetzt gespürt!“, stellt Stefan wieder munterer fest und fügt hinzu: „Ich empfinde es ermüdend, wenn deine Mutter zu Besuch ist. Du kennst das, nach zwei bis drei Stunden bin ich jedes Mal fix und fertig, als ob mir etwas die Kraft rauszieht. Jetzt reden wir nur über deine Mutter und schon reagiere ich darauf, obwohl sie gar nicht persönlich anwesend ist.“

„Unglaublich, was dann in der Aufstellung zu sehen war. Es gibt etwas, was auch meiner Mutter die Kraft raubt.“

Wieder interessierter, unterbricht Stefan: „Wenn ich das richtig verstehe, zeigte sich dort, in der sogenannten ‚Aufstellung‘, das, was sich im Alltagsleben hier zwischen den Personen abspielt. Also wenn wir mit deiner Mutter hier gemeinsam am Tisch sitzen, tritt dieses nervende Phänomen Müdigkeit auf. Genau das Gleiche passierte dann während dieser Aufstellung in dieser Gruppe?“

Sandra bestätigt: „Ja, das hat sich am Anfang gezeigt!“

Stefan nachdenklich: „Aber, wie konnte sich das übertragen? Deine Mutter war doch definitiv nicht dabei!“

Sandra versucht, sich genauer zu erinnern: „Auf mich machte es den Eindruck, dass man in der Rolle in der gleichen Schwingung ist wie die Person, für die man steht. Plötzlich verhält man sich so, als wäre man diese Person. Also zu Beginn waren in der Aufstellung alle gelangweilt und müde – auch die SANDRA. Bewegung kam in die ganze Sache erst, als ich eine weitere Person aus der Familie meiner Mutter in die Mitte stellte. Habe ich dir das schon einmal erzählt? Ihr Bruder ist im Babyalter gestorben.“

„Doch, ja! Deine Mutter hat es sogar mal erwähnt. Sie kannte ihn gar nicht.“

Sandra berichtet weiter: „Plötzlich fragte mich einer der Leiter – als die MUTTER müde den Kopf hängen ließ und nur noch auf einen Punkt starrte –, ob meine Mutter denn einen Verlust erlitten hätte. Und dann ist mir eingefallen, dass ja ihr Bruder gestorben ist. Nur zu gern wüsste ich, wie er auf diese Frage kam. Jedenfalls habe ich eine Person für den toten Bruder dort hingelegt, wo MUTTER hingeschaut hatte. Und dann war die Hölle los. Plötzlich fing meine kühle MUTTER bitterlich zu weinen an.“

„Also die Stellvertreterin für deine Mutter …“, wirft Stefan ein.

Sandra bestätigt: „Ja, sie hat plötzlich heftig geweint, kannst du dir das vorstellen? Und …“

Stefan unterbricht: „Bestand die Gruppe hauptsächlich aus Frauen oder waren auch Männer dabei?“

Sichtlich genervt, antwortet Sandra, denn sie ahnt, worauf Stefan hinauswill: „Selbstverständlich waren Männer in der Gruppe. Für den BRUDER habe ich einen Mann ausgewählt“.

Entschieden stellt Stefan fest: „Aber geweint hat die Frau?“

‚Na klar, das kenne ich doch …, Gefühle zeigen empfindet Stefan wieder mal als Schwäche‘, denkt Sandra bei sich, doch sie übergeht den Einwurf diplomatisch: „Der BRUDER und die MUTTER sahen sich einige Zeit in die Augen, und dann haben beide geweint. Mich hat das Ganze innerlich sehr bewegt, und ich hatte ebenfalls Tränen in den Augen.“

Stefan schüttelt verständnislos den Kopf und denkt bei sich: ‚Wie kann man für Fremde weinen?‘ Um Sandra nicht zu reizen, sagt er lieber nichts.

Inzwischen fährt Sandra fort: „Meine MUTTER legte sich dann neben den BRUDER, so als wäre sie lieber bei ihm, dem Toten. Kannst du dir das vorstellen?“

Entrüstet antwortet Stefan: „Nein! Auf keinen Fall!“

Sandra verkneift sich einen Kommentar und erzählt weiter: „Dann holte der Leiter ihre Eltern dazu …“

Stefan: „Also Deine Großeltern?“

„Genau, meine GROSSELTERN kamen ins Spiel. Zuerst wandten sie sich gleichgültig ab. Dann schauten beide doch zu ihren Kindern am Boden und fühlten ihre Trauer. Das veranlasste meine MUTTER, wieder aufzustehen und das LEBEN anzuschauen. Das alles hat einige Zeit gedauert.“

„Das LEBEN wurde auch aufgestellt, nehme ich an?“, fragt Stefan nach.

Sandra blickt nachdenklich vor sich hin und reagiert einsilbig: „Hm …“ Sie wirkt plötzlich sehr nach innen gekehrt.

An ihrer Stelle spinnt Stefan den Faden weiter: „Und dann musste sie sich für das LEBEN entscheiden! Könnte man es so beschreiben?“ und versucht Sandra wieder rauszulocken.

„Jaaahhh“, antwortet sie gedehnt. „Das war für meine MUTTER gar nicht so leicht. Sie brauchte Zeit für die Entscheidung, ob sie jetzt beim BRUDER liegen bleibt oder ob sie sich für das LEBEN entscheidet. Mich hat das ganz schön mitgenommen.“

Um Sandra abzulenken und das Gespräch wieder in andere Bahnen zu lenken, erkundigt sich Stefan ganz pragmatisch: „Gut, aber bei dieser Aufstellung war deine Mutter ja nicht dabei. Was hast du jetzt davon? Was bringt dir das jetzt? Was wird das deiner Mutter bringen?“

Sandra bemerkt dazu: „Naja, ich habe jetzt erst mal gesehen, warum ich immer so müde werde!“

Erstaunt reagiert Stefan: „Ach, du meinst, das hat mit dir auch etwas zu tun?“

Sandra spürt, sie kommt an einen Punkt, wo Wahrheit auch wehtun kann. Den Bruchteil einer Sekunde lang schießt Sandra der Gedanke durch den Kopf, das Gespräch hier lieber abzubrechen. Doch sie entscheidet sich anders: „Ja, das hat auch etwas mit mir zu tun. Mein Blick war unbewusst dorthin gerichtet, hat mir der Leiter erklärt. Ich habe irgendwie gespürt, dass meine Mutter die Tendenz hat zu gehen.“ Und nach einer Pause fährt sie fort: „Ja, wie soll ich das sagen, ich wollte mich auch dazulegen.“ Jetzt ist es ausgesprochen, und Sandra fühlt sich erleichtert.

Stefan reagiert ganz nüchtern: „Deswegen will ich deine Mutter nicht so oft einladen und bin viel unterwegs, weil mich das alles so sehr ermüdet.“ Mit einem spitzbübischen Lächeln versucht er Sandra aufzumuntern und die Situation zu überspielen.

Aber Sandra lässt sich nicht darauf ein und betont jetzt mit Nachdruck: „Ich habe mich auch für das LEBEN entschieden! Und …“

Sandras heftige Reaktion irritiert Stefan offensichtlich. Er bezieht die Antwort seiner Partnerin auf die gemeinsame Beziehung, indem er sich fragt: ‚Was soll das schon wieder bedeuten? Ist sie mit unserer Art Leben nicht glücklich? Fehlt ihr etwas?‘ Er gibt sich einen Ruck und sagt laut: „Wir leben schon seit einigen Jahren zusammen, bist du unzufrieden mit unserer Beziehung? Ich weiß, ich bin oft unterwegs …“

Aber Sandra hat es in einem ganz anderen Sinne gemeint. Nach kurzer Überlegung stellt sie fest: „Ich bin oft energielos und spüre manchmal zu wenig Freude am Leben. Das hat gar nichts mit dir zu tun. Ich fühle mich manchmal genauso schwer und müde wie meine Mutter. Das ist mir durch diese Aufstellung erst bewusst geworden. Plötzlich konnte ich es ganz klar sehen. Danach war mir gleich viel leichter zumute, als wäre eine unsichtbare Last von mir abgefallen. Ich umarmte das LEBEN, so wie meine MUTTER das tat und umarmte sogar noch sie selbst.“

Stefan entscheidet sich jetzt, nicht auszuweichen, obwohl ihn die Geschichte aufwühlt. Nachdenklich stellt er fest: „Das hast du ja schon lange nicht mehr gemacht.“

Mit strahlenden Augen betont Sandra: „Und das war schön, es war sehr schön, meine MUTTER zu umarmen.“

So strahlend hat Stefan Sandra schon lange nicht mehr gesehen. Irgendwie traut er der ganzen Sache noch nicht und sucht nach dem versteckten Haken: „Kannst du dir das auch live – im echten Leben – vorstellen? Mich wundert schon, dass du das in dieser Aufstellung gemacht hast. Dass man da einfach fremde Leute umarmt, ist schon ein bisschen …“

Sandra geht auf ihn ein: „Das mit der Umarmung kann man sich schlecht vorstellen, wenn man nicht dabei war. In dem Moment hat es für mich gestimmt. Ich kann es nicht anders ausdrücken. Eine Zeit lang sahen wir uns in die Augen und dann kam der Impuls zur Umarmung.“

Stefan besteht auf seiner Frage: „Sollst du jetzt nach der Aufstellung deine Mutter umarmen oder was ist der Sinn und Zweck der Veranstaltung?“

Geduldig erwidert Sandra: „Das ist wohl eher symbolisch zu sehen. Zur Umarmung gehören immer zwei, nicht wahr?“, neckt sie ihn und fährt fort: „Was ich mitnehme, ist, dass ich das Leben umarme und wieder Lebensfreude verspüre.“

Doch Stefan bleibt hartnäckig: „Und wie gehen wir jetzt mit deiner Mutter um, wenn sie das nächste Mal kommt?“

„Wenn Mama das nächste Mal zu uns kommt, sage ich in Gedanken zu mir: ‚Ich umarme das Leben‘.“

Stefan lässt nicht locker: „Okay, und dann?“

„Und wenn sie müde ist, ist das nicht mehr meins, verstehst du? Ich kann mich jetzt bewusst davon abgrenzen.“

Strategisch meint Stefan: „Mir wäre es am liebsten, wenn sie immer Samstag um 17.00 Uhr, besser noch 17.30 Uhr kommt, dann kann ich mich um 18.00 Uhr verdünnisieren und mir die Sportschau ansehen.“

„Das ist deine Art, mit der Situation umzugehen. Ich bin gespannt auf die Begegnung mit ihr und darauf, ob die Erfahrung, die ich gemacht habe, dazu führt, dass ich mit meiner Mutter anders umgehen kann. Mittlerweile ist mir klar geworden, warum sie sich mit Alkohol betäubt, weißt du! Weil ihr etwas fehlt. Der Verlust des Bruders hat ihr sehr wehgetan. Meine Großeltern haben wahrscheinlich nie richtig getrauert. Zu Beginn reagierten sie ganz kühl und abweisend – auch gegenüber meiner Mutter.“

Stefan provoziert: „Ich glaube, wenn deine Mutter einen Beruf hätte, der sie auslastet, dann würde sie nicht ständig um sich selbst kreisen und in Selbstmitleid schwelgen. Schau mich an, ich habe gar keine Zeit, mich mit solchen Sachen zu beschäftigen. Sie ist einfach nicht richtig ausgelastet …“

„Das glaube ich kaum. Immer im Hamsterrad laufen, löst keine Probleme. Es schiebt sie nur auf. In der Gruppe war ein Geschäftsmann dabei, der ist viel mehr unterwegs als du. Sein Problem war, dass er nicht mehr schlafen konnte. Und was zeigte sich? Warte, wie war das noch mal genau …“, überlegt Sandra, „sein Vater … nein, sein Großvater war im Krieg an der Ermordung von Leuten beteiligt …, das ließ den Enkel nicht zur Ruhe kommen – nachts. Das klingt jetzt vielleicht erstaunlich, dass da ein Zusammenhang bestehen soll, aber solche tiefgreifenden Themen übertragen sich oft auch über Generationen hinweg. Und die Enkel lösen dann stellvertretend das für die Großväter oder Großmütter, was diese nicht lösen konnten oder nicht sehen wollten.“

Stefan wiegelt ab: „Immer diese alten Kriegsgeschichten aufwärmen. Irgendwann muss doch mal Schluss sein damit. Meinst du nicht, dass das die ganze Situation noch verschlimmert, wenn er sich mit solchen Sachen beschäftigt?“

Sandra erwidert: „Wenn es sich doch im Leben eines Menschen praktisch auswirkt! Stell dir vor, du hast alle Ärzte konsultiert und erfährst keine Linderung.“

Nachdenklich meint Stefan: „Aus welchem Grund sollte jemand wie ich zu so einer Aufstellung gehen? Ich wüsste nicht, was ich dort verloren hätte.“

„Naja, du hast mir doch erzählt, dass es immer wieder Stress mit deinem Chef gibt?“, wirft Sandra ein.

Erstaunt fragt Stefan zurück: „Da soll mir eine Aufstellung helfen können?“

„Ja, warum denn nicht? Einer der Teilnehmer hatte ähnliche Probleme mit seinem Vorgesetzten wie du.“

Stefan versucht, sich aus der Affäre zu ziehen mit den Worten: „Na, eigentlich habe ich ja kein Problem. Vielleicht müsste mein Chef eine Aufstellung besuchen, damit er lernt, ordentlich mit seinen Mitarbeitern umzugehen.“

Skeptisch gibt Sandra zu bedenken: „Glaubst du wirklich, dass dein Vorgesetzter dazu bereit wäre? Da kannst du sicher lange warten.“

„Das ist ja das Übel“, seufzt Stefan.

‚Immer erwartet er, dass andere das Problem lösen, anstatt es selbst anzugehen …‘, denkt Sandra genervt. Laut sagt sie: „Der Teilnehmer wollte wissen, was er selbst tun kann in Bezug auf seinen Chef, der ihn und andere Mitarbeiter ungerecht behandelt. Interessanterweise stellte sich heraus, dass die Probleme mit dem Firmenchef haargenau den Problemen mit seinem Vater glichen. Ich sehe, du wirst schon wieder müde? Vielleicht kennst du das Thema ja auch.“

Sandra grinst und Stefan lenkt geschickt ab: „Was machst du jetzt praktisch nach der Aufstellung, wie setzt du das Ganze um?“

„Wenn ich daran denke, das Leben zu umarmen, erscheint mir vor meinem inneren Auge immer wieder ein Schmetterling, der sich am Leben freut und sich frei von Blume zu Blume bewegt. Meine innere Haltung hat also eine Menge mit innerer Freiheit zu tun, mich so zu zeigen und zu bewegen, wie ich bin – und zwar ohne müde zu werden!“ An dieser Stelle können sich beide ein Lächeln nicht verkneifen.

„Und wie willst du das jetzt konkret machen?“, will Stefan wissen.

„Praktisch bedeutet das, mich gegenüber meiner Mutter klarer abzugrenzen und offen anzusprechen, wenn mir etwas zu viel wird. Und wir werden sehen, wie ich all das umsetzen kann. So wie ich das verstanden habe, dauert es eine Zeit lang, bis die Energie der Aufstellung wirkt. Wichtig ist mir, innerlich dranzubleiben und mich immer wieder mit dem Thema zu beschäftigen, bis mir die neuen Erkenntnisse und Verhaltensweisen in Fleisch und Blut übergehen.“

„Na, da bin ich ja richtig gespannt auf den nächsten Besuch deiner Mutter! Das schau ich mir live an, da kann die Sportschau warten!“

Sandra grinst und freut sich – besser hätte das Gespräch nicht laufen können.

2. Die Grundlagen der Aufstellung

„Die Dinge existieren nur, wenn sie erlebt werden.“

Augustinus

Die Gründe, die Menschen dazu bewegen, ein Thema aufzustellen, sind vielschichtig und individuell sehr verschieden, wie das Gespräch zwischen Sandra und Stefan schon andeutet. Nachfolgend beschreiben wir einige konkrete Anliegen und die dazugehörigen Aufstellungen.

Was allen Aufstellungen zugrunde liegt, ist das Bedürfnis, etwas zu erkennen, das auf die gegenwärtige Lebenssituation ungünstig einwirkt. Etwas zu sehen, das vorher verborgen war, und eine sinnvolle Lösungsebene dafür zu finden. Auf der Ebene der direkten Kommunikation mit der Mutter konnte Sandra keine Lösung für ihr Problem entdecken. Zwar wusste sie von dem toten Onkel, konnte ihn bisher aber nicht in Zusammenhang mit dem Konflikt mit ihrer Mutter bringen. Für Sandra war es also wichtig, sich durch die Aufstellung eine passendere Lösungsebene für ihr Thema zu erschließen. In diesem Fall hat sich gezeigt, dass es sinnvoll ist, auf der Ebene des Familiensystems, in das Sandra hineingeboren wurde, nach Lösungen zu suchen.

Überrascht stellt Sandra fest, dass ihr die Klärung dieses Themas sowohl mehr sinnliche Lebensfreude bringt als auch neue Impulse zur Selbstentfaltung gibt. Genau das geschieht, wenn ein Thema auf der individuell sinnvollen Lösungsebene balanciert werden kann. Die Kraft, verdrängte Emotionen und gehemmte Energien kommen wieder in Fluss.

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